Katherine von Sky- (Die Geschichte einer Mörderin) ================================================================================ Kapitel 5: Unheimliche Veränderungen ------------------------------------ Dass Molly ihr nun aus dem Weg ging und nicht mehr die Pausen mit ihr verbrachte, war für Katherine ein harter Schlag. Doch dass es etwas mit ihr oder der rätselhaften Reaktion von Mrs. Brightside zu tun hatte, als sie zu Besuch gewesen war, kam ihr nicht in den Sinn. Stattdessen überkam sie die Sorge, dass es etwas ganz anderes sein könnte. Vielleicht hatten es die anderen Kinder ihr übel genommen, dass sie mit einer Außenseiterin spielte, die aus einer Familie von Verrückten stammte. Also versuchte sie mit Molly zu reden und herauszufinden, wer sie schikanierte, damit sie ihr irgendwie helfen konnte. Doch jeder Versuch blieb erfolglos. Entweder fand sie Molly nicht wenn sie auf dem Pausenhof umherging, oder Molly ergriff sofort die Flucht wenn diese sie sah. Zwar gab Katherine nicht auf und versuchte es weiterhin, aber ihre Motivation nahm sehr schnell ab und so saß sie in den meisten Pausen wieder ganz alleine an ihrem Stammplatz weitab von den anderen Kindern. Doch auch bei ihr zuhause veränderten sich die Dinge und sie konnte nicht einmal sagen, ob es zum Guten oder zum Schlechten war. Während ihr Vater meist abends in die Kneipe ging, um sich zu betrinken, verließ ihre Mutter häufig das Haus und kehrte erst dann wieder, wenn Katherine und ihre Geschwister schon längst schliefen. Manchmal führte sie seltsame Telefonate und oder fremde Leute kamen zur Farm, die mit ihr sprechen wollten. Und sonntags ging sie sogar in die Kirche. Noch nie hatte Katherine erlebt gehabt, wie jemand aus ihrer Familie in die Kirche ging. Ihr Vater hatte für Religion nichts übrig und die einzigen Male, wo sie mit diesem Thema in Berührung gekommen war, waren der Religionsunterricht in der Schule oder wenn sie auf dem Weg nach Hause zufällig einem Priester über den Weg lief. Für gewöhnlich ging sie die Landstraße entlang, machte aber hin und wieder einen kleinen Umweg direkt durch die Stadt, wenn sie sich am Krämerladen ein paar Bonbons kaufen wollte. Sie wusste, welche religiösen Gruppen es in Annatown gab, aber sie hatte in ihrem Leben nie die Kirche besucht. Deshalb wirkte es für sie umso befremdlicher, dass ihre Mutter plötzlich religiös wurde. Vor allem weil diese gewirkt hatte, als wäre ihr wirklich alles egal geworden. An einem sehr schwülen Freitag, der laut Radionachrichten ein schweres Gewitter bringen würde, hatte Katherines Klasse früher als sonst Schule aus, da einer der Lehrer erkrankt war und man auf die Schnelle keine Vertretung finden konnte. Doch so wirklich freuen konnte sie sich nicht. Zwar ging sie ungern zur Schule, aber es war wesentlich erträglicher als zuhause zu bleiben. Wenn sie nicht gerade den Kindern über den Weg lief, die sich regelmäßig über sie lustig machten oder sie herumschubsten, gingen ihr die anderen aus dem Weg und alleine zu sein war immer noch besser als das, was sie zuhause erleben musste. Aber zumindest konnte sie ein wenig mit ihrer Schwester spielen. Doch in dem Moment, als sie aus dem Schulgebäude verließ, schlug ihr die heiße schwüle Luft entgegen und erschlug sie beinahe. Es war so stickig, dass sie das Gefühl hatte, als würde ihr die Luft zum Atmen fehlen und sie brauchte erst eine Weile, um sich an dieses drückende Wetter zu gewöhnen. Sie schaute zum Himmel, doch es war nur leicht bewölkt und die Sonne brannte erbarmungslos auf die Erde nieder und verschlimmerte diesen Zustand nur. Sie wusste, dass solch ein drückend schwüles Wetter oft ein erstes Anzeichen für ein Unwetter war und beschloss, sich lieber zu beeilen damit sie noch rechtzeitig zuhause war bevor das Gewitter über Annatown hereinbrach. Doch sie merkte schnell, dass das Wetter an ihren Kräften zehrte. Ihr war schwindelig und sie spürte ein schmerzhaftes Pulsieren direkt hinter ihrer Stirn. Und als wäre das nicht schon genug, war sie nach