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Katherine

Die Geschichte einer Mörderin
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Als ich Petboy Contract angefangen habe, hatte ich klare Vorstellungen zu Katherine, der Mutter von Leron, Michael und Jordan. Sie sollte in den Erinnerungen irrer Söhne eine liebevolle Mutter sein, bis sich herausstellt, dass sie in Wahrheit eine psychopathische Mörderin war, die ihren Mann grausam misshandelt und dessen Geliebte brutal ermordet hat. Natürlich ist es einfach, sie dann als Monster abzustempeln, aber die größere Herausforderung ist es, beide Seiten von ihr in Einklang zu bringen und zu erklären, wer Katherine Cohan wirklich war. Eine mörderische Verrückte, eine liebevolle und fürsorgliche Mutter oder eine gebrochene Frau, die von ihrem eigenen Umfeld in den Wahnsinn getrieben wurde und nie eine andere Wahl hatte, als das gleiche Schicksal zu erleiden wie der Rest der Cohans. Die Fanfiction wird ihre Lebensgeschichte erzählen und ihren mentalen Zerfall. Komplett anzeigen

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Am Sterbebett

Das EKG piepte langsam in einem gleichmäßigen Rhythmus und nur das Geräusch der Beatmungsmaschine unterbrach die kurzzeitige Stille. Obwohl sie kaum noch aufnahmefähig war und ihr das Morphium schwer zugesetzt hatte, konnte sie trotzdem diesen widerwärtigen Geruch wahrnehmen. Diesen Gestank von Desinfektionsmitteln und Tod. Die Wände waren nackt und weiß gestrichen und alles in diesem Zimmer wirkte so unpersönlich. Was für ein undankbarer Ort zum Sterben. Eigentlich hatte sie vorgehabt, wenigstens in ihren eigenen vier Wänden ihr Ende zu finden, wenigstens ein bisschen Frieden zu finden und in Würde zu sterben. Wie gerne wollte sie die letzten Momente in ihrem Leben bei ihren Kindern verbringen, doch dazu war es nicht gekommen. Und das alles nur weil er dafür gesorgt hatte, dass sie in dieses Hospiz abgeschoben wurde um dort zu verrecken wie all die anderen Menschen, die hier eingepfercht waren. Es kümmerte sie nicht mal, wie liebevoll und hilfsbereit das Pflegepersonal war. Alles, was sie empfand, war mörderische Wut darüber, dass ihr Mann es geschafft hatte, die letzten Momente ihres Lebens in eine Hölle zu verwandeln. Und nun lag sie in einem fremden Bett in einem fremden Zimmer angeschlossen an Maschinen, die ihren Körper am Leben hielten, bis der Krebs sie endgültig dahingerafft hatte. Obwohl man ihr genug Morphium verabreicht hatte, um ihre Qualen zu lindern, litt sie dennoch entsetzliche Schmerzen.

Ihr Körper war inzwischen viel zu schwach, um sich zu bewegen. Sie war ans Bett gefesselt und würde hier elendig verrecken. Warum nur war das Leben so grausam zu ihr? Wieso musste sie so früh und dann auch noch auf solch schreckliche Art und Weise ihr Ende finden? Das war einfach nicht fair. Und das Schlimmste war, dass sie wahrscheinlich nicht einmal ihre Kinder sehen würde, wenn sie dahinschied. Alles was sie fühlte, waren bloß Wut und Verzweiflung. Wut darüber, dass sie es nicht geschafft hatte, sich ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen und dass sie gezwungen war, in diesem schäbigen Hospiz ihr Ende zu finden. Und sie empfand Verzweiflung darüber, dass sie wahrscheinlich ganz allein sterben würde. Genau das, was sie nicht gewollt hatte. Daran war nur ihr verdammter Ehemann Schuld!
 

Die Tür wurde geöffnet und Clara die Krankenpflegerin kam herein. Sie war eine rothaarige Mittzwanzigerin, die eigentlich eine liebenswerte junge Frau war und sich mit Leib und Seele um das Wohl der Hospizbewohner kümmerte. Doch Katherine wollte sie nicht sehen. Sie wollte niemanden sehen außer ihren Kindern. Und zu erkennen, dass solch eine Fremde ihre letzten Momente als schwache und kranke Frau miterleben würde, war zu viel für sie. In diesem Zustand war sie wie ein verwundetes Raubtier, das jeden anfallen und zerfleischen würde, der ihr zu nahe kam. Unbändige Wut überkam sie und belebte einen Teil ihrer alten Kräfte wieder. Obwohl sie sich kaum bewegen konnte und ihr Körper von Schmerzen gepeinigt war, schaffte sie es, sich aufzusetzen und starrte Clara hasserfüllt an. „Scheren Sie sich verdammt noch mal hier raus!“

Doch die rothaarige Pflegerin blieb gelassen und trat näher heran. „Sie sollten sich etwas schonen, Mrs. Evans. Ihre Familie ist bereits verständigt und auf dem Weg hierher. Legen sie sich wieder hin und sparen Sie sich Ihre Kräfte auf.“

„Nein…“, gab die 47-jährige mit rasselnder Stimme zurück, die mehr an die einer verbitterten alten Frau erinnerte. „Ich sagte, Sie sollen gehen. Ich weigere mich, in Anwesenheit irgendwelcher fremden Leute zu sterben. Lassen Sie mich alleine und hören Sie auf, mich so zu bemitleiden oder zu bevormunden, wenn Sie nicht einmal eine Ahnung davon haben, was Leid wirklich bedeutet!“
 

Doch da versagte Katherines Stimme, als sie keine Luft mehr bekam und kraftlos zurück in ihre Kissen sank. Kalter Schweiß lief ihre Stirn hinunter und erneut wurde sie sich darüber bewusst, wie sehr der Krebs bereits ihren Körper zerfressen hatte. Hätte sie diese Clara ein paar Monate früher getroffen, dann wäre sie locker mit ihr fertig geworden. Doch nun war sie nicht einmal mehr in der Lage, sich hinzusetzen. Wie hatte es nur so weit mit ihr kommen können, dass ihr Geist zwar ungebrochen, aber dafür ihr Körper nur noch ein welkes Blatt im Spätherbst war? Nun konnte sie nicht einmal mehr etwas dagegen tun, als die Pflegerin ihr den Schweiß von der Stirn wischte. „Es ist alles gut, Mrs. Evans. Sie müssen keine Angst haben. Ruhen Sie sich aus und wenn Sie sich Ihren Kummer von der Seele reden möchten, habe ich ein offenes Ohr für Sie.“

„Ich habe keine Angst vor dem Tod“, entgegnete Katherine mit Mühe. „Ich habe ihn schon viel zu oft gesehen. Und wagen Sie es ja nicht, mir eine Ihrer Gottespredigten zu halten. Dieses Stück Scheiße hat in meinem Leben nichts zu suchen.“

Doch Clara blieb geduldig und nachdem sie mit ihrer Pflege fertig war, ging sie wieder und ließ die Totkranke allein, damit sie sich wieder ein wenig beruhigen konnte. Doch auch das vermochte Katherines Zorn nicht zu besänftigen. Obwohl ihr Körper dahinsiechte, reichte ihre Willenskraft immer noch für zwei. Und genau das war es, was ihr so sehr zusetzte. Vielleicht wäre diese Situation ein wenig erträglicher, wenn sie wenigstens geistig genauso schwach war wie körperlich. Dann hätte sie auch nicht mal mehr die Kraft besessen, sich über ihren miserablen Zustand aufzuregen.

Das Schlimmste war vor allem die Hilflosigkeit. Nichts tun zu können und in diesem schmerzenden Körper gefangen zu sein, war für sie schlimmer als die Hölle. Vor allem weil es Erinnerungen wachrief, die sie lange Zeit erfolgreich in die tiefsten Abgründe ihres Unterbewusstseins verdrängt hatte. Und nun war sie gezwungen, dieses schreckliche Gefühl noch einmal zu durchleben und das ausgerechnet in den Momenten ihres Todes.
 

Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen als sie eine eigenartige Präsenz im Raum spürte. Ihr war, als würde ein kühler Luftzug wehen, doch seltsamerweise war ihr nicht einmal kalt. Sie wandte den Kopf in Richtung dieser merkwürdigen Aura und sah eine Frau neben ihrem Bett sitzen. Ihr pechschwarzes Haar fiel ihr über die Schultern und sie trug ein schwarzes Kleid, dazu ein fliederfarbenes Tuch um ihre Schultern. Ihre Augen waren so rot wie Rubine und ihre Haut wirkte wie die einer Porzellanpuppe. Ihre unmenschlich wirkenden Augen ruhten auf Katherine und sie hatte einen rätselhaften Ausdruck, der keine eindeutigen Gefühle erkennen ließ. Eine seltsame Präsenz umgab diese Frau, als wäre sie von einem dunklen Schatten umgeben, der für das sterbliche Auge nicht sichtbar war. Nein… sie selbst war eins mit diesem Schatten. Sie brauchte sich nicht einmal vorzustellen, denn die Sterbende wusste sofort, wer da neben ihrem Bett saß. Und wieder überkam sie eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. „Was willst du hier?“

„Es wird Zeit dich zu erinnern, Katherine“, sprach die rotäugige Frau ruhig. „An deine guten Taten sowie an deine schlechten Taten. Deine Zeit in dieser Welt neigt sich ihrem Ende zu.“

„Nein…“, brachte Katherine hervor. „Das kannst du nicht machen. Das ist nicht fair. Du bekommst mich nicht, bevor ich mich nicht von meinen Kindern verabschiedet habe. Ich habe keine Angst vor dir!“

Doch die Rotäugige Frau blieb ruhig und zeigte sich von Katherines Worten unbeeindruckt. „Ich bin weder dein Feind, noch bin ich dein Freund. Ich bin lediglich der Schatten dieser Welt, der aus der Dunkelheit geboren wurde und die Seelen des Lichts in die Finsternis der Unendlichkeit führt.“

„Ich weiß genau was du bist“, entgegnete die 47-jährige. „Und du jagst mir keine Angst ein. Ich halte noch so lange durch, bis meine Kinder hier sind. Danach ist es mir vollkommen egal, was du mit mir tust.“
 

Doch da versagte ihr wieder die Stimme und sie musste mehrmals husten und nach Atem ringen. Das Sprechen raubte ihr Unmengen an Kraft und vielleicht hätte sie angefangen, an ihren Worten zu zweifeln, wenn sie nicht von Natur aus so willensstark und vor allem stur gewesen wäre. Ihr Wunsch, ihre Kinder noch ein allerletztes Mal vor ihrem Tod zu sehen, war mächtig genug, um den letzten Funken ihrer verbliebenen Kräfte zu mobilisieren. Doch da streckte die Frau mit den roten Augen ihre Hand aus und strich ihr sanft über die Stirn. Und da geschah etwas Seltsames. Der Schmerz in ihrem Körper war auf einmal verschwunden und ihr war, als könne sie wieder vollkommen normal atmen. Zwar war sie immer noch schwach, doch sie fühlte sich wesentlich besser als zuvor. Sie verstand das nicht und wandte sich fragend an ihre rätselhafte Besucherin. „Was… wieso hast du das getan? Ich dachte immer, ihr hasst uns Cohans.“

„Ich hasse euch nicht“, erklärte die rotäugige Frau. „Und ich habe nicht viel getan. Lediglich den Sterbeprozess ein wenig hinausgezögert. Du wirst deine Kraft brauchen, Katherine.“

Doch anstatt Dankbarkeit zu empfinden, überkam die Schwerkranke Misstrauen. Denn sie bezweifelte, dass diese Frau wirklich aus solch selbstlosen Gründen handeln würde. Für gewöhnlich trat sie doch immer nur dann in dieser Form in Erscheinung, wenn sie etwas nehmen wollte. Und sie wusste, dass diese Frau nicht gekommen war, um sie von ihrem Krebs zu heilen. Sie war gekommen, weil sie im Sterben lag. Und deswegen hielt sie sich auch nicht mit Dankesreden auf, sondern fragte sofort „Was versprichst du dir davon, mir meine Qualen erträglicher zu machen?“

„Ich spüre so viel Schmerz und Bitterkeit in deinem Herzen“, erklärte die Frau in Schwarz. „Und ich will deine Geschichte hören.“

„Damit du entscheiden kannst, ob du mich in die Hölle schickst oder nicht? Mach mir nichts vor. Wir wissen beide, dass ich die Hölle verdiene für all die Abscheulichkeiten, die ich begangen habe.“

„Nein, ich will mir nur deine Geschichte anhören, damit du diese Welt ohne Last verlassen kannst“, erklärte die mysteriöse Besucherin. „Es ist nicht meine Aufgabe, über irgendjemanden zu urteilen. Ich komme zu jedem, dessen Zeit gekommen ist. Egal ob er ein guter oder ein schlechter Mensch zu Lebzeiten war. Im Tode sind alle Menschen gleich. Was geboren wurde, das muss auch sterben. Doch bevor ein Mensch stirbt, muss er sein Leben reflektieren. Darum will ich, dass du mir deine Geschichten erzählst. Von deinen glücklichen Momenten bis hin zu jenen Momenten, die tiefe Wunden in deine Seele gerissen haben. Durchlebe noch einmal dein Leben in diesem Augenblick, sodass ich deine Geschichte weitertrage und mich an deiner statt erinnern werde, damit du in Frieden ruhen kannst.“

Also dafür ist sie gekommen, dachte sich Katherine mit einem bitteren Lächeln. Sie erwartet allen Ernstes von mir, ihr meine Lebensgeschichte zu erzählen bevor ich endgültig sterbe. Und damit soll ich noch mal den gleichen Alptraum durchleben, den ich für so viele Jahre vergessen konnte. Nun gut, dann soll dies meine Strafe für mein miserables Leben sein.
 

Katherine seufzte resigniert und schloss die Augen. Es hatte ohnehin keinen Sinn, weiter zu diskutieren. Wenn sie wirklich ihre Geschichte erzählen sollte, dann würde sie es tun. Sie wusste, dass sie dem Tod eh nicht entkommen konnte und sie war auch nicht die Art von Frau, die verzweifelt um Gnade betteln und ihr Schicksal beweinen würde. Diese Zeiten waren schon lange vorbei und sie war kein Kind mehr, sondern eine erwachsene Frau, die sich alles im Leben hart erkämpft hatte. Niemand hatte jemals eine Träne für sie vergossen, da würde sie es genauso wenig tun. „Na schön“, sagte sie schließlich. „Ich werde dir meine Geschichte erzählen, wenn es das ist was du wünschst. Aber ich glaube kaum, dass du sie wirklich hören willst. Es ist keine sonderlich schöne Geschichte und ich kann es dir nicht verübeln, wenn du mich danach verachtest.“

Doch auch das vermochte die Frau mit den roten Augen nicht umzustimmen. Also gab Katherine auf und atmete tief durch, um erneut ihre Kräfte zu sammeln. Denn sie wusste es am besten, dass sie sie brauchen würde, um ihre Geschichte zu erzählen und sich an ihre schreckliche Vergangenheit zu erinnern. Bevor sie jedoch begann, merkte sie an „Alles, was ich jemals in meinem Leben wollte, war eine liebevolle Familie. Und ich war bereit dafür, jeden Menschen zu töten, der mir bei diesem Ziel im Wege stand. Und ich habe viele Leben zerstört. Aber letzten Endes bin ich von einer Hölle in eine andere geraten. In die eine Hölle wurde ich geboren, die andere habe ich mir selber geschaffen. Ich wollte doch nur eine glückliche Familie, nicht mehr und nicht weniger. Und ich wollte beweisen, dass ich mich besser um meine Kinder kümmern kann als meine Eltern es je für mich taten. Aber… an irgendeinem Punkt ist mir alles entglitten und ich konnte nicht mehr zurück. Und letzten Endes bin ich doch nicht besser geworden als der Rest meiner psychopathischen Familie.“

Schwere Anfänge

Annatown war ein ruhiges Städtchen im Herzen von Ohio und hatte ebenso eine der ungewöhnlichsten Geschichten von Amerika. Obwohl die ersten Städte erst nach der Entdeckung durch Christoph Columbus und der Ankunft der Pilger gegründet wurden, war Annatown schon lange vorher errichtet worden. Fünf Familien waren für die Gründung dieser Stadt verantwortlich und obwohl sich in dieser Zeit kaum jemand für die Gründungsgeschichte interessierte, wusste trotzdem jeder Einwohner, dass die Stadt in der Vergangenheit lebte wie eine demenzkranke Frau. Alte Fehden starben nie aus und auch viel Schlechtes wurde innerhalb der Familien von Generation zu Generation weitervererbt. Die Kinsleys sprachen von Schatten, die Wyatts von Karma und die Ronoves von Flüchen. Wie auch immer man es nennen mochte, es hatte vor allem eine Familie gekennzeichnet: die Cohans. Wer auch immer in diese Familie hineingeboren wurde, galt als verdammt, schon seit dem Moment seiner Geburt. Und nichts anderes galt auch für Katherine Cohan, als sie am 24. September 1947 das Licht der Welt erblickte.

Ihr Vater Gilbert Cohan war Besitzer einer Tierfarm, der die örtliche Metzgerei belieferte und er war wie alle geborenen Cohans eine furchterregende Erscheinung. Mit Armen so dick wie Baumstämmen und einer Körpergröße von fast zwei Metern war er imposant und seine Hände vermochten Knochen zu brechen wie Streichhölzer. Wie alle Cohans war er nicht nur mit Hochwuchs und diesen einzigartigen goldgelben Augen zur Welt gekommen, sondern auch mit einer außerordentlichen körperlichen Kraft und Ausdauer. Zwar wurde er für seine Kraft und seine Größe respektiert, jedoch bevorzugten die Leute es, einen möglichst großen Bogen um ihn zu machen. Denn es war kein Geheimnis, dass er mehr Alkohol trank als ihm gut tat und er war ein gewalttätiger Schläger, insbesondere wenn er betrunken war. Er war ein Menschenhasser durch und durch, insbesondere hasste er Frauen.
 

Als Angehöriger des Cohan-Clans war es nicht überraschend, dass er in einem schwierigen Umfeld aufgewachsen war. Seine Eltern waren Geschwister gewesen und er war der einzige Sohn von Lucille Cohan und ihrem Bruder Thomas Cohan. Obwohl die Hauptaggression für gewöhnlich von der männlichen Seite der Cohans ausgingen, war es in diesem Fall seine eigene Mutter gewesen, die ihre Familie terrorisiert hatte. Lucille war eine schreckliche Frau gewesen, die ihren Bruder grausam misshandelt und schließlich vor den Augen ihres Kindes mit einer Axt den Schädel gespalten hatte, während sie mit ihm geschlafen hatte. Und das war nur eines der einschneidenden Erlebnisse gewesen, die seine Persönlichkeit für immer veränderte.

Nachdem Lucille ihren Bruder getötet und seine Leiche zerstückelt und den Hunden zum Fraß vorgeworfen hatte, musste jemand anderes ihre weiblichen Bedürfnisse erfüllen. Und das war der Beginn einer unbeschreiblichen Hölle für den damals 13-jährigen Gilbert gewesen, der für mehrere Jahre in einem Martyrium gefangen war, bis er die Kraft besessen hatte, seiner Mutter das Genick zu brechen, als sie sich an ihm verging. Es war also nicht überraschend, dass Gilbert sich dadurch nicht nur zu einem Menschenhasser entwickelte, aber vor allem auch Frauen aufs Tiefste verabscheute. Mit 18 Jahren, als er vor Gericht für den Mord an seiner Mutter freigesprochen wurde nachdem sein Anwalt den Tatbestand der Notwehr beweisen konnte, ging er bei einem Metzger in die Lehre. Zwar war er ausdauernd und belastbar und erledigte seine Arbeit besser als die anderen Lehrlinge, aber die Traumata seiner Vergangenheit hatten schwere seelische Narben hinterlassen und so versuchte er diese schrecklichen Erlebnisse im Alkohol zu ertränken.

Es dauerte nicht lange, bis sein Alkoholkonsum zum Problem wurde und er seine Stelle verlor. Der Besitzer der Blackavar Farm, Horace Blackavar, erkannte das Potential in Gilbert Cohan und stellte ihn als Farmarbeiter ein. Er zeigte sich geduldig und nachsichtig mit diesem schwierigen Gesellen und überraschenderweise schaffte er es, eine gute Beziehung zu ihm aufzubauen. Und noch überraschender war die Tatsache, dass er Horaces Tochter Helen näherkam und sie heirateten. Es sah zunächst danach aus, als hätte sich Gilbert zum Guten gewandt und dank der Hilfe seines Arbeitsgebers resozialisiert war.
 

Doch kurz nach der Hochzeit verunglückte der Farmbesitzer bei einem Unfall, als er bei Reparaturarbeiten vom Dach stürzte und an einer schweren Kopfverletzung verstarb. Und da seine Tochter Helen die Farm zwar erben, aber unmöglich alleine führen konnte, übernahm ihr Mann Gilbert das Erbe. Zwar konnte nie bewiesen werden, dass Gilbert für den tragischen Tod von Horace Blackavar verantwortlich war, doch es war dennoch eine verdächtige Verkettung von Zufällen und die Gerüchte hielten sich über Jahre hinweg, dass alles zu Gilberts Plan gehört hatte, um an die Farm zu kommen. Denn kaum, dass seine Frau Helen ihm das Erbe überschrieben hatte, damit er sich um die Farm kümmern konnte, zeigte sich wieder seine wahre Natur. Sein Alkoholkonsum wurde schlimmer und selbst wenn er nicht trank, schlug er seine Frau oder sperrte sie im Keller ein, wenn sie es wagte, sich zur Wehr zu setzen oder ihm ins Gewissen zu reden. Er war nach wie vor ein Frauenhasser und ließ all seinen Zorn an seiner Ehefrau aus. Für Helen entpuppte sich die Ehe als Hölle und sie bekam schreckliche Angst vor ihrem Mann, dass er sie eines Tages totprügeln könnte. Sie versuchte auch, vor ihm wegzulaufen, doch das blieb leider ohne Erfolg. Sie hatte keine finanziellen Mittel, um irgendwie über die Runden zu kommen und als sie einmal versuchte, von ihrem Ehemann zu flüchten, erwischte dieser sie dabei und schlug mit dem Gürtel so lange auf sie ein, bis sie bewusstlos war. Mehrere Wochen lang sperrte er sie im Keller ein und schärfte ihr ein, dass er sie töten würde, wenn sie es wagen würde, sich ihm jemals wieder zu widersetzen.

Während Gilbert es schaffte, die heruntergekommene Farm durch harte Arbeit zu sanieren, glich seine Frau irgendwann nur noch wie ein Schatten eines menschlichen Wesens. Sie wehrte sich nicht mehr wenn er sie schlug oder sie gewaltsam nahm, sie wirkte teilnahmslos und zeigte kaum noch eine Reaktion auf irgendetwas. Sie magerte ab und wurde vollkommen gefühlskalt und apathisch. Selbst als sie ihr erstes Kind zur Welt brachte, zeigte sie keinerlei Reaktion und als sie dann endlich ihr Baby im Arm hielt, wirkte es eher völlig mechanisch und als besäße sie inzwischen keinen eigenen Willen mehr. Für Gilbert war die Geburt seines ersten Kindes ein einziger Alptraum und ein schwerer Schlag. Er hatte seine Frau zumindest größtenteils geschont und sie nur im Gesicht geschlagen oder ihr den Rücken ausgepeitscht, weil er sich erhofft hatte, sie würde einen gesunden Stammhalter zur Welt bringen. Doch das böse Erwachen kam, als sich sein Erstgeborenes als ein Mädchen entpuppte.
 

Als Katherine Cohan am 24. September um 1 Uhr morgens das Licht der Welt erblickte, war ihr Schicksal schon von dem Moment an besiegelt, als sie gezeugt worden war. Obwohl sie die Erstgeborene war, hatte ihr Vater nichts als Hass für sie übrig und ihre Mutter war inzwischen so seelisch tot, dass sie nicht mehr in der Lage war, ihrem eigenen Kind irgendeine Form von Liebe und Aufmerksamkeit zu spenden. Sie ignorierte das Schreien des Babys und widmete sich ihr nur, wenn sie es füttern oder die Windeln wechseln musste. Ansonsten nahm sie sie kein einziges Mal auf dem Arm oder schenkte ihr auch nur irgendeine Form von Beachtung. Meist saß sie nur apathisch da und regte sich nur, wenn ihr Mann es befahl. Da aber das Kind nicht nur schrie, weil es Nahrung brauchte, sondern auch Liebe und Zuwendung brauchte, führte es schnell dazu, dass es ständig am Schreien war und nur selten verstummte. Und da ihr Vater Gilbert ohnehin schon einen Groll gegen Frauen hegte und insbesondere seine eigene Familie hasste, wurde sie oft geschlagen oder gewürgt, wenn sie schrie.

Wann immer das Baby zu schreien begann und sich niemand um sie kümmerte, beendete ihr Vater den Lärm, indem er sie so lange schlug, bis sie endlich aufhörte zu schreien. Das blieb nicht ganz ohne Folgen. Zwar wurden die Übergriffe ihres Vaters seltener, da Katherine irgendwann zu schreien aufhörte und ihre Mutter ein Jahr später einen Jungen zur Welt brachte, doch die Entwicklungsstörungen machten sich trotzdem bemerkbar. Katherine lernte nur sehr langsam Sprechen und aufgrund einer Fehlstellung ihres Fußes gelang es ihr auch nicht, das Laufen zu lernen. Keiner in ihrer Familie kümmerte sich wirklich um sie, bis sie dann die Treppen hinunterstürzte und sich den Kopf aufschlug. Sie wurde daraufhin in die Kinderarztpraxis von Annatown gebracht, wo ihre Kopfverletzung genäht werden musste. Der Arzt erklärte sich sogar bereit, ihre Fehlstellung zu beheben, nachdem er erkannt hatte, dass diese von einem schlecht verheilten Knochenbruch herrührte. Also brach man dem Mädchen erneut das Bein und versah es dann mit Schienen. Es folgte ein langsamer und schmerzvoller Heilungsprozess, doch der Erfolg zeichnete sich trotzdem ab.

Nachdem ihr Bein endlich verheilt war, konnte Katherine das Laufen richtig lernen, aber ihr Wortschatz war dennoch stark eingeschränkt und selbst im Alter von sieben Jahren konnte sie kaum sprechen. Als sie eingeschult werden sollte, erkannten die Lehrer, dass mit ihr etwas nicht stimmte und schickten sie daraufhin nach Backwater, wo es die einzige psychiatrische Klinik in der Umgebung gab. Da der Arzt nicht erklären konnte, warum das Mädchen nicht vernünftig sprechen konnte, wollte man sie auf eine geistige Behinderung untersuchen. Der Irrenarzt begann sie mehreren Tests zu unterziehen und stellte fest, dass Katherine durchaus in der Lage war, ihre Mitmenschen zu verstehen und sogar sehr intelligent war. Also wurde sie nach der Schule in eine Sprachförderungsgruppe für Kleinkinder geschickt, damit sie das Sprechen richtig lernte.
 

Ihre Geschwister entwickelten sich hingegen unterschiedlich. Ihr Bruder Nigel, der nur ein Jahr jünger und zudem der ersehnte Stammhalter war, erhielt bei weitem nicht so viele Schläge wie seine Schwestern, erlebte aber trotzdem alles ungefiltert mit, wie sein Vater gewalttätig wurde. Tabitha, die jüngste der drei Geschwister, war zu dem Zeitpunkt erst drei Jahre alt und wurde weitestgehend von ihrem Vater ignoriert, wenn sie ihm nicht zu sehr auf die Nerven ging. Sein größter Groll galt nach wie vor seiner ältesten Tochter, die in seinen Augen eine Schande war und niemals hätte geboren werden dürfen. Und während Katherine den Zorn ihres Vaters zu spüren bekam, begann Nigel das Verhalten seines Vaters nachzuahmen, indem er damit begann, seine beiden Schwestern zu quälen.

Katherine hatte große Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Kindern und das stellte sich schon sehr schnell heraus. Da sie noch nie zuvor Nähe von irgendjemandem erfahren hatte und die grausamen Misshandlungen ihres Vaters und ihres jüngeren Bruders der einzige wirkliche Körperkontakt waren, hatte sie keinerlei soziale Erfahrungen sammeln können. Sie war vollkommen überfordert mit der Situation, als sie plötzlich mit knapp 30 Kindern in eine Klasse gesteckt wurde, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie waren laut, spielten herum und machten Blödsinn. Für ein Kind, das bisher vollkommen isoliert gelebt und nichts anderes gekannt hatte außer Schläge und Vernachlässigung, war dies eine völlig fremde Welt und wirklich alles wirkte fremd für sie. Selbst die Kinder verhielten sich in ihren Augen seltsam und sie fühlte sich wie eine Außenseiterin. Es machte ihr Angst und es war beklemmend für sie. Sie bemerkte ziemlich schnell, dass diese Kinder so viel wussten, wovon sie bisher noch nie gehört hatte. All die Spiele, die sie auf dem Pausenhof spielten, kannte sie nicht und sie verstand auch den Sinn dahinter nicht. Zwar versuchte sie mit ihren Klassenkameraden in Kontakt zu treten, doch auch das gelang ihr aufgrund ihrer fehlenden sozialen Erfahrungen nicht. Sie reagierte schnell gereizt und aggressiv und fühlte sich schnell provoziert oder beleidigt, obwohl keine bösen Absichten dahintersteckten. Da die Kinder ihrerseits Katherine aufgrund ihres seltsamen Verhaltens und ihrem mangelhaften Wortschatz als sonderbar ansahen und nichts mit ihr anzufangen wussten, begannen sie nach kurzer Zeit damit, sich über sie lustig zu machen. Und es wurde nicht wirklich dadurch gefördert, dass wenige Monate später zwei neue Klassenkameraden dazukamen, die ihr das Leben wesentlich schwerer machen würden.
 

Nachdem Katherine nach knapp zwei Monaten ihren Sprachförderungskurs abgeschlossen hatte, konnte sie endlich wieder zurück in den Grundschulunterricht, doch sie fühlte sich nicht wirklich wohl dabei. Insbesondere weil sie genau wusste, dass ihr wieder das gleiche Drama bevorstehen würde, welches ihr schon in den ersten Tagen geblüht hatte, als sie eingeschult wurde. Die anderen würden sie komisch ansehen und ihr die ganze Zeit aus dem Weg gehen oder sie wie einen Freak behandeln. Es war nicht so, dass Katherine Angst hatte. Denn wenn sie vor irgendetwas Angst hatte, dann war es ihr Vater. Aber selbst nach zwei Monaten mit anderen Kindern, auch wenn sie alle wesentlich jünger gewesen waren, hatte sie immer noch das Gefühl, nicht wirklich dazuzugehören. Und sie fühlte sich, als wäre sie auf einem anderen Planeten.

Als sie vor der Tür ihres Klassenzimmers stand, umklammerte sie ihre Schultasche und atmete tief durch, um ihren Mut zusammenzunehmen. Sie wusste genau, was bevorstehen würde. Sie würde den Klassenraum betreten, alle würden sich nach ihr umdrehen und sie merkwürdig anschauen. Sei es weil sie die Größte in ihrer Klasse war oder weil die Kinder sie immer noch als den Sonderling in Erinnerung hatten, der sie in ihren Augen war. Langsam ergriff sie den Türgriff und spürte den aufkeimenden Widerwillen. Doch sie überwand sich, öffnete die Tür und trat ins Klassenzimmer. Wie erwartet verstummte alles und alle drehten sich zu ihr um. Unzählige Augenpaare starrten sie neugierig an und sie fühlte sich wie ein Tier im Zoo.

