Seelenschreiber von NightcoreZorro ([BBC Sherlock]) ================================================================================ Kapitel 1: Einsamkeit --------------------- Ich sitze nun schon seit schier endlosen Stunden hier vor meinem Laptop (eigentlich ist es nur eine Halbe) und habe immer noch nichts geschrieben, außer diesem Satz jetzt. Wie soll man denn auch anfangen, einen Block zu schreiben, wenn man so etwas noch nie getan hat? Eigentlich würde ich nie auf die Idee kommen, aber meine Therapeutin hat mir dazu geraten, meinte, es würde mir helfen. Wie genau das funktionieren soll, das weiß ich auch nicht, aber ich werde nichts unversucht lassen, etwas an meiner derzeitign Situation zu ändern. Vielleicht sollte ich damit anfangen, mich vorzustellen. Mein Name ist Dr. John H. Watson und ich war die letzten Jahre als Soldat und Militärarzt in Afghanistan. Nun bin ich zurück in London, zwangsläufig, und leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ich habe ständig Albträume, bin auf einen verdammten Gehstock angewiesen und meine Hände fangen oft einfach an zu zittern – Ich frage mich, ob überhaupt irgendwer bis hier hin mitgelesen hat. Oder überhaupt auf diese Seite klickt. Gott, ich weiß wirklich nicht, warum ich nicht einfach ein paar Stichpunkte über meinen Tag in ein Tagebuch schreibe, ganz klischeehaft für ein pubertierendes Mädchen. Egal. Ich bin nun bereits seit drei Wochen in London, gehe regelmäßig zu meiner Therapeutin und.. das war es auch schon, schätze ich. Ich habe keinen Job, ich bin nicht bei meiner Familie. Ich sitze hier an dem kleinen Schreibtisch eines Motels, in dem ich es mir so gemütlich gemacht habe, wie es nun mal möglich ist. Dabei brauche ich unbedingt eine richtige Wohnung und am Besten auch eine geregelte Arbeit, reicht die Militärrente doch hinten und vorne nicht – vor allem nicht in London. Nur wird das mit der Wohnung schwer, habe ich doch wie gesagt kaum Geld und bräuchte dementsprechend auch noch einen Mitbewohner, aber wer würde sich da schon eignen? Ich habe kaum noch Freunde in London, von denen ich aber nicht mal wüsste, wo ich sie finde und bei meiner Schwester werde ich ganz bestimmt nicht an die Tür klopfen. Ich fürchte, selbst wenn ich das Geld hätte, bräuchte ich einen Mitbewohner. Hier in dem Motel ist es so schrecklich still, unpersönlich und einsam. Gelegentlich höre ich mal etwas von nebenan, aber das ist nicht weiter der Rede wert. Ruhe, etwas das ich nicht mehr gewohnt bin. Es war etwas wie ein Luxusgut geworden, in Afghanistan. Aber hier, im Überfluss, ödet es mich an. Ich will keine Stille um mich herum, die hatte ich nie. Früher, ganz früher, hatte ich immer meine Geschwister um mich (ein Bruder und eine Schwester, beide älter), in der Uni war sowieso immer viel los und beim Militär... abgesehen davon, dass es ein Segen gewesen wäre, hätte man sein eigenes Zimmer mit einem Kameraden gehabt, war dort nie von Ruhe die Rede. Man wusste nie, wann wieder etwas geschah, wann man wirklich die Augen schließen durfte. Man war durchgehend seinem Adrenalin ausgesetzt, dass einem durch das Blut rauschte, betäubt von den Schüssen und dem Geräusch des eigenes Blutes, welches in einem vermischten Echo in den Ohren hallte, belebt von der Angst vor dem Tod. Es ist wirklich seltsam, sich jetzt hinlegen zu können, in der Gewissheit, am Morgen wieder aufzuwachen, nicht vom Krieg verfolgt zu sein – wobei ich das aufgrund der PTBS wohl doch irgendwie bin, auf eine ganz verquere Art und Weise. Sollte ich erwähnen, dass ich noch immer etwas paranoid bin? Aber immerhin habe ich es geschafft, meine Pistole nicht mehr mit ins Bett zu nehmen, sondern ordentlich, wie es sich gehört, getrennt von der Munition in den Schreibtischschubladen zu verstauen. Ich schätze, ich muss einfach erst richtig in London ankommen. Na ja, eigentlich glaubt das meine Therapeutin. Ich weiß nicht, was ich selbst dazu denke. Ich habe London vermisst. Die angenehm kühle Temperatur, der gemäßigte Sonnenschein, ja, sogar den Regen. Gott, war es