Let me be your favourite hello and hardest goodbye von Nuessjen ================================================================================ Kapitel 29: Nochmal. -------------------- Eins. Zwei. Drei. Einatmen. Ausatmen. Die Grundregeln des Überlebens, etwas, was sich in das Hirn einbrennt, unwillkürlich stattfindet und doch in Situationen wie diesen in Vergessenheit gerät. Eine Situation, die dir den Atem raubt, deine Welt einen kleinen Moment lang stillstehen lässt. Einatmen. Ausatmen. Das Brennen in den Augen akzeptieren, die Tränen rollen lassen, die Scham überwinden. Jeder kann mich sehen, sehen, wie ich den Halt verliere und auf meine Knie presche. Meine Hände zittern und meine Lippen fangen an zu beben, Spucke verteilt sich auf jenen, vermischt sich mit den herabrinnenden Tränen. Einatmen. Ausatmen. „Sag das nochmal…“. Einatmen. Ausatmen. „Sag es nochmal..“. Einatmen. Ausatmen. „Nochmal…“ Mit jeder Bitte werden meine Schritte schneller, mein Atem hektischer und mein Puls schneller. „Nochmal!“, ein Keuchen, mehr bleibt von meiner Stimme nicht mehr. Panik bricht in mir aus. Bitte, lass das kein Scherz sein. Meine Lunge brennt, meine Augen brennen, meine Wangen von salzigen Tränen und meine Nase läuft. Wie in Trance erreiche ich den Haupteingang des Krankenhauses. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Die Übelkeit herunterschlucken, die Tränen wegwischen, Nase säubern und einatmen. Ausatmen. Beruhigen. Die Tür der Intensivstation. Das Handy hab ich immer noch am Ohr. „Nochmal…bitte..“. keine Ahnung, wie oft ich diese Bitte schon geäußert habe, wie oft ich in den Imperativ verfallen bin und wie oft ich geschrien habe. Doch immer sind dabei Tränen in meinen Augen aufgestiegen und mein Herz wurde ein Stück größer. Ich öffne sachte die Tür zu Sakus Zimmer. „Nochmal…bitte..“, mein Handy lasse ich langsam sinken und schaue die zierliche, eingefallene Schönheit im Bett vor mir an, ein Lächeln auf den Lippen. Ihr Mund verzieht sich zu einem schüchternen Lächeln, ihre Wangen glühen förmlich, als ich mit schnellen Schritten den abstand zwischen ihrem Bett und mir hinter mich bringe. Einatmen. Ausatmen. Gierig, schnell, hastig, verlangend, besitzergreifend, sorgend, angsterfüllt, dankbar. Liebevoll. So umschließe ich ihr schmales Gesicht, presse meine Lippen auf ihre und lasse meinen Gefühlen freien Lauf. Ihre Tränen mischen sich mit meinen, der salzige Geschmack nimmt Überhand und ich kann es nicht unterbinden, mich mit meinen eigenen Händen zu vergewissern, dass sie wach ist. Berühre immer wieder ihr Gesicht, zeichne ihre lächelnden Lippen nach, streiche die Tränen aus ihrem Gesicht. Das Grün ihrer Irden wird dunkler, strahlender, intensiver, als sie mein Kinn in die Hand nimmt und mich fordernd anschaut. Wie eine Mutter ihren kleinen, wehrlosen Sohn, den sie beschützen muss. „Ich bin noch nicht bereit, dich zu verlassen. Ich liebe dich, Sasuke. Ich werde das so oft, wie du möchtest, wiederholen. Ich bin noch lange nicht dazu bereit…dafür hatte ich zu wenig Zeit mit dir!