Für einen Moment kam ihr der Gedanke, einfach wieder das Klassenzimmer zu verlassen und zu gehen. Doch da winkte der Lehrer sie zu sich und sie trat gehorsam nach vorne. Ihr Lehrer Mr. Clayton war ein glatzköpfiger 45-jähriger untersetzter Mann mit einem strengen Eigengeruch, der es für jeden in seiner Umgebung schwer machte, allzu lange neben ihm zu stehen, ohne ein Gefühl von Übelkeit zu verspüren. Darum blieb auch Katherine auf einem gewissen Abstand und schaute mit einer Mischung aus Nervosität und Argwohn auf ihre Klassenkameraden. Mr. Clayton tätschelte ihren Kopf und richtete das Wort an die Klasse. „Hört her. Katherine ist ab heute wieder Teil dieser Klasse. Ich erwarte, dass ihr ihr helft, all das zu lernen, was wir bisher gelernt haben.“
 

Die Kinder hießen sie einstimmig willkommen, doch selbst ein siebenjähriges Kind wie Katherine konnte schon erkennen, dass kaum jemand von ihren Klassenkameraden diese Begrüßung wirklich ehrlich meinte, sondern es nur sagte, weil der Lehrer es erwartete. Doch da waren zwei, die nicht einmal in diese einstimmige Begrüßung einfielen. Es waren zwei Jungen, die in der hintersten Reihe links am Fenster saßen und die Katherine noch nie gesehen hatte. Es musste sich bei ihnen um zwei Neuzugänge handeln. Die beiden Jungen hatten pechschwarzes Haar und rubinrote Augen und sie beide sahen Katherine feindselig an. Insgeheim beschlich sie langsam das Gefühl, dass die beiden ihr noch Probleme bereiten würden. Doch sie blieb still und ging zu dem freien Platz direkt neben einem der rotäugigen Jungs und setzte sich. Sie versuchte ihr Bestes, die beiden nicht anzusehen und sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Doch kaum, dass sie ihr Buch und ihr Federmäppchen herausgeholt hatte, drehte sich der eine Junge zu ihr um und fragte sie „Du bist doch eine von den Cohans, oder?“

Woher weiß er das?, fragte sich die Siebenjährige und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Vor allem aber wusste sie nicht einmal, warum es diesen Jungen überhaupt interessierte. Zögerlich antwortete sie „Ja“, gefolgt von der Frage „Warum fragst du?“

„Weil mein Dad sagt, dass Cohans gelbe Augen haben und alle verrückt sind. Das heißt, du bist auch verrückt.“

„Ich bin nicht verrückt“, erwiderte Katherine sofort und spürte, wie sie wütend wurde. Sie kannte diesen Jungen nicht einmal und er kannte sie nicht. Was fiel ihm also ein, sie als verrückt zu bezeichnen? Doch der Junge ließ sich nicht beirren und sagte „Meine Eltern sagen, deine Familie tötet Menschen und gehört ins Irrenhaus. Wieso lassen die Lehrer Verrückte wie dich denn in die Schule?“

„Meine Familie ist nicht verrückt!“ rief Katherine wütend und sofort ruhten wieder alle Augenpaare auf ihr. Nun wirkte auch Mr. Clayton ungehalten und er sah sie streng an. „Ich will kein Gerede in meiner Klasse. Hebt euch das für die Pause auf.“

„Aber…“, begann Katherine, doch sie wurde sofort unterbrochen. „Kein aber. Das hier ist nicht der Sprachkurs für dumme Kinder. Hier herrscht Ruhe in meiner Klasse!“
 

Ein paar der Kinder begannen daraufhin zu lachen und Katherine biss sich auf die Unterlippe, um sich selbst zum Schweigen zu zwingen. Das war nicht fair. Sie hatte nichts Falsches getan und trotzdem wurde sie hier bloßgestellt. Was für ein miserabler Wiederanfang. Doch sie wollte das nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Niemand hatte das Recht, sie oder ihre Familie als verrückt zu bezeichnen und sie würde sich das auch nicht so einfach gefallen lassen. Was fiel diesem komischen Jungen überhaupt ein, so etwas zu sagen? Er kannte sie nicht einmal und sie hatte ihm nichts getan. Und das gab ihm nicht das Recht, sie als verrückt zu bezeichnen. Solch eine Beleidigung durfte sie sich auf keinen Fall gefallen lassen. Darum würde sie sich diesen Jungen in der Pause vorknöpfen und ihm klar machen, dass niemand ihre Familie als verrückt bezeichnete.

Bestrafung

Der Unterricht hatte sich sehr in die Länge gezogen und es war schwierig für Katherine gewesen, überhaupt mitzukommen. Und es war frustrierend zu erkennen, dass sie nichts von dem verstand, was im Unterricht behandelt wurde. Doch das war nicht das einzige, was die Siebenjährige beschäftigte. Sie war immer noch aufgebracht über die Worte ihres Sitznachbarn und sie konnte sich kaum auf den Unterricht konzentrieren. Der größte Teil ihrer Aufmerksamkeit galt nur der Uhr. Unruhig begann sie mit ihren hellbraunen Locken zu spielen und als endlich die Glocke ertönte, stand sie auf und ergriff den Arm ihres Sitznachbarn, als dieser nach draußen gehen wollte. „Wer bist du eigentlich und warum sagst du solche Sachen über meine Familie?“

Der Junge schaute sie mit diesen unheimlich wirkenden rubinroten Augen an und für einen Moment überkam sie tatsächlich Angst. Sie konnte nicht einmal sagen warum, aber ihr war, als wäre dieser Junge von einem kalten dunklen Schatten umgeben, der instinktiv bei ihr Beklemmung auslöste.

„Ich bin Derian L. Kinsley und das ist mein Cousin Lyndon. Wir sind vom Kinsley-Clan, verstehst du?“

Doch sie verstand überhaupt nichts. Sie konnte mit dem Namen rein gar nichts anfangen. Da sie das Klassenzimmer verlassen mussten, gingen sie nach draußen auf den Schulhof, um dort weiterzureden. Draußen war es bewölkt und kalt. Der Herbst hatte längst begonnen und es sah danach aus, als würde es bald zu regnen beginnen. Katherine folgte den beiden zu einer krumm gewachsenen Eiche, die in der Mitte des Schulhofes wuchs. Schließlich blieben sie stehen und Katherine stemmte ihre kleinen Fäuste in die Hüften und sah die beiden feindselig an. Doch die beiden grinsten nur überlegen und schienen sie eher als Witz zu sehen. „Na und? Was ist denn so tolles daran, zu welcher Familie man gehört?“

„Du bist eine Cohan. Das heißt wir sind Feinde.“

Doch sie verstand immer noch nicht genau, was das heißen sollte und sah die beiden ratlos an. Sie wusste nicht, ob die beiden sie verarschen wollten, oder ob sie es wirklich ernst meinten. Auch Derian merkte es langsam und erklärte sichtlich genervt „Deine Familie ist verrückt und sie haben Leute aus anderen Familien getötet. Und wir hassen euch. Mein Dad sagt, dass alle Cohans mit gelben Augen verrückt sind. Das heißt du bist es auch. Und Verrückte gehören ins Irrenhaus.“

„Ja genau“, pflichtete Lyndon bei und lachte. „Du kommst aus einer kaputten Familie, deswegen sollte man euch wegsperren, hat meine Mum gesagt.“

Das war endgültig zu viel für Katherine. Egal wie schlimm es ihr zuhause auch erging, sie konnte und wollte es nicht akzeptieren, dass man sich über sie und ihre Familie lustig machte. Und so ballte sie ihre Hände zu Fäusten, packte Derian an seinem Hemd und schlug ihn ins Gesicht. „Hör auf, dich über meine Familie lustig zu machen!“ schrie sie und konnte nicht mehr an sich halten. Zwar eilte Lyndon seinem Cousin zu Hilfe und versuchte sie festzuhalten, doch Katherine war nicht aufzuhalten. Sie riss sich los und trat Lyndon direkt vors Schienbein, bevor sie ihn packte und gegen den Baum schubste. Es kam daraufhin zu einem Gerangel und immer mehr Kinder versammelten sich um die drei Raufenden, um alle Details mitzuerleben. Katherine schlug blindlings um sich, Tränen sammelten sich in ihren Augen und sie konnte sich nicht mehr unter Kontrolle halten. Sie war einfach nur wütend und verletzt. Sie wusste, dass ihre Familie nicht glücklich war, aber es kam ihr nicht in den Sinn, dass ihre Eltern verrückt sein könnten, insbesondere ihr Vater. Sie war zu jung, um dieses Konzept zu verstehen und glaubte einfach, dass sich die beiden über sie lustig machten, weil sie sie nicht leiden konnten. Als sie die beiden endgültig zu Boden gerungen hatte, blieb sie vor ihnen stehen und atmete schwer. Sie war erschöpft und ihre Arme taten weh, vor allem ihre Hände. Lyndon lag auf dem Boden und hielt sich den linken Arm, während er schmerzerfüllt stöhnte. Derian hatte eine blutende Kopfwunde und versuchte seinem Cousin zu helfen. Immer noch standen die Kinder um sie herum und Katherine, die sich langsam wieder beruhigte, realisierte langsam, was sie da gerade getan hatte. Ihre Arme, die schon vorher mit blauen Flecken übersät waren, waren voller Schrammen. Ihre Knie waren aufgescheuert und bluteten und ihr Kleid war gerissen. Doch sie bemerkte die Schmerzen nicht mal sonderlich. Was sie wirklich aus der Fassung brachte, waren die Blicke der anderen Kinder, die auf sie ruhten. Sie schauten sie mit Furcht und Ablehnung an. Obwohl sie nur versucht hatte, ihre Familie zu verteidigen, hatte sie nur bewirkt, dass alle jetzt Angst vor ihr hatten. Es war, als würden sie sie als eine Art Monster ansehen. Dabei wollte sie das doch gar nicht. Sie wollte nicht, dass man sie für verrückt hielt oder schlecht über ihre Familie dachte. Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln und sie stand kurz davor zu weinen. „Ich bin nicht verrückt“, rief sie. „Und ich will nicht, dass ihr solche Sachen über meine Familie sagt!“
 

Schließlich kam ein Lehrer dazu und schickte Katherine zum Rektor, während Derian und Lyndon ins Krankenzimmer gebracht wurden. Immer noch war das kleine Mädchen vollkommen aufgewühlt und schluchzte, während Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Auch wenn sie wütend gewesen war und die beiden Jungs für ihre gemeinen Kommentare bestrafen wollte, fühlte sie sich trotzdem kein Stück besser. Sie wusste zwar nicht, was sie falsch gemacht hatte, aber sie hatte definitiv nicht gewollt, dass die anderen Kinder Angst vor ihr bekamen und tatsächlich dachten, sie wäre verrückt. Zwar wusste sie nicht, was Verrücktsein genau bedeutete, doch es schien etwas mit der Tatsache zu tun zu haben, dass es das Töten von Menschen beinhaltete. Und so etwas würde sie nie und nimmer tun. Sie verstand auch nicht, warum man so etwas über sie und ihre Familie sagte.
 

Als sie das Büro des Rektors erreichte, war sie immer noch am Weinen und sie musste knapp eine halbe Stunde vor dem Büro warten, bis sie endlich hereingerufen wurde. Inzwischen hatte sie sich wieder beruhigen können, doch sie fühlte sich immer noch schlecht und wollte am liebsten gehen. Doch es lag nicht in ihrer Natur, einfach so wegzulaufen und so ging sie in das Büro des Rektors. Dieser hatte bereits aschgraues Haar, einen Vollbart und war stark untersetzt. Sein rundliches Gesicht mit den rosigen Wangen ließen ihn wie einen Weihnachtsmann ohne Berufskleidung aussehen, doch der Anblick täuschte. Mr. Thornwood war ein fürchterlicher Mensch, der von den Kindern dieser Schule gefürchtet wurde. Wie ein Despot herrschte er an dieser Schule und machte kein Geheimnis daraus, dass er Kinder hasste. Seine dunkelbraunen Augen schauten Katherine durch die Nickelbrille an, die er auf der Nase trug und man sah ihm sofort an, dass er bereit war, diesem kleinen Mädchen das Leben schwer zu machen, wenn ihm danach war. Als Katherine diesen Blick sah, glaubte sie für einen Moment, ihren Vater vor sich zu sehen und Angst überkam sie. Abrupt blieb sie im Türrahmen stehen und erstarrte. Doch der Rektor winkte sie zu sich und forderte sie in einem barschen Ton auf „Nähertreten und hinsetzen!“

Kleinlaut folgte sie der Aufforderung und setzte sich auf den Stuhl gegenüber von Mr. Thornwood und schaffte es nicht, ihm in sie Augen zu sehen. Nervös verkrallte sie ihre Hände in ihr Kleid und saß zusammengekauert auf dem Stuhl. Der Schulrektor seufzte entnervt und rieb sich die Augenbrauen. „Wie ist dein Name?“

„Katherine Cohan“, antwortete die Siebenjährige verunsichert. „Ich wollte nur…“

„Ich interessiere mich nicht für Ausreden und habe auch nicht die Erlaubnis zum Sprechen erteilt“, erwiderte der Rektor barsch und schlug mit der Hand auf den Tisch, woraufhin das Mädchen erschrocken zusammenzuckte. „Also du bist diejenige, die in den Sprachkurs geschickt wurde. Wie kann es sein, dass du gleich an deinem ersten Tag in dieser Schule bereits eine Prügelei anfängst und einem Jungen den Arm brichst und einem anderen eine schwere Kopfverletzung verpasst? Nein, ich will keine Antworten und Entschuldigungen hören. Eigentlich hätte ich es mir gleich denken können. Ich bin schon seit über zwanzig Jahren Rektor an dieser Schule und hatte schon oft genug Schwierigkeiten mit dieser ganzen Bagage.“

Katherine schwieg und verstand nicht, was Mr. Thornwood mit „Bagage“ meinte, doch dem Tonfall nach zu urteilen schien es nichts Positives zu bedeuten. „Wann immer einer von dieser Familie hier eingeschult wird, gibt es tagtäglich nur Schwierigkeiten. Unglücklicherweise kann ich den Cohans nicht den Schulbesuch untersagen, aber eines sage ich dir: ich werde nicht zulassen, dass du und der Rest deiner missratenen Verwandtschaft den Ruf meiner Schule ruiniert.“

„Aber die haben angefangen!“ rief Katherine, ungeachtet ihrer Angst vor dem jähzornigen Rektor. „Sie haben sich über mich und meine Familie lustig gemacht. Sie haben meine Familie verrückt genannt.“

„Besser du lernst es jetzt als später“, gab Mr. Thornwood kalt zurück. „Deine Familie ist verrückt und das war schon immer so. Die ganze Familie ist kaputt und du bist ebenso kaputt geboren. Deine Augen sind der Beweis dafür, dass du eines Tages genauso verrückt werden wirst wie deine Eltern, Großeltern und Urgroßeltern. Die Prügelei auf dem Pausenhof ist der Beweis dafür, dass du nicht anders bist wie deine Familie. Und ich werde keinerlei Nachsicht walten lassen nur weil deine Familie denkt, sie könne noch mehr geisteskranke Sprösslinge in die Welt setzen und sich hier in dieser Stadt ausbreiten wie ein Krebsgeschwür. Ich werde dir schon deine Zukunft zerstören und dir das Leben schwer machen, das kannst du mir glauben. Die anderen mögen zwar Angst vor euch haben, aber ich tue es nicht. Und ich werde nicht zulassen, dass ihr mir das Ansehen meiner Schule zerstört! Und nun raus aus meinem Büro! Ich will dich heute nicht mehr in der Schule sehen. Und solltest du es wagen, wieder Probleme zu machen, dann gnade dir Gott.“
 

Wortlos verließ Katherine das Büro des Rektors und kaum, dass sie wieder draußen auf dem Flur war, kamen ihr wieder die Tränen. Sie begann wieder zu weinen, doch dieses Mal konnte sie sich nicht mehr so leicht beruhigen. Warum nur sagte man nur so gemeine Sachen über sie und ihre Familie? Sie hatte doch niemandem etwas getan und die Prügelei auf dem Schulhof war auch nicht wirklich von ihr gewollt. War es denn so falsch, sich gegen solche Hänseleien zur Wehr zu setzen? War sie wirklich so ein hoffnungsloser Fall wie man ihr sagen wollte? Aber warum nur sagte selbst der Rektor so etwas über ihre Familie? Wieso hassten denn alle die Cohans? Lag es etwa wirklich an den Augen? Katherine war vollkommen ratlos und wusste nicht was sie tun sollte. Sie wollte nicht, dass die anderen Kinder Angst vor ihr hatten oder dachten, irgendetwas würde nicht mit ihr stimmen. Doch was sollte sie tun? Leider wusste sie nicht wirklich, wie man nett zu anderen war. Von zuhause hatte sie das nie gelernt und sie wusste auch nicht, wie sie sich eigentlich verhalten sollte. Warum nur sagte man ihr, sie und ihre Familie wären verrückt, wenn sich wirklich niemand die Mühe machte, ihr zu sagen, wie sie sich eigentlich verhalten sollte?

Niedergeschlagen holte Katherine ihre Schultasche und machte sich auf den Rückweg zur Blackavar Farm. Sie hatte das Gefühl, als würde sie wirklich nirgendwo dazugehören und als wäre irgendetwas mit ihr nicht in Ordnung. Immer noch klangen die Worte des Rektors in ihrem Kopf nach und sie begann sich zu fragen, was ihre Familie denn so schlimmes getan hatte, dass jeder sie hasste. Und stimmte das wirklich? Würde sie später genauso werden wie ihr Vater und andere Menschen schlagen wenn sie wütend war? Aber was hätte sie denn tun sollen, um sich gegen Derian und Lyndon zur Wehr zu setzen? Hätte sie sich alles gefallen lassen müssen? Was wäre denn richtig gewesen?
 

Nach knapp einer Stunde Fußmarsch hatte sie endlich die Blackavar Farm erreicht und sah ihre kleine Schwester Tabitha auf der Veranda sitzen und mit ihrem großen Bruder Nigel streiten. Dieser versuchte, ihr die kleine Stoffpuppe wegzunehmen, mit der sie spielte. Nigel war trotz der Tatsache, dass er jünger war als Katherine, genauso groß wie sie und hatte die gleichen goldgelben wie sein Vater und seine beiden Schwestern. Sein dunkelbraunes Haar war kurz geschnitten und er trug ein kurzärmeliges Hemd, welches er sich in seine Hose gestopft hatte. Obwohl er erst sechs Jahre alt war, hatte er bereits den gleichen finsteren Gesichtsausdruck wie sein Vater und war mindestens genauso streitlustig wie er. Wann immer seine Schwestern es wagten, sich ihm zu widersetzen, schlug er sie und er hatte eine besonders große Freude daran, seine jüngste Schwester Tabitha zu quälen. Als Katherine sah, wie ihre kleine Schwester weinte und verzweifelt versuchte, ihre geliebte Puppe festzuhalten, fasste sie sich ein Herz und ging dazwischen. „Lass sie in Ruhe, Nigel!“ rief sie und ging auf ihren Bruder los und schaffte es mit etwas Mühe, ihn dazu zu bringen, Tabithas Puppe loszulassen, woraufhin er sich umdrehte und seiner großen Schwester einen Tritt vors Schienbein gab. „Fick dich und stirb!“ gab er zurück und bevor Katherine reagieren konnte, wurde sie nach hinten gestoßen und wäre beinahe die Verandatreppen hinuntergefallen, doch sie konnte sich noch am Geländer festhalten.

„Warum musst du immer so gemein zu Tabby sein?“ wollte die Siebenjährige wissen und rappelte sich wieder auf. „Lass sie endlich in Ruhe.“

„Dad sagt, dass ihr ein Haufen Scheiße seid“, gab Nigel zurück und begann Tabitha nun an den Haaren zu ziehen, woraufhin die Dreijährige anfing zu schreien. „Und er hat gesagt, ich soll das machen.“
 

Dagegen kam Katherine nicht an. Also ging sie rein ins Haus und suchte nach ihrer Mutter. Diese befand sich in der Küche und war dabei, das Geschirr zu waschen. Ihr Erscheinungsbild glich mehr dem einer Leiche und nicht selten hatte Katherine Angst vor ihr. Nicht wegen ihres Charakters sondern allein wegen ihres Aussehens. Helen Cohans Haar war trotz der Tatsache, dass sie gerade erst 32 Jahre alt war, am Ergrauen und ihre Haut war blass und eingefallen. Sie war sehr mager und die Haut spannte sich über ihre Knochen und ließ ihren Körper knochig und unförmig erscheinen. Ihre Arme und Beine waren so dürr, dass sie mehr einer Spinne glich und ihre trüben und leblosen Augen waren von dunklen Schatten umrandet, was ihr Gesicht beinahe wie einen Totenschädel aussehen ließ. Es steckte wirklich kein Leben mehr in dieser Frau. Sie war innerlich so tot, dass ihr Körper nur noch dahinvegetierte und sie die Welt wie eine lebende Leiche durchwanderte und vollkommen unempfänglich für alles geworden war. Sie reagierte weder auf Liebe noch Schmerz, Bedrohung oder Zuwendung. Trotzdem musste Katherine mit ihr sprechen. „Mum, Nigel ärgert Tabby wieder und er lässt sie nicht in Ruhe.“

„Nicht jetzt“, sagte Helen tonlos. „Rede mit deinem Vater.“

„Aber Nigel sagte, Dad hat es ihm erlaubt!“

„Dann lass ihn“, gab ihre Mutter zurück, ohne sie auch nur ein einziges Mal anzusehen. „Wenn dein Vater es entschieden hat, dann lass deinen Bruder machen.“

Katherine überkam eine Mischung aus Frust und Enttäuschung. Wieso konnte sie denn nicht ein einziges Mal irgendetwas tun um ihr zu helfen? Egal was auch war, ständig sagte ihre Mutter nur, sie solle zu ihrem Vater gehen. War es denn nicht Aufgabe der Eltern, dazwischen zu gehen, wenn sich ihre Kinder stritten? So einfach wollte Katherine jedenfalls nicht aufgeben und so beharrte sie „Aber Mum! Nigel…“
 

In dem Moment wandte sich Helen zu ihr um und ergriff ihren Arm. Katherine zuckte erschrocken zusammen, als die eiskalte und knochige Hand ihrer Mutter sich wie ein Schraubstock um ihren Arm legte. Und es überkam sie Ekel vor dieser Berührung. Ja, sie ekelte sich regelrecht davor, von ihrer Mutter angefasst zu werden weil es sich anfühlte, als würde eine tote kalte Hand sie berühren. „Dein Vater entscheidet hier!“ erklärte Helen und ihr Blick wurde finster. „Und eine gute Tochter hört auf das, was ihr gesagt wird. Also fang nicht an, mit mir zu diskutieren. Hast du verstanden?“

„Ja, habe ich“, antwortete Katherine schnell und spürte, wie ein eiskalter Schauer sie überkam. Sie hätte jede Antwort gegeben, wenn ihre Mutter sie dafür endlich losgelassen hätte. Es fühlte sich so unheimlich und beklemmend an und sie bekam Angst. „Bitte lass mich los!“

Nun lockerte sich der schraubstockartige Griff ihrer Mutter wieder und Katherine riss sich sofort los. Sie war zwar kein Feigling oder Angsthase, aber wenn sie sich vor etwas wirklich fürchtete, dann waren es ihre eigenen Eltern. Schnell verließ sie die Küche wieder und wollte eigentlich so schnell wie möglich in ihr Zimmer gehen und sich dort am besten einschließen, doch dazu sollte es leider nicht mehr kommen. Denn gerade als sie wieder hinaus auf den Flur getreten war und die Treppe hinauf in ihr Zimmer gehen wollte, kam ihr auch schon ihr Vater entgegen. Gilbert Cohan war ein Hüne von einem Mann mit Armen so dick wie Baumstämmen. Sein dunkelbraunes Haar, welches langsam licht zu werden begann, war unfrisiert und ungewaschen und sein Bart verlieh ihm etwas Wildes, fast schon animalisches. Trotz seiner leichten Beleibtheit war er dennoch eine äußerst respektvolle Erscheinung und seine Hände waren so groß wie Schaufeln. Sein Hemd war fleckig und war ihm ohnehin etwas zu eng. Seine Hose war mit Schmutz überzogen und es sah aus, als hätte er bis vorhin noch auf dem Feld oder in den Ställen gearbeitet. Seine goldgelben Augen fixierten Katherine, deren Herz augenblicklich einen Schlag lang aussetzte. Für sie wirkte er wie ein unüberwindbarer wandelnder Berg, der sie jederzeit wie eine Fliege zerquetschen konnte, wenn ihm danach war. Vor Angst erstarrt blieb sie stehen. Mit donnernder Stimme fragte er sie schließlich „Was treibst du dich hier rum? Solltest du nicht in der Schule sein?“

„Ich…“, begann Katherine zitternd, schaffte es aber nicht gleich, den Rest hervorzubringen. Sofort traf sie eine schallende Ohrfeige, die sie von den Füßen riss. Sie stolperte nach hinten und fiel zu Boden. Für einen Moment sah sie schwarz und hatte das Gefühl, als würde ihr der Kopf vom Körper gerissen werden. „Rede gefälligst vernünftig, wenn man mit dir spricht! Wozu warst du denn im Kurs für dumme Kinder, wenn du nicht einmal eine einzige Frage beantworten kannst, du verdammtes Drecksbalg?!“
 

Doch Katherine hatte Angst davor, ihm zu antworten. Denn sie wusste ganz genau, was ihr blühen würde, wenn sie ihm die Wahrheit gestand. Aber lügen würde auch nichts bringen. Und wenn sie es wagte, ihn anzulügen, würde ihr noch viel Schlimmeres blühen. Wahrscheinlich würde er sie endgültig totprügeln. Da war es doch besser, ihm gleich die Wahrheit zu sagen und die Strafe hinzunehmen. Schlimmer konnte es eh nicht mehr werden. Also nahm sie ihren Mut zusammen und gestand ihm „Ich bin nach Hause geschickt worden weil ich mich mit zwei Jungs geprügelt habe.“

„DU HAST WAS?!“ brüllte Gilbert und sein Gesicht lief hochrot an. Die Adern traten an den Schläfen hervor und es sah aus, als würde er gleich explodieren. „Du prügelst dich? Was fällt dir ein, dich zu prügeln? Ich dulde hier keine Frauen in meinem Haus, die meinen, sie können aufmucken, nur weil man ihnen eine scheuert. Ich werde dir noch beibringen, was es heißt, gegen meine Regeln zu verstoßen. Ich schlage dich grün und blau, bis du Blut spuckst, du verdammtes Blag!!!“

„Es tut mir leid, Daddy. Es tut mir leid, ich werde es nie wieder tun!“ flehte Katherine in Panik, doch da wurde sie an den Haaren gepackt und hochgezerrt. Vor Schmerz und Angst schreiend wurde sie schließlich die Treppen hinunter in den Keller gebracht und zu Boden gestoßen. Im Keller war es stockfinster, doch dann schaltete Gilbert die Lampe an und erhellte den Raum ein wenig. Es lag überall Gerümpel herum und darunter auch unheimliche Werkzeuge wie Zangen, Messer und allerhand andere Dinge, die Katherine nur vom Sehen her kannte, ihnen aber noch keinen Namen geben konnte. Ängstlich zitternd kauerte sie auf dem Boden, während ihr Vater aus einer Ecke einen langen dunklen Rohrstock hervorholte und damit zurückkam. „Ausziehen.“

Das kleine Mädchen zitterte am ganzen Körper und schaffte es erst nicht, dem Befehl ihres Vaters zu folgen. Aber dann zwang sie sich dazu und legte ihre Kleidungsstücke ab, bis sie vollkommen nackt vor ihm stand. „Runter auf alle viere!“

Stumm folgte Katherine der Anweisung und ging runter auf alle viere, während sie mit Furcht den ersten Schlag erwartete. Sie wusste, dass das hier schlimmer war als das, was man in der Schule zu spüren bekam. Viel schlimmer! Aber es würde wenigstens vorbeigehen. Es ging immer vorbei. Spätestens dann, wenn ihr Vater seinen Frust abgebaut und das Interesse daran verlor, sie zu bestrafen. Der erste Schlag traf sie direkt auf ihrem Gesäß und ein stechender Schmerz jagte durch ihren Körper, gefolgt von einem weiteren Schlag, der sie dieses Mal auf dem Rücken traf. Katherine schrie auf und hatte das Gefühl, der Stock würde ihr die Haut aufreißen und sich tief durch ihr Fleisch bis in den Knochen graben. Es tat entsetzlich weh und sie schaffte es kaum, Luft zu holen, denn es folgte Schlag auf Schlag, jeder schmerzhafter als der letzte. Nach nur wenigen Schlägen war ihr, als würde ihr Körper jeden Augenblick unter diesen entsetzlichen Schlägen zerbrechen oder sie würde sterben. Ihre Haut glühte wie Feuer und sie konnte kaum Luft holen, weil der Schmerz ihr die Brust zuschnürte. Tränen rannen ihre Wangen hinunter und sie fühlte, wie etwas Warmes und Flüssiges ihre nackte Haut hinunterfloss.

Ein heftiger Schlag auf die Stelle, die ihr am meisten wehtat, ließ sie alle Kontrolle verlieren und ihre Blase entleerte sich. „Wer hat dir erlaubt, mir den Boden vollzupissen? Bist du ein verdammtes Baby? Soll ich dir wieder Windeln anziehen?“

Katherine wollte sich entschuldigen, doch es kam nicht dazu, denn weitere Schläge erfolgten und so erstarben ihre Worte in einem schmerzerfüllten Geschrei. Es war eine scheinbar nie endende Hölle aus Schmerzen, Angst und Erniedrigung und es brauchte fast eine halbe Stunde, bis sie endlich von einer rettenden Ohnmacht erlöst wurde und bewusstlos unter den Schlägen ihres Vaters zusammenbrach.

Todeswunsch

Stundenlang hatte Katherine bewusstlos im Keller gelegen, bis sie endlich wieder zu sich gekommen war. Mit Mühe gelang es ihr, sich die Treppen raufzuschleppen, brach jedoch kurz darauf auch schon im Flur wieder zusammen. Ihre Schwester Tabitha entdeckte sie und anscheinend hatte Katherine einen fürchterlichen Anblick geboten, denn sie hatte sofort geschrien und damit ihre Mutter herbeigerufen, die ihre jüngste Tochter zum Schweigen bringen wollte, damit Gilbert nicht verärgert wurde. Aus Gründen, die Katherine bis heute nicht verstand, hatte ihre Mutter sie dieses Mal nicht ignoriert und einfach liegen lassen, sondern ins Badezimmer gebracht und sie gewaschen und dann im Anschluss ihre Verletzungen mit Alkohol desinfiziert. Vielleicht war es ein kurzer Akt der Gnade gewesen, vielleicht wollte sich Helen aber auch einfach nur die Arbeit ersparen, sich später um ein schwer krankes Kind zu kümmern, wenn sich die Wunden entzündeten. Katherines Rücken war von blutigen Striemen gezeichnet und obwohl sie längst nicht mehr bluteten, war die Haut um sie herum bereits rot verfärbt, was auf eine beginnende Entzündung hindeutete. Katherine, die noch viel zu betäubt war, nahm den Schmerz nur durch Watte gefiltert wahr und bekam ohnehin kaum etwas mit. „Du sollst doch deinen Vater nicht verärgern“, kam es von Helen, während sie Alkohol auf ein Tuch träufelte und damit die Verletzungen behandelte. „Du musst immer das tun, was dein Vater dir sagt und dich wie ein gutes Mädchen verhalten. Dann würde er dich auch weniger schlagen.“

Katherine spürte, wie ihre Lider schwer wurden und sie dabei war, wieder ohnmächtig zu werden. Sie kämpfte jedoch dagegen an und schaffte es, wach zu bleiben. Dennoch konnte sie kaum die Worte ihrer Mutter verarbeiten und erinnerte sich kaum daran, wie sie eigentlich aus dem Keller gekommen war und warum sie auf einmal in ihrem Bett lag. Irgendetwas funktionierte in ihrem Kopf nicht richtig. Vielleicht war es auch nur der nachwirkende Schock, der ihren Geist vernebelte. „Ich wollte sie nicht schlagen“, sagte sie mit heiserer Stimme und versuchte sich zurückzuerinnern, was noch mal alles passiert war, dass sie sich nun in diesem Zustand befand. „Sie haben sich über uns lustig gemacht.“

„Klassenkameraden?“

Katherine nickte und erklärte „Lyndon und Derian Kinsley sagen, wir sind verrückt und ich auch, weil ich diese Augen habe. Da habe ich sie geschlagen.“

„Ein Mädchen schlägt sich nicht“, erklärte Helen ohne eine sonderliche Reaktion auf die Erzählung ihrer Tochter zu zeigen. „Das hast du dir selbst zuzuschreiben, Katherine. Du weißt, dass dein Vater das nicht will. Und wenn du dich schlägst, wirst du wieder bestraft werden.“

Aber das ist nicht fair, dachte sich Katherine und spürte, wie sich ihre Brust wieder zusammenschnürte. Die Tränen kamen ihr und sie fühlte sich einsam und hilflos. Wieso passierte ihr all das hier bloß? Sie hatte doch nur versucht, ihre Familie vor diesen beiden Jungs zu verteidigen. Sie hatte doch nicht gewollt, dass es so enden würde. War es denn etwa falsch, die Familie zu verteidigen, wenn man sich über sie lustig machte? Was war denn richtig und was falsch? Was hätte sie tun sollen? Warum nur wurde sie dafür bestraft, dass sie tun wollte was sie als richtig erachtete? Diese Fragen kreisten in ihrem kleinen Köpfchen und sie fand keine Antwort. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, wenn sie wieder mit solchen Dingen konfrontiert wurde. Sollte sie sich verhalten wie ihre Mutter und alles über sich ergehen lassen, nur um dann später genauso zu enden wie sie?

