Something just like this von Ayane88 ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Sie hasste es durch diese Allee zu gehen. Meistens liefen um diese Uhrzeit nur zwielichtige Gestalten herum. Dennoch wollte sie nicht fortziehen, denn dann hatten ihre Eltern gewonnen. Außerdem musste sie nur drei Jahre durchhalten, wenn alles gut ginge, wäre sie dann mit dem Studium fertig. „Das packe ich schon“, flüsterte Luan in die Dunkelheit. Hoffentlich war sie bald zuhause. Reflexartig beschleunigte sie ihre Schritte. „Wohin des Weges, Süße?“, sprach eine tiefe Stimme. „Nicht umdrehen, bloß nicht umdrehen“, dachte Luan und setzte einen Schritt nach Vorne, doch jemand hielt sie fest. „Mir scheint, dass du ganz allein unterwegs bist oder?“ Der Griff wurde fester, so dass sie sich umwand. Sie konnte kaum das Gesicht des Mannes erkennen, aufgrund der Dunkelheit. Zudem hatte er eine schwarze Mütze an und war von breiter Statur. Durch die Kälte erkannte Luan seinen Atem. „Lass mich los“, fiepte sie. Im nächsten Moment staute sich Wut in ihrem Magen an. Nicht auf den Kerl sondern auf sich selbst. Er drängte sie an die Wand und kam bedrohlich näher. „Was wenn ich nicht will? Hm? Was wirst du dann machen?“, zischte er ihr zu. Innerlich ging Luan durch, was sie nun am besten machen sollte. Doch bevor sie überhaupt reagieren konnte, hörte sie eine andere, wohlig klingende Stimme sagen: „Lass sie los!“ Sie rechnete fest mit einer Schlägerei, doch ihr Peiniger wand sich von Luan ab, grummelte etwas Unverständliches und zog davon. „Bist du in Ordnung?“, fragte ihr Retter. „J-ja“, stotterte Luan. Erst jetzt erkannte sie ihn. Er hatte dunkelblondes Haar, kurz jedoch ziemlich stylisch. Durch das Laternenlicht, dem sie sich näherten erkannte sie, dass er grau blaue Augen hatte, von zierlicher aber drahtiger Figur war und seine Gesichtszüge androgyn waren, was sie recht anziehend fand. „Das beruhigt mich“, er seufzte. „Ich kann solche Typen echt nicht ab. Meistens machen sie auf stark, wenn sie jemanden alleine vorfinden. Tja und dann siehst du auch noch so gut aus. Das lockt solche Mistkerle regelrecht an.“ „Du findest mich hübsch?“, kam es überrascht von ihr. Als hätte sie zurzeit keine anderen Sorgen … . „Ähm, ja“, flüsterte er. „Darf ich dich begleiten? Nur um sicher zu gehen, dass so etwas nicht nochmal passiert.“ „Gerne“, Luan lächelte. Schließlich setzten sie sich in Bewegung. Er stellte sich als Jules vor. „Schöner Name“, äußerte Luan. „Ich bin Luan. Und danke dir für vorhin.“ „Keine Ursache. Und das mit dem Namen kann ich nur zurück geben. Luan klingt recht ungewöhnlich.“ „Danke dir“, raunte sie. „Ich weiß gar nicht, wie meine Eltern darauf gekommen sind. Na ja, wir reden allgemein nicht gerade viel.“ Wieso erzählte sie ihm das alles? „Da haben wir etwas gemeinsam“, Jules lachte auf. „Eltern sind eben immer so eine Sache, nicht wahr? Am besten man zieht sein eigenes Ding durch.“ „Sehe ich genauso“, Luan nickte zustimmend. „Bestimmt hätten sie nun auch wieder was zu lästern gehabt. Ich kann mir schon fast vorstellen, wie sie damit kommen, dass sie mir das ja alles gesagt haben, das mir so etwas passiert wenn ich in diese Gegend ziehe.“ „Ganz ehrlich? Das kann überall passieren“, meinte er. „Tja, sag das mal meine Eltern. Ich bin in einem Dorf groß geworden. Da haben sich praktisch Hase und Fuchs Gute Nacht gesagt. Sie haben die Stadt immer verteufelt. Und ich konnte mit ihrem Spießertum rein gar nichts anfangen.“ „Verständlich.“ „Wie war es denn bei dir?“, sie erhaschte einen kurzen Blick auf Jules. Dieser wirkte mit einem Mal melancholisch. „Hmm, das ist eine lange Geschichte. Eventuell erzähle ich dir das alles, wenn wir uns wiedersehen sollten.“ Bei dem Wort Wiedersehen machte Luans Herz einen Sprung. Jules schien ein netter Kerl zu sein. Ganz anders als jene, die sie zuvor kennengelernt hatte. „Das will ich hoffen“, platzte es aus ihr heraus. „Oh, wir sind da.“ Sie standen vor der Wohnsiedlung, die sie ab sofort ihr Zuhause schimpfte. Einladend wirkte diese keineswegs. Ganz im Gegenteil. Block an Block war aneinander gereiht und die Wände waren in einem ernüchternden Grau gehalten. Unzählige Parteien wohnten hier. Und Luan kannte die meisten von ihnen nicht, wollte dies auch nicht. Alles an was sie dachte war ihr Studium. „Okay, dann lasse ich dich ab hier allein“, Jules strahlte. Er griff in seine Jackentasche und holte einen Stift heraus. „Hast du einen Zettel?“ Ein wenig zerstreut war er schon, dachte sich Luan und kicherte. „Nein, aber“, sie schob ihren Ärmel hoch und hielt ihm ihren Arm entgegen. Ihr Retter hustete, riss sich jedoch zusammen und schrieb einen Namen auf Luans Unterarm. „Lawliet Yagami“, las sie laut vor. „Ja“, er lachte. „Mein Facebook Name, ist eine Zusammensetzung aus den Namen meiner Lieblingscharaktere.“ „Kommt mir bekannt vor“, Luan zwinkerte. „Gut, dann werde ich dich dort aufsuchen. Keine Sorge, ich bin keine Stalkerin.“ „Ach selbst wenn, ich bin einiges gewohnt“, scherzte er. „So ich muss los. Es war schön deine Bekanntschaft zu machen. Die Umstände leider weniger aber du scheinst ein interessanter Mensch zu sein.“ „Du ebenso, nochmals vielen Dank dir“, damit verabschiedeten sie sich. Eine weile sah Luan dem fremden Mann nach bevor sie in Richtung ihrer Wohnung ging. Dort erwartete sie die bereits bekannte Tristesse. Wirklich eingerichtet hatte sie sich nicht, jedenfalls nicht wohnlich. Sie atmete tief ein und aus. Im Bad befreite sie sich aus den Sachen und steuerte gezielt die Dusche an. Das konnte Luan nun wirklich gebrauchen. Während das heiße Wasser über ihren Körper lief, dachte sie über das gerade erlebte Ereignis nach. Gut, dass er sie gerettet hatte. Luan beeilte sich, immerhin war sie neugierig wie das Facebook Profil von Jules wohl aussah. Hektisch trocknete sie sich ab und fuhr ihren Laptop hoch. „So“, murmelte sie vor sich hin und tippte den Namen auf ihren Unterarm ein. Sie hatte aufgepasst diesen nicht abzuwaschen. Sofort sprang ihr ein Profil ins Auge. Ja, das war eindeutig ihr Held. Auch in dem Cosplay konnte man seine faszinierende Ausstrahlung erkennen. „Also auch ein Anime Fan“, Luan grinste und scrollte sich durch sein Profil. Letztendlich traute sich sich und stellte ihm eine Freundschaftsanfrage. „Mal schauen ob du mich annimmst … .“ Kapitel 2: ----------- Jules betrat die Wohnung. Sein Mitbewohner hatte mal wieder den Fernseher angelassen. Das war typisch für ihn. Seufzend stellte Jules diesen aus. Wieso konnte der Trottel nicht mal nachdenken, wenn er ins Bett ging? Er schüttelte frustriert den Kopf und ging in sein Zimmer. Dort strebte er den Laptop an. Bei Facebook ging Jules die Kommentare durch, außerdem sprang ihm eine Freundschaftsanfrage ins Auge. Von Luan Mai. „Ihr Nachname klingt ja genauso melodisch wie ihr Vorname“, stellte er laut fest und bestätigte die Anfrage. Neugierig ging Jules die Fotos von Luan durch. Sie wirkte ganz anders als ihre Freundinnen auf den Bildern. Irgendwie nachdenklich und melancholisch. Das schien sie beide wohl zu vereinen. Lautstark summte sein Handy und als er darauf blickte, sah er eine Nachricht von ihm. Manchmal wusste Jules nicht wie er reagieren sollte. Ihre Beziehung, wenn man sie überhaupt so nennen konnte, stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Selbst nach all den Jahren, wusste Jules nicht wie Jay zu ihm stand. Einerseits war da diese Anziehungskraft zwischen ihnen, auf der anderen Seite verleugnete ihn Jay auch gerne in der Öffentlichkeit. Jules wusste, dass dies an seiner Transidentität lag. Schon seit längerer Zeit nahm er jetzt Testosteron. Und so passten seine Gesichtszüge zu seiner Identität. Auch die Hystek strebte er an, um endlich einige körperliche Merkmale des Geschlechts los zu werden, was ihm bei der Geburt zugewiesen wurde. Was die letzte Operation anging, war er sich unsicher, aber die Mastek* hatte er bereits vollzogen. Für Jay war das schon zu viel. Er hatte selbst Probleme mit seiner Sexualität und wusste nicht genau in welche Richtung diese ging. Ihn zog Jules Maskulinität auch an, aber so bald andere dahinter kamen, leugnete er dies. Dann spielte er wieder den Player, der jedes Mädchen haben könnte. „Treffen wir uns heute?“, stand in der Nachricht. Eine Frage war dies eher weniger, viel mehr eine Aufforderung. „Ich bin zuhause“, schrieb Jules zurück. Er lehnte sich zurück, wütend darüber erneut nachgegeben zu haben. Es vergingen einige Minuten bis es an seiner Haustür schellte. Jay … . „Hi“, grüßte Jules ihn leise als er die Tür öffnete. „Hallo“, gab dieser zurück und trat ein. Er war von muskulöser Statur, jedoch noch in dem Rahmen, wie Jules es mochte. Zudem hatte er einen dunklen Teint und eine schier makellose Haut. Er könnte auch gut als eines dieser männlichen Models auf einem Hip Hop Magazin durchgehen. Sein Style würde da ebenfalls hervorragend reinpassen. Am meisten liebte Jules jedoch die Augen seines Partners. Braun, groß und markant. Er musste schlucken. Es war klar, dass er nie absagen konnte, bei diesem Charme, den Jay ausstrahlte. „Hast du mich vermisst?“, fragte Jay und hob sein Gesicht an. Jules sagte nichts. In seinem Kopf schrie er ihn förmlich an. Was er hier wolle und warum er ihn heute Mittag noch verleugnet hatte? Er wand sich von Jay ab und setzte sich aufs Bett, wo dieser ungefragt Platz nahm. „Hey“, zischte Jay. „Entschuldige wegen vorhin. Da waren halt ein paar Kumpels von mir, versteh das bitte.“ Seine blauschwarzen Haare fielen ihm ins Gesichts. Lässig strich er sie davon. „Ja, schon klar“, meinte Jules. Jay legte eine Hand auf Jules Bein. „L-lass das“, stotterte der. Doch Jay nahm darauf keine Rücksicht und glitt mitsamt Jules auf die Matratze. Seine Fingerspitzen fuhren unter Jules Shirt. Er sah ihm dabei zu, wie er es hoch streifte und seinen Oberkörper freilegte. Sein Blick fiel auf die Narben der Mastek. Einmal hatte Jay zu Jules gesagt, dass er diese schön fand. Und das obwohl er vorher eigentlich immer betonte, dass er ein Busenfetischist sei. Er fuhr die Narben mit den Fingerspitzen nach. Jules zitterte bei dieser Berührung. Erneut reagierte sein Körper wie von selbst. „Schließe die Augen“, wies ihn Jay an und er hörte auf ihn. Jules bekam mit, dass sein Gegenüber ihm das Shirt auszog und sich nun an seiner Hose zu schaffen machte. Förmlich konnte er Jay vor sich sehen, der die Jeans hinab streifte mitsamt seiner Boxershorts. „Ah“, keuchte Jules als er Jays Zunge spürte. Normalerweise musste er sich überwinden, Jules so zu verwöhnen, hatte er mal gesagt. Der Grund war, dass durch die Hormontherapie auch Jules Geschlechtsorgan maskuliner wurde**. Daher wunderte er sich, dass sich Jay jedes Mal aufs Neue überwinden konnte. Als Jules schier der Ekstase verfiel, zog sich Jay ebenfalls auf. Sein Oberkörper presste sich an dem des Blonden, der sich an ihm festkrallte. Jules war überrascht, dass sein Freund beim Akt, entgegen seines eigentlichen Charakters, sehr fürsorglich ja schier zärtlich war. Jules schlang die Beine um Jays Becken und genoss seinen Rhythmus. Beinahe zeitgleich kamen sie. Was das anging, waren sie wohl bereits schon ziemlich eingespielt. Er zitterte immer noch als Jay sich von ihm löste. „Duschen?“, fragte er und nickte Jules zu. Dieser richtete sich benommen auf. Selbst nach dem Sex, hielt Jay noch seine liebevolle Art ihm gegenüber aufrecht. Manchmal kam es Jules so vor, dass es wohl eher an seinen Freunden lag. Einige von ihnen kannten Jules Background und zogen Jay damit auf, der allgemein als Weiberheld galt. In diesem Zug passte er nicht in die Welt seines quasi Freundes. Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, war Jay bereits fertig. Er wechselte erneut in seinem Benehmen und gab sich kühl. Also verharrte Jules noch eine Weile unter der Dusche. „Oha“, wurde er aus seinem Trott geholt und schrak hastig auf. Sofort verließ Jules seinen Platz, trocknete sich eilig ab, zog seine Boxershorts an und raste ins Zimmer. Dort saß Jay. Und zwar genau vor dem Laptop! „Ich Idiot“, beschimpfte sich Jules innerlich selbst. Luans Profil sprang ihm sofort ins Auge. Natürlich war sie genau Jays Typ. Das wusste er. „Wer ist diese Schönheit?“ „Geht dich nichts an“, grummelte Jules und schloss den Laptop. „Na gut, wie du meinst. Ich muss ohnehin heim. Habe noch viel zu erledigen.“ Jay gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann verschwand er mit einer belanglosen Umarmung. So lief das oft ab. Meistens kam sich Jules vor wie ein Stricher oder ein Objekt, dass im Grunde nur zur Befriedung taugte. Dennoch konnte er dem Schwarzhaarigen nie widerstehen. Er wollte es genauso wie Jay. „Trotz allem wünsche ich mir Klarheit“, seufzte Jules. Er klappte den Laptop wieder hoch. „Luan“, flüsterte er. „Na, gut zuhause angekommen?“, blinkte plötzlich eine Nachricht auf. Von ihr! Sie war also doch noch wach. „Ja, schon. So weit hatte ich es ja nicht. Wie kommt es, dass du nicht schläfst? Gar nicht müde?“, schrieb er zurück. „Nein, ich hätte eigentlich lernen müssen. Stattdessen sitze ich sinnlos vor meinem PC und schreibe dir Nachrichten. Und bei dir?“ Er musste grinsen angesichts dieser Frage. Von seinem vorigen Erlebnis mit Jay, sagte er lieber nichts. „Ach, geht mir ganz ähnlich“, tippte er. Mit einem Mal vertieften sie sich in ein längeres Gespräch. Jules stellte fest, dass Luan auch gerne über Dinge philosophierte und ihren eigenen Kopf hatte. Genau das, mochte er auf Anhieb an ihr. Mit Luan konnte er über viel mehr reden als mit den restlichen Menschen, die er so kannte. „Sie schien etwas Besonderes zu sein. Daher wollte er auf keinen Fall, dass Jay zu ihr Kontakt aufnahm. Nicht selten, hatte ihm dieser in ihrer gemeinsamen Vergangenheit, einige Chancen gestohlen. Ohnehin war Jules im Kontakt zu Frauen noch recht unsicher. Doch wenn Jay und er an einem Ort waren ging das nie gut. Sein Partner war eben ein Blickfang. Gut, Jules sah attraktiv aus, was ihm viele bescheinigten. Allerdings war er körperlich eingeschränkt, durch seine Unsicherheit bezüglich der Transidentität. Das hatte Jay nicht. Er war ein Cis*** Mann und zusätzlich sehr maskulin, wie Jules fand. Wie sollte er da mithalten können? „Nur dieses eine Mal“, flüsterte er. „Was hast du morgen vor?“, kam von Luans Seite und sorgte dafür, dass er sich an seiner Cola, die er sich zwischenzeitig aus dem Kühlschrank geholt hatte, förmlich verschluckte. Bat sie ihn um ein Date? Quatsch, dafür war es zu früh. Jules schüttelte den Kopf. „Na ja, ich muss in der Stadt ein paar Sachen erledigen. Eventuell magst du ja mitkommen? Ich kenne hier kaum Leute.“ „Klar“, antwortete er. Zum Glück sah sie just in diesem Moment nicht, wie aufgeregt er war. „Sehr schön. Wie wäre es mit fünfzehn Uhr? Da ist mein Seminar vorbei.“ Wie sich herausstellte studierten sie an der selben Universität. Somit verabredeten sie sich vor der Bibliothek auf dem Campus-Gelände. „Schlaf gut. Mir sinken allmählich die Augen zu. Ach und sei pünktlich morgen“, sie hatte ihrer Nachricht mit einem zwinkernden Smiley beendet. Er versprach ihr zeitnah am Treffpunkt zu sein. Damit verabschiedeten sich die beiden. Jules fuhr den Laptop herunter und streckte sich ausgiebig. Er war ziemlich ausgelaugt. Nur zum Zähneputzen raffte er seine letzten Kräfte zusammen, bevor er schlaftrunken ins Bett sank. Wieder eine Nacht, die Jay nicht bei ihm war. Manchmal schlief er hier, meistens jedoch verschwand er fluchtartig. Als würde er das Weite suchen. Oder noch schlimmer, nichts mit Jules zu tun haben wollen. Seine grandiosen Freunde, könnten ihm ja jederzeit auflauern. Das musste vermieden werden. Ein wenig enttäuscht über diese Tatsache, sanken Jules die Augen zu. Er träumte wirres Zeug. Glücklicherweise befreite ihn sein Wecker. Wie praktisch jeden Morgen drückte er mehrmals die Snooze-Taste bis er endlich aufstand. „Stimmt, heute treffe ich mich ja mit Luan“, erinnerte er sich selbst. Ihn stimmte das fröhlicher. Nun hatte er Gelegenheit, sie richtig kennenzulernen. Optimistisch wählte er sein Outfit für diesen Tag aus. „Du schaust gut aus“, befand Jules vor dem Spiegel stehend und nickte. Bevor ihr Treffen anstand, hatte er allerdings noch eine Vorlesung. „Yo, alles klar? Was machst du heute?“, lautete Jays Nachricht, die er bei Whatsapp öffnete. Nein. Jules würde ihm nicht wieder sofort antworten. Er konnte auch einmal warten! *Mastek - die Entfernung der Brust. Im Rahmen von Transidentität also die Angleichung an eine männliche Brust. **Durch Testosteron schwillt die Klitoris an und hat Ähnlichkeit mit einem Penoid (Penis), allerdings in kleiner Ausführung. ***Cis - das Geschlecht, was bei der Geburt zugewiesen wurde, stimmt mit der Identität überein. Kapitel 3: ----------- Er kam sich schlecht vor, Jules erneut verlassen zu haben. Natürlich wusste Jay, dass er sich mehr erhoffte und tief in seinem Inneren würde er ihm dies auch gerne geben. Etwas hielt ihn allerdings davon ab. Zum einen wahrscheinlich der Zweifel an seiner eigenen Sexualität, zum anderen die Reaktionen seiner Umwelt. Dabei gab es viele Momente zwischen Jay und Jules, die davon zeugten, dass mehr zwischen den beiden war. Sie hatten sich damals an der Universität kennengelernt. Er konnte es noch genau vor sich sehen. Im Grunde studierten sie zwei völlig unterschiedliche Studiengänge, ihre Zusammenkunft war also recht willkürlich. Ausgerechnet auf dem Herrenklo, lernte er Jules kennen. Er war ihm schlicht in die Arme gerannt. Das war bevor er die Hormone nahm und seine Gesichtszüge wesentlich weicher sowie femininer wirkten. Ein wenig verwirrt hatte ihn Jay damals angestarrt, woraufhin er mürrisch die Stirn in Falten legte. „Was gibt es da zu glotzen? Nur zu deiner Information, ja ich bin hier richtig und werde es mir nicht verbieten lassen auf diese Toilette zu gehen." „Hey jetzt warte mal. So war das nun echt nicht gemeint“, hatte Jay schnell eingeworfen. Dies schien Jules besänftigt zu haben, denn seine Mimik entspannte sich. Er schaffte es Zugang zu dem anfangs eher verschlossenen jungen Mann zu finden. Dieser vertraute sich ihm nach und nach an. Jay war beeindruckt von Jules Durchsetzungswillen und seinen klaren Zielen. Schon zu dieser Zeit hatte er die Ausstrahlung eines, wie Jules es später beschrieb, Cis Kerls. Was Jay sichtlich verwirrte, denn er zog ihn magisch an. Sie unternahmen außerhalb der Uni viel gemeinsam. Obwohl ihre Lebenswege wohl unterschiedlicher nicht sein könnten, hatten sie viele Gemeinsamkeiten. So liebte Jules etwa ebenfalls Basketball oder Comics. Genau wie er. Selbst ihr Musikgeschmack war der gleiche. Manchmal schickten sie sich stundenlang Lieder zu, in ihren Chats. Er half Jules dabei, sich vor Idioten zu wehren, die ihm beispielsweise den Besuch des Männer-WCs nicht gestatten wollten. Im Gegenzug bekam Jay Hilfe von ihm bei seinen Hausarbeiten oder anderen schriftlichen Ausarbeitungen, denn hier hatte er ein paar Probleme. Sie wären das perfekte Team. Würde Jay endlich über den Dingen stehen, aber das konnte er nicht. „Hey“, schrie ihm jemand entgegen. Es war sein Kumpel, Flo, mit dem er heute ein gemeinsames Seminar hatte. „Man bist du aber schnell.