“. Perfektion. So perfide diese Situation gerade ist, so schrecklich die Stimmung auf dieser Station wirkt, umso erfüllter ist dieser Raum, die Luft zwischen uns, das Knistern zwischen uns. Wenn ich nie an eine wahre Liebe zwischen Mann und Frau geglaubt habe, und immer dachte, die gibt es nur zwischen einer Mutter und ihrem Kind…dieser Moment hat mein Weltbild komplett gewendet. Liebe. Bedingungslose Liebe. Die Glückseligkeit, welche wir im Leben zu erreichen versuchen, habe ich schon immer in meinem Leben gehabt. *~*~*~~~~~~~~~ Ich weiß nicht, wie lange wir hier sitzen, uns gegenseitig einfach nur festhalten, immer wieder küssen uns streicheln. Jim war auch schon da, die Stents haben ihren Zweck erfüllt, durch den Abfluss konnte sich ihr Körper erholen. Ein paar Tage wird sie noch hier verbringen müssen, aber die Aussicht auf die normale Station ist gut. „Sasuke…“, ihre liebliche Stimme lässt mich aufhorchen. Leicht stupse ich ihre Nase mit meiner an, versuche immer wieder so viel Körperkontakt wie möglich herzustellen. „Ich muss mal wohin..“, das Unwohlsein ist ihr deutlich anzusehen. Der Katheter wurde ihr schon gezogen? Nun ja…gut. „Ich lass dich raus…“, schnell stehe ich vom Bett auf, möchte ihr Platz machen. „Ach Sasuke..“, ihr Lachen erfüllt den Raum, bringt das Leben in mein Leben zurück. „Meine Beine sind Wackelpudding…bitte klingel mal, ich brauch da Hilfe“, leise und doch bestimmt. Sakura. Sie ist dünn geworden, selbst die Shirts, die wir neu gekauft haben, sind ihr zu gross, ihre Knochen zeichnen sich ab und ihre Augen wirken noch größer und mystischer. Ich beuge mich zu ihr vor, umschließe ihren Torso mit meinen Armen und hebe sie vorsichtig und mit viel Bedacht hoch. „Ah! Was machst du denn da?! Lass mich runter, Sasuke…!!“, doch auch ihre Keifen und Zetern helfen ihr jetzt nicht weiter. „Lass mich bitte runter. Du sollst mich nicht auf Toilette begleiten! Das ist unangenehm!“. Noch bevor sie weiterer solcher stupiden Sätze rausballern kann, hab ich sie auf den Klositz verfrachtet und mich vor sie gestellt, ihren Kopf an meinen Bauch gelehnt, als Stütze dienend. „Darüber machst du dir Gedanken? Dass du hier pinkelst, während ich dabei bin?? Ich hab dich erbrechen sehen, habe dein Blut aufgewischt, du bist in meinen Armen zusammengeklappt und fast gestorben. Und du machst dir Gedanken wegen etwas Urin? Urin? Wir wissen beide, dass das sowas von unnötig ist.“, meiner Kehle entflieht ein Lachen. Das erste seit Wochen. Sie bringt die Freude zurück in mein Leben. Lachend vergräbt sie ihr Gesicht an meinem Bauch, fragt vorsichtig nach den anderen, wie die letzten Tage waren und was jetzt noch so auf sie zukommt. Auf manches habe ich eine Antwort, auf vieles aber nicht. Auf die Frage, was ich die letzten Tage gemacht habe, antworte ich mit einer Lüge. Nie könnte ich ihr erzählen, dass ich die letzten Tage immer wieder am Gab meiner Mutter verbracht habe, dann bei Haru und ihrer Mutter war. Dass ich die drei immer wieder angefleht habe, Sakura zurückzuschicken und nicht schon zu sich zu holen. Denn da gehört sie noch nicht hin. Gedankenverloren spiele ich mit einem abgeschnittenen Infusionsschlauch, drehe ihn und wickle ihn, binde ihn zusammen und betrachte mein Werk. Mein Blick wandert wieder zu Sakura, die mich mit ihren Smaragden anfunkelt, einen roten Schimmer auf ihren Wangen. Und er wandert wieder zu meiner Bastelei. Ein Ring. Sakura. Ein Ring. Und plötzlich fühlt sich alles nicht mehr so verdammt scheiße an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)