Ihre Hände verkrallten sich ins Kissen und sie begann leise zu schluchzen. „Warum hasst Dad mich eigentlich?“

„Weil du geboren wurdest“, antwortete ihre Mutter tonlos. „Er wollte dich nie haben, genauso wenig wie ich.“

„Und warum bin ich dann geboren, wenn mich niemand will?“

„Du warst ein Unfall“, erklärte Helen und legte nun den mit Alkohol getränkten Lappen beiseite und verschloss das kleine Fläschchen wieder. „Und damit wirst du nun leben müssen. Keiner hat dich jemals gewollt und niemand wird jemals um dich weinen, wenn du eines Tages sterben wirst. Das war schon von Anfang an dein Schicksal.“
 

Die Siebenjährige spürte einen stechenden Schmerz in ihrer Brust und ihr Schluchzen wurde stärker. Sie fühlte sich schrecklich einsam und wollte einfach nur von irgendjemandem in den Arm genommen und getröstet werden. Aber wer sollte sie denn schon trösten? Im Grunde hatte sie keinen einzigen Freund und selbst ihre eigene Familie hasste sie. Warum also war sie überhaupt auf der Welt, wenn es keinen Menschen gab, der sie vermissen würde, wenn sie eines Tages tot sein würde? Was hatte sie denn jemals falsch gemacht, dass man sie so sehr hasste? Gab es denn nichts, um von irgendjemandem geliebt zu werden? „Lyndon und Derian sagen, dass ich verrückt bin weil ich diese Augen habe und dass auch unsere Familie verrückt ist. Warum sagen sie das?“

„Weil das der Wahrheit entspricht. Jeder in dieser Familie wird mit gelben Augen geboren und wird verrückt. Dein Vater ist verrückt, dein Bruder ist es und deine Schwester wird es auch werden. Die Cohans sind verdammt und bringen nur Leid. Sie quälen und töten Menschen, sie empfinden keine Liebe und kein Erbarmen. Sie hassen nur und werden schlimme Dinge tun. Dein Vater tut schlimme Dinge, dein Bruder auch und das Gleiche gilt auch für dich. Irgendwann wirst du auch damit beginnen, Menschen zu verletzen oder zu töten. Das kannst du nicht ändern. Du bist kaputt geboren worden und wirst genauso kaputt sterben.“

„Was bedeutet kaputt geboren und kaputt sterben? Wenn ich kaputt bin, kann mich dann jemand wieder heil machen?“

Hieraufhin wanderte Helens Blick zu ihrer Tochter und sie erklärte nur tonlos „Das bedeutet, dass du ein hoffnungsloser Fall bist und niemand dir helfen kann und wird. Dich kann niemand reparieren, weil du durch und durch schlecht bist so wie dein Vater. Du bist ein Fleck, den man nicht auswaschen kann. Also kann man dich nur wegwerfen.“

Damit erhob sich die abgemagerte Frau und verließ das Kinderzimmer. Damit war Katherine ganz alleine. Sie weinte noch eine ganze Weile und wünschte sich sehnlichst, dass irgendjemand kommen und sie tröstend in den Arm nehmen würde. Es musste doch irgendwo einen Menschen auf der Welt geben, der sie lieb hatte und traurig sein würde, wenn sie starb. Sie weigerte sich zu glauben, dass ihre Mutter Recht hatte und sie niemals von irgendjemandem geliebt werden würde. Jeder Mensch hatte doch irgendjemanden, der ihn gern hatte. Zumindest dachte sie so und glaubte auch daran. Also musste es auch jemanden geben, der sie lieben würde. Sie hatte nie etwas Falsches getan und sie hatte Derian und Lyndon auch nicht geschlagen, weil sie ihnen wehtun wollte. Sie hatte einen guten Grund gehabt und sie wollte es auch nie wieder tun. Das hatte sie versprochen. Und vielleicht würde sie ja jemand lieben, wenn sie sich anders verhielt als ihr Vater.

Ja richtig… ihren Vater hasste jeder und das lag daran, weil er Menschen wehtat und gemein zu jedem war. Wenn sie also nett zu Menschen war und niemanden mehr schlug, dann würden die anderen sie vielleicht gern haben. Und dann hätte auch ihre Mutter Unrecht, weil sie dann doch jemand lieb hatte und sie nicht so war wie ihr Vater.

Katherine ging diesem Gedanken immer weiter nach und dann setzte sich endgültig ein Entschluss in ihr fest. Sie würde niemals wieder Gewalt anwenden und anderen Menschen wehtun. Egal was ihr auch passieren würde, sie würde niemals so werden wie ihr Vater. Wenn sie nett zu anderen Menschen war, dann würden sie sie gerne haben und dann hatte ihre Mutter Unrecht mit ihrer Behauptung. Wenn sie groß war, dann würde sie auch einen Mann finden, der sie liebte und dann würde sie ihre eigene Familie haben. Und sie würde dann nicht so werden wie ihre Eltern. Nein, sie würde ihre Kinder mit Liebe überschütten und sie beschützen. Sie würde ihnen jeden Tag sagen, dass sie sie lieb hatte, sie in den Arm nehmen und ihnen Geschichten vorlesen. All das, was ihre Eltern nicht taten, würde sie für ihre Kinder tun, wenn sie groß war. Ganz egal was auch passierte und wie oft ihr Vater sie schlagen mochte, sie würde niemals so werden wie er. Und dann würde irgendjemand kommen, der sie lieben würde und der auch glücklich darüber war, dass sie da war.

Aber was war, wenn es nie dazu kommen sollte? Bevor Katherine diesem Gedanken weiter nachgehen konnte, fiel sie in einen tiefen und traumlosen Schlaf der Erschöpfung.
 

Als sie am späten Nachmittag wieder aufwachte, lag sie immer noch im Bett und ihr ganzer Körper schmerzte immer noch entsetzlich. Sie konnte sich kaum bewegen, ohne dass ihr irgendetwas wehtat, aber ihr war kalt und sie hatte Hunger. Mit zusammengebissenen Zähnen gelang es ihr, aufzustehen und sich zumindest ein Nachthemd anzuziehen. Es kostete sie viel Mühe, sich die Treppen hinunter in die Küche zu schleppen. Sie hörte laute Geräusche aus dem Schlafzimmer ihrer Eltern und obwohl sie sich noch nicht wirklich vorstellen konnte, was sich dort drin abspielte, hatte sie zumindest eine gewisse Ahnung, dass ihre Mutter gerade etwas sehr Schlimmes durchmachen musste. Ansonsten sähe sie nicht wie eine wandelnde Leiche aus. Da sie lieber nicht stören wollte, beschloss sie, sich ein belegtes Brot zu machen. Sie nahm das Brot aus dem Kasten, stellte aber fest, dass es von kleinen weißgrünen Flecken übersät war und merkwürdig roch. Es war definitiv nicht mehr frisch und mit der Wurst verhielt es sich nicht anders. Auch dort waren kleine pelzige Flecken zu sehen und obwohl sie nicht wusste, was sie waren, so wusste sie allein vom Anblick, dass sie nichts Gutes bedeuten konnten. Doch ihr Hunger wurde langsam unerträglich und ihr wurde allmählich schlecht.

Schließlich holte sie das Messer aus der Schublade, welches ihre Mutter immer zum Brotschneiden benutzte und versuchte sich eine Scheibe abzuschneiden. Leider ließ sich das Messer nicht ganz so gut benutzen wie erhofft und sie schaffte es nicht, eine anständige Brotscheibe zu schneiden wie ihre Mutter es konnte. Stattdessen war es ein unförmiger kleiner Klotz Brot und auch die Wurst konnte sie nicht ordentlich schneiden. Aber das war ihr egal. Hauptsache, sie konnte irgendwie ihren leeren Magen füllen. Schließlich schnitt sie die Stellen mit den hässlichen Flecken heraus und belegte dann ihr Brot. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, Butter draufzustreichen. Also schlang sie ihre Mahlzeit in wenigen Bissen herunter und störte sich nicht einmal an dem merkwürdigen Geschmack, den die Wurst eigentlich nicht haben sollte. Doch sie störte sich auch daran nicht sonderlich. Sie war einfach nur froh, ihren Hunger irgendwie stillen zu können. Die Tür ging auf und erschrocken zuckte Katherine zusammen, denn sie befürchtete zuerst, es wäre ihr Vater. Doch es war nur Tabitha. Sie wirkte eingeschüchtert und hatte ihre Puppe fest an sich geklammert wie einen kostbaren Schatz. „Hey Tabby, ist alles okay? Hat Nigel dich endlich in Ruhe gelassen?“

Die Dreijährige nickte, sagte aber nichts. Sie hatte bisher noch kaum ein Wort gesagt und es sah auch nicht danach aus, als würde sie bald zu sprechen anfangen. Es war genauso wie mit Katherine, dass sie einfach zu viel Angst hatte, irgendetwas zu sagen, sodass sie gar nicht erst das Sprechen lernte. Als große Schwester fühlte sich Katherine für sie verantwortlich und wünschte auch, dass sie irgendetwas tun konnte, um ihr zu helfen. Aber unglücklicherweise konnte sie auch nicht viel tun, außer sie vor Nigel zu verteidigen. Und selbst dann bezog sie selber noch Prügel. Als sie sah wie Tabitha sie erwartungsvoll ansah, fragte sie schließlich „Hast du Hunger?“

Tabitha nickte zögerlich und so nahm Katherine noch mal das Messer und begann ihrer Schwester ebenfalls etwas zu Essen zu machen. Dieses Mal konnte sie das Brot ein wenig besser schneiden, aber sie bekam es immer noch nicht so ordentlich hin wie ihre Mutter. Nachdem sie fertig war, gab sie Tabitha das Wurstbrot und wollte sich zuerst auf den Stuhl setzen und weiteressen, doch da durchfuhr ein infernalischer Schmerz ihr Gesäß und sofort stand sie wieder auf. Sie presste die Lippen zusammen, um nicht laut aufzuschreien da sie nicht wollte, dass sich ihre kleine Schwester noch erschreckte. Doch Tabitha schien trotzdem zu merken, dass etwas mit ihr nicht stimmte und ihre goldgelben Augen sahen sie traurig an. Katherine versuchte zu lächeln und streichelte ihrer kleinen Schwester den Kopf. „Alles in Ordnung, Tabby. Mach dir keine Sorgen.“

Doch Tabitha schwieg nur und sagte nichts. Stattdessen begann sie ihr Brot zu essen. Nachdem Katherine mit ihrer Mahlzeit fertig war, wartete sie noch auf Tabitha und stellte dann das Geschirr in die Spüle. Danach schleppte sie sich wieder hinauf in ihr Zimmer um sich wieder ins Bett zu legen. Ihr ganzer Körper schmerzte höllisch und es fühlte sich an, als würde ihre Haut brennen, während jeder einzelne Knochen wie Glas zu zerbrechen drohte. Alles in ihr bestand nur aus Schmerzen und sie wollte einfach nur, dass es endlich aufhörte.
 

Als sie wieder in ihrem Zimmer war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, überkamen sie wieder diese Fragen. War es das, was einen Verrückten ausmachte? Dass er andere schlug? Und bedeutete es, dass sie jetzt auch verrückt war, weil sie die beiden Jungen verprügelt hatte? Viel mehr aber quälte sie die Frage, ob sie es wirklich schaffen würde, irgendwann einen liebevollen Mann zu finden, wenn sie erwachsen war. Zwar hatte sie sich vorgenommen gehabt, nie wieder Gewalt anzuwenden um somit niemals wie ihr Vater zu werden. Aber wer sagte, dass sie dann auch geliebt werden würde? Es konnte doch genauso gut sein, dass sie den Rest ihres Lebens ganz alleine bleiben und sich niemand dafür interessieren würde, ob sie nun lebte oder nicht. Immerhin interessierte es ja nicht mal ihre eigene Familie. Ganz im Gegenteil, sie würden froh sein, wenn sie fort war. Ihre Mutter hatte ja selbst gesagt gehabt, dass niemand gewollt hatte, dass sie geboren wurde. Und sie wurde nun mit Prügel dafür bestraft, dass sie auf der Welt war. Also würde es ihre Familie vielleicht wieder glücklich machen, wenn sie ganz einfach nicht mehr da sein würde. Mit diesem Gedanken ging Katherine zum Fenster hin und öffnete es. Mit Mühe kletterte sie mit ihren aufgeschürften Beinen auf den Fenstersims und schaute nach unten. Es war relativ hoch und unten befand sich der Weg zur Scheune.

Ob das vielleicht klappen könnte? Irgendwo hatte sie mal aufgeschnappt gehabt, dass man sterben konnte, wenn man aus dem Fenster sprang. Und vielleicht reichte das ja auch für sie aus. Wenn sie sich jetzt aus dem Fenster stürzte und dann starb, würden ihre Eltern vielleicht wieder glücklich werden. Es wollte sie doch eh niemand hier haben. Keiner liebte sie und alle wollten doch sowieso, dass sie niemals geboren worden war. Also würden alle wesentlich glücklicher sein, wenn sie einfach sprang. Wenn sie niemals jemanden finden würde, der sie lieben und in den Arm nehmen würde, machte es doch keinen Sinn mehr, all das hier noch weiter zu ertragen und sich tagtäglich schlagen zu lassen. Da konnte sie sich selbst und allen anderen so viel Ärger ersparen, indem sie einfach hier und jetzt aus dem Fenster sprang und starb. Ob es wohl sehr wehtun würde? Nun, schlimmer als die Schläge ihres Vaters konnte es ja wohl kaum sein. Also nahm Katherine all ihren Mut zusammen und bereitete sich darauf vor, einfach zu springen, da hörte sie plötzlich ihre Schwester. „Kathy…“

Die Siebenjährige hielt inne und drehte sich erschrocken um. Im Türrahmen stand ihre kleine Schwester Tabitha und sah sie verunsichert an. Sofort verwarf Katherine ihr Vorhaben fürs Erste und ging vom Fenster weg. Sie konnte doch nicht einfach rausspringen wenn Tabitha dabei zusah. Was wäre sie denn für eine große Schwester, wenn sie ihr auch noch Kummer machte. „Tabby, was machst du denn hier?“

Doch die Dreijährige ging einfach nur zu ihr hin und schlang ihre kleinen Ärmchen um ihre Taille. Ein infernalischer Schmerz jagte durch Katherines Körper, doch sie biss die Zähne zusammen und versuchte Tabitha zu beruhigen. Nun wurde ihr klar, dass sie nicht einfach so aus dem Fenster springen konnte. Was sollte dann aus ihrer Schwester werden? Wenn Tabitha ganz alleine war, dann würde nicht nur Nigel, sondern auch ihr Vater auf sie einprügeln und das würde sie nicht durchhalten. Sie hatte doch sonst niemanden, der für sie da war und sie beschützte. Was war denn nur in sie gefahren, dass sie nicht einmal an die arme kleine Tabitha dachte? „Hey Tabby, es ist doch alles okay. Ich bin ja da und ich gehe auch nicht weg. Ich bleibe bei dir.“
 

Immer noch hielt die kleine Tabitha sie fest umklammert und stechende Schmerzen jagten durch Katherines geschundenen Rücken. Doch sie ertrug die Schmerzen und begann damit, den Kopf ihrer kleinen Schwester zu streicheln. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Natürlich gab es jemanden, der traurig sein würde, wenn sie nicht mehr da war. Tabitha brauchte sie. Sie war immerhin die Einzige in der Familie, die sich um sie kümmerte und wenn sie nicht mehr da war, würde Tabitha zur Zielscheibe ihres Vaters werden. Sie musste da bleiben und auf ihre Schwester aufpassen. Ansonsten würde ihr das Gleiche blühen.

„Hör zu, Tabby. Das bleibt unser Geheimnis, okay? Wenn ich groß bin, dann gehen wir beide von hier weg wo Dad und Nigel uns nicht finden. Und dann werden wir beide glücklich werden, okay?“

Wortlos nickte die Dreijährige und daraufhin befreite sich Katherine aus dem klammerartigen Griff ihrer kleinen Schwester, da der Schmerz langsam unerträglich wurde. Vielleicht war das die bessere Entscheidung. Wenn sie alt genug war, würde sie mit ihrer kleinen Schwester weglaufen und sich weit weg von hier ein neues Zuhause suchen. Dann würde auch Tabitha nie wieder gequält werden.
 

Schließlich machte Katherine wieder das Fenster zu und brachte Tabitha in ihr Zimmer. Dabei musste sie wieder am Schlafzimmer vorbei, wo immer noch die lauten Schreie zu hören waren. Egal was da drin auch passierte, es war garantiert nichts Schönes. Nur Nigel war immer drin, weil sein Vater wollte, dass er dabei war. Zwar war Katherine ein Stück weit neugierig, was sich da drin abspielte, aber andererseits wusste sie nicht, ob sie das wirklich wissen wollte und hatte ihren Bruder deshalb nie gefragt. Nachdem sie die Tür von Tabithas Zimmer verschlossen hatte, wollte sie wieder zurück in ihr Zimmer und kam wieder am Schlafzimmer vorbei. Die Schreie ihrer Mutter lösten bei ihr Beklemmungen aus und sie wollte einfach nur, dass das Geschrei schnellstmöglich aufhörte. Doch dann öffnete sich plötzlich die Schlafzimmertür und Katherine überkam Panik, dass es ihr Vater sein könnte. Schnell flüchtete sie in das nächstgelegene Zimmer, welches sich als das Nähzimmer ihrer Mutter herausstellte. Sie ließ die Tür nur einen Spalt breit auf und hörte Schritte. Doch zum Glück war es nur Nigel, der in Richtung Badezimmer ging.

Katherine wartete noch ein wenig, bis sie dann das Nähzimmer verließ und wieder auf den Flur trat. Sie hielt jedoch inne als sie sah, dass die Schlafzimmertür offen stand. Sollte sie es wirklich wagen, einen Blick zu riskieren? Zwar wusste sie, dass es nicht richtig war, aber andererseits musste sie am Schlafzimmer vorbei, wenn sie zurück wollte. Und da konnte sie zumindest kurz reinschauen um sicherzugehen, dass ihr Vater nicht auf den Flur schaute. Also fasste sich Katherine ein Herz und ging vorsichtig weiter. Was sie aber im Schlafzimmer sah, verwirrte und verstörte sie zugleich. Sie sah ihre Mutter nackt im Bett liegen, ihre Hände mit einem Gürtel ans Kopfende des Bettes gefesselt. Ihr Gesicht war blutverschmiert von Schlägen und auf ihr lag ihr Vater, der die Hände um den Hals seiner Frau gelegt hatte. „Los, du sollst schreien, du Schlampe. Schrei oder ich schlage dir deine restlichen Zähne ein!“ brüllte er während ihre Mutter selbst nur noch ein ersticktes Röcheln von sich geben konnte.

Katherine konnte ihre Augen nicht vom Geschehen abwenden. Der Körper ihrer Mutter war mit blauen Flecken, Narben und frischen Wunden übersät und irgendetwas machte ihr Vater da, aber sie wusste nicht, was es war. Sie hatte so etwas noch nie gesehen, dass zwei Menschen nackt im Bett lagen und Geschlechtsverkehr hatten. Und sie fühlte sich sehr unwohl dabei, das zu sehen. Es fühlte sich nicht richtig an und der Anblick machte ihr Angst. Doch sie konnte sich nicht bewegen. Obwohl sie nicht hinsehen wollte, schaffte sie es nicht, wegzusehen. Verstört blieb sie vor dem Schlafzimmer stehen und starrte auf dieses bizarre Schauspiel, welches sie nicht verstehen konnte. Dann aber hielt ihr Vater inne, als er seinen Kopf zur Tür drehte. Hieraufhin ließ er ihre Mutter los, stand vom Bett auf und kam zu ihr. Katherine wollte weglaufen, doch sie konnte ihren Körper nicht dazu bringen und so blieb sie immer noch stehen, als ihr Vater nackt vor ihr stand und sie am Schopf packte. Ein widerwärtiges Grinsen zog sich über sein Gesicht und er entblößte dabei seine gelblich verfärbten Zähnen. „Bist wohl neugierig, was? Willst du wissen, was dir mal später passiert, wenn du alt genug bist?“

„Nein, ich will nicht“, rief Katherine in Panik und versuchte sich loszureißen. „Es tut mir leid, ich werde es nie wieder tun. Ich tu es nie wieder! Bitte lass mich los, Dad!“

Doch alles Flehen brachte nichts. Ein Schlag ins Gesicht folgte und daraufhin versetzte Gilbert ihr einen Tritt und beförderte sie ins Schlafzimmer. „Sieh genau hin, Kathy. Das passiert mit dir, wenn du groß bist. Dann mache ich das Gleiche auch mit dir.“

Damit ging ihr Vater wieder zum Bett, ballte seine Hand zur Faust und schlug seiner Frau in den Unterleib. Ein schmerzerfülltes Keuchen folgte, woraufhin er die Beine seiner Frau anwinkelte und gewaltsam wieder in sie eindrang. Mit Entsetzen beobachtete Katherine das Geschehen und Tränen sammelten sich in ihren Augen. Selten hatte sie etwas derart verstört wie dieser Anblick, doch ihre Beine zitterten so heftig, dass sie nicht in der Lage war, wegzulaufen. Stattdessen waren ihre Augen aufs Bett fixiert und sie sah mit an, was mit ihrer Mutter geschah. Und innerlich wünschte sie sich, sie wäre vorhin aus dem Fenster gesprungen. Dann wäre ihr zumindest dieser Anblick erspart geblieben.

Molly

Zwei Jahre gingen ins Land und Katherines Leben blieb schwer. Obwohl sie an ihrem Entschluss festklammerte, niemals wieder jemandem wehzutun um nicht so zu werden wie ihr Vater, wurde ihr diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Zwar ignorierte sie die Hänseleien der Kinsley-Cousins und verhielt sich ruhig, doch es hatte nicht lange gedauert, bis die anderen Kinder ebenfalls damit begonnen hatten, sie als verrückt zu bezeichnen und sich über sie lustig zu machen. Zuerst hielten sie sich noch sehr zurück und gingen ihr aus dem Weg weil sie Angst hatten, ebenfalls von ihr verprügelt zu werden. Als sie dann aber merkten, dass Katherine gar nichts tat und die ganzen Schikanen wortlos über sich ergehen ließ, wurden sie mutiger und begannen sie ebenfalls zu ärgern. Zuerst waren es nur die typischen Hänseleien, die Katherine schon von den Kinsleys gewohnt war, aber es wurde leider schlimmer. Denn sie kam des Öfteren auch mit blauen Flecken im Gesicht oder an anderen sichtbaren Stellen zur Schule und so begannen sie sie auszulachen, dass sie sich verprügeln ließ. Und als sie erfuhren, dass sie von ihrem Vater regelmäßig geschlagen wurde, machten sie sich natürlich darüber lustig, dass ihr Vater sie schlug. Katherines Durchhaltevermögen wurde auf eine sehr harte Probe gestellt. Und ihre Lehrer waren nicht weniger nachsichtig mit ihr. Zwar bemühte sie sich, vernünftig am Unterricht teilzunehmen, aber wann immer sie sich zumindest verbal wehrte, wenn man sie an den Haaren zog oder ihr Insekten in den Schulranzen schüttete, war sie es, die zum Rektor geschickt wurde und dann mit Nachsitzen bestraft wurde. Da sie eine Cohan war, hatte sie schnell den Ruf als Unruhestifterin aus einer verdorbenen Familie weg. Wer sie nicht schikanierte, der hielt sich von ihr fern und hatte Angst vor ihr weil die Gerüchte umgingen, dass sie verrückt sei.

Es kostete sie eine große Willensstärke, nicht wieder in ihr altes Verhaltensmuster zurückzufallen. Und wenn sie dann zum Nachsitzen verdonnert wurde, blühte ihr zuhause die Strafe ihres Vaters. Oft verbrachte sie ihre freie Zeit damit, sich von den Verletzungen zu erholen, die sie sich von den Erniedrigungen und Übergriffen ihres Vaters zugezogen hatte. Und wenn sie nicht von Schmerzen gepeinigt im Bett lag, verbrachte sie Zeit mit ihrer kleinen Schwester Tabitha oder verkroch sich auf den Dachboden der Scheune, welcher zu ihrem geheimen Rückzugsort wurde. Meist kauerte sie einfach in der Ecke und weinte. Sie wagte es nicht, sich die Blöße zu geben, vor anderen zu weinen. Ihren Vater hätte es nur weiter provoziert, ihrer Mutter war es egal und in der Schule wäre sie dafür auch noch ausgelacht worden. Und sie wollte auch nicht, dass Tabitha unglücklich wurde. Also hatte sie es sich angewöhnt, niemals vor anderen Leute Schwäche zu zeigen. Also verkniff sie sich ihre Tränen, ganz egal was auch passierte. Und in Momenten, wo sie alleine war, ließ sie ihren Tränen freien Lauf und weinte so lange, bis ihre Tränen versiegt waren.
 

So gingen die Wochen und Monate ins Land bis Katherine schließlich zehn Jahre alt wurde. Sie wuchs sehr schnell und überragte die Größe ihrer Klassenkameraden bei weitem, was sie zusätzlich zu ihren gelben Augen umso furchteinflößender aussehen ließ. Ihr dunkelbraunes Haar ließ sie lang wachsen und trug es meistens offen oder als Zopf. Sie war trotz allem ein hübsches Mädchen, doch ihre ungewöhnlich breiten Schultern ließen darauf schließen, dass sie eines Tages zu einer kräftigen Frau heranwachsen würde. Aber sie fühlte sich nicht sonderlich wohl mit der Tatsache, dass sie als Mädchen Kleider tragen musste. Obwohl sie in Kleidern hübsch aussah und sie für gewöhnlich auch gerne welche trug, litt sie sehr oft unter den Schikanen ihres Bruders Nigel. Obwohl dieser erst neun Jahre alt war, war er ständig aggressiv, schlug sich bei jeder Gelegenheit und ließ sich auch nicht von den Drohgebärden des Rektors einschüchtern. Vor allem aber begann er damit, auch seine ältere Schwester immer häufiger zu belästigen. Er zog ihr Kleid oder ihren Rock hoch, um ihre Unterwäsche zu entblößen oder machte sich sogar einen Spaß daraus, ihr sogar diese herunterzuziehen um sie zu erniedrigen. Und er tat es so oft, bis Katherine damit begann, sich Hosen anzuziehen, doch das ließ ihr Vater nicht zu und auch als sie den Versuch wagte, in der Schule Hosen zu tragen, bekam sie ein paar strafende Schläge mit dem Rohrstock. Also trug sie gezwungenermaßen Röcke und Kleider und versuchte ihrem Bruder aus dem Weg zu gehen, was ihr aber nicht immer gelang. Und sie fühlte sich jedes Mal extrem unwohl dabei, wenn Nigel sie entblößte und versuchte, ihr die Unterhose herunterzuziehen. Sie wurde dabei immer wieder unfreiwillig an diese schreckliche Szene im Schlafzimmer erinnert, die sie mit angesehen und die sie nachhaltig verstört hatte.

Jedes Mal, wenn ihr Bruder ihr auf diese Weise nah kam, überkam sie die instinktive Furcht, dass ihr das Gleiche passieren würde wie ihrer Mutter. Doch sie wusste nicht, wie sie sich dagegen zur Wehr setzen konnte, ohne gleich zuzuschlagen wie ihr Vater das für gewöhnlich tat. Und sie wollte auch niemanden verletzen. Der einzige Trost in ihrem Leben war die Schülerin Molly Brightside, welche in die Parallelklasse ging und die Katherine auf dem Pausenhof kennen gelernt hatte. Da Katherine niemanden hatte, mit dem sie die Pause verbringen konnte, hatte sie immer alleine abseits am Zaun des Schulgartens gesessen und die anderen beim Spielen beobachtet. Irgendwann war Molly zufällig am Schulgarten vorbeigekommen, weil sie einem Eichhörnchen gefolgt war und hatte dann Katherine getroffen. Molly war ein sehr dünnes Mädchen mit kurz geschnittenen blonden Haaren, Sommersprossen und türkisfarbenen Augen. Obwohl sie ein Kleid trug, hatte ihr Gesicht etwas Jungenhaftes und hätte sie Hosen getragen, hätte man sie problemlos für einen Jungen halten können. Katherine wusste nicht warum, aber irgendwie faszinierte sie das an Molly. Und Molly selbst hatte eine gewisse Sympathie für Katherine entwickelt. Da sie nicht aus Annatown selbst, sondern aus dem Vorort Islesbury kam, verstand sie nicht wirklich die Hänseleien gegen Katherine und wusste auch nichts über den schlechten Ruf der Cohans. Also war sie einfach zu ihr gegangen und hatte sie gefragt, warum sie denn ganz alleine da saß. Katherine, die sehr misstrauisch war, hatte ihr nur geantwortet, dass die anderen nicht mit ihr spielen wollten und hatte eigentlich damit gerechnet, dass Molly wieder gehen würde. Doch überraschenderweise blieb Molly und seitdem trafen sie sich immer in den Pausen und saßen dann zusammen. Oft teilte Molly sogar ihr Pausenbrot mit ihr und zeigte nicht die geringsten Feindseligkeiten.

Es war Katherine ein Rätsel, wieso Molly sich ausgerechnet zu ihr gesetzt hatte aber sie akzeptierte es als eine nette Geste und nach ein paar Wochen hatte sie sich daran gewöhnt, dass sie nicht mehr alleine abseits saß. An einem besonders heißen Sommertag hatten sie sich in den Schatten eines Baumes gesetzt und beobachteten wie immer die anderen Kinder. Inzwischen war es die dritte Woche, dass sie und Molly zusammen die Pausen verbrachten. Und bisher hatten sie noch nicht viel miteinander geredet. An diesen besonders heißen Tag trug Molly ein kurzärmeliges hellblaues Sommerkleid, welches farblich perfekt zu ihren türkisfarbenen Augen passte. Katherine hingegen trug wie immer einen langen Rock mit Trägern und dazu ein langärmeliges weißes Oberteil. Zwar war es sehr warm, aber sie hatte leider nicht viele Kleidungsstücke und so sah man wenigstens nicht die vielen blauen Flecke und Abschürfungen an ihren Armen.
 

„Möchtest du Kirschen?“ fragte Molly und öffnete ihre Tasche, die sie mit in die Pause genommen hatte. Sie holte eine kleine braune Papiertüte mit frischen Kirschen heraus und reichte sie Katherine. „Meine Mum hat mir welche eingepackt aber ich kann sie nicht alleine aufessen.“

„Danke“, murmelte Katherine und nahm sich gleich eine Hand voll. Gleich als sie die erste aß, musste sie feststellen, dass sie wirklich lecker war. Auf jeden Fall waren sie wesentlich saftiger und süßer als jene, die ihre Mutter manchmal einkaufte. Nachdem sie den Kirschkern ausgespuckt hatte, wandte sie sich an ihre Sitznachbarin und fragte „Warum kommst du eigentlich immer hierher und spielst nicht mit den anderen? Du hast doch sicher mehr Spaß, wenn du mit den anderen spielst.“

„Ja aber dann bist du doch alleine“, wandte Molly ein und nahm sich nun selber eine Kirsche. „Und ich finde es gemein, dass sie dich nicht mitspielen lassen. Da möchte ich auch nicht mit denen spielen. Außerdem fragen die mich immer, ob ich ein Junge oder ein Mädchen bin. Und das nervt.“

Verstehen konnte Katherine diese Frage schon. Immerhin sah Molly nicht so aus wie die anderen Mädchen. Irgendetwas war da an ihr, das sie mehr wie einen Jungen aussehen ließ und sie selbst konnte das nicht genau zuordnen. Vor allem interessierte es sie, ob Molly wohl die Einzige war, die so komisch aussah. „Was ist denn mit deiner Familie? Sehen die auch so aus?“

Zu ihrer Überraschung nickte sie und erklärte „Meine Mum zieht manchmal Hosen an und hat auch sehr kurzes Haar. Und manchmal denken die Leute, meine Mum ist mein Dad.“

„Klingt komisch“, gab Katherine zu und konnte sich das nicht wirklich vorstellen, wie das funktionieren sollte. Doch sie fragte nicht nach, weil sie Molly nicht mit ihrer Neugier nerven wollte. Vor allem nicht, da Molly sowieso gesagt hatte, dass sie solche Fragen nicht mochte. Also versuchte sie ein anderes Thema zu finden, doch sie erkannte schnell, dass sie große Schwierigkeiten hatte, solch ein normales Gespräch mit Molly zu führen. Nicht weil ihr der Wortschatz dafür fehlte, sondern weil sie es einfach nicht gewohnt war, normal mit anderen Menschen zu reden. Es gab ja leider nicht viele Gelegenheiten, sich mit anderen zu unterhalten. Schließlich aber glaubte sie, ein gutes Gesprächsthema gefunden zu haben. „Was machst du eigentlich sonst so?“

„Ich spiele ganz gerne“, antwortete Molly strahlend. „Und ich mag Märchengeschichten. Meine Mum liest mir abends immer welche vor.“

„Sie liest dir Geschichten vor?“ fragte Katherine halb erstaunt und halb neidisch. Sie konnte sich kein einziges Mal daran erinnern, dass ihre Mutter so etwas jemals für sie getan hatte. Zwar legte sie ihr die Kleider für die Schule raus, machte das Essen und achtete auf Sauberkeit, aber das war auch schon alles, was Katherine an Zuwendung erfuhr. Ansonsten musste sie sich alleine beschäftigen. Wie sehr beneidete sie Molly dafür, dass sie von ihrer Mutter Essen zur Schule mitbekam und abends vor dem Zubettgehen Geschichten vorgelesen bekam. Molly, die nichts von Katherines Neid ahnte, nickte wie selbstverständlich und fragte sogleich „Macht deine Mum das nicht?“ Katherine schüttelte nur traurig den Kopf und aß die restlichen Kirschen, nachdem sie Kerne in einem hohen Bogen wegspuckte. „Meine Mum und mein Dad hassen mich. Sie wollten mich nie haben.“
 

Nun war es Molly, die erstaunt war und Katherine ratlos und sogar ungläubig ansah. Sie konnte es nicht verstehen. Wie denn auch? Immerhin kam Molly aus einer glücklichen Familie. Und obwohl Katherine die Vorstellung unglücklich machte, dass ihre Pausengefährtin nicht einmal eine Ahnung davon hatte, wie es ihr zuhause erging und wie lieblos ihre eigene Familie war, wollte sie mehr über Mollys Familie wissen. „Und spielt deine Mum auch mit dir zusammen?“

Molly nickte und erzählte ihr mit deutlich hörbarer Begeisterung, wie sie in den Ferien mit ihrer Familie zusammen verreiste und den Urlaub am Eriesee verbracht hatte. Auch ließ sie nicht aus, wie ihre Mutter ihr sogar Socken, Mützen und warme Pullover für den Winter strickte wenn es kalt wurde. Und immer, wenn sie Alpträume hatte, kam dann ihr Vater zu ihr um sie zu trösten und er hatte ihr und ihren Freunden aus der Nachbarschaft sogar ein Baumhaus gebaut.