ein paar Minuten bereits vollkommen schweißgebadet und ihr war, als würde eine entsetzlich schwere Last auf ihren Schultern lasten. So musste sie bereits nach zehn Minuten eine kurze Pause einlegen, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen und sie blieb kurz stehen um zu verschnaufen. Eine leichte Brise wehte, doch es war leider kein kühles Lüftchen, sondern wieder nur heiße schwüle Luft. Ihr Weg nach Hause kam ihr vor wie eine anstrengende stundenlange Wanderung und zwischendurch zweifelte sie sogar, dass sie es überhaupt schaffen würde. Sie musste an einer Bushaltestelle eine kurze Rast einlegen, bevor sie weiterging. Am Himmel begannen bereits dunkle Wolken aufzuziehen und so beeilte sie sich umso mehr. Es donnerte bereits, als sie endlich die Blackavar Farm erreichte und schnell eilte sie die Stufen der Veranda hinauf, riss die Tür auf als auch schon ein weiterer Donner ertönte, dem ein starker Regenschauer folgte. Gerade noch rechtzeitig, dachte sie und atmete erleichtert durch. Erschöpft wischte sie sich den Schweiß aus dem Gesicht und ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Dabei bemerkte sie aber, dass es überraschend ruhig war. War ihr Vater gar nicht da? Nachdem sie ihr Glas geleert hatte, wollte sie zuerst hoch in ihr Zimmer gehen, doch da hörte sie Stimmen im Wohnzimmer. Doch es wurde nicht geschrien wie normalerweise. Stattdessen schienen sich diese Stimmen ganz normal zu unterhalten. Nun wurde sie neugierig und öffnete kurzerhand die Wohnzimmertür. Sie sah ihre Mutter auf dem Sessel sitzen, wo für gewöhnlich ihr Vater abends zu sitzen pflegte, wenn er sich nicht in der Kneipe betrank. Mit Besorgnis und zugleich Überraschung sah sie, wie ihre Mutter schluchzend das Gesicht in den Händen vergraben hatte, während zwei Männer ihr gegenüber standen und auf sie einredeten. Einer von ihnen trug ein Buch in der Hand und sie beide trugen schwarze Kleidung und sahen wie Priester aus. Allerdings wirkten sie nicht so wie die Priester, welche die örtlichen Kirchen von Annatown und den umliegenden Gemeinden betreuten, denn ihre Uniform unterschied sich von den katholischen und den protestantischen Priestern. Und mit den amischen Priestern aus Wheatford. Ein goldenes Symbol war auf der Brusttasche aufgenäht, welches sie aber auf die Entfernung nicht genau erkennen konnte. Jeder von ihnen trug eine Kette mit einem goldenen Kreuz, dennoch wusste sie, dass sie nicht zu den bekannten Gruppen gehörten. Zwar sah sie diese beiden Herren zum ersten Mal, aber sie kannte die Uniform: die Besucher, die in den letzten Wochen zu ihrer Mutter gekommen waren um mit ihr zu reden, hatten dieselbe Uniform getragen. Und bei einem der Besuche hatte sie zufällig aufgeschnappt, dass die Leute ihre Kirche „Iudicium Dei“ nannten. Katherine wusste nicht, was diese Worte bedeuteten und was für eine Sprache das war. Sie hatte schon Schwierigkeiten damit, sich diesen Namen überhaupt zu merken, geschweige denn ihn auszusprechen. „Es ist noch nicht zu spät für dich, Helen. Noch kann deine Seele gerettet werden, wenn du bereit bist, die schändliche Sünde ungeschehen zu machen, die du in die Welt gesetzt hast“, sagte einer der Männer. Es war ein älterer Mann mit Halbglatze und einer großen Brille. Er sprach in einem strengen und belehrenden Ton und er war Katherine nicht sonderlich sympathisch. Allerdings verstand sie kaum ein Wort von dem, was er da sagte. Was er wohl mit diesem Gerede von Sünde und Rettung meinte? „Wir versuchen seit Jahren, die Wurzel der Sünde aus dieser Stadt zu entfernen und die Seelen der Menschen vor den Verfluchten und den Dienern der schwarzen Künste zu beschützen. Aber du, Helen, hast bereits Gottes Zorn auf dich gezogen. Dein grausames Martyrium ist die göttliche Strafe, die über dich gebracht wurde, weil du mit der Saat des Teufels Unzucht getrieben hast, begreifst du das nicht? Gott hat diese Kreaturen nicht umsonst mit dem Zeichen Satans gebrandmarkt. Es ist unser höchstes Bestreben, diese Stadt vor ihrem Untergang zu retten und diesen Sündenpfuhl dem göttlichen Gericht zuzuführen. Aber du musst deinen Teil dazu beitragen wie jeder andere von uns. Um Vergebung zu erlangen, musst du dich dem göttlichen Gericht unterwerfen.