“ „Passiert“, gab Jay grummelnd zurück. „Oder hat dich der Tranny Boy wieder belästigt?“ Bei dieser Aussage, verspürte er einen Stich. An sich hasste es Jay nämlich, wenn jemand Jules so nannte. Wie gerne hätte er ihm die passenden Takte erzählt. Was tat er? Richtig. Jay schwieg. „Ich habe recht, was? Ihr verbringt Zeit miteinander“, resultierte Flo. „Ich hoffe für dich, dass der Freak nichts von dir will. Gestern hatte ich ihn mal beobachtet. Die Art und Weise wie er dich anschaut, ist schon unheimlich. Was will man auch damit? Er ist nichts halbes und nichts ganzes. Weder Fleisch noch Fisch. Außerdem bist du doch eh nicht homosexuell oder? Stell dir mal vor, er macht die letzte Operation. Willst du dich etwa dann für ihn bücken?“ „Wir sind nur befreundet. Mehr ist da nicht“, rief Jay wütend aus. „Das habe ich dir bereits mehrmals gesagt. Zudem hilft mir Jules, was meine Hausarbeiten angeht. Meine Verbindung zu ihm schadet also keineswegs. Nach meinem Studium trennen sich unsere Wege sowieso. Mir egal, was mit ihm ist.“ Mit dieser Aussage belog er sich selbst. Doch gegenüber Flo konnte er schlicht und ergreifend nichts anderes sagen. Die Jungs hatten ihn schon einmal aufgezogen, als sie fragten ob Jules über einen Strap-on verfügte, den er wohl möglich bei Jay ausprobieren wolle. Um dies zu dementieren und sich in seiner Männlichkeit zu beweisen, flirtete er die nächst beste Frau an. Sie landeten im Bett. Jules wusste von alldem. Sie waren kein offizielles Paar, jedenfalls nicht für ihre Außenwelt. Außerdem durfte auch Jules nebenher seine Erfahrungen machen. Dies hatten sie so verabredet. Keine Besitzansprüche, keine Verpflichtungen. Ja. Genau das brauchte Jay. „Ist gut man“, seufzte Flo. Zum Glück erreichten sie den Seminarraum. Ihr Dozent war ein wenig zerstreut und kam meistens später. Jay störte das nicht. Bis er mal an Land kam, zeichnete er. Etwas, das zu seinen Leidenschaften zählte und bestätigte, dass er gänzlich anders war als er vorgab zu sein. Er dachte an das hübsche Mädel, für die sich Jules anscheinend interessiert. Woher sich die beiden kannten? Die Sitzung zog sich wie Kaugummi. Sichtlich erleichtert, stürmte Jay zur Tür, nachdem sie endlich vorbei war. Sein nächstes Ziel war der örtliche Basketballplatz. Fast jeden Tag nahm Jay seinen Ball mit, um ein paar Körbe werfen zu können. Das lenkte ihn ab. „Seit meiner letzten Nachricht hat er sich nicht gemeldet“, schwirrte ihm im Kopf herum. Ansonsten schrieb Jules immer sofort zurück. Ob etwas passiert war? „Hmm oder es liegt an dem Mädel“, zischte Jay. Voller Wucht warf er den Ball auf den Korb zu, der abprallte und nun in Richtung Straße rolle. Jay konnte ihn rechtzeitig holen. Allerdings war er heute kaum bei der Sache. Irgendwann gab er einfach auf. Sein Magen hing ihm sprichwörtlich in den Knien. Er entschied in der Mensa eine Kleinigkeit zu essen. Zuhause hatte er ein paar Tütenprodukte. Eines davon würde er sich abends wohl machen. An sich mochte Jay kochen auch nur bedingt. Jules jedoch kochte gerne und gut. Meist sogar direkt für sie beide. „Er ist viel zu gut für diese Welt“, dachte Jay und stocherte in seinem Essen herum. Der Kartoffelbrei war ein wenig versalzen. Der Hunger trieb es aber dennoch hinunter. Erwartungsvoll starrte Jay auf sein Smartphone. „Was macht er denn bitteschön?“ War er etwa eifersüchtig? Jay schnaufte verächtlich. Dieser Gedanke war nahezu idiotisch. Sie hatten eine Vereinbarung. Diese besagte, dass keiner dem jeweils anderen gehörte. Und genauso sollte es weiter laufen. Jay schrieb einer Bekannten. Ein paar schmeichelnde Worte und schon hatte er ein Date. „Pff, so dringend brauche ich dich nicht“, triumphierte er gedanklich über Jules. Gerade bei jener Aussage, wurde ihm eine neue Whatsapp Nachricht angezeigt. „Du, heute ist es schlecht. Vielleicht abends, da müsste ich zuhause sein. Davor bin ich den ganzen Tag unterwegs. Sorry. Du musst dir wohl alleine was kochen. Morgen können wir gerne zusammen essen. Bis später. LG Jules.“ Aha. Tja was sollte es. Etwas in ihm, riet Jay, seinem Partner das Date zu gönnen. Sein Argwohn überwog jedoch. Er hasste es versetzt zu werden, jedenfalls wenn es so kurzfristig war. „Wer weiß ob ich später Lust habe“, schrieb er patzig zurück. Sicher im Bewusstsein, dass er verletzend agierte. Jules konnte das ab. Um genauer zu sein, wusste Jay, dass sich der Blonde schon lange daran gewöhnt hatte. Diese Momente in denen er zärtlich zu ihm war existierten zwar, waren aber meistens hinter verschlossenen vier Wänden. Hier konnten sie sich ganz einander hin geben. Hinzu kam, dass Jay keine Angst hatte von seinen Kumpels erwischt zu werden oder von Außenstehenden gesehen wurde, die ihn für homosexuell hielten. „Dann ist das wohl so ...“, war Jules Aussage. Vor seinem geistigen Auge, konnte Jay das Gesicht seines Freundes sehen. Manchmal zuckten dessen Mundwinkel, wenn er enttäuscht war. Letztendlich schluckte er es runter. Jules war aber nur bei Jay so. Sogar Flo hatte er mal Kontra gegeben als dieser ihn bezüglich seines Transweges ausfragte. „Ich frage ja auch nicht ob du einen Mikropenis in der Hose hast oder?“ Bei diesem Satz hatte Jay ein Lachen unterdrücken müssen. Insgeheim feierte er die Schlagfertigkeit von Jules. Vor Flo würde er das nie zugeben. Es war bereits zu viel, dass sein Kumpel wusste, dass Jay und Jules befreundet waren. Na ja, Jay behauptete immer, dass es sich hierbei eher um eine Zweckfreundschaft handelte. Angenommen sie wüssten, dass Jay mit ihm ins Bett stieg, dann wäre nicht nur er sondern auch Jules die Zielscheibe ihres Spottes. Davor wollte er ihn schützen. Jules würde ihr Hohn egal sein, doch ihm war es nicht egal. Er konnte die Vorstellung kaum ertragen, wie sie über ihn herzogen. Jay kannte seine Freunde und allesamt waren heteronormativ. Nein. Er musste schweigen, was die Beziehung zu Jules anging. Manchmal da träumte Jay, einfach mit ihm auszubrechen und weit entfernt von ihrem jetzigen Heimatort neu anzufangen. Ob er dazu überhaupt in der Lage wäre? Kapitel 4: ----------- Jules hatte sie sofort entdeckt. Selbst inmitten der Menschenmassen fiel Luan auf. Heute trug sie einen schwarzen, eng anliegenden Rock, Overall Strümpfe und ein rotes Spitzentop. Manche würden es als zu overdressed bezeichnen, aber ihr stand es hervorragend. „Hey“, euphorisch winkte ihm Luan entgegen. „Du bist ja tatsächlich pünktlich. Ich hatte erst Bedenken, dass du mich warten lassen wirst.“ „Wie schätzt du mich denn bitte ein?“, Jules runzelte die Stirn. „Na ja, diesbezüglich habe ich bereits einige Erfahrungen gesammelt“, sie seufzte. „Ich kann dir versichern, dass ich nicht so bin. Wenn ich mich verabrede, dann bin ich Punkt genau da.“ „Das klingt beruhigend“, Luan lächelte. „Genug der Reden. Was wollen wir unternehmen?“ Sie kam ziemlich schnell zur Sache. Jedoch gefiel ihm das. Viele Menschen, die Jules kennengelernt hatte, redeten um den heißen Brei herum. Da war Luan eine regelrechte Erfrischung. „Ähm“, er hielt für einen kurzen Moment inne, um zu überlegen. Letztendlich schlug Jules ihr vor erst eine Runde im Park zu drehen und abschließend in den Comicbuchladen sowie Eis essen zu gehen. „Guter Plan“, sie zwinkerte. Um nicht unhöflich rüber zu kommen, erkundigte sich Jules nach ihrem Tag. „Wirklich produktiv war ich heute nicht. In dem Seminar haben wir die Texte besprochen, die wir momentan behandeln. Und bei dir?“ „Auch nicht besonders viel“, gab er zurück. Die Sache mit Jay erwähnte Jules nicht. Dafür war es noch zu früh. Außerdem konnte er Luan nicht gut genug einschätzen. „Vorsicht“, wurde Jules aus seinen Gedanken geholt und konnte gerade noch einem Fußball ausweichen, der ihm geradewegs entgegen flog. „Entschuldigung“, rief ihm der Besitzer zu und rannte in ihre Richtung. „Kein Problem“, Jules lächelte schwach. Er reichte dem Jungen seinen Ball. „Danke“, dieser grinste. Dann lief er zu seinen Freunden, immerhin wollten sie das unterbrochene Spiel fortsetzen. „Du bist wohl ein ziemlicher Träumer, was?“, bemerkte Luan. Sie lachte auf. „Haha“, er rollte gespielt mit den Augen. „Also ich finde das eigentlich ganz süß.“ Ihrem Blick nach zu urteilen, meinte Luan diese Aussage vollkommen ernst. Was ihn sichtlich beschwichtigte. Sie hackte sich bei Jules unter, der gegen die Röte ankämpfte, die drohte sich auf seinem Gesicht zu zeigen. „Ich hoffe ich bin dir nicht zu schnell?“, wisperte Luan. „Ach, quatsch. Alles gut.“ Er zeigte ihr seine Lieblingsecken des Parks. Insbesondere den Platz am See, an dem Jules auch schon mit Jay gesessen hatte. Beinahe Stunden hatten sie in ihrer Anfangszeit dort verbracht und über Gott und die Welt geredet. Damals war Sex noch gar kein Thema gewesen, was vieles unkomplizierter machte. Er spürte eine Berührung am Arm, die von Luan kam. „Wollen wir uns eine Weile setzen?“, schlug sie vor. Jules nickte. „Oh man, wieso bin ich nur so unsicher?“ Vorsichtig schielte er zu Luan, die verträumt in Richtung des Wassers blickte. Innerlich dachte er, dass sie eigentlich viel zu gut für ihn sei. „Wenn Jay erfährt, dass ich mich mit ihr getroffen habe, wird er bestimmt sauer werden.“ Bei jener Vorstellung, musste Jules grinsen. Sollte Jay doch schmollen. Er lebte schließlich nicht nur für ihn! Luan richtete sich auf und schlüpfte aus ihren Ballerinas. „Hm?“, kam es von Jules. „Ich möchte einfach ein wenig ins Wasser“, erläuterte sie. Dabei bedeutete Luan ihm mitzukommen, worauf sich Jules einließ. Er konnte es sich selbst kaum erklären, aber sie hatte etwas an sich, was ihn fröhlich stimmte. Mit einem Mal war Jules völlig ausgelassen. Luan brachte seine kindliche Seite zum Vorschein, indem sie ihn nass spritzte und er gezielt konterte. Ein paar Leute beobachteten das Paar. Jules war das herzlich egal. Für ihn zählte momentan nur sie. Ihr Lächeln steckte ihn förmlich an und es tat gut Zeit mit Luan zu verbringen. Zum Schluss warf sie sich beherzt auf ihn. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er genau dies einst bei Jay getan und an das Gefühl, welches ihn im jenen Moment überkommen, hatte. „Du bist doch echt crazy“, brachte Jules lachend auf den Punkt. Luans Haare waren mittlerweile völlig durchnässt. Jedoch scherte sie das absolut nicht. Sie war eben vollkommen anders als jene Frauen, denen Jules bisher über den Weg gelaufen war. Genauer betrachtet, ein wahr gewordener Traum. Jay würde ihn wohl just in diesem Moment beneiden. Zudem konnte Jules sich gut vorstellen, dass sie seinem Freund ordentlich Paroli bot. „Wollen wir irgendwo hin, wo du deine Haare trocknen kannst?“ Behutsam griff er nach einer Strähne. Luan sah ihm daraufhin fest in die Augen. Ihr Blick wirkte geheimnisvoll, die Pupillen glichen der einer Katze. Besonders faszinierend war Luans Augenfarbe – stechend grün und nahezu unergründlich. „Ich bin nicht aus Zucker, aber gegen einen Ortswechsel habe ich nichts einzuwenden“, antwortete Luan. Entschlossen zog sie sich die Schuhe an. „Dann mal los.“ Luan strich sich die Haare galant zur Seite. Diese waren haselnussbraun und gingen ihr fast bis zur Taille. „Weißt du, was?“, Jules gluckste. Verwirrt blinzelte sie ihn an. „Du ähnelst ungemein einer Spielfigur, die ich als Kind vergöttert habe“, gestand er ihr. „So?“, sie kicherte. „Und welcher?“ „Sagt dir das Spiel Dead or Alive etwas?“ „Da fragst du noch? Das habe ich damals mit meinem Cousin rauf und runter gezockt. Ich kann mir vorstellen, wen du meinst.“ Wie es aussah, hatten sie einige Gemeinsamkeiten. Luan spielte sogar Basketball und war sofort Feuer und Flamme als Jules ihr vorschlug bei Gelegenheit gemeinsam ein paar Körbe werfen zu gehen. „Aber hallo“, rief sie aus. „Bin auf jeden Fall dabei. Du musst mir nur sagen wann und wo. Noch kenne ich mich hier leider nicht so gut aus.“ „Macht nichts. Ich führe dich herum“, erklärte sich Jules bereit. „Gerne“, zeigte sich Luan enthusiastisch. „Aber erst mal, wolltest du mich zum Comicbuchladen bringen.“ Das hätte er fast vergessen gehabt. Ihm gefiel, dass Luan so unternehmungslustig war. Am Ende des Tages hatten sie nicht nur im Comic Shop eine Menge Geld gelassen. Allerdings hatte sich jeder einzelne Cent gelohnt. Sie begutachteten ihre Ausbeute bei einem Eis, zu das er Luan einlud. Gegen neunzehn Uhr verabschiedeten sie sich. „Bis bald“, sprach Luan und zog ihn zu sich. Mit einem sanften Kuss auf Jules Wange besiegelte sie diese Worte. Kapitel 5: ----------- Noch gedanklich bei dem Date mit Luan, übersah Jules fast Jay, der vor seiner Tür wartete. Wie lange stand er bereits da? Jay setzte einen finsteren Blick auf. „Wo warst du bitte schön?“ „Bin ich dir immer eine Rechenschaft schuldig?“, gab Jules patzig zurück. Zielstrebig holte er die Schlüssel hervor und ging geradewegs an seinem Freund vorbei. Diesen überraschte Jules rebellische Ader. Er packte ihn bei der Schulter. „Hey, warte mal. Ich wollte dir wirklich keinen Vorwurf machen. Mich hat es ganz einfach nur gewundert und“, er druckste. Ein wenig verlegen schielte Jay an Jules vorbei. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“ „Und das soll ich dir glauben?“, wollte er fragen, doch ein Blick in die Augen seines Partners genügten, um zu sehen, dass Jay seine Aussage ernst meinte. „Komm rein“, stöhnte Jules. Kurz nach diesem Entschluss, tadelte er sich selbst, erneut nachgegeben zu haben. Komischerweise war Jay heute ganz anders als gewohnt. Er bot Jules sogar an Pizza auf seine Kosten zu bestellen. Als dieser ablehnen wollte, bestand Jay darauf. „Ich habe ein paar Sachen wieder gut zu machen“, flüsterte er reumütig. Er zeigte sogar ernsthaftes Interesse an seinem Tag und Jules erklärte, dass er mit einer Freundin unterwegs gewesen sei. Weiter führte er das Ganze nicht aus. Außerdem war er ein wenig erledigt, daher legte sich Jules aufs Bett. „Magst du einen Film schauen?“, fragte er, den Kopf zu Jay gedreht, der noch an der Tür stand. Wahrscheinlich schaffte dies bei ihm eine ziemliche Erleichterung, da er sofort nickte und letztendlich zu Jules kam. Sie entschieden sich für Netflix. Dort tummelte sich eine ganze Liste an ungesehenen Filmen, die sie abarbeiten mussten. Zwischendurch orderte Jay ihre Pizza an. Genüsslich streckte er sich und rückte höher, wobei er Jules bedeutete, sich an ihn zu schmiegen. Genau das mochte er im Grunde am liebsten. Einfach mit Jay dazuliegen, ohne Sex oder Verpflichtungen in dieser Hinsicht zu haben. Seine Hände schlangen sich um die Taille des Schwarzhaarigen. Jay sagte nichts sondern ließ es geschehen. Leider wurde diese innige Zweisamkeit durch den Pizzaboten gestört, der Minuten später an der Haustür klingelte. „Ich geh schon“, sprach Jay und sprang auf. Mit zwei Pappkartons kam er wieder zu ihm. „Merci“, Jules lächelte. Sie widmeten sich dem Film, der allmählich in die Vollen ging. Und zu Jules Freude, nahmen sie ihre vorige Positionen erneut ein. Er konnte Jays Aftershave riechen, dessen Duft ihn sichtlich beruhigte. So wusste Jules, dass er tatsächlich bei ihm und das hier kein Traum war. „Alles okay?“, fragte Jay nach. „Ja, alles gut“, er schloss die Augen. Sein kompletter Körper entspannte sich. Ohne es zu wollen, sanken Jules die Lider zu und er schlief ein. Wach wurde er erst als es draußen bereits dunkel war. Erschrocken fuhr Jules herum. Jay? „Keine Sorge“, hörte er diesen sanft sprechen. Er war bei ihm geblieben. Vor Freude hätte er weinen können. Sie hatten ihre Gefühle zueinander nie ganz ausgesprochen, dennoch war seine Zuneigung zu Jay enorm. Manchmal traute sich Jules jedoch nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Ihn mit den Fingerspitzen berührend, merkte Jules, dass Jay sein T-Shirt in der Zwischenzeit wohl ausgezogen hatte. „Ist dir nicht warm?“, gab er darauf lachend zur Aussprache. „Hmm, schon“, nuschelte Jules. Zärtlich befreite Jay den Blonden von seinem Oberteil. „Keine Sorge“, wisperte er. „Ich möchte heute keinen Sex. Mir reicht gerade völlig aus bei dir zu sein.“ „So kenne ich dich ja gar nicht.“ Jules drückte sich an ihn. Seine Beine schlang er um Jays. „Wieso bist du heute so anders?“, sprach er es schließlich aus. Eine Woge der Stille legte sich über die beiden. Unterbrochen wurde das erst durch Jays Räuspern. „Vielleicht weil mir danach ist? Braucht alles immer Gründe?“, sprach er aus. Jules wusste nur zu gut, dass Jay nicht gerade gewandt darin war, seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Daher nahm er es hin. Ohnehin waren solche Augenblicke mit Jay selten. Dementsprechend sollte Jules es genießen und nicht weiter darüber nachdenken. Ein Kribbeln machte sich in ihm breit als Jay mit den Fingerspitzen seinen Rücken entlang fuhr. „Entschuldige, dass ich eben eingeschlafen bin. Irgendwie war ich völlig erledigt“, offenbarte ihm Jules. „Tja, du bist halt eine Schnarchnase“, scherzte Jay. Dabei pikte er Jules in die Seite. Er wusste ganz genau, dass dieser kitzelig war und das nutze er gerne aus. „Hey, hör auf“, Jules wand sich aus seinem Griff, doch Jay ließ nicht locker. So, dass Jules aus dem Lachen nicht mehr heraus kam. Wie gemein Jay war, ohne Weiteres seine Schwachstelle auszunutzen! Plötzlich stoppte er und sein Gesicht näherte sich dem von Jules. Jays Finger glitten über seine Wange. Zwar hatte sich Jules rasiert, aber dennoch konnte man ein paar der Bartstoppeln spüren. Jay schien dies heute nichts auszumachen. Ansonsten beschwerte er sich gerne mal darüber. Wobei Jules oftmals nicht wusste, ob er Spaß machte oder es ernst meinte. In dieser Hinsicht war Jay ein wahres Mysterium. Manche Sachen konnte sich Jules kaum anhand der Verhaltensmuster seines Partners erschließen. „Hm“, entfuhr es ihm als Jay ihn küsste. Langsam fuhr er mit seiner Zunge in Jules Mund. „Stopp“, er drückte Jay von sich fort. „Ich dachte -.“ „Keine Sorge“, das Licht der Straßenlaternen beleuchtete Jules Zimmer und er konnte erkennen, das Jay lächelte. „Ich habe dir für heute mein Wort gegeben. Also werde ich mich daran halten.“ „Okay“, zischte Jules leise. Er kam sich blöd vor, so schnell geurteilt zu haben. „Küssen ist aber erlaubt oder?“, hackte Jay nach. „Das sowieso“, kaum hatte Jules dies ausgesprochen, machte sein Gegenüber dort weiter, wo er unterbrochen wurde. Es fühlte sich schön, fast unwirklich an. Sie verschmolzen zu einer Einheit. Sämtliche negativen Gedanken, die Jules durch den Kopf gegangen waren, blendete er mit einem Mal aus. Sie streichelten sich und er genoss die Zuwendung, die er durch Jay erfuhr. Er konnte kaum in Worte fassen, wie sehr ihn jene Person faszinierte. Seit ihrem allerersten Zusammentreffen, fühlte sich Jules, wie gefangen, in seinem Bann aus dem es kein Entkommen gab. Zu guter Letzt schliefen sie Arm in Arm ein. Den Morgen danach weckte Jay ihn mit frischem Filterkaffee auf, den Jules so liebte. Verwundert blinzelte er ihn an. „Muss ich mir ernsthafte Gedanken um dich machen?