Hier wurde Katherine sehr nachdenklich. War das also eine normale Familie? Inzwischen befand sie sich in einem Alter, wo sie langsam zu verstehen begann, was Verrücktsein bedeutete. Und nun begann sie sich selbst langsam zu fragen, ob Molly einfach nur Glück mit ihrer Familie hatte, oder ob sie tatsächlich mit verrückten Eltern gestraft war. Und wenn sie sich vorstellte, wie schön es sein musste, einen Vater zu haben, der sogar ein Baumhaus für seine Kinder baute, da wünschte sie sich, sie könnte ein Teil von Mollys Familie sein und dieselbe Liebe erfahren.
 

Schließlich kam ihr ein Gedanke: wenn sie eines Tages selber Mutter war, würde sie das Gleiche tun. Sie würde ihren Kindern jeden Abend Geschichten vorlesen, mit ihnen Ausflüge machen und sie immer in den Arm nehmen, wenn sie es wollten. Auf jeden Fall würde sie es wesentlich besser machen als ihre eigenen Eltern. Obwohl sie erst zehn Jahre alt war, wusste sie selbst, dass sie derlei Fürsorglichkeit und Liebe nicht von ihrer Familie erwarten konnte und machte sich deshalb auch keine falschen Hoffnungen. Stattdessen dachte sie lieber darüber nach, was für eine wunderbare Mutter sie später werden würde. Schließlich unterbrach Molly ihre Gedanken mit einer Frage: „Was machen deine Mum und dein Dad eigentlich mit dir?“

„Mum macht nichts“, sagte Katherine und spürte wieder, wie sich ihre Brust zusammenschnürte als sie wieder an ihr trostloses Zuhause denken musste. „Sie sitzt meistens nur da und schaut aus dem Fenster oder ist in der Küche.“

„Sie hilft nicht mal bei den Hausaufgaben?“ fragte Molly erstaunt und bekam ein Kopfschütteln zur Antwort. Zögerlich gestand Katherine „Sie ignoriert mich und meine Geschwister. Und Dad hasst mich, weil ich ein Mädchen bin. Eigentlich wollte er einen Jungen haben, aber weil ich ein Mädchen bin, ist er oft wütend. Und wenn er wütend ist, dann schlägt er mich.“

Doch Molly konnte und wollte das nicht wirklich glauben und so zog Katherine den Ärmel ihres Oberteils hoch und zeigte eine Vielzahl von blauen Flecken, die sich über ihren Unterarm verteilten und schon unterschiedliche Farben angenommen hatten. Nun schwieg ihre Pausengenossin und schien unsicher zu sein, wie sie darauf reagieren sollte. Sie hatte so etwas noch nicht erlebt und konnte es auch nicht verstehen. Dennoch sah man, dass sie großes Mitgefühl für Katherine empfand. Nach einer Weile des unsicheren Schweigens fragte Molly schließlich „Möchtest du nach der Schule zu mir kommen?“

Diese Frage überrumpelte Katherine endgültig und sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Noch nie hatte jemand sie so etwas gefragt und sie war vollkommen überfordert. Natürlich wollte sie gerne zu Molly nach Hause gehen wenn sie dann wenigstens eine Weile vor ihrem jähzornigen Vater sicher war. Aber wie sollte sie sich denn verhalten? Musste sie irgendetwas mitbringen oder beachten, wenn sie Mollys Eltern kennen lernte? All das war so völlig neu für sie, aber das sollte sie trotzdem nicht aufhalten. Und so sagte sie begeistert „Ja gerne!“

Molly lächelte zufrieden und war glücklich mit dieser Zustimmung.
 

Nach der Schule wartete Katherine vor dem Schultor auf Molly und gemeinsam gingen sie zum Schulbus, der sie nach Islesbury fahren sollte. Die zehnjährige Cohan war nervös, denn es war das allererste Mal, dass sie aus ihrem gewohnten Umfeld herauskommen und etwas anderes sehen würde als die üblichen Straßen und Wege, die sie immer entlangging. Noch nie in ihrem Leben war sie zuvor in einem der Vororte von Annatown gewesen und war umso neugieriger, wie Islesbury wohl war. Ungeduldig sah sie aus dem Fenster und sah, wie die Häuser an ihr vorbeizogen. Schließlich erreichten sie die Stadtgrenze und der Bus fuhr auf die Hauptstraße, die quasi Islesbury und Backwater voneinander trennte. Zu ihrer Enttäuschung stellte Katherine fest, dass sie auf der falschen Seite des Busses saß und somit nur die Felder von Backwater sehen konnte und gar nichts von Islesbury sah. Frustriert seufzte sie und starrte eher lustlos auf die weite Landschaft, die aus Weiden und vereinzelten Bäumen bestand. Der Anblick war mehr als langweilig und sie hatte sich alles ein bisschen spektakulärer vorgestellt. Doch dann sah sie etwas, das ihr Blut in den Adern gefrieren ließ. Mitten auf dem Feld stand ein Mädchen, welches ungefähr in ihrem Alter war. Es hatte langes schwarzes Haar, schneeweiße Haut und Augen so rot wie Rubine und sie leuchteten, als würde ein Feuer darin lodern. Sie trug ein schwarzes Kleid mit weißen Punkten und starrte Katherine direkt an. Etwas Unheimliches umgab dieses Mädchen und es war, als wäre sie von einem gewaltigen dunklen Schatten umgeben. Als Katherine realisierte, dass das Mädchen sie anstarrte, überkam sie Angst und sie duckte sich instinktiv. Molly beobachtete sie mit deutlicher Verwirrung und fragte sie „Was machst du da?“

„Das Mädchen da…“, versuchte Katherine zu erklären, wagte aber nicht, wieder aus dem Fenster zu schauen. „Da war ein Mädchen auf dem Feld. Sie hatte schwarze Locken und rote Augen.“

Molly schaute aus dem Fenster, um selbst nachzusehen, doch sie sagte nur „Da ist kein Mädchen.“

„Aber sie war da!“ beharrte Katherine und traute sich nur sehr langsam, sich wieder aufzusetzen. „Und sie hat mich angesehen.“

„Vielleicht hast du Sally gesehen“, vermutete ihre neu gewonnene Freundin und zuckte mit den Schultern. „Derian und Lyndon sagen, dass der Geist eines toten Mädchens in Backwater lebt und sie schlimmes Unglück bringt, wenn man sie in Backwater sieht. Aber mein Dad sagt, das sind nur Gruselgeschichten. Und Geister gibt es nicht.“

Doch Katherine war sich sicher, dass sie dieses Mädchen gesehen hatte und dieser Blick war noch furchteinflößender gewesen als der ihres Vaters. Es war blanker Hass gewesen als wollte dieses Mädchen sie töten. Als sie wieder aus dem Fenster schaute, stellte sie mit Erleichterung fest, dass dieses rotäugige Mädchen nicht mehr da war. Dennoch lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken, denn sie war sich sicher, dass sie gerade wirklich da gewesen war und sie angesehen hatte. „Es gibt Geister?“

„Mein Dad sagt, es sind nur gruselige Geschichten, die nicht wahr sind“, versicherte Molly unbeeindruckt. „Er sagt, dass die Kinsleys diese ganzen Geschichten erzählen, um den Leuten Angst einzujagen.“

Doch Katherine blieb den Rest der Fahrt über sehr unruhig und konnte dieses unheimliche Mädchen nicht vergessen. Egal was Molly auch sagte, sie war sich sicher, dass sie sie wirklich gesehen hatte.
 

Nach einer knapp zwanzigminütigen Fahrt in dem stickigen Bus hatten sie endlich Islesbury erreicht. Es war eine wunderschöne Stadt mit gepflasterten Straßen, malerischen Häusern und weiten Blumenfeldern. An den Feldwegen reihten sich Kirschbäume und Apfelbäume auf, es gab einen großen Wald und einen kristallklaren Fluss, über den Holzbrücken verliefen. Katherine war sprachlos, denn so eine schöne Stadt hatte sie noch nie gesehen. Egal wo sie hinsah, blühte es in den wunderschönsten Farben. Weinsträucher wuchsen an Gemäuern, der Flieder war in voller Blüte und zahlreiche Schmetterlinge hatten sich dort versammelt. Auf den Wiesen wuchsen Gänseblümchen, Maiglöckchen, Klee, Ringelblumen und Margeriten. Alles wirkte wie aus einem Bilderbuch und Katherine überkam der Wunsch, hier in einem schönen Haus mit einem großen Garten zu leben. Sie kam aus dem Staunen nicht mehr raus und war so überwältigt von dem Anblick, dass sie gleich als Erste ausstieg, nachdem der Bus gehalten hatte. Molly ergriff ihre Hand und führte sie die Straßen entlang bis zu einem weiß gestrichenen Gebäude mit hohen spitzen Dächern, in dessen Vorgarten kunstvoll geschnittene Buchsbäume wuchsen.

„Das hier ist unser Haus“, erklärte sie und stieg mit ihrer Begleiterin die Treppe hoch, woraufhin sie die Klingel an der Tür betätigte. „Mein Dad arbeitet im Blumenladen und meine Mum macht den Garten.“

Die Tür ging auf und eine gertenschlanke Frau erschien in der Tür, von der Katherine erst nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen konnte, ob es jetzt eine Frau oder vielleicht doch ein Mann war. Sie hatte sehr kurz geschnittenes Haar, trug ein weißes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und eine Jeanshose. Das Gesicht war schmal und wirkte nicht weiblich genug, um das Gesicht einer Frau zu sein. Dennoch fand Katherine, das sie wesentlich hübscher war als jenes ergraute Skelett, was ihre eigene Mutter war. Ihre türkisfarbenen Augen sahen die kleine Besucherin erstaunt an und dann wandte sie sich an ihre Tochter. „Molly, du hast Besuch mitgebracht?“

Die Angesprochene nickte und antwortete „Das ist Katherine. Sie geht in eine andere Klasse aber wir sind oft in den Pausen zusammen. Darf sie hier bleiben?“

Etwas zögerlich erklärte sich Mrs. Brightside einverstanden und trat zur Seite, um die beiden Kinder hereinzulassen. Sie half ihrer Tochter, die Schultasche vom Rücken zu nehmen, doch Katherine entging nicht, dass Mollys Mutter sie mit einem merkwürdigen Blick von der Seite ansah. Es lag ein sehr seltsamer Ausdruck in ihrem Blick und Katherine glaubte, es läge vielleicht daran, weil sie sich nicht vorgestellt hatte. Also korrigierte sie ihren Fehler und sagte eilig „Guten Tag, Mrs. Brightside. Ich bin Katherine Cohan. Freut mich, Sie kennen zu lernen.“

Aber der seltsame Ausdruck wich nicht aus Mrs. Brightsides Gesicht. Stattdessen sah sie, wie die Mutter kurz erstarrte, als hätte sie sich vor irgendetwas erschrocken. Für einen Augenblick glaubte Katherine sogar etwas wie Angst in ihrem Blick zu sehen. Aber die Zehnjährige verstand es nicht und kümmerte sich deshalb auch nicht weiter darum. Während Mollys Mutter wortlos im Flur stehen blieb und Katherine weiterhin mit diesem merkwürdigen Blick ansah, führte Molly selbst ihren Gast durch das schön dekorierte Haus hinaus in den Garten. Dort gab es ein großes Beet, in welchem Gemüse und auch allerhand verschiedene Blumen wuchsen. Staunend ging Katherine zum Beet und betrachtete all die wunderschönen Blumen die dort wuchsen. „Die sehen so schön aus!“

Doch Molly, für die all diese Dinge alltäglich waren, sah nichts Besonderes darin und teilte Katherines Begeisterung nicht wirklich. Aber sie freute sich trotzdem, dass es ihr so gut gefiel. Katherine selbst ging beim Anblick dieser schönen Blütenpracht gänzlich auf und wünschte sich, sie könnte hier wohnen oder sie hätte auch so einen bezaubernden Garten. Sie fühlte sich so glücklich wie noch nie zuvor in ihrem Leben und konnte immer noch kaum glauben, dass sie eine richtige Freundin gefunden hatte. Gemeinsam spielten sie eine Weile miteinander, bis die Hitze langsam zu viel für sie wurde. Also gingen sie ins Haus und bekamen beide ein Glas kalte Limonade von Mollys Mutter. Diese hatte immer noch einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, den Katherine nicht deuten konnte und als sie wieder nach dieser Abkühlung nach draußen gehen wollten, ging Mrs. Brightside dazwischen und hielt ihre Tochter an der Schulter fest. „Schatz, bleib mal kurz hier.“

Sofort blieb Katherine auch stehen um auf Molly zu warten, doch da wies die androgyne Frau sie an „Du kannst schon mal wieder in den Garten gehen, Katherine. Molly kommt gleich nach.“
 

Immer noch dachte sich Katherine nichts Besonderes dabei und ging wieder zurück in den Garten und setzte sich auf einen der Terrassenstühle. Sie wartete eine ganze Weile und betrachtete die Schmetterlinge, die zwischen den Blumen umherflogen. Es vergingen ein paar Minuten und sie begann sich zu fragen, ob sie bald wieder hierher zu Besuch kommen konnte. Immerhin war es hier wesentlich besser als bei ihr zuhause und sie glaubte auch nicht, dass sich Molly bei ihr zuhause wohl fühlen würde. Nein, sie fürchtete fast, dass ihr Vater und ihr Bruder Molly vergraulen würden und sie wollte ihre Freundin nicht verlieren. Also blieb nichts anderes übrig, dass sie nach der Schule entweder hierher kommen oder sich irgendwo anders zum Spielen verabreden würden.

Endlich kam Molly nach draußen, doch sie lächelte nicht mehr und schien sehr bedrückt zu sein. Ihr Blick war vollkommen verschlossen und sie wirkte sogar ein wenig blass. Katherine registrierte es zunächst gar nicht und fragte sie sofort „Wollen wir noch ein wenig spielen?“

Doch Molly antwortete nicht darauf. Sie sah Katherine noch nicht einmal an und wirkte ein wenig nervös. „Nein danke. Ich fühle mich nicht gut. Mir ist schlecht.“

Katherine, die keinen Grund sah, ihr zu nicht zu glauben, war besorgt und nickte verständnisvoll. Natürlich war sie ein wenig enttäuscht, aber sie wollte Molly auch nicht weiter drängen. Vielleicht setzte ihr die Hitze ja ein wenig zu. Sie hatte ja schon von Kindern gehört, die einen Hitzeschlag erlitten und dann krank wurden. Und sofort überkam sie die Sorge, dass auch Molly vielleicht einen solchen erlitten haben könnte. „Okay. Dann gehe ich wohl besser nach Hause. Aber… ich weiß nicht genau, wie ich wieder nach Hause komme.“

Hieraufhin tauchte plötzlich Mrs. Brightside an der Terrassentür auf und schaute Katherine mit einem Blick an, der nun beinahe kalt und misstrauisch wirkte. „Ich fahre dich eben nach Hause, Katherine.“

„D-danke“, murmelte die Zehnjährige nun ein klein wenig eingeschüchtert und hatte das Gefühl, als wäre irgendetwas Merkwürdiges passiert und sie hätte irgendetwas verpasst. Sie verabschiedete sich von Molly und folgte Mrs. Brightside durch das Haus zurück zur Eingangstür hinaus auf die Straße. Dort wartete sie, bis die junge Mutter den Wagen aus der Garage gefahren hatte und stieg ein. Die ganze Fahrt über sagten sie beide nichts und immer noch lag etwas sehr Merkwürdiges in der Luft. Ein ungutes Gefühl überkam die Zehnjährige, konnte aber nicht erklären, was es denn war. Als sie am Abend wieder zuhause war, herrschte zum Glück Ruhe, denn ihr Vater war gar nicht zuhause, sondern in der Kneipe um sich zu betrinken. Sie bedankte sich bei Mrs. Brightside für die Heimfahrt, ging hinein ins Farmhaus und dann die Treppe rauf, begrüßte ihre nun fünfjährige Schwester Tabitha und erzählte ihr von ihrem schönen Nachmittag, bevor sie ins Bett ging.
 

Am nächsten Morgen in der Schule wartete sie wie immer am Zaun des Schulgartens und hoffte darauf, dass es ihrer Freundin wieder besser ging. Doch zu ihrer Enttäuschung kam Molly nicht. Auch in den darauf folgenden Tagen verbrachte sie die Pausen wieder alleine und begann sich Sorgen zu machen. Also ging sie schließlich während einer Pause direkt als Erste aus dem Klassenzimmer und ging rüber zum Raum wo die Parallelklasse unterrichtet wurde. Sie wollte sehen, ob Molly wirklich fehlte und den Lehrer fragen, ob sie vielleicht krank war.

Doch als die Tür des anderen Klassenzimmers aufging und die Kinder sich hinaus auf den Flur drängelten, konnte Katherine Molly erkennen, die mit gesenktem Kopf nach draußen ging. „Molly! Hey Molly!“ rief die groß gewachsene Cohan und winkte ihr zu. Und tatsächlich hob das androgyne Mädchen den Kopf und sah sie in ihre Richtung. Doch anstatt zu ihr zu gehen, wandte sie den Blick wortlos wieder ab und ging einfach weiter. In diesem Moment realisierte Katherine, dass Molly gar nicht krank gewesen war, sondern aus ganz anderen Gründen nicht mehr die Pausen mit ihr verbringen wollte. Irgendetwas war passiert, dass ihre sonst so treue Freundin ihr nun aus dem Weg ging und sie ignorierte.

Unheimliche Veränderungen

Dass Molly ihr nun aus dem Weg ging und nicht mehr die Pausen mit ihr verbrachte, war für Katherine ein harter Schlag. Doch dass es etwas mit ihr oder der rätselhaften Reaktion von Mrs. Brightside zu tun hatte, als sie zu Besuch gewesen war, kam ihr nicht in den Sinn. Stattdessen überkam sie die Sorge, dass es etwas ganz anderes sein könnte. Vielleicht hatten es die anderen Kinder ihr übel genommen, dass sie mit einer Außenseiterin spielte, die aus einer Familie von Verrückten stammte. Also versuchte sie mit Molly zu reden und herauszufinden, wer sie schikanierte, damit sie ihr irgendwie helfen konnte. Doch jeder Versuch blieb erfolglos. Entweder fand sie Molly nicht wenn sie auf dem Pausenhof umherging, oder Molly ergriff sofort die Flucht wenn diese sie sah. Zwar gab Katherine nicht auf und versuchte es weiterhin, aber ihre Motivation nahm sehr schnell ab und so saß sie in den meisten Pausen wieder ganz alleine an ihrem Stammplatz weitab von den anderen Kindern.

Doch auch bei ihr zuhause veränderten sich die Dinge und sie konnte nicht einmal sagen, ob es zum Guten oder zum Schlechten war. Während ihr Vater meist abends in die Kneipe ging, um sich zu betrinken, verließ ihre Mutter häufig das Haus und kehrte erst dann wieder, wenn Katherine und ihre Geschwister schon längst schliefen. Manchmal führte sie seltsame Telefonate und oder fremde Leute kamen zur Farm, die mit ihr sprechen wollten. Und sonntags ging sie sogar in die Kirche. Noch nie hatte Katherine erlebt gehabt, wie jemand aus ihrer Familie in die Kirche ging. Ihr Vater hatte für Religion nichts übrig und die einzigen Male, wo sie mit diesem Thema in Berührung gekommen war, waren der Religionsunterricht in der Schule oder wenn sie auf dem Weg nach Hause zufällig einem Priester über den Weg lief. Für gewöhnlich ging sie die Landstraße entlang, machte aber hin und wieder einen kleinen Umweg direkt durch die Stadt, wenn sie sich am Krämerladen ein paar Bonbons kaufen wollte. Sie wusste, welche religiösen Gruppen es in Annatown gab, aber sie hatte in ihrem Leben nie die Kirche besucht. Deshalb wirkte es für sie umso befremdlicher, dass ihre Mutter plötzlich religiös wurde. Vor allem weil diese gewirkt hatte, als wäre ihr wirklich alles egal geworden.
 

An einem sehr schwülen Freitag, der laut Radionachrichten ein schweres Gewitter bringen würde, hatte Katherines Klasse früher als sonst Schule aus, da einer der Lehrer erkrankt war und man auf die Schnelle keine Vertretung finden konnte. Doch so wirklich freuen konnte sie sich nicht. Zwar ging sie ungern zur Schule, aber es war wesentlich erträglicher als zuhause zu bleiben. Wenn sie nicht gerade den Kindern über den Weg lief, die sich regelmäßig über sie lustig machten oder sie herumschubsten, gingen ihr die anderen aus dem Weg und alleine zu sein war immer noch besser als das, was sie zuhause erleben musste. Aber zumindest konnte sie ein wenig mit ihrer Schwester spielen. Doch in dem Moment, als sie aus dem Schulgebäude verließ, schlug ihr die heiße schwüle Luft entgegen und erschlug sie beinahe. Es war so stickig, dass sie das Gefühl hatte, als würde ihr die Luft zum Atmen fehlen und sie brauchte erst eine Weile, um sich an dieses drückende Wetter zu gewöhnen. Sie schaute zum Himmel, doch es war nur leicht bewölkt und die Sonne brannte erbarmungslos auf die Erde nieder und verschlimmerte diesen Zustand nur. Sie wusste, dass solch ein drückend schwüles Wetter oft ein erstes Anzeichen für ein Unwetter war und beschloss, sich lieber zu beeilen damit sie noch rechtzeitig zuhause war bevor das Gewitter über Annatown hereinbrach. Doch sie merkte schnell, dass das Wetter an ihren Kräften zehrte. Ihr war schwindelig und sie spürte ein schmerzhaftes Pulsieren direkt hinter ihrer Stirn. Und als wäre das nicht schon genug, war sie nach ein paar Minuten bereits vollkommen schweißgebadet und ihr war, als würde eine entsetzlich schwere Last auf ihren Schultern lasten. So musste sie bereits nach zehn Minuten eine kurze Pause einlegen, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen und sie blieb kurz stehen um zu verschnaufen.

Eine leichte Brise wehte, doch es war leider kein kühles Lüftchen, sondern wieder nur heiße schwüle Luft. Ihr Weg nach Hause kam ihr vor wie eine anstrengende stundenlange Wanderung und zwischendurch zweifelte sie sogar, dass sie es überhaupt schaffen würde. Sie musste an einer Bushaltestelle eine kurze Rast einlegen, bevor sie weiterging. Am Himmel begannen bereits dunkle Wolken aufzuziehen und so beeilte sie sich umso mehr. Es donnerte bereits, als sie endlich die Blackavar Farm erreichte und schnell eilte sie die Stufen der Veranda hinauf, riss die Tür auf als auch schon ein weiterer Donner ertönte, dem ein starker Regenschauer folgte. Gerade noch rechtzeitig, dachte sie und atmete erleichtert durch. Erschöpft wischte sie sich den Schweiß aus dem Gesicht und ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Dabei bemerkte sie aber, dass es überraschend ruhig war. War ihr Vater gar nicht da?
 

Nachdem sie ihr Glas geleert hatte, wollte sie zuerst hoch in ihr Zimmer gehen, doch da hörte sie Stimmen im Wohnzimmer. Doch es wurde nicht geschrien wie normalerweise. Stattdessen schienen sich diese Stimmen ganz normal zu unterhalten. Nun wurde sie neugierig und öffnete kurzerhand die Wohnzimmertür. Sie sah ihre Mutter auf dem Sessel sitzen, wo für gewöhnlich ihr Vater abends zu sitzen pflegte, wenn er sich nicht in der Kneipe betrank. Mit Besorgnis und zugleich Überraschung sah sie, wie ihre Mutter schluchzend das Gesicht in den Händen vergraben hatte, während zwei Männer ihr gegenüber standen und auf sie einredeten. Einer von ihnen trug ein Buch in der Hand und sie beide trugen schwarze Kleidung und sahen wie Priester aus. Allerdings wirkten sie nicht so wie die Priester, welche die örtlichen Kirchen von Annatown und den umliegenden Gemeinden betreuten, denn ihre Uniform unterschied sich von den katholischen und den protestantischen Priestern. Und mit den amischen Priestern aus Wheatford. Ein goldenes Symbol war auf der Brusttasche aufgenäht, welches sie aber auf die Entfernung nicht genau erkennen konnte. Jeder von ihnen trug eine Kette mit einem goldenen Kreuz, dennoch wusste sie, dass sie nicht zu den bekannten Gruppen gehörten. Zwar sah sie diese beiden Herren zum ersten Mal, aber sie kannte die Uniform: die Besucher, die in den letzten Wochen zu ihrer Mutter gekommen waren um mit ihr zu reden, hatten dieselbe Uniform getragen. Und bei einem der Besuche hatte sie zufällig aufgeschnappt, dass die Leute ihre Kirche „Iudicium Dei“ nannten.
 

Katherine wusste nicht, was diese Worte bedeuteten und was für eine Sprache das war. Sie hatte schon Schwierigkeiten damit, sich diesen Namen überhaupt zu merken, geschweige denn ihn auszusprechen.

„Es ist noch nicht zu spät für dich, Helen. Noch kann deine Seele gerettet werden, wenn du bereit bist, die schändliche Sünde ungeschehen zu machen, die du in die Welt gesetzt hast“, sagte einer der Männer. Es war ein älterer Mann mit Halbglatze und einer großen Brille. Er sprach in einem strengen und belehrenden Ton und er war Katherine nicht sonderlich sympathisch. Allerdings verstand sie kaum ein Wort von dem, was er da sagte. Was er wohl mit diesem Gerede von Sünde und Rettung meinte?

„Wir versuchen seit Jahren, die Wurzel der Sünde aus dieser Stadt zu entfernen und die Seelen der Menschen vor den Verfluchten und den Dienern der schwarzen Künste zu beschützen. Aber du, Helen, hast bereits Gottes Zorn auf dich gezogen. Dein grausames Martyrium ist die göttliche Strafe, die über dich gebracht wurde, weil du mit der Saat des Teufels Unzucht getrieben hast, begreifst du das nicht? Gott hat diese Kreaturen nicht umsonst mit dem Zeichen Satans gebrandmarkt. Es ist unser höchstes Bestreben, diese Stadt vor ihrem Untergang zu retten und diesen Sündenpfuhl dem göttlichen Gericht zuzuführen. Aber du musst deinen Teil dazu beitragen wie jeder andere von uns. Um Vergebung zu erlangen, musst du dich dem göttlichen Gericht unterwerfen.“

Katherine, die nichts von dem verstand, was diese Männer da sagten, ahnte, dass sie besser nicht stören sollte. Und da sie bisher noch keiner bemerkt hatte, schloss sie leise wieder die Tür und ging nach oben zu ihrer kleinen Schwester Tabitha. Trotz der zwei Jahre, die inzwischen ins Land gezogen waren, war Tabitha immer noch sehr klein und wirkte aufgrund dessen wesentlich jünger als sie eigentlich war. Ihr dunkelbraunes Haar war zu zwei Zöpfen geflochten und ihr ganzes Gesicht war voller Sommersprossen. Sie war gerade dabei, mit ihrer Puppe zu spielen und sie wirkte recht einsam. Zumindest wurde sie nicht schon wieder von Nigel geärgert. „Hey Tabby!“ grüßte Katherine sie und setzte sich zu ihr. „Ist Nigel gar nicht zuhause?“

Die Sechsjährige schüttelte den Kopf und antwortete klein laut. „Er ist mit Dad weggegangen.“

Na umso besser, dachte sich Katherine. Wenigstens hatte sie ein wenig Ruhe vor den beiden und innerlich hoffte sie auch, dass die beiden nicht so schnell wiederkamen. Aber dennoch musste sie die ganze Zeit über diese beiden Männer im Wohnzimmer nachdenken. Was genau wollten die von ihrer Mutter und wovon hatten sie eigentlich geredet? Es war das erste Mal gewesen, dass sie ihre Mutter hatte weinen sehen und sie hatte auch nicht gedacht, dass sie überhaupt noch zu etwas wie Emotionen fähig war. Sonst hatte sie immer völlig leblos und teilnahmslos gewirkt und das einzige Mal, wo sie nicht völlig wie eine lebende Puppe gewirkt hatte, war, als Katherine diese verstörende Szene im Schlafzimmer gesehen hatte.

Sie erschauderte, als diese Bilder wieder vor ihrem geistigen Auge auftauchten und sie versuchte sie schnell wieder zu verdrängen, indem sie sich wieder auf ihre Schwester konzentrierte. Doch sie hatte ein sehr ungutes Gefühl, was diese merkwürdigen Besucher anging und sie hatte insgeheim Angst, dass irgendetwas Schlimmes passieren würde. Gedankenverloren schaute sie aus dem Fenster und sah, wie der Regen gegen die Scheiben prasselte. Inzwischen hatte sich der Himmel vollkommen verdüstert und immer noch zuckten Blitze am Himmel, während es laut donnerte. Ob das Gewitter wohl ein schlechtes Omen war?
 

Da ihre Kopfschmerzen irgendwann zu stark wurden, ging sie in ihr Zimmer und legte sich eine Weile zum Schlafen hin, da dies der einzige Weg war, ein wenig Linderung zu finden. Sie fiel in einen traumlosen und sehr unruhigen Schlaf und wirklich als Schlaf konnte man es nicht bezeichnen. Ihre Kopfschmerzen hatten zumindest ein wenig nachgelassen aber dafür hatte sie nun Hunger. Wie lange sie wohl im Bett gelegen hatte? Müde rieb sie sich die Augen und ging die Treppen hinunter, ging aber nicht direkt zur Küche, sondern erst am Wohnzimmer vorbei, auch wenn es einen Umweg bedeutete. Aber ihre Neugier, ob die beiden Herren immer noch da waren, war größer und so ging sie zu zur Wohnzimmertür und lugte durch das Schlüsselloch. Doch die zwei Herren in Priesteruniform waren nicht mehr da.

Also ging sie in die Küche, machte sich ein belegtes Brot und setzte sich an den Küchentisch. Sie merkte erst, dass ihre Mutter im selben Raum war, als mit einem lauten Knall der Messerblock umfiel, als sie mit zitternder Hand ein Messer eines der langen scharfen Küchenmesser herauszog. Erschrocken zuckte Katherine zusammen und ließ dabei ihr Brot fallen. Sie drehte sich ruckartig zu ihrer Mutter um, wagte aber nichts zu sagen, als sie sah, in welchem Zustand diese sich befand. Ihr ohnehin schon abgemagerter Körper wirkte noch ausgemergelter als sonst und sie war bleich wie eine Leiche. Doch ihre Augen waren stark gerötet von Tränen und der Ausdruck in ihren Augen wirkte nicht mehr leblos wie die einer Puppe, sondern gebrochen wie die eines Menschen, der kurz davor stand, wahnsinnig zu werden. Und dieser Anblick machte Katherine mehr Angst als dieser puppenartige Blick, den ihre Mutter sonst hatte. „Mum?“ fragte sie zaghaft. „Was ist mit dir?“

„Es ist alles eure Schuld“, murmelte Helen mit heiserer und zitternder Stimme, ohne überhaupt die Worte ihrer Tochter zu hören. Immer noch rannen Tränen ihre Wangen hinunter und irgendetwas war mit ihr passiert, so viel stand fest. Doch Katherine traute sich nicht, näher nachzufragen und so schwieg sie lieber. Immer noch schaute diese abgemagerte Frau mit den spindeldürren Gliedmaßen sie nicht an und hatte den Blick auf die Arbeitsplatte gerichtet. Anscheinend wollte sie anfangen, das Essen vorzubereiten. Sie hielt das Messer bereit, um das Gemüse zu schneiden, doch in einem plötzlichen Anfall aus Wut und Verzweiflung hieb sie das Messer auf eine der Karotten und ihr Gesicht verzerrte sich zu einer grotesken Fratze, die Katherine sich nicht einmal in ihren Alpträumen ausgemalt hatte. Am liebsten hätte sie die Küche wieder verlassen, doch sie traute sich nicht, auch nur einen einzigen Finger zu rühren.