“ Katherine, die nichts von dem verstand, was diese Männer da sagten, ahnte, dass sie besser nicht stören sollte. Und da sie bisher noch keiner bemerkt hatte, schloss sie leise wieder die Tür und ging nach oben zu ihrer kleinen Schwester Tabitha. Trotz der zwei Jahre, die inzwischen ins Land gezogen waren, war Tabitha immer noch sehr klein und wirkte aufgrund dessen wesentlich jünger als sie eigentlich war. Ihr dunkelbraunes Haar war zu zwei Zöpfen geflochten und ihr ganzes Gesicht war voller Sommersprossen. Sie war gerade dabei, mit ihrer Puppe zu spielen und sie wirkte recht einsam. Zumindest wurde sie nicht schon wieder von Nigel geärgert. „Hey Tabby!“ grüßte Katherine sie und setzte sich zu ihr. „Ist Nigel gar nicht zuhause?“ Die Sechsjährige schüttelte den Kopf und antwortete klein laut. „Er ist mit Dad weggegangen.“ Na umso besser, dachte sich Katherine. Wenigstens hatte sie ein wenig Ruhe vor den beiden und innerlich hoffte sie auch, dass die beiden nicht so schnell wiederkamen. Aber dennoch musste sie die ganze Zeit über diese beiden Männer im Wohnzimmer nachdenken. Was genau wollten die von ihrer Mutter und wovon hatten sie eigentlich geredet? Es war das erste Mal gewesen, dass sie ihre Mutter hatte weinen sehen und sie hatte auch nicht gedacht, dass sie überhaupt noch zu etwas wie Emotionen fähig war. Sonst hatte sie immer völlig leblos und teilnahmslos gewirkt und das einzige Mal, wo sie nicht völlig wie eine lebende Puppe gewirkt hatte, war, als Katherine diese verstörende Szene im Schlafzimmer gesehen hatte. Sie erschauderte, als diese Bilder wieder vor ihrem geistigen Auge auftauchten und sie versuchte sie schnell wieder zu verdrängen, indem sie sich wieder auf ihre Schwester konzentrierte. Doch sie hatte ein sehr ungutes Gefühl, was diese merkwürdigen Besucher anging und sie hatte insgeheim Angst, dass irgendetwas Schlimmes passieren würde. Gedankenverloren schaute sie aus dem Fenster und sah, wie der Regen gegen die Scheiben prasselte. Inzwischen hatte sich der Himmel vollkommen verdüstert und immer noch zuckten Blitze am Himmel, während es laut donnerte. Ob das Gewitter wohl ein schlechtes Omen war? Da ihre Kopfschmerzen irgendwann zu stark wurden, ging sie in ihr Zimmer und legte sich eine Weile zum Schlafen hin, da dies der einzige Weg war, ein wenig Linderung zu finden. Sie fiel in einen traumlosen und sehr unruhigen Schlaf und wirklich als Schlaf konnte man es nicht bezeichnen. Ihre Kopfschmerzen hatten zumindest ein wenig nachgelassen aber dafür hatte sie nun Hunger. Wie lange sie wohl im Bett gelegen hatte? Müde rieb sie sich die Augen und ging die Treppen hinunter, ging aber nicht direkt zur Küche, sondern erst am Wohnzimmer vorbei, auch wenn es einen Umweg bedeutete. Aber ihre Neugier, ob die beiden Herren immer noch da waren, war größer und so ging sie zu zur Wohnzimmertür und lugte durch das Schlüsselloch. Doch die zwei Herren in Priesteruniform waren nicht mehr da. Also ging sie in die Küche, machte sich ein belegtes Brot und setzte sich an den Küchentisch. Sie merkte erst, dass ihre Mutter im selben Raum war, als mit einem lauten Knall der Messerblock umfiel, als sie mit zitternder Hand ein Messer eines der langen scharfen Küchenmesser herauszog. Erschrocken zuckte Katherine zusammen und ließ dabei ihr Brot fallen. Sie drehte sich ruckartig zu ihrer Mutter um, wagte aber nichts zu sagen, als sie sah, in welchem Zustand diese sich befand. Ihr ohnehin schon abgemagerter Körper wirkte noch ausgemergelter als sonst und sie war bleich wie eine Leiche. Doch ihre Augen waren stark gerötet von Tränen und der Ausdruck in ihren Augen wirkte nicht mehr leblos wie die einer Puppe, sondern gebrochen wie die eines Menschen, der kurz davor stand, wahnsinnig zu werden. Und dieser Anblick machte Katherine mehr Angst als dieser puppenartige Blick, den ihre Mutter sonst hatte. „Mum?