“, Jules lachte. Grummelnd reichte ihm Jay die Tasse. „Ich dachte“, begann er in ruhiger Tonlage zu sprechen. „Das wir den Tag doch blau machen könnten. Wie findest du das? Bevor du jetzt sofort dagegen argumentierst … wir waren in diesem Semester bisher immer da. Und von einem einzigen Tag wirst du nicht durch das Halbjahr rauschen. Den holst du locker wieder auf. Du hast es schließlich drauf.“ Jules ließ sich die Worte von Jay durch den Kopf gehen. „Lass mich erst mal meinen Kaffee trinken und dann duschen, ja?“, entschloss er kurzerhand. „Nur zu“, Jay nickte. In Ruhe trank Jules seinen Kaffee aus. Danach ging er ins Bad, doch bevor er durch die Tür verschwand, fragte er Jay ob er nicht mitkommen wolle. „Klar.“ Sofort folgte er Jules. „Übrigens“, Jay schlang seine Arme um ihn. „Guten Morgen.“ Ein sanfter Kuss auf die Wange, ließen jenen Satz nochmals schöner wirken. Diese Momente waren es, in denen sich ihr Verhältnis anfühlte wie eine richtige Beziehung. Leidenschaftlich küssten sie sich als sie unter der Dusche standen. Jules lehnte sich zurück. „An was hast du eigentlich gedacht? Ich meine was den heutigen Tag angeht?“ Bedacht strich er Jay eine Haarsträhne aus dem Gesicht, so dass seine Augen nicht länger bedeckt waren. Meist verlor er sich in Jays Blick. Jules könnte ihn stundenlang anstarren, jedoch wäre sein Partner davon weniger angetan. „Na wir könnten schauen was es Neues im Saturn gibt. Dir fehlen doch bestimmt noch einige Blurays in deiner Sammlung“, damit sprach Jay auf Jules Superhelden- und Animesammlung an. Was dies anging, hatten sie sogar den selben Geschmack. „Danach könnten wir zum Gamesshop gehen.“ Jules erstaunte es, wie viele Ideen der Schwarzhaarige plötzlich parat hatte. „Und deine Kumpels?“ „Die ...“, für ein paar Sekunden stockte er. „Für einen Tag können die mal aussetzen.“ Ihm war klar, dass sie nicht offen zeigen konnten, wie sie zueinander standen. Die Freude über die gemeinsame Zeit mit Jay überwog jedoch. Insbesondere da heute Freitag war und er ihm eröffnete, dass er das ganze Wochenende bei ihm blieb. Gestern hatte Jay bereits seinen Rucksack mitsamt der Wechselsachen mitgehabt. Jules konnte sein Glück kaum fassen. „Du Träumer“, meinte Jay beiläufig. „Lass uns lieber die Zeit ausgiebig nutzen.“ Da hatte er recht. Euphorisch beendete Jules das Duschen. Pfeifend eilte er in sein Zimmer, um ein passendes Outfit zu wählen, während Jay sich rasierte. Gegen elf verließen sie das Haus. „Ob sie mir geschrieben hat?“, dachte er still. „Das werde ich ja später sehen. Am besten wenn Jay zockt.“ Sein Begleiter hatte nicht bemerkt, dass Jules abgeschweift war. Stattdessen brüllte er begeistert auf als er in einem Schaufenster, jene Sneakers sah, die ihn schon ewig begeistert hatten. „Manchmal bist du wie ein Kind“, amüsierte sich Jules. „Lass mich“, Jay runzelte die Stirn. „Tue ich. Um ehrlich zu sein, mag ich genau das.“ Kapitel 6: ----------- Jules schlug ihm vor, die Sneakers anzuprobieren. Natürlich zögerte Jay nicht und stürmte in den Laden hinein. Der Shop wurde mit Hip Hop Musik beschallt, was ihn dazu veranlasste, mit den Füßen auf und ab zu wippen. „Schau dich doch auch ein wenig um“, meinte Jay. An sich war das keine schlechte Idee. Jules stöberte durch die Regale und probierte einige Exemplare an. „Und was gefunden?“, zeigte sich Jay neugierig, nachdem sein Partner zu ihm kam. „Schon. Allerdings liegen die Preise weit über meinem Budget.“ „Ach, daher hast du den Karton nicht mitgenommen“, Jay zwinkerte. Kurzerhand fragte er, wo die Schuhe sich befanden, für die sich Jules interessierte. „Hey, warte du brauchst sie mir nicht zu“, bevor er es ausgesprochen hatte, hatte der Schwarzhaarige ihn an der Hand gepackt und zerrte ihn mit sich. „Entweder du sagst es mir oder wir müssen wohl oder übel jeden einzelnen Gang durchwandern“, räumte Jay ein. Jules stöhnte auf. „Na gut.“ Sein Freund überraschte ihn mit dieser Aktion erneut. Zwar hatte ihn Jay manchmal etwas mitgebracht, aber größere Präsente waren eher die Ausnahme. „Bist du sicher?“, wisperte Jules. Doch Jay war nicht davon abzubringen, nahm ihm den Karton ab und eilte mitsamt seiner Sneakers zur Kasse. „Du musst mir erklären, wie genau ich jetzt zu dieser Ehre kam“, schnitt Jules nach Verlassen des Geschäfts an. Schweigend drückte ihm Jay die Einkaufstüte in die Hand. „Also?“, Jules Augen wurden größer. „Ach, Hase“, dieses Kosewort, hatte Jay schon ewig nicht mehr ausgesprochen. Und dann tat er es sogar öffentlich. Jules wollte sich zwicken, denn die gesamte Situation kam ihm vor wie ein Traum. „Ich hatte halt ein paar Sachen wieder gut zu machen.“ Den letzten Part hatte er eher genuschelt, dennoch hatte Jules ihn verstanden. „Du musst gar nichts wieder gut machen“, erwiderte er. „Wir haben schließlich abgesprochen, wie unser Verhältnis ablaufen wird.“ Manchmal bereute Jules es, solche Aussagen auszusprechen. Er wollte nicht die Stimmung zwischen ihnen kaputt machen. Alles was Jay tat, war den Kopf des Kleineren sanft zu tätscheln. Jene nonverbale Kommunikation bewies, dass eine Basis zwischen den beiden unterschiedlichen Männern existierte. Jay wollte ihm somit zeigen, dass er mit der Situation ebenfalls nicht zufrieden war. Jedoch hinderte ihn sein eigener Stolz und die Angst um seinen Ruf daran, diese zu verändern. Dadurch wirkte er oftmals wie ein hilfloses Kind. Jules konnte ihm nicht daraus helfen. Irgendwann musste Jay, sich selbst befreien. Es konnte nicht ewig so weiter gehen, das war ihnen klar. Jules fürchtete etwa den Tag, an dem Jay sich vollkommen für seine Freunde entscheiden würde. Dadurch hätte er ihn verloren. Für immer. Ihre Augenpaare trafen sich und er konnte an Jays Blick, die Hilflosigkeit erkennen, die sich von Zeiten zeigte. „Lass uns woanders hin gehen“, murmelte er. „Okay“, stöhnte Jules. Erst als sie sich bei Mc Donalds etwas zu essen holten, brach Jay das Schweigen. „Ich habe dir noch gar nicht erzählt, was der Prof. letztens gebracht hat oder?“ „Nein“, Jules schüttelte den Kopf. „Ich habe mich so kaputt gelacht. Jedenfalls ging es da um die Klausur, die wir Ende des Semesters schreiben. Du kennst ja die Leute, die trotz allem gerne versuchen abzuschreiben.“ „Dich?“, scherzte Jules und lachte. „Sehr lustig“, brummte sein Gegenüber. „Aber nein.“ „War nur ein Witz. Fahr fort.“ „Da hast du nochmal Glück gehabt. Nun gut. Also wir sprechen über die Klausur und schließlich kommt er auf das Thema abschreiben. Er so, tja wieso ist es wohl nicht gut so etwas zu tun?“ Jay machte eine Pause. Eine galante Handbewegung, wies Jules darauf hin, dass seine Initiative gefragt war. „Ähm, weil es eben nicht richtig ist“, lautete die plumpe Antwort. Jay schlug sich grinsend vor die Stirn. „In etwa, ja. Der Prof. ging jedoch noch weiter. Schauen sie sich ihren Sitznachbarn mal genau an, hatte er zu uns gesagt und fragen sich kann ich diesen Personen vertrauen Der gesamte Vorlesesaal befolgte seine Anweisung. Du musste dir vorstellen … erwachsene Menschen, die sich in die Augen starren als wollten sie gleich den Todesblick anwenden. Das gab ein Bild ab! Irgendwann erlöste uns der Prof.“ „Und dann?“, Jules Neugier war gepackt. Jetzt wollte er unbedingt die Auflösung von Jays Geschichte erfahren. „Er sagte, das wir jetzt selbst entscheiden könnten. Jedoch wären diese stumpfen, leeren Blicke unserer jeweiligen Sitznachbarn Beweis genug, dass wir als Einzelindividuen intelligenter sind. Deshalb lohnt sich abschreiben nicht.“ „Oh man“, Jules kicherte. „ Ein wenig gemein. Aber der letzte Part ist wahr.“ „Lass mich mal probieren“, Jay deutete auf den Milchshake. „Klar, wenn du magst.“ Jules hielt ihm sein Getränk entgegen, welches er mitsamt seines Partners in seine Richtung zog. Ihm blieb bei dieser Initiative seitens Jay, nahezu der Atem weg. Seine Hand hielt er immer noch fest, während er am Strohhalm des Milchshakes zog. Jules musste unwillkürlich schlucken. Derzeit kam sich Jay nicht beobachtet vor. Kaum hatte Jules das begriffen, spürte er seine Hand, die sich unterhalb des Tisches, direkt auf sein Bein legte. „Wenn er so weiter macht, kann ich für nichts garantieren“, grummelte Jules innerlich. Jay ließ von dem Getränk ab. Stattdessen widmete er seine Aufmerksamkeit nun voll und ganz seinem Begleiter. Die Hand jedoch verweilte auf Jules Bein. „Du solltest besser aufpassen“, flüsterte Jules. „Nicht, dass Florian hier rein kommt. Und dich mit mir sieht.“ Er schielte zum Eingang. Die zwei beschlossen, das Restaurant zu verlassen. Unterwegs horchte er Jay aus, was dieser die restlichen Tage des Wochenendes essen wolle. „Man, du stellst Fragen. Ich habe echt keine Ahnung“, gestand er. „Ist doch kein Problem. Dann kaufen wir eben zusammen ein“, beschwichtigte ihn Jules. Angesichts der Tatsache, dass es Jay beim Beladen des Einkaufwagens übertrieb, wurde er filmreif unterhalten. Gelegentlich musste er ihm Nachhilfe geben, was die Führung eines Haushaltes betraf. Er selbst behielt da gerne den Überblick und war eher der Planer von ihnen. So verwunderte es nicht, dass Jules recht schnell wusste, was er den darauf folgenden Tag kochen konnte. Jay zeigte sich einverstanden. Kochen war halt nicht Seins. Kurz vor der Kasse, hielt Jay inne. Es war nicht Florian, der dort stand. Wohl aber eine andere bekannte Person. Jules hatte diese zuvor noch nicht gesehen. „Oh hey“, sprach die Unbekannte. Eine Frau, in etwa ihrem Alter, mit langen blonden Haaren, die ihr bis zum Po gingen, dem Teint eines Models und blauen Augen. „Ich habe dich ja ewig nicht mehr gesehen. Wie geht es dir?“ Sie lächelte jene Art von Lächeln, das sogar Julia Roberts neidisch machen würde. „Kann nicht klagen“, fasste sich Jay kurz. „Ich hatte heute mal Lust shoppen zu gehen. Das muss eben auch mal sein. Und du?“ „Ähnlich. Ich besuche gleich meine Schwester. Sie wohnt in der Nähe. Aber erst seit kurzem. Willst du mich nicht vorstellen?“ Sie nickte Jules zu, der ein wenig verunsichert hinter Jay stand. „Äh, sorry. Also, das ist Annika. Und Annika, das hier ist Jules. Er ist ein guter Freund von mir.“ Bei jenem Satz zog sich alles in Jules zusammen. Zwar hatte Jay ihn nicht als Zweck Freundschaft vorgestellt, jedoch war es ihm abermals peinlich zu sagen, dass sie an sich in einer Beziehung steckten. „Freut mich“, überwand sich Jules und gab ihr die Hand. Strahlend erwiderte Annika die Geste. „Nun gut. Ich will euch nicht aufhalten. Meld dich einfach mal, Jay. Auf Facebook hast du mich schließlich noch. Ich wünsche euch einen schönen Tag. Bis dann.“ Erst als sie den Supermarkt verließen, sprach Jules es an. „Woher kennst du sie?“, sogleich bereute er diese Frage. „Das war meine Ex Freundin“, lautete die nüchterne Antwort von Jay. Mehr wollte Jules nicht mehr wissen. Es tat weh in Gegenwart von einer ehemaligen Liebschaft Jays, verleugnet zu werden. Er konnte es vor sich sehen, wie wohl ihre Beziehung verlaufen war. Offen und frei. All das was ihnen verwehrt blieb. „Gehen wir heim“, murmelte Jay und hievte den Rucksack mit dem Einkauf auf seinen Rücken. In Jules Wohnung half er ihm beim Auspacken und Verstauen der Lebensmittel. Und obwohl Jules dachte, dass Jay ihn nach dieser Begegnung alleine lassen würde, blieb er. Die angespannte Lage zwischen ihnen bestand weiter. Wohl ein Grund dafür, dass Jay sich in ein Game flüchtete, während Jules Facebook aufsuchte. Er hatte etliche Benachrichtigungen. Die meisten waren von Luan, die zahlreiche Bilder oder Posts von ihm gelikt hatte. Das stimmte ihn fröhlicher. Auch als eine Message in seiner Inbox angezeigt wurde. Luan schrieb ihm, dass sie das Treffen toll fand und gerne wiederholen würde, wann immer er Zeit hätte. „Da richte ich mich ganz nach dir. Mir hat unser Date, wenn man es so nennen kann, auch gefallen. Entschuldige, dass ich ein wenig schüchtern war. Ich gelobe Besserung. Falls du magst, lade ich dich nächste Woche zum Essen ein“, ohne mit der Wimper zu zucken, drückte er auf senden. Jay bemerkte davon nichts. Kapitel 7: ----------- „Interessante Nachrichten bekommen?“, fragte er, als Jules sich zu ihm setzte. Jay war gerade inmitten einer weiteren Runde. „Hmm. Ein paar“, brachte es Jules auf den Punkt. Wieso sollte er ihm auch genaueres über Luan erzählen? Viele Sachen in Jays Leben waren Jules ein Rätsel, da er es ihm nicht erzählte. Und das obwohl sie sich bereits Jahre kannten. „Traurig“, zischte er unbedacht. „Hä?“, Jay sah von seinem Controller auf. „Nichts, nichts“, winkte der Blonde ab. Er sah Jay zu. Manche würden sich wahrscheinlich beschweren, doch er fand die Zockerrunden seines Freundes aus unerklärlichen Gründen entspannend. Obwohl Jay manchmal lautstark fluchte. Grinsend lehnte sich Jules zurück. Die Gedanken an Annika schwanden. Hier waren sie an ihrem Rückzugsort, dass hieß sie konnten ganz sie selbst sein. „Ich mache nur diese Runde fertig“, erläuterte ihm Jay. Flink hechteten seine Finger über den Controller, während er sich auf das Spiel konzentrierte. „Lass dir Zeit“, sprach Jules sanftmütig. Er analysierte die Spielzüge von Jay. „Passt doch mal auf“, schrie der aus vollem Hals. Sein gesamter Körper stand unter Hochspannung. „Fast, fast, fast“, Jay klopfte sich aufs Bein und sprang auf. Jules unterdrückte ein Lachen, denn er wollte ihn damit nicht aus dem Konzept bringen. „Du packst das, Großer“, spornte er Jay an. Seine Worte schienen wohl Wunder zu bewirken. Kurz bevor die Runde endete, erreichte Jay mit seiner Truppe den Sieg. „Yes“, Jay ballte die Faust. „So Jungs, ich bin dann mal weg. Ich habe es jemanden versprochen. Ich werde eventuell erst Sonntagabend online kommen. Nicht, dass ihr euch wundert. Bis dann.“ Jules Herz machte einen Sprung, kaum hatte er dies in sein Headset gesagt. Sofort beendete Jay das Game und legte den Controller beiseite. „So Honey“, pfiff er gut gelaunt. „Nun bin ich voll und ganz für dich da.“ „Du hättest dich gar nicht so beeilen müssen“, Jules Wangen färbten sich rot. Eine Hand hielt sein Schulter Blatt. Phasenweise hatte er Verspannung, was nicht unbemerkt von Jay blieb. „Zieh dein Shirt aus“, befahl er, Jules fixierend. „Was?“ „Na, du hast wieder diese Schmerzen oder? Vertrau mir. Du weißt, dass ich ganz gut massieren kann.“ Jules zog das Shirt über den Kopf und warf es gen Boden. „So wie du das gesagt hast“, gluckste er. „Klangst du fast wie Aladdin. Du weißt schon, der aus dem gleichnamigen Disneyfilm.“ „Das war mir schon klar“, Jay hielt inne. „Immerhin ist das dein absoluter Lieblingsfilm, wie du mal selbst sagtest of all time and over this.“ Dabei ahmte er Jules Stimme nach. Er war baff, dass Jay sich das gemerkt hatte. „Da schaust du nicht schlecht, was? Mir ist ebenfalls im Gedächtnis geblieben, dass du ihn mehr als dreißig Mal geschaut hast und du dich mit dem Protagonisten identifizieren kannst. Als Kind hast du dir stets gewünscht, Aladdin zu sein.“ „Wow“, Jules legte den Kopf auf seinen Händen ab, den Rücken zu Jay gewandt. Während er ihn massierte, wurde ihm bewusst, dass Jay keinesfalls so ignorant war, wie er vermutet hatte. Im Gegenteil. „Ich bin ihm also nicht egal“, resümierte es Jules. Die Hände von Jay fühlten sich gut an. Selbst wenn die anfänglichen Berührungen aufgrund seiner Verspannungen schmerzten, wurden die Schmerzen bald abgelöst durch ein angenehmes Empfinden. Jay ließ seine Hände auf Jules Haut kreisen, der leise aufseufzte. Jay küsste den Rücken seines Freundes. „Die Massage hattest du wohl bitter nötig“, stellte er fest. „Dein Nacken war total verhärtet.“ Die Zuwendung voll auskostend, drehte sich Jules erst etliche Zeit später um. Jay war nun über ihn und sah ihn aus seinen braunen Augen an. „Danke dir“, Jules lächelte und strich zärtlich über seine Wange. „Nicht dafür, Süßer. Ich bin es dir schuldig, dir mal etwas Gutes zu tun.“ Jays Gesicht kam näher. „Wie wäre es, wenn wir in den Semesterferien weg fahren? Nur du und ich. Einfach mal einen Tapetenwechsel vornehmen, um alles andere zu vergessen.“ Jules stellte es sich bildlich vor. Selbst wenn es bloß ein paar Tage sein sollten, wäre es besser als die gesamten Ferien über hier zu verweilen. Sie konnten sich ganz ihren Gefühlen hingeben. Kein blöder Florian, der sie störte. Oder irgendeine Exfreundin aus Jays ominöser Vergangenheit. Ja und vielleicht, konnten sich sich endlich besser kennenlernen. Jules wusste, dass man nicht auf Wunder bauen sollte. Aber manchmal hatte er eben doch die Hoffnung, dass ihre Beziehung gerettet werden konnte. Genau dies, war sein heimlicher Wunsch. „Ja“, befürwortete er Jays Vorschlag. Stürmisch fiel Jules ihn um den Hals und drückte ihn an sich. „Na, na“, Jay strich durch sein Haar. „Verzeih“, Jules war sein Verhalten ein wenig peinlich. „Du brauchst dich nicht zu schämen“, wurden seine Gedanken exakt auf den Punkt gebracht. „Mir geht das Ganze genauso auf die Nerven wie dir. Ständig dieses Versteckspiel, das kann einen schier zerreißen.“ Jay legte sich neben Jules und umfasste dessen Hand. In diesem Moment waren sie ein Team. Ihm fiel ein Song ein, der von einem Paar handelte und aussagte, dass es nur die zwei gab. Sie gegen den Rest der Welt. „Wo wollen wir hin fahren?“, hackte Jules nach. „Die Wahl wollte ich dir lassen“, erörterte Jay. „Quatsch.“ Jules gab ihm einen Stoß in die Seite. „Wenn dann entscheiden wir das zusammen. Ich denke, dass wir ohnehin darauf sparen müssen.“ „Ja. Allerdings wird es sich lohnen. Wir sind bisher noch nie gemeinsam verreist.“ „Das stimmt.“ Er lächelte vor sich hin. Dies war ein guter Grund, um auf ein paar Sachen zu verzichten. „Hey“, Jules erhob sich reflexartig. „Falls du morgen nichts vor hast, könnten wir in ein paar der Reisebüros gehen. Nur so zur Information, natürlich.“ Jay stimmte sofort zu. Den Rest des Tages verbrachten sie derweil mit Netflix, zocken, reden und kuscheln. Also ganz nach Jules Geschmack. „Was ich dich fragen wollte“, erwähnte Jay plötzlich. „Ja?“ „Wer ist dieses Mädchen, auf dessen Profil du vor kurzem bei Facebook warst?“ Er hatte es also doch nicht vergessen. „Eine Bekannte.“ Damit ließ er sich nicht ohne Weiteres ab speisen. Klar, wollte Jay mehr über die hübsche Fremde erfahren. „Bist du etwa beleidigt?“, Jules klang bei dieser Frage ein wenig sarkastisch. „Wieso sollte ich?“ Er legte eine Hand auf die Schulter von Jules. „Na, weil sich Personen, speziell Frauen, für mich interessieren könnten“, der Blonde seufzte. „So ein Blödsinn! Denkst du etwa, das ich dir nichts gönne? Da liegst du aber völlig falsch.“ „Heißt das“, er unterbrach seinen Satz für einen kurzen Moment. „Dass du mir ein Date mit ihr gönnen würdest?“ „Selbstverständlich. Außerdem musst du mir nicht beweisen, dass du Chancen hast. Du bist attraktiv, weißt was du willst, verfügst über eine gesunde Portion Ehrgeiz und Intelligenz. Einzig und allein dein Selbstwertgefühl könnte ein wenig höher sein.“ Das dachte Jay über ihn? Jules blinzelte verwirrt, fasste sich aber wieder. Letztlich gestand er ihm, dass er Luan getroffen und dies abermals vor hatte. „Mach das ruhig“, ermutigte ihn Jay. Sie sprachen über Luan so wie den gemeinsamen Tag, den Jules mit ihr verbracht hatte. „Sie klingt auf jeden Fall nach einer tollen Person. Freut mich, dass du so jemanden kennengelernt hast.