Sieben Tage Erde. von ArmitageHux ================================================================================ Kapitel 1: Tag eins ------------------- "Willkommen auf der Erde." Unsicher schüttelte Jude Thompsons Rüssel, bevor er die Arme nutzlos zu seinen Seiten fallen ließ. Das grelle Licht des Büros spiegelte sich auf der polierten Platte des Schreibtischs wieder, auf dem ein flimmernder Kalender an die "Brutzeit" erinnerte. Aus einem blauen Becher stieg beißender Rauch zwischen ihnen auf, der ihm mit jedem Atemzug den Rachen versengte. Trotz der Gelassenheit die in zumindest einem von Thompsons acht Augen lag, überschlug Jude sich ein rasches "Danke" auszuhusten. Der Abteilungsleiter extraterrestrischer Angelegenheiten der Erdenhauptstadt war ein fetter Tilaner der Sorte freundlichem Absolutismus. Thompson verdrehte hier und da mal eine Pupille ruckartig in jede Richtung, während er Jude wohlwollend zulächelte. "Cydonier, huh?" Sein Rüssel wand sich um den Griff der überschwappenden Tasse in der Jude heißes Benzin vermutete. Er gab ein leises Brummen von sich, als er flüchtig den Blick auf ein blau leuchtendes Datapad warf. "Das ist richtig, Sir." Erwiderte Jude wie ein Fünfjähriger, der dem König unter den Augen versammelten Hofes die Hand schütteln durfte. Wann hatten seine Hände angefangen nervös am Leder seiner Handschuhe zu zupfen? Wen kümmerte es schon, wenn dieser starre, alte Mann ihn durchleuchtete als habe er noch nicht entschieden, ob dies eine Begrüßung oder ein Verhör darstellte? Auf seinem Heimatplaneten hatte er die Tapete der Monarchie heruntergerissen, eine Revolution erzwungen und später den entehrten König in einer dreckigen Seitengasse zu seiner Beute gemacht. Das war schon dreist für jemanden, der nicht einmal seine Steuern gezahlt hatte! Allerdings würde er den Tag nicht vergessen, an dem er von Bord der Historia geklettert war. Ob er hier bleiben durfte, um sich eine Existenz auf der Erde aufzubauen lag ganz bei ihm und seiner Fähigkeit sich anzupassen. Das hieß keine Widerworte, kein Weigern, keine besinnungslose Jagd auf tyrannische Monokraten! In anderen Worten: Er sollte all jene Fähigkeiten aufgeben, die ihn bislang am Leben gehalten hatten. Warum auch nicht. Genau genommen war die Erde nur ein Stück Planet, das nicht nur genauso aussah wie ein mit Zement und rasenden Blechbüchsen aufgepolstertes Cydonia, sondern auch genauso hungrig war auf Hierachie. Eigentlich ja nicht der Mühe wert. Wenn die Erde nicht dummerweise der einzige Ort wäre, an dem es einen Brandon Tanner gab, den er in der Galaxis sonst nirgends finden würde. Ein Pech für ihn, ein Glück für wortwörtlich jeden anderen! Schließlich bedeutete dies, dass Jude sich in die metaphorischen Handschellen legen musste, den Kopf demütig senkend und -Götter bewahret- sich unterordnen sollte. War es nicht viel leichter, dieses Büro aufzuwirbeln und zu sehen, wie schnell der Sicherheitsbeauftragte an der Tür es bereute ihn mit Abscheu betrachtet zu haben? Jude seufzte schwer. Leider stand dies außer Frage. Brandon war sein Vertrauter, sein bester sowie fester Freund und die einzige Person, mit der er sich soetwas wie eine Zukunft vorstellen konnte. Er wollte ihn nicht verlassen, wollte nicht zurück in das Loch kriechen, das seine Geburt für ihn gerissen hatte. In das Gefängnis seiner eigenen Haut, wenn er weder Gedanken noch Gefühl wie eine Tür öffnen konnte. Oder einen Morgen an dem ihm keiner schwimmende Erdkäfer ins Müsli kippte, weil er mit einer Lupe ein Loch in Brandons Lieblingspullover gebrannt hatte. Nicht verwunderlich also, dass er vor sieben Tagen mit grünem Gesicht an die Empfangstheke der Einwanderungsbehörde gewankt war. Jude hatte bereits befürchtet, dass er auf Anfrage vor Nervosität nichts herausbekommen würde. Glücklicherweise kam es dann doch: Sein Name, seine Spezies und die Hälfte seines Frühstücks. Thompson wischte ungerührt einen Tropfen flüssigen Furzes von der Oberfläche des Datapads, bevor er sich fast schon väterlich zu Jude herüberbeugte. Ein ganzes Augenpaar fixierte ihn eindringlich, Jude fühlte sich geehrt. "Keine Sorge, mein Junge." Das Pult wackelte