„Mein ganzes verpfuschtes Leben… diese Hölle, die ich seit Jahren durchstehe… All das ist nur wegen euch. Es ist die Strafe Gottes, weil ich mich mit einem aus dieser verfluchten Familie eingelassen und euch in die Welt gesetzt habe. Ich habe ja schon immer gewusst, dass es der schlimmste Fehler war, diesen Mistkerl zu heiraten und jetzt bestraft mich der Herr damit, dass ich in meiner persönlichen Hölle leben muss.“

„M-Mum…“, sprach die 10-jährige leise und eingeschüchtert. „Wer… wer sind diese Leute und warum sagen sie solche Sachen?“
 

Hier drehte sich Helen Cohan zu ihr um und Katherine sah den unendlichen Schmerz und die Hoffnungslosigkeit in den Augen ihrer Mutter. Mit ihren knochigen Fingern umschloss sie das Messer fester und ihre Gesichtszüge verhärteten sich. „Das waren Leute, die mir endlich die Augen geöffnet haben. Ich weiß nun endlich, in was für ein Unglück dein Vater mich gestürzt hat und was ich angerichtet habe, indem ich dich und deine Geschwister in die Welt gesetzt habe. Ihr hättet niemals geboren werden dürfen und nun muss ich dafür zahlen, dass ich euch in die Welt gesetzt und mich damit versündigt habe. All die Jahre habe ich mich gefragt, womit ich dieses Elend nur verdient habe… nur um zu erfahren, dass es eure Schuld ist! Ihr habt mir mein Leben zerstört!“

„Was meinst du damit?“ fragte Katherine ratlos. Zwar war sie es inzwischen gewohnt, dass ihre Mutter immer religiöser zu reden begann und immer häufiger von Sünde oder göttlicher Strafe redete, wenn ihr Vater in der Kneipe oder auf dem Feld war. Aber diesen Zustand hatte sie noch nicht bei ihr gesehen und sie fragte sich, was diese Männer ihr wohl gesagt hatten, dass sie sich jetzt so komisch verhielt. Doch eines war klar: es machte ihr umso mehr Angst und sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Diese Situation war ihr wirklich unheimlich und sie fühlte sich sehr unwohl in dieser Situation.

Nun kam ihre Mutter auf sie zu, das Küchenmesser immer noch in der Hand. Nun überkam Katherine erst recht Angst und sie sprang vom Stuhl auf um zu flüchten, doch da wurde sie am Kragen gepackt und festgehalten. Die trüben Augen ihrer Mutter starrten sie an und ihre spinnenbeinartigen Finger hatten sich in den Stoff ihres Kleides verkrallt und hielten sie mit ungeahnter Kraft fest. „Ich hätte es schon damals wissen müssen. Mein Vater hatte ihm eine Chance eine Chance gegeben und was ist passiert? Er hat es mit seinem Leben bezahlt. Ich habe diesen Mistkerl geheiratet und lebe seitdem in der Hölle. Und warum? Weil eure alleinige Existenz eine Sünde ist. Die ganze Familie Cohan ist ein Verbrechen gegen Gott und mein Leid und all die Schmerzen sind das Strafgericht, was über mich gekommen ist. All die Jahre dachte ich, es wäre meine Schuld, dass dein Vater so geworden ist. Dabei habt ihr mich alle nur getäuscht und mich nur glauben lassen, dass ich an allem Schuld bin. Ihr seid nichts als Parasiten, die die Welt mit ihrer Existenz und ihrem verdorbenen Blut vergiften und die Menschheit ins Verderben stürzen. Wenn ihr nicht existieren würdet, dann wäre ich glücklich geworden und mein Vater wäre nicht gestorben.“

„Mum, bitte hör auf. Du machst mir Angst!“

„Ich mache dir Angst? ICH MACHE DIR ANGST?“ schrie Helen und hielt die Spitze des Messers auf die Brust ihrer Tochter gerichtet. „Was glaubst du wie es mir geht? Jedes Mal wenn ich in eure dämonischen Augen schaue, sehe ich nichts als den Alptraum, auf den ich mich eingelassen habe. Ich war so blind und naiv gewesen, dass sich nicht gesehen habe, dass eure Augen das Mal des Teufels sind. Ich sollte euch töten und damit den Fehler ungeschehen machen, den ich begangen habe. Ihr, die ihr aus den Tiefen der Hölle gekommen seid, verdient es nicht, in dieser Welt zu existieren.“
 

Angsterfüllt schaute Katherine sie an und glaubte für einen Moment tatsächlich, ihre Mutter würde durchdrehen und sie mit dem Messer angreifen. Sie sah, wie diese abgemagerte Frau das Messer zum Schlag erhob und sie schloss die Augen, weil sie zu viel Angst hatte, hinzusehen. Es gab einen dumpfen Knall und als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass ihre Mutter das Messer in den Tisch geschlagen und damit ihre Tochter verfehlt hatte. Doch sonderlich erleichtert war Katherine nicht. Sie zitterte immer noch vor Angst. „Aus meinen Augen“, zischte Helen durch zusammengepresste Zähne. „Du machst mich krank!“

Hieraufhin wurde die Zehnjährige endlich losgelassen und sofort flüchtete sie aus der Küche, rannte hinauf in ihr Zimmer und schloss sich ein. Sie wagte es nicht, wieder hinauszugehen und hatte nun zum ersten Mal in ihrem Leben regelrechte Todesangst vor ihrer Mutter. Trotzdem verstand sie nicht, warum diese ausgerechnet wütend auf sie war. Weder sie noch ihre Geschwister hatten ihr je etwas Schlimmes angetan oder sie jemals geschlagen. Es war doch Gilbert, der ihr diese furchtbaren Dinge antat, warum also hatte sie stattdessen beinahe ihre Tochter mit dem Messer getötet? Katherine verstand es nicht und sie fragte sich, was sie nun tun sollte. Weglaufen? Nein, sie würde nicht weit kommen und sie wusste ohnehin nicht, wohin sie gehen konnte. Und sie konnte Tabitha unmöglich alleine zurücklassen. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu verbarrikadieren und zu hoffen, dass sich ihre Mutter wieder beruhigte. Zuerst spielte sie mit dem Gedanken, zu Tabithas Zimmer zu gehen, doch sie verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Ihre Angst war viel zu groß, als dass sie ihr Zimmer verlassen hätte. Sie fürchtete sich davor, ihrer Mutter über den Weg zu laufen, solange diese sich in diesem unheimlichen Zustand befand.
 

Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend zog sich Katherine um, ging nicht ins Bad um sich die Zähne zu putzen, sondern legte sich direkt in ihr Bett, da es langsam spät wurde. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Der Schreck von vorhin in der Küche saß ihr immer noch tief in den Knochen und noch immer wirkte die Angst in ihr nach. Sie war es von ihrem Vater gewohnt, regelmäßig geschlagen oder im Keller eingesperrt zu werden, aber nie hatte dieser sie mit einem Messer bedroht. Und es war auch das allererste Mal, dass ausgerechnet ihre Mutter sie bedroht hatte. Irgendetwas Schreckliches ging hier vor sich und instinktiv musste sie wieder an die Busfahrt mit Molly erinnern, als sie dieses unheimliche rotäugige Mädchen in Backwater gesehen hatte. Was wenn es wirklich stimmte und es war ein böses Omen gewesen? Zwar hatte Molly gesagt gehabt, dass das nur eine Gruselgeschichte war, aber in diesem Moment glaubte Katherine daran. Sie war sich felsenfest sicher, dass etwas sehr Schlimmes passieren würde. Und dieser Gedanke ließ ihr keine Ruhe. Die ganze Nacht über lag sie hellwach da und befürchtete die ganze Zeit, ihre Mutter würde zu ihr ins Zimmer kommen und sie mit dem Küchenmesser erstechen. Doch nichts dergleichen geschah.

Bestrafung des Beschützers

Die nächsten Tage brachte der Himmel nichts als Regen und Gewitter. Aufgrund der Sturmgefahr hatten die Schulen ebenfalls geschlossen, sodass Katherine die meiste Zeit in ihrem Zimmer verbrachte und ihre Hausaufgaben erledigte oder einfach am Fenster saß und das Wetter beobachtete. Es herrschte eine sehr merkwürdige Unruhe, nicht nur draußen sondern auch im Haus. Als sie in die Küche gegangen war, um sich etwas zu trinken zu holen, hatte sie ihre Eltern streiten hören und obwohl sie das Gezeter ihres Vaters schon längst gewöhnt war, wusste sie nicht, wie sie die Tatsache einzuordnen hatte, dass ihre Mutter ihm plötzlich Widerpart hielt. Seit sie immer häufiger Besuch von diesen seltsamen Leuten bekam und sonntags in die Kirche ging, war sie immer seltsamer geworden und inzwischen wusste Katherine nicht mehr, vor wem sie sich mehr fürchten sollte. Zwar bekam sie fast täglich Schläge von ihrem Vater und wurde in der Schule wegen ihrer blauen Flecke und ihrer Schürfwunden ausgelacht, aber momentan fürchtete sie sich noch viel mehr vor ihrer Mutter. Und auch ihr Bruder machte genug Probleme und wurde immer aggressiver. Es schien so als wären sie und Tabitha die Einzigen, die sich nicht so verhielten.

An einem ebenso regnerischen Oktobermontag, der für viele Kinder die lang ersehnten Herbstferien bedeuteten aber für sie nur eine grausame Strafe war, saß Katherine in ihrem Zimmer und hatte ein Buch aufgeschlagen. Nachdem sie beim Herumstromern im Haus auf den Dachboden geklettert war, hatte sie alte Kinderbücher gefunden, die einst ihrer Mutter gehört hatten. Und da sie manchmal nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wusste, hatte sie sich ein paar davon hinunter in ihr Zimmer mitgenommen und dort zu lesen begonnen. Zwar hatte sie an einigen Stellen zwischendurch Schwierigkeiten, weil sie das entsprechende Wort noch nicht gut lesen konnte oder es nicht verstand. Mit Mühe arbeitete sie sich Schritt für Schritt durch das Buch und konnte sich somit die Zeit vertreiben. Insgeheim hoffte sie, dass sie auf diese Weise die ganzen Herbstferien verbringen konnte, ohne dass sich irgendwelche allzu unangenehmen Zwischenfälle ereigneten. Aber unglücklicherweise kam alles anders als erhofft. Gerade war sie dabei, das fünfte Kapitel des Buches zu lesen, welches von einem Mädchen handelte, das bei ihrem Versuch, einem sprechenden Kaninchen zu folgen, an einen sehr wunderlichen Ort gelangt war. Katherine konnte nicht viel mit dieser wirren Geschichte anfangen, aber sie bewunderte den Einfallsreichtum, den der Schreiber dieses Buches wohl gehabt haben musste. Sie hatte es sich auf ihrem Bett gemütlich gemacht und war völlig in die Seiten vertieft, während der Regen geräuschvoll gegen die Scheiben prasselte. Doch da wurde sie von einem lauten Schrei unterbrochen, der die bis dahin so friedvolle Stille abrupt beendete. Es war dieses Mal nicht ihre Eltern, sondern Tabitha. Sofort ließ Katherine das Buch fallen um sprang vom Bett auf. Wenn ihre kleine Schwester so laut schrie, dann war es garantiert wieder Nigel, der sie quälte. Schnell eilte Katherine zum Zimmer ihrer kleinen Schwester um ihr zu helfen. Sie erschrak als sie sah, wie ihr Bruder die Sechsjährige, die verzweifelt um sich trat und wie am Spieß schrie, auf den Boden gedrückt hatte. Ihr Kleid war hochgerissen worden und Nigel, der den Schürhaken vom Kamin in der Hand hielt, versuchte mit Gewalt den Stiel direkt zwischen ihre Beine zu drücken. „Hör auf zu schreien, Tabby“, rief er wobei er versuchte, die verzweifelten Hilfeschreie seiner kleinen Schwester zu übertönen. „Das gefällt dir doch!“

„Geh sofort weg von ihr, Nigel!“ schrie Katherine und verwarf in diesem Moment ihr Vorhaben, nie wieder Gewalt anzuwenden. Wenn ihr Bruder solche Sachen bei ihr versuchte und ihr ständig die Unterhose herunterzog um sie zu demütigen, war das schon schlimm genug. Doch sie konnte nicht mit ansehen, wie er ihre kleine Schwester quälte. Mit ihrem ganzen Gewicht stürzte sie sich auf ihren jüngeren Bruder und biss ihm in die Hand, mit welcher er den Schürhaken festhielt. Der Neunjährige heulte vor Schmerz auf und schlug Katherine direkt ins Gesicht, doch sie vergrub ihre Zähne tief in sein Fleisch, bis sie er endlich den Schürhaken losließ. In dem Moment, als sie von ihm abließ, folgte ein heftiger Tritt in ihre Magengrube und während sie noch völlig benommen von dem Angriff war, versuchte Nigel, wieder in den Besitz des Schürhakens zu kommen um sie damit zu verprügeln. Katherine schaffte es, den Griff zu fassen zu bekommen, als auch schon ihr Bruder das Werkzeug packte. Sie begannen beide daran zu zerren und es entstand eine Keilerei zwischen ihnen. Keiner von ihnen wollte loslassen und beide waren in diesem Moment so voller Wut gegen den anderen, dass sie sich einander nichts schenkten. Sie zerrten beide an dem Schürhaken, versuchten den anderen abzuschütteln und wegzustoßen. Schließlich aber konnte Katherine den Kampf für sich entscheiden, indem sie ihrem Bruder zwischen die Beine trat und ihn somit außer Gefecht setzte.

Nigel stöhnte vor Schmerz auf und krümmte sich zusammen, wobei er den Schürhaken losließ. Das war ihre Chance. Schnell rappelte sich Katherine wieder auf und baute sich vor ihrem Bruder auf, den Schürhaken fest in den Händen gepackt wie eine Waffe. „Hau ab und lass Tabby in Ruhe, oder ich mache das Gleiche mit dir!“ drohte Katherine, obwohl sie nicht einmal im Traum daran gedacht hätte, so etwas zu machen. Aber sie konnte nicht das Risiko eingehen, dass ihr Bruder gleich wieder versuchen würde, sich an Tabitha zu vergreifen, die sich ohnehin nicht wehren konnte. Stöhnend richtete sich Nigel wieder auf, das Gesicht immer noch vor Schmerz verzerrt. Seine goldgelben Augen funkelten vor Zorn und hasserfüllt starrte er sie seine große Schwester an. „Das sage ich Dad und dann bringt er dich um!“

Damit verließ er das Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Ein wenig erleichtert darüber, dass Nigel nicht wieder auf sie losgegangen war, atmete Katherine aus und wandte sich ihrer kleinen Schwester zu, die schluchzend und vor Angst zitternd auf dem Boden kauerte. Zärtlich streichelte sie ihr durchs Haar und versuchte sie zu beruhigen. „Keine Angst, Tabby. Ich bin ja da und pass auf dich auf. Wenn Nigel das nächste Mal wieder so was macht, komm direkt zu mir. Ich gehe jetzt lieber. Wenn Dad gleich kommen sollte, will ich nicht, dass du auch Ärger bekommst.“

Schluchzend nickte die Sechsjährige und wischte sich mit ihrem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Mit dem Schürhaken in der Hand ging Katherine nach unten zum Wohnzimmer. Sie wollte lieber nicht riskieren, dass ihr Vater den Schürhaken noch bei ihr fand und ihr damit eins über den Schädel zog.

Als sie das Wohnzimmer betrat, sah sie ihren Vater in seinem Lieblingssessel sitzen, mit einer Flasche in der Hand. Sie konnte den Alkohol deutlich riechen und auch wenn sie sich bereits an diesen Geruch gewöhnt hatte, ekelte sie sich dennoch. Seine Augen waren blutunterlaufen und er selbst so weggetreten und betrunken, dass er kaum noch etwas mitbekam. Nigel war ebenfalls im Wohnzimmer und versuchte mit ihm zu reden um ihm das Vergehen seiner großen Schwester zu petzen. Doch Gilbert Cohan war so schwer betrunken, dass er nicht einmal klar sehen konnte und er brachte nichts als ein unverständliches Nuscheln hervor, hob die leere Flasche und schlug sie seinem Sohn gegen die Schläfe. „Du sollst dich verpissen, du Drecksbalg!“ brüllte der Betrunkene wobei er offensichtlich immense Schwierigkeiten hatte, überhaupt die Worte richtig auszusprechen. „Oder ich schlag dir den Schädel ein!“

Schnell stellte Katherine den Schürhake wieder an seinen Platz am Kamin zurück und flüchtete zusammen mit ihrem Bruder aus dem Wohnzimmer. Es war viel zu riskant, sich im selben Raum mit ihrem Vater aufzuhalten, wenn dieser betrunken war. Doch kaum, dass sie wieder im Flur waren, drehte sich Nigel, dessen Stirn leicht blutete, zu ihr um und trat ihr vors Schienbein und spuckte ihr ins Gesicht. „Beim nächsten Mal wird Dad dir den Schädel einschlagen!“

Katherine ignorierte ihn und säuberte sich mit dem Ärmel das Gesicht. Doch als sie wieder die Treppe hochgehen wollte, blieb sie stehen und drehte sich noch mal zu ihrem Bruder um. Sie konnte nicht einfach so in ihr Zimmer gehen, ohne eine klare Warnung auszusprechen: „Und beim nächsten Mal, wenn du Tabby wieder quälst, werde ich dir richtig wehtun.“

Damit ging sie und ließ ihren Bruder alleine zurück. Dieses Mal wagte er es nicht, wieder auf sie loszugehen. Die Abreibung, die er kassiert hatte, war wohl genug gewesen.
 

Am nächsten Morgen wachte Katherine aus einem unruhigen Schlaf auf und ging hinunter in die Küche, um zu frühstücken. Ihre Geschwister saßen bereits am Tisch und wie immer war Nigel dabei, Tabitha zu ärgern, indem er sie an den Zöpfen zog oder ihr gegen die Schienbeine trat. Katherine gesellte sich zu ihnen, wobei auch sie nicht von den Schikanen ihres Bruders verschont blieb, der ein sichtliches Vergnügen daraus zog, Tabitha zum Weinen zu bringen. Sie versuchte zwar, Nigel in die Schranken zu weinen und drohte damit, ihn wieder zu treten, doch da kam auch schon ihr Vater in die Küche. Nachdem er seinen Rausch ausgeschlafen hatte, war er wieder ansprechbar, doch er schien trotzdem in einer ziemlich schlechten Laune zu sein. Abrupt verstummten Katherine und Tabitha, als sie ihn sahen und versuchten seinem Blick auszuweichen um bloß nicht seine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Doch leider machte Nigel ihnen einen Strich durch die Rechnung, als er sofort rief „Dad, Kathy hat mich gestern verprügelt und wollte mich mit dem Schürhaken umbringen.“

Diese elende Petze. Katherine hatte das Gefühl, als würde ihr alles Blut aus dem Kopf weichen und ihr Magen verkrampfte sich. Sie wusste, was ihr blühen würde und dass es kein Entrinnen mehr gab. Die goldgelben Augen ihres Vaters, die immer blutunterlaufen waren, fokussierten sie und in ihnen war nichts als unbändiger Hass und Zorn zu sehen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer entsetzlichen Grimasse und Katherine ahnte, dass ihr noch sehr Schlimmes bevorstand. „Ich wollte ihn nicht umbringen!“, versuchte sie sich zu verteidigen. „Ich habe nur Tabby beschützt und ich…“

Ein Schlag ins Gesicht traf sie mit einer Wucht, die sie vom Stuhl riss. Sie stürzte zu Boden und stöhnte auf, als der dumpfe Schmerz wie ein Echo in ihrem Gesicht nachwirkte und ihr für einen Moment fast das Bewusstsein raubte. Wie betäubt kauerte sie auf dem Boden und presste eine Hand gegen ihre schmerzende Wange. Bevor sie reagieren konnte, wurde sie am Schopf gepackt und hochgezerrt. Eine Hand legte sich um ihren Hals und drückte unbarmherzig zu. Unerbittlich wurde ihr die Kehle zugeschnürt und sie rang verzweifelt nach Atem und versuchte sich zu befreien, doch gegen ihren Vater konnte sie nichts ausrichten. „Du wolltest was?!“ zeterte er und riss sie von den Füßen. „Du wagst es, deinen Bruder zu schlagen und zu bedrohen? Ich glaube du hast wohl vergessen, wo hier dein Platz ist. Na warte, ich werde dir diese Flausen schon austreiben. Ich schlage dich windelweich, du scheiß Dreckbalg!“

Katherine hatte das Gefühl, als würde sie gleich ersticken. Ihre Lungen schrien nach Luft und vor ihren Augen begannen schon Sterne zu tanzen. Tabitha sah sie fassungslos und mit Tränen in den Augen an, tat aber nichts um ihr zu helfen. Und Nigel starrte wie gebannt auf das Geschehen, während er zufrieden grinste. Denn er wusste genau, dass er nichts zu befürchten hatte und dass sie hingegen für ihr Vergehen bezahlen musste. Wie sehr sie ihren Bruder doch dafür hasste, dass er nicht seine Klappe halten konnte. Als sie schon glaubte, aufgrund des Sauerstoffmangels das Bewusstsein zu verlieren, wurde sie endlich wieder losgelassen und rang verzweifelt nach Luft. Doch da wurde sie auch schon am Handgelenk gepackt und aus der Küche gezerrt. Unerbittlich wurde sie in Richtung Kellertür gebracht und kaum, dass diese geöffnet wurde, wurde sie mit einem Tritt nach vorne gestoßen und schaffte es nicht, sich irgendwo festzuhalten, sodass sie die Treppen hinunterstürzte. Ein heftiger Schmerz jagte durch ihren linken Arm und mit einem Schrei wand sich die Zehnjährige auf dem Boden und presste ihre rechte Hand auf die schmerzende Stelle. Ihr war als würde ihr etwas den Arm von innen heraus zerreißen und ungewollt stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie begann zu schreien und presste ihre gesunde Hand auf ihren schmerzenden Arm in der Hoffnung, sich wenigstens ein bisschen Linderung zu verschaffen.

Schritte kamen näher und langsam stieg Gilbert Cohan die Treppe hinunter. Katherine, die noch viel zu betäubt von dem Schmerz in ihrem linken Arm war, regte sich nicht und nahm kaum wahr, dass ihr Vater zu ihr kam. Und ehe sie sich versah, stand er auch schon vor ihr und verpasste ihr einen kräftigen Tritt in die Magengrube, der ihr fast das Bewusstsein raubte. „Ihr verdammten Huren seid auch alle gleich. Nicht nur nutzlos seid ihr, anscheinend seid ihr auch zu dumm um zu kapieren, dass ihr euch gefälligst unterzuordnen habt. Nicht einmal lernen könnt ihr! Aber nicht mit mir… ich werde keine Frauen in meinem Haus dulden, die aufmucken und meinen, sie könnten hier die Männer im Haus bedrohen oder versuchen, sie umzubringen! Es ist sowieso schon eine Schande, dass du geboren werden musstest. Aber ich werde nicht zulassen, dass du dem Stammhalter unserer Familie etwas antust, du wertloses Stück Scheiße!“

Damit trat er auf ihren ohnehin schon schmerzenden Arm und ein hässliches Knirschen war zu hören. Katherine glaubte für einen Moment, als würde ihr mit grausamer Gewalt der Arm zerquetscht werden und ein unbeschreiblicher brennender Schmerz durchjagte ihren Körper. Sie schrie auf und spürte, wie Übelkeit und Schwindel sie überkamen. Ihr war, als würde ihr alles Blut aus dem Körper weichen und für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Alles um sie herum begann sich zu drehen und ihr Magen begann zu rebellieren. Ein Blick auf ihren schmerzenden Arm genügte, um endgültig das Blut in ihren Adern gefrieren zu lassen. Ihr Unterarm war in der Mitte eingeknickt wie ein Zweig und bot einen abstoßenden Anblick. Entsetzt starrte sie darauf und Panik überkam sie. Was in aller Welt war mit ihrem Arm passiert und wieso war er plötzlich so deformiert? Sie versuchte instinktiv ihren Arm zu bewegen in der Hoffnung, ihn irgendwie wieder zu richten, doch das rächte sich sofort mit einer erneuten Welle unerbittlicher Schmerzen.

„Hör auf zu schreien!“ brüllte ihr Vater in einem erneuten Anfall von Wut. „Das hast du dir selber zuzuschreiben. Und wenn du nicht sofort aufhörst, hier einen auf wehleidig zu machen, dann breche ich dir den anderen Arm.“

Katherine biss die Zähne zusammen, doch Tränen rannen ihr kalkweißes Gesicht hinunter und erneut begann ihr Magen zu rebellieren. Sie versuchte, sich zusammenzureißen und bloß nicht zu schreien, doch da überwältigte sie ein starker Würgereiz und sie erbrach sich direkt vor den Füßen ihres Vaters. Dieser fluchte laut und schrie „Du verdammte Sau hast mir auf die Schuhe gekotzt!“

Halb ohnmächtig versuchte Katherine, eine Entschuldigung zu stammeln, doch da wurde sie schon am Nacken gepackt und mit dem Gesicht in ihr eigenes Erbrochenes gedrückt. „Das machst du jetzt sauber oder ich schlag dir die Zähne einzeln aus!“

Doch sie war kaum noch in der Lage, überhaupt noch zu reagieren. Der Schmerz und der Schock hatten sie völlig betäubt und sie nahm alles nur noch durch Watte gefiltert wahr. Die Stimme ihres Vaters dröhnte in ihrem Kopf und der saure und stechende Geruch ihres eigenen Erbrochenen löste erneut einen Würgereiz aus. Und als sie sich erneut erbrach, traf sie kurz darauf ein kräftiger Tritt gegen die Schläfe und raubte ihr endgültig das Bewusstsein.
 

Wie lange Katherine bewusstlos gewesen war, konnte sie nicht sagen. Als sie langsam wieder zu sich kam, war ihr immer noch speiübel und als sie versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, wurde sie von einem starken Schwindelgefühl gepackt und ihre Beine versagten den Dienst. Sie lag fast zwei weitere Stunden auf dem Boden, ohne aufstehen zu können, da immer wieder ihr Kreislauf versagt. Blut floss ihr ins Gesicht und ihr Kopf dröhnte so stark, dass sie nicht einmal einen einzigen klaren Gedanken fassen konnte. Immer noch war ihr schlecht und ihre Sicht wurde von einem blutroten Schleier verdeckt. Irgendwie schaffte sie es schließlich, sich langsam die Stufen hochzukämpfen, blieb dann aber benommen und erschöpft im Flur liegen. Sie hoffte, wenigstens zu ihrer Mutter zu gelangen, damit diese sie zum Arzt bringen konnte. Doch da kam auch schon ihr Bruder Nigel herbei, der wahrscheinlich nur auf der Suche nach seinem Vater war. Als er aber seine ältere Schwester in diesem Zustand sah, ließ er es sich natürlich nicht nehmen, sich gebührend für die Abreibung zu revanchieren, die sie ihm verpasst hatte. Er begann sie zu bespucken und ins Gesicht und gegen ihren gebrochenen Arm zu treten, bis ihre qualvollen Schreie ihre Mutter herbeiriefen. Diese ging schließlich dazwischen, doch nicht um ihrer Tochter zu helfen. Sie sagte lediglich „Hör mit dem Geschrei auf. Dein Vater ist einer sehr schlechten Laune. Und du Nigel, spar dir das für deine andere Schwester auf.“

Nur widerwillig ging Nigel, verpasste Katherine aber noch einen letzten Tritt gegen den Brustkorb, der ihr alle Luft aus den Lungen presste und sie daraufhin in eine bedrohliche Atemnot brachte, bevor er die Treppen hinaufging. Katherine lag vor Schmerz verkrümmt und stöhnend auf dem Boden und wirklich jede Faser in ihrem Körper litt Höllenqualen. Blut lief in ihr Auge und ihr war, als würde sie gleich wieder das Bewusstsein verlieren. Ihre Brust schmerzte so stark, dass sie kaum Luft holen konnte und ihr war, als würde sie bald ersticken, wenn der Schmerz nicht nachließ. Sie schaute hinauf zu ihrer Mutter und versuchte sie um Hilfe anzuflehen, doch ihre Stimme versagte, sodass ihre aufgeplatzten Lippen Worte formten, die unausgesprochen blieben. Und ihre Mutter tat auch nichts um ihr zu helfen. Stattdessen sagte sie nur „Ertrage deine Qualen in Stille. Denn das ist Gottes Strafe dafür, dass du geboren wurdest!“ bevor sie wieder ging. Kurz darauf versank die Welt um Katherine herum wieder in tiefe Dunkelheit und sie kam erst wieder zu sich, als sie bereits im Bett des Krankenhauses lag. Ihr gebrochener Arm war bereits eingegipst, die Platzwunde an ihrem Kopf genäht und sie hatte auch dank der Betäubungsmittel auch keine Schmerzen mehr. Doch froh darüber war sie nicht im Geringsten. Stattdessen begann sie sich zu fragen, warum man sie nicht einfach zum Sterben im Flur hatte liegen lassen. Dann hätten ihre Qualen zumindest endgültig ein Ende gefunden. Im Grunde war sie nun dazu verdammt, mit ihren Schmerzen weiterzuleben und weiterhin diese Bestrafungen zu ertragen, nur weil sie versucht hatte ihre Schwester zu beschützen. Wenn sie wenigstens an ihren Verletzungen gestorben wäre, dann hätte sie dieses ganze Elend wenigstens hinter sich.

Schließlich kam der Arzt zu ihr, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Wie sie schließlich erfuhr, hatte sie neben der Platzwunde und dem Armbruch noch eine Gehirnerschütterung und eine gebrochene Rippe. Sie nahm diese Diagnose teilnahmslos entgegen und war auch nicht sonderlich froh oder erschrocken darüber, dass sie die Nacht über im Krankenzimmer verbringen musste, bevor sie wieder nach Hause geschickt wurde. Sie wollte einfach nur einschlafen und nie wieder aufwachen. Was für eine Welt war das bloß, in der sie bestraft wurde, wenn sie sich wehrte und noch schlimmer bestraft wurde, wenn sie jemanden beschützen wollte? Gab es überhaupt etwas, das sie richtig machen konnte? Sollte sie etwa einfach stillsitzen und nichts tun, wenn ihre kleine Schwester wieder gequält wurde? Katherine verspürte den Drang zu weinen, doch selbst dazu fehlte ihr die Energie und sie wusste, dass Tränen auch nichts an ihrer Situation ändern würden. Es würde doch auch niemand um sie weinen, also warum sollte sie ihren eigenen Zustand bejammern? Davon wurden die Dinge auch kein Stück besser. Und wenn es wirklich stimmte und sie wurde von Gott bestraft, dass sie geboren wurde, dann sollte er sie doch hier und jetzt töten, um diesem ganzen Elend ein Ende zu bereiten. Eines stand fest: sie konnte ihrer Schwester nicht mehr helfen. Wenn sie das noch einmal tat, würde sie das entweder mit noch mehr gebrochenen Knochen bezahlen, oder aber ihr Vater würde sie endgültig umbringen. Sie würde eine weitere solch schwere Bestrafung nicht überstehen.

Fegefeuer

Nach einer Nacht im Krankenhaus wurde Katherine am nächsten Morgen von ihrer Mutter abgeholt. Nachdem diese ein paar kurze Worte mit dem Arzt gewechselt hatte und ihm erklärt hatte, dass Katherine sich ihre Verletzungen bei einem Sturz vom Baum zugezogen hatte, fuhren sie nach Hause. Niedergeschlagen schaute sie aus dem Wagenfenster und wollte gar nicht zurück, sondern weiter im Krankenbett liegen, auch wenn das ganze Zimmer nach Desinfektionsmitteln stank. Insgeheim hatte sie Angst davor, dass kurz nach ihrer Rückkehr erneut eine Tracht Prügel auf sie warten würde und sie wusste nicht, ob sie es überleben würde. Doch augenscheinlich war ihr Vater noch am Schlafen, da er seinen Rausch ausnüchtern musste.
 

Wie sich im Gespräch mit ihrer Mutte herausstellte, hatte er sich völlig betrunken, nachdem er Katherine im Keller bewusstlos getreten hatte und war dann, als sie blutend im Flur zusammengebrochen war, in diesem besoffenen Zustand über sie gestolpert und gestürzt. Daraufhin hatte er seine Frau aufgefordert, dass sie „dieses elende Drecksbalg von hier wegschaffen sollte, bevor er noch mal über sie stolperte und sich das Genick brach“. Und da Katherine noch am Leben war, hatte Helen ihre Tochter nicht irgendwo ausgesetzt und sich selbst überlassen, sondern sie ins Krankenhaus gebracht. Hier aber, als Katherine erfahren hatte, dass es ihre Mutter gewesen war, obwohl diese sie erst vor ein paar Tagen noch mit dem Messer bedroht hatte, wandte sie den Blick zu ihr und fragte verwirrt „Warum hast du mich ins Krankenhaus gebracht?“

„Weil dein leidvolles Leben der Wille des Herrn ist. Dein Leidensweg ist der Weg der Buße für deine Geburt. Und dich von diesem Leidensweg durch den Tod oder Erlösung durch das sühnende Fegefeuer zu befreien, wäre eine Versündigung gegen den Herrn. Nur das göttliche Strafgericht vermag ein Urteil über die Sünder in dieser Stadt zu fällen.“
 

Zwar hatte Katherine nicht alles von dem religiösen Gerede ihrer Mutter verstanden, begriff aber, dass sie nur deshalb gerettet worden war, weil ihre Mutter sie nicht töten wollte. So wirklich froh fühlte sie sich auch nicht, vor allem da sie jetzt wusste, dass sie in den Augen ihrer Mutter nur ein Wesen aus der Hölle war. Und sie begann sich zu fragen, warum man sie nicht einfach sterben ließ oder gleich tötete, wenn man sie sowieso hasste. Oder hatten ihre Eltern einen kranken Spaß daran, sie am Leben zu halten, nur damit sie weiterhin gequält werden konnte? Wenn dieser Gott sie so sehr hasste, warum hatte er überhaupt zugelassen, dass sie geboren wurde? Sie verstand es einfach nicht und sie ahnte, dass es keinen Sinn machen würde, ihrer Mutter das zu sagen. Und sie hatte auch keine Lust, schon wieder Ärger zu kriegen, nachdem ihr gestern schon der Arm gebrochen worden war. Also schwieg sie einfach und nahm die Worte ihrer Mutter ohne Widerworte hin.

