A oder B? von Tobiz ================================================================================ Kapitel 7: Charon ----------------- Ich dachte lange darüber nach, aber letztendlich entschied mich, es zu probieren. Mein Smartphone hatte ich schnell griffbereit und schon wählte es ihre Nummer. „Hey, Toni“, grüßte sie mich mit einer sehr traurigen Stimme. Direkt bereute ich, es angerufen zu haben hätte das gerne rückgängig gemacht. „Na Lisa? Wie geht es dir?“, erwiderte ich den Gruß. Wegen ihrer traurig klingenden Stimme beschloss ich, sie nicht meinem Referat zu nerven und einfach nur kurz zu plaudern. „Es wird besser werden“, war ihre Antwort, welche besser klang, als ich erwartet hatte. „Ich weiß, dass es ihr jetzt gut geht.“ „Mit Sicherheit“, bestätigte ich sie. Eine peinliche Stille entstand. Ich durchsuchte meinen Kopf nach tröstenden Worten, doch war ich in der Situation nicht in der Lage normal zu denken. „Was macht dein Referat?“, fragte sie irgendwann. Offenbar war ihr die Stille auch peinlich. Dass sie den eigentlichen Grund meines Anrufens ansprach, war nicht geplant und ich wusste nicht, ob ich ihr von den Problemen erzählen sollte. „Komme nicht voran. Zu kompliziert.“ Mein Mund war mal wieder schneller, als mein Kopf und ich verfluchte ihn dafür. „Ich kann in 20 Minuten bei dir sein und helfen…“, schlug sie auf einmal vor. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie von sich aus Hilfe anbieten wird. Zwar sollte ich mich freuen, dass mein Schuljahr anscheinend doch noch gerettet wird, aber ein schlechtes Gewissen hatte ich trotzdem. „Ist das denn okay für dich?“, fragte ich sicherheitshalber nach. Nicht, dass sie mir später vorwerden würde, sie mit dem Anruf indirekt dazu gedrängt zu haben. „Ja, ist es. Meine Familie sitzt seit der Beerdigung hier rum und keiner sagt etwas. Es ist die Hölle“, erfuhr ich den Grund dafür. Ich hörte etwas Rauschen, was darauf hindeute ließ, dass Lisa sich bereits fertig machte. „Okay, dann bis gleich“, verabschiedete ich mich. „Bis gleich.“ Gut, damit war meine missliche Lage wohl erledigt und die Aussicht, ihr damit vielleicht auch helfen zu können, stellte mein Gewissen zufrieden. Ich packte das Smartphone zurück in die Hosentasche und machte mich auf in den Garten. Meine Mutter sollte wissen, dass Lisa kam und eben ihre Großmutter beerdigt hat, damit sie nichts dummes sagt oder tut. Wie zu erwarten war, fand ich meine Mutter im Pool vor. Sie schaute sofort zu mir auf, als ich in den Garten gelaufen kam. „Wolltest du nicht nur eine Pause machen?“, fragte sie etwas überrascht und lehnte sich an die Poolwand. Sie trug ihre Taucherbrille, welche sie immer wie ein Chamäleon aussehen ließ. Ich ging die Hocke, um mit ihr besser reden zu können. „Lisa kommt gleich vorbei“, sagte ich kurz und knapp Sie machte eine überraschende Geste und blinzelte kurz. „Hast du nicht vorhin gesagt, dass du gut voran kommst?“, hakte sie nach. Ihr entging auch nichts. Ich sagte nichts und schaute mit den Augen beschämt zur Seite. Meine Mutter verstand sofort. „Okay, schon vergessen“, ließ sie mich glücklich lächeln. Sie schwamm zur nahegelegenen Treppe und kam aus dem Wasser heraus. „Vorhin war die Beerdigung von ihrer Großmutter“, teilte ich ihr mit. Meine Mutter nahm endlich die Taucherbrille ab und warf sie auf ein Handtuch, welches einige Meter vom Pool entfernt im Gras ausgebreitet war. „Ich hoffe nicht, dass du sie dazu gezwungen hast und stattdessen Zeit für sich bräuchte “, mahnte mich meine Mutter, hob ihren Zeigefinger und ging an mir vorbei auf das Handtuch zu. Na super. Als ob mir nicht eh schon Vorwürfe gemacht hätte. „Nein nein, sie hat es angeboten“, stellte ich klar, als sie sich auf dem Handtuch breit machte. Meine Mutter nickte. „Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt“, sagte ich und machte mich auf den Weg ins Haus. „Wird sie auch hier übernachten? Wie du es sagst, klingt es, als sie vor etwas flüchten will“, rief sie mir hinterher. Ich blieb stehen und drehte mich zu ihr um. Sie lag inzwischen auf dem Handtuch in verteilte die Sonnencreme über ihre Haut. „Ich…weiß nicht“, gab ich verwirrt zurück. Kurz danach klingelte es auch schon an der Tür. Als ich ihr aufmachte, konnte ich direkt sehen, dass es ihr nicht gut geht, sie es aber nicht zeigen will. Es war auch nicht ihre Art, Schwäche zu zeigen.  