trocken in Afghanistan. Aber was ich nicht vermisst habe, ist diese Stille. Die Einsamkeit. Ich habe das Gefühl, daran zugrunde zu gehen, erdrückt und zurückgeworfen zu werden. Klingt das jetzt kitschig? Bestimmt. Vielleicht sollte ich diesen ganzen Mist wieder löschen. Immerhin habe ich es doch versucht. Zählt das nicht schon? Ich habe es niedergeschrieben. Gleichgültig, ob ich es hochlade oder vernichte. Oder nicht? Vielleicht sollte ich einfach an dieser Stelle Schluss machen, es hinter mich bringen, hochladen und dann nach draußen gehen – auf die Straßen meines geliebten Londons, raus in das überfüllte, gestresste Leben dieser wundervollen Stadt. Einer Stadt voller Menschen, in der ich doch einsam bin. Paradox. Und irgendwie bitter, nicht? Vielleicht melde ich mich irgendwann wieder. Dr. John H. Watson Kapitel 2: Freude ----------------- Wie ich feststellen muss, fällt es mir wesentlich leichter, über die Fälle von Sherlock und mir zu bloggen, als über meine Gefühle. Ich weiß auch nicht, was mich dazu geritten hat, das hier fortzusetzen. Eigentlich wollte ich es bei den Fällen lassen.. Aber gut, nun bin ich nach einer etwas längeren Pause auch hier wieder aktiv. Seit dem ersten Eintrag ist so einiges passiert – Ich bin mit Sherlock Holmes zusammengezogen (als Mitbewohner, ich bin nicht schwul! Aus irgendeinem, mir unerfindlichen Grund, glaubt das jeder.), habe einen Job in einer Praxis und helfe Sherlock bei den Fällen, die er entweder von Detective Inspector Lestrade oder direkt von Klienten bekommt. Mein PTBS hat sich seit dem ersten Fall mit ihm verabschiedet – allein die Albträume sind hin und wieder da. Aber ich schätze, das ist normal. Ansonsten geht es mir gut. Wirklich. Ich habe gute Laune, ich bin gesund und ich komme mehr oder weniger gut morgens aus dem Bett – nur das übliche „Ich würde mich gern noch etwas unter der warmen Decke einkuscheln“, anstatt einer absoluten Demotivation und Lustlosigkeit. Eigentlich würde ich sogar soweit gehen und sagen, dass ich das Leben hier wieder genießen und wertschätzen kann. Es ist nicht mehr langweilig, das ist es nie mit Sherlock. Ich habe den ganzen Tag etwas zu tun, hänge nicht tatenlos in den Seilen, und bekomme regelmäßig meinen Nervenkitzel durch Sherlocks, durch unsere Fälle. Es ist immer noch beeindruckend, was er alles bemerkt und wie wenig er nur für eine Schlussfolgerung, für eine Deduktion benötigt. Es macht mir Spaß, ihn dabei zu beobachten und ihm zuzuhören. Man sollte meinen, mittlerweile sei ich es gewohnt, aber dennoch fasziniert es mich noch immer so sehr, wie an dem Tag, als wir uns kennenlernten. Auch, wenn ich damals noch nicht wusste, was ich von ihm halten sollte. „Damals“. So lange ist es eigentlich noch gar nicht her, es sind schließlich erst ein paar Monate vergangen. Aber die Zeit vergeht wirklich schnell, wenn man die Tage wieder genießen kann. Wenn man leben kann. Gott, ich bin Sherlock wirklich einiges schuldig. Ohne ihn hätte ich aus meinem Tief wohl nicht so rasch herausgefunden. Irgendwann, sicherlich, aber nicht so baldig, wie ich es ihm zu verdanken habe. Vermutlich ist er sich selbst gar nicht bewusst, was er für mich getan hat. Sherlock ist zwar ein Genie und ihm entgeht nahezu nichts, aber was zwischenmenschliche Dinge wie Gefühle oder, manchmal, auch Moral anbelangt, da habe ich teilweise wirklich das Gefühl, mit einem Kind zusammenzuwohnen. Was ich aber noch viel verwundernder finde ist, dass es mir nichts ausmacht. Im Großen und Ganzen, versteht sich. Natürlich rege ich mich darüber auf, wenn er mal wieder grundlos Miss Hudson anfährt oder mich quer durch die Stadt hetzen lässt, weil er sich nicht vorbeugen und nach dem Stift greifen will. Herrgott, Sherlock kann wirklich kindisch sein. Aber alles in allem.. ist seine Art angenehm erfrischend und ich fühle mich ein paar Jahre jünger als sonst. Es tut gut zu wissen, dass da jemand war, der einen, wenn auch auf eine seltsam verquere Art und Weise, brauchte. Es tut gut zu wissen, dass jemand auf einen wartet, wenn man von der