Sex, Guns & Rock 'n' Roll von UrrSharrador („Herzlich willkommen beim Schicksalslos!“) ================================================================================ Epilog: „Ich weiß mittlerweile, dass Tränen keine Schwäche sind.“ ----------------------------------------------------------------- Man kennt es aus Filmen und dergleichen, dass es bei einer Beerdigung immer regnet. Alles ist so traurig, dass sogar der Himmel weint. Heute ist das anders. Das heißt – vielleicht wäre es Regen gewesen, aber eine neue Kaltfront hat unsere Stadt erwischt, und darum fallen dicke, weiche Flocken vom Himmel. Der Friedhof ist in eine beruhigende Schneedecke gehüllt, der Schneefall schluckt all die Störgeräusche, derer man sich erst bewusst wird, wenn sie fehlen: das Brummen der Autos auf den nahen Straßen, die Schritte von Passanten auf den Bürgersteigen, ihre Stimmen und die leise Musik, die dann und wann aus dem Fenster eines Wohnhauses ertönt. Hier und heute hören wir nur den Priester die letzten Worte sagen, als der Sarg in die Grube hinabgelassen wird und wir alle jeder eine Schaufel voll Erde darauf streuen dürfen. Nachdem ich dran war, stelle ich mich neben Ino, schlage mir meinen Kragen hoch und zittere. Ich spähe hinüber zu den anderen. Sie alle tragen ernste Mienen zur Schau. Hinatas Mütze ist voller Schneeflocken – fast ist es, als wollte der Himmel uns nicht erlauben, heute in Trauer Abschied zu nehmen. Unsere schwarze Kleidung wird zunehmend weißer, freundlicher. Die von Ino allerdings nicht. Sie wird von einem Regenschirm beschützt, den Deidara hält – noch eine Geste, die eher zu einem Regentag gepasst hätte. In welcher Beziehung die beiden zueinander stehen, habe ich immer noch nicht durchschaut. Sie hat mir gegenüber mal fallen gelassen, dass sie einen Freund für besondere Stunden habe, wie sie sich ausgedrückt hat. Als uns Sasukes Aktion zu Ohren gekommen ist und sie herausgefunden hat, dass Deidara es war, der ihm dabei geholfen hat, ist mir klar geworden, wer dieser Freund für besondere Stunden ist. Ino war nämlich fuchsteufelswild, hat ihn direkt angerufen und ihm Vorwürfe gemacht. Dass er Sasuke bei dieser selbstmörderischen Tat unterstützt hat, schien nicht in ihren Kopf zu wollen, und sie hat ihn angeherrscht, sich nie wieder bei ihr zu melden; es sei aus, ein für alle Mal – das volle Programm. Umso erstaunlicher ist es, dass er heute hier ist und ihr offenbar doch Trost spendet. Vielleicht hat sich zwischen ihnen noch einmal etwas geändert. Deidara hätte ja gar keinen Grund, hier aufzukreuzen. Schließlich kennt er denjenigen, der heute beerdigt wird, gar nicht. Die Gerichtsmedizin wollte uns Shikamaru nicht eher zurückgeben. Es hat sich immerhin um einen eher rätselhaften Todesfall gehandelt, und natürlich hat man das Gift in seinem Körper nachgewiesen. Erst heute ist es möglich gewesen, ihn zu beerdigen. Die engen Angehörigen treffen sich jetzt noch zum Leichenschmaus. Ich stehe eine Weile mit meinen Freunden auf dem Friedhof herum. Die Kälte beißt uns in die Glieder, aber ich glaube, wir finden alle, dass wir es nicht anders verdient haben.  „Was habt ihr … heute noch vor?“, fragt Kiba, wohl nur, damit überhaupt irgendjemand etwas sagt. Deidara hält sich diskret im Hintergrund. Er geht nicht so weit, sich halb den Arm auszurenken, um Ino weiterhin vor dem Schneefall zu schützen, die auch in unserem Kreis steht. Generell wirkt er eher gelangweilt. Aber über ihn und seine Gründe möchte ich nicht länger nachdenken. „Ich werde nach Sasuke sehen“, erkläre ich. „Schon wieder?