“ Das Jules ihm von ihr erzählte, kam für ihn schneller als gedacht. Jay versprach jedoch sich nicht einzumischen, es sei denn Jules wollte ihm Luan vorstellen. Ohnehin fragte sich Jules, wie sie wohl reagieren würde, wenn er sie über ihre besondere Beziehung unterrichtete. Hinzu kam die Sache mit seiner Transidentität. Das alles hatte aber Zeit. Jules wusste ja nicht mal, ob es nur auf eine Freundschaft oder mehr hinaus laufen würde. Verlassen wollte er Jay auf keinen Fall. Sie waren zwar polyamorös, aber zwischen ihnen bestand ein Band, was trotzt etlicher Belastungen, nicht entzwei riss. „Wer weiß, vielleicht passt sie genau deshalb zu uns.“ Die Abenddämmerung setzte langsam ein. Jules öffnete das Fenster und sie setzten sich an den Fenstersims, das Treiben der Stadt beobachtend. Die angenehme Brise, sorgte dafür, dass sich Jules wie berauscht fühlte. Wären sie jetzt in einer anderen Stadt, hätte er Jay vorgeschlagen, spontan auszugehen. All das konnten sie zu mindestens in ihrem Urlaub machen. Hier blieb es ihnen leider verwehrt. Jules wusste, dass Florian gewisse Clubs in der Gegend aufsuchte. Außerdem waren sie nicht erpicht darauf, ihm zu begegnen. Es kämen nur dumme Nachfragen, warum Jay ausgerechnet mit dem kleinen Tranny Boy ausging statt mit einer hübschen Begleiterin. An der Universität herrschte das Gerücht, dass sie mehr oder minder nur eine Zweckfreundschaft führten. Jay zu Liebe, sorgte Jules nicht für Klarheit. Er wusste, wie wichtig diesem Prestige und Anerkennung war. Daher begnügte er sich mit der Zeit außerhalb der Uni. „Zieh nicht so ein Gesicht“, Jay schlug ihm leicht auf das Bein. „Denk lieber an den Urlaub und was wir alles unternehmen werden.“ „Du hast recht.“ Er bat Jules, Musik abzuspielen. Sie hatten sich vor Ewigkeiten eine Playliste erstellt, die er öffnete. Erinnerungen kamen ihm wieder in den Sinn. Jay war zu Beginn ihrer Freundschaft oft zu Jules geflüchtet, aufgrund seines nervigen Mitbewohners. Und wann immer er gekommen war, fühlte sich Jules besser. Nun hatte er seit langer Zeit, erneut jenes Gefühl, was sich in ihm ausbreitete. Kapitel 8: ----------- Jay hielt ihn fest und lauschte den leisen Atemzügen von Jules. Sie hatten noch lange geredet, bis sie sich entschlossen hatten, schlafen zu gehen. Heute war Jules nicht so unruhig, wie sonst. Das lag wohl daran, dass Jay keinen Fluchtreflex verspürte. „Es ist an sich eine Schande“, sagte er gedanklich zu sich selbst. „Dass ich dich immer vor den Kopf stoße. Genau das hast du nicht verdient. Ich wünschte, ich könnte dir mehr geben und zu dir stehen.“ Warum war es ihm so wichtig, was seine Freunde dachten? Jedem anderen, wäre dies wohl vollkommen egal. Generell war Jay nicht immer so wie in heutigen Tagen gewesen. Als Kind war er zwar frech, aber ansonsten ein ziemlicher fröhlicher Junge, der für Menschen, die ihm nahe standen, stets da war. Dann häuften sich die Erlebnisse in seinem Leben, die Jay zu dem machten, was er mittlerweile war. Die Erinnerungen daran wollte er am liebsten verdrängen. Überhaupt war sein früheres Leben teils eine einzige Lücke. Viele Sachen wusste Jay nicht mehr. Zu groß war der Schmerz gewesen sowie die seelischen Narben, die ihn aufgrund dessen zierten. Jules wand sich zu ihm und umfasste schlafend Jays Schultern. „Wie süß“, flüsterte er . Jules wusste gar nicht, wie gut er ihm tat, auf seine eigene Art und Weise. Ein paar der Vorfälle verfolgten ihn allerdings noch. So wie Schatten, lauerten sie Jay auf und belagerten ihn. Er hatte Angst, dass sie ihn irgendwann hinab ziehen könnten, in einen Sog aus dem es kein Entkommen gab. An manchen Tagen, wusste Jay sich kaum zu helfen. Das Letzte was er wollte, war Jules mit seinen Problemen zu belasten. Er mutete ihm bereits zu viel zu. „Was auch immer es ist, ich stehe dir zur Seite. Selbst wenn die ganze Welt gegen dich sein sollte, so werde ich deine Hand nie los lassen“, hatte Jules ihm einst geschworen. Jay wusste, dass er auf sein Versprechen zählen konnte. Wenn er jemanden mit seinem Leben vertrauen wollte, so wäre dies wohl Jules. Möglicherweise würde er eines Tages jenen Schwur annehmen. Und nicht nur das, er würde seinem Partner vieles von dem, was dieser für ihn getan hatte, zurück geben. „Ich sollte versuchen zu schlafen. Wenn Jules morgen die Reisebüros aufsuchen will, muss ich fit sein.“ Jules verfestigte seinen Griff, beinahe als hätte er Angst Jay könnte verschwinden. Er fuhr liebevoll über seinen Rücken. Auch um ihm zu symbolisieren, dass er für ihn da war. Schon seltsam. Jay konnte Jules besser zeigen, was er fühlte, wenn dieser schlief. Mit Worten hatte er es leider ohnehin nicht so. Was das anging, war ihm Jules voraus. Er wusste in jeglicher Lebenslage, den passenden Satz und sei diese noch so schwierig. Manchmal beneidete ihn Jay um diese besondere Gabe, die ihm verwehrt blieb. Er schloss die Augen, im Inbegriff Jules Beispiel zu folgen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis die Müdigkeit gewann und Jay in den Schlaf sank. Selbst im Traum fand er keine Ruhe. An sich quälte ihn stets der selbe Albtraum. Jay stand mit dem Rücken zur Wand, in einem abgedunkelten Raum, welcher unangenehme Gefühle in ihm auslöste. Wirklich beschreiben, konnte er diese nicht. Einzig, dass ihn ein Fluchtreflex überkam. Doch bevor sich seine Beine in Bewegung setzen konnten, ertönte ein blechernes Geräusch. Jays Körper zitterte. „Wolltest du etwa abhauen? Das kannst du vergessen. Von hier gibt es kein Entkommen, du wertloses Stück Scheiße.“ Bullige Hände fassten unsanft nach ihm und hoben ihn empor. Er war gefangen. Als Jay an sich hinab sah, bemerkte er, dass er den Körper eines Kindes hatte. „Du bekommst deine Lektion, ob du willst oder nicht.“ Das Gesicht des Tyrannen, blieb im Verborgenen. Eine Hand holte aus, doch bevor sie Jays Wange traf, schreckte er empor und öffnete die Lider. Nein. Er war nicht an jenem Ort. Jedoch dauerte es eine Weile, bis Jay sich gefasst hatte und er nicht mehr zitterte. Jules lag nach wie vor in seinen Armen und säuselte unverständliches Zeug. Durch Jays körperliche Reaktionen, erwachte er allerdings ebenso. „Hm? Was ist denn los?“, flüsterte Jules. Unterbewusst drückte Jay ihn an sich. Dabei war es ihm sogar egal, was der von ihm denken könnte. Er brauchte seine Nähe. „Scht“, machte Jules beruhigend. Ich habe leider keine Ahnung, was dich gerade bedrückt. Aber ich bin bei dir. Das sollst du wissen. Ich habe es dir einst geschworen und daran wird sich nichts ändern, egal was zwischen uns passieren und ob du mich verletzen wirst.“ Während er dies sagte, streichelte er den Schwarzhaarigen. Normalerweise hätte Jay ihn jetzt von sich gedrückt. Just in diesen Moment brauchte er genau solche Zärtlichkeiten. Er spürte Jules zierliche Hände, die ihn berührten und unmerklich, wurde seine Sehnsucht nach ihm entfacht. „Ich darf ihn nicht ständig ausnutzen. Er ist mir so viel wert, wenn ich ihm dies doch mitteilen könnte.“ Sein Gegenpart schien Jays Gedankengänge zu spüren, denn er sah an ihm empor. „Ich ...“, rang er mit sich. „Würde wirklich alles für dich tun.“ Jay schluckte. „Sag mir einfach, was du brauchst.“ Wenn Jules so redete, machte ihn das ziemlich unsicher und das obwohl er wusste, dass sein Freund nur bei ihm so war. Bei Jay konnte er sich eben fallen lassen. Für ihn war er gerne devot. Und Jules mochte nichts lieber als ihm etwas Gutes zu tun. „Na schön“, sprach Jay. Fordernd drückte er Jules Kopf in Richtung seiner Schenkel. Der befreite ihn von der Boxershorts und glitt mit der Zunge über die Innenseite von Jays Oberbein. Seine Hände schlangen sich um die Taille jener angebeteten Person, die nahezu alles für ihn war. Ja, Jay war der Mittelpunkt seines Lebens geworden. Selbst jenes einfach Keuchen, erfüllte Jules mit Glück, denn so sah er, dass Jay ihn nicht abartig fand. „Wow“, stöhnte er. „Du bist einfach unglaublich.“ Während Jules ihn verwöhnte, fuhr ihm Jay durchs Haar. „Der Kleine, scheint mich echt zu lieben. Die Frage ist nur, ob ich dazu im Stande bin?“ Dabei meinte er nicht Jules an sich sondern viel mehr die Tatsache, einer Person nahe zu kommen und Gefühle zu lassen zu können. Nach allem was er erlebt hatte, schien dies unmöglich. Kapitel 9: ----------- Verträumt saß sie vor ihrem Laptop. „Er will mich zum Essen einladen“, flüsterte Luan vor sich hin. Mit dieser Aussicht, kam ihr die Wohnung nicht mehr ganz so einsam vor. Somit rappelte sie sich auf. Es war Samstag und da sie hier außer Jules noch nicht viele Kontakte geknüpft hatte, musste sich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und etwas alleine unternehmen. Sie machte sich rasch einen Kaffee. Den brauchte sie um überhaupt in die Gänge zu kommen. „Diese Stadt“, stöhnte Luan und schüttelte den Kopf. Sie konnte es wahrlich kaum abwarten, hier weg zu kommen. Das Einzige was Luan milde stimmte war Jules. Er war so anders als der Rest, insbesondere was ihre Ex Freunde anging. Diese konnte man tatsächlich mit den Oberbegriffen Lügner und Betrüger beschreiben. Jules würde sie niemals belügen, das spürte sie einfach. Selbst wenn sie sich nur diese kurze Zeit über kannten. Luan sah es an seinen Augen, die aufrichtig und ehrlich waren. Vom Verhalten her war Jules die perfekte Symbiose aus Androgynität, kindlicher Verspieltheit und maskulinem Auftreten. Diese Mischung machte ihn zu jemanden, den sie so bisher noch nie begegnet war. Bevor Luan ging, schrieb sie ihm noch schnell eine Nachricht. „Ich wollte dir einen schönen Tag wünschen und hoffe doch stark, dass deiner besser verlaufen wird als meiner. Übrigens freue ich mich schon sehr auf unser nächstes Treffen. LG Luan.“ Nach dem Senden ihrer Mail, fuhr sie den Laptop runter. Zeit einkaufen zu gehen, obwohl sie nicht gerne kochte. Jedenfalls nicht für eine einzelne Person. Wäre jemand bei ihr, wäre dies etwas gänzlich anderes. „Oh man, jetzt reiß dich mal am Riemen“, tadelte sich Luan selbst. Sie warf einen Blick in den Kleiderschrank. Da sie nicht immer Lust auf ein tadellos feminines Aussehen legte, sondern sich frei von jeglichen Klischees fühlen wollte, befolgte Luan diesen Vorsatz auch bei der Wahl ihrer Kleidung. Heute entschied sie sich für eine bequeme Baggy Pants, ein schlichtes schwarzes T-Shirt und Sneakers. Die Haare band Luan zu einem Pferdeschwanz und setzte eine Basketballcap auf. Sie war zufrieden mit sich. Die Stadt gleich einem Labyrinth, wenn man sich nicht in dieser auskannte und niemand einen herum führte. Luan bereute es, dass sie außer der Universität, nicht viel von ihrem aktuellen Wohnort gesehen hatte. Vielleicht könnte sie dies mit Jules nachholen. Sie erledigte zielstrebig ihre Wege. Länger als nötig wollte Luan die Zeit nicht verschwenden. Daheim kochte sie. Es gab Spagetti mit selbstgemachter Tomatensauce. Nebenher hörte sie Musik auf ihrem Laptop. Nachdem Luan die Nudeln in den Topf gab und somit zum Warten verdammt war, suchte sie Facebook auf. „Vielen lieben Dank. Das wünsche ich dir auch. Hoffentlich wird er besser als du erwartest. Ich gehe heute ins Reisebüro. Ein paar Informationen einholen. Was hast du geplant?“ Luan schnalzte mit der Zunge. „Ach, nicht viel. Ich denke es wird einer dieser typischen, langweiligen Tage. Aber freut mich, dass zu mindestens du etwas vor hast“, schrieb sie zurück. Erneut vertiefte sich Luan in Jules Profil. Viele Informationen hatte er auf seiner Facebookseite nicht preis gegeben, aber ihr reichten die Fotos schon, die er online gestellt hatte. Ein Zischen holte sie ins hier und jetzt zurück. „Mist, die Nudeln“, fluchte Luan. Sie hüpfte auf und rannte zu ihrer Kochnische. Fast wäre das Wasser über gekocht. „Was ist bloß los mit dir?“, fragte sich Luan. Seitdem sie ihn getroffen hatte, war sie ziemlich kopflos. So kannte Luan sich gar nicht. Sie schüttete die Nudeln ab und vermischte sie mit der Sauce. „Ich habe ihn ja noch gar nicht gefragt, was er gerne isst“, überlegte Luan laut als sie es sich mit gefülltem Teller vor dem Fernseher bequem machte. Auch war ihr unklar, ob Jules für sie kochen oder ob mit ihr essen gehen wollte. Sie wollte ihn allerdings nicht mit Nachrichten zu spammen, sondern erst einmal auf eine weitere Mail von ihm warten. Genau in diesem Augenblick, ertönte ein grelles Geräusch. Luan eilte zum Laptop, da sie sofort erkannte, dass dies der Ton für eine neue Chatmessage war. Und sie sollte Recht behalten. Jules hatte ihr geantwortet. „Ich hätte dich echt gerne mitgenommen. Leider habe ich schon jemand anderen versprochen, den Tag mit ihm zu verbringen. Wir holen das nach. Ach, ich wollte dich sowieso fragen, ob du eher in ein Restaurant gehen möchtest oder ob ich für dich kochen darf?“ Luan musste grinsen. Da hatten sie wohl ähnliche Gedankengänge. „Lustig. Genau das selbe wollte ich dich eigentlich fragen. Ich wäre für kochen. Wenn du magst, können wir zusammen etwas machen. Ich werde dir auch definitiv nicht im Weg sein“, bei dem letzten Satz, verdrehte sie die Augen. Und nun hatte sie den Text auch noch so abgeschickt. „Im Weg sein? Haha als ob ich das denke. Können wir gerne machen. Lass uns morgen mal schreiben. Okay?“ Luans Herz machte einen Sprung. „Ja gerne. Dann will ich dich mal nicht weiter stören. Bis morgen und einen schönen Tag dir.“ „Dir auch, Süße. Lass dich nicht unterkriegen. Eventuell melde ich mich heute Abend noch mal bei dir.“ Nach dieser Verabschiedung gingen beide offline. Luans Laune besserte sich sichtlich. Immerhin hatte sie nun gute Aussichten auf ein weiteres Date mit Jules, um ihn näher kommen zu können. Abends riefen Luans Eltern an. Wie so oft gestalteten sich die Gespräche eher zähflüssig. Ihre Mutter wollte natürlich alles genau wissen, wie es an der Universität lief, wie Luans Umfeld aussah und was sie mit ihren Tagen in der neuen Stadt anfing. Genervt holte sie sich ein Bier aus dem Kühlschrank, während ihre Mutter ihr nahezu das Ohr ab kaute. „Und hast du jemand in Kassel kennengelernt?“, kam schließlich die Frage auf. Luan hielt kurz inne. In Gedanken an Jules, musste sie lächeln und das trotz des anstrengenden Gesprächs. „Ja, kann man so sagen“, sprach sie knapp. Bevor das Telefonat weiter ausuferte, beendete es Luan. Sie wollte und konnte noch nicht viel über Jules erzählen. Dafür mussten sie sich erst öfter gesehen haben. Luan stand auf und streckte sich ausgiebig. Da sie lange genug in der Wohnung war, entschloss sie sich, rauszugehen und eine Runde um den Block zu drehen. Mindestens war sie hier sicher. In ihrer alten Heimat war das nicht der Fall. Diesbezüglich hatte Luan auch nie ihre Familie eingeweiht. Manche sollten man besser für sich behalten, vorzugsweise um Menschen, die einen wichtig waren, nicht zu beunruhigen. Es geschah dennoch, dass sie Luan beobachtet fühlte und sich dabei ertappte, wie sie hinter sich da. Ständig im Hinterkopf habend, dass er hinter ihr stehen könnte. „Wie ich es hasse“, zischte sie. Kapitel 10: ------------ Jay musste schmunzeln als Jules vom Laptop aufstand und ihm zu nickte. „Wir können los“, meinte der. „Luan scheint es dir ja ziemlich angetan zu haben, was?“ Unbeabsichtigt errötete Jules, bei dieser Frage von Jay. „Ich habe also recht“, schlussfolgerte sein Freund daraufhin. Er schlug Jules kumpelhaft auf die Schulter. „Ist doch vollkommen in Ordnung.“ „Wie auch immer“, der Blonde seufzte. „Lass uns gehen. Sonst kommen wir heute gar nicht mehr voran.“ „Da spricht der Planer aus dir.“ Manchmal zog ihn Jay mit dieser Eigenschaft auf. Allgemein neckte er ihn gerne, wenn sie unter sich waren. Das war wahrscheinlich ein Ausdruck von Jays Zuneigung. So empfand es jedenfalls Jules, denn in seinen Kommentaren, lag nichts Böswilliges. Im Gegenteil. „Du siehst gut aus.“ „Echt?“, er blinzelte und besah sich kurz im Spiegel. Seit der Mastek, mochte Jules seinen Anblick weitaus lieber. Endlich musste er nichts mehr kaschieren. Er konnte sich frei bewegen. Selbst Jay hatte damals sofort bemerkt, wie erleichtert Jules nach der Operation war. Und er gönnte es ihm von Herzen. Jules hatte lange genug darauf gewartet, endlich auch optisch er selbst zu sein. „Ja“, er zog ihn zu sich heran und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Du musst dich absolut nicht verstecken.“ Jules bekam eine Gänsehaut. Ob Jay wusste wie gut ihm solche Worte taten? Und zwar hauptsächlich wenn diese von ihm kamen. Er hustete. „Auf geht’s.“ Zaghaft wand sich Jules aus Jays Griff und ging zu Tür. „Alles okay? Kommst du?“ „Ja, es ist nichts keine Sorge.“ Täuschte sich Jules oder wirkte Jay bedrückt? Er schüttelte jenen Gedanken ab. So bald sie die Straße betreten hatten, waren sie wieder Freunde. Wenn Luan ihnen jetzt begegnen würde, käme sie wohl nie auf die Idee, dass die beiden ein Paar waren. „Ob sie es wohl schafft, sich den Tag gut zu vertreiben?“, fragte er sich leise. Jules tat es leid, dass er heute nichts für Luan tun konnte. Sie schien einsam zu sein. Was das anging, bedurfte es nicht viel für ihn, um sich in ihre Lage hinein zu versetzen. Bevor Jules Jay kennengelernt hatte, war er sozusagen alleine auf weiter See gewesen. Viele Freunde hatten sich von ihm abgewandt. Einzig und alleine aus dem Grund, weil er zu sich selbst stand. Jay hatte ihm die Hand gereicht und ihm gezeigt, dass es noch andere Menschen gab. Dafür war er ihm dankbar. Mittlerweile hatte Jules immens an Stärke dazu gewonnen. Nicht nur durch Jay, sondern auch durch seinen Weg, den er stetig ging. Dabei musste Jules sich treu bleiben. Sonst wäre er schon längst untergegangen. Vielleicht machte ihn diese besondere Beziehung zu Jay gerade stärker. Dadurch, dass Jay nicht immer für ihn da sein konnte, stand Jules vieles ohne ihn durch. Umso mehr wusste er es zu schätzen, wenn sein Partner dann tatsächlich für ihn einstand. Jules erinnerte sich gut daran, wie Jay nahe zu ausgerastet war als seine Eltern ihn stetig mit falschem Namen und Pronomen ansprachen. „Er heißt Jules. Das ist sein Name! Außerdem ist er nicht eure Tochter sondern euer Sohn. Das war er schon immer. Merkt euch, das doch endlich mal.“ Jules Vater hatte den unwillkommenen Gast nur böse an gefunkelt. Das lag wohl daran, dass er die Transidentität seines Sohnes gerne verdrängen wollte. Zudem akzeptierten beide Elternteile nicht die Partnerwahl von Jules. Sie hassten Jay regelrecht. Der fand sich bereits von Anfang an damit ab. Jay zog ihn am Ärmel. „Das sieht ganz gut aus. Findest du nicht?“ Erst jetzt fiel Jules auf, dass sie ohne Jays Hinweis, direkt an dem Reisebüro vorbei gegangen wären, das sich zu ihrer Linken befand. Zufrieden nickte Jules und sie traten ein. „Guten Tag. Was kann ich für sie tun?