bedrohlich, als er es ermunternd mit dem Ende seines Rüssels verprügelte. "Bei uns wurde schon seit Acht Jahren keiner mehr gefressen!" Jude verengte den Blick. Das Bild von zappelnden Füßen zwischen gigantischen Zähnen drängte sich ihm auf. War es angebracht zu fragen, welcher seiner Kollegen denn der Hungrigste war? Gerade öffnete er den Mund, als Thompson aufsprang. Nur durch einen beherzten Satz konnte Jude verhindern, dass die Tasse ihren Inhalt in seine Hose brannte. "Inari! Akten in Fach drei!" Thompsons Stimme krachte mit einer solchen Wucht gegen Judes Gesicht, dass er mit einer raschen Bewegung überprüfen musste ob man ihm nicht die Nase zertrümmert hatte. Inaris Akten schneiten auf sie nieder. Sie schwitzte eimerweise roten Schleim in ihre Rüschenbluse, bis sie aussah wie eine am Straßenrand erstochene Leiche. Sofort fiel sie auf die Knie, um hektisch die verstreuten Blätter einzusammeln von denen eine nicht unbeträchtliche Anzahl bereits an ihrem nassen Rücken klebte. "Wie dem auch sei..." Thompson drehte sich mit einem süßlichen Lächeln unter seinem Rüssel zu ihm um. "Dein Alter?“ „Zweiundzwanzig…“ Jedes von Thompsons Augenpaaren verengten sich abwartend. Jude blinzelte ihn ratlos an, hätte fast die Schultern angehoben, bis er ein hektisch gerufenes „-Sir!“ hinterherwarf. „Cydonier. Telepath. Ist das Richtig?“ „Naja, wenn man mich lässt.“ Jude lachte auf. Thompson blieb humorlos. Verunsichert zupfte Jude von neuem am Leder seiner Handschuhe. „Ich bin Berührungstelepath…Wegen der Handschuhe, wissen Sie? Wenn ich-„ „Genug! Das weiß ich!“ Nur zu seinem Vergnügen fragte Jude sich, ob er auch wissen würde, warum er eine Faust im Gesicht verdient hatte. „Ist das alles?“ Thompsons Stift klackerte unruhig auf seinem Datapad. „Alles!“ Jude blies seine abgemagerte Brust auf, er spürte wie ihm das Blut in den Kopf schoss. „Reicht das nicht?“ Sein Boss zeigte sich unbeeindruckt. Wahrscheinlich war er bereits eingenommen von der Kommenden ‚Brutzeit‘. Jude schauderte verhalten. „Telekinet?“ Jude schwieg, sein Mund eine dünne Linie. „Antworte. Telekinet, ja oder nein? Eure Spezies hat einige von denen, oder?“ Die Herzen klopften wild in seiner Brust. Fünf schreckliche Sekunden lang stellte Jude sich vor, wie er die Wahrheit sagte und damit vollends vor dem Schrein der Bürokratie auf die Knie ging. Guter Junge, wir haben Verwendung für dich. Seine Zunge fühlte sich zu groß für seinen Mund an, ihm wurde von Neuem schlecht. In den dreckigen Gassen seines Heimatplaneten hätte er inbrünstig nach Gerechtigkeit geschrien, die Klinge an seiner Kehle wie eine göttlich versprochene Absolution. Jagt mich, wenn ihr wollt. Tötet mich, wenn ihr könnt. Mit meinem letzten Atemzug aber werde ich euch meine Wahrheit zwischen die Rippen pressen. Diese Wahrheit, diesen Stolz nun einem fremden Planeten zur Verfügung zu stellen, um deren ganz eigene Form von Unterdrückung Munition zu liefern, schien undenkbar. Ekelhaft, viel eher. Sein Kopf glich dem glühenden Ende eines erloschenen Streichholzes, während er verkrampft den Kopf schüttelte. "Nein, Sir. Ich bin kein Telekinet." Brandon konnte ihm dafür später eine runterhauen. Oder er würde ihn küssen, weil Jude das System austrickste. Oder so. Manchmal war es schwer abzusehen, wann sein Freund Judes krampfhaftes Zuwiderhandeln bewunderte oder jäh entschied, dass es ihm zu lästig wurde. „Eine Sache noch…“ Thompson hatte die Lüge nicht durchschaut, jedenfalls waren zwei seiner Augenpaare nun nachdenklich auf Judes Akte gerichtet. Die Anderen sahen Inari dabei zu, wie sie noch immer den Ozean zerknitterten Papiers aufsammelte. Sie wimmerte armselig. „Ich bräuchte noch einen Nachnamen.“ Wenigstens eine Sache, die einfach sein würde. „Tanner.“ Obwohl Thompson nur gelangweilt seine Daten ergänzte, verzog sich Judes Mund zu einem halb unterdrückten Grinsen. Er fühlte sich wie ein Kind, das frisch gebackene Kekse gestohlen hatte und nun ungeschoren davonkam. Warm und glücklich, aber auch ein wenig ungezogen. „Dann erkläre ich dir jetzt deine Aufgaben…“ Jude Tanner war zumindest bereit sich ihnen zu stellen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)