“, fragt Tenten. Ich nicke. „Ich weiß nicht, wie oft wir noch Gelegenheit dazu haben, also …“, murmele ich kleinlaut. „Du hat recht. Ich komm mit“, sagt Naruto. Er war auch die letzten beiden Male mit von der Partie. „Naruto“, ermahnt ihn Neji. „Lass den beiden auch mal Zeit für sich.“ Naruto mustert mich lange, ehe er nickt. „Okay. Ich meine, ich verstehe das. Ich meine …“ „Danke, Naruto“, sage ich. Es ist merkwürdig, plötzlich wieder ein Leben ohne das Schicksalslos zu führen. Auch wenn es noch nicht lange her ist, dass das Gremium ausgelöscht wurde. Ich kann immer noch nicht sagen, ob wir uns nun freier fühlen als vorher. Sollten wir vielleicht, zumindest einstweilen noch. Vielleicht brauchen wir einfach noch mehr Zeit, um all die Geschehnisse zu realisieren. Kleine Änderungen in unserem Freundeskreis hat es jedenfalls schon gegeben – aber nach allem, was in den letzten Tagen geballt auf uns zugekommen ist, wäre das vielleicht so oder so geschehen. Chouji ist zwar immer noch ziemlich am Boden zerstört, und über Ino habe ich lange erfolglos nachgegrübelt. Man bekommt nicht aus ihr heraus, was sie nun mit sich anfangen will. Vielleicht weiß sie es selbst nicht. Aber Neji, Tenten und Lee haben sich angeblich in der letzten Zeit öfters getroffen. Nicht so oft wie früher, vor dem Spiel, aber auf jeden Fall öfter als währenddessen. Es freut mich irgendwie, dass sie wieder zusammenwachsen. Auch wenn sie vielleicht nichts anderes tun, als sich gegenseitig anzuschweigen. Naruto ist ebenfalls ziemlich geknickt. Er bemüht sich, froh durchs Leben zu gehen, das weiß ich. Und ich weiß, dass es auch Hinata mitnimmt, ihn so sehr leiden zu sehen. Wären wir nicht alle relativ abgehärtet gewesen, wären wir nach den jüngsten Vorkommnissen vielleicht wahnsinnig geworden vor Kummer. So gesehen ist es gut, dass unser Blut so kalt geworden ist, selbst das von Naruto. Trotzdem war er vielleicht immer der ehrlichste Spieler unter uns. Derjenige, den das, was er getan hat, am meisten bedrückt hat. Ich schäme mich, dass ich das erst jetzt bemerke, und bin umso froher, dass das Spiel nun ein Ende hat. Kiba gibt sich alle Mühe, das Geschehene zu verdrängen, das merkt man. Wir alle haben noch nie so viele Einladungen zu diversen Events, Kinobesuchen, Bowlingbahnen und anderen Freizeitaktivitäten von ihm bekommen wie in den letzten Tagen; auch zu Sachen, die er eigentlich nicht mag oder noch nie ausprobiert hat. Er versucht sich abzulenken und uns ebenfalls zu beschäftigen, damit wir nicht gänzlich in unserem Tief versinken. Ich glaube, er schämt sich dafür, dass er anfangs so begeistert von dem Schicksalslos war. Er ist es vor drei Jahren auch gewesen, der bei einem Spezial-Event im Casino den Joker gezogen hat – kein Hauptgewinn, aber ein stummes Angebot in einer Ecke, beim Schicksalslos mitzumachen und ein paar Freunde mitzubringen. Ich glaube aber, dass ihm niemand deswegen böse ist oder es je war. Es hätte jeden von uns treffen können. Und nun hat der ganze Spuk ein Ende. Dank Sasuke. Der dafür wahrscheinlich mehr geopfert hat als wir in all den Jahren. Diese Gedanken kreisen mal wieder in meinem Kopf, während ich allein zum Krankenhaus fahre. Sasuke hat ein Einzelzimmer. In dem Flur, in dem er liegt, hält eine Polizistin Wache. Ihr Kollege behält den Aufenthaltsraum