Der Wachhund von Alaiya ================================================================================ Kapitel 1: Hundepflichten ------------------------- Kyra war gegangen. Kyra hatte ihm gesagt, er sollte bei Molly bleiben. Also blieb Watson bei Molly. Sie rührte sich nicht. Wie langweilig. Warum hatte Kyra ihn eigentlich gesagt, er solle bei Molly bleiben? Sollte er sie vor dem Wolfsmann beschützen? Wo war der Wolfsmann eigentlich? Er hatte ihn nicht mehr gesehen. Aber er konnte ihn riechen. Watson mochte diese Wolfsmenschen nicht. Diese Menschen, die meistens wie Menschen aussahen, aber immer nach Wolf rochen. Der komische Wolfsmann war aber nicht ganz so schlimm, wie die Wolfsmenschen in diesem seltsamen Wald. Watson mochte keine Wälder. Wälder waren komisch. So verwirrend. Da waren viele Gefahren. Ganz viele Gefahren. Dessen war er sich sicher. Aber der komische Wolfsmann konnte mit ihm reden. Das war toll. Er verstand sogar, was er sagte! Manchmal war es frustrierend, wenn Menschen einen nicht verstanden. Vor allem, da Menschen auch einfach nicht merkten, wenn etwas gefährlich war. Vor allem Kyra. Warum verstand Kyra ihn nicht? Sie war doch seine Kyra! Sie sollte ihn verstehen. Sie sollte auf ihn hören, wenn er sagte, dass da Gefahr war. Warum war Kyra noch nicht zurück? Normal ließ Kyra ihn nicht allein. Normal gab es keinen guten Grund für Kyra ihn alleine zu lassen. Sie ließ ihn praktisch nie allein. Vor allem nicht mehr, seit Molly so selten zu sehen war. Vielleicht ließ er sie allein, weil Molly wieder da war. Warum sollte er dann Molly beschützen? Wo war Kyra überhaupt? Machte sie wieder etwas Gefährliches? Sicher machte sie etwas Gefährliches. Vielleicht fand sie ihn auch nicht, da sie hier waren, in diesem komisch riechenden Haus. Er wusste, was er tun musste. Er musste sie rufen! Bisher war Kyra immer gekommen – früher oder später – wenn er sie rief. Also setzte er sich hin, legte den Kopf in den Nacken und heulte. „Kyra!“ Noch einmal. „Kyra!“ Er musste sicher stellen, dass sie ihn auch hörte. „Kyra!“ Es war seine Kyra, also musste sie ihn hören. Jawohl. „Kyra!“ Erwartungsvoll hielt er inne. Kam sie? Er hörte sie nicht. Wahrscheinlich war er nicht laut genug gewesen! Also noch einmal, dieses Mal lauter: „Kyra! Kyra!“ Fußgetrappel erklang von der Treppe. Es war nicht Kyra. Watson kannte ihren Schritt. Er hätte ihn unter allen anderen Schritten herausgehört. Es waren gar keine Menschenschritte. Nein, es waren Pfoten. Watson spannte sich an. Vorsichtig sah er zur Tür. Ganz ohne es zu wollen hatte er die Ohren angelegt. Kyra hatte ihm gesagt, er solle Molly beschützen, aber er war kein Kämpfer. Er wollte sich verstecken. Aber Kyra hatte ihm gesagt, er solle bei Molly bleiben? Er sah hin und her. Was sollte er tun? Er könnte sich unter dem Bett verstecken. Dann war er bei Molly. Schnell kauerte er sich zusammen, um unter das Bett zu kommen, als etwas an der Tür hochsprang. Kläffen erklang. Es war ein komischer Dialekt, wenngleich verständlich. „Halbwolf. Halbwolf.“ Bevor Watson etwas tun konnte, öffnete sich die Tür und jemand fiel ihn von hinten an. Verspielt schnappte ein Kiefer nach seinem Hinterlauf. Er wurde starr. „Hab dich!“, verkündigte die Wölfin und ließ ihn los. Er sah sich um. Es waren Wölfe, aber nur die Welpen, die hier lebten. Die Wölfin, die ihn geschnappt hatte, sprang verspielt rückwärts. Ihr Schwanz wedelte, während sie ihn ansah. Hinter ihr waren die anderen beiden. „Watson!