“ fragte sie zaghaft. „Was ist mit dir?“ „Es ist alles eure Schuld“, murmelte Helen mit heiserer und zitternder Stimme, ohne überhaupt die Worte ihrer Tochter zu hören. Immer noch rannen Tränen ihre Wangen hinunter und irgendetwas war mit ihr passiert, so viel stand fest. Doch Katherine traute sich nicht, näher nachzufragen und so schwieg sie lieber. Immer noch schaute diese abgemagerte Frau mit den spindeldürren Gliedmaßen sie nicht an und hatte den Blick auf die Arbeitsplatte gerichtet. Anscheinend wollte sie anfangen, das Essen vorzubereiten. Sie hielt das Messer bereit, um das Gemüse zu schneiden, doch in einem plötzlichen Anfall aus Wut und Verzweiflung hieb sie das Messer auf eine der Karotten und ihr Gesicht verzerrte sich zu einer grotesken Fratze, die Katherine sich nicht einmal in ihren Alpträumen ausgemalt hatte. Am liebsten hätte sie die Küche wieder verlassen, doch sie traute sich nicht, auch nur einen einzigen Finger zu rühren. „Mein ganzes verpfuschtes Leben… diese Hölle, die ich seit Jahren durchstehe… All das ist nur wegen euch. Es ist die Strafe Gottes, weil ich mich mit einem aus dieser verfluchten Familie eingelassen und euch in die Welt gesetzt habe. Ich habe ja schon immer gewusst, dass es der schlimmste Fehler war, diesen Mistkerl zu heiraten und jetzt bestraft mich der Herr damit, dass ich in meiner persönlichen Hölle leben muss.“ „M-Mum…“, sprach die 10-jährige leise und eingeschüchtert. „Wer… wer sind diese Leute und warum sagen sie solche Sachen?“ Hier drehte sich Helen Cohan zu ihr um und Katherine sah den unendlichen Schmerz und die Hoffnungslosigkeit in den Augen ihrer Mutter. Mit ihren knochigen Fingern umschloss sie das Messer fester und ihre Gesichtszüge verhärteten sich. „Das waren Leute, die mir endlich die Augen geöffnet haben. Ich weiß nun endlich, in was für ein Unglück dein Vater mich gestürzt hat und was ich angerichtet habe, indem ich dich und deine Geschwister in die Welt gesetzt habe. Ihr hättet niemals geboren werden dürfen und nun muss ich dafür zahlen, dass ich euch in die Welt gesetzt und mich damit versündigt habe. All die Jahre habe ich mich gefragt, womit ich dieses Elend nur verdient habe… nur um zu erfahren, dass es eure Schuld ist! Ihr habt mir mein Leben zerstört!“ „Was meinst du damit?“ fragte Katherine ratlos. Zwar war sie es inzwischen gewohnt, dass ihre Mutter immer religiöser zu reden begann und immer häufiger von Sünde oder göttlicher Strafe redete, wenn ihr Vater in der Kneipe oder auf dem Feld war. Aber diesen Zustand hatte sie noch nicht bei ihr gesehen und sie fragte sich, was diese Männer ihr wohl gesagt hatten, dass sie sich jetzt so komisch verhielt. Doch eines war klar: es machte ihr umso mehr Angst und sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Diese Situation war ihr wirklich unheimlich und sie fühlte sich sehr unwohl in dieser Situation. Nun kam ihre Mutter auf sie zu, das Küchenmesser immer noch in der Hand. Nun überkam Katherine erst recht Angst und sie sprang vom Stuhl auf um zu flüchten, doch da wurde sie am Kragen gepackt und festgehalten. Die trüben Augen ihrer Mutter starrten sie an und ihre spinnenbeinartigen Finger hatten sich in den Stoff ihres Kleides verkrallt und hielten sie mit ungeahnter Kraft fest. „Ich hätte es schon damals wissen müssen. Mein Vater hatte ihm eine Chance eine Chance gegeben und was ist passiert? Er hat es mit seinem Leben bezahlt. Ich habe diesen Mistkerl geheiratet und lebe seitdem in der Hölle. Und warum? Weil eure alleinige Existenz eine Sünde ist. Die ganze Familie Cohan ist ein Verbrechen gegen Gott und mein Leid und all die Schmerzen sind das Strafgericht, was über mich gekommen ist. All die Jahre dachte ich, es wäre meine Schuld, dass dein Vater so geworden ist. Dabei habt ihr mich alle nur getäuscht und mich nur glauben lassen, dass ich an allem Schuld bin. Ihr seid nichts als Parasiten, die die Welt mit ihrer Existenz und ihrem verdorbenen Blut vergiften und die Menschheit ins Verderben stürzen. Wenn ihr nicht existieren würdet, dann wäre ich glücklich geworden und mein Vater wäre nicht gestorben.