“, fragte die Mitarbeiterin höflich. Jay erläuterte ihr, dass sie noch kein genaues Ziel hatten sondern erst einmal Informationen zu möglichen Reisezielen sammeln wollten. Sie ging komplett in ihrem Element auf, eilte davon und kam mit etlichen Broschüren sowie Katalogen wieder. Geduldig wies sie Jay und Jules in zahlreiche mögliche Reiseorte ein, die ihrem Budget entsprachen. „Leider sind wir zwei noch im Studium“, führte Jay aus. „Das ist kein Problem. Wir finden schon den richtigen Aufenthaltsort für sie. Teils kommen zur Hauptsession Last Minute hinein, die sehr kostengünstig sind. Ich gebe ihnen einfach mal meine Karte mit.“ „Vielen Dank“, er lächelte und nahm die Karte entgegen. „Wir werden uns auf jeden Fall melden. Oder?“, Jay besah seinen Begleiter. „Ja“, antwortete Jules. Sie reichten einander die Hände und verabschiedeten sich von ihrer Vermittlerin. Jules kam gegen Ende des Tages kaum noch mit, wie viele Reisebüros sie bereits aufgesucht hatten. Das Letzte war in einem Einkaufszentrum, welches in Richtung des Stadtausganges lag. „Hier war ich ja ewig nicht mehr“, stellte Jules fest. „Geht mir genauso. Aber ein Freund hatte bei dem Veranstalter mal eine Reise gebucht“, berichtete Jay. Die Mitarbeiter bei besagtem Reisebüro waren äußerst freundlich und zuvorkommend. „So ein Urlaub unter Freunden ist doch immer etwas Besonderes“, sprach ihr Berater gut gelaunt. „Ähm“, Jay räusperte sich. „Wir sind nicht befreundet.“ Für einen kurzen Moment stockte Jules der Atem bis Jay breit grinste und mit ruhiger Stimme sprach. „Er ist mein Freund, wenn sie wissen was ich meine.“ Dies hatte er bisher nie so offen ausgesprochen. Selbst der Mitarbeiter sah sie für einige Zeit sprachlos an. „Gut, dann nehme ich mal an, sie möchten dementsprechend auch ein Zimmer mit Doppelbett“, ging er wieder in die Normalität über und konzentrierte sich auf die Suche. Jay hatte ihm ein paar Stationen genannt, die sie in Erwägung zogen. Zum Schluss waren sie um einige Informationen reicher. Der Mitarbeiter wünschte ihnen einen schönen Tag und lächelte sie verschwörerisch an. „Was er wohl hatte?“, murmelte Jules als sie das Geschäft verließen. „Das hast du nicht bemerkt?“, Jay gluckste. „Hä? Was soll ich denn bemerkt haben?“ „Oh je“, er hielt sich gespielt den Kopf. „Jetzt sag schon“, drängte Jules. „Du bist echt blind. Aber gut, ich sag es dir. Er stand auf dich.“ „Der Mitarbeiter?“ Jay nickte. „Hmm, das habe ich wirklich nicht bemerkt. Woran hast du es gesehen?“ „Ich habe da eben einen Blick für, vertrau mir“, der Schwarzhaarige zwinkerte ihm zu. „Aus dem Grund hatte er so seltsam reagiert, nachdem ich erwähnte, dass du mein Freund bist.“ „Du merkst mehr als ich. Mein erster Gedanke war, dass er wegen dieser Sache Vorurteile hat.“ „Nicht jeder hat die. Bei ihm war es gänzlich anders als bei Flo. Er war total aufgeschlossen. Du hast es zwar nicht bemerkt, doch er hat dich sehr oft mit eindeutigen Blicken angesehen. Wahrscheinlich konnte ich daher nicht ohne Weiteres schweigen.“ „Bist du etwa eifersüchtig?“, stichelte Jules. Damit schien er ihn wohl getroffen zu haben, denn Jay rollte theatralisch mit den Augen. „Ha, erwischt!“ Jules schnippt mit den Fingern. „Ich habe Durst.“ Dies war Jays bewährte Taktik um vom Thema abzulenken. Doch er nahm es ihn keinesfalls übel. Viel mehr erfüllte ihn seine Ehrlichkeit im Reisebüro mit Stolz. Selbst wenn dies eine einmalige Aktion bleiben sollte, war dies Beweis genug für Jays Zuneigung zu Jules. „Danke“, flüsterte Jules ohne das Jay es hörte. Sie machten es sich in einem der Cafés bequem. „Ich lade dich heute ein“, beschloss Jules kurzerhand. „Das hättest du echt nicht machen müssen.“ „Doch, doch. Du hast mir letztens die Sneakers gekauft. Da ist es selbstverständlich, dass ich mich revanchiere. Und was ist schon ein Getränk?“ „Du bist süß, jedenfalls … danke dir“, Jay nahm ihm die Cola ab. Er mochte Kaffee nicht. Auch von Alkohol hielt er nicht viel ebenso wenig wie von Drogen oder Zigaretten. Das hatte Jules stets beeindruckt. Früher einmal war Jay Kettenrauch gewesen, wie er ihn am Anfang erzählt hatte. Eine der wenigen Sachen, die Jules aus seinen früheren Leben wusste. Was die Vergangenheit anging, war Jay gehemmt. Aber er wollte ihn zu nichts drängen. Jules mochte es selbst nicht auf unangenehme Themen angesprochen zu werden. Stattdessen genossen sie nun ihr gemeinsames Wochenende. Nach dem Bummel und der Informationsbeschaffung, kochte Jules für ihn. Später arbeiteten sie ihre Netflix Liste ab. Sie liebten beide Horrorfilme, also war die Wahl recht einfach. Außerdem konnte Jules so ungehindert nach seiner Hand greifen. Kurz vor dem Schlafengehen, schrieb er Luan, während Jay ein paar Runden zockte. In trauter Zweisamkeit kuschelten sie sich beisammen. Der anschließende Sonntag war eher zum Chillen gedacht. Sie verbrachten den halben Tag im Bett und sichteten Serien bis die Stunde des Abschiedes kam. Jay schloss Jules in eine innige Umarmung. „Es war schön mit dir“, sprach er. Jules konnte die Wehmut in seiner Stimme erkennen. Morgen war Montag. Ihre Insel der Einsam- und Abgeschnittenheit wurde somit aufgelöst. Jay musste erneut so tun als wäre ihm Jules egal und dieser hatte sich damit abzufinden. Noch lange Zeit stand er am Fenster und sah jenem Mann nach, für den er das alles auf sich nahm. Kapitel 11: ------------ Verloren starrte Jay auf den Bildschirm. Es fühlte sich einsam an ohne Jules. Selbst die Zockerrunde erfüllte ihn nicht wirklich. Dennoch brauchte er diese, um sich abzulenken. Jays Messenger lief auf Hochtouren. Kein Wunder. Er hatte seine Kumpels das ganze Wochenende über gekonnt ignoriert. Natürlich nervte ihn besonders Flo mit Nachfragen bezüglich seines Verbleibes. „Ich war bei meiner Familie. Nichts Wildes aber die hatten schon länger meine Hilfe gebraucht. Deshalb war ich nicht erreichbar. Tut mir echt leid“, log Jay. „Aha. Na dann. Wir hatten uns gefragt, wo du wohl ab bleibst. Die Jungs wollten Basketball spielen gehen. Tja und du hast erheblich gefehlt.“ „Sorry“, während er dies tippte, seufzte er genervt. „Allerdings kann ich meine Familie schlecht versetzen. Wenn sie mich brauchen, ist das nun mal so.“ „Ist ja kein Ding, Bro. Du hättest jedoch mal Bescheid sagen können. Keiner wusste wo du bist. Ich dachte schon, der Freak hätte dich wieder belästigt.“ Wut stieg in ihm empor und fast hätte Jay sich vergessen. Gedanklich nahm er eine Voice Nachricht auf, in der er Flo zurecht wies. „Nee. Der hat sich nicht bei mir gemeldet“, war alles, was er schrieb. Um nicht weiter von Flo belästigt zu werden, legte er das Handy beiseite und widmete sich dem Spiel. Durch seinen Zorn, der tief in ihm drin saß, lief er schier in ein Kugelgeschoss. „Man pass doch auf“, schrie ihn einer seiner Mitspieler an. „Ja, entschuldige.“ Jay entschied schnell, dass heute nicht sein Abend war und loggte sich nach der Runde aus. Es war bereits nach null Uhr. Wenn er morgen in die Vorlesung wollte, musste er langsam ins Bett gehen. Mehr oder minder quälte sich Jay ins Bad, putze die Zähne und schlüpfte aus seiner Kleidung. Bis auf die Boxershorts, die behielt er an. „Ob ich ihm schreiben sollte?“, grummelte er vor sich hin. Unentschlossen hielt Jay sein Smartphone in der Hand. Doch bevor er sich entscheiden konnte, summte sein Handy auf und eine neue Nachricht von Jules wurde ihm angezeigt. „Ich weiß, dass du nicht auf Gefühlsdusseleien stehst. Dennoch musste ich dir einfach schreiben. Die Zeit mit dir war unglaublich. Genau das, was ich gebraucht habe. Es mag komisch kommen, aber ich wollte mich dafür bei dir bedanken. Gerade da ich weiß, wie schwierig das für dich ist. Schlaf gut und träume was Schönes. Du fehlst mir.“ Den letzten Satz las Jay ein paar Mal hintereinander. „Du fehlst mir auch“, dachte er, unsicher ob er es ihm wirklich schreiben sollte. Jay entschied sich dafür, einen Schritt auf Jules einzugehen. Letztendlich war es leichter als er vermutet hatte. „Du mir ebenso. Es freut mich, dass dir das Wochenende gefallen hat. Wir sollten das unbedingt wiederholen.“ Er legte das Handy beiseite. Ohne Jules fiel es Jay schwer einzuschlafen, aber das würde er selbstverständlich nie zu geben. Unruhig wälzte er sich hin und her. Bis ihm die Augen zu fielen. Jay hatte Glück, denn heute verschonten ihn die wiederkehrenden Albträume. Ein schriller Pfiff holte ihn unsanft aus der Nachtruhe. Wie automatisch griff Jay neben sich. Nein. Jules war nicht bei ihm. So gerne er sich dies in jenem Moment auch wünschte. Er quälte sich empor und erledigte seine alltägliche Morgenroutine. „Dämlicher Wecker“, fluchte er. Als Jay die Küche betrat, saß Tony, sein Mitbewohner am Tisch und sah geradewegs von seinem Frühstück auf. „Du siehst scheiße aus“, meinte er kühl. „Kein Wunder. Ich hab auch kaum geschlafen“, grummelte Jay zurück. Er mochte Tony nicht sonderlich. Allerdings war die Miete somit billiger. Jedoch wusste Jay, dass sein unliebsamer Mitbewohner Ausschau nach einer eigenen Wohnung hielt. Diesbezüglich hatte er sich noch keine Gedanken gemacht, denn Jay neigte dazu Dinge gerne aufzuschieben. Jules hatte dies öfter an ihm bemängelt. Und irgendwie hatte er da Recht. Das wusste Jay selbst. „Tja, vielleicht solltest du dich einfach weniger herum treiben“, Tony grinste. Er beachtete ihn nicht weiter. Es war besser keine Diskussionen mit Tony anzufangen. Jay griff nach der Milch, die bereits auf dem Tisch stand und machte sich eine Schüssel mit Cornflakes. Viel zu sagen hatten sie sich nie. Meist verlief es so, dass Jay hastig sein Frühstück aß und verschwand, ohne das ein Gesprächsaustausch zwischen ihnen zustande kam. Genauso war es auch heute. Er krallte sich die Schlüssel sowie seinen Basketball, nachdem er mit allem fertig war und verließ fluchtartig die Wohnung. Kurz bevor Jay die Universität erreichte, wurde er von Flo abgefangen. „Man Alter“, sagte der flapsig. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr.“ „Sorry“, knurrte Jay. „Ich bin nun mal kein Morgenmensch. Aber ich habe es ja noch rechtzeitig geschafft.“ „Immerhin.“ Dank Flos Begleitung, konnte er nicht auf seinem Handy nachschauen, ob Jules ihm eine Nachricht geschrieben hatte. Sein Kumpel redet über alles Mögliche. Er hörte ihm jedoch kaum zu. Seine Gedanken waren ganz bei Jules. Zum Glück war Flo ein regelrechter Egomane und hörte am liebsten sich selbst reden. Ab und zu gab Jay ein bejahendes Geräusch von sich, womit sich seine Begleitung zufrieden gab. „Bah“, kam es auf einmal schnippisch von Flo. „Hm?“, Jay sah ihn fragend an. Da wurde ihm bewusst, dass er Jules meinte, der ihnen geradewegs entgegen kam. Sie nickten sich zu. „Wow, ich glaube nach diesem Anblick kommt mir glatt mein Essen wieder hoch“, Flo ahmte einen Würgereiz nach. „Würde dir wahrscheinlich ganz gut tun“, konterte Jules. Sofort erkannte Jay, den Zorn, der in Flos Augen aufflammte. Er stürmte auf den Blonden zu und packte ihn beim Kragen. „Was willst du damit sagen, hä? Im Gegensatz zu dir, bin ich völlig normal.“ „Hey, hey“, Jay ging sofort dazwischen und drückte die beiden auseinander. „Das muss hier nun wirklich nicht sein. Ihr wisst genau wie streng die Dozenten sind. Also beherrscht euch mal.“ Der Größere ließ von Jules ab. „Pfft“, schnaufte er. „Ich gehe zum Seminarraum. Kommst du mit? Ich kann den Anblick von diesem Freak nicht länger ertragen.“ „Danke“, flüsterte Jules als Flo sich einige Schritte von ihnen entfernt hatte. Jay nickte nur und folgte ihm schließlich, um seinen Partner mitten auf dem Flur stehen zu lassen. „Allerdings habe ich ihn verteidigt“, sagte er zu sich. Dies war zwar ein schwacher Trost, aber Jay war froh, sich für Jules eingesetzt zu haben. Es war das Mindeste was er tun konnte. Flo zog ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Er hasste Niederlagen. Außerdem erwähnte er nicht gerade selten, dass er Jules am liebsten eine verpassen würde. „Und mit so jemanden gebe ich mich tatsächlich ab“, grollte Jay. Selbst während des Seminars besserte sich Flos Laune nicht. „Unfassbar“, säuselte Jay und verdrehte die Augen. Er musste sich nun echt auf den Stoff dieser Sitzung konzentrieren. Leider lag ihm dieses Thema nicht, was ebenso der Dozent bemerkt hatte. Aber irgendwie musste Jay durch die Prüfung kommen. Der Leistungsnachweis stand fast vor der Tür und er brauchte die Credits dringend. Da konnte er sich nicht noch mit Flo beschäftigen. „Hoffentlich kann mir Jules helfen“, nervös kaute Jay auf seinem Stift herum, während der Dozent die Arbeitsblätter austeilte. Ein Blick auf diese und er bekam Kopfschmerzen. „Lass es lieber und such dir eine Arbeit“, hatte ihm seine Mutter immer eintrichtern wollen. Doch Jay wollte das Studium unbedingt schaffen. Nicht für andere sondern für sich selbst. So viele Menschen hatten ihn abgeschrieben, ihn weiß machen wollen, dass er nichts konnte. Nein. Das würde sich Jay nicht bieten lassen. Und wenn er an seine Grenzen hierfür gehen musste; sein Ziel war es das Studium erfolgreich zu absolvieren! Die Aufgaben waren keineswegs ohne, aber mindestens schaffte er ein paar. So bald er frei hatte, würde er mit Jules lernen, das nahm er sich vor. Die Stunde näherte sich dem Ende. „ So, genug für heute.“ Ihr Dozent klatschte in die Hände. „Die restlichen Aufgaben besprechen wir in der nächsten Sitzung. Ich wünsche ihnen eine erfolgreiche Woche. Bis dahin.“ Jay rappelte sich auf. Missmutig packte er seine Sachen zusammen. „Du siehst ja alles andere als begeistert aus“, resultierte Flo. „Die Prüfungen kommen immer näher. Und damit auch der Leistungsnachweis“, erläuterte Jay. „Wird schon“, sprach sein Gegenüber locker aus. Flo war eben keineswegs ein idealer Gesprächspartner wenn es um Probleme oder Schwierigkeiten ging. Jules war, was dies anging, völlig anders. Jay sparte sich ein weiteres Kommentar, nahm seine Schultertasche und nickte ihm zu. „Wie mich dieser Freak ankotzt“, sagte Flo. „Lass ihn doch einfach in Ruhe. Ich meine … er tut dir nichts. Daher kann ich deine Probleme mit ihm nicht ganz nachvollziehen.“ „Nicht nachvollziehen?!“ Er wurde lauter, so dass Jay ihm mit dem Finger daraufhin wies, sich zu zügeln. „Für mich ist er nun mal nicht normal. Keine Ahnung wie du das ertragen kannst, selbst wenn es nur eine Zweckfreundschaft ist. Ich ekel mich ja bereits, wenn ich ein paar Minuten in seiner Nähe bin. Jemand wie der wird doch nie einen Partner finden. Ach, was rede ich überhaupt von er. Im Grunde genommen ist er ein Es, nichts halbes und nichts ganzes. So bald er mir zu dich auf die Pelle rückt, vergesse ich mich.“ „Vielleicht ist gar nicht er das Problem. Sondern du und deine Transphobie“, hörte Jay sich aussprechen. Moment? Er hatte dies nicht nur gedacht, sondern Flo eben direkt ins Gesicht gesagt. Dieser riss vor Entsetzen und Zorn die Augen weit auf. „Wie bitte?!“ Kapitel 12: ------------ „Ich hoffe er hat keinen Aufriss gemacht wegen deiner Aktion von vorhin“, schrieb Jules und versendete die Nachricht per Whatsapp an Jay. Wie sehr er Flo mittlerweile verabscheute. Er überquerte das Universitätsgelände. „Ich muss Luan noch schreiben“, murmelte Jules verträumt. Das mit Flo hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. Umso mehr jedoch Jays Einsatz für ihn. Für gewöhnlich hielt sich sein Partner aus ihren Streitigkeiten raus. Heute hatte er praktisch seine eigenen Regeln gebrochen. An sich wollte Jules auch gar nicht, dass er sich da einmischte. Jay hatte genug Probleme. Zwar sprachen sie nie darüber, allerdings spürte er es. Wenn Jay bei Jules war, gab es manche Tage an denen sein Blick nahezu abschweifte. „Ich will ihm helfen. Aber manchmal weiß ich einfach nicht wie“, dachte Jules. Er war gerade in der Cafeteria und holte sich seinen über alles geliebten Latte Macchiato. Dank einer Freistunde kam er nun auch dazu Luan zu schreiben. Diese schien auf ihn gewartet zu haben, denn eine Nachricht lies nicht lange auf sich warten. „Es freut mich sehr, dass du an mich gedacht hast. Bei mir ging es heute drunter und drüber. Das muss ich dir dann in Ruhe erzählen. Leider habe ich einiges zu tun. Falls du aber morgen Zeit hast, bin ich da ganz Feuer und Flamme.“ Sie schien ziemlich unter Stress zu stehen. Jules fiel ein, dass er sie noch so vieles fragen wollte. Bei ihrem letzten Date, hatte sie ihn mit ihrer Art förmlich den Boden unter den Füßen weg gezogen. Da blieb ihm kaum Zeit für Fragen. Nun konnte Jules dies nachholen. Er war gespannt, in welche Richtung sich ihre Freundschaft weiterentwickeln würde. Luan gab ihm Kraft und das obwohl er sie doch kaum kannte. Viele hätten Jules nun bestimmt für verrückt erklärt, umso mehr freute es ihn, dass Jay ihn da verstand. Nicht nur das allein, er sprach Jules sogar Mut zu. Vielleicht hatte er ihn in der Vergangenheit völlig falsch eingeschätzt. Jays Verhältnis zu Flo war jedoch nicht unschuldig daran. Sicher, er wusste, dass sein Freund wenig auf Flo gab. Alles was er wollte, war seinen Frieden zu bewahren. Gut und Jays Ruf spielte ebenfalls eine Rolle. Seit sie beide an der Universität waren, hatte seine Beliebtheit schnell zugenommen. Jules selbst war von diesem Status meilenweit entfernt. Wenn er ehrlich war, interessierte ihn das nicht sonderlich. Sein Studium war wichtiger. Dafür quälte sich Jules jeden Tag aus der Tür und ignorierte die Hasstiraden, die ihm Flo an den Kopf warf. Und dann war da noch Jay. Für ihn lohnte es sich ebenso, weiter zu machen. Jedenfalls gab Jules die Hoffnung nicht auf, dass sie es schaffen konnten, ihre Beziehung letztendlich zum Guten zu wenden. Am vergangenen Wochenende hatte er viel Potenzial gezeigt. Jules nahm einen Schluck seines Kaffees und lehnte sich zurück. Weil er noch ein wenig bleiben wollte, entschied er sich dafür seine Notizen zu überarbeiten, die er sich während der Vorlesung gemacht hatte. Hin und wieder schrieb er Luan. Einige Minuten zogen ins Land, die Jules völlig vertieft in sein Schaffen war. „Dieser scheiß Kerl“, schreckte ihn plötzlich jemand auf. Die Stimme kannte er zu gut. Es war sein größter Widersacher, Flo. Er stand am Tresen, den Rücken zu Jules gerichtet und bestellte sich einen Kaffee. Ein paar seiner Freunde begleiteten ihn. Etwas schien Flo sichtlich verärgert zu haben. Sofort vertiefte sich Jules in seine Unterlagen, damit er ihn nicht bemerkte. „Ich kann es kaum fassen, was er da gesagt hat.“ „Jetzt beruhige dich mal“, einer von Flos Freunden, Jules identifizierte ihn als Tom, klopfte auf seine Schulter. „Ach, der hat das nur so daher geredet, Bro. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Jay auf der Seite von diesem Loser steht.“ „Momentan bin ich mir bei ihm absolut nicht mehr sicher“, knurrte Flo. Seine schlechte Laune bekam auch die Mitarbeiterin der Cafeteria zu spüren, indem er ihr missbilligend den Kaffee aus den Händen riss. Im Grunde wusste Jules, dass er lieber schweigen sollte, jedoch setzte er sich wie von selbst in Bewegung und stürmte Flo hinterher. „Hey“, rief er, dabei ballten sich seine Hände zu Fäusten. Flo drehte sich um inklusive seiner Anhängerschaft. „Sieh an“, er grinste und musterte Jules von oben bis unten. „Dein Bodyguard scheint abwesend zu sein. Echt schade oder?“ Jules ging ein paar Schritte auf ihn zu. „Mir ist es scheiß egal, was du so über mich erzählst. Aber lass Jay aus den Spiel.“ „Willst du mir drohen?