Während ich ein Glas Wasser für sie holte, kam meine Mutter und sprach ihr Beileid aus. Sie betonte außerdem, dass Lisa immer bei uns willkommen ist. Danach gingen wir wegen des Referats in mein Zimmer. Lisa machte sich einen Überblick, was ich bisher erarbeitet hatte. Es war nicht zu übersehen, dass sie sich über mich lustig machte. Das konnte aber nicht über ihre Traurigkeit hinwegtäuschen. „Das mit der Eselsbrücke ist ein guter Einstieg“, gab sie schließlich von sich. „Und mit den Begriffen weiß ich, was wichtig und was zu viel ist…“, ergänzte sie und brach in Tränen aus. 5 Minuten später saßen wir gemeinsam an der Bettkante. Ich hielt sie die ganze Zeit fest in meinen Armen, während sie sich ausweinte. „Ich vermisse sie so sehr…“, schluchzte sie vor sich hin. Ich klopfte ihr ein paar Mal auf die Schulter. „Das ist auch gut so. Nimm dir die Zeit und trauere um sie“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Wichtig ist nur, dass du nach vorne siehst und nicht die Menschen vergisst, denen du etwas bedeutest.“ Das war alles, was ich ihr sagte. Die nächste halbe Stunde saßen wir einfach so da und sie weinte. Wir brauchten nicht zu reden. Es war gut, dass sie sich einfach ausweinte und nicht mehr. Als ihr schluchzen leiser wurde, blickte ich zu ihr. Sie war gerade dabei, ihre Tränen wegzuwischen. Sie sah schon definitiv besser aus, als vorhin bei der Haustür. Ok, weinend sieht keiner gut aus, aber ich fühlte, dass es ihr gut getan hat. „Tut mir leid“, lachte sie kurz auf. „Machen wir jetzt dein Referat?“, schlug sie vor. Ich nickte. Es war unnötig, noch Worte darüber zu verlieren, denn das Wichtige waren die Gefühle. Mit Lisa als Hilfe war das Referat gar kein Problem mehr. Sie nannte, welche Daten zu den Planeten wichtig sind. Sogar „Exzentrizität“ konnte sie mir ganz einfach erklären.  Die Besonderheiten zu den Planeten fasste sie mir kompakt zusammen und verwies dabei hin und wieder auf die Daten. Zum Beispiel, dass ein Tag auf der Venus länger als ein Venus-Jahr ist und dass sie der heißeste Planet des Sonnensystems ist, obwohl ein anderer Planet noch näher an der Sonne ist. Zum Schluss übte ich das Präsentieren und Lisa prüfte, ob ich das Thema auch definitiv verstanden habe.  „Ich denke, du hast es“, bestätigte Lisa und räumte alle Karteikarten auf einen Stapel. „Danke. Ohne dich hätte ich das niemals geschafft“, sagte ich glücklich und legte meine Hand auf ihre Schulter. „Wie geht es dir?“ „Mir geht es inzwischen wieder gut“, lächelte sie mir zu. Das war das Wichtigste für mich. Natürlich war es ein tolles Gefühl, mit dem Referat, was mein Schuljahr retten kann, endlich fertig zu sein, dass Lisa wieder gut drauf ist, freute mich aber ein klein wenig mehr. „Heute Abend ist doch die Party. Wollen wir hin?“, schlug Lisa nach einer stillen Pause vor.  Auf die Party wollte ich sowieso gehen, auch wenn das mit dem Referat nicht geklappt hätte. „Gern“, bejahte ich. Wir packten ein wenig Geld ein und verabschiedeten uns von meiner Mutter, welche uns ermahnte, es nicht zu übertreiben, wie sie es in ihrer Jugend getan hatte. Ja, spezieller Humor. Mit dem Bus kamen wir relativ schnell am Treffpunkt an. Mein Jahrgang hatte eine kleine, aber geräumige Hütte gemietet. Die Musik konnte man schon von weitem hören. Eigentlich war sie überhaupt nicht mein Geschmack, aber zum Glück gab es ja Alkohol. Wir gingen durch den Eingang und fanden uns inmitten einer Menschenmenge wieder, die mehr oder weniger rhythmisch zu der Musik tanzte. Lisa huschte schnell durch die Menschen, um uns ein paar Getränke zu holen und meinte, dass sie bei der Couch in der Ecke auf der anderen Seite des Raums warten würde. Mein Blick glitt über die Menschen. Die meisten von ihnen kannte ich nicht, weil