Alle seine Namen von Jaelaki (Kakashi und Yamato (Tenzou)) ================================================================================ Kapitel 5: ... die einer kennt. ------------------------------- Er hätte es gerne nur ein einziges Mal gehört. Dass sie nicht vergessen waren, dass sich das Dorf bewusst war, welche Opfer gebracht worden waren. Aber er war nicht naiv, das war er noch nie gewesen. Genauso wenig ließ er sich vom Äußeren seines Gegenübers täuschen. Kakashi rüttelte Tenzous Schulter, während er den ungebetenen Gast in der Ecke nicht aus den Augen ließ. Die zwei ANBU hinter ihm taten es ihm gleich und beobachteten den Jungen, der sie mit großen Augen anblinzelte. Niemand ließ sich von der Erscheinung des Jungen täuschen. Sein weißblondes Haar stand ihm wild vom Kopf ab, seine Mimik verschlossen. Er war nicht älter als drei Jahre, aber unvorsichtige Ninja waren schon von jüngeren Gegnern getötet worden. »Tenzou«, murrte Kakashi und spürte unter seinen Fingern, wie sich der andere rührte. Sie würden herausfinden müssen, wie der Junge aus der Obhut der ANBU entkommen war. Und warum. »Ein Genjutsu«, murmelte Tenzou und erhob sich halb vom Bett, ehe er das Gleichgewicht verlor und zurücksank. Kakashi nickte den ANBU zu, die sich dem Jungen vorsichtig näherten. Als wäre er ein wildes Tier, das in einem unberechenbaren Augenblick zuschlagen würde. »Junge, verhalte dich ruhig«, befahl einer der Anbu. »Mitsuki«, sagte Tenzou, »sein Name ist Mitsuki.«   Sein Name war unbedeutend. Namen von Ninja waren austauschbar. Nur wenige ragten heraus, deren Namen unsterblich wurden. Aber sie bezahlten einen Preis dafür. Sie saßen auf einem Ast in der Baumkrone und der ANBU beobachtete wie Kakashi unter halbgeschlossenen Augenlidern das gemächliche Treiben auf der Straße betrachtete, auf dem Markt, die zivile Bevölkerung, unter die sich Ninja mischten, als wären ihre Lebenswelten nicht zwei völlig unterschiedliche. Er verbot sich, an den Jungen zu denken. »Solltest du nicht lieber den Hokagen beobachten?« Der Blick des ANBU machte einen Ruck zurück zum amtierenden Oberhaupt des Dorfes, auf den Siebten gerichtet, wie es seine Mission verlangte. Unter anderen Umständen hätte er behauptet, genau das die ganze Zeit getan zu haben, aber das hier war nicht der Zeit oder der Ort für solche Gespräche. Außerdem sah er Kakashis Grinsen schon vor sich, das ihm das Gefühl verpasste, jede Diskussion ohnehin zu verlieren. Selbst, wenn er sie faktisch gewann. »Erhöhte Sicherheitsstufe wegen eines Kindes «, murmelte Kakashi, »fast wie in alten Zeiten.« Welches Kind er genau meinte, blieb offen. Konoha hatte so seine Geschichte mit unberechenbaren, vorzüglich verwaisten Kindern, die die Ältesten als Gefahr einstuften. Nur wenige Personen kannten aber die gesamte Geschichte. Der ANBU war der Meinung, jeder Ninja bezahlte einen Preis. Nur wenig davon drang an die Öffentlichkeit. Aber Meinungen von Ninja zählten nicht. Nur wenige durften sich eine Meinung erlaubten. Aber sie bezahlten einen Preis dafür. »Was passiert mit Mitsuki?«, fragte der ANBU gegen jede Ordnung. Ihm fielen spontan dreiundzwanzig Regeln ein, gegen die er in diesem Moment verstieß. Er fragte sich, seit wann es ihn nicht mehr kümmerte. Kakashi schwieg und der ANBU hakte nicht nach. Vielleicht war die Frage nicht, ob man etwas opferte, sondern wie viel. Und wie viel am Ende von einem übrig blieb.   Manchmal fragte sich Kakashi, wie viel von ihm übriggeblieben war. Wie viel von diesem kleinen Jungen, der er mal gewesen war, noch in ihm steckte. Und was der ihm sagen würde, würde er ihm zum jetzigen Zeitpunkt begegnen. Danach überlegte er, was er seinem jüngeren Ich raten würde.     