“ „Mum, bitte hör auf. Du machst mir Angst!“ „Ich mache dir Angst? ICH MACHE DIR ANGST?“ schrie Helen und hielt die Spitze des Messers auf die Brust ihrer Tochter gerichtet. „Was glaubst du wie es mir geht? Jedes Mal wenn ich in eure dämonischen Augen schaue, sehe ich nichts als den Alptraum, auf den ich mich eingelassen habe. Ich war so blind und naiv gewesen, dass sich nicht gesehen habe, dass eure Augen das Mal des Teufels sind. Ich sollte euch töten und damit den Fehler ungeschehen machen, den ich begangen habe. Ihr, die ihr aus den Tiefen der Hölle gekommen seid, verdient es nicht, in dieser Welt zu existieren.“ Angsterfüllt schaute Katherine sie an und glaubte für einen Moment tatsächlich, ihre Mutter würde durchdrehen und sie mit dem Messer angreifen. Sie sah, wie diese abgemagerte Frau das Messer zum Schlag erhob und sie schloss die Augen, weil sie zu viel Angst hatte, hinzusehen. Es gab einen dumpfen Knall und als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass ihre Mutter das Messer in den Tisch geschlagen und damit ihre Tochter verfehlt hatte. Doch sonderlich erleichtert war Katherine nicht. Sie zitterte immer noch vor Angst. „Aus meinen Augen“, zischte Helen durch zusammengepresste Zähne. „Du machst mich krank!“ Hieraufhin wurde die Zehnjährige endlich losgelassen und sofort flüchtete sie aus der Küche, rannte hinauf in ihr Zimmer und schloss sich ein. Sie wagte es nicht, wieder hinauszugehen und hatte nun zum ersten Mal in ihrem Leben regelrechte Todesangst vor ihrer Mutter. Trotzdem verstand sie nicht, warum diese ausgerechnet wütend auf sie war. Weder sie noch ihre Geschwister hatten ihr je etwas Schlimmes angetan oder sie jemals geschlagen. Es war doch Gilbert, der ihr diese furchtbaren Dinge antat, warum also hatte sie stattdessen beinahe ihre Tochter mit dem Messer getötet? Katherine verstand es nicht und sie fragte sich, was sie nun tun sollte. Weglaufen? Nein, sie würde nicht weit kommen und sie wusste ohnehin nicht, wohin sie gehen konnte. Und sie konnte Tabitha unmöglich alleine zurücklassen. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu verbarrikadieren und zu hoffen, dass sich ihre Mutter wieder beruhigte. Zuerst spielte sie mit dem Gedanken, zu Tabithas Zimmer zu gehen, doch sie verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Ihre Angst war viel zu groß, als dass sie ihr Zimmer verlassen hätte. Sie fürchtete sich davor, ihrer Mutter über den Weg zu laufen, solange diese sich in diesem unheimlichen Zustand befand. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend zog sich Katherine um, ging nicht ins Bad um sich die Zähne zu putzen, sondern legte sich direkt in ihr Bett, da es langsam spät wurde. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Der Schreck von vorhin in der Küche saß ihr immer noch tief in den Knochen und noch immer wirkte die Angst in ihr nach. Sie war es von ihrem Vater gewohnt, regelmäßig geschlagen oder im Keller eingesperrt zu werden, aber nie hatte dieser sie mit einem Messer bedroht. Und es war auch das allererste Mal, dass ausgerechnet ihre Mutter sie bedroht hatte. Irgendetwas Schreckliches ging hier vor sich und instinktiv musste sie wieder an die Busfahrt mit Molly erinnern, als sie dieses unheimliche rotäugige Mädchen in Backwater gesehen hatte. Was wenn es wirklich stimmte und es war ein böses Omen gewesen? Zwar hatte Molly gesagt gehabt, dass das nur eine Gruselgeschichte war, aber in diesem Moment glaubte Katherine daran. Sie war sich felsenfest sicher, dass etwas sehr Schlimmes passieren würde. Und dieser Gedanke ließ ihr keine Ruhe. Die ganze Nacht über lag sie hellwach da und befürchtete die ganze Zeit, ihre Mutter würde zu ihr ins Zimmer kommen und sie mit dem Küchenmesser erstechen. Doch nichts dergleichen geschah. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)