“, kläfften alle drei gleichzeitig. Etwas unsicher sah er sich zu ihnen um. Er setzte sich normal hin, legte den Kopf schief. Noch immer hatte er die Ohren angelegt. Er war sich nicht sicher, was denken sollte. Die drei waren Wölfe. Sie waren größer als er. Aber sie waren Welpen. Watson mochte Welpen. Etwas sagte ihm, er wolle sich auch einmal um Welpen kümmern. „Ja?“, jaulte er vorsichtig. „Watson!“ Alle drei setzten sich ebenfalls hin. Zwei von ihnen hatten helles Fell, die dritte ganz dunkles. Es war seltsam. Die Wölfin mit dem dunklen Fell hechelte. „Ja?“ Er sah sie an. „Du bist laut, Watson“, bellte die helle Wölfin, die die Menschen Rosie nannte. Er war gar nicht laut. Im Moment war er ganz still. „Nicht laut. Watson leise.“ „Du warst laut.“ Sie sah ihn an. Ihr Schwanz hörte auf zu Wedeln. Sie hatte eine so seltsame Art sich auszudrücken. „Papa schläft. Du weckst ihn auf.“ Watson verstand nicht. „Watson leise.“ „Du hast geheult. Du hast Kyra gerufen.“ Sie erklärte das mit zwei Kehllauten und einem Jaulen. Jetzt verstand er. „Kyra weg. Kyra soll zurück.“ „Kyra kommt zurück. Mama und Mama passen auf“, versprach der Wolf hinter ihr. Die Menschen nannten ihn Charlie. „Kyra.“ Watson wimmerte. Warum sollte er sich auf die beiden Menschinnen verlassen? Er kannte sie nicht. „Jetzt stell dich nicht so an“, kläffte Rosie. „Lass uns zusammen spielen.“ Wieder hopste sie etwas zurück, drückte sich mit der Brust gegen den Boden und wedelte mit dem Schwanz. Die anderen beiden großen Welpen taten es ihr gleich. Watson jedoch ließ sich ganz auf den Boden fallen. „Kyra sagt, Watson soll bei Molly bleiben“, jaulte er. Dann wimmerte er. „Kyra …“ Er legte den Kopf auf die Vorderpfoten. Warum war sie noch nicht zurück? Die Welpen tauschten Blicke. Etwas, das Watson komisch fand. Hunde – und Wölfe – tauschten keine Blicken. Das war etwas sehr menschliches zu tun. Hunde – und Wölfe – taten das einfach nicht. Warum auch? Irritiert hob er den Kopf. Da sprang die andere Wölfin, die die Menschen Othello nannten, vor. „Ich weiß was, Watson. Unten gibt es Futter. Willst du vielleicht etwas Futter?“ Auch wenn er es eigentlich nicht wollte, stellten seine Ohren sich auf. Futter? Watson mochte Futter. Futter war immer gut. Er hatte immer Hunger. Zumindest ein bisschen. Sein Blick wanderte zum Bett, auf dem die bewegungslose Menschin lag. „Watson bei Molly bleiben.“ Er hätte gern überzeugter davon geklungen. Wieder tauschten die Wölfe einen Blick, dann sprang Rosie vor und griff ihn verspielt an. Noch bevor Watson etwas dagegen tun konnte, hatte sie ihn auf den Rücken gedreht und leckte verspielt über sein Fell. „Watson. Futter! Du magst Futter, oder, Watson?“ Es kitzelte. Watson konnte nicht anders, als verspielt nach ihr zu schnappen, woraufhin die Wölfin zurücksprang. Er drehte sich um, sprang auf die Beine. „Futter. Watson mag Futter“, bestätigte er dann mit einem Bellen. Rosie rannte zur Tür und wartete. „Dann komm. Lass uns Futter holen.“ Noch einmal sah er zu Molly. Sie sah nicht aus, als würde sie sich bald rühren. Aber musste er sie nicht deswegen beschützen? Kyra hatte gesagt, er solle bei ihr bleiben. Aber wie nah war „bei ihr“? Er blieb ja immerhin im Haus. Sollte das nicht reichen? Er wimmerte. „Watson?“, fragte Rosie und zupfte mit den Zähnen leicht an seinem Ohr. Er wandte sich der Tür zu. „Futter.“ Damit folgte er den Welpen in den Gang, die Treppe hinunter und in den Futterraum der Menschen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)