Nur weil es kein klares Gut oder Böse gab, hieß das nicht, dass die Entscheidung richtig war. Manchmal war eine einzige Entscheidung richtig und falsch, aber das hieß nicht, dass man die Entscheidung nicht fällen brauchte. Das Problem war, dass Regeln und Gesetze das ganze moralische Konstrukt nicht tragen konnten, in dem sie sich momentan befanden. Sein jüngeres Ich wäre aufgeschmissen gewesen und wenn er ehrlich zu sich war, dann war er es jetzt noch. Kakashi wusste, wie man mit so einer Situation vor eins, zwei Generationen umgegangen war. Er hatte es selbst mehrfach erlebt. Ein Kind mit Potenzial in schwierigen Umständen. Das Dorf hatte sich bisher kaum mit Ruhm begossen, aber das wussten nur wenige Eingeweihte. Dieses Mal jedoch stand Naruto an der Spitze. Und er würde Naruto zur Seite stehen, diese Entscheidung, für die es kein Richtig gab, zu tragen. »Dieses Mal wird es anders«, murmelte er und wusste nicht, ob er es Tenzou oder sich selbst zusprach. Kakashi hob sein Heftchen (obwohl er es beinahe schon auswendig aufsagen konnte), senkte seinen Blick und ignorierte die Ignoranz des Dorfes.   Der ANBU hatte lange den Schmerz ignoriert. Obwohl sein erster Instinkt ihn anschrie, abzuhauen, verharrte er. Er sagte nichts, obwohl die Stimmen in seinem Kopf brüllten. Es waren Tage in Grau, die an ihm vorbeizogen. Wenn er keinen Auftrag hatte, blieb er im Bett. Die Zeit verfloss und manchmal fragte er sich, wohin. Immer wieder saß Kakashi an seiner Bettkante, die Nase zwischen Seiten vergraben, aber der ANBU wusste genau, dass er jede Bewegung, jeden Atemzug, jeden Blick wahrnahm. Ab und zu lagen sie gemeinsam auf der Matratze und starrten an die Decke, wisperten Sachen, die sie nur der Dunkelheit anvertrauten. »Ich werde mich aus der ANBU versetzen lassen«, flüsterte der ANBU in so einer Nacht. Er spürte die Finger des Anderen seinen Unterarm entlang streichen, fühlte seinen Atem über die Wange wandern. Die Nähe, die sein Innerstes stolpern ließ. Er fiel und wartete auf den Aufprall. »Ich frage mich, welchen Namen sie mir dieses Mal geben werden«, flüsterte er und schwelgte noch in der Leichtigkeit, die ihn so oft trug, sobald er Kakashi bei sich wusste. Vielleicht waren sie deswegen so ein gutes Team gewesen. »Ich nenne dich, wie du willst.« Yamato starrte ihn an, dann schüttelte er sachte den Kopf und lachte. Er spürte das schiefe Grinsen unter der Maske des Anderen an seinem Nacken. »Ich habe so viele Namen gehabt ­­–« »Ich kenne sie alle. Such dir einen raus. Oder überleg dir einen neuen. Auf einen Namen mehr kommt es dann auch nicht mehr an.« Es klang so banal. Der ANBU schluckte und fragte sich zum ersten Mal, ob es vielleicht wirklich so simpel sein konnte. »Was für einen Namen sollte ich mir schon geben?« Namen trugen Bedeutung. Sie konnten verheißungsvoll, bedrohlich, mächtig sein oder unauffällig, wie Schall und Rauch. Der ANBU wusste nicht mehr, was erstrebenswerter war. »Überrasch mich«, flüsterte Kakashi und zog seine Maske ab, erstickte sein kehliges Lachen mit dem Mund. Der ANBU fürchtete die Augenblicke, wenn er glücklich war. Er fürchtete, den Absturz danach. Denn Glück hielt niemals lange. Es war ein vorhersehbarer Fall, nachdem er den Höhepunkt erreicht hatte. Glückseligkeit war etwas Flüchtiges. Nichts blieb.   Alles verging. Vielleicht wäre es deswegen besser allein zu sein. »Nichts los, alles top«, behauptete Kakashi und streckte seinem ehemaligen Tunichtgut einen Daumen entgegen. Der amtierende Hokage nickte. »Gut.