Als sie wieder nach Hause kam, ging sie direkt in ihr Zimmer und legte sich ins Bett. Sie fühlte sich müde und erschöpft, obwohl sie länger geschlafen hatte als sonst. Doch sie brachte nicht die Energie auf, irgendetwas anderes zu tun und wollte auch nichts mehr tun. Also verbrachte sie die meiste Zeit der Herbstferien damit, sich von ihren Verletzungen zu erholen. Diese verheilten aber nur sehr langsam, weil sie fast täglich neue hinzubekam, da ihr Vater immer noch wütend darüber war, dass sie ihren Bruder angegriffen hatte. Und trotz seines exzessiven Alkoholkonsums hatte er ein erschreckendes Gedächtnis, was solche Dinge betraf. Kein Alkohol der Welt hätte ihn vergessen lassen, dass seine älteste Tochter es gewagt hatte, gegen den Stammhalter der Familie zu rebellieren. Wahrscheinlich wäre sie wieder im Krankenhaus gelandet, wenn sie nicht die meiste Zeit in ihrem Zimmer verbracht und sich dort versteckt hätte. Insgeheim war sie schon fast froh darüber, dass die Schule bald wieder beginnen würde. Nicht nur, dass ihr Vater immer aggressiver zu werden schien… sie sah auch, wie es mit ihrer Mutter immer schlimmer wurde.
 

Helen begann sich immer mehr in ihren religiösen Fanatismus hineinzusteigern und von Sünde, Dämonen und göttlicher Strafe zu reden, dass es anscheinend selbst ihrem Mann Gilbert unheimlich zu werden schien. Er versuchte seine Frau zum Schweigen zu bringen wenn sie ihre Bibelverse zitierte, doch auch wenn sie sich von ihm schlagen ließ, tat es ihrer Religiosität keinen Abbruch und wann immer er sie aufforderte, endlich still zu sein und den Haushalt zu machen, begann sie weitere Bibelverse zu zitieren und vom Zorn Gottes zu reden, dessen Engel eines Tages die Schalen des Zornes über die Erde gießen und die Menschheit für ihre Laster mit Feuer und Rauch bestrafen würden.

Sie begann völlig ihre Pflichten zu vergessen und vernachlässigte immer mehr den Haushalt und ging stattdessen zu ihren Sektentreffen, betete oder las die Bibel. Selbst Katherine hatte inzwischen mehr Angst vor ihr als vor ihrem Vater. Von ihm wusste sie ja, dass er ein gewalttätiger Säufer war. Aber bei ihrer Mutter war sie völlig überfragt, wie sie einzuordnen war. Manchmal begann sie hysterisch zu lachen, obwohl es nichts gab, worüber man hätte lachen können. Und einmal hatte sie sogar Tabitha am Kragen festgehalten und dabei ein Messer in der anderen Hand gehalten. Währenddessen hatte sie irgendetwas Religiöses vor sich hin gemurmelt und war kurz davor gewesen, ihre jüngste Tochter mit dem Messer zu erstechen. Doch dann hatte sie plötzlich inne gehalten, das Messer fallen lassen und dann angefangen zu beten, um göttlichen Rat zu erflehen. Katherine hatte ein sehr ungutes Gefühl dabei und musste wieder instinktiv an Derians und Lyndons Worte denken. Zwar wusste sie nicht mit absoluter Gewissheit, was es denn bedeutete, verrückt zu sein, aber so langsam kam ihr Gedanke, dass diese Beschreibung auf ihre Mutter passte. Obwohl sie nicht gänzlich verstand, was mit ihr los war, so erkannte sie langsam aber sicher, dass sich der Zustand immer weiter verschlimmerte und wäre sie älter und verständiger gewesen, hätte sie mit absoluter Gewissheit gesagt, dass ihre Mutter dabei war, den Verstand zu verlieren. Auch ihr Erscheinungsbild veränderte sich zusehends. Ihr Haar war oft zerzaust und schlecht frisiert, sie vernachlässigte ihr Äußeres noch mehr als sonst und magerte immer weiter ab. Sie wirkte, als bestünde sie nur noch aus Haut und Knochen und ihre trüben Augen waren von dunklen Schatten umrandet, sodass ihr Gesicht umso mehr wie ein Totenschädel wirkte.
 

Manchmal sah Katherine, wie ihre Mutter apathisch ins Leere starrte und die Lippen bewegte, als ob sie etwas vor sich hinmurmeln würde. Doch es kam kein Ton über ihre Lippen und manchmal lächelte sie danach und es wirkte unheimlich und bizarr auf die ganze Familie. Selbst Nigel, mit dem Katherine für gewöhnlich kein gutes Verhältnis pflegte und der vor nichts und niemandem Respekt hatte, wurde das Verhalten der Mutter unheimlich, sodass er sie manchmal ebenfalls beobachtete. Es war sehr bizarr, aber diese Veränderungen schweißten die Geschwister zumindest für eine kurze Zeit zusammen und niemand von ihnen mochte an Streit zu denken, wenn sie die Gebete oder Rezitationen ihrer Mutter belauschten. Dies ging sogar so weit, dass eines Abends, als Katherine ihre Mutter im Nähzimmer durch den Türspalt beobachtete, plötzlich Nigel kam und ebenfalls schauen wollte. Selbst ihm war die Angst ins Gesicht geschrieben. Er war es gewohnt, dass seine Mutter psychisch gebrochen war und sich wie eine willenlose Puppe verhielt. Und nun, da sie immer religiöser und seltsamer wurde, konnte er nicht damit umgehen. Vor allem weil sich seine Mutter nicht mehr von ihm herumkommandieren ließ. „Ist Mum schon wieder am Beten?“ fragte Nigel ungläubig und drängte seine ältere Schwester beiseite, um selbst etwas sehen zu können. Katherine nahm es schweigend hin, da sie keine Lust hatte, sich wieder mit ihm zu zanken. Sie nickte und erklärte „Sie kniet schon seit dem Mittagessen dort und betet. Und manchmal trifft sie sich mit den Leuten dieser komischen Gruppe.“

„Was für eine Gruppe?“

„Ich glaube die heißen Iudikum… Iudi…“ Katherine hatte große Schwierigkeiten, das Wort vernünftig auszusprechen, weil es einfach so kompliziert klang. Also versuchte sie es silbenweise auszusprechen: „Iu-di-cium Dei.“

Hieraufhin erschauderte Nigel und wirkte sehr beunruhigt. Es kam nicht oft vor, dass er aussah, als würde ihm irgendetwas Angst machen. „Dad hat gesagt, dass Mums Freunde Leute aus unserer Familie und aus den anderen Clans auf dem Scheiterhaufen verbrannt haben.“

„Wie Hexen?“

Ihr Bruder nickte und wurde sichtlich nervöser. Es fiel Katherine schwer zu glauben, dass Menschen wirklich Menschen auf dem Scheiterhaufen verbrannten wie Hexen. Sie hatte zwar im Radio Geschichten darüber gehört, wie Schwarze in den Südstaaten verbrannt wurden, aber nie davon, dass Leute in Annatown oder in den umliegenden Gegenden verbrannt wurden. Sie war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte und beschloss, lieber nicht zu viel darüber nachzudenken. Und so ging sie ihrer Mutter lieber aus dem Weg. Eine Zeit lang ging es noch gut, bis sich die Herbstferien allmählich dem Ende zuneigten.
 

An einem kalten Oktobernachmittag Gilbert Cohan sturzbetrunken in seinem Sessel im Wohnzimmer versunken war und nicht mehr ansprechbar war. Es war kaum noch etwas im Vorratsschrank und nichts davon genießbar zu sein. Das Brot war verschimmelt und auch der Käse war vollkommen ungenießbar geworden. Und mit den anderen Lebensmitteln konnte Katherine nichts anfangen, weil sie weder backen noch kochen konnte. Da der Hunger sie aber quälte und sie bereits Magenkrämpfe davon bekam, blieb ihr nichts anderes übrig, als nach ihrer Mutter zu suchen und sie zu fragen. Doch sonderlich wohl fühlte sie sich nicht dabei, insbesondere weil sie Angst hatte. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend ging sie im Haus nach ihr suchen, fand sie aber nirgendwo. Sie war nicht im Nähzimmer und auch in keinen anderen der Räume. Sie schien sich nicht mal im Haus aufzuhalten. Ob sie wieder bei einem Gruppentreffen war? In dem Fall machte es keinen Sinn, weiter nach ihr zu suchen. Doch was sollte sie gegen den Hunger tun? Da kam ihr die Idee, auf dem Dachboden des Schuppens nachzusehen. Sie wusste, dass ihr Vater manchmal einen Schlachter holen ließ und dass dort für gewöhnlich die ganzen Würste und Schinken und das Pökelfleisch gelagert wurde. Zwar war sie sich im Klaren darüber, dass sie sich dafür eine Tracht Prügel einfangen würde, wenn man sie dort fand, aber sie hielt den Hunger nicht mehr aus. Schon seit gestern Abend hatte sie nichts mehr gegessen und der Hunger ließ sie die Furcht vor den Konsequenzen vergessen.
 

Nachdem sie ihren Mut zusammengenommen hatte, ging sie auf den Hof am Kuhstall vorbei direkt zum Schuppen. Doch überraschenderweise war die Tür nicht verschlossen so wie sonst. Stattdessen war sie einen Spalt breit geöffnet. Als sie sah, wie die Tür aufging, versteckte sie sich hastig hinter dem Traktor und beobachtete, wie ihre Mutter mit einigen Holzscheiten herauskam. Etwas verwundert schaute Katherine ihr nach und wunderte sich, was ihre Mutter wohl mit den Holzscheiten vorhatte. Doch allzu lange hielt sie sich nicht in ihrem Versteck auf und so lief sie mit schnellen Schritten zum Schuppen, dessen Tür immer noch offen stand. Sie stieg die Leiter hoch und fand auf dem Dachboden die Fleischvorräte vor. Würste, Trockenfleisch, Pökelfleisch, Säcke mit Kartoffeln…

Auf Zehenspitzen schlich sie über die Dielen, aus Furcht man könnte sie hier erwischen. Nicht einmal Nigel wagte es, hier raufzugehen. Sie alle wussten, dass sie totgeprügelt werden würden, wenn Gilbert sie hier fand. Zwar war er sturzbetrunken und es war höchst unwahrscheinlich, dass er in diesem Zustand überhaupt vom Sessel aufstehen würde. Aber trotzdem hatte sie diese Furcht im Hinterkopf, er würde jeden Moment hinter ihr auftauchen und ihr dann den Schädel einschlagen. Ihr eingegipster Arm war eine allzu schmerzliche Erinnerung daran. Sie konnte von Glück reden, dass nur ihr Unterarm eingegipst war, ansonsten würde es noch wesentlich schwerer werden, sich anzuziehen. Nachdem sie zwei von den Würsten gegessen und ihren leeren Magen zumindest halbwegs gefüllt hatte, wollte sie wieder gehen, doch da hörte sie unten wieder Schritte und erstarrte zuerst vor Schreck. Sie fürchtete, dass ihr Vater tatsächlich wieder ausgenüchtert war und hier raufkommen würde. Zuerst dachte sie daran, schnell zu flüchten und durch das Fenster hinauszuklettern, doch mit ihrem eingegipsten Arm würde das nicht gut gehen. Sie würde hinunterstürzen und sich schlimmstenfalls noch ein Bein brechen. Die einzige Möglichkeit war, sich zwischen den Fässern zu verstecken und zu hoffen, dass sie nicht gesehen werden würde. Doch dann hielt sie inne als sie bemerkte, dass es nicht die schlurfenden und trägen Schritte ihres Vaters waren, sondern die zaghaften und leicht stolpernden Schritte ihrer Mutter. Also schlich sie wieder leise zu der Treppe hin und lugte vorsichtig hinunter. Und tatsächlich war sie es, die weitere Holzscheite entnahm und dabei etwas vor sich hinmurmelte, das ähnlich klang wie „Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahingeworfen.“

Solche Dinge murmelte sie unentwegt und unterbrach sich nur, um Luft zu holen. Es war inzwischen zu einem schaurigen Dauerzustand geworden und Katherine beschlich ein ungutes Gefühl dabei. Wozu brauchte ihre Mutter das ganze Holz? Wollte sie etwa ein Feuer machen? Sie musste daran denken, dass Nigel sagte, dass diese religiöse Gruppe Menschen verbrannte. Hatte ihre Mutter nun etwa auch vor, jemanden zu verbrennen? Angst überkam sie, dass es einen ihrer Geschwister treffen könnte. Also schlich sie ihr heimlich hinterher, um im Notfall helfen zu können. Sie folgte mit ihrer Mutter bis zum Eingang der alten Scheune, die seit dem schweren Sturm leer stand weil ein Baum auf das Dach gestürzt war. Doch nun sah sie etwas Seltsames. Ein großer Pfahl stand auf dem Platz vor der Scheune und rundherum lagen Holzscheite. Sie beobachtete, wie ihre Mutter einen Benzinkanister holte und diesen über die Scheite ausschüttete. Was genau hatte sie vor? Es sah nicht danach aus, als wollte sie Nigel oder Tabitha verbrennen. Obwohl Katherine ahnte, dass es keine gute Idee war, ging sie näher heran und beschloss, ihre Mutter zu fragen. Immerhin hatte diese sie trotz dieser einen Szene in der Küche nicht ein einziges Mal körperlich angegriffen, sondern sie stattdessen immer verarztet oder ins Krankenhaus gebracht. Also ging sie das Risiko ein und lief zu ihr hin. Ein leichter Windstoß wehte in ihre Richtung und sie roch das Benzin. „Mum, was machst du da?“

Sofort drehte sich diese abgemagerte Gestalt zu ihr um und ihr Gesicht verzerrte sich zu einer schrecklichen Fratze. Hass und Zorn zeichnete sich ab und die sonst so apathischen Augen fixierten die Zehnjährige. „Du…“, stieß sie hervor und deutete mit einem ihrer knochigen Finger auf sie. „Bleib weg von mir, du unreiner Dämon. Du Ausgeburt der Hölle täuschst mich nicht mehr länger. Du glaubst vielleicht, du kannst mein Herz erweichen, indem du die Gestalt eines Kindes annimmst, um meine Seele zu verderben. Ich habe die Saat des Teufels in die Welt gesetzt und mich gegen Gott versündigt. Aber ich sehe jetzt klarer!“
 

Katherine blieb stehen und sah sie erschrocken an. Zwar war sie schon einmal so bezeichnet worden, aber noch nie hatte ihre Mutter sie so behandelt, als wäre sie gar kein Mensch. Und das schockierte sie zutiefst. Selbst ihr Vater hatte sie nie so angeredet. Sie blieb stehen und starrte sie fassungslos an. „Mum, wovon redest du da?“

„Hör auf, mich so zu nennen!“ schrie die abgemagerte Frau zornentbrannt. „Das göttliche Strafgericht hat mir offenbart, dass der Grund für all mein Leid ihr seid. Eure Existenz ist eine Sünde. Ihr seid ein krankhaftes Geschwür, ein widerwärtiger Parasit, der diese Welt krank macht. Ihr verdient es nicht einmal, jemals vor das göttliche Strafgericht zu kommen. Ihr verdient keine Erlösung und auch nicht die sühnenden Flammen des Fegefeuers. Aber ich werde Buße tun… ich werde durch das Fegefeuer gehen und meine Seele reinigen. Ich werde mich ohne Furcht dem göttlichen Strafgericht stellen und für meine Sünde bezahlen, dass ich dämonische Kreaturen wie euch auf diese Welt losgelassen habe. Die Cohans, Ronoves, Kinsleys, Witherfields und Wyatts haben diese Welt zu lange mit ihrem dämonischen Blut vergiftet. Aber ich werde nicht mehr dazugehören. Das göttliche Strafgericht wird euch alle in die Tiefen der Hölle zurückschicken wo ihr alle hingehört!“
 

Daraufhin ergriff Helen den Benzinkanister und hob ihn hoch über ihren Kopf. Dann goss sie den restlichen Inhalt über ihren Kopf, bis ihre ganze Kleidung durchtränkt war. Erschrocken wich Katherine vor ihr zurück, denn sie begriff immer noch nicht ganz, was ihre Mutter vorhatte und wieso sie sich nass gemacht hatte. Sie wollte etwas fragen, doch da begann die Benzindurchtränkte wieder vor sich hinzumurmeln. Sie holte etwas aus ihrer Tasche heraus, was sich als Streichholzschachtel entpuppte. Sie nahm ein kleines Hölzchen heraus, atmete tief durch und begann ihre Rezitationen laut in die Welt hinauszuschreien. „Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher wurden aufgetan. Und ein anderes Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken. Und das Meer gab die Toten, die darin waren, und der Tod und die Hölle, gaben die Toten, die darin waren; und sie wurden gerichtet, ein jeglicher nach seinen Werken. Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl, das ist der andere Tod. Und so jemand nicht ward gefunden geschrieben in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl!“
 

Damit entzündete sie das Streichholz und ließ es fallen. Noch ehe es überhaupt die Holzscheite berührt hatte, ertönte ein wütendes Fauchen wie aus den Tiefen der Hölle selbst und Feuer brach aus. Helen selbst fesselte sich mit Handschellen rücklings an den Pfahl und hatte ihren Blick zum Himmel gerichtet. Es dauerte nicht lange, bis auch ihre Kleidung in Flammen stand und das Feuer sich durch ihre Haut fraß. Ein schmerzerfüllter Schrei entwich Helens Kehle und dieser Schrei und der entsetzliche Anblick ihrer brennenden Mutter fraßen sich tief in Katherines Gedächtnis. Entsetzt starrte sie auf das Schauspiel und konnte nicht fassen, was da gerade passierte. Sie bekam eine entsetzliche Todesangst und diese löschte jeden klaren Gedanken in ihrem Kopf aus. So schnell sie ihre Beine trugen, rannte sie zurück ins Haus direkt ins Wohnzimmer. Noch immer hatte sie den entsetzlichen Anblick ihrer Mutter vor Augen und das ließ sie sogar die Angst vor ihrem Vater vergessen. Sie eilte zu dem Sessel hin und begann ihn durchzurütteln. „Dad! Dad komm schnell! Mum ist draußen vor der Scheune und hat sich angezündet. Mum brennt!“
 

Doch es kam keine Reaktion. Nur ein leises Stöhnen, mehr nicht. Träge drehte Gilbert den Kopf zu ihr, war jedoch zu betrunken, um überhaupt etwas zu verstehen und ein Speichelfaden lief ihm aus dem Mundwinkel, bevor sein Kopf kraftlos wieder zur Seite sackte. Egal wie sehr Katherine auch schrie und flehte, er reagierte auf gar nichts mehr. Sie fühlte sich hilflos und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie selbst konnte nichts tun und ihr Vater war sturzbetrunken. Doch hierbleiben konnte sie nicht. Sie hatte entsetzliche Angst davor, hierzubleiben und auf sich selbst gestellt zu bleiben, während vor der Scheune ihre Mutter bei lebendigem Leibe verbrannte. Nicht eine Sekunde länger konnte sie hierbleiben. Also rannte sie davon. Sie rannte bis ihr die Kraft ausging und fuhr dann im nächsten Bus nach Islesbury. Jetzt war die einzige Person, die ihr noch wirklich helfen konnte, Molly. Sie hatte Angst davor alleine zu sein und völlig hilflos zu sein. Doch Molly war für sie da gewesen, als sie immer alleine war. Und innerlich hoffte sie, dass Molly für sie da sein würde und ihr Trost spenden konnte. Hauptsache sie musste nicht alleine sein.
 

Immer noch hörte sie in ihrem Kopf die schrecklichen Schreie ihrer Mutter und konnte immer noch ihren entsetzlichen Anblick sehen, als sie von den Flammen verschlungen wurde. Ein Schauer des Entsetzens überkam sie und ihr Magen begann zu rebellieren. Nur mit Mühe konnte sie sich davon abhalten, sich zu übergeben und kaum, dass sie die Landstraße passierten, die Backwater und Islesbury voneinander trennten, sah sie sie wieder. Das Mädchen mit den schwarzen Locken und den dämonischen roten Augen. Wie ein unheimliches Mahnmal des Bösen stand sie da und sah Katherine direkt an. Es war keine Täuschung. Ihre Augen waren direkt auf Katherine fixiert. Und sie lächelte. Ein wissendes und kaltes Lächeln lag auf den Lippen des Mädchens so als wusste sie ganz genau, was passiert war. Und in dem Moment begann ein Gedanke in Katherine heranzuwachsen. Was wenn es ihre Schuld gewesen war? Was wenn Ihre Mutter dem Wahnsinn verfallen war und sich angezündet hatte, weil sie das Unglück herbeigerufen hatte? Molly hatte ja gesagt gehabt, dass das Mädchen mit den roten Augen ein Bote des Unheils ist. Und ihre Mutter war dem Wahnsinn verfallen, nachdem sie Sally gesehen hatte. Es war ihre Schuld, dass ihre Mutter verrückt geworden war weil sie das Unglück heraufbeschworen hatte. Das Lächeln dieses Mädchens war der Beweis dafür.
 

Als sie endlich Islesbury erreichte, welches trotz dieser kalten Jahreszeit immer noch so schön war und überall in Blüte stand, rannte sie zu Mollys Haus und spürte, dass ihr die Tränen kamen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt und sie verfiel in ein heftiges Schluchzen, als sie Mollys Haus erreichte und an der Tür klingelte. Immer und immer wieder drückte sie die Klingel, bis endlich jemand öffnen kam. Es war Mrs. Brightside. Sie trug eine enge dunkelbraune Hose und dazu eine Bluse, die aber mehr wie ein Hemd wirkte. Und wie schon bei ihrer letzten Begegnung wirkte sie mehr wie ein Mann als eine Frau. Bevor sie überhaupt die Möglichkeit bekam, auch nur ein Wort zu sagen, rief Katherine aufgelöst „Ist Molly da? Bitte, ich muss zu ihr. Es tut mir leid, wenn sie meinetwegen geärgert wird. Ich wollte nie, dass sie meinetwegen Probleme bekommt. Bitte… kann ich zu ihr?“

Sie brachte die Worte kaum hervor, ohne immer wieder in heftige Schluchzer zu verfallen und Tränen liefen unentwegt ihre Wangen hinunter. Mrs. Brightside sah sie jedoch unsicher an und verschränkte die Arme. Sie schwieg eine Weile und wirkte ein wenig unruhig. „Tut mir wirklich leid, aber Molly kann nicht herauskommen.“

„Aber… aber…“ Mehr brachte Katherine nicht hervor. Sie verlor ihre Stimme und konnte nur noch heftig schluchzen. Sie wischte sich die Tränen weg und schaffte es nicht, auch nur irgendein Wort zu sagen.

„Das geht leider nicht“, erklärte Mrs. Brightside. „Molly kann sich nicht mehr mit dir treffen. Also bitte komm nicht wieder hierher.“

„Was habe ich denn falsch gemacht?“ fragte Katherine verzweifelt. „Ich habe niemandem etwas getan! Ich tue niemandem weh, ich bin nicht so wie mein Dad!“

Doch Mrs. Brightside ließ nicht mit sich reden und erklärte „Du kannst das noch nicht verstehen, aber ich muss mein Kind beschützen. Deswegen wird sie auch nicht mehr mit dir spielen. Ich muss dich bitten zu gehen.“

Damit schloss Mrs. Brightside die Tür vor ihrer Nase und ließ Katherine alleine.
 

Betäubt von dem Schmerz wandte sich Katherine von der Tür ab und zurück zur Straße. Wirklich alles schien in diesem Moment auf sie herabzustürzen. Ihre Mutter war verbrannt und nun war auch die Freundschaft zu Molly endgültig verloren. Es gab nichts und niemanden, der sie liebte. Sie war ganz alleine auf dieser Welt. Wieso also sollte sie noch einen einzigen Tag in dieser von Gott verlassenen Welt bleiben? Da war es doch besser wenn sie einfach starb. Also ging sie langsam weiter und hatte fast den Bordstein erreicht. Es war doch besser, wenn sie sich einfach von einem Auto überfahren ließ. Dann mussten wenigstens nicht noch mehr Menschen verrückt werden. Nur ihretwegen war ihre Mutter verrückt geworden und hatte sich angezündet. Es war allein ihre Schuld, dass sie so viel hatte leiden müssen. Und wenn sie starb, dann würden alle wieder glücklich werden. Sie hörte schon ein Auto herannahen, doch da hörte sie plötzlich eine Stimme, die nach ihr rief. Sie klang wie in weiter Ferne und hörte sich mehr wie ein leises Echo in ihrem Kopf an. „Halt! Stopp!“ rief diese Stimme dann wurde sie plötzlich am Arm festgehalten. Sofort hielt sie inne und drehte sich um. Zuerst hoffte sie, dass es vielleicht Molly war. Doch als sie plötzlich ein Abbild von sich selbst sah, das leibhaftig direkt vor ihr stand, war sie so von Schrecken gepackt, dass sie aufschrie und nach hinten stolperte. Sie verlor den Halt, als sie über den Bordstein stolperte und schlug sich den Kopf auf dem Asphalt auf, woraufhin sie augenblicklich das Bewusstsein verlor.

Der Fall

Als Mrs. Brightside das laute Geschrei von Katherine gehört hatte, war sie doch ein wenig besorgt gewesen und hatte sie bewusstlos und mit einer blutenden Kopfwunde auf der Straße liegen sehen. Daraufhin hatte sie Katherine ins Krankenhaus gebracht, denn sie war kein Unmensch, dass sie sie einfach hätte liegen lassen. Nachdem Katherine wieder aufgewacht war, musste sie die nächsten drei Tage im Krankenhaus verbringen, da sie unter einem schweren Schock stand und die Naht an ihrer Schläfe wieder aufgerissen war. Sie weinte fast ununterbrochen, aber nicht, weil sie um ihre verstorbene Mutter trauerte. Es waren die Bilder, die tiefe Wunden in ihre Seele gerissen hatten und ihr quälende Alpträume bescherten. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, sah sie die Welt in Flammen untergehen und ihre Mutter grausam verbrennen. Und selbst wenn sie die Augen wieder aufschlug, konnte sie noch ihre entsetzlichen Schreie hören. Genauso sehr schockierte sie die Tatsache, dass sie jemanden gesehen hatte, der genauso aussah wie sie. Sie hatte es nach ihrem Aufwachen dem Arzt gesagt, aber dieser hatte ihr nur erklärt, dass es bloß der Schock gewesen war und nicht mehr. Dennoch war Katherine der festen Überzeugung, dass sie sich selbst direkt vor sich hatte stehen sehen. Zwar wurden ihr Mittel verabreicht um sie zu beruhigen, doch es linderte nicht ihren seelischen Schmerz und löschte auch nicht die Erinnerungen aus. Ihre Mutter war tot und es war ihre Schuld. Und dann war auch noch jede Hoffnung gestorben, dass sie die Freundschaft mit Molly wieder aufleben lassen konnte. Und dann hatte sie es nicht einmal geschafft, sich von einem Auto überfahren zu lassen.

Als sie das Krankenhaus verließ, fand auch schon die Beerdigung ihrer Mutter statt. Da die Leiche bereits völlig verkohlt gewesen war, als die Feuerwehr endlich angerückt war, blieb der Sarg geschlossen. Katherine war dafür äußerst dankbar gewesen, doch trotzdem hatte sie sich gefürchtet, an der Beerdigung teilzunehmen. Da sie nicht christlich getauft war, wäre sie eigentlich ohne irgendeine religiöse Segnung beigesetzt worden. Da sie sich jedoch der Sekte Iudicium Die oder auch „das göttliche Strafgericht“ angeschlossen hatte, wurde sie von jener Sekte bestattet. Der Anführer der Sekte war noch furchterregender als Gilbert Cohan es je hätte sein können. Mit fürchterlicher Stimme hatte er vom Zorn Gottes und seiner Rache gepredigt und dass allein das Feuer die Seele von ihren Sünden reinigen konnte und Helen für ihre Sünde Buße getan hatte, indem sie bereitwillig durch das Feuer ging. Seine Rede ging so weit, dass Gilbert mitten in der Rede ausrastete und dem Prediger den Mund verbieten wollte. Doch selbst dessen fürchterliches Gebrüll konnte den Prediger nicht aufhalten. Er ließ den Säufer nicht einmal weiterreden, sondern erklärte mit strenger Stimme „Jemand, der aus der Blutschande heraus entstanden ist, sollte in Demut schweigen und sein Haupt vor Gott senken. Sonst wird der Allmächtige eben jenes von den Schultern reißen! Und wenn Sie Ihren Mund nicht auf der Stelle halten, wird unser Zorn auf Sie niederfahren, Mr. Cohan! Dann wird das göttliche Strafgericht über Sie ein Urteil fällen!“

Und tatsächlich war Gilbert Cohan verstummt und hatte den Rest der Predigt mit einer äußerst verstimmten Miene hingenommen. Dann schließlich wurde der Sarg in das Loch hinabgelassen und jedes der Sektenmitglieder warf eine Schaufel Asche auf den Sargdeckel. Den Sinn dahinter verstand Katherine nicht, doch sie wollte auch nicht allzu viel darüber nachdenken. Sie wollte diese ganze schreckliche Prozedur so schnell wie möglich hinter sich bringen und einfach nur nach Hause gehen. Ihr entging nicht, wie ihre kleine Schwester den Prediger fasziniert bei seiner Rede fasziniert angestarrt hatte und großes Interesse an seinen Worten zeigte. Dabei hatte sie wahrscheinlich gar nichts davon verstanden, was er gesagt hatte. Aber es hatte sie wohl beeindruckt, dass er ihren Vater tatsächlich zum Schweigen gebracht hatte. Auf dem Weg nach Hause hatte Katherine wieder leise zu schluchzen begonnen und ihr kamen wieder die Tränen. Sie versuchte möglichst leise zu weinen, doch ein kleiner Schluchzer reichte aus, dass ihr Vater ihr eine schallende Ohrfeige gab und sie anbrüllte, sie solle aufhören so herumzuflennen. Doch Katherine war, als wäre da eine große Leere in ihrem Inneren. Ein Loch, welches immer größer zu werden schien und ihre Wunden noch tiefer riss. Ihre Geschwister hingegen zeigten keine sonderlichen Emotionen dabei. Nigel war sichtlich gelangweilt von der Beerdigung und zeigte keine sonderliche Anteilnahme und Tabitha schien immer noch fasziniert vom Prediger zu sein, vor dem sogar ihr Vater klein bei gab.
 