sie nicht aus meinem Jahrgang waren. Anscheinend hatte sich die Party gut rumgesprochen oder mein Jahrgang hatte viele Leute einfach mitgebracht. Etwas riss mich aus meinen Gedanken. Wobei es nicht „etwas“ war, sondern jemand. Weiter hinten im Raum entdeckte ich Luke, welcher mit anderen mir unbekannten Leuten Bierpong spielte. Warum mich das aus den Gedanken riss? Naja…ich stand auf ihn. Seit 3 Wochen um genau zu sein, als wir im Religionsunterricht ein Projekt hatten. Wir sollten aus Gegenständen unsere Interpretation des Paradieses darstellen. Dazu konnten wir alle Gegenstände benutzen, die wir auf dem Schulgelände fanden. Die Gruppen wurden gelost und ich kam mit Luke in eine. Da habe ich mich ein klein wenig in seine nette und süße Art verknallt. Ich wäre gerne zu ihm rübergegangen, doch leider hatten wir über die Gruppenarbeit hinaus nie miteinander gesprochen und außerdem wartete Lisa auf mich. Ich entdeckte sie am Ende der Couch und sie hielt mir ein Becher zu. An dem anderen Ende knutschte ein Paar rum. Vielleicht war es auch gar kein Paar, zumindest knutschen da welche rum. Kurz nachdem ich mich setzte, wurde Lisa von einem in unserem Alter angesprochen. Es war offensichtlich worauf dieser Typ aus war. Er lächelte die ganze Zeit, als er sie nach belanglosen Dingen ausfragte, auf welche Lisa nur knapp antwortete. Sie war also nicht interessiert, nur merkte der Typ das nicht. Außerdem wunderte ich mich, dass Lisa überhaupt angesprochen wurde, denn schließlich waren wir zusammen auf der Party. Gut, sie war nicht meine feste Freundin, aber das konnte man ja nicht direkt wissen. 5 Minuten redeten die beiden, dann hörte Lisa auf und machte ihm klar, dass sie nichts von ihm will. Ich lächelte zu ihr rüber, als der Typ Richtung Toilette verschwunden war. Er hatte außerdem extrem nach Alkohol gestunken und war ziemlich dicht. Wir saßen so eine Weile auf der Couch und unterhielten uns. Dabei trank ich 2 Becher. Als ich die Wirkung des Alkohols langsam spürte, entschied ich kurzerhand, für den Rest des Abends nur noch Cola zu trinken. Schließlich hatte ich es meiner Mutter versprochen. Mit Lisa auf der Party zu sein, machte sehr viel Spaß. Es wäre nicht halb so lustig, wenn sie nicht dabei gewesen wäre. Außerdem empfand ich es als richtig, sie aufzuheitern. Ich merkte, dass auch Lisa irgendwann auf Cola umstieg. Meine Mutter mit ihrer fast Drohung muss ihr ja noch richtig präsent sein, dabei ist sie nicht mal ins Detail gegangen. Sie hatte schon so manche Geschichten von früher erzählt und erhoffte so insgeheim, dass ich nicht ihre Fehler machen würde. Bisher war ich ihr dafür immer sehr dankbar. Irgendwann sah ich auf eine Uhr an der gegenüberliegenden Wand und stellte fest, dass es zwei Stunden vor Mitternacht war. Komisch, dabei fühlte es sich wie eine Ewigkeit an, mit Lisa auf der Couch zu sitzen. Auch die Party schien gerade, ihren Höhepunkt zu erreichen, denn es wurde immer voller und immer mehr unbekannte Menschen tummelten sich hier. Nach einer weiteren Stunde meldete sich meine Blase. Ich war überrascht, dass Lisa so lange durchhielt, denn sie trank viel mehr als ich. Als ich den Raum mit den Toiletten betrat, verfiel ich in eine Starre. Luke war gerade da und schrubbte an seinem Shirt unter dem Wasserhahn herum. Es ist wohl schmutzig geworden. Natürlich musste er auch noch mit nassem Shirt vor mir stehen. Bei meinem Eintreten sah es kurz zu mir rüber. „Hey“, grüßte es mich freundlich. Er hatte seine Haare seitlich über der Stirn, was ihn noch viel süßer machte, als er eh schon war. Ich schmolz dahin. „Hey“, gab ich zurück und ging schnell in die Kabine. Irgendwann wollte ich ihm von meinen Gefühlen zu ihm gestehen. Möglicherweise ist das der richtige Moment. „Aber was ist, wenn er sie nicht erwidert?“, führte mit meinem Kopf einen Ehestreit. „Das würde ich nicht verkraften.“   Wenn du Luke deine Gefühle gestehen willst, lies bei Venus weiter Wenn du Luke deine Gefühle verheimlichen willst, lies bei Io weiter.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)