« Natürlich war bei weitem nicht alles top oder gut. Immerhin war das einer der Gründe, warum sie hier waren. Der ANBU stand vor seinem Schreibtisch, die Maske verdeckte seine Mimik, aber Kakashi wusste, wie der Andere dreinschaute. Er ahnte vielleicht sogar, wie er sich fühlte. Nach so langer Zeit. Er selbst hatte vor vielen Jahren dort gestanden in dieser Uniform, die für fast alle unsichtbar war, weil es sich so gehörte. Namenlose Schatten, die niemand zu bemerken hatte. Vielleicht wäre es einfacher, im Dunkeln zu bleiben. Naruto lehnte sich im Sessel des Hokagebüros zurück, hob seinen Blick und musterte den ANBU. Vielleicht wäre es einfacher, Aufträge entgegen zu nehmen und die Verantwortung den Ranghöheren zu überlassen. »Ich bin sicher, dass du dir sicher bist. Ich meine, sonst wärst du sicher nicht hier«, sagte Naruto und kratzte sich am Hinterkopf. Trotz dieser Robe würde Kakashi nie den Jungen, der Naruto einmal gewesen war, übersehen können, wenn er ihn ansah. Er hätte gelacht, wäre er sich nicht der Nervosität bewusst gewesen, die unter der Maske des ANBU brodelte. »Ja«, antwortete er und verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Kakashi kannte jede Geste, jedes Mienenspiel. Er wusste, wie der andere reagieren würde, ahnte seine Bewegungen voraus, wenn er sie nur andeutete. Das hatte sie zu geradezu perfekten Teamkollegen gemacht. Aber tatsächlich war nichts einfach. Das war das Wörtchen, das ihn von einem Pfad riss, von dem er geglaubt hatte, dass er ihn bis zum Ende seines Lebens führen würde. Kakashi atmete tief ein. Und aus. »Gut, dann«, Naruto erhob sich, trat zu den beiden und legte seine Hände auf die Schultern des ANBU, »enthebe ich dich aus dem Dienst der ANBU.« Stille. »Du musst ihm seine Maske abnehmen«, raunte Kakashi und deutete mit dem Daumen auf den ANBU. »Äh, klar. Sorry.« Naruto nahm dem ANBU seine Tiermaske vom Gesicht. Und das war die Geste, die den Prozess vervollständigte. Der ANBU war verschwunden. Offiziell gab es ihn nicht mehr. Zurückblieb eine Person, deren Existenz erst jetzt in den Aufzeichnungen begann. »Yamato-sensei«, sagte Naruto, »wie wollen Sie ab jetzt heißen?« Gewöhnlich starben ANBU während ihres Dienstes. Die Enthebung aus der Eliteeinheit nach jahrelangem Dienst war ohnehin ungewöhnlich. Aber dieser ANBU hatte keine Familie, keinen Namen aus dem Leben vor der ANBU. Er würde eine komplett neue Biographie erhalten. Kakashi sah, wie der ehemalige ANBU lächelte.   Der ehemalige ANBU sah, wie Kakashi unter dessen Maske lächelte. Er fragte sich, ob er sich die Maske deswegen anlegte, weil das Fehlen der Tiermaske ihm das Gefühl gab, nackt zu sein. Oder ob es ihm nur selbst so erging. Sie schlenderten am Trainingsplatz drei entlang und beobachteten ein paar Genin beim Training. Kakashi stützte seine Unterarme auf einen Holzbalken, der das Gelände grob abtrennte. »Warum ausgerechnet der Name?«, fragte er. In der Ferne übten die zwei Mädchen und der Junge Taijutsu. Die Abendsonne malte den Himmel orangerot und tauchte sie in ein warmes Licht. Es wirkte alles so friedlich. Fast konnte der ehemalige ANBU glauben, dass diese Ruhe nicht nur im Auge des Sturms herrschte. »Du hast mich all die Jahre nicht so genannt, wie du solltest.« »Mhm, wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen.« Kakashi grinste schief. Der ehemalige ANBU wusste es, ohne hinzuschauen. »Ich wollte es dir jetzt einfacher machen.« Natürlich war das nicht der wahre Grund. Nicht der einzige zumindest. »Ich denke, dass es eh Unsinn ist. Ein Name macht keine Identität aus. Eine Identität füllt erst den Namen«, sagte Kakashi und zog sein Heftchen aus der Hosentasche. Im ersten Moment wollte der ehemalige ANBU fragen, ob er aus dem Schundroman zitierte (was nicht das erste Mal gewesen wäre), aber er schwieg. Vielleicht hatte sein Sempai recht. Dieser Name jedoch barg auch das Andenken an eine Familie. Manchmal erinnerte er sich an seine Missionen damals, wie er sich an Träume erinnerte. Die meisten endeten mitten in der Nacht, wenn er mit einem Schrei erwachte. Aber es gab diesen einen Traum, der anders war. Der ihn mit dem warmen Gefühl im Inneren zurückließ, selbst wenn der eigentliche Traum in Vergessenheit geriet. »Und was hast du jetzt vor?