Kaum, dass sie wieder zuhause waren, wollte sich Katherine in ihr Zimmer begeben und sich ausruhen. Sie fühlte sich emotional erschöpft und wollte einfach nur schlafen und am besten nie wieder aufwachen. Kaum aber, dass sie ihre Jacke abgelegt hatte, wurde sie am Schopf gepackt und festgehalten. Sie schrie schmerzerfüllt auf, als sie an den Haaren gezogen wurde und ein Stoß nach vorne brachte sie sogleich aus dem Gleichgewicht und sie stürzte zu Boden. „Ab jetzt werden die Dinge hier anders laufen“, knurrte Gilbert und trat näher auf sie zu. Seine blutunterlaufenen Augen wirkten dämonischer und gefährlicher denn je und ein schiefes Lächeln entblößte seine gelben Zähne. „Von nun bist du hier die Frau im Haus. Du hast hier lange genug ein Schmarotzerleben geführt und jetzt kannst du mal zeigen, dass du hier zumindest zu etwas nutze bist. Wenn du dich hier schon durchfüttern lässt, dann arbeite auch gefälligst dafür. Du wirst hier das Essen machen und den Haushalt machen!“

„Aber… ich weiß doch nicht wie das geht“, entgegnete Katherine und bereute sofort, dass sie Widerworte eingelegt hatte. Doch was sollte sie denn sonst tun? Sie wusste weder wie man richtig kochte, noch war sie imstande, das ganze Haus sauber zu halten. Sofort kassierte sie eine Ohrfeige als Strafe. „Ich will hier keine Ausreden hören. Du frisst dich hier durch ohne dafür etwas zu tun, genauso wie ein Schwein. Und weißt du was man mit Schweinen macht? Man schneidet ihnen die Kehle durch und schlachtet sie. Deine Mutter ist nicht mehr da und als Älteste von euch Blagen wirst du ab heute hier die neue Frau sein.“

„Aber ich bin keine Frau… ich weiß doch nicht was man machen muss…“

„Dann mache ich dich eben zu einer Frau.“
 

Damit wurde sie am Arm gepackt und hochgezerrt. Der Griff ihres Vaters war so stark, dass sie schon beinahe befürchtete, er würde ihr diesen ebenfalls brechen. Sie bekam Angst und stammelte eine Entschuldigung nach der anderen, während sie den Flur entlanggeschleift wurde. Zuerst befürchtete sie, dass er sie wieder in den Keller bringen würde, doch ihr Vater steuerte gar nicht die Kellertür an. Stattdessen ging er zum Schlafzimmer. „Nigel!“ brüllte ihr Vater mit donnernder Stimme. „Komm sofort her oder ich mach dir Beine!“

Als die Schlafzimmertür geöffnet wurde und Katherine das nun verlassene Ehebett sah, überkam sie nun regelrechte Panik. Wieder hatte sie diese Bilder vor Augen, was sie gesehen hatte, als sie ihre Eltern dort diese „Dinge“ hatte tun sehen. Erwachsenendinge, wie es die Kinder in der Schule nannten, weil sie entweder das richtige Wort nicht kannten oder zu viel Hemmungen hatten, es beim Namen zu nennen. Und mit einem Schlag wurde ihr klar, dass ihr dies nun auch blühte. Ihr Vater wollte diese Erwachsenendinge nun mit ihr tun. „Nein, bitte Dad! Ich will das nicht! Bitte lass mich gehen!“

Sie versuchte sich loszureißen, doch es hatte keinen Zweck. Ihr Vater hielt ihren Arm fest wie ein Schraubstock und schleifte sie mit sich. Schließlich wurde sie hochgezerrt und auf das Bett geworfen. Verzweifelt versuchte sie wegzukriechen, wurde aber festgehalten und dann nahm Gilbert auch schon seinen Gürtel ab, holte damit aus und verpasste ihr einen Schlag mit der Gürtelschnalle, die sie direkt über ihrem linken Auge traf und sie betäubte, sodass sie sich nicht wehren konnte, als ihr die Kleider vom Leib gerissen und im Anschluss ihre Handgelenke ans Kopfende des Bettes fixiert wurden. Panik überkam sie und sie begann hektisch an ihren Fesseln zu zerren, um sich irgendwie zu befreien. Doch es brachte nichts. Sie war nicht stark genug und zu ihrem größten Entsetzen begann ihr Vater nun ihre Beine auseinanderzudrücken. „Nein, bitte hör auf! Ich will das nicht! Ich mache alles was du willst aber bitte lass mich gehen!“

Alles Flehen und Betteln half nichts. Und egal wie sehr sie auch versuchte, ihren Vater wegzutreten, sie konnte ihn nicht abwehren. Er war einfach zu groß und zu stark für sie und so wandte sie ihren Blick zu ihrem Bruder, der neben der Tür kauerte und auf sie starrte, um das ganze Geschehen mitverfolgen zu können. „Nigel, bitte hilf mir!“ flehte sie in der verzweifelten Hoffnung, irgendetwas könnte sie vielleicht wenigstens vor diesem Horror bewahren. Irgendein kleines Wunder oder ein Akt der Gnade, nachdem sie schon genug Leid erfahren hatte. Doch ihr Bruder tat nichts dergleichen, um ihr zu helfen. Stattdessen sah er wie gebannt auf das Schauspiel und grinste schadenfroh. In diesem Augenblick erkannte sie, dass es für sie keine Gnade gab… keine Rettung und keinen Gott, der Mitleid mit ihr kannte. Sie war ganz alleine und niemand würde sie retten. Tränen rannen ihre Wangen hinunter und sie bekam entsetzliche Angst. „Bitte nicht… ich hab Angst!“

Doch ihr Flehen blieb erfolglos und ihre Worte gingen in einem Schmerzensschrei unter, als ein entsetzlicher Schmerz durch ihren Körper jagte. Ihr war, als würde ihr Innerstes brutal auseinandergerissen werden. Etwas setzte in ihrem Verstand aus und keine Worte vermochten das Martyrium zu beschreiben, welches sie durchlitt. Selbst die Schläge ins Gesicht reichten nicht einmal ansatzweise an die Qualen heran, die sie durchlitt. Ich werde sterben, dachte sie sich und spürte, wie sich die Hände ihres Vaters um den Hals legten und ihr die Luft abgeschnürte. Ich werde das unmöglich überleben.
 

Wie viel Zeit Katherine gefesselt im Schlafzimmer verbrachte. Sie hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren, doch es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Ihre Hoffnung, wenigstens das Bewusstsein zu verlieren und somit aus diesem Martyrium erlöst zu werden, wurde zerschlagen und sie durchlebte jede einzelne Sekunde bei vollem Bewusstsein. Als ihr Vater endlich von ihr abließ und die Fesseln löste, hatte Katherine keine Kraft mehr. Jede einzelne Bewegung bereitete ihr entsetzliche Schmerzen und obwohl es endlich vorbei war, fühlte sie es immer noch und es verstörte sie zutiefst. Warum nur hatte ihr Vater so etwas angetan? Was hatte sie denn getan, dass er solche Dinge mit ihr tun würde? Sie verstand es nicht und sie konnte nicht einmal sagen, was da mit ihr überhaupt passiert war. Aber egal was es auch gewesen war, es fühlte sich falsch an. Es war das bis dato Schlimmste, was ihr Vater ihr jemals angetan hatte und sie fühlte sich entsetzlich. Der Raum war erfüllt vom Schweißgeruch ihres Vaters und sie konnte immer noch seinen widerlichen Alkoholikeratem riechen. Ihr Magen begann zu rebellieren und löste dabei eine Welle von heftigen Schmerzen aus. Sie versuchte sich zusammenzureißen und durch bloße Willenskraft ihren Magen wieder unter Kontrolle zu bekommen, doch sie schaffte es nicht und musste sich übergeben. Als ihr ganzer Körper sich dabei verkrampfte, jagte erneut eine Welle des Schmerzes durch ihren Körper und sie stöhnte gequält auf. Es tat so entsetzlich weh…

Am liebsten wäre sie liegen geblieben um sich irgendwie von diesem Martyrium zu erholen, doch sie wollte nicht eine Sekunde länger in diesem Bett liegen bleiben. Nicht wenn sie immer noch den Geruch von Blut, Erbrochenem und Schweiß riechen konnte. Vor allem den Geruch ihres Vaters, der schreckliche Bilder in ihr wachrief und ihr wieder aufs Neue einen Brechreiz bescherte. Katherine biss die Zähne zusammen und setzte sich auf. Ihre gesamte untere Hälfte fühlte sich an, als hätte man brennende Dolche hineingestoßen. Sie musste all ihre Willenskraft aufwenden, um vom Bett zu steigen und nicht dabei vor Schmerz aufzuschreien. Schwer atmend und taumelnd stützte sie sich an der Wand ab, denn ihre Beine fühlten sich wie Gummi an. Blut lief an ihren Beinen hinunter und immer noch war ihr speiübel. Ihr Kopf dröhnte und sie bezweifelte für einen Moment, dass sie es überhaupt in ihr Zimmer schaffen würde. Doch sie riss sich zusammen und zwang sich, weiterzugehen. Langsam und Schritt für Schritt schleppte sie sich aus dem Schlafzimmer heraus und wankte den Flur entlang. Auf dem Weg kam sie am Zimmer ihrer kleinen Schwester vorbei und hörte dort laute Geräusche. Sie vernahm Tabithas Stimme, die laut schrie und kurz darauf ertönte auch schon Nigels Stimme. Doch Katherine schenkte dem keine sonderliche Beachtung. Sie nahm ohnehin kaum noch etwas bewusst wahr, da ihr ganzes Wahrnehmen ausschließlich durch Schmerz und Übelkeit geprägt war. Als sie aber das Zimmer ihrer Schwester erreichte und vor der offenen Tür stand, schaute sie hinein und sah ihre Schwester am Boden liegen, die sich verzweifelt zappelnd zur Wehr zu setzen versuchte. Nigel hielt sie fest auf den Boden gedrückt und zog ihr die Unterhose herunter, wobei er seine Schwester anschrie und ihr sagte, sie solle gefälligst das Maul halten und aufhören zu heulen wie ein Baby. Doch Tabitha schrie und versuchte ihren großen Bruder irgendwie von sich wegzudrücken doch es gelang ihr nicht. Katherine blieb stehen und starrte mit unbewegter Miene auf das Geschehen.
 

Als Tabitha erkannte, dass ihre große Schwester im Türrahmen stand, schaute sie flehend und mit Tränen in den Augen zu ihr und rief „Kathy, hilf mir! Bitte! Mach, dass er aufhört!“

Doch Katherine rührte sich nicht. Zwar wollte sie Tabitha helfen und sie vor Nigel beschützen, doch etwas hinderte sie daran. Und eine Frage kam ihr, die ihr zu denken gab. Warum sollte sie ihrer kleinen Schwester helfen? Es war doch auch niemand gekommen, um ihr zu helfen. Die ganze Zeit hatte sie Tabitha stets beschützt und was war die Konsequenz gewesen? Sie hatte Schläge kassiert, man hatte ihr den Arm gebrochen und dann waren diese unsagbaren Dinge im Schlafzimmer geschehen, die ihr nicht nur körperliche sondern auch seelische Wunden gerissen hatten. Wer hatte denn jemals auf ihre Hilfeschreie geantwortet und hatte sie beschützt? Niemand hatte es jemals interessiert, wie es ihr ging. Niemand hatte je auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendet, sie zu retten. Und wie sollte sie ihrer kleinen Schwester helfen, wenn sie nicht einmal in der Lage war, sich selbst zu retten?

Immer noch ruhten die verweinten Augen ihrer kleinen Schwester auf ihr, doch Katherine fühlte rein gar nichts dabei. Ihr war, als wäre da bloß eine große Leere, die dieses traumatische Ereignis im Schlafzimmer bei ihr hinterlassen hatte. Wie konnte sie denn überhaupt Mitleid für die Notlage eines anderen Menschen empfinden, wenn sie nicht einmal über ihr eigenes Leid hinweggekommen war? Und selbst wenn sie nach all den erlittenen Qualen die Kraft besessen hätte, den Willen aufzubringen um ihrer Schwester zu helfen, wäre sie nicht in der Lage dazu gewesen. Sie konnte sich ja selbst kaum bewegen und war schwer verletzt. Wenn sie versuchen würde, Tabitha zu helfen, würde sie am Ende nur noch mehr Schmerz erleiden. Und sie hatte bereits ihr Limit erreicht. Während ihre kleine Schwester immer noch hilfesuchend zu ihr schaute und hoffte, sie würde wieder gerettet werden, erwiderte Katherine apathisch den Blick und antwortete tonlos „Tut mir leid, Tabby. Du musst dir jetzt selber helfen.“ Dann wandte sie sich von ihr ab und schleppte sich in ihr Zimmer.
 

Der Gang zu ihrem Zimmer war ihr wie eine endlos lange Wanderung vorgekommen und als sie am Kleiderschrank mit dem Spiegel stehen blieb, sah sie das ganze Ausmaß der körperlichen Schäden. Ihr ganzer Körper war von blauen Flecken verunstaltet und auch ihr eigentlich sehr hübsches Gesicht wirkte hässlich entstellt. Ihre rechte Wange war geschwollen, an ihrer Nase klebte eingetrocknetes Blut, ihr linkes Auge war geschwollen und ein blauer Fleck hatte sich dort ebenfalls gebildet. Ihre Lippen waren spröde, aufgeplatzt und blutig. Ihr Haar, welches sonst immer so sorgfältig gekämmt und zu einem Zopf geflochten war, hing ihr ins Gesicht und war zerzaust. An ihren Beinen und insbesondere an den Innenschenkeln klebten Rinnsale von Blut und für einen Moment war ihr, als würde sie nicht ihr eigenes Spiegelbild sondern das ihrer Mutter sehen. Ihre goldgelben Augen schienen keinen Glanz mehr zu besitzen, sondern wirkten matt und leer wie die einer Puppe. Am liebsten wollte sie einfach nur weinen, um irgendwie ihren Gefühlen ein Ventil zu schaffen und wenigstens den seelischen Schmerz dadurch ein wenig erträglicher zu machen. Doch so sehr sie auch wollte, sie konnte sich nicht dazu bringen, zu weinen. Ihr fehlte selbst die Kraft zum Weinen. Und was sollten denn schon Tränen ändern? Weinen würde nichts an ihrer Situation ändern. Und es würde auch sonst niemand für sie Tränen vergießen. Weder ihr Vater noch ihr Bruder, nicht einmal ihre kleine Schwester hatte jemals um sie geweint. Selbst Gott würde keine einzige Träne für sie vergießen, wenn es ihn denn überhaupt gab. Die ganze Welt wollte, dass sie litt und weinte. Warum sollte sie ihr dann die Genugtuung geben, wenn sie von der Welt rein gar nichts erwarten konnte? Sie war ein Unheilkind… etwas, das niemals hätte geboren werden dürfen. Und das war schon seit dem Tag ihrer Geburt so.

Erschöpft von all den Schmerzen legte sich Katherine in ihr Bett und versuchte eine möglichst angenehme Position zu finden. Ausdruckslos starrte sie an die Zimmerdecke und konnte immer noch das Geschrei ihrer Geschwister hören. Doch an ihrem Entschluss änderte es nichts. „Warum lässt du das alles über dich ergehen? Wehre dich doch endlich mal. Töte ihn einfach. Wenn du dir ein Messer aus der Küche nehmen und diesem versoffenen Penner endlich die Kehle aufschlitzen und ihn ausbluten lassen würdest wie ein Schwein, wärst du all deine Probleme längst los. Oder noch besser: schneide ihm sein Ding ab, stopf es ihm in den Mund und lass ihn daran ersticken!“

Katherine gefror das Blut in den Adern, als sie diese Stimme in ihrem Kopf hörte. Was um Himmels Willen dachte sie da nur? Wie konnte sie nur so etwas denken? Nach allem, was passiert war, konnte sie doch nicht daran denken, so etwas Schreckliches zu tun. Sie hatte doch geschworen, niemals jemandem wehzutun. Selbst wenn ihr Vater diese schrecklichen Dinge mit ihr machte, würde sie niemals Gewalt anwenden. Sie würde niemals so werden wie er! Sie konnte kaum glauben, dass ihr für einen Moment tatsächlich der Gedanke gekommen war, ihn umzubringen. Was zum Teufel war denn plötzlich nur los mit ihr, dass ihr solch ein schrecklicher Gedanke kam? Wahrscheinlich waren es bloß die Nerven. Sie war womöglich so sehr durch den Wind nach all diesen furchtbaren Dingen, die passiert waren, dass sie nicht einmal mehr ihre eigenen Gedanken unter Kontrolle hatte. Vielleicht war es das Beste, wenn sie schlief und sich erholte. Bei den schlimmen Schmerzen konnte sie ohnehin nicht viel tun. Also schloss Katherine und versuchte ein wenig zu schlafen. Doch kaum, dass sie die Augen geschlossen hatte, wurde sie von schrecklichen Alpträumen geplagt.

Eine kleine Pause

Katherine atmete schwer und musste eine Pause einlegen, denn diese Erzählung war sehr kräfteraubend. Nicht das Reden alleine raubte ihr die Energie, sondern es waren vor allem die Erinnerungen. All die schrecklichen Bilder, die sie ihr Leben lang verfolgt hatten, wirkten so lebendig wie noch nie und ihr war, als würde sie alles noch mal durchleben. Es war ein schreckliches Gefühl und sie erinnerte sich vor allem an die Hilflosigkeit, die Wut und Verzweiflung. Wie oft hatte sie als Kind Tränen vergossen für das Leid, das ihr angetan worden war? Und wie oft hatte die Einsamkeit und das Wissen sie zerfressen, dass sie die Einzige war, die jemals Tränen um sie vergossen hatte? Doch jetzt waren die Dinge anders. Sie war nicht mehr das schwache kleine Mädchen von damals, das nichts tat als um Gnade zu betteln und vor Angst zu weinen. Nein, ihr Herz war kalt geworden und ihr Wesen verbittert. Sie hatte gelernt, all diese Grausamkeiten zu ertragen und wäre sie wieder in dieser Situation in der sie damals gewesen war, dann hätte sie nicht mehr still gehalten. Stattdessen hätte sie zur Waffe gegriffen und ihrem Vater und ihrem Bruder erbarmungslos den Schädel eingeschlagen und mit Sicherheit auch einigen anderen Leuten, die ihr das Leben schwer gemacht hatten. Sie würde nicht mehr schreien, wenn sie missbraucht oder blutig geprügelt wurde. Nachdem ein Teil von ihr unheilbar zerbrochen war, konnte sie alle Schmerzen ertragen. Zwar spürte sie Schmerzen genauso wie damals, aber sie hatte gelernt, damit umzugehen und sie zu ertragen. Selbst wenn ihr die Knochen gebrochen wurden, war sie weiterhin klar bei Verstand und konnte weiterkämpfen. Es war wirklich ironisch, dass der jahrelange brutale Missbrauch ihres Vaters sie so abgehärtet hatte, dass das Einzige, was sie im Erwachsenenalter wirklich in die Knie gezwungen hatte, ein akutes Magengeschwür und der Bauchspeicheldrüsenkrebs waren. Und es erschreckte sie, dass sie sich so sehr verändert hatte. Aber hätte sie es verhindern können oder wollen? Nein, es war der einzige Weg gewesen, um zu überleben.

Ihre Besucherin, die geduldig gewartet hatte, reichte ihr noch ein Glas Wasser, welches Katherine ohne großen Dank annahm. „Und was ist als nächstes geschehen?“ fragte sie. Doch die Todkranke schüttelte seufzend den Kopf und legte den Kopf zurück ins Kissen. „Ist es wirklich nötig, all die belanglosen Details während der nächsten drei Jahre nach dem ersten Missbrauch durch meinen Vater zu erzählen? Im Grunde ist in dieser Zeit nicht viel passiert. Ich war die Sklavin und das Sexspielzeug meines Vaters und wenn ich nicht gerade zuhause behandelt wurde als wäre ich ein Stück Vieh, dann haben mich diese verdammten Kinsley-Bengel schikaniert. Ich habe es wie immer schweigend hingenommen, um keinen Ärger mit der Schulleitung zu bekommen. Aber als Lyndon mich damit aufgezogen hat, dass meine Mutter sich selbst auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat, habe ich die Beherrschung verloren und ihm einen Zahn ausgeschlagen. Und erwarte nicht, dass ich mich dafür entschuldige. Ich bedaure es nur, dass er nicht noch mehr Zähne verloren hat.“

Die Frau mit den rubinroten Augen senkte bekümmert den Blick und schwieg. Sie wirkte traurig darüber, aber nicht wegen der mangelnden Reue der Sterbenden. Es schien eher an der Fehde zwischen Katherine und den Kinsley-Cousins zu liegen. „Es tut mir wirklich leid, dass diese Clanfehde dich noch zusätzlich belastet hat. Das alles hätte nie passieren dürfen.“

„Es tut dir leid…“, wiederholte Katherine verächtlich und ihr Gesicht verzog sich zu einer hasserfüllten Fratze. „Deine Entschuldigungen nützen mir rein gar nichts! Hast du eine Ahnung, in was für einer Hölle ich aufgewachsen bin? Die Lehrer haben gewusst, was für ein Mensch mein Vater war und es war ihnen egal. Wenn ich mich zur Wehr gesetzt habe, war ich immer die Schuldige weil ich eine Cohan war und ich wurde wie ein Monster behandelt, obwohl ich nichts Böses getan hatte. Ich war ein Kind und jeder wusste, was mein Vater mit mir gemacht hatte. Und was haben sie gemacht? Sie haben mich dafür ausgelacht! Nenne mir auch nur einen Grund, warum ich sie nicht dafür hassen oder auch nur einen Funken Reue empfinden sollte! Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, dann wäre ich nicht einfach so abgehauen. Nein, ich hätte ihnen allesamt die Schädel eingeschlagen!“

„Dein Zorn und dein Hass sind durchaus berechtigt“, pflichtete die Frau in Schwarz ihr bei und wirkte immer noch sehr betrübt. „Die Missstände in Annatown dauern schon viel zu lange fort und weder ich noch meine Schwester vermochten etwas auszurichten. Und es tut mir im Herzen weh, dass vor allem die Unschuldigen leiden müssen.“

„Spar dir dieses Gewäsch“, entgegnete Katherine gereizt und legte den Kopf zur Seite um den Blick von ihrer Besucherin abzuwenden. „Im Grunde hast du doch auch nichts getan, um das Ganze zu beenden. Deine vermeintliche Hilfe kam viel zu spät.“

„Ich darf mich in meiner Position nicht in die Angelegenheiten der Lebenden einmischen“, kam es zurück, doch es war auch deutlich hörbar, dass sie sich dennoch schuldig fühlte. Nun, es machte auch keinen Sinn, unnötig darauf herumzureiten. Im Grunde genommen war sie ja nicht diejenige, die die Leute dazu angestachelt hatte, die Cohans allesamt wie Monster und Aussätzige zu behandeln. Es war die ganze Stadt, die durch und durch verdorben war. Außerdem war es eh zu spät. Sie war erwachsen, hatte Annatown bereits vor Jahren verlassen und sie würde heute sowieso sterben. Also was würde es schon für einen Unterschied machen, wenn sie jetzt all ihren Hass und ihre Verbitterung an der Person ausließ, die ihr damals geholfen hatte, Annatown zu verlassen? Egal wie sehr sie es auch wollte, sie konnte die Zeit nicht mehr zurückdrehen.
 

Nachdem sich Katherine wieder beruhigt hatte, atmete sie tief durch und schloss die Augen. Tief in ihrem Inneren überkam sie der Wunsch zu weinen, doch sie wehrte sich dagegen. Sie hasste dieses Gefühl. Weinen war ein Zeichen von Schwäche und sie hatte sich geschworen, nie wieder schwach zu sein. Und vom Weinen würde rein gar nichts besser werden. Sie hatte als Kind oft genug geweint und sie hatte um ihre kaputte Ehe geweint. Und was hatte es gebracht? Im Grunde war danach alles nur noch schlimmer geworden. „Alles was ich wollte, war nur eine Familie“, sagte sie schließlich. „Ich wollte bloß einen Mann, der mich nicht schlägt und der mich anständig behandelt. Und ich wollte Kinder haben, die ich lieben konnte und die frei vom Stigma der Cohans waren. Du kannst schlecht von mir behaupten, dass meine Wünsche unrealistisch waren. Im Grunde genommen wollte ich doch nur das, was eine normale verheiratete Frau hat! Aber…“

Hier hielt Katherine wieder inne und öffnete ihre Augen. Das Goldgelb ihrer Iris wirkte matt und glanzlos. Dennoch war erkennbar, dass ein ungebrochen starker Wille in diesem Körper lebte. Doch nun lag kein Zorn mehr darin, sondern so etwas wie Besorgnis. „Sie hat mich immer davon abgehalten, normal zu sein.“

„Sie?“ fragte ihre Besucherin neugierig. Katherine schluckte und wurde unruhig. „Ich glaube es fing an, nachdem ich meine Mutter auf dem Scheiterhaufen brennen sah und zu Molly gefahren bin. Als ich mich von dem Auto überfahren lassen wollte, da habe ich etwas gesehen. Und da ist es mir scheißegal, was die Ärzte behaupten. Ich habe mich selbst gesehen! Ein anderes Ich, das mich davon abgehalten hat. Und die Stimme, die mir zugeflüstert hat, ich solle meinen Vater töten… das war kein traumabedingter Stress gewesen. Ich weiß genau, dass das der Beginn meiner Krankheit war. Die Ärzte nennen so etwas Schizophrenie. Am Anfang war es noch relativ selten, aber… da war immer diese Stimme in meinem Kopf, die mir zuflüsterte, ich solle Menschen töten.“

„Und diese Halluzination sah aus wie du?“

„Ja. Ich vermute mal, dass ein Teil von mir vollkommen verrückt geworden ist und ich mir einfach nicht eingestehen wollte, dass ich drauf und dran war, den Verstand zu verlieren. Also hat sich der kaputte Teil meines Verstands eigenständig gemacht und immer wieder versucht, die Kontrolle zu übernehmen. Anfangs war es noch einfach, weil wir dieselben Feinde hatten. Lyndon, Derian, mein Vater… aber es hörte nicht auf. Egal wie viele Menschen ich gequält und getötet habe, dieser andere Teil in mir konnte nicht aufhören. Stattdessen wollte es auch die Menschen töten, die mir gar nichts getan haben. Jahrelang habe ich damit verbracht, dieses Monster in mir unter Kontrolle zu halten und bis zu meiner Einweisung ins Hospiz habe ich Nacht für Nacht Alpträume gehabt, wie ich meine eigenen Kinder umbringe.“
 

Hier konnte sie nicht mehr an sich halten und eine Träne rann ihre kalkweiße Wange hinunter. „Was ist nur aus mir geworden, dass ich sogar den Drang verspürt habe, meine eigenen Kinder zu töten?“

Hier beugte sich die schwarzhaarige Frau mit den rubinroten Augen vor und strich ihr sanft über den Kopf um sie zu trösten. „Du hast doch tapfer gekämpft“, versuchte sie sie zu beruhigen. „Und du bist ihnen eine gute Mutter.“

„Nein…“, widersprach Katherine und wischte sich die Träne aus dem Gesicht. „Dafür habe ich ihnen was genauso Schlimmes angetan. Wegen meiner Abstammung ist mein ältester Sohn genauso verrückt wie Nigel und mein Vater und mein jüngster Sohn… er ist gerade mal sechs Jahre alt und beginnt sich Stimmen einzubilden. Eine gute Mutter vererbt ihren Kindern nicht so etwas Abscheuliches. Dank mir müssen sie den Rest ihres Lebens mit diesem Stigma verbringen. Ich dachte, es würde ihnen besser ergehen, wenn sie eine bessere Kindheit haben als ich es tat. Stattdessen habe ich sie ins Unglück gestürzt, nur weil sie meine Gene erben mussten. Ich habe ihr Leben zerstört schon bevor sie überhaupt geboren wurden.“

„Nur weil sie deine Gene haben, muss es nichts Schlechtes sein“, beschwichtigte ihre Besucherin sie. „Immerhin hast du dich nicht genauso entwickelt wie dein Vater. Er hat seinen Wahnsinn an seinen Kindern ausgelassen, du hast deine Kinder liebevoll aufgezogen. Das andere steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Und nur weil sie krank sind, bedeutet es nicht, dass sie keine Hilfe bekommen können. Die psychiatrische Behandlung besteht nicht nur aus Lobotomie und Zwangsjacke. Und ich bin mir sicher, dass ihnen bald geholfen werden kann.“

„Nicht wenn sie genauso enden wie ich oder meine Familie“, erwiderte Katherine. „Es gibt kein Heilmittel dafür, ein Cohan zu sein.“

„Natürlich gibt es das nicht. Was hast du denn gedacht?“ Die Augen der Sterbenden weiteten sich vor Entsetzen, als sie wieder diese Stimme sprechen hörte… ihre eigene Stimme. Seit Tagen hatte sie sie nicht mehr gehört, warum kehrte sie ausgerechnet jetzt wieder zurück? Katherine biss sich auf ihre spröde Unterlippe und versuchte sie zu ignorieren, doch es fiel ihr schon schwer genug, eine Stimme zu ignorieren, die wie ihre eigenen Gedanken klang. „Und obwohl ich dir immer und immer wieder gesagt habe, es ist besser, wenn du deine Kinder von diesem Leid erlöst. Aber du hast ja nicht auf mich gehört. Stattdessen lässt du sie weiterleiden, damit sie genauso als psychisches Wrack enden wie du. Ja, du hast richtig gehört. Du bist für ihr Leid verantwortlich und es ist deine Schuld, dass sie mit deinem Wahnsinn leben müssen.“

„Hör auf damit und halte endlich mal die Schnauze!“ rief Katherine, nur um dann wieder in ein heftiges Husten zu verfallen. „Lass endlich meine Kinder aus dem Spiel oder ich…“ Sie schaffte es nicht mehr weiterzuschreien. Ihre Stimme versagte und sie bekam nur noch schwer Luft. Die Tür ging auf und eine der Pflegekräfte schaute besorgt herein. „Mrs. Evans, brauchen Sie…“

„Verschwinden Sie und lassen Sie mich alleine!“ keifte die Sterbende wutentbrannt, trotz ihrer schlechten Kondition. Es grenzte fast an ein Wunder, dass sie immer noch die Energie zum Schreien fand. Blanker Zorn lag in ihren goldgelben Augen und ihre abgemagerten Hände krallten sich in die Decke. Sie wirkte, als wollte sie jeden Augenblick aus dem Bett stürzen und der Pflegerin an den Hals springen. Doch glücklicherweise hielt sie ihre schlechte körperliche Verfassung davon ab und sie sank nach Atem keuchend zusammen. Ihre Besucherin legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter und wandte sich an die Pflegerin. „Es ist alles in Ordnung. Sie ist nur etwas aufgewühlt. Falls wir etwas brauchen, lassen wir es Sie wissen.“

Etwas zögerlich verließ die Pflegerin daraufhin den Raum und schloss die Tür wieder. Kaum, dass die Tür ins Schloss gefallen war, sank Katherine wieder erschöpft in ihr Kissen zurück und brauchte eine Weile um wieder zu Atem zu kommen. Ihr Kreislauf hatte vollkommen den Geist aufgegeben und ihr war speiübel, außerdem tat ihr Bauch höllisch weh. „Atme tief durch und beruhige dich erst einmal“, riet ihre Besucherin. „Du tust dir nur selbst weh, wenn du dich zu sehr aufregst.“

„Verdammt frustrierend, dass mir selbst zum wütend sein die Kraft fehlt“, kam es missmutig von Katherine zurück. „Ich habe gelernt, mit Schmerzen umzugehen und ausgerechnet mein Magengeschwür und der Krebs müssen mich in die Knie zwingen. Ich wünschte, ich wäre wenigstens geistig genauso angeschlagen. Dann würde ich mich gar nicht mehr darüber aufregen können, dass ich in so einer Verfassung bin. Und ich hätte wenigstens Ruhe vor ihr. Naja, ich sollte aufhören, die ganze Zeit zu jammern. Es gibt Wichtigeres zu tun. Immerhin wirst du mich ja nicht erlösen, bevor ich nicht mein ganzes beschissenes Leben offenbare. Du verlangst aber auch viel von mir und wofür? Nur damit ich endlich abtreten kann?“

„Ich möchte, dass du dein Leben reflektierst, damit du deinen Seelenfrieden finden kannst“, erklärte die Besucherin geduldig und zeigte sich unbeeindruckt von Katherines Wutausbruch und ihrer Verbitterung. Doch Katherine lachte bloß verächtlich. „Seelenfrieden? Ist es das, was du willst? Pah, als ob ich jemals Frieden finden könnte, wenn ich genau weiß, dass ich meine Kinder einem narzisstischen und selbstsüchtigen Hurensohn wie Lionel überlassen muss. Michael und Jordan sind schon alt genug um ihn zu durchschauen, aber Leron ist noch ein Kind. Er ist sechs Jahre alt! Lionel wir ihn benutzen wie es ihn beliebt und ich werde nicht mehr da sein, um ihn zu beschützen. Einen Scheißdreck gebe ich auf den Seelenfrieden. Und wenn ich mich als verrottete Leiche aus dem Grab herausbuddeln muss, ich werde nicht eher Frieden finden bis ich nicht weiß, dass mein kleiner Liebling nicht als Spielfigur seines Vaters enden wird!“

„Ich verstehe“, murmelte die schwarzhaarige Schönheit nickend und faltete ihre Hände auf dem Schoß. „Wenn es das ist, was dich noch ans Leben klammern lässt, dann gebe ich dir folgendes Versprechen: ich werde dafür sorgen, dass Leron frei von jeglichen Einflüssen aufwächst und sein Leben so lebt wie er es sich wünscht. Und im Gegenzug erzählst du mir deine Geschichte weiter.“
 

Für einen Moment wurde Katherine stutzig und traute dem Braten nicht so ganz. Warum sollte diese Frau ihr so ein Versprechen geben? Warum war es ihr so wichtig, dass sie ihren Seelenfrieden fand? Etwa, weil sie glaubte, ihr rachsüchtiger Geist könnte die Welt der Lebenden heimsuchen? Nun, soweit sie gehört hatte, glaubten die Kinsleys zumindest an so etwas ähnlichem. Allerdings glaubten sie eher, dass es die negativen Gefühle und Erinnerungen waren, die in der sterblichen Welt zurückblieben und nicht die Seele selbst. Sie selbst hatte nie an diesen Quatsch geglaubt. Für sie war das alles nur primitiver Aberglaube gewesen und sie hatte schon immer jegliche Art von Glauben aufs Tiefste verabscheut. Immerhin war es der Glaube gewesen, der ihre Mutter dazu getrieben hatte, sich lebendig auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Und es hatte noch Schlimmeres angerichtet. Sie war fernab von Religion aufgezogen worden und sie hatte den Pfarrer, der sie besuchen gekommen war, ins Gesicht gesagt, dass er sich zum Teufel scheren und sie mit diesem religiösen Schwachsinn verschonen sollte. Ganz gleich ob er gute Absichten hatte oder nicht, im Grunde war dieser verdammte Pfaffe doch nur daran interessiert, einen weiteren Bauerntrottel zu finden, den er konvertieren konnte. Es war ohnehin äußerst geschmacklos, dass er erst dann kam, wenn sie bereits im Hospiz war und nicht schon vorher, als sie noch Hilfe gebrauchen konnte. „Wenn dir das Seelenheil der Sterbenden so wichtig ist, warum schickst du nicht einfach irgendwelche Pfaffen vorbei?“ scherzte sie mit Herablassung, doch auch das vermochte ihre Besucherin nicht sonderlich aus der Fassung zu bringen.