“ Der Mobb stimmte in Lachen ein. „Du bist wohl in ihn verliebt“, schlussfolgerte Flo. „Ich würde mir an deiner Stelle aber nichts darauf einbilden, dass er Partei für dich ergriffen hat. Jay tut das aus reiner Bequemlichkeit. Ich kenne ihn gut. Er will einfach seine Ruhe vor den Dozenten haben. Jemand wie du ist ihm da halt nützlich. Wusstest du es noch nicht? Er benutzt dich für seine Zwecke, wie es ihm gerade passt. Du hast einen guten Notendurchschnitt und das ist ein erheblicher Vorteil für ihn. Du bist weder ein Freund noch sein fester Partner. Schau dich an. Du bist ein Freak, ein niemand. Jeder der an dir interessiert ist, leidet an Geschmacksverirrung. Du wirst auf Ewigkeiten etwas dazwischen sein! Kein Mann, keine Frau. Einfach nur ein Monster.“ Das saß. Klar, Jules war es gewohnt, dass Flo ihn herablassend behandelte aber dies war ein anderes Kaliber. Bisher hatte er nie Jay mit ins Boot geholt sondern immer nur ihn allein angegriffen. Ihr gemeinsames Wochenende ging ihm durch den Kopf. Jules schüttelte den Kopf. „Sprachlos?“, verhöhnte ihn Flo. „Ich habe keinerlei Bedarf mit dir zu reden“, konterte Jules mit seiner eigenen Stimme ringend. Er wand sich ab. „So einfach kommst du mir nicht davon, Tranny. Wir haben noch eine offene Rechnung. Denk daran.“ Allerdings hörte er ihn nicht mehr. Ihm war gleichgültig, ob ihm Flo in nächster Zeit eine verpassen würde oder nicht. Momentan sehnte er sich nach seiner Wohnung. Jules war aber niemand, der flüchtete. Also quälte er sich in die nächste Vorlesung. Viel bekam er nicht mit. Daher war Jules umso beruhigter als ihr Professor sie entließ. Jetzt hieß es ab nach Hause. Jay hatte ein Tutorium und deshalb keine Zeit. Wahrscheinlich war es ohnehin besser. Kapitel 13: ------------ Kaum war er in der Wohnung, warf er sich aufs Bett, den Blick zur Decke gerichtet. „Du bist ein Monster“, gingen ihm Flos Worte durch den Kopf. Jules sollte sich nicht zu viel daraus machen. Flo war ein Idiot. Jemand, der ihn nicht mal ansatzweise kannte. Dennoch störte sich Jules daran, dass er Jay mit hinein gezogen hatte. Klar, er war weitaus zufriedener mit sich selbst und auf einem guten Weg sein altes Leben sowie die damit verbundenen Schmerzen hinter sich zu lassen. Jules wusste jedoch genau, dass er erst los lassen konnte, wenn er seinen Bachelor absolviert hatte und von hier weg zog. Am liebsten würde er diesen Schritt zusammen mit Jay wagen. Bis dahin würde noch einige Zeit ins Land ziehen. Somit war Jules gezwungen, Flo und seine Konsorten zu ertragen. „Ob mich Luan genauso sieht, wenn sie alles erfährt?“, raunte er. Jules wollte einfach von ihr als das wahrgenommen werden was er war. Ein Mann. Nicht mehr und nicht weniger. Eben aufgrund dessen durfte er ihr seine Identität nicht verschweigen. Jules hatte dies öfter durch gemacht. Im Endeffekt wusste er nur wie Luan zu ihm stehen würde, wenn er ihr reinen Wein einschenkte. Jules fasste sich ein Herz und beschloss ihr zu schreiben. „Hey, wenn wir uns morgen treffen muss ich unbedingt mit dir reden. Ich weiß, dass das zwar recht früh für dich kommen mag, andererseits brauche ich da einfach Klarheit.“ Ohne viele Umschweife verschickte er die Mail. Einige Minuten später folgte Luans Antwort. „Oha, du klingst ja so als ginge es dabei um Leben und Tod. Ich bin gespannt. Ab wann hast du Zeit?“ „Ich habe morgens nur ein Seminar und danach wäre ich vollkommen für dich da“, während er dies tippte, lächelte er. Innerlich bekam es Jules allerdings mit der Nervosität zu tun. Jene Art von Gespräch hatte er nie so vorzeitig führen müssen. Um sich den Kopf nicht völlig zu zerbrechen, entschied er sich, es Jays Methode gleichzutun und zockte eine Runde. Es gab Tage, da genoss er die Einsamkeit. Dieser war einer davon. Einzig Jay, nahm ihn in der Hinsicht wie er war. Er kam gut mit Jules introvertierter Art klar. Sie konnten stundenlang in einen Raum sitzen ohne auch nur ein Wort zu reden. Trotz allem wusste er, dass Jay für ihn da war. Wenigstens war sich Jules dieser Sache bewusst geworden, Dank der vergangenen Erlebnisse. Einzig und allein Flos Ansprache war ein Schlag ins Gesicht gewesen. Ja, Jules fürchtete sich davor wie Jay ihn genau sah. Es bestand etwas Außergewöhnliches zwischen ihnen, das konnte keineswegs verleugnet werden. Doch was genau dachte Jay, wenn er mit ihm schlief? Wenn sie sich nahe kamen und er jene Narben sah. Ebenso wie sein Genital, was eher einem Hybrid glich. Konnte er ihn tatsächlich lieben? Jays bisherige Partner waren stets Frauen gewesen. Und wie man letztens gesehen hatte, ziemlich Hübsche noch dazu. Wollte er ihm diesbezüglich wirklich im Weg stehen? Jules fühlte sich schlecht. Außerdem hatte Flo mit seiner Aussage, dass er niemals ein Mann sein könnte, einen Wund Punkt getroffen. In der Jugend hatte er sich oftmals wie ein Freak gefühlt. Nirgendwo passte er hinein. Weder zu den Mädchen noch zu den Jungs. Selbst seine Eltern, machten ihm Angst, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Während alle um ihn herum normal funktionieren, degradierte Jules mehr und mehr zum Außenseiter. Selbstverständlich hatte er sich nie die Menstruation gewünscht, was ihm Dank einer genetischen Hormonstörung, sehr lange erspart blieb. Und selbst als er sie dennoch bekam, war sein Zyklus ausgesprochen selten. Höchstens drei Mal im Jahr besuchte ihn jene unliebsame Sache. Die Mädchen meinten, dass Jules wohl krank sei. Schon vor der Hormontherapie hatte er eine ungewöhnlich tiefe Stimme. Überdies glich sein Haarwuchs nicht dem einer cis Frau sondern eher dem eines Mannes. Um nicht zusätzlich aufzufallen, rasierte sich Jules. Wirklich zum Guten änderte sich dadurch jedoch nichts. Erst gegen Ende seiner Schulzeit wurde er in die Klasse integriert, insbesondere durch den Klassenlehrerwechsel. Plötzlich nahm man ihn, wie er war. Ein Outing ersparte er sich dennoch. Lange kämpfte Jules dagegen an, zu seiner männlichen Identität zu stehen. Ja, er wollte sogar seinen Eltern den Gefallen tun, seine vermeintliche Andersartigkeit zu bekämpfen und unterzog sich für kürze Zeit einer Therapie mit Östrogenen. Diese vertrug Jules ganz und gar nicht. Er wurde zunehmend aggressiv. Erst waren es Gegenstände, schließlich richtete er seinen Zorn gegen selbst. Er hasste es anders zu sein, hasste es, dass seine Eltern dachten, er hätte wohl möglich eine Krankheit. Seine Arme versteckte er. Sogar im Sommer trug Jules langärmlige Sachen, was seine Eltern darin bestärkte, dass er anders tickte. Nach einer emotionalen und gefährlichen Beziehung, brach Jules diese Art von Zwangsfeminisierung ab. Entgegen seiner Erwartungen verstanden ihn seine Eltern. Die eigentliche Schockstarre verursachte letztlich sein Outing als transident. Auf einmal behaupteten sie, nie Zeichen dafür gesehen zu haben. So waren sie eben. Sie hatten genug eigene Probleme. Die Angst, dass ihr Kind für das Leben geprägt sein könnte, verfestigte sich zudem in ihren Köpfen. Ein transidenter Sohn, der auch noch in einer homosexuellen Beziehung war. Was würden nur die Leute denken? Jules sah auf seine Arme. Die schnitte waren nie wirklich tief gewesen und kaum sichtbar. Eine relativ längliche Narbe, war ein Überbleibsel aus dieser schlimmen Zeit und kurz vor der Trennung zu seiner Ex-Beziehung. Wenn er sich recht erinnerte, wollte Jules gar nicht weiter darüber nachdenken. Es war einer lieben Freundin zu verdanken, dass er sich zum ersten Mal outete, es beim Namen nannte. Sie half ihm, seinen Weg zu finden. Die zwei hatten eine ähnliche Situation und das vereinte sie. Leider war sie vor Jahren weg gezogen, aber sie war eine der wenigen Personen aus Jules Vergangenheit, zu der er Kontakt hielt und die ihm wirklich wichtig war. So etwas, verspürte er selten. Zum ersten mMal kam dieses Gefühl wieder bei Jay auf. Kurze Zeit vorher hatte sich Jules seine Identität vollkommen eingestanden und begonnen den steinigen Pfad zu gehen, der ihn zu seinem wahren Ich führte. Jay begleitete ihn durch etliche Etappen. Vom ersten Endokrinologentermin bis zum Vorgespräch für die Mastek, war er dabei gewesen. Da Jay zum Zeitpunkt der Operation eine Nachprüfung hatte, war er leider nicht anwesend. Doch das konnte Jules verstehen. Prüfungen gingen nun einmal vor. Wenn es darauf ankam, war Jay da. Immer. Selbst wenn er manchmal kaltherzig wirkte, bestätigten all diese Ereignisse, dass ihm Jules alles andere als egal war. „Genau deshalb tut es mir weh. Flo an sich ist mir egal. Als Hybrid bezeichnet zu werden im Angesicht unserer Beziehung jedoch nicht“, murmelte Jules, während er der Attacke eines Gegners auswich. Sein gesamtes Leben lang war er so bezeichnet wurden. Aber Jay hatte jene Wörter nie in den Mund genommen. Auch wenn er Jules Wohnung nach dem Sex fluchtartig verließ, sah er ihn stets als vollwertigen Mann an. Neben seiner Freundin aus Schulzeiten, war Jay der Einzige für den er nicht andersartig war. Zu Beginn ihrer Beziehung hatten sie mit einer Menge altem Ballast zu kämpfen. Jules aufgrund der Dämonen, die ihn heimsuchten und sich in seinen Gedanken verfestigten. Sein Partner wegen alter Wunden über die er schwieg. Ihm kam dieser eine Augenblick in den Sinn, wo ihn Jay heulend und auf dem Boden kauernd im Bad fand. Für gewöhnlich verbarg Jules seine Tränen lieber als sie offen zu zeigen. An diesem Tag kamen sie wie von selbst. Zu viele Erinnerungen waren empor gekommen. Dinge, die er verdrängen wollte. Noch jetzt spürte er die Umarmung von Jay. Er hatte ihn in seine Arme genommen ohne etwas zu sagen. Damit Jules wusste, dass er da war. Ja, Dank ihm hatte er überlebt. Seine Narben zeugten davon. Die Nacht war Jay bei ihm geblieben. Sie schliefen Arm in Arm ein. Jules strahlte bei diesem Bild. Einigermaßen zufrieden beendete er sein Spiel. Er war allein in der Wohnung. Sein Mitbewohner arbeitete um diese Uhrzeit. Also nutzte Jules dies auch und konnte sich in Ruhe sein Essen kochen. Wenn Jay nachher vorbei käme, hatte er bestimmt Hunger. Meistens kochte Jules unterbewusst für ihn mit. Als seien sie ein altes Ehepaar. Ping. Sein Whatsapp summte und er fischte das Handy aus seiner Tasche. „Ach, der Typ. Er ist ein hoffnungsloser Fall aber wenn wir mit dem Studium fertig sind, dann sind wir ihn los. Bis dahin heißt es Durchhalten.“ Jules Herz machte einen Sprung, denn Jay hatte ein Wort verwendet, dass er so gut wie nie gebrauchte „wir“. Kapitel 14: ------------ Jay hatte fest damit gerechnet, dass Flo ihm nach jenem Satz eine verpassen würde. Der Zorn in seinen Augen war ihm immer noch präsent. Damit Jay sich nicht länger Flos Laune geben musste, hatte er sich schnell verabschiedete und war in seine nächste Veranstaltung gegangen. Dabei verfolgten ihn die Blicke seines Kumpels. Zwischendurch schrieb Jay Jules. Langsam aber sicher dämmerte es ihn, auf was er sich da eingelassen hatte, die Sache mit Flo betreffend. Dieser war schlicht und ergreifend ein niederträchtiger Tyrann. Jay schüttelte den Kopf. „An sich mag ich ihn nicht einmal. Er redet nur dummes Zeug. Insbesondere was Jules betrifft. Er kennt ihn nicht mal richtig.“ Solche Gedanken gingen ihm auf dem Heimweg durch den Kopf. Tony war bereits in der Wohnung als er durch die Tür kam. „Na, sieh an wer da ist“, grüßte er Jay selbstgefällig. Der versuchte ihn keine Beachtung zu schenken und wechselte in sein Zimmer. Tony wollte ihn doch nur demütigen, da er seine angespannte Mimik bemerkt hatte. „Volltrottel“, fluchte Jay. Manchmal kotzte ihn alles an. Mit Tony hatte er ohnehin nur Ärger. Es verging kein Tag, an dem er sich nicht über ihn aufregte. Und Jay wusste genau, dass sein Mitbewohner darauf wartete, dass es eskalierte. Der Mitvertrag lief auf Tony. Also musste er sich zusammenreißen. Was Tony gerne ausnutzte. Er liebte es Jay in der Hand zu haben. Ein Punkt mehr, der ihn unterbewusst an ein bestimmtes Erlebnis erinnerte. „Ich will vergessen“, säuselte Jay. „Ich muss vergessen.“ Da war es wieder. Das Gefühl in seiner Brust, wenn er an diese Sache dachte. Die Angst, die er verspürte, wenn sich Anzeichen zeigten, dass alles erneut hoch kam. „Bist du zuhause?“, schrieb er seinem Partner. Er konnte nicht hier bleiben. Zusammen mit diesem Idioten. Jedenfalls nicht momentan. „Ja. Was gibt es denn? Alles okay?“ „Kann ich vorbei kommen?“, fragte Jay, ohne aus Jules Fragen einzugehen. „Sicher. Meine Tür steht dir jederzeit offen. Das weißt du.“ Jay fackelte nicht lange. Schon lustig, wenn man bedachte, dass sie sich gestern erst verabschiedet hatten. „Du gehst?“, rief ihm Tony nach als er mitsamt seines Rucksacks verschwand. Doch Jay antwortete nicht mehr. Wenige Minuten später stand er vor Jules Tür. „Willst du was trinken?“, bot er ihm an. „Ähm, ja klar“, Jay setzte sich auf sein Bett. „Dein Mitbewohner ist wohl noch arbeiten, was?“ Jules nickte und reichte ihm eine Flasche Wasser, die er in seinem Zimmer deponiert hatte. „Entschuldige“, der Schwarzhaarige stieß einen Seufzer aus. Er nahm Jules die Flasche ab. „Hey, kein Problem. Ich freue mich sogar, dass du hier bist. So schnell hätte ich nicht mit dir gerechnet. Und“, Jules machte eine Pause. „Ich habe das Gefühl, dass du mich echt vermisst hast. Oder?“ Den letzten Teil des Satzes fiepte er förmlich. Jay sah ihn an. Jenen Menschen, der ihn ununterbrochen auffing. Hals über Kopf schloss Jay ihn in die Arme und sie landeten auf dem Bett. Seine Fingerspitzen fuhren über Jules Shirt, glitten unter dieses und streichelten die zarte Haut des Blonden. Ihm blieb nicht unentdeckt, dass Jules davon eine Gänsehaut bekam. „Warte“, er griff sanft nach Jays Händen. „Ich denke, dass wir lieber reden sollten. Du machst einen ziemlich angespannten Eindruck und ich bin mir sicher, da wäre es jetzt das Falsche intim zu werden.“ Jules hatte ihn durchschaut. „Du weißt, dass mir das im Grunde weniger liegt“, Jay grummelte. „Versuche es“, ermutigte sein Gegenüber ihn. Seine Beine wippten auf und ab. Wo sollte er anfangen? „Es ist kompliziert. Ehrlich gesagt, habe ich so vieles verdrängt. Bestimmt wirst du es mir kaum glauben aber ich habe mein halbes Leben nahezu ausgelöscht. Ich kann dir nicht mehr sagen, wie meine Kindheit verlief. Klar, gab es da auch glückliche Momente. Jedoch kann ich mich an einiges nicht erinnern.“ Das war tatsächlich neu für Jules. Jay wirkte oft wie jemand, der ein bewegtes Leben erlebt hatte und die Erinnerungen daran, wie eine Art Amulett ständig bei sich trug. „Leider fällt es mir zudem schwer über einen ganz bestimmten Vorfall zu sprechen. Ich verspreche dir jedoch, dass ich das nachholen werde. Mir ist bewusst, dass du für mich da bist und mich deshalb nicht verurteilen würdest. Doch ich muss das selbst erst mal alles verarbeiten. Jahre habe ich darüber geschwiegen. Verstehst du?“ „Natürlich. Du hast mir schließlich auch Zeit gegeben, erst zu mir selbst zu finden.“ „Danke“, er lächelte. „Ich kann dir allerdings sagen, dass es mit meiner Familie zu tun hat. Mit einem ganz bestimmten Familienmitglied. Ich habe diese Person bereits jahrelang nicht mehr gesehen. Und nachdem was geschehen ist, werde ich ihr wohl möglich niemals verzeihen können. Noch heute träume ich von dem, was ich erleben musste. Glaub mir, ich wünschte ich hätte ebenfalls diese Erinnerungen gelöscht. Doch es ging nicht. Fast jede Nacht verfolgen mich die Bilder daran.“ „Schatz“, fasste sich Jules ein Herz. „Du musst es mir nicht jetzt offenbaren. Mir bedeutet es schon viel, dass du dich überhaupt geöffnet hast. Allmählich bekomme ich das Gefühl, dir näher zu kommen. Dass ich dir wichtig werde, auf eine Art und Weise wie ich sie mir immer gewünscht habe.“ „Wichtig werden?“, Jay zog eine Augenbraue empor. „Du bist mir wichtig! Das warst du stets. Leider kann ich es dir nie in dem Maße zeigen, wie du es eigentlich verdient hast. Wenn der Tag gekommen ist, an dem ich es dir erzähle, kann ich auch endlich meine Ketten los werden. Ich stehe mir selbst im Weg. Das weiß ich. Doch ich versichere dir, dass du mir mehr bedeutest als jede andere Person in meinem Leben. Du bist der Mensch, der für mich eine Art Zuhause darstellt.“ Jules strahlte, denn Jays Worte rührten ihn sehr. „Ich bin dein Zuhause?“, wiederholte er. Jay nickte. „Ja“, verlegen verschränkte er die Arme vor seiner Brust. „Du weißt, ich bin weniger gut in Rührseligkeiten.“ „Allerdings“, Jules kicherte. „Das hast du ja schon mehrmals bewiesen.“ „Ha ha. Ich kann auch nichts dafür.“ „Es ist in Ordnung“, er drückte ihn zärtlich an sich. „Mich macht das glücklich, mehr von dir zu erfahren. Als hättest du mir den Schlüssel zu deiner Welt übergeben.“ Jay fuhr ihm durch das Haar. „Und dich stört es nicht, wenn ich heute bei dir schlafe?“, lenkte er ein. Somit schnitt er das Thema an, weshalb er eigentlich zu Jules gekommen war, Tony. Hier fiel es Jay wesentlich leichter, seine Bedenken und Sorgen zu äußern. „Ich kann ihn echt nicht ab. Er provoziert mich, wo er nur kann. Wenn ich Besuch mitbringe, macht er einen Aufstand. Obwohl ich diesen Im Vorfeld ankündige. Und während er die Hausarbeit schleifen lässt, hat er bei mir ein Auge darauf. Ich könnte stundenlang über ihn erzählen, jedoch wird mir das nicht helfen.“ Er stöhnte auf. „Hmm“, Jules überlegte. Wie es aussah war Jays aktuelle Wohnsituation eine einzige Belastung für ihn. „Es kommt jetzt bestimmt überstürzt, aber glaube mir, ich habe bereits längere Zeit diese Idee.“ „Die wäre?“ Jay fixierte ihn eindringlich. „Nun“, er wurde nervös. Nie zuvor hatte er dies vor ihm ausgesprochen. Dabei war es immer Jules Wunsch gewesen. „Du meintest ja, ich sei dein Zuhause. Wieso ziehst du nicht hier ein? Ich mein nur vorübergehend. Natürlich helfe ich dir bei der Suche eines neuen Mitbewohners, was Tony angeht. Damit er nicht ohne da steht. Ich werde Sascha auch fragen, wie er zu meiner Idee steht. In meinem Zimmer ist genug Platz und wir würden die Miete durch drei teilen. Im Endeffekt hat er davon einen erheblichen Vorteil. Also, was meinst du dazu?“ Seine Ruhe vor Tony zu haben klang wie Musik in seinen Ohren. Da war Sascha wesentlich angenehmer. Er hatte zwar Marotten, aber die waren ertragbar und bisher hatte er Jules stets in Ruhe gelassen. In der Vergangenheit hatte ihn Jay darum beneidete, dass er einfach sein Ding durchziehen konnte ohne Einmischung nerviger Mitbewohner. „Natürlich“, sprach Jules hastig. „Werde ich dich nicht belagern oder Flo sowie seinen Konsorten davon erzählen. Ich möchte, dass es dir gut geht.“ „Ach. Das mit dem lass mal meine Sorge sein. Was dein Angebot angeht, darauf würde ich sehr gerne zurück kommen. Erträgst du mich denn wirklich täglich?“ „Spinner!“ Er boxte Jay in die Seite. „Sonst hätte ich dir das wohl nicht vorgeschlagen oder?“ „War nur ein Spaß. Jedoch kommen ein paar Sachen auf mich zu. In erster Linie musst du Sascha fragen, ob er sein okay dazu gibt. Ohne seine Einwilligung läuft gar nichts.“ „Sicher“, Jules grinste von einem Ohr zum anderen. „Ich werde bei ihm ein gutes Wort für dich einlegen. Es ist ja keineswegs für ewig. Ich meine, wir können uns immer noch eine gemeinsame Wohnung suchen. Wenn alles geregelt ist.