«, fragte Kakashi und schaute über den Rand des Heftchens zu den trainierenden Kindern. »Vielleicht teilen sie mir bald ein Genin-Team zu.« »Hoffentlich nicht.« »Danke auch, Sempai.« So schlimm sah er seine eigenen Lehrqualitäten dann wieder nicht. »Hör auf zu schmollen«, sagte Kakashi und lachte kehlig auf. »Ich schmolle n-« Kakashi winkte ab und deutete mit dem Daumen auf die Genin auf dem Trainingsplatz. Der Junge lachte auf, eines der Mädchen jauchzte. Sie sprangen umher und jagten sich. »Schau sie dir an.« Da war keine Spur von Angst oder Gefahr. Keine Ahnung von Nächten, in denen sie schweißgebadet erwachten. Gesichtslose Gesichter, die sie heimsuchten. Stimmen, die in der Finsternis brüllten. »Genin sind unerträglich«, behauptete Kakashi und zuckte die Schultern. »Sie sind halt noch Kinder? Deine haben sich doch auch ganz passabel entwickelt.« »Ja, Kinder«, murmelte Kakashi und grinste schief, aber sein Blick wanderte in eine Ferne, in die der ehemalige ANBU ihm immer wieder einmal gefolgt war. Erinnerungen und Träume, die man vor niemandem zugab. Der ehemalige ANBU konnte ahnen, wohin ihn seine Gedanken zerrten. Jedes Kind sollte das Recht haben, sich mehr als passabel zu entwickeln. In einer Welt aufzuwachsen, in der ihnen nicht nur Nahrung und ein Zuhause zustanden, sondern auch Zuneigung und eine liebevolle Förderung. Hände, die ihnen aufhalfen, wenn sie fielen. Worte, die ihnen Mut zusprachen. Keine Hände, die sie wegstießen. Worte, die in Wunden bohrten. Narben, die unsichtbar sichtbar jedem davon erzählten, wer man war. Blicke, die zeigten, wie unerwünscht man war. Konoha war oft kein idealer Ort gewesen. »Unerträglich«, wiederholte Kakashi, schüttelte sachte den Kopf und blätterte eine Seite weiter. Das Rauschen der Blätter im Wind und die Stimmen der Kinder in der Ferne waren das Einzige, das die Stille zwischen ihnen übermalte. Kakashi war eine der wenigen Personen, mit der er diese Stille einvernehmlich verbrachte. »Tenzou?« »Ja?« »Ich wollte es nur ausprobieren.« Tenzou starrte ihn einen Augenblick an. Wie er sich verschmitzt den Hinterkopf kratzte und sein Stirnband zurechtrückte, obwohl es nicht verrutscht war. Wie er ihn angrinste unter seiner Maske und sein unverdecktes Auge zu einem Schlitz zusammenkniff. Und dann brach er in Lachen aus. Er lachte und lachte und irgendetwas in ihm löste sich. Vielleicht wäre es besser allein zu sein. Allein gab es keine Chance jemanden zu verlieren, dessen Verlust man spürte. All die Nächte, in denen er seinen Alptraum wieder durchlebte und viel zu spät erkannte, dass es nur die Schatten der Vergangenheit waren. Aber vielleicht war das alles erst etwas wert, wenn man es nicht war. Als entknotete sich ein Seil, in ihm, das ihm jahrelang die Luft abgeschnürt hatte. Sein Sempai stimmte in sein Lachen ein. »Weißt du, vielleicht werde ich es sogar etwas vermissen, dich nicht zu verbessern, wenn du den Namen sagst«, sagte er mit bebendem Brustkorb und sog die Luft zwischen dem immer wieder aufbrechenden Lachen ein. Über Kakashis Lippen zog sich ein Grinsen und Tenzous Blick fiel zurück auf die Kinder. Vielleicht konnte nicht einmal das ganze Dorf all die Verluste wettmachen. Vielleicht reichte aber ein einziger Mensch, der alle seine Namen kannte?     [ENDE]           An dieser Stelle möchte ich allen Lesern ganz lieb danken fürs Lesen, Kommentieren und Mitfiebern! Ich hoffe, diese Geschichte konnte euch berühren, mitnehmen, nachdenklich machen und auch zum Grinsen bringen.  Dann wäre mein Soll erfüllt. Die Geschichte ist gewidmet, ohne die es diese Story gar nicht gegeben hätte. Auf viele weitere amüsante, verrückte, kritische und lange Telefonate! ~Jaelaki Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)