„Seelenfrieden und Seelenheil sind verschiedene Dinge“, erklärte sie ruhig. „Ich will deine Seele nicht retten, das steht auch nicht in meiner Aufgabe. Und ich bin nicht hier um deine Sünden zu hören, damit dir vergeben werden kann. Ich will nur deine Geschichte hören, damit du dich leichter vom Leben lösen kannst, frei von Angst und Schmerz.“

„Ach so läuft der Hase“, murmelte Katherine stirnrunzelnd. „Also hast du tatsächlich Angst, dass mein rachsüchtiger Geist die Menschheit heimsuchen könnte? Ich glaube ja nicht an so einem Schwachsinn, aber nun gut. Du hast mir ein Versprechen gegeben und hast mir geholfen. Ich denke, ich bin es dir zumindest schuldig, dir den Rest meiner Geschichte zu erzählen.“

„Nimm dir ruhig Zeit. Du musst dir deine Kraft gut einteilen.“

Ein wenig genervt seufzte die Todkranke, denn es passte ihr ganz und gar nicht, dass sie bevormundet wurde. Und mit aufmunternden Worten konnte sie schon gar nicht umgehen. Aber sie wollte nicht schon wieder eine Diskussion anfangen, vor allem weil es eh nichts bringen würde. Ihre Besucherin war hartnäckiger als Wespen im Sommer und sie würde nicht gehen, bevor sie bekommen hatte was sie wollte. „Das ist das Netteste, das jemals irgendjemand zu mir gesagt hat, der nicht dafür bezahlt wurde, mir in den Arsch zu kriechen. Wenn sich mein Bastard von Ehemann je dazu durchgerungen hätte, so etwas zu mir zu sagen, dann hätte ich ihm wahrscheinlich nicht das Messer in den Bauch gerammt.“

Ein leicht vorwurfsvoller Blick kam zurück und Katherine seufzte genervt und verdrehte die Augen. „Hey, ich hatte einen gebrochenen Arm und ein gebrochenes Herz! Und im Gegensatz zu mir liegt dieser Hurensohn nicht in einem Bett, in welchem was weiß ich wie viele Leute elendig verreckt sind wie ich nachher.“

„Na zumindest scheinst du noch genügend Energie übrig zu haben, um ihn selbst auf deinem Totenbett zu verfluchen.“

„Dafür reicht meine Kraft immer aus!“ Katherine versuchte zu lachen, doch sie verfiel nur wieder in ein heftiges Husten und bekam kaum noch Luft. Ihre Besucherin gab ihr daraufhin noch etwas zu trinken um ihr zumindest ein wenig zu helfen. Schließlich aber kehrte die Krebskranke wieder zu ihrer Geschichte zurück und versuchte den roten Faden wiederzufinden. „Also wo waren wir? Ach ja… meine Mutter ist verbrannt und mein Vater begann mich daraufhin zu missbrauchen. Das Ganze lief bis ich 14 Jahre alt war… Dann änderte sich alles komplett für mich. Und der Auslöser war, dass ich von meinem eigenen Vater schwanger wurde. Ich hatte mir zwar Kinder gewünscht. Aber das… das war für mich der wohl größte Alptraum von allen. Anstatt, dass sich anfühlte als würde ein Leben in mir heranwachsen, war es mir, als würde ein bösartiger Tumor in meinem Unterleib wachsen, der mich mit einer Krankheit infizierte. Und als wäre das nicht genug, wurde dieser Alptraum immer schlimmer… Jahrelang hatte ich die Misshandlungen ertragen und mich benutzen und herumschubsen lassen. Und ausgerechnet das hat dafür gesorgt, dass ich komplett durchdrehe. Was für eine bittere Ironie…“


Nachwort zu diesem Kapitel:
In diesem Kapitel habe ich Katherine's allererste Jahre und auch das Leben ihres Vaters Gilbert relativ zusammengefasst, weil diese Ereignisse zwar wichtige Hintergrundinformationen geben, aber nicht direkt ausschlaggebend für ihre Verwandlung in eine Serienmörderin und Psychopathin ist. Es wäre natürlich einfach gewesen, ihren Vater als Meister darzustellen, aber ich habe viele Dokumentationen über Serienmörder gesehen und gelernt, dass nur die wenigsten mit der Veranlagung geboren werden, gefährliche Mörder zu werden. In den meisten Fällen spielt das Umfeld und insbesondere die Familie eine besonders wichtige Rolle. Niemand wird grundlos zum Mörder. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Mir tut Katherine immer mehr leid, vor allem weil ich genau weiß wie es ist, entweder von anderen Kindern gemieden oder gehänselt zu werden. Und selbst solche Dinge wie plötzliche Freundschaftsabbrüche sind sehr einschneidende Erlebnisse, vor allem wenn man nicht weiß warum die Freundschaft gescheitert ist.

Zuerst hatte ich überlegt, den Tatbestand zu Mollys verändertem Verhalten Katherine gegenüber ausführlich zu schildern. Aber da die ganze Geschichte aus Katherine's Sicht erzählt wird, habe ich darauf verzichtet um es authentischer zu halten. Vor allem weil Kinder ja nicht merken, was um sie herum vor sich geht. Zwar bemerken sie, dass etwas nicht stimmt, aber sie können es noch nicht genau verstehen was es ist. Und irgendwie macht es die ganze Situation umso trauriger, dass sich alles hinter Katherine's Rücken abspielt und sie nicht versteht, warum Molly sich ihr gegenüber so plötzlich verändert hat Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Bibelverse, die Helen hier zitiert hat, stammen aus der Offenbarung des Johannes. Das erste stammt aus "Die Frau und der Drache" und das letzte vor ihrem Tod aus "Das Weltgericht" Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (26)
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Von:  Arya-Gendry
2021-02-26T12:22:53+00:00 26.02.2021 13:22
Huhu^^
Ich hoffe dir geht es gut man hat lang nichts mehr von dir gehört. ;)
Ich hoffe das du noch weiter schreiben wirst hier und in The Lover Contract?
Lg.
Von:  Arya-Gendry
2018-12-25T19:06:33+00:00 25.12.2018 20:06
Hi
Super das es auch hier weiter geht. Nun werde mir noch mehr erfahren. Sie kann einen auf einer Seite echt leid tun. Bin schon auf das nächste Kapitel gespannt.
Kg.
Von: Futuhiro
2018-02-24T17:19:50+00:00 24.02.2018 18:19
Puuuuh~ ... ich musste jetzt erstmal lange überlegen, was ich dazu schreiben soll. Das Kapitel ist inhaltlich wirklich krass und erschreckend authentisch. Man hat den Eindruck, daß das alles echt so passiert / passiert ist / passieren kann. (Ich hoffe, das wird von den Freischaltern nicht nachträglich noch auf adult gesetzt.) Und der Schreibstil ist wahnsinnig klasse. Man ist als Leser bis zur letzten Zeile mittendrin. Man kann jede emotionale Regung nachvollziehen und jede körperliche Totur förmlich mitfühlen.

Aber mir irgendwie immer noch Tabby total leid. Keine Ahnung, warum ich um die mehr Angst hab als um alle anderen Charaktere in dieser Story. ^^°
Von:  Arya-Gendry
2018-02-20T16:29:03+00:00 20.02.2018 17:29
Hi^^
Echt heftiges Kapitel. Das ihr Vater, obwohl Vater kann man sowas nicht nennen sie gleich schon Vergewaltigt und das von nun an bestimmt täglich machen wird macht einen echt wütend und sprachlos Ich hoffe sie wird nicht auch noch Schwanger von ihm, ber wer weiß?

Das sie die Kraft nun nicht mehr hat um ihrer Schwester zu helfen kann ich gut verstehen. Auch wenn die Kleine mir leid tut, aber es stimmt ja Katherine hat selber genug Probleme.

Ich bin schon auf das nächste Kapitel gespannt.
LG.
Von:  Drachenprinz
2018-02-08T16:51:09+00:00 08.02.2018 17:51
Hey ^^
Hab ja schon was länger nichts von dir gehört. Alles klar bei dir? Ich glaub, du hast ja immer noch kein richtiges Internet, oder? Naja, das hindert mich ja nicht daran, endlich mal wieder deine Geschichte weiterzulesen. :) Dann wollen wir mal!

(Kapitel 6)
Dachböden fand ich ja immer schon irgendwie faszinierend. Wir hatten nie einen, soweit ich mich erinnere, aber irgendwie hat das schon sowas Verlockendes, gerade wenn man da alte Schätze der Eltern oder der Großeltern findet oder so.

Oh, sie liest 'Alice im Wunderland', nehm ich mal an? xD Na, das ist dann aber auch wirklich nicht gerade einfach zu lesen, muss ich sagen. Ich hab die zwei Original-Geschichten selbst seit letztem Jahr als Buch im Regal, und das ist schon ein etwas altertümlicheres Englisch, das sich wahrscheinlich nicht ganz so leicht lesen lässt wie in moderneren Büchern, gerade für ein Kind mit einer Sprach-Schwäche. Okay, was heißt 'modern'. Deine Geschichte spielt ja auch nicht gerade zur aktuellen Zeit, aber du weißt schon.

Du große Scheiße. Nigel ist ja echt krass drauf. Ich mein, klar, er kriegt das ja von seinem Vater total vorgelebt und soll ja sogar, wenn ich das grad richtig auf dem Schirm hab, immer dabei zugucken, wenn der seine Mutter missbraucht... Aber dass er selbst jetzt schon versucht, seine kleine Schwester zu vergewaltigen, und das auch noch in dem Alter schon, das ist echt heftig. >_> Gut, dass Katherine noch dazwischengehen konnte.

Puh... Da krieg ich ja selbst Schmerzen, wenn ich das so lese. Wundern tut es mich natürlich nicht, dass Gilbert so weit geht, Katherine den Arm zu brechen, immerhin hat man ja vorher auch schon mitgekriegt, wie gnadenlos er ist. Aber da wird einem schon ziemlich unwohl, wenn man sich das so vorstellt. War für mich gerade ein ähnlich unangenehmes Gefühl wie gestern, als ich in 'Asylum' diese Stelle gesehen habe, an der Lana sich Bilder von Frauen angucken musste und dabei dazu gebracht wurde, sich zu erbrechen. Urghs... Solche Methoden sind echt widerwärtig, genau wie das, was Gilbert da tut. Wobei Gilbert natürlich deutlich brutaler und schlimmer ist als dieser Therapeut, der von Zachary Quinto gespielt wird (mal wieder den Namen vergessen x'D), immerhin tut er das alles aus blankem Hass und Skrupellosigkeit heraus, während der Therapeut es im Grunde nur tut, weil er Lana helfen will. Das ist echt schlimm alles. x_x

Woah. Ja. War mal wieder ein krasses Kapitel, alles in Allem. Ich hab ja inzwischen echt Hass auf die Mutter. Ich versteh ja, dass sie es selbst schwer hat mit ihrem Mann und durch die Hölle geht, aber trotzdem ist das echt kein Grund, alles auf das eigene Kind abzuwälzen, das nun überhaupt nichts dafür kann, und es SO zu behandeln. Dafür gibt's auch meiner Meinung nach keine Entschuldigung. Ich frag mich ja jetzt auch so ein bisschen, wer da eigentlich den Krankenwagen gerufen hat. Tabitha wäre die Einzige, der ich das zutrauen würde, da sie ja echt lieb ist und an ihrer Schwester hängt, aber dann würde ich mir die Frage stellen, woher sie mit ihren sechs Jahren die Nummer vom Krankenhaus wissen soll, wenn ihr das nie jemand beigebracht hat. Und bei DEN Eltern geh ich eher nicht davon aus, dass die ihren Kindern sowas wie Notrufnummern beibringen. Vielleicht war's ja doch noch ein Akt der Gnade von ihrer Mutter?


(Kapitel 7)
Ah. Ach so. Gut, jetzt seh ich den Grund, warum Helen ihre Tochter ins Krankenhaus gebracht hat, obwohl es ihr wahrscheinlich im Grunde ihres Herzens trotzdem am liebsten wäre, wenn sie einfach tot umfallen würde. Mein Gott. Sie hat sie am Leben gelassen, damit sie noch mehr leiden muss. Wie grausam kann eine Mutter eigentlich denken? Katherine ist echt so gestraft, da fällt mir gar nichts mehr zu ein.

Aber deine Beschreibungen sind echt gut, muss ich nochmal betonen! So wie Helen hier am Anfang des Kapitels dargestellt wird – wie sie ständig ihre Bibelverse zitiert und wie sich ihr Aussehen verändert hat und so –, könnte sie auch locker eine echt bedenkliche Figur aus einem Horrorfilm sein. Ihr 'Werdegang' wirkt auf mich jedenfalls ziemlich glaubwürdig, und das macht das Ganze wieder umso tragischer. Auch dass sogar Nigel sich jetzt mehr oder weniger mit Katherine zusammenrauft, weil er nicht mehr weiß, was er von den Handlungen seiner Mutter halten soll, kann ich mir gut vorstellen. Das ist ja auch echt beängstigend, was sie da abzieht.

Boah. Diese Szene, in der Helen sich dann zum krönenden Abschluss selbst verbrennt, war jetzt echt richtig eindringlich. Das ist wirklich der reinste Horrorfilm! Dann diese Ablehnung von Mollys Mutter, der Moment, in dem Katherine klar wird, dass sie niemanden hat, an den sie sich noch wenden kann, und zuletzt ihr eigenes Abbild, das nach ihr ruft... Da hat dann wohl ihre Schizophrenie angefangen, nehme ich an.

Das Kapitel hatte es echt in sich und ich bin, wie immer, gespannt wie es weitergeht! Auch wenn du mir ein paar Sachen ja schon verraten hast, freu ich mich, wenn du wieder was hochlädst und hoffe mal für dich mit, dass das bei den Freischaltern alles durchgeht. xD'
Bis dann! ^^
Von: Futuhiro
2018-01-28T21:30:38+00:00 28.01.2018 22:30
Das Kapitel war ein bisschen "unschön" zu lesen. Diesmal ungewohnt viele Rechtschreibfehlerchen, die ich aus den vorherigen Kapiteln überhaupt nicht gewöhnt war, und teilweise ganz schön lange Passagen wo ich mir mal einen Absatz zur Entschärfung gewünscht hätte.

Aber (!) inhaltlich war es der Hammer. Ich hab extrem mitgefiebert. Ich hätte ja gedacht, sie wird auf dem Dachboden bei den Vorräten erwischt. Das ihre Mutter sich selber anzündet, daran hätte ich im Traum nicht gedacht. Als es um die Holzscheite ging, hatte ich eher noch den Verdacht, sie fackelt das Haus ab, mit allen Leuten die drin sind. Wäre ja ein tolles Timing gewesen, wenn der holde Gatte schon rotzbesoffen im Sessel hängt und nix mehr mitkriegt. Ein bisschen paradox ist ihre Mutter aber schon. Katherine darf nicht sterben, weil nur Gott allein über Leben und Tod entscheiden darf, aber sie selber bringt sich einfach um. Welcher Gott hat denn bitte für SIE entschieden?

Und wtf, ein Abbild von sich selbst? Wer oder was ist das denn gewesen? Ich bin echt gespannt wie es jetzt weitergeht.
Antwort von:  Sky-
28.01.2018 23:10
Erst mal danke für den Kommentar und dir Kritik am Rande. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mehr Fehler reingehen habe als sonst. Leider habe ich zurzeit extrem viel beruflichen Stress, weshalb meine Konzentration beim Schreiben zu wünschen übrig lässt. Ich werde auf jeden Fall noch mal drüberlesen, die Fehler korrigieren und mehr Absätze einbauen. Das muss ich sowieso noch üben^^;

Klar ist es sehr widersprüchlich, dass Helen ihre Kinder verschont, sich selbst aber tötet. Wenn man aber bedenkt, dass ihr gepredigt wurde, dass sie die Sünde vernichten soll, die sie in die Welt gesetzt hat, muss sie das wohl so interpretiert haben, dass sie sich selbst vernichtet weil sie die Sünde begangen hat, ihre Kinder zur Welt gebracht zu haben. Außerdem war sie zum Ende hin nicht mehr bei Verstand gewesen. Solche Leute denken nicht wirklich logisch. Und sie hat geglaubt gehabt, dass es Gottes Wille ist, dass sie Buße run soll. Ironischerweise hatte Jesus zwar gesagt gehabt, dass er die Sünde ablehnt aber nicht die Sünder. In Helen's Fall war es wohl umgekehrt. Statt die Sünde zu vernichten, die sie in die Welt gesetzt hat (ihre Kinder), überlässt sie diese ihrem Schicksal und wählt den Tod durch das Feuer, um sich selbst zu richten. Ziemlich widersprüchlich, aber Geisteskranke sind leider nicht dafür bekannt, dass sie logisch denken und handeln
Antwort von:  Sky-
28.01.2018 23:13
Und sorry für die weiteren Rechtschreibfehler. Die Autokorrektur meines Handys ist echt mies ^^;
Antwort von: Futuhiro
29.01.2018 05:36
Aber ist Selbstmord nicht auch die Todsünde schlechthin? Da hat sie wohl in ihrer Kirche/Sekte schlecht aufgepasst. XD Aber du hast Recht, Geisteskranke sind wohl so. ^^°

Ah ja, den Konzentrationsverlust bei Stress kenne ich auch nur zu gut.
Von:  Arya-Gendry
2018-01-28T20:43:05+00:00 28.01.2018 21:43
Hi
Wow das war mal wieder ein Kapitel. Jetzt ist mir auch klar wieso Katherine überhaupt ins Krankenhaus gebracht wurde.
Das Helen sich selber verbrennt, hätte ich zwar nicht gedacht sondern das Gilbert ihr noch was antut.

Wie es jetzt wohl weiter gehen wird? Es kann ja nur schlimmer werden. Echt krass wie Mollys Mutter so kalt bleiben konnte als
Katherine So vor ihr gestanden hatte.
Bin schon auf das nächste Kapitel gespannt. ;)
LG.
Antwort von:  Sky-
28.01.2018 23:16
Ja, dieser plötzliche Selbstmord von Helen kommt in der Tat unerwartet. Aber das war auch ehrlich gesagt meine Intention gewesen: die Unberechenbarkeit einer fanatischen Verrückten zu zeigen, die durch ihren gewalttätigen Mann und der Gehirnwäsche einer Sekte um den Verstand gebracht wurde. Bei solche Leuten muss man leider mit allem rechnen, wenn sie nicht mehr bei Verstand sind. Sie können sich völlig entgegengesetzt der menschlichen Logik verhalten und es ihre eigene Logik nennen.
Von:  Drachenprinz
2018-01-28T16:59:44+00:00 28.01.2018 17:59
Da bin ich mal wieder. ^^ Weiß jetzt gerade nicht, ob ich bis zum Abendessen noch dazu komme, beide Kapitel nacheinander zu lesen, aber das Fünfte werde ich mir jetzt jedenfalls schon mal zu Gemüte führen!

Dass Katherines Mutter jetzt so religiös geworden ist, ist eine interessante Wendung. Ich kann mir schon gut vorstellen, dass sie bei ihrer ganzen Vorgeschichte und allem jetzt versucht, sich Zuflucht in Gott zu suchen oder so. Dass die Priester ihr jetzt einreden wollen, sie müsse „die Sünde beseitigen, die sie in die Welt gesetzt hat“, ist natürlich weniger gut. Das hört sich ja ganz danach an, als würde sie von ihnen dazu gedrängt werden, ihre eigene Tochter zu ermorden. Oder zumindest sonstwie loszuwerden. Wobei man sich tatsächlich fragen könnte, ob nicht sogar der Tod für Katherine das geringere Übel wäre, wenn sie ansonsten nur die Aussicht darauf hat, in einer Welt zu leben, in der sie von allen verstoßen und gehasst wird. >_>
Uhh... Ich kann mir das gerade richtig lebhaft vorstellen, wie Helen, die ja sowieso schon immer eher wie ein Zombie aussah als alles andere, mit irrem Gesichtsausdruck und einem Messer in der Hand vor Katherine steht und ihr schon wieder die Schuld für alles gibt. Das ist echt ziemlich gruselig. Und natürlich traurig. Immer wieder muss Katherine sich anhören, dass sie nur Abfall ist, der nicht existieren dürfte und den man aus der Welt schaffen sollte... Dieses kranke, religiöse Geschwafel, das Helen da an den Tag legt, hast du aber gut rübergebracht, muss ich sagen. Da kann's einem echt kalt den Rücken runterlaufen. o_O
Na, wenigstens hat sie ihrer Tochter letztlich doch nichts getan, aber so etwas zu erleben, ist mit Sicherheit für ein Kind schon schlimm genug. Wow, gegen diese Geschichte ist 'Petboy Contract' ja echt der reinste Ponyhof, und eigentlich find ich schon 'Petboy Contract' stellenweise sehr düster. Ich hoffe, dass Katherine bald auch mal ausnahmsweise etwas Gutes widerfährt, aber andererseits weiß ich ja schon, dass das dann auch nicht von Dauer sein wird und ihr Leben eigentlich bis zu ihrem Tod beschissen sein wird. Die Arme. ^^' Ich würde sie echt so gerne in den Arm nehmen.
Von:  Drachenprinz
2018-01-25T19:00:09+00:00 25.01.2018 20:00
Hey, da bin ich endlich mal wieder! Bin ja jetzt einige Tage nicht mehr wirklich zum Weiterlesen gekommen, aber ich hab zum Glück noch alles auf dem Schirm, was vorher passiert ist. Dann schauen wir mal, wie es weitergeht! Ich hab gesehen, dass du ja seit dem letzten Mal zwei neue Kapitel hochgeladen hast, aber ich schau mir jetzt erst mal das dritte und vierte an. ^^

(Kapitel 3) Alter Schwede, ist das direkt schon wieder hart... „Wir hassen dich, weil du geboren wurdest“. Boah. Also, ganz ehrlich: Langsam bin ich der Meinung, dass Katherine im Erwachsenenalter NOCH so viele schlimme Dinge getan haben kann – ich kann alles nachvollziehen, was sie später getan hat, weil einem bei so einer Vergangenheit wirklich nichts anderes mehr übrigbleibt als durchzudrehen. Als siebenjähriges Kind so misshandelt zu werden, in der Schule sofort Probleme mit den anderen Kindern und den Lehrern zu haben und dann auch noch von der eigenen Mutter solche Worte zu hören, kann einen ja nur total kaputtmachen. >_>

Mann, das wird ja immer schlimmer...! Ehrlich gesagt fand ich es sogar weniger schlimm zu lesen, wie Katherine im zweiten Kapitel von ihrem Vater verprügelt wurde, als diese Stelle hier jetzt. Das, was ihre Mutter da zu ihr sagt, ist ja wirklich psychische Gewalt vom Feinsten. Das tut mir ja selbst beim Lesen in der Seele weh. Diese Frage von Katherine, ob sie denn jemand wieder heil machen kann, wenn sie kaputt ist, hat sowas Kindliches, Unschuldiges, dass man sie einfach irgendwie beschützen und ihr sagen will, dass alles gut wird – und dann kommt ihre Mutter und sagt ihr, dass sie wie ein Fleck ist, den man nicht auswaschen kann, und sie nur zum Wegwerfen da ist. Irgendwie krieg ich da echt Hass auf die Mutter, wenn ich sowas lese, aber andererseits wurde sie ja selbst jahrelang von ihrem Mann wie Scheiße behandelt... Und sogar der Vater hat mir ja anfangs leidgetan, weil sogar ER solche schlimmen Sachen in seiner Kindheit erlebt hat. Die Vorstellung von so einem Clan, der einfach zum Leiden verdammt ist und bei dem sich die Gewalt von Generation zu Generation weiter durchzieht, ist irgendwie echt schrecklich.

Uff. Jetzt kommt Katherine auch noch auf die Idee, sich umzubringen. Und das in dem Alter. x_x Gerade auch ihre Gedankengänge dabei, dass ihre Eltern ohne sie wieder glücklich werden könnten, und dann ihre Entscheidung, es doch nicht zu tun, weil sie ihre kleine Schwester nicht allein lassen will – das ist für eine Siebenjährige irgendwie echt heftig. Ich wollte gerade erst 'reif' sagen, aber ob man es jetzt als 'reif' bezeichnen sollte, wenn jemand Selbstmord begehen will, damit unter Anderem seine Eltern glücklich werden können (was ich auch bezweifeln würde), sei mal dahingestellt. Auf jeden Fall finde ich es erstaunlich, wie vorbildlich sie sich in dem jungen Alter und unter diesen ganzen krassen Umständen tatsächlich verhält, dass sie immer noch so selbstlos ist, an das Wohl ihrer Schwester zu denken, obwohl sie genauso gut die ganze Zeit Angst um sich selbst haben könnte.

Okaaaay... Bin durch mit dem Kapitel. Das war ja noch ein krönender Abschluss, muss ich sagen. Ich hab das Gefühl, dass es hier wirklich auf eine sehr ausgeprägte Art und Weise vom Regen in die Traufe geht. Diese Geschichte könnte echt als Definition unter 'Darkfic' stehen und ich kann langsam echt verstehen, warum es dir oft so schwerfällt, daran weiterzuschreiben. ^^' Trotzdem finde ich es gut, dass du es tust, sodass man Katherines ganze Geschichte mitverfolgen und genau sehen kann, warum sie letztlich so geworden ist, wie sie nun mal ist. Kein Mensch wird böse geboren. Manche haben es nur von Anfang an schwer...


(Kapitel 4) Ach Gott. Diese Szene, in der Katherine in der Pause mit Molly zusammen da sitzt und sie sich über ihre Familien unterhalten, während sie Kirschen essen, war auf eine bittere Weise irgendwie total süß. Weiß auch nicht. Mann, du hast echt ein Talent dafür, Szenen zu schreiben, die mich berühren! xD Und ich mag Molly bisher total. Ich kann mir auch total gut vorstellen, wie die beiden wohl aussehen, während sie da so zusammensitzen, mit Fünfziger-Jahre-typischen Frisuren und Kleidern. Ich erinnere mich, dass in deinen Notizen etwas von einem Clan stand, dessen Mitglieder alle etwas Androgynes an sich haben. Dann nehme ich mal an, dass das der Brightside-Clan war, wenn Molly und ihre Mutter schon so häufig mit einem Jungen bzw. Mann verwechselt werden.

Oh je, dass Katherine von dem Bus aus Sally gesehen hat, verheißt bestimmt nichts Gutes. Irgendwie fand ich es aber gerade auch cool, wie Sally plötzlich da aufgetaucht ist, weil ich mich immer so ein bisschen freue, wenn ich einen deiner Charaktere, Clans oder Mythen wiedererkenne. Ich hab mich schon voll an dein ganzes Universum gewöhnt, merke ich gerade. ^^

Hm, so wie Mollys Mutter da äußerlich beschrieben wird, stelle ich sie mir echt attraktiv vor. Ich mag ja androgynes Aussehen sowohl bei Männern als auch bei Frauen, aber mal gucken, wie sie charakterlich so ist und wie sie jetzt auf Katherine reagiert.

Oh, okay. Beim Weiterlesen denke ich mir gerade schon, dass Mollys Mutter bei Katherines Anblick wohl direkt schon ihre gelben Augen aufgefallen sind und ihr Nachname 'Cohan' sie dann wahrscheinlich noch mehr verunsichert hat.

Und jetzt bin ich durch. Das ist wirklich traurig. Ich finde, du brauchst das auch gar nicht weiter ausführen, warum genau Molly Katherine jetzt aus dem Weg geht, denn die Umstände lassen einen da als Leser schon selbst starke Vermutungen entwickeln. Ich würde mal sagen, Mollys Mutter hat ihr, während Katherine im Garten auf sie gewartet hat, von dem Cohan-Clan erzählt und ihr gesagt, dass sie sich von den Cohans fernhalten soll, wenn sie sich keine Probleme einhandeln will. Was auch tatsächlich verständlich ist – aber für Katherine ist es jetzt natürlich trotzdem richtig beschissen, nicht mal zu wissen, warum Molly anscheinend so plötzlich nichts mehr mit ihr zu tun haben will.
Ich erinnere mich da gerade an so eine Situation, die ich in der fünften Klasse erlebt habe... Ich war mit einem Mädchen befreundet, das mich plötzlich von einem Tag auf den anderen total gemieden hat und mir nicht sagen wollte, warum. Als ich sie dann irgendwann doch noch dazu gekriegt habe, mit mir darüber zu sprechen, hat sie gesagt, sie hätte geträumt, ich würde ihr die Nase und die Ohren abschneiden. Und da dachte ich mir echt nur so „WTF“. (So am Rande bemerkt: Ihr Traum hat sich nicht bewahrheitet. :'D Auch wenn ich offensichtlich als Kind wie der übelste Psychopath gewirkt haben muss, der manchmal von einer dunklen Macht besessen mit einer Schere durch die Gegend rennt und anderen Kindern Körperteile abraspelt – der Eindruck kann täuschen! Und... außerdem gab es da genug andere Kiddies an dieser abgefuckten Schule, denen ich sowas eher zugetraut hätte. Aber nun ja.)
Antwort von:  Sky-
25.01.2018 20:31
Ja, mir bricht es auch immer wieder das Herz, wenn ich solche Szenen schreibe, in denen Katherine von ihrer Mutter derart psychisch misshandelt wird, während sie von ihrem Vater physisch gequält wird. Und dass selbst Kinder Selbstmordgedanken haben können, ist leider nicht aus der Luft gegriffen. Ehrlich gesagt war dies eine der schwersten Szenen für mich weil ich als Kind sogar meinem Psychologen gesagt habe, dass ich gar nicht mehr leben will weil ich das Gefühl hatte, meine Familie wäre viel glücklicher wenn ich einfach tot wäre. Da war ich acht oder neun Jahre alt.

Ja genau, der Brightside Clan besteht ausschließlich aus androgynen Leuten und selbst ich muss gestehen, dass ich androgyne Menschen einfach nur faszinierend finde, vor allem Frauen.

Dass Mollys Mutter ihre Tochter beiseite genommen und sie gewarnt hat, hätte wahrscheinlich jede verantwortungsvolle Mutter getan, vor allem wenn man genau weiß wie gefährlich die Cohans sein können. Und zumindest hat sie nicht direkt vor Katherine mit ihrer Tochter gesprochen. Zwar ist das eine wirklich traurige Situation für Katherine, aber zumindest hatte Mollys Mutter nicht vor, Katherine persönlich anzugreifen oder sie bloßzustellen. Als Leser wünscht man sich natürlich, dass Mollys Mutter die Freundschaft der beiden einfach akzeptiert hätte. Aber hättest du dein zehnjähriges Kind mit jemandem spielen lassen, dessen Familie aus gewalttätigen Psychopathen besteht?

Also die Situation, die du erlebt hast, kenne ich in ähnlicher Form. Zwar hatten die anderen keine Alpträume davon, dass ich sie umbringen oder verstümmeln würde, aber fast jedes Mal, wenn ich mich mit jemandem getroffen habe, haben sie mich danach wie Luft behandelt oder angefangen mich zu schikanieren. Aber ich kann dich beruhigen. Bis jetzt hatte ich keine Alpträume davon, wie du mir Körperteile absäbelst XD
Von: Futuhiro
2018-01-25T16:30:24+00:00 25.01.2018 17:30
Himmel ... X_x

Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen tut mir Tabby gerade am meisten leid.
Was ich mich aber frage: Gibt es in dieser Geschichte kein Jugendamt, das einschreiten könnte? Müsste der Arzt nicht irgendwie hellhörig werden, wenn er ein derart misshandeltes Kind eingeliefert bekommt?
Antwort von:  Sky-
25.01.2018 18:18
Das Traurige ist leider: es sind die 50er und die Geschichte spielt auf dem Land. Damals hatte man nicht direkt die Jugendschutzbehörde gerufen nur weil man als Kind ein paar Schläge gekriegt hat. Damals hatte man selbst von den Lehrern noch körperliche Züchtigung gekriegt. Auf dem Land herrscht eh ein anderer Standard als in der Stadt und man muss bedenken, dass die Cohans Familie einen schlechten Ruf hat, dass sie aus Verrückten besteht. Da macht sich niemand die Mühe, denen zu helfen
Antwort von: Futuhiro
25.01.2018 18:20
Achso, der Zeitraum, in dem das spielt, ist mir noch gar nicht so bewusst geworden. Ich war von Gegenwart ausgegangen. ^^
Antwort von:  Sky-
25.01.2018 19:26
Nein, tatsächlich spielt die gesamte Geschichte in der Vergangenheit da dies eine Art Vorgeschichte von Petboy Contract ist, welche sich in unserer Zeit abspielt. Katherine wurde 1947 geboren, also spielt daa Kapitel, in welchem ihr Vater ihr den Arm bricht, im Jahre 1957.
Antwort von: Futuhiro
25.01.2018 19:29
Ah, Petboy Contract kenne ich nicht. Ich bin nur dieser Tage über die Story gestolpert, weil ich endlich mal auf den Trichter kam, 'eigene Serie' zu abonnieren, und dann kam das neueste Kapitel auf meiner Startseite. Ich bin also insgesamt noch sehr unbedarft, was dieses Universum angeht. ;)
Danke für die Erklärungen.


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