“ Sie glitten zurück auf die Matratze. Die Vorstellung mit Jules in einer WG zu leben, verbesserte seine Laune um ein vielfaches. Sie sprachen über Jules bevorstehendes Date mit Luan. „Keine Sorge, ich werde dann das Feld räumen, wenn sie morgen zu dir kommt“, Jay zwinkerte. Diese eine Nacht wollte er jedoch bei ihm bleiben. Jules hatte ihn bereits in jenen Minuten herunter gebracht. Diese Gabe besaß wohl nur er. Selbst das Aufeinandertreffen mit Tony würde Jay dadurch leichter aushalten. Kapitel 15: ------------ „Was er mir wohl mitteilen will?“, fragte sich Luan. Den Tag vor ihrem Date hatte sie sich nahezu den Kopf zerbrochen. Doch sie würde es ja bald erfahren. Erwartungsvoll stand sie vor seiner Haustür. Die Adresse hatte ihr Jules gegeben. Mit zittrigen Fingern betätigte Luan die Klingel. „Hey“, grüßte sie ein überschwänglicher Jules. Obwohl er eigentlich schüchtern war, schloss er sie in eine innige Umarmung. Luan konnte sein Parfüm riechen. Es war ein angenehmer Geruch. Erfrischen, anders und auf eine bestimmte Art und Weise sinnlich. „Der Duft passt zu ihm“, dachte sie. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. „Also ich habe einiges im Vorfeld gekauft, aber wenn etwas fehlen sollte, sag einfach Bescheid. Dann werde ich nochmals los gehen.“ „Ach was“, sie zwinkerte ihm zu. „Lass mal sehen. Was hast du denn alles?“ Jules zeigte ihr seinen Vorrat. Ihr imponierte das ziemlich. Fast kam es Luan so vor, als hätte er für ein Vier-Gänge-Menü eingekauft. „Ui, sogar Wein“, sie pfiff. „Ja“, Jules grinste verlegen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nicht, dass du denkst ich will dich abfüllen. So einer bin ich nicht. Ich will nur, dass es dir an nichts fehlt.“ „Süß.“ Sie ging auf ihn zu und gab ihm einen Stups auf die Nase, was Jules überraschte. Dies erkannte Luan an seiner Reaktion, denn er wich kurz zurück. Sie entschieden sich zusammen für ein Gericht. Da sie ein Faible für italienische Küche hatten, gab es Parmesan-Risotto. Zufrieden beobachtete Luan, dass sich Jules allmählich in ihrer Gegenwart entspannte. Während der Reis vor sich ihn köchelte, öffnete er ihnen die Flasche Wein und schenkte jedem ein Glas ein. „Ganz ehrlich?“, Luan lachte bitter auf. „So sehr hat sich bisher noch kein Mann um mich bemüht.“ „Du machst Witze oder?“ Seine Augen weiteten sich. Luan schüttelte langsam den Kopf. „Nein.“ „Krass. Du bist eine unglaubliche Person und eine sehr attraktive Frau. Innerlich wie äußerlich.“ „Hm, das sahen viele nicht so.“ Vorsichtig rückte Jules zu ihr. „Die scheinen alle blind zu sein. Es gibt wenige Menschen, in deren Gegenwart ich mich so wohl fühle wie in deiner.“ Er stellte sein Glas ab und nahm Luans Hand. „Ich komme mir gerade schlecht vor.“ „Wieso?“, sie sah ihn an. „Na, wegen dem, was ich dir mitteilen möchte.“ „Oh man. Ich glaube eher weniger, dass du meine Ex Freunde übertreffen kannst. Schlimmer geht es kaum.“ Jules schluckte. „Hey“, Luans Stimme wurde sanfter. „Ich rechne es dir hoch an, dass du mich so frühzeitig einweihen möchtest. Du unterscheidest dich von dem Rest, den ich bisher kennengelernt habe. Egal was es ist. Ich mag dich und zwar so wie du bist.“ Diese Worte schienen Jules Mut zu machen. Sein Blick wurde fester. Er holte tief Luft. Schließlich begann er. Aufmerksam lauschte Luan seinen Worten. Jules erzählte ihr von einer Person, die er nie gewesen war, in deren Rolle er jedoch gedrängt wurde. Von seiner angeblichen Abnormalität. Sei es seine Hormonstörung oder die Sache, die seine wahre Identität betraf. Er schilderte ihr seine erste Operation und die Glücksgefühle, die er hatte nachdem er zum ersten Mal in den Spiegel sah. „Ich bin trans, Luan. Bestimmt hast du davon schon mal gehört. Ja, mein Körper sah mal anders aus. Aber ich bin ein Mann. Auch wenn ich mich etwas von denen unterscheide, die du kennst. Ich bin es gewohnt, abgelehnt zu werden. Viele können damit nicht umgehen oder ekeln sich gar vor mir. Ich bin kein Monster. Selbst wenn dies manche behaupten. Transidentität ist etwas völlig normales. Ich stehe zu mir, denn das bin eben ich. Und man selbst zu sein, sollte nichts Außergewöhnliches darstellen.“ Seine Hand ließ von Luans ab. Lange Zeit wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Sie musste die Worte erst verdauen und im Kopf rekapitulieren. Klar, wusste sie was Transgender sind. Bisher hatte Luan aber noch keinen kennengelernt. „Im Endeffekt ist er einfach Jules“, sprach ihre innere Stimme es aus. Luan hatte so viele Lügner und Betrüger getroffen. Warum sollte sie nicht einen neuen Schritt wagen? Obwohl ihre Eltern ziemliche Hinterwäldler waren, folgte Luan alles andere als einen eingeschränkten so wie vorgegebenen Weg. „Darf ich es sehen?“, entfuhr es ihr. Sofort schämte sie sich und schlug eine Hand vor den Mund. Jules lächelte nur. „Ich habe damit gerechnet, dass du das sagst. Ja, darfst du.“ Sie sah ihm zu, wie er das T-Shirt über den Kopf streifte und somit seinen Oberkörper freilegte. Seine Muskeln waren zart aber dennoch sichtbar. Luan beeindruckte dies sichtlich. So sehr, dass sie fast nicht die zwei länglichen Narben unter seinen Brüsten bemerkte. Diese zeugten von einem operativen Eingriff. Jener Anblick widerte sie nicht an. Eher war sie fasziniert von Jules Aussehen. Ihre Fingerspitzen berührten ihn wie von selbst. „Du bist wunderschön“, offenbarte sie ihm. Schier regungslos saß Jules da. Sein Mund öffnete sich, allerdings entkamen ihm keinerlei Worte. „I-ich“, stotterte Jules. „Nein, ich scherze keineswegs“, erriet Luan seine Gedankengänge. Für sie war er perfekt. „Dein Körper zeugt davon, dass du dir stets treu geblieben und deinen Weg gegangen bist. Ganz gleich, wie andere dich auch beurteilen.“ Sie rückte nun ebenfalls näher zu ihm. Ihre Gesichter berührten fast das des jeweils anderen. Letztendlich geschah es. Luan küsste Jules. Noch nie hatte sie die Initiative ergriffen. Aber bei ihm fühlte sie sich frei. Sie musste sich nicht länger verstellen. Vorsichtig knabberte Luan an seinen Lippen und genoss es. „Warte, ich-.“ „Entschuldige, ich war da wohl zu schnell“, bemerkte sie. Ein Zischen ertönte und Jules eilte zum Herd. „Puh, gerade noch rechtzeitig“, atmete er auf. „Du hast mich ganz schön aus dem Konzept gebracht.“ Damit deutete er auf den Reis hin, den sie vergessen hatten. Ihr war das ein wenig peinlich. Außerdem konnte Luan nicht verstehen, wieso sie dermaßen fasziniert von ihm war. Bis es ihr mit einem Mal dämmerte. Luans Ex-Freunde bekamen nie etwas gebacken. Im Gegensatz zu Jules, der alleine schon für sein wahres Ich kämpfen musste. Sie war neugierig und wollte mehr über das Thema an sich wissen. Jules stand ihr Rede und Antwort. Es beeindruckte sie, wie informiert er über gewisse Sachen war. Ebenso die geschlechtliche Vielfalt, die von der Gesellschaft gerne tot geschwiegen wurde. „An sich sind Körper völlig individuell. Leider schreibt dir die Gesellschaft bewusst eine Rolle zu. Du kannst dich sogar weder als Mann noch Frau identifizieren, als beides oder mehr. Und das ist völlig legitim. Nur du allein weißt, wer du bist.“ „Ich finde es ohnehin traurig, wie sehr man für bestimmte Sachen kämpfen muss. Was ist für manche Menschen so schlimm daran, man selbst zu sein?“ „Hmm, das frage ich mich ehrlich gesagt seit Jahren. Wahrscheinlich sollte man sich da nicht zu sehr nach der Gesellschaft richten sondern seinen Weg gehen.“ „Ja“, sie seufzte. „Was soll´s“, er zuckte mit den Schultern. „Ich wollte die Stimmung nicht runter ziehen.“ „Tust du nicht. Ich unterhalte mich gerne mit dir. Durch dich kann ich eine Menge lernen.“ Jules blinzelte und starrte verlegen zur Seite. „Du bist die erste Person, die das sagt.“ „Der Rest hat halt keine Ahnung“, resultierte Luan daraus. Sie widmeten sich wieder dem Risotto. Damit Jules nicht noch mehr Arbeit hatte, schlug sie vor einfach Eis vom Supermarkt zu holen. Erst wollte er dagegen halten, ließ sich dann aber auf ihren Vorschlag ein. Luan war ein harter Verhandlungsgegner. Bei allem was sie bisher erlebt hatte, verlor sie nie die Durchsetzungskraft. Ihm gefiel das. Luan schaffte es, Jules aus der Reserve zu locken und er gab ihr die Ruhe, die sie brauchte. Wie sie es empfand, war das ein ziemlicher Ausgleich. Obwohl sie abgelenkt waren, hatten sie Glück gehabt und der Risotto war überaus gelungen. Nach dem Essen blieb Luans Blick an Jules Spielen hängen. „Da wir letztens ja beim Thema Dead or Alive waren … ich sehe gerade, dass du es besitzt.“ Er lachte. „Willst du etwa eine Runde zocken? Ich warne dich, man nennt mich auch Meister des Controllers.“ „Pah“, Luan streckte ihm die Zunge raus. „Das musst du mir erst beweisen.“ „Gerne doch.“ Jules drückte ihr einen Controller in die Hand, legte das Spiel in seine Playstation ein und nahm den anderen Controller, der neben seiner Konsole lag. Als es zur Charakterwahl überging, musste Luan schmunzeln, denn sie wählte jene Figur aus, die Jules an sie erinnerte. „Hmm“, pfiff er. „Ich werde trotzdem keine Gnade walten lassen.“ „Sollst du auch nicht. Ich erwarte einen fairen Kampf“, sprach Luan. Die erste Runde begann. Obwohl sie ewig keine Beat em ups mehr gezockt hatte, fand sie schnell wieder rein. Leider verging die Zeit viel zu schnell. Jules erwähnte, dass er ihr noch viele Sachen erzählen wollte. „Das holen wir nach“, Luan beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Lippen. Kapitel 16: ------------ Er dachte noch lange an sie. Nie hätte Jules damit gerechnet, dass Luan ihn attraktiv finden könnte. Körperlich gesehen. Es schellte und er wusste sofort, wer da vor der Tür stand. „Na“, Jay umarmte ihn. „Du siehst glücklich aus. Mir scheint, dass euer Date ein Volltreffer war.“ „Kann man so sagen.“ Jules weihte ihn ein. „Mir kommt das alles wie ein Traum vor. Sie findet mich schön. Ausgerechnet mich?“ „Mensch, freue dich doch mal darüber. Sie mag dich eben als Person.“ „Hm“, machte er und sah betreten gen Boden. „Wie war es bei dir?“ „Du lenkst gerne ab, kann das sein?“ Jay kniff ihm in die Wange. „Na ja, es ging. Tony wird immer unerträglicher. Ich versuche ihn einfach zu ignorieren, aber das ist leider alles andere als leicht.“ „Ärmster“, er schmiegte sich an den Schwarzhaarigen. „Ich muss ihr noch so vieles sagen. Auch das mit uns. Ich will Luan nicht belügen. Sie hat schon viele Enttäuschungen erleben müssen. Ich will nicht eine Weitere sein.“ Jay verstand ihn. Ihre Beziehung war kompliziert und nun kam Luan praktisch dazu. Allerdings gönnte er Jules dieses Glück von Herzen. „Du solltest jedoch nichts überstürzen“, wand Jay ein. „Das ist mir bewusst“, Jules stöhnte. Sein Smartphone vibrierte. „Ich bin zuhause angekommen. Siehst du? Ich kann gut auf mich aufpassen. Auch wenn mir mein Retter gefehlt hat. Übrigens habe ich morgen vor in die Mensa zu gehen. Kommst du mit?“ „Na los, sag zu“, drängte Jay. Er grinste breit. „Du bist schlimm“, der Blonde verdrehte die Augen. An sich war das die Gelegenheit, die beiden miteinander bekannt zu machen. „Wann hast du morgen deine Vorlesungen ?“ „Hä?“, Jay stand auf den Schlauch. Doch Jules verschwörerisches Lächeln, machte ihm bewusst, was er vor hatte. „Und du denkst das ist eine gute Idee?“ „Irgendwann solltet ihr euch kennenlernen. Ich meine, wir müssen sie ja nicht gleich damit überfallen, was wir für eine Art Beziehung wir führen.“ „Stimmt auch wieder. Ich habe morgen nur um fünfzehn Uhr eine Veranstaltung. Ansonsten bin ich da frei.“ „Sehr schön. Ich habe meine Vorlesung von zehn bis zwölf.“ Er fragte Luan ob sie gegen dreizehn Uhr Zeit hätte. Wenig später kam ihre Zusage. „Hoffentlich verstehen sich die beiden.“ Ihn beruhigte es, dass Jay versprach sich zu benehmen und nicht von selbst auf das Thema einzugehen. Er sah zu ihm. Völlig weg getreten lag Jay auf Jules Bett. Leise Atemgeräusche kamen aus seinem Mund. Er schlief. Was auch immer er erlebt hatte, es schien ihn sichtlich auszulaugen. Jules befreite ihn von den Schuhen und schob ihn sanft auf die Matratze. Glücklicherweise weckte ihn das nicht, denn Jay hatte einen festen Schlaf. „Wenn möchtest du mir eigentlich da genau vorstellen?“, blinkte eine weitere Nachricht von Luan auf. „Wirst du dann sehen. Ich freue mich jedenfalls auf dich“, war alles, was er zurück schrieb. Jules streckte sich und ging in die Küche. Dort traf er auf Sascha, der sich gerade sein Abendessen zubereitete. „Hey, super, dass du da bist“, sagte Jules. „Hast du kurz Zeit für mich?“ „Ähm, klar“, sein Mitbewohner nickte. „Worum geht es?“ An sich hasste Jules es, eine Person um etwas zu bitten. Wenn es um Jay ging, überwand er sich jedoch. „Okay, also du möchtest gerne, dass dein Kumpel bei uns wohnt? Und es macht dir nichts aus, dein Zimmer mit ihm zu teilen? So hast du weitaus weniger Privatsphäre.“ „Das stellt kein Problem für mich dar. Wir beide sind oft unterwegs. Alleine schon wegen der Uni. Zudem ist es ja kein Dauerzustand.“ Sascha zog eine Augenbraue empor. „Ich meine, wenn wir tatsächlich eine WG zusammen nehmen, werde ich für Ersatz sorgen.“ „Tja, ich habe mir gedacht, dass du früher oder später weg ziehen wirst. Gemeinsam mit ihm.“ „Ich“, Jules geriet ins Stocken. „Ich bin nicht dumm. Was zwischen euch beiden läuft ist mir reicht schnell aufgefallen.“ Als ihm Sascha dies gestand, begann sein Gesicht zu glühen. „Hey, ganz ruhig“, sein Mitbewohner setzte einen freundlichen Gesichtsausdruck auf. „Ich lebe nicht im Mittelalter. Im Gegensatz zu anderen. Daher hast du nichts zu befürchten.“ Ein wenig schämte sich Jules dafür, Sascha manchmal als nervig bezeichnet zu haben. Er war an sich ein ziemlich korrekter Typ. „Von mir aus kann dein Freund bei uns wohnen, so lange er sich an die Hausregeln hält und die Miete durch drei geteilt wird. Wir müssen allerdings noch den Vermieter informieren, wenn es so weit ist und ihn offiziell als Untermieter anmelden.“ „Ich danke dir“, rief Jules begeistert aus und fiel ihm stürmisch um den Hals. „Kein Ding“, sprach ein überrumpelter Sascha. Mindestens kannte Jules doch ein paar Personen, die in Ordnung waren. Und das in dieser Stadt, was einem wahren Wunder glich. Sascha war einer der ersten Menschen gewesen, die von seiner Transidentität erfahren hatten. Trotzdem hatte er ihn als Mitbewohner akzeptiert und sich letztendlich für ihn entschieden. Eines Tages würde er sich dafür revanchieren. „Gut, ich lasse dich jetzt mal mit deinem Essen allein“, äußerte Jules, holte eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und ging. Die Schnarchnase war aufgewacht und sah ihm aus müden Augen entgegen. „Ich habe gute Neuigkeiten“, plauderte Jules. Er setzte sich zu Jay aufs Bett und teilte ihm Saschas Entschluss mit. „Jetzt müssen wir nur einen neuen Mitbewohner für Tony finden. Danach kannst du hier einziehen.“ „Hoffentlich geht das alles reibungslos über die Bühne“, brummte Jay. „Was das angeht ist Tony nämlich eigen.“ „Ach, keine Sorge. Ich helfe dir!“ „Du bist zu gut für diese Welt“, er lachte. Seine Hände schlangen sich um Jules Taille und bestimmend zog ihn Jay auf die Matratze. Jules liebte seinen festen Griff, der ihn vor dieser Welt beschützte. Wie etwa just in diesem Moment. Sie machten nicht mehr viel. Früh schlafen zu gehen war eine Alternative, die sowohl Jules wie auch Jay begrüßte. Morgens weckte er ihn. Sie entschieden außerhalb zu frühstücken. Nichts großes, alles was sie wollten war das herrliche Wetter zu genießen und die Ruhe vor der Nervensäge Flo. Danach musste Jules in die Vorlesung. Jay nutzte die Zeit währenddessen zum Basketball spielen. „Ob Flo ihn in Ruhe lässt?“, dachte er. Die Minuten vergingen wie im Flug. Obwohl er erst Zweifel hegte, wartete Jay vor dem Vorlesesaal auf ihn als er aus diesen heraus trat. Sein Herz schlug schneller. Gleichwohl umarmte Jules ihn nicht. „Zum Glück kommt Flo heute später“, raunte ihm Jay zu. Ein paar Blicke folgten ihnen. Jules waren diese Personen bereits bekannt. Da Flo in der Fußballmannschaft ihrer Universität spielte, war er überaus beliebt. Daher hatte sich schnell herum gesprochen, was er von Jules hielt. „Ich habe gehört, dass er sich prostituiert haben soll um an die Operation und die Hormone zu kommen“, tuschelte eines der Mädchen. „Er? Du meinst es oder?“ „Du hast recht, das trifft es eher“, sie lachte gehässig. „Bestimmt verkauft es sich immer noch, gibt doch genug Fetischisten“, mischte nun ein Kerl mit. „Lass gut sein“, meinte Jules. Ihm war nicht unentdeckt geblieben, dass Jay gegen seine aufsteigende Wut ankämpfte. Endlich entkamen sie der lästernden Meute. Sie warteten im Eingangsbereich der Mensa. Und siehe da, Luan kam auf die Minute genau. Heute trug sie einen sportlichen Look, der ihr ausgezeichnet stand. „Jules“, schrie Luan freudig und zog ihn zu sich. Jay stand daneben, erstaunt über ihre überschwängliche Reaktion. „Ähm“, Jules wand sich aus Luans Umarmung. „Ich wollte dir einen Freund von mir vorstellen. Das ist Jay. Wir haben uns hier an der Uni kennengelernt.“ „Freut mich“, sie reichte ihm die Hand. „Ich bin Luan.“ „Mich ebenso. Jules hat mir bereits eine Menge von dir erzählt“, eröffnete Jay ihr. „Ich hoffe doch nur Gutes.“ „Das sowieso“, sprach sein Partner schnell aus. Jules war ihm dankbar dafür. Die drei holten sich ihr Essen. Relativ zügig entschieden sie sich geschlossen für die Spagetti mit Bolognesesoße. In der hintersten Reihe waren noch genügend Sitze verfügbar, also nahmen sie dort an einem Vierer-Tisch platz. Jay erkannte Luans Strahlen, wann immer sie in Jules Richtung sah. Sie schien ihm nahezu verfallen zu sein. Jay würde jedoch lügen, wenn er behauptete, dass Luan nicht sein Interesse geweckt hatte. Gedanklich triefte er ab. „Und was ist deine Meinung dazu?“ „Äh, wie bitte?“, krächzte Jay. „Ob du Luan und mich später begleiten willst. Sie kennt sich in Kassel nicht so gut aus. Wir könnten ihr ein wenig die Stadt zeigen.“ „Von mir aus gerne. Allerdings habe ich noch eine Veranstaltung von fünfzehn bis siebzehn Uhr.“ „Macht nichts. Jules und ich warten auf dich.“ „Wie ihr wollt. Ihr könnt mich am Campus Center abholen vor dem Raum 1102. Ist an sich ganz einfach zu finden und Jules müsste auch wissen, wo der ist.“ Es war wahrscheinlich gut so, dass sie Zeit für sich hatten. Jay fühlte sich schlecht, dadurch dass er den Blick nicht von Luan wenden konnte. Sie begleiteten ihn noch ein Stück. Bevor Jay sich verabschieden konnte, hielt ihn Flo auf. Misstrauisch beäugte dieser Jules. Als ihm jedoch Luan auffiel, überspielte er seine Abneigung Jules gegenüber mit gekünstelter Freundlichkeit. „Oh, eine Freundin von dir, Jay?“, er nickte ihr verschwörerisch zu. „Das wird sich herausstellen“, offenbarte ihnen Luan. „In erster Linie bin ich aber mit Jules befreundet.“ Sie beließ es dabei. Ihr Gespür verriet ihr, dass Flo kein angenehmer Mensch war. Jay nickte ihnen zu. Das nannte man wohl einen starken Abgang. Luan legte noch einen drauf, indem sie Jules Hand umfasste. Sehr zur Verärgerung von Flo. „Sie ist der Wahnsinn“, dachte Jay ohne es auszusprechen. Kapitel 17: ------------ „Was für ein überheblicher Kerl“, Luan runzelte genervt die Stirn. „Du meinst Flo oder?“, hackte Jules nach. „Natürlich. Hast du gemerkt, dass er mich sofort angebaggert hat? Dabei ist er überhaupt nicht mein Typ.“ „So ist er halt. Einfach ignorieren.“ „Das fällt mir schwer bei solch aufgeblasenen Wichtigtuern.“ „Ich kann dich da absolut verstehen, aber ich kenne ihn länger. Man sollte ihm nicht noch großartig Beachtung entgegen bringen.“ Sie ließ sich auf einer Bank nieder. „Möchtest du etwas vom Kiosk haben? Kaffee? Cola? Was auch immer es ist, ich gebe es dir aus.“ „Da nehme ich doch glatt eine Hinfahrt zum Mond ohne Rückflug für diesen Flo.“ „Damit kann ich leider nicht dienen“, Jules lächelte schwach. „Kaffee“, antwortete sie. „Alles klar. Ich bin gleich wieder bei dir.“ „Bis gleich.“ Er beeilte sich. Ein wenig ärgerte sich Jules über Flo. Man konnte ihn jedoch nicht ändern. Zudem war es doch klar, dass er eine Schönheit wie Luan bezirzen wollte. „Dein Kaffee“, er reichte ihr einen Pappbecher. „Merci“, Luan versuchte ein fröhlicheres Gesicht zu ziehen. Um sie aufzumuntern wechselte Jules das Thema. Nichtsdestotrotz ließ sie diese Sache nicht los. „Jules“, flüsterte Luan. „Ja?“ „Es fällt dir bestimmt schwer darüber zu sprechen, aber was ist da genau zwischen Flo und dir? Er scheint dich ja regelrecht zu hassen.“ Abwiegend wie er beginnen sollte, schwieg er bis er sich gesammelt hatte. „Zuerst war er an sich ganz okay zu mir. Das war wo er dachte ich sei eine cis Frau“, bei ihr konnte Jules diese Wörter verwenden, da er Luan in die Materie bereits eingeführt hatte und sie recht schnell mit den dementsprechenden Begriffen zurecht kam. „Irgendwann begriff er, dass ich anders war. Mein Aussehen wandelte sich immer mehr zum Männlichen. Insbesondere durch die Hormone. Selbstverständlich entging Flo nicht, dass ich auf die Männertoilette ging. Zuerst meinte er, dass ich pervers sei. Ein Spanner oder Fetischist. Als ich ihm erklärte, dass ich trans bin war es völlig aus zwischen uns. Erst recht als er mitbekam, dass ich Kontakt zu Jay habe. Ich hatte Flo einige Zeit vor ihm kennengelernt.“ „Lass mich raten“, sie vollführte eine galante Handbewegung. „Flo will euren Kontakt unterbinden?“ „Ganz genau“, lautete die ernüchternde Antwort. „Er meint, ich sei eine Abart der Natur und tue Jay nicht gut. Zusätzlich zu den homophoben Witzen, die er über mich reißt.“ „Ekelhaft“, resümierte Luan. „Ich hasse solche Menschen. Das geht ihn doch absolut nichts an!“ „Du bist die Beste“, er schmunzelte. Durch sie vergaß er, dass ihn Flo nicht nur einmal gedroht hatte. Mittlerweile war Jules es leid. Tief in seinem Inneren spürte er aber, dass die Sache nochmals ausarten würde. Luan lehnte sich an ihn. „Vergiss diesen Sparten“, sprach sie. „Ich versuche es“, Jules seufzte auf. „Was hältst du eigentlich von Jay?“ „Hmm“, Luan nippte an ihrem Pappbecher. „Vom ersten Eindruck her nett. Andererseits habe ich eine gewisse Unruhe bei ihm bemerkt.“ „So?“, Jules blinzelte. „Mir scheint als ob er sich eine Menge aus der Meinung anderer Leute macht.“ Sie hatte damit genau ins Schwarze getroffen. Ihre Menschenkenntnis war ausgesprochen gut. „Du wiederum scheinst einen positiven Einfluss auf ihn zu haben“, stellte Luan fest. „Ich will es hoffen.“ „Wie lange seid ihr schon befreundet?“ Bei dieser Frage ihrerseits, hielt er inne. Es waren jetzt über zwei Jahre, in denen jedoch viel passiert war. In diese Erlebnisse konnte er sie aber noch nicht einweihen. „Eine lange Zeit“, Luan pfiff als Jules ihr antwortete. „Merkt man aber auch.“ „Um ehrlich zu sein ist Jay mein einziger Freund. Jedenfalls hier an der Uni. Flo ist nicht gänzlich unschuldig an dieser Situation.“ „Du hast etwas vergessen“, Luan zwinkerte. „Ich studiere schließlich ebenso an dieser Uni und ich zähle dich längst zu meinen Freunden dazu.“ „Danke“, ein wenig war es ihm peinlich, dass sie ihn da zuvor gekommen war. „Pff, das nehme ich dir jetzt übel.“ Sie spielte die Beleidigte. Bei Luan erkannte er allerdings sofort, dass dies ein Spaß war. In jener Sache unterschied sie sich stark von Jay, der manchmal einem versiegeltem Buch glich „Entschuldige, ich habe mit meinen Mitmenschen nicht sonderlich gute Erfahrungen gemacht“, erklärte Jules. „Kein Ding“, zeigte sie sich verständnisvoll. „Mir geht es da ähnlich. Bei dir habe ich dennoch ein gutes Gefühl.“ Ihr Kuss kam Jules wieder in den Sinn. Luan war die erste Frau, die ihn auf diese Art und Weise behandelte. Teils musste Jules das erst einmal realisieren. Normalerweise nutzten die meisten Frauen, die er bisher getroffen hatte, ihn eher dafür aus um an Jay heran zu kommen. An ihn selbst entwickelten oftmals skurrile Leute Interesse, die sich nicht selten in Fetischkreisen bewegten. Und wenn Jules etwas hasste, dann fetischisiert zu werden. Solche Personen sahen ihn nicht einmal als Menschen an sondern viel mehr als obskures Objekt ihrer Begierde. Die Erinnerungen daran wollte Jules am liebsten verdrängen. „Kommst du kurz mit?“ Luan hatte ihn ins Hier und jetzt zurück geholt. „Ich muss in die Bibliothek. Unser Dozent hat uns heute die Bücherliste gegeben. Da wollte ich nachschauen ob einige der Literaturvorschläge eventuell zu bekommen sind.“ „Na, worauf wartest du noch?“, Jules sprang dankbar darüber, dass sie ihn aus seiner Misere befreit hatte auf. „Lass uns gehen.“ Die Universitätsbibliothek strahlte eine ungemeine Ruhe aus. Flo mied diesen Ort. Das wusste Jules von Jay, den man zum Besuch der Bibliothek ebenfalls überreden musste. Er allerdings mochte die Stille und Arbeitsatmosphäre dort. Früher war er Flo so aus dem Weg gegangen. „Weißt du, wo ich die finden könnte?“, Luan hielt ihm ihre Liste unter die Nase. „Mal schauen“, Jules ging die einzelnen Titel durch. Auch wenn sie die Bibliothek mittlerweile umgebaut hatten, fand er sich recht schnell zurecht und konnte Luan behilflich sein. „Du bist ein Schatz“, lobte sie Jules Leistung. Sie hatten fast die Uhrzeit außer Acht gelassen. Er schnappte sich den Stapel Bücher. „Nicht, dass Jay denkt wir hätten ihn vergessen“, bemerkte Jules. „Soll ich dir nichts abnehmen?“ Sie eilte hinter ihm her. „Quatsch. Alles gut“, dementierte er. „Hey, wenn wir beim Thema Gleichberechtigung sind“, Luan ließ sich nicht abwimmeln und griff ihm ein paar Exemplare weg. „Wenn schon dann richtig.“ „Du bist schlimm.“ „Nö“, Luan grinste. „Ich weiß nur, was ich will.“ „Ich weiß und zugegeben beeindruckt mich das.“ Sie kamen rechtzeitig an. Sogar noch einige Minuten, bevor Jays Dozent das Seminar beendete. Als die Schar letztendlich durch die Tür hinaus in die Freiheit stürmte, konnte er die Erleichterung in den Augen seines Freundes erkennen. „Geschafft“, äußerte Jay seine Freude. „Ihr wart fleißig, wie ich sehe?“ Er deutete auf die Bücher. „Ja, Dank Jules konnte ich endlich ein paar Sachen erledigen.“ „Er kann eben ein echter Motivator sein“, Jay lächelte ihm zu. „Ihr übertreibt“, meinte Jules. Er wollte ihnen ein wenig Raum einräumen, sich kennenlernen und trat daher ein paar Schritte zurück. Sein Wunsch war es, dass sich die beiden verstanden. Immerhin waren sie ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. Eine Hand legte sich auf Jules Schulter. Er wand sich hastig um und blickte direkt in Flos Gesicht, das vor Abneigung ihm gegenüber geradezu einer verzerrten Fratze glich. „Das könnte dir so passen, nicht wahr?“, zischte er. „Ich habe keine Ahnung auf was du genau hinaus willst.“ „Spiele nicht den Unwissenden! Ich rede von ihr. Weiß sie von deiner Abnormalität? Bestimmt verschweigst du es nur um sie hinters Licht zu führen“, unterstellte ihm Flo. „Zu deiner Information“, Jules schnaufte. „Luan ist meine Transidentität vollkommen gleichgültig. Nicht jeder ist so oberflächlich wie du, Flo.“ Sein Atem wurde schneller. Innerlich genoss Jules diesen Moment. Es kam selten vor, dass er über ihn triumphierte. „Denke bloß nicht, dass es das gewesen war“, drohte ihm Flo. „Noch fühlst du dich sicher, was wahrscheinlich an deinem Bodyguard liegt. Aber glaube mir … so bald du alleine bist, wirst du dein blaues Wunder erleben.“ Ein fieses Grinsen zeigte sich auf seinen Lippen. Er wurde von purem Hass dominiert, wie Jules geschockt feststellte. Zu Beginn seines Studium war dies ganz anders gewesen. Flo hatte ihm sogar in dem ein oder anderen Bereich geholfen. Umgedreht genauso. Dies lag jedoch lange hinter ihnen. Seitdem Jules offen als Mann auftrat, bekam er seine Abneigung stets zu spüren. Besonders schlimm wurde es mit der ersten Operation. Und nun standen sie hier. „Warum hasst du mich eigentlich so?“, fragte Jules. Flo wich zurück, überrascht von seiner Erkundigung. „Alles klar bei dir?“, Luan trat nun auf sie zu. Kapitel 18: ------------ Flo schüttelte abwertend den Kopf. „Wir sehen uns“, flüsterte er Jules zu und verschwand folglich. „Was war da los?“, Jay kam zu ihnen und blickte seinen Partner gespannt an. „Vergesst ihn. Er wollte sich nur wichtig machen.“ „Hm“, Jay schien weniger überzeugt zu sein von Jules Aussage. Luan, die seinen Unmut bemerkte, griff ein. „Wir wollten doch in die Stadt. Schon vergessen? Lassen wir uns von Flo nicht die Laune verderben.“ Rasch hackte sie sich bei beiden unter. Sie hatte wahrlich das Talent andere mitzureißen. Sogar Jay verspürte keine Einwände, sondern ließ sich von Luan führen. Ansonsten gab er nie die Kontrolle ab, doch bei ihr fiel es ihm leichter sich fallen zu lassen. Wie Jules überrascht feststellte. Sie zeigten ihr das Einkaufscenter und den Gamer Shop. Dort war Luan sofort in ihrem Element. Ihr dabei zu zuschauen, wie vertieft sie war, die Regale mit den verschiedenen Spieltiteln zu durchstöbern, stimmte ihn glücklich. „Und wie findest du sie?“ Jules deutete in Luans Richtung. „Dumme Frage“, Jay seufzte auf. „Natürlich gefällt sie mir. Und wie mir scheint, hält sie große Stücke auf dich.“ Der Blonde ließ seinen Blick schweifen. „Ich habe sie den ersten Abend, an dem ich sie sah, beschützt, weißt du“, weihte er Jay ein. „Damals wurde sie von aufdringlichen Kerlen angemacht.“ „Ich denke, es liegt weniger daran als viel mehr an deiner Person. Luan mag dich. Du hast es ihr angetan und ich kann das absolut verstehen.“ Sofort verfärbten sich Jules Wangen. Jay wusste, dass dies ein Zeichen seiner Unsicherheit war und er fand es überaus anziehend. Am liebsten hätte er ihn geküsst. Doch Luan wusste nicht über die beiden Bescheid. So wie Jay sie einschätzte, würde ihre Art der Beziehung sie keineswegs vergraulen. Klar, geschockt wäre sie im ersten Moment bestimmt. Aber wer wäre das denn nicht? Jay räusperte sich geräuschvoll. „Da Luan gerade so vertieft ist, nutze ich die Gelegenheit um dich zu fragen, was Flo genau von dir wollte.“ „Was denkst du denn?“, Jules lachte verächtlich auf. „Mir meine Position klar machen. Sein Hass mir gegenüber hat ein völlig neues Level erreicht. Ich denke es liegt an der Tatsache, dass er jemanden wie mir kein Glück gönnt.“ „Luan betreffend?“ „Ganz genau.“ „Ich hänge ja bereits an dir, seinem wohl möglich besten Freund. So sieht er es jedenfalls. Er hat mir zwar keine Antwort gegeben aber ich kann mir gut vorstellen, was in Flos Kopf vorgeht.“ Sie hatten sich bei einer Einführungsveranstaltung kennengelernt. Jules war noch gut im Gedächtnis geblieben, wie freundlich Flo zu ihm gewesen war. „Bestimmt fühlt er sich von mir betrogen. Er drückt doch sehr oft aus, dass ich Abschaum für ihn bin.“ Jay schwieg. Es war neu für ihn, dass sie so offen über Flo sprachen. Zu verdanken hatten sie dies zum größten Teil Luan. Jules konnte im Gegensatz zu Jay öfter über unliebsame Themen sprechen, aber die Sache mit Flo verdrängten sie beide gleichermaßen. „Ich habe echt Angst, dass er irgendeine Dummheit macht“, gestand ihm Jay plötzlich. „Mach dir bitte keine Sorgen“, winkte Jules ab. „Ich werde damit fertig, versprochen. So leicht kriegt man mich nicht klein.“ „Du bist mir eben wichtig. Wenn dir etwas passieren sollte.“ Er brach ab, denn Luan kam wieder zu ihnen. „Schade, ich hätte gerne erfahren, was Jay mir sagen wollte“, dachte Jules. „Hast du etwas gefunden?“, der Schwarzhaarige lächelte. „Zu viel“, grummelte sie. „Nichtsdestotrotz muss ich auf mein Budget achten und außerdem wollte ich euch noch auf ein Eis einladen.“ „Wieso denn das?“ „Weil ihr den Tag mit mir verbringt.“ „Jetzt hör mal“, Jay rollte mit den Augen. „Das ist doch selbstverständlich.“ „Bisher seit ihr die nettesten Menschen hier, die ich getroffen habe“, lautete Luans Geständnis. Peinlich berührt schwiegen sie. „Das ist aber kein Grund so eine Miene zu ziehen. Was kann man sich in Kassel denn noch anschauen, was man unbedingt kennen sollte?“ „Da wäre die Aue und der Herkules sowie der Bergpark. Die beiden Letzteren sind jedoch ein wenig außerhalb. Die Aue allerdings ist in der Nähe.“ „Klingt super, also das mit der Aue. Gehen wir dahin?“ Ihre Augen leuchteten auf. Die zwei konnten Luan diesen Wunsch nicht abschlagen. Das Wetter spielte mit und die Sonne trug ihr Übriges dazu bei. Sie ließen ihre Jacken fallen, breiteten diese aus und setzten sich. Luan kicherte. „Hm?“, machten Jules so wie Jay gleichermaßen. „Ich habe mich nur gerade erinnert, dass Jules mir diesen Park bereits gezeigt hat. Damals sind wir von einer anderen Seite gekommen.“ „Und das sagst du mir nicht?“, brummte Jay seinem Partner zu. „Tja“, Jules zuckte amüsiert mit den Schultern. „Der Park lohnt sich immer und da Luan ein paar Stellen noch nicht kennt, habe ich auch nichts gegen deinen Vorschlag gesagt.“ „Pah“, kam es von seinem Gegenpart. „Ihr seid schon lustig“, bemerkte Luan, die das Ganze beobachtete. „Obwohl ihr euch gerne in die Haare bekommt, gleicht ihr einem wahren Dream Team.“ „Findest du?“ „Absolut! Ich kann mir gut vorstellen, dass Jules dich niemals im Stich lassen würde. Umgedreht ist das sicher genauso der Fall.“ Sie starrte verträumt zum Himmel. „Ich beneide euch. Meine Freunde sehe ich nur alle paar Jubel Jahre.“ „Du vermisst sie, nicht wahr?“ „Ohne Frage! Meinen Heimatort vermisse ich kein bisschen. Am liebsten hätte ich meine Freunde einfach mit hier her gebracht, aber unsere Wege haben sich in alle Richtungen zerschlagen. Gut, dass wir über soziale Medien den Kontakt halten können. Eventuell werde ich sie in den Semesterferien besuchen fahren. Wenn ihr wollt, könnt ihr gerne mitkommen. Sie sind, was neue Menschen angeht, ziemlich offen und dann seht ihr auch mal etwas anderes als immer nur Kassel.“ Jay und Jules tauschten Blicke miteinander aus. Die Mimik von ihm, verriet Jules, dass Jay nichts dagegen auszusetzen hatte. „Von meiner Seite aus, gerne“ „Ja, wenn wir dich nicht nerven, kommen wir auf jeden Fall mit“, fügte Jay an. „Super. Mindestens sehen sie, dass ich kein hoffnungsloser Fall bin. Immerhin habe ich ja doch noch zwei nette Menschen kennengelernt.“ Sie lächelte verlegen. „Diese Stadt ist eben recht eigen. Daher glaube ich weniger, dass es an dir liegt.“ „Sehe ich ebenso“, stimmte Jay seinem Partner zu. „Das ist mir schon aufgefallen: aber mein Studium werde ich durchziehen. So viel steht fest.“ Ihr Ehrgeiz beeindruckte sie. „Und bei euch?“ Luan sprach auf ihre Zukunftspläne an. An sich war ihr weiteres Leben eine leere Leinwand. „Nun“, begann Jules. „Ich will meinen Bachelor absolvieren und danach werde ich von Kassel fortziehen, wenn alles klappt .“ Er besah Jay, der seinen Blick erwiderte. „Bei mir ist es ähnlich. Außerdem“, während er pausierte, betrachtete er Jules. „Werde ich Jules höchstwahrscheinlich folgen, vorausgesetzt er möchte dies.“ Das Strahlen des Blonden könnte kein eindeutigerer Beweis sein. „Na“, Luan lachte. „Wer weiß, wenn wir drei uns weiterhin so gut verstehen, folge ich euch vielleicht ebenso.“ Die Vorstellung mit beiden ein neues Leben zu starten, klang wie ein erstrebenswertes Ziel für Jules. „Wer hätte gedacht, dass sie uns so gut ergänzt?“, fragte er sich still. Luan erzählte ihnen einige Sachen aus ihrer Vergangenheit. Aus ihren Überlieferungen, wurde ihm deutlich bewusst, weshalb sie aus ihrem Heimatort geflohen war. Zum einen war da Luans Familie, die gegen den Lebensstil ihrer eigenen Tochter agierten und zum anderen die Erfahrungen, die sie dort gesammelt hatte. „Ich musste einfach neu anfangen“, resultierte sie. „An sich habe ich das kaum jemanden erzählt. Hier werdet ihr wohl die Einzigen bleiben, ansonsten wissen es nur die engsten Freunde von mir.“ „Wir werden es niemanden weiter erzählen. Darauf geben wir dir unser Wort“, versprach Jules ihr. „Ich danke euch. Bei dir habe ich ohnehin ein gutes Gefühl. Und da du Jay bedingungslos vertraust, bin ich mir sicher, dass ich das auch kann.“ Damit fuhr Luan fort. Kapitel 19: ------------ Ihr früherer Werdegang bestand aus zahlreichen Enttäuschungen. Angefangen bei falschen Freunden bis hin zu Ex Partnern, die Luans Gutmütigkeit schamlos ausnutzten. „Von den finanziellen Verlusten mal abgesehen … am schlimmsten waren die Demütigungen, besonders von meinem letzten Freund. Er war praktisch die Krönung des Eisbergs gewesen. Anfangs blendete er mich und ich verfiel ihn komplett. Ich dachte, dass ich mit ihm aus meiner Heimat ausbrechen könnte. Aber er war alles andere als mein Hoffnungsschimmer. Ich will jetzt nicht sämtliche Ereignisse mit ihm ausführen. Es endete jedenfalls unschön zwischen uns beiden.“ Sie lehnte sich an Jules. Man merkte, dass Luan gerade nach den richtigen Worten suchte. „Ich weiß, dass es dir wohl möglich unangenehm ist, aber hat er dich geschlagen?“ Sofort bemerkte Jay seine Direktheit. Er entschuldigte sich, doch Luan schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, es ist okay. Denn du hast recht. Er hat mich geschlagen. Zuerst hat er mich emotional von ihm abhängig gemacht. Er hätte mir erzählen können, dass er einen Oscar gewinnt und ich hätte es wahrscheinlich noch geglaubt. Mit der Zeit wurde er zunehmend aggressiver mir gegenüber. Wenn ich mal mit Freunden unterwegs war, verlangte er von mir eine Rückmeldung. Tat ich dies nicht, hielt er mir eine Standpredigt. Sein Tonfall änderte sich ebenfalls. Zu Beginn unserer Beziehung war er stets liebevoll gewesen. Irgendwann erkannte ich, dass dies nur eine Art Maske von ihm war. Er schrie mich an, wenn ich seiner Meinung nach zu lange weg blieb. Schließlich blieb es nicht nur dabei.“ Luan offenbarte ihnen, dass er sie grober anfasste, was ihr bei ihrer Entscheidung half, diese Beziehung zu beenden. Er akzeptierte dies jedoch nicht. Also begann er sie zu stalken. Plötzlich war Luan nirgendwo mehr sicher. Da sie über eine taffe Persönlichkeit verfügte, machte sie ihm eine klare Ansage. Genau das stellte sich als Fehler heraus. Er lauerte ihr bei einer Freundin auf. Zuerst schrie er auf Luan ein. Was ihr nur einfiele, ausgerechnet ihn zu verlassen. Er könne ihr ja so vieles bieten. Luan blieb bei ihrem Entschluss, was ihn dazu veranlasste sie beim Hals zu packen. Ihre Freundin schritt sofort ein, doch er stieß sie beiseite. „Sie hatte einige Blessuren davon getragen. Ich wollte sie da nicht mit reinziehen, daher brüllