Roulette von Pfeffersosse (Sommerwichteln 2017 - ChocolateChip) ================================================================================ Kapitel 1: I have a problem ... ------------------------------- Etwas hatte sich in ihm verändert, er konnte nur nicht genau sagen, was es war. Sein Innerstes fühlte sich manchmal so flau an, dass er am liebsten den Kopf über die Kloschüssel gehalten hätte, aber gleichzeitig war es das schönste Gefühl, das er seit längerem hatte. Dabei passte solch ein Verhalten nicht wirklich zu ihm und er konnte nicht einfach so zu einem gehen und offen über seine Probleme sprechen. Er wollte nicht, dass über ihn gesprochen wurde, weshalb er lieber seine Gefühlsduselei herunterschluckte und den Alltag so gut es ging normal weiterführte. Zumindest war dies der Plan gewesen, den er sich zurechtgelegt hatte. Er hatte nur nicht damit gerechnet, dass sein bester Kumpel doch schneller merkte, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Trotzdem oder gerade, weil er es war, konnte er nicht darüber reden. Nicht, wenn es um diese eine Person ging, die er noch nicht so lange kannte und eigentlich nicht kennen dürfte. Dann kam immer wieder der Gedanke, dass es wohl doch besser gewesen wäre, wenn er offen und früh genug mit ihm darüber geredet hätte. Doch er konnte einfach nicht über seinen Schatten springen, wenn er nicht einmal selbst wusste, was genau das Problem war.   Schmerz durchzuckte seinen Körper, als der lederne Ball unsanft gegen seinen Ellbogen donnerte und Rufe hinter ihm laut wurden: „Was zum Teufel sollte das denn?! Der Ball war noch nicht einmal über dem Netz und du willst ihn bereits abblocken?“ Tanaka schnauzte ihn von der Seite an und setze wieder einmal seinen ‚ich schlag dir eine in die Fresse, wenn du sie nicht öffnest‘-Blick auf. „Alles klar, Tsukki?“, fragte ihn eine erschreckte und mitleidige Stimme. Yamaguchi erschien in seinem Sichtfeld und die plumpen Worte, die ihm wegen Tanaka auf seiner Zungenspitze lagen, verflogen. Er nickte und spürte plötzlich einen todbringenden Blick auf seinem Hinterkopf. Er wusste sofort von wem er stammte, dennoch lief ihm ein eiskalter Schauer über seinen Rücken. Er war sich mit einem Mal bewusst, dass er mitten im Training so sehr in Gedanken versunken war – die so gar nicht hierhergehörten –, dass er sein Umfeld völlig ausgeblendet hatte. Er konnte verstehen, dass der King so seine Probleme damit hatte, wenn der Spielfluss unterbrochen wurde. Er versuchte sich dennoch nichts anmerken zu lassen und drehte sich zu Kageyama um. „Habe ich den Spielrhythmus des werten Königs etwa gestört? Steht es einem niederen Untertan nicht einmal zu kurz unachtsam zu sein?“ Er schnaubte kurz und hörte Yamaguchi neben sich stammeln, dass dies im Moment doch unnütz sei. Coach Ukai ergriff das Wort und sagte laut ins Stimmenwirrwarr hinein: „Jeder kann einmal mit den Gedanken in den Wolken sein, es sollte nur nicht zur Gewohnheit werden. Habt ihr alle verstanden?!“ Sein Ton ließ keine Zweifel offen, dass er keine Widerrede wollte und es wurde mit einem Mal mucksmäuschenstill. Ein nervöses Lachen durchbrach die Stille und Sensei meldete sich zu Wort: „Ich denke es wäre besser, wenn Tsukishima-kun einen Moment aussetzen würde und ihr alle die angesammelte Energie des Trainingscamps nicht verlieren würdet. Ich denke, dass es wichtig ist, alles, was ihr vor kurzem in Tokio gelernt habt, weiterzuführen. Und wenn es auch noch solch eine Kleinigkeit ist. Ich bin mir sicher – nein, ich weiß, dass wir das schaffen werden.“ Das Schweigen hielt noch einen Moment an, bevor die wieder aufkommende Motivation aller schreiend durch die Halle schallte. Das ‚du musst aber auch immer das letzte Wort haben‘ von Coach Ukai blieb für die meisten ungehört, außer für Tsukishima, der an ihnen vorbeiging.   Kei starrte auf das laufende Wasser, das stetig den Abfluss herunterfloss und hielt seine Finger unter das kalte Nass. Er setze einen Moment aus, wie Sensei es wollte, was dazu führte, dass er sich seinen schmerzenden Ellenbogen kühlen konnte. Diese Unachtsamkeit war ihm sehr unangenehm, auch wenn solch kleine Verletzungen fast an der Tagesordnung waren. Erst seit Tokio und dem Spezialtraining mit dem Captain von Nekoma und dessen Freunden erkannte der Erstklässler, dass mehr hinter allem steckte als nur bloße Überlegenheit des Stärkeren. Ohne hartes Training konnte man sich keine neuen Techniken aneignen und die waren als Mittelfeldblocker wichtig, um den Gegner aus dem Konzept bringen zu können. Er hob seinen Kopf und blickte in sein reflektiertes, schwitzendes Gesicht. „Armselig …“ Er musste sich an einiges erinnern, was in seiner Vergangenheit passiert war und lachte kurz lustlos auf. Dass er sich so von Gefühlen kontrollieren lassen würde, war ihm noch nie passiert und er hoffte, dass er nachher wieder einen klaren Kopf hatte. Er legte seine Brille ab und schöpfte etwas Wasser, um es sich in sein Gesicht zu spritzen. Das Gefühl betäubte einen Moment seine Gedanken und er seufzte wohlig auf. Auch wenn das Training noch nicht lange lief, war er dennoch schon verschwitzt und genoss die ungewollte Pause. Da er in der Umkleide war und sein Handy somit nicht weit weg lag, griff er kurzerhand danach und öffnete den Chatverlauf mit dem Typen, der seine ganze Gefühlswelt auf den Kopf stellte. Natürlich würde er niemals zugeben, dass ein Junge ihn so im Kopf herumspukte, aber es hatte sich einfach so ergeben. Nur auf welche Weise er herumgeisterte, war ihm nicht klar. Am Anfang war er noch genervt gewesen, weil sich der Typ zu den unmöglichsten Zeiten meldete und ihm Sachen aus seinem Privatleben zukommen ließ, die ihm gelinde gesagt am Arsch vorbeigingen. Er hatte sich aber ein ums andere Mal dabei ertappt, wie er voller Vorfreude sein Handy in der Pause aus der Tasche fischte, um neue Nachrichten zu lesen.      Was tut man gegen einen Setter, der einen am liebsten mit Blicken töten will? Der King hat wohl heut mal wieder seine Tage und hat sich aufgeführt wie ‘ne Diva vor paar Minuten.     Tsukishima blickte auf die Nachricht, die er abschicken wollte und hielt mitten in der Bewegung inne. Wollte er gerade ernsthaft einen unnötigen Rat bei jemanden fragen, der über 300 km von ihm entfernt war? Nur weil er gedanklich einen Moment lang abgelenkt war? Sein Finger schwebte über der Zurück-Taste und er drückte den Knopf fester, als er musste. Einfach nur, damit dieses dumme Geschwafel verschwand. Erleichtert atmete er aus, als er sicher war, dass der Text wirklich verschwunden war. Der Typ hätte ihn bestimmt nur ausgelacht und das brauchte er nun wirklich nicht. Sein Ego war so oder so schon etwas angekratzt und Häme brauchte er keine. Mit einem Quietschen öffnete sich die Tür und der sommersprossige Kopf seines besten Freundes lugte hervor. Schreie aus der Halle wurden laut und er stopfte sein Handy wieder in seine Sporttasche. Schlimm genug, dass Yamaguchi in manchen Situationen einem Bluthund glich, der immer dann etwas witterte oder erahnte, wenn Kei sich sicher war, dass alles in Ordnung war. Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er ihn erblickte und Tsukishima setzte sich in Bewegung. „Ist wieder alles in Ordnung, Tsukki? Ich habe mir echt Sorgen gemacht, weil das so gar nicht deine Art ist so abwesend zu sein. Weil du zuvor nämlich schon nicht auf die Anforderungen und Rufe der anderen reagiert hast, dachte ich einfach, dass du vielleicht so stark konzentriert warst, dass du nicht darin gestört werden wolltest“, erklärte sich der andere und öffnete die Tür etwas weiter, damit Kei hindurchgehen konnte. Dieser zuckte mit den Schultern und legte sein Handtuch über jene. „Mach dir um mich keine Sorgen, ist ja alles noch einmal gut ausgegangen und der Schmerz ist so gut wie verflogen.“ Um ihm zu demonstrieren, dass er es ernst meinte, kreiste er seinen Arm und ging wortlos weiter. Weit kam er nicht, da plötzlich Sugawara vor ihm stand und ihn freundlich anlächelte. „Auch wenn ich nicht weiß, was vorhin mit dir los war, hoffe ich, dass du es in den Griff bekommst, weil das Team jetzt keine Ausfälle tolerieren kann.“ Ein leichter Schauer ergoss sich über seinen Rücken, als er die Worte registrierte und er schluckte kurz. Egal wie freundlich der ältere Setter war, eine gewisse einschüchternde Ausstrahlung konnte er ihm definitiv nicht abschlagen. Das daraufhin folgende Lachen des Captains half ihm nicht wirklich über sein ungutes Gefühl hinweg, weshalb er einfach nur nickte und sich bei den anderen Spielern entschuldigte. Außer beim King, wieso auch …   Surrend schloss sich der Reißverschluss seiner Sporttasche und seine obligatorischen Somy-Kopfhörer wanderten um seinen Nacken. Das Training war fertig und sie konnten sich alle nun auf den Nachhauseweg machen. Tsukishima kramte sein Handy aus der Tasche und erhoffte sich eine Nachricht vom Typ aus Tokio, die auch just in dem Moment aufploppte.    Na wie geht es meinem Lieblingsschüler? Haben die Tipps, die ich dir gestern noch gegeben habe gefruchtet? Oder muss ich mich etwa in den nächsten Zug setzen und dir den Hintern versohlen, weil du schlampig wurdest? Ò____Ó   Naja, soll mir eigentlich auch Recht sein, wenn du dich nicht verbesserst. So wird meine Strategie für das nächste Match zwischen uns auch fruchten~ Lass mal wieder von dir hören, oder hat es dir die Sprache verschlagen, Tsukki~?     Er schnaubte kurz, als er die Worte las und stopfte sein Handy in die Tasche, ohne darauf geantwortet zu haben. Yamaguchi erschien an seiner Seite und blickte ihn fragend an. „Mit wem auch immer du schreibst, dieser erwartungsvolle Blick jedes Mal, wenn eine Nachricht kommt, kann nur eins heißen.“ Er grinste ihn frech an und ging aus der Umkleide heraus.   „Was soll das denn heißen?“, fragte ihn Tsukishima etwas missmutig und wollte sein Handy gerade mit seinen Kopfhörern verbinden, als es in seiner Tasche erneut vibrierte. Genervt kramte er es hervor und hätte die Nummer des Idioten auf der anderen Seite der Leitung am liebsten blockiert oder gelöscht wegen der Ruhestörung, doch das, was er erblickte, ließ ihn in der Bewegung erstarren.    Du wolltest mir letztens ja nicht glauben, dass ich auch nach dem Training immer noch heiß aussehe. Hier also der Beweis!!     „W…Was?“, stammelte Kei vor sich hin und spürte, wie seine Wangen knallrot wurden. Yamaguchi wollte schon neugierig auf seinen Bildschirm starren, doch Tsukishima klickte das Bild schnell weg. Wieso schickte der Idiot ihm gerade dann das Foto, wenn er einigermaßen im Lot mit seinen eigenen Gedanken war? Wenn diese Gefühlsduselei in seinem Inneren wieder ausgeglichener war als noch vor wenigen Stunden? Oder sollte das ein übler Scherz sein? Es half sicherlich nicht, dass sein Handy ein weiteres Mal vibrierte. Resigniert öffnete er das Gesprächsfenster erneut und runzelte die Stirn.    … … Ich hab‘ dir jetzt nicht echt das Foto geschickt, oder?    Tsukishima atmete einige Male durch, bevor er seine Finger über die Tastatur fliegen ließ:       Doch das hast du.       Leichte Enttäuschung machte sich in ihm breit, die wohl dazu führte, dass seine Antwort kurz angebunden war. Oder vielleicht, weil das Foto wohl wirklich nicht für ihn bestimmt war. Doch weshalb überhaupt? Sollte er nicht eigentlich froh sein, dass es nicht für ihn bestimmt war? Dass er nur alleine mit seinem wirren Innenleben war? Yamaguchi riss ihn aus seinen Gedanken, als dieser ihm eine Frage stellte, die er nie aus dessen Mund hören wollte: „Du, Tsukki. Sei mir nicht böse, aber … Hast du eine Freundin?“(*) „Hah?“, sagte Tsukishima sehr intellektuell und spürte, wie seine Wangen unkontrolliert wieder rot wurden. „Nein! Habe ich nicht. Wie kommst du darauf?“ Er versuchte ruhig zu bleiben und den unbeeindruckten Blick seines besten Freundes zu ignorieren. Dennoch spukten schon einige mögliche Fortführungen ihres Gesprächs in seinem Kopf herum, immerhin war er nicht auf diesen gefallen und war auch sonst einer der Besten in seiner Klasse. Tadashi fing dann plötzlich an seine Beobachtungen zu schildern und er schaffte es einfach nicht, ihn dabei zu unterbrechen. Er war viel zu perplex, um überhaupt etwas zu denken. „Nun ja … Du starrst in letzter Zeit oft auf dein Handy. Und nicht um Musik zu hören! Am Anfang hast du auch genervt gewirkt, aber dann immer weniger. Bis vor kurzem sogar. Und das war vor einem Trainingsspiel. Du hast nicht einmal auf meine Rufe reagiert und als du wieder auf dein Handy gestarrt hast, da hast du ganz verliebt gelächelt!“, erklärte er enthusiastisch und lächelte ihn freundlich an. Kei fühlte sich ertappt und beschämt zugleich. So konnte man das doch nicht nennen! Immer, wenn der blöde Pinselkopf mit ihm schrieb oder ihm etwas erklärte, freute er sich plötzlich darüber. Immerhin war er, obwohl er so einschüchternd aussah, ein wirklich sehr netter Typ. Vielleicht war es gerade das, was er an ihm so schätzte? Doch, weshalb konnte er dann seine eigene Gesichtsmuskulatur nicht mehr kontrollieren? Er fühlte sich von seinem eigenen Körper verraten, nicht nur wegen vorhin. Er verneinte vehement die Äußerungen von Yamaguchi und hörte sich dabei wie ein schmollendes Kleinkind an: „Ich habe doch nicht verliebt gelächelt!“ Nun war es an Yamaguchi seine Lippe zu schürzen und ihm wieder einmal Paroli zu bieten. „Ich glaube dir aber nicht!“ Er hatte seine Augen zusammengekniffen und atmete schwer. Vorsichtig öffnete er sie wieder, weil er sich wohl etwas seltsam vorkam. Tsukishima knirschte indes mit den Zähnen und fummelte an seinem Handy herum. Vielleicht war es doch besser, wenn er offen mit ihm über seine Gefühlsduselei sprechen würde. Er starrte kurze Zeit auf sein Ceratosaurus-Sperrbild und öffnete den Chatverlauf mit dem Captain von Nekoma. „Du willst einen Beweis? Hier, schau. Ich schreibe mit keinem Mädchen …“ Unsicher griff Tadashi nach seinem Handy und wirkte einen Moment lang überfordert. „Kein Mädchen? Mit wem denn dann?“ „Mit Kuroo-san, dem Captain von Nekoma. Auch wenn ich mich immer noch frage, wie er an meine Nummer kommt“, erklärte Tsukishima und wartete auf eine klare Reaktion von seinem Gegenüber. Dieser wischte durch den Chatverlauf und war einen Moment ruhig. Tsukishima kam dies gerade gelegen, denn er wartete einfach auf eine Erklärung von dem anderen. Auch wenn er es wirklich nicht zugeben wollte, so vertraute er sehr auf die Einschätzungen und Theorien von seinem Kumpel. Dieser öffnete dann nach einigem Schweigen auch wieder seinen Mund: „Weißt du, man kann auch wegen Jungs verliebt lächeln. Außerdem … Du und Kuroo-san flirtet schon unbewusst miteinander!“ Die Röte, die Tsukishimas Wangen vorhin geziert hatte, war auf die des Sprechenden übergegangen.  Plötzlich hatte er sein Handy wieder unter der Nase und die weit entfernt wirkenden Worte von Yamaguchi erreichten seine Ohren. „Schau. Das hat er dir gerade geschickt. Hat wohl mit dem Foto zu tun.“    Du glaubst mir sicherlich nicht, dass ich das Foto eigentlich Lev schicken wollte, oder? Wo wir letztens über das ‚ich sehe heiß aus, egal wie stark ich trainiert habe‘ diskutiert haben und ihr beiden mir nicht glauben wolltet, dass man mit mir noch um die Häuser ziehen könnte?   Ich muss mir wohl eingestehen, dass ich DIR das Foto schicken WOLLTE. Und wenn dir das zu viel ist, dann lösch mich einfach, Ich werde schon darüber hinwegkommen, auch wenn ich es schade fände, wenn du mir die Freundschaft einfach kündigen würdest oder mir überhaupt keine Chance geben würdest.      Ach verdammt, ich weiß doch selbst grad nicht, was ich da zusammenschreibe. Wenn ich bis heut Abend nichts mehr von dir höre, dann hab ich dich wohl echt mit dem Foto vergrault     Tsukishima las die Sätze zwei- oder dreimal durch und musste einen Moment schlucken. Vielleicht interpretierte er gerade nur zu viel in die paar Zeilen hinein, doch scheinbar fand ihn der Captain auch netter als gedacht. Die folgenden Worte von Yamaguchi halfen ihm wahrlich wenig über diesen Fakt hinweg. „Lass mich meine Frage von vorhin anders formulieren. Hast du einen Freund?“ Und dieses wissende Lächeln ekelte ihn im Moment einfach nur an. Er schob seine Unterlippe schmollend hervor und streifte seine Kopfhörer über seine Ohren. „Halt die Klappe.“ Er suchte sich ein Lied aus, doch er hörte noch das verhaltene Kichern von Yamaguchi, das sehr nach Genugtuung klang und vernahm die ersten Töne einer Ballade. „Bis dann.“ Er zog von dannen und lauschte den Worten, die gesungen wurden. Er musste auflachen, weil die Worte, die er vernahm, so gut auf seine Situation passten. Er erweckte sein Handy zu Leben und blickte auf den Titel ‚Roulette‘ und seufzte kurz vor sich hin. Wieso hatte er gerade solch ein Glück und hörte ein Lied, das ihm wie aus der Seele sprach? Und wieso kam im Text sein innerer Konflikt zu Wort? „I don’t know how I feel when I’m around you. Darüber könnte sogar ich ein Lied singen. Dabei bist du so viele hunderte Kilometer von mir entfernt“, nuschelte Tsukishima vor sich hin und ein trauriges Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Erbärmlich … wirklich erbärmlich.“   Er öffnete die Tür zu seinem Schlafzimmer und legte seine Sachen ab. Der Tag war lange gewesen und die Kurse hatten ihn wirklich geschlaucht. Das Gespräch vorhin mit Yamaguchi hatte ihn aufgewühlt und half nicht über seine Müdigkeit und Unsicherheit hinweg. Eher hatten sie sich vergrößert und Tsukishima traute sich nicht wirklich, das Handy noch einmal zu entriegeln. Seine Musik hatte ausgesetzt, nachdem er seine Kopfhörer abgezogen hatte und er schmiss es auf seine Dinosaurierdecke, die über seiner Bettwäsche lag. Er streifte seine Schuluniform ab und fischte nach einem Kleiderbügel. Nachdem er sie sorgfältig aufgehängt hatte, griff er nach seinem Pyjama und schlürfte aus seinem Zimmer. Das Erste, was er immer tat, wenn er zu Hause ankam, war eine erholsame Dusche nehmen. Nicht nur, um den Geruch nach Schweiß wegzuwaschen, sondern auch, um seine Muskeln zu entspannen. Heute würde wohl noch ein Faktor hinzukommen, den er aber momentan versuchte, so gut es ging zu ignorieren. Er begegnete seiner Mutter, als er zum Badezimmer ging und erzählte ihr knapp von seinem Tag. Er hätte ihr nachher beim Abendessen eh alles erzählt, von daher blieb er knapp und nannte nicht allzu viele Details. Vielleicht würde sogar sein Bruder heute noch vorbeischauen. Auf der einen Seite freute er sich darüber, aber auf der anderen Seite war es ihm schon etwas egal. Auch wenn er sich schon einige Tipps von ihm eingeholt hatte, so war die Enttäuschung, die er einmal gespürt hatte, immer noch greifbar und existent. Mit einem Klicken verschloss er die Badezimmertür und seufzte kurz. Die ganze Situation von vorhin kam ihm so surreal vor, dass er einfach keine Worte dazu fand. Etwas fester als nötig zog er an der Schranktür, hinter der sich ihre Badetücher verbargen und kramte sich seine Lieblingsfarbe heraus. Natürlich trockneten alle gleichermaßen gut ab, aber er fühlte sich einfach wohler in Dinosauriergrün. Ohne große Umschweife stand er dann auch unter dem warmen Strahl des Wassers und ließ die letzten Nachrichten und Telefonate mit diesem einen bestimmten Jungen noch einmal Revue passieren. Sollte Yamaguchi etwa recht haben und das, was er da fühlte, war Liebe? War dieses Wort nicht einen Tick zu groß für das, was er für den anderen empfand? Und war es nicht eigentlich recht eklig einen anderen Jungen attraktiv zu finden und Herzklopfen beim reinen Gedanken an ihn zu verspüren? Tsukishima legte seine Faust auf seine linke Brust und drückte dagegen. Ein Stich in seinem Inneren hatte ihn dazu veranlasst. Er starrte wortlos vor sich hin und ließ das Wasser über seinen Kopf laufen. Das warme und nasse Gefühl half ihm und er spürte wie er langsam ruhiger wurde. Natürlich konnte auch die Dusche seine Fragen nicht beantworten und das hätte er nun wirklich nicht erwartet, immerhin können Dinge nicht sprechen. Er schmunzelte kurz über diesen Gedanken und schüttelte dann seinen Kopf. Er schloss seine Augen kurz und ihm wurde klar, dass er nachher nicht davor weglaufen konnte. Auch wenn das, was Kuroo-san geschrieben hatte, nach einer Kontrollübergabe über diese Situation zu seinen Gunsten klang, so fühlte er sich verunsichert. Sollte er sich wirklich noch heute Abend melden? Auf der einen Seite fürchtete er, dass er dem Älteren somit ein falsches Bild von sich geben könnte, auf der anderen Seite hatte er Angst, ihn als Freund zu verlieren. „Zwickmühle …“, murmelte er in das Rauschen des Wassers hinein und griff zum Duschgel. Er widmete sich lieber mal seiner Körperpflege, immerhin war der Abend noch nicht vorbei.   Es kam alles etwas anders als geplant. Nach dem Duschen musste er sich auf ein längeres Abendessen gefasst machen. Sein Bruder war doch noch aufgetaucht und seine Mutter hing an den Lippen seines Bruders. Nicht, dass er etwas gegen ihn hatte, aber der Ablauf des Essens war somit etwas gestört, weil sie nicht genug gekocht hatte und er ihr helfen musste. Akiteru und sein Verhältnis hatte sich zwar in den letzten Tagen und Wochen etwas verbessert, dennoch konnte er ihm noch nicht alles verzeihen. Sie hatten zwar über alles gesprochen und es schien nun bergauf zu gehen mit ihrer Brüderlichkeit, aber heute hätte er ihn am liebsten sofort abgewimmelt. Auch wenn das Essen etwas anders verlief als geplant, schmeckte es wie immer gut. Sein Bruder warf ihm nur ab und zu Seitenblicke zu, wenn er nicht sofort auf eine Frage oder Erzählung reagierte. Er konnte seine Gedanken einfach nicht von seinem Handy abbringen, das immer noch in seinem Zimmer lag und darauf wartete, zur Antwort benutzt zu werden. Er hatte angefangen sein Essen herunter zu schlingen, um schneller fertig zu sein, doch er erntete damit nur enttäuschte Blicke seiner Mutter. Der Blick benötigte er auch für Tanaka und Noya, wenn die sich wieder wie Bestien aufführten. Nachdem dann der Tisch endlich abgeräumt war und er sich um die ‚liegengelassenen‘ Hausaufgaben kümmern wollte, konnte er dies noch nicht einmal sofort erledigen, weil sein Bruder ihn zur Seite nahm und ihm fast in die Seele blickte. „Es hat sich etwas an dir verändert, Kei, aber ich kann nicht wirklich sagen, was es ist. Aber lass dir gesagt sein, dass es am besten ist, wenn es dich nicht allzu sehr kontrolliert. Hab Kontrolle darüber und verbirg es nicht vor denen, die dir damit helfen können. Du weißt, wie es sonst enden kann …“ Die Stimme seines Bruders klang etwas mitleidig, aber gleichzeitig auf eine gespenstische Art und Weise wissend. Kei war sogar einen Moment lang vom Gedanken angetan seinen Bruder um Rat zu fragen, doch er wusste nicht genau, wie er diese Sache anschneiden sollte, ohne zu viel von seinem Inneren preiszugeben. Er nickte kurz und antwortete ihm einsilbig, doch sein Bruder ließ nicht locker. Als er nämlich in sein Zimmer gehen wollte, legte er ihm die Hand ums Handgelenk und hob den Arm, der mit dem Volleyball in Berührung kam, hoch. „Wolltest du Mutter keine Sorgen machen, dass du ihr hiervon nichts gesagt hast? Das hat sicherlich sehr geschmerzt, als du den Ball abbekamst. Ich habe eine Creme, die se –“ „Lass mich los“, sagte Kei und schüttelte die Hand seines Bruders ab. „Du würdest eh nicht verstehen, weshalb ich diese Verletzung habe, da benötige ich deine Creme auch nicht. Ich habe eine von Coach Ukai geliehen bekommen und werde die, sobald ich in meinem Zimmer bin, draufmachen.“ Er war sich bewusst, dass er mit den etwas schroffen Worten seinen Bruder verletzt haben könnte und ihm somit gezeigt hatte, dass wirklich etwas nicht mit ihm stimmte, aber er wollte nicht so schnell klein beigeben. Wie würde das denn sonst aussehen?! Akiteru schwieg einen Moment und senkte seine Hand, die immer noch leer in der Luft schwebte und lächelte etwas traurig vor sich hin. Er sah wirklich verletzt aus, als er die Schulter seines Bruders tätschelte. „Friss es einfach nur nicht in dich hinein. Ich weiß, wovon ich spreche.“ Er ging an ihm vorbei und ließ Kei alleine mit seiner sehr wirren Gefühlswelt. Er wollte noch etwas darauf antworten, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Wäre er jetzt jünger gewesen, wäre er seinem Bruder wohl nachgelaufen und hätte ihn angefleht, nicht traurig oder wütend auf ihn zu sein. Doch nun würde er sich nur noch kindisch vorkommen und er schluckte die Tränen, die plötzlich aufzuwallen schienen, herunter, indem er seine Fäuste ballte und mit gesenktem Kopf in sein Zimmer ging.   Nach einer gefühlten Ewigkeit war er in seinem Zimmer angekommen und er wollte sich auf sein Bett schmeißen, um einfach mit dem Tag abzuschließen, als er an sein Handy dachte. Er fischte es zwischen einer Deckenfalte hervor und erschrak etwas wegen der Uhrzeit. Es war schon nach 21 Uhr und er fragte sich, ob er um diese Zeit noch auf Kuroo-sans Nachricht antworten sollte. Aber der tat das ja auch, weshalb sollte er also Rücksicht nehmen. Er las sich die letzten Tage ihres Chatverlaufs noch etwas genauer durch und spürte Wärme in seine Wangen steigen. Vielleicht hatte Tadashi doch recht gehabt und der andere flirtete mit ihm. Doch wie kam er zu der Annahme, dass er es dem Captain gleichtat? Er schüttelte kurz den Kopf und öffnete das Textfenster, um seine Antwort zu formulieren. Ihm kamen einfach nicht die richtigen Worte in den Sinn und so legte er sein Handy etwas verärgert nieder. Er schloss seine Augen und spürte, wie sein Herz schneller pochte. Wieso konnte er dem anderen nicht einfach mit irgendeinem guten Spruch Kontra bieten? Angriffsfläche gab es sicherlich genug, doch das würde das Problem wohl nur wieder aufschieben. Wenn er wenigstens wissen würde, was er genau fühlte oder was das Foto genau in ihm verursachte, dann wäre ihm wohl schon mehr geholfen. Vielleicht hätte er vorhin doch mit seinem Bruder darüber reden sollen, aber konnte oder wollte er ihn mit so etwas konfrontieren? Oder ihn in so etwas hineinziehen? Immerhin ging ihn sein Privatleben nichts an. Er wusste immerhin auch keine Details über das Liebesleben seines Bruders. „Nein …“, murmelte er vor sich hin und griff wieder nach seinem Handy. Dieses Mal würde er wohl die Hürde noch ohne fremde Hilfe bewältigen können. Das Thema war schon pikant genug und schlimm genug, dass sein bester Kumpel nun auch davon wusste. Was hatte ihn vorhin da nur geritten, es auf die eine oder andere Weise doch einzugestehen.  Seine Finger schwebten wieder ziellos über der Tastatur seines Handys, bevor er dann doch anfing etwas zu tippen.      Um mich zu vergraulen benötigst du wohl etwas mehr als ein Foto von deinem nackten Oberkörper. Und wenn du jetzt anfangen solltest mir noch andere Körperteile als Nachricht zukommen zu lassen, überlege ich mir wirklich, ob ich unsere Freundschaft nicht doch lieber stoppen soll. Denn mit so einem Perversling will ich echt nichts zu tun haben ò_ó         Er war sich einen Moment nicht sicher, ob er das Smiley nicht doch hätte weglassen sollen, doch die Nachricht war schneller weg, als er gucken konnte. Weshalb er sich dazu entschloss, noch eine zu verfassen und andere Fakten einzubringen, die der andere wohl so nicht erwartet hätte. Zumindest hoffte er es.    Wenn ich nicht mit dir schreiben wollen würde, dann hätte ich auf deine erste Nachricht nicht einmal geantwortet. Immerhin kann ich mich nicht daran erinnern, dass wir unsere Nummern getauscht haben. Oder hast du irgendjemanden bestochen, um sie zu bekommen? Sollte dies der Fall s     Weiter kam er nicht, weil sich plötzlich über sein Dialogfenster eine Anrufanfrage quetschte und seinen Bildschirm abdeckte. Er blinzelte einige Male, bevor er den Namen richtig lesen konnte. Wieso musste der Typ ihn jetzt auch noch anrufen, wenn er gerade noch am Schreiben war?! Wie ungeduldig konnte man denn bitteschön sein? Da das Klingeln nicht aufhörte, drückte er etwas resigniert auf den Annahmeknopf und legte sein Handy ans Ohr. „Ja?“ „Tsukki~“, war die nicht sehr aussagekräftige Antwort auf seine einsilbige Begrüßung. Tsukishima konnte sich noch immer nicht dran gewöhnen, dass auch der Captain von Nekoma ihn mit seinem Spitznamen rief. Er mochte es eigentlich nicht, wenn Leute ihn mit einem Spitznamen riefen, aber Yamaguchi war der erste und einzige, der ihn ‚Tsukki‘ nannte. Tsukishima atmete einige Male fest ein und aus, das Handy dabei von seinem Ohr weghaltend. Er zog einen Mundwinkel hoch. „Dachte nicht, dass man den Captain von Nekoma wirklich so schnell aus der Ruhe bringen kann. Womit habe ich denn so ein Privileg verdient?“ Kuroo schnaubte am anderen Ende der Leitung und er wich mit seiner folgenden Aussage dem Thema völlig aus. „Ich will ja keine Beschwerden hören, wenn wir uns das nächste Mal auf dem Platz sehen. Schlimm genug, dass du heut als Mittelblocker wohl echt den Bock geschossen hast.“ Ein Schmunzeln war zu vernehmen und Kei hielt seine Luft einen Moment an. „Was meinst du damit?“, fragte er, obwohl er die Antwort eigentlich schon erahnen konnte. „Naja, Kenma hat mir eine Nachricht vom Shorty gezeigt, in der dein Name gepaart mit einem kadosh und poing! vorkam“, erklärte der Ältere mehr als belustigt und Tsukishimas Gesicht wurde rot wie eine Tomate. Er würde Hinata wirklich irgendwann für seine Klatsch- und Tratsch-Geschichten einmal umbringen! Anstatt mit ihm darüber zu reden oder was auch immer, musste er es seinem neuen besten Kumpel von Nekoma ausplaudern. Na danke auch. „Tsk! Ich schwör dir, wenn Hinata so etwas noch einmal abzieht …“, schnalzte Tsukishima missbilligend mit der Zunge und blickte zur Seite. „Wenn du nur deshalb angerufen hast, dann hättest du auch ruhig die Klappe halten können, Kuroo-san.“ Missmutig riss er sich die Brille von der Nase, legte sie auf seinen Nachttisch und warf sich rücklings aufs Bett. Auf der anderen Seite der Leitung wurde noch einen Moment lang gelacht, bevor sich Kuroo räusperte. „Tut mir leid, aber die Beschreibungen deines Teamkameraden klangen einfach zu bescheuert, da musste ich einfach nachhaken und wissen, ob die echt so klangen.“ Kei schwieg einen Moment und lachte dann doch etwas auf. „Willkommen in meiner Welt. Wenn der Shrimp einmal anfängt etwas zu erklären, dann verstehst du diese bescheuerten Wortlaute irgendwann auch noch. Und unser Libero ist da echt nicht besser. Solche einfach denkenden Leute sind echt schwer zu verstehen.“ Er schüttelte kurz den Kopf und legte seine Hand auf seine Stirn, weil er sich gerade fragte, was er da zusammenredete. „Ich glaub ich versteh was du meinst, seit Lev zu uns gestoßen ist, läuft bei uns auch einiges aus dem Ruder. Aber ich hab‘ mir echt einen Moment lang Sorgen gemacht. Du hast den Ball mit dem Ellbogen abblocken wollen?“ Eine Spur von Belustigung blieb in der Stimme und Tsukishima konnte sich das schelmische Grinsen gut vorstellen dazu. Er murmelte nur eine Bestätigung seiner Frage und legte sich gemütlicher auf sein Bett. Er blickte auf keinen bestimmten Punkt, da er eh ohne Brille nicht viel sah und lauschte der Stille, die plötzlich zwischen beiden entstanden war. Er wollte nachfragen, weshalb der andere ihn nun wirklich angerufen hatte, als dieser sich räusperte und leises Geklapper im Hintergrund zu hören war. „Das Foto von heut Mittag. Deswegen hab‘ ich eigentlich angerufen. Oder vielmehr wegen dem, was du mir vorhin geschrieben hast.“ Mit einem Male fühlte sich sein Körper alarmiert an und er setzte sich doch wieder auf, weil er das Blut so laut in seinen Ohren rauschen hörte, dass er glaubte, er würde kein Wort mehr verstehen. Als er gerade den Mund öffnen wollte, um etwas zu sagen, sprach Kuroo einfach weiter: „Ich weiß selbst nicht, was mich da genau geritten hat. Fuck ey, Tsukki, ich hab‘ sogar mit Kenma über das gesprochen, was ich fühle. Und der ist nun wirklich keine große Hilfe. Seit der nicht mehr nur seine Videospiele im Kopf hat und fast ununterbrochen von Shouyou redet, erkenn ich meinen besten Freund immer weniger wieder, aber … Helfen kann der sich selbst nicht mal. Dabei erkennt doch sogar ein Blinder, dass er Shorty mehr mag, als er zugeben will!“ Er seufzte leicht frustriert und Tsukishima hörte ihm nur beim Atmen zu. „Seit ich dich besser kennengelernt hab, hat sich wohl auch bei mir etwas verändert“, klang es dann leise von der anderen Seite und der Jüngere schluckte. „Yamaguchi meinte, dass man auch Jungen lieben kann“, murmelte Tsukishima vor sich hin und hätte seine Worte am liebsten sofort wieder zurückgekommen. „Nein, vergiss was ich gesagt hab! Ich leg jetzt auf, ruf mich nie wieder an, sonst …“ Wie ein Ball, dem die Luft ausblieb, sackte er förmlich in sich zusammen. Er zitterte am ganzen Leib und hatte das Gefühl vor Scham im Boden zu versinken. Seine Wangen glühten und er wollte das Telefon gerade von seinem Ohr nehmen, als er ein Lachen vernahm. Es klang weder herablassend, noch neckend, sondern erleichtert. Tsukishima schnaubte und er konnte das Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken. „Ich schwör dir, wenn ich dich das nächste Mal sehe …“ „… dann küsse ich dich“, vervollständigte Kuroo den Satz und lachte immer noch erleichtert weiter. „Ich hätte nicht gedacht, dass du das Gleiche fühlst wie ich. Ich hätte mir wohl nicht so viele Gedanken machen müssen. Kenma hat nämlich so etwas Ähnliches gesagt. Nur, dass bei ihm der Vergleich etwas anders klang. Seiner Meinung nach kann man nämlich Konsolen mögen, aber gleichzeitig auch gern am Computer zocken wollen.“ Ein lautes Rumpeln war zu hören, gefolgt von einem derben Fluch. Tsukishima wusste einfach nicht mehr, was er sagen wollte, oder wie er auf die Aussage des anderen reagieren konnte. Er verstand nicht alles, aber das, was er hörte, klang schwer nach ‚wieso habe ich den Volleyball auch dorthin legen müssen‘. Am liebsten hätte er wortlos aufgelegt, seine Nummer geändert oder das Handy zerstört. So müsste er sich dieser Verantwortung nicht mehr beugen. Als er den anderen wieder am anderen Ende der Leitung atmen hörte, antwortete er sofort: „Wieso glaubst du, dass ich einen Kuss zulassen würde?“ „Na ganz einfach, weil du mich auch magst. Das hast du doch gerade auch zugegeben mit deiner Aussage“, sagte er nüchtern und Kei schlag sich kurz mit der flachen Hand auf die Stirn. „Ich hab‘ dir nur gesagt, was mir Yamaguchi gesagt hat, das hab ich aber weder mit mir noch mit dir in Verbindung gebracht oder so gemeint. D… Das war einfach nur so vor mich hingesagt. Nicht mehr und nicht weniger“, versuchte sich der Ertappte aus der Sache zu reden. „Ich krieg dich schon dazu, dich in mich zu verlieben. Verlass dich darauf, Tsukki~“, schnurrte der andere ihm förmlich ins Ohr, bevor er ohne weitere Verabschiedungen auflegte. Tsukishima konnte nicht schnell genug reagieren und hörte nur noch das stetige Tuten, das ihm zeigte, dass der andere tatsächlich ohne ein weiteres Wort ihre Verbindung gekappt hatte. Perplex und völlig überfordert starrte er auf seinen Bildschirm, auf dem nur noch das Zeichen zum Auflegen gedrückt werden musste. Mit einiger Verzögerung hatte er ihn dann auch betätigt und starrte immer noch fassungslos auf sein Handy. Der Typ hatte ihm nicht gerade wirklich weismachen wollen, dass er sich in ihn verliebt hatte, oder? Sollte er sich geschmeichelt fühlen oder schreiend davonlaufen? Wut und Enttäuschung machten sich in seinem Inneren breit und er hätte am liebsten sein Handy durch sein Zimmer geschmissen, um ihm dabei zusehen zu können, wie es gegen die Mauer schlug und mit gesprungenem Bildschirm auf dem Boden aufkam. Doch er entschloss sich für die weitaus ungefährlichere Variante und griff nach seinem Lieblings-T-Rex-Plüschtier, welches am nächsten lag und schmetterte das gegen die Mauer. Tränen der Wut verwischten ihm seine Sicht und er schmiss sich weniger sanft auf sein Bett und schloss ohne weitere Umschweife die Augen.   Der nächste Morgen kam viel zu schnell und unangenehm. Ihm war kalt, weil er sich ohne Decke auf sein Bett geschmissen hatte und sein Kopf pochte wie wild. Der Schmerz in seinem Ellenbogen versuchte er momentan so gut es ging zu ignorieren. Die Musik, die immer lief, wenn sein Wecker klingelte, half ihm heute weniger, gut gelaunt und schnell wach zu sein. Grummelnd wischte er über seinen Bildschirm und bändigte dieses eklige Monster namens Wecker. Er war eigentlich niemand, der Probleme hatte um aufzustehen, aber der gestrige Abend hatte ihm eine unruhige Nacht mit konfusen Albträumen beschert.  Einige Nachrichten ploppten mit einem Mal auf, als sich sein Handy mit ihrem WLan verband.    Super. Da will man noch ein wenig mit einer wichtigen Person reden und dann streikt der beschissene Akku. Ich hätte vielleicht darauf achten sollen, BEVOR ich dich anrufe. Du hast bestimmt gedacht, dass ich dich nicht mehr zu Wort kommen lassen wollte, oder?    Mir sind einige Sachen, die ich gesagt habe, schon ziemlich peinlich gewesen, aber ich nehme sie nicht zurück. Alles was gesagt wurde, wurde gesagt und das ist auch gut so … Denke ICH zumindest.     Neuer Morgen, neues Glück oder wie ging das? Egal. Ich konnte überhaupt nicht schlafen und musste ununterbrochen an dich denken. Ich hab‘ dich bestimmt mit einigen Dingen, die ich gesagt habe, überrumpelt. Aber komischerweise hat es mir dann doch besser geholfen, als anfangs gedacht.    Zwischen den ganzen Nachrichten von Kuroo-san hatte sich eine Nachricht von Yamaguchi geschmuggelt. Auf der einen Seite freute er sich eine Nachricht von ihm zu bekommen, auf der anderen Seite war er nicht gerade glücklich über den Inhalt der Nachricht. Er verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen und las die Nachricht seufzend durch.   Guten Morgen Tsukki. Ich habe über unser Gespräch von gestern nachgedacht und wollte dir nur sagen, dass ich dich immer mag, egal wie du dich entscheiden solltest. Es steht mir nicht zu dich für irgendetwas zu verurteilen, also auch, ob du den Captain von Nekoma nun wirklich magst oder nicht. Auch wenn ich ihn immer noch gruselig finde, heißt das ja noch lange nicht, dass du ihn auch gruselig finden musst. Wir sehen uns nachher und wenn du noch mal mit mir über etwas sprechen willst, ich hab immer ein offenes Ohr.        Tsukki schmiss sich wieder in sein Kissen und rieb sich über seine pochenden Schläfen. Womit hatte er denn jetzt so was verdient? War es nicht schon schlimm genug, dass er gestern selber fast eine Liebeserklärung ausgesprochen hatte? Nein, er musste jetzt auch noch damit rechnen, sofort überfallen zu werden, wenn er den Captain von Nekoma das nächste Mal sah.   Er spürte, wie sich sein Gesicht aufheizte und er fühlte sich auf einmal elendig. Ihm kam das Lied von gestern wieder in den Kopf und er suchte es aus seiner Playlist, um es genauer anhören zu können. Er fragte sich sogar einen Moment lang, wann er dies hineingetan hatte. Er kannte die Band nicht wirklich, aber aus irgendeinem Grund musste er es als gut empfunden haben. Die sanften Gitarrenklänge wurden schnell von einer Stimme unterstützt und er las die Textzeilen. I have a problem that I cannot explain, I have no reason why it should have been so plain. Er verstand zwar nicht alles, aber genug, um sagen zu können, dass das Lied gerade wirklich zu ihm passte. Das Problem war männlich, hatte schwarze, wirr umherstehende Haare und oft ein schelmisches Lächeln auf den Lippen. Have no questions but I sure have excuse, I lack the reason why I should be so confused. Tsukishima schluckte einmal, als ihm bewusst wurde, dass er sich gerade dauernd versuchte rauszureden. Er hatte keine wirklichen Fragen, weil er so noch nie gefühlt hatte und wenn er doch welche hätte, so würde er sie wohl nie formulieren können. Seine Verwirrtheit war wohl wirklich nur das Tüpfelchen auf dem i. Er setzte sich auf und Bilder erschienen vor seinem inneren Auge. I know how I feel when I’m around you. Tsukishima konnte nicht anders, als an das angenehme Gefühl zu denken, was er immer dann verspürte, wenn er die Trainingseinheiten mit Kuroo-san und seinen Freunden absolvierte. Die Genugtuung, dass sie später Rivalen werden würden. I don’t know how I feel when I’m around you. Seit ein paar Tagen wurde ihm immer klarer, dass er dieses Gefühl zwar immer noch verspürte, aber dass da noch ein weiteres aufgetaucht war. Er stoppte die Musik und starrte einen Moment auf sein Handy und umklammerte es unnötig fest. Er konnte das Gefühl wohl so langsam doch beschreiben. Ihm fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen, als er sich an die Momente erinnerte, wenn eine Nachricht vom Captain auf seinem Handy erschien. An das warme Gefühl in seiner Brust, das ihm dennoch so fremd vorkam. „Ich vermisse ihn“, flüsterte Tsukishima seinem Handy entgegen und ließ es dann wie eine heiße Kartoffel auf sein Bett fallen. Schnell war er aufgesprungen und hatte seine Brille aufgesetzt. Der Griff nach frischer Kleidung und allem, was er benötigte, um sich ausgehfertig zu machen, war schnell getätigt und so hetzte er ins Badezimmer. Wenn er etwas früher aus dem Haus ging, könnte er wohl doch noch einmal mit Yamaguchi reden. Auch wenn er sich nicht sicher war, wie sein bester Freund ihm dabei helfen sollte, sein eigenes Innenleben sofort auf die Reihe zu bekommen.   „Öhm …“, war die sehr hilfreiche Antwort von Yamaguchi, als Tsukishima ihm geschildert hatte, was gestern Abend alles vorgefallen war. Er hielt mitten in seiner Bewegung inne und sein Frühstücksbrötchen hing somit in der Luft. Er senkte es langsam und räusperte sich dann. „Du meinst also, dass er dir gestern mit seinem Gespräch erklären wollte, dass er dich mehr mag als nur freundschaftlich? Ist das denn nicht gut, Tsukki?“ Er lächelte ihn etwas unsicher an und seine Wangen verfärbten sich leicht. Tsukishima runzelte seine Stirn einen Moment lang und starrte auf die Safttüte, die er immer noch nicht angerührt hatte. Irgendwie war es schon gut zu wissen, woran er war, aber er war sich halt nicht sicher ob es das war, was er wollte. „Bedeutet das dann nicht auch, dass ich auf Jungs stehe? Müsste ich das nicht eigentlich ziemlich eklig finden, immerhin hat Kuroo-san die gleichen Merkmale wie ich an seinem Körper“, sagte der Mittelfeldblocker und blickte seinen besten Kumpel offen an, der hustend ein verschlucktes Stück Brötchen loswerden musste. Nach einigen Momenten verstaute er es vorsichtshalber in seiner Tasche und sah Tsukishima offen an. „Ich glaube man kann sich auch einfach in eine Person verlieben, dann spielt das Geschlecht absolut keine Rolle. Obwohl … Wie würdest du denn reagieren, wenn ich dir sagen würde, dass ich dich küssen will?“ „Wa – ?! Das würde ich mit dir niemals machen. Wir sind beste Kumpel, nicht mehr und nicht weniger“, stotterte Tsukishima und spürte dennoch, wie sich Hitze in seinen Wangen ansammelte. Er räusperte sich und schüttelte dann leicht den Kopf. Tsukishimas Stimme war leise, als er folgende Sätze sagte: „Ich hätte eher Angst, dass sich dadurch unsere Freundschaft verändern könnte und das will ich nicht. Du bist der Einzige, der mich wirklich versteht und das will ich nicht aufs Spiel setzen.“ Yamaguchi schwieg einen Moment und sein Gesicht wirkte auf einmal etwas traurig, aber er verzog seinen Mund, um ein leicht verzerrtes Lächeln auftauchen zu lassen und lachte nervös auf. „Ich freu mich, dass du so über mich denkst. Das bedeutet also, dass du Kuroo-san vielleicht eine Chance gibst?“ Er ging weiter und blickte zu Boden, sein Essen war für den Moment vergessen. Wortlos folgte Kei ihm und er seufzte einmal laut vor sich hin. Es wäre wohl die beste Lösung, wenn er einfach diese Sache zulassen würde, oder? Immerhin konnte er es schmerzlos beenden und ihn danach nie wiedersehen. Außer vielleicht bei Spielen, da konnte er dem anderen dann zeigen, wer der Boss im Blocken war. „Das wäre dann aber schon eine Fernbeziehung, oder?“, fragte er einfach vor sich hin und hatte keine Antwort erwartet, doch Yamaguchi drehte sich um und lächelte ihn freundlich an. „Ja, das wäre es. Aber ich bin mir sicher, dass du das auch noch auf die Reihe bekommst, Tsukki“, sagte er ihm und verfiel wieder ins Schweigen. Tsukishima holte sein Handy hervor und suchte nach dem Chatverlauf mit Kuroo-san. Seine Wangen verfärbten sich rot, noch bevor er das einzelne Wort fertig getippt hatte.      Weißt du, dass du ein verdammt nerviger Idiot sein kannst?       Mit diesen Worten verstaute er sein Handy und ging mit einem leichten Lächeln weiter, bevor er es wenige Minuten später wieder herausnahm, um eine weitere Nachricht zu verschicken.   MEIN verdammt nerviger Idiot …           ~~~***~~~***~~~         „Das glaub ich dir nicht, du hast nie im Leben 10 dieser Kekse gleichzeitig in deinen Mund gesteckt“, schmollte der Shrimp, als Nishinoya mal wieder mit einer seiner Fresskapaden angeben wollte. Tsukishima schnaubte einen Moment und ließ seinen Blick einmal abschätzig über den Libero schweifen. „Egal wie viel du isst, größer wirst du eh nicht mehr.“ Das Zetern wurde immer lauter und ihm wurde bewusst, wie sehr er es doch genoss in diesem Team zu sein. Seit er in Karasuno war und nach dem Trainingscamp in Tokio, hat sich seine Begeisterung für Volleyball bemerkbar gemacht. Das Gefühl eines Gewinnes oder das Gefühl eines Verlustes war viel mehr wert, seit er einen größeren Sinn in allem sah, als zuvor. Er versuchte sich dennoch nicht allzu sehr von seinen Gefühlen leiten zu lassen, doch seit ein paar Tagen war seine chaotische Gefühlswelt ein wenig geordneter. Das lag nicht nur daran, dass sie schon ein paar Testspiele gewonnen hatten, sondern auch an der Tatsache, dass er immer etwas hatte, auf das er sich freuen konnte. Sein Handy vibrierte in seiner Tasche und er blickte auf die Nachricht, die plötzlich auf seinem Display erschien. Er runzelte seine Stirn etwas, als er den Inhalt durchlas und entschuldigte sich einen Moment.    Kann ich dich vielleicht kurz anrufen? Du hast mir zwar gesagt, dass du noch mit deinem Team etwas Essen bist, aber es ist echt wichtig, Tsukki. Am besten auch alleine.     Er öffnete die Tür des Imbisses und ging hinaus. Ein rauer Wind blies und er rieb sich kurz über die Arme. Er wollte gerade eine Nachricht verfassen, als die Tür ein zweites Mal geöffnet wurde und der Decoy plötzlich neben ihm stand. Vorfreude war in seinem Gesicht zu erkennen und er hatte das Gefühl, dass er etwas versteckt hielt.   Er wollte Hinata gerade einen Spruch reindrücken, als sein Handy vibrierte und das Foto von Kuroo auf seinem Display erschien. „Hallo“, war seine kurz angebundene Begrüßung und ein leichtes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Hey. Wirklich kalt heute in Miyagi, oder?“, schmunzelte ihm eine schelmische, warme Stimme ins Ohr und Tsukishima hätte sein Handy fast fallen gelassen. Er zuckte zusammen, aber weit kam er nicht, weil sich warme Arme und ein kuscheliger Schal plötzlich um ihn wickelten. Perplex öffnete er seinen Mund, doch kein Wort kam heraus. Eine große Hand bewegte sich in sein Gesichtsfeld und ihr Anruf wurde damit unterbrochen. Er bewegte seine Lippen erneut und dieses Mal kamen einige zusammenhanglose Wörter heraus. „Was, aber, wie?“ Grinsend deutete Kuroo mit seinem Kopf in eine andere Richtung und Tsukishima konnte gerade noch sehen, wie der Shrimp den Setter von Nekoma wegzerrte und dieser leicht lächelnd den Finger auf seine Lippen legte. Kuroo winkte ihm kurz nach und nahm die Arme wieder herunter, die er um Kei gelegt hatte und richtete den Schal dann. „Kenma hat sich schon seit zwei Wochen auf dieses Treffen gefreut und wollte nicht alleine gehen. Und so gutherzig wie ich bin, bin ich mitgekommen. Natürlich nicht ganz ohne Eigennutz“, schnurrte er ihm leicht ins Ohr und Tsukishima legte ihm die Hand auf die Brust. „M… Moment, Kuroo-san! Was auch immer du vorhast, das geht hier nicht. Hier können uns alle sehen“, erklärte er und blickte leicht beschämt zur Seite. In der Tat standen sie nicht unweit vom Eingang des Imbisses und die Fenster waren groß genug, dass jeder sehen konnte, wer davorstand. Kurzerhand nahm er die Hand des Älteren und zerrte ihn nun seinerseits aus dem Blickfeld der anderen und auf eine unbewachte Seite des Imbisses. „Glaub ja nicht, dass ich dir das so einfach durchgeh –“ Weiter kam er nicht, weil er plötzlich fordernde Lippen auf seinen spürte. Er wollte den anderen von sich drücken, weil er sich völlig überrumpelt und übergangen fühlte, doch Kuroo löste sich wieder von ihm und hauchte ihm ein Entschuldigung gegen die Lippen. Er näherte sich wieder und Tsukki wollte seine Augen wieder zusammenpressen, doch dieses Mal geschah alles sanfter. Als er seine Augen einen Spalt weit öffnete, konnte er das leicht errötete Gesicht von Kuroo sehen. Er spürte seine Lippen fast auf seinen, doch sein Sichtfeld verschwamm auf einmal, als ihm der Ältere die Brille abnahm. Seine Lippen wurden wieder geküsst, doch dieses Mal sanfter und ruhiger. Es fühlte sich dennoch sehr unsicher an und Kuroo löste sich wieder von ihm, um etwas nervös zu lachen. „Heute ist nächstes Mal.“ Tsukishima schloss seine Augen kurz und lehnte seine Stirn gegen die des anderen und seufzte theatralisch auf. „Aber dann müsste ich dich doch hierfür umbringen …“ Es herrschte einen Moment Stille zwischen ihnen, bevor sie ihre Lippen ein weiteres Mal aufeinanderdrückten und langsam dem wunderschönen Gefühl verfielen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)