im Auge. Ich nicke der Frau zu, die mich mittlerweile kennt. Dann betrete ich das Zimmer. Das Fenster steht offen, kalte Winterluft erfüllt den Raum. In einem billigen Film hätte die Besucherin das Bett jetzt sicher leer vorgefunden, der bewachte Kranke geflohen, auf Nimmerwiedersehen im Untergrund abgetaucht. Aber abgesehen davon, dass das hier der sechzehnte Stock ist, ist Sasuke zu einer Flucht gar nicht in der Lage. Die beiden Polizisten sind auch eher pro forma hier, und jeder weiß das. Schließlich ist Sasuke nur um ein Haar am Jenseits vorbeigekratzt. Er hat eine üble Bauchwunde und eine Serie kleiner Verletzungen davongetragen. Man hat ihn zusammengeflickt und er ist hinterher nicht mal lange auf der Intensivstation gewesen, war auch recht bald wieder ansprechbar, aber trotzdem täuscht das nicht darüber hinweg, wie schlimm man ihn zugerichtet hat. Es wird noch eine ganze Weile dauern, ehe er das Krankenhaus verlassen kann. Er hat uns bereits erzählt, was sich alles dort im Konferenzraum des Gremiums zugetragen hat. Er hat auch berichtet, dass es ironischerweise Olga gewesen ist, die ihm das Leben gerettet hat. Sasuke hat uns gestanden, dass er sie völlig vergessen hat, als er die Gremium-Mitglieder niedergeschossen hat. Sie dürfte sich hinter dem Tisch zusammengekauert haben, bis fast alles vorbei war. Dann hat sie sich die Waffe eines toten Sicherheitsmannes geschnappt und den Mann erschossen, der eben Sasuke hat töten wollen. Wir haben Olga wohl immer unterschätzt. Sie hat auf mich stets wie eine aufgetakelte Tusse gewirkt, die keinen Schimmer davon hat, was das Gremium tut und wie ungesetzlich das alles ist. Aber dort unten in dem Kellerraum scheint sie einen Entschluss gefasst zu haben. Sie hat Sasuke verschont und ihm stattdessen gedroht, sie habe noch andere mächtige Freunde und würde sich an ihm rächen, wenn er irgendetwas über ihre Person erwähnte. Das hat er natürlich trotzdem getan, erst uns und dann den Kommissaren gegenüber, die ihn verhört haben. Olga hat es geschafft, einige Konten des Gremiums zu plündern und sich ins Ausland abzusetzen. Die Summe, die sie erbeutet hat, ermöglicht ihr wahrscheinlich einen Urlaub auf Lebenszeit auf Hawaii. Vielleicht hat sie sogar Beweise von den Computern des Gremiums gelöscht – die Kommissare haben sich auffallend bedeckt gehalten, was unser aller Straftaten angeht. Ganz gewiss ist es ebenfalls Olga gewesen, die als anonyme Anruferin die Polizei verständigt hat. Man vermutet, sie hat Sasuke am Leben gelassen, weil er als Sündenbock herhalten sollte. Er hat das Gremium getötet, und als einziger Überlebender des Massakers kommt das viel deutlicher heraus, als wenn er ebenfalls gestorben wäre. Außerdem hätte ein überlebender Sicherheitsmann möglicherweise weitere Untermänner des Gremiums verständigt. Die Sache wäre vielleicht gar nie aufgeflogen, andere Gangster hätten die Plätze im Gremium übernommen, ohne dass die Polizei eingeschaltet worden wäre. Sasuke hat so etwas Ähnliches bei der Bande erlebt, der er sich damals selbst angeschlossen hat. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte man Olga vielleicht für ihre erzwungene Mittäterschaft bei Sasukes Coup belobigt. Oder man hätte sie im Gegenteil als Verräterin abgestempelt oder als Mitarbeiterin des alten Gremiums gelyncht. Dieses Risiko hat sie nicht eingehen wollen. Sasuke hat dann auch gemeint, er habe den Verdacht, dass das Gremium Olga ebenso erpresst hat wie uns alle. Dass man sie quasi zwangsverpflichtet hat, die Spielrunden zu leiten. Das ist nur eine Vermutung, aber vielleicht ist etwas Wahres dran. Ihr ist es jedenfalls zu verdanken, dass Sasuke jetzt hier vor mir liegt. Unter polizeilicher Bewachung, mit so vielen Bandagen um den Leib, dass er wie eine halbe Mumie wirkt, und sichtlich erschöpft – aber am Leben. „Hi“, sagte ich. „Hallo.“ Seine Stimme klingt immer ein wenig gepresst, wenn er spricht. Die Schmerzmittel können die Wunde in seinem Bauchraum nicht völlig betäuben. Ich setze mich auf den Stuhl neben seinem Bett. „Ich komme gerade von Shikamarus Begräbnis“, erzähle ich. „Verstehe. Waren alle da?“ „Ja. Ich hab auch in deinem Namen Beileid gewünscht.“ Er schnaubt. So sehr er äußerlich verwundet worden ist, so sehr ist er im Inneren noch derselbe. „Weißt du schon, wann du … rausgelassen wirst?“ „Du meinst, wann sie mich aufstehen lassen und mich stattdessen in den Knast stecken?“ Das habe ich nicht sagen wollen, aber ich habe es gedacht. Der Knoten in meinem Hals schmerzt furchtbar. „Keine Ahnung. Sie wollen sich nicht festlegen. Können sie wahrscheinlich auch nicht.“ „Aber sie behandeln dich gut, oder?“ Die Ärzte und Schwestern, die die Wahrheit hinter alledem nicht kennen, halten ihn vielleicht für einen gewissenlosen Massenmörder. Er zuckt mit den Schultern, was ihm ebenfalls Schmerzen zu bereiten scheint. „Keine Ahnung“, erklärt er mit einem schiefen Grinsen. „Ich war selten in einem Krankenhaus, also kenne ich den Unterschied nicht.“ „Wenn du irgendwie schlecht behandelt wirst, dann …“ „Stopp. Du bist nicht meine Aufpasserin, Sakura.“ „Leider.“ Plötzlich treten mir Tränen in die Augen. „Sonst hätte ich dich das nie tun lassen.“ Wieder ein Achselzucken. „Tränen stehen dir nicht, Sakura“, meint er und wendet den Blick zum Fenster. Ich wische mir hastig über die Augen. „Ich weiß mittlerweile, dass Tränen keine Schwäche sind, mein lieber Sasuke. Vielleicht lernst du das auch irgendwann.“ Generell habe ich in den letzten Tagen – seit Shikamarus Tod und Sasukes Beinahe-Ableben – ausreichend Gelegenheit gehabt, über solche Dinge nachzudenken. Dass nämlich das, was ich immer für Schwäche gehalten habe, gar nicht unbedingt Schwäche sein muss. Dass meine Einstellung sich im Laufe der Jahre irgendwie in eine Richtung entwickelt hat, die nicht unbedingt viel mit der Wahrheit zu tun hat – beeinflusst wahrscheinlich von dem Sasuke von früher, den unnahbaren, coolen, unerreichbaren Mädchenschwarm. Vielleicht denke ich mir aber auch nur, was für eine schöne Ironie es doch wäre, wenn derselbe Sasuke mich jetzt abermals zum Umdenken gebracht hätte. Jedenfalls bin ich mir momentan gar nicht mehr sicher, ob stark zu sein wirklich bedeutet, einfach ohne mit der Wimper zu zucken alles zu ertragen und Verbrechen zu begehen. Ob nicht eher jene Leute die Starken sind, die genau unterscheiden zwischen Dingen, die sie mit gutem Gewissen tun können, und solchen, die einfach zu gefährlich sind. Ob es nicht mutiger gewesen wäre, sich dem Spiel zu enthalten, statt sich vom Geld und der Angst vor einem Vergeltungsschlag des Gremiums zu beugen. „Ich habe mich entschieden, Sasuke“, sage ich. „Ich gehe mit der Sache zur Polizei. Spätestens, wenn du ins Gefängnis gehst, stelle ich mich auch.“ „Bist du sicher, dass das klug ist?