Arbeit kam. Zwar nicht mit Tee oder gar etwas zu Essen, darauf würde Sherlock nie kommen, aber.. trotzdem ist es ein schöner Gedanke. Man kommt nach Hause und ist nicht allein. Man hat jemanden zum Reden, ja, auch zum Streiten. Das bleibt bei einem Menschen wie Sherlock einfach nicht aus. … Gott, vermutlich fällt es schwer, meine Empfindungen nachzuvollziehen, wenn ich nur seine negativen Eigenschaften aufzähle. Aber wie dem auch sei.. Es geht mir gut, bereits für einen längeren Zeitraum. Ich denke mit einem Lächeln an den vorigen Tag und erwarte den Nächsten bereits mit einem vorfreudigen Grinsen. Wie gesagt, mit Sherlock als Mitbewohner wird es nie langweilig und ich bin immer gespannt, wann wieder etwas passiert. Dr. John H. Watson Kapitel 3: Ekel --------------- Und da bin ich wieder. Beim letzten Mal tat es gut, meine Gedanken irgendwie festzuhalten und ich bin überrascht, dass es doch tatsächlich Leute gibt, die sich das durchlesen. Und ich dachte, man würde nur auf meinen Blog mit unseren Fällen klicken. Ich bin wirklich überrascht und wusste auch erst nicht, was ich auf die Kommentare erwidern soll... Danke, für die Aufmerksamkeit? Danke für die Empathie? Ich weiß ja nicht.. Dennoch erstaunt es mich, dass mein Blog weitergelesen wird, obwohl er, im Gegensatz zu meinem anderen Blog, „holprig“ klingt. Und irgendwie erleichtert es mich, dass ich nicht der Einzige bin, der es als schwer empfindet, seine Gefühle auszudrücken und so etwas zu schreiben. Glauben Sie mir, ich glaube selbst jetzt noch nicht sonderlich daran, ob ich das hier wirklich „kann“. Und dennoch scheint meine Therapeutin recht gehabt zu haben, dass es mir hilft, Dinge einfach niederzuschreiben. Darauf kommt es an, nehme ich an? Aber nun zum Grund, warum ich mich überhaupt dazu entschlossen habe, diesen Blog zu aktualisieren: Sherlock und mein letzter Fall haben mir doch mehr zugesetzt, als mir lieb gewesen wäre. Ich nehme an, jeder, der das hier liest, kennt auch meinen anderen Blog und weiß daher, dass es um Moriarty geht. James Moriarty. Ich dachte bis vor diesem Fall, dass mich nach dem Krieg nichts mehr erschüttern würde. Weder, dass ich zusehen muss, wenn Menschen vor meinen Augen bedroht werden, noch, wenn ich es selbst werde. Das Leben mit Sherlock ist turbulent genug, um den Tod ständig ins Auge zu blicken. Und ich empfinde keinerlei Sympathie zu den Menschen, die hinter solchen Verbrechen stecken. Doch noch nie habe ich einen solchen Ekel auf eine Person empfunden. Wenn ich nur daran zurückdenke, wie dieser Kerl nicht davor zurückgeschreckt hat, eine alte Dame in die Luft zu jagen oder ein kleines Kind bedroht hat... Bei Kindern hört der „Spaß“ eindeutig auf. Nicht, dass das jetzt komisch klingt und ich unsere Fälle als amüsant empfinde, aber Moriarty hat es wohl tatsächlich Spaß gemacht. Oder zumindest etwas in diese Richtung, weil ich mir nicht sicher bin, ob so ein Mensch überhaupt zu normalen Empfindungen in der Lage ist. Aber für ihn ist das alles ein Spiel. Menschen sind wie Schachfiguren, die man für eine gute Strategie, für ein erheiterndes Spiel, opfert, um sich die Zeit zu vertreiben. Ich wünsche gewöhnlicherweise niemandem den Tod und habe selbst auch keine suizidalen Gedanken, aber um diesen Mann aufzuhalten, hätte ich nicht gezögert, mich zu opfern. Klingt das falsch? Sollte ich so etwas überhaupt schreiben? Zu spät. Ich habe mir vorgenommen, nichts zu löschen, da ich ansonsten wohl nie irgendwas hochladen würde. Aber obwohl bereits einige Zeit vergangen ist, sehe ich noch immer diese dunklen, gefühlskalten Augen vor mir, die mich schaudern lassen. Nicht vor Angst, sondern vor Abscheu. Dieses selbstsichere Grinsen, unbesiegbar zu sein. Unantastbar und jedem, selbst Sherlock, überlegen. Ich freue mich auf kein Wiedersehen mit einem Menschen wie ihm, aber ich freue mich auf den Tag, an dem ihm das Grinsen vergehen wird, weil wir ihn geschnappt haben. Und dieser Tag wird kommen. Dr. John H. Watson Hosted by Animexx e.V. 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