“ „Nichts, was ich noch machen kann, ist klug oder dumm“, sage ich. „Es sind einfach Entscheidungen, die ich treffen muss. Die ich treffen will. Es ist nicht gerecht, dass du jetzt alles ausbaden musst, was wir verbrochen haben.“ „Du hast niemanden umgebracht, Sakura. Ich schon. Einen Haufen Leute. Das ist eine Tatsache. Riviera kannst du getrost auch dazu zählen.“ Ich verrate ihm nicht, dass ich nur noch darauf warte, bis die Ermittler mich darauf ansprechen. Ich habe vor, diesen einen Mord auf mich zu nehmen, um Sasukes Last zu vermindern – auch wenn er wahrscheinlich sagen würde, dass das dämlich sei und ohnehin keinen Unterschied mache. Aber ich habe das Gefühl, dass ich es tun muss. Das ist auch eine Art von Stärke, glaube ich. Sasuke wird bestimmt für sehr lange Zeit ins Gefängnis wandern. Er hat zugegeben, verschiedene Größen aus der Geschäftswelt erschossen zu haben. Einen Grund hat er nicht genannt. Ich bin mir sicher, dass er dafür mindestens lebenslänglich bekommt. Falls nicht irgendwelche mildernden Umstände zum Tragen kommen. Das ist der Hauptgrund, warum ich mich entschlossen habe, die enorme Schuld, die bereits auf mir lastet, loszuwerden. Ich werde zur Polizei gehen und meine Verbrechen gestehen. Ich helfe, die ganze Sache aufzuklären. Was das Schicksalslos ist. Was dort im Keller des Norns-Casinos abgelaufen ist und was in mehreren Städten im ganzen Land zu geschehen scheint. Ich werde meine Taten aufzählen. Damit bei Sasukes Verhandlung nachvollzogen werden kann, warum er das getan hat. Was er uns allen damit Gutes getan hat. Dass er eigentlich ein Retter ist, kein Mörder. Und es wird vielleicht dazu führen, dass man weitere Zweigstellen des Gremiums ausheben und andere Mitarbeiter festnehmen kann. Ich will nicht, dass noch irgendjemand leidet, nur weil er oder sie bestimmte Chips und Karten zieht. „Schade“, sagt Sasuke nach einer Weile. „Was?“ „Wenn ich im Gefängnis bin, kannst du mich immerhin besuchen. Wenn wir beide einsitzen, sehen wir uns eine halbe Ewigkeit nicht.“ Ich weiß, dass Sasuke kein Romantiker ist und auch sonst kaum zugibt, wenn ihm jemand am Herzen liegt – also freue ich mich, dass er davon spricht, mich sehen zu wollen. „Im Gegensatz zu dir hätte ich die Aussicht, wegen guter Führung schneller wieder rauszukommen“, behaupte ich in dem lahmen Versuch, einen Scherz zu machen. Ich weiß, dass meine Entscheidung eine schwerwiegende ist, eine einsame und eine verdammt traurige. Aber ich glaube kaum, dass ich andernfalls all das gut machen könnte, was ich gutmachen muss. Und es ist nicht so, als hätte ich es mir nicht durchgerechnet. Ich habe tatsächlich niemanden getötet. Ich bin zu diesem Spiel gezwungen worden. Ja, ich habe Geld bekommen, aber wenn die Regeln des Schicksalsloses rauskommen, wird man sicher darauf plädieren, dass ich keine allzu große Wahl gehabt habe. Außerdem laufen die Ermittlungen zu der Sache noch. Sasuke hat gewaltsam eine Gangsterrunde aufgelöst, und nun wird natürlich in deren Unterlagen gegraben. Wenn Olga sie nicht gelöscht hat, findet man sicher sowieso unsere Beweisvideos und unsere Unterschriften auf den Eintrittsformularen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei mit unangenehmen Fragen auf uns zukommt. Da stelle ich mich lieber vorher freiwillig. Ich werde den anderen von dieser Entscheidung erzählen, vielleicht schließt sich mir jemand an. Ich wünsche ihnen allen, dass sie ungeschoren davonkommen, aber vorschlagen werde ich es ihnen. Wir schweigen wieder beide eine Weile. Ich gehe ans Fenster, und wir sehen zu, wie der Schneefall dichter wird und die Häuserdächer einkleidet. Ich weiß noch genau, wie ich nach meiner und Sasukes ersten Nacht ebenfalls auf eine schneebedeckte Stadt hinaus gestarrt habe. Damals war es dunkel. Jetzt dämmert es erst, aber irgendwie fühle ich mich an den Moment zurückversetzt. Kaum zu glauben, was seither alles geschehen ist. Welche Aspekte in meinem Leben sich um hundertachtzig Grad gedreht haben. „Weißt du was?“, fragt er irgendwann. „Du bist wirklich verrückt.“ Ich lache leise. „Ach so?“ „Ja. Eindeutig. Geradezu irrwitzig verrückt. Du gehörst in die Klapse, nicht ins Gefängnis.“ „Dasselbe gilt für dich.“ Ich lächle ihn an. „Wäre das eine Option?“ Er starrt mich an und schnaubt dann kopfschüttelnd. Ich werde wieder ernst. Wir blicken erneut stumm aus dem Fenster. Es ist nicht so, als hätten wir uns nichts zu sagen – gerade jetzt sollten die Worte nur so aus uns heraussprudeln. Aber irgendwie fühlt es sich an, als wäre das nicht notwendig. Nur eines scheint er noch loswerden zu wollen. „Du hast dich echt verändert“, stellt er fest. „Das hast du schon öfter gesagt, und im nächsten Moment hast du deine Meinung gleich wieder geändert. Außerdem weiß ich nicht, ob das noch als Kompliment gilt.“ „Ich bin niemand, der Komplimente macht. Ich stelle nur Dinge fest. Aber man kann dich nicht mehr mit der Sakura von früher vergleichen, das ist nun mal eine Tatsache.“ „Vielleicht hast du mich seit damals einfach nur chronisch unterschätzt?“ Er schweigt kurz. „Vielleicht“, gibt er zu. „Außerdem glaube ich, dass sich jeder Mensch ständig ändert, Sasuke. Nur so als Denkanstoß, wenn du deine zwischenmenschlichen Fähigkeiten mal wieder ein wenig aufpolieren willst.“ „Hab ich nicht nötig“, meint er hochmütig. „Ach nein? Naja, manches ändert sich halt doch nie. Aber weißt du, was wirklich ein Kompliment wäre? Dass du mich so magst, wie ich momentan bin. Wenn das auch eine Tatsache ist, kannst du sie ja feststellen.“ Er rollt die Augen. „So ein Gesülze bringe ich nicht über die Lippen.“ „Schade. Dabei ist das die neutralste Formulierung, die mir eingefallen ist.“ „Hm.“ Er scheint mit sich zu ringen. „Vergiss es“, erlöse ich ihn. „Du hast uns allen den Hintern gerettet. Das allein beweist, dass du uns zumindest nicht hasst.“ Er seufzt. „Du bist heute echt nicht zum Aushalten. Wenn’s dir so viel bedeutet – ja, es stimmt.“ Ich nicke grinsend. „Na also, ging doch.“ „Du hast es sowieso gewusst.“ „Stimmt.“ Ich gebe zu, es ist eine merkwürdige Konversation, die wir hier führen. Aber irgendwie ist alles an uns merkwürdig. Die Umstände, unter denen wir uns wiedergesehen haben. Die Umstände, unter denen wir uns wieder nähergekommen sind. Die Umstände, die uns jetzt vermutlich – für eine Weile nur, hoffentlich – auseinander bringen werden, zumindest physisch gesehen. Dennoch tut dieser kurze Wortwechsel unglaublich gut. Es ist seltsam, dass ich, anders als früher, nicht mehr darauf angewiesen bin, dass Sasuke mich akzeptiert. Und dass er es trotzdem gerade jetzt tut. Und irgendwie freue ich mich nun doch darüber. Ich weiß nicht, wie es mit uns weitergehen wird. Wie oft wir uns noch sehen können. Was dann passieren wird. Aber irgendwie schaffe ich es, darauf zu hoffen, dass sich schon alles fügen wird. Und dass wir das Beste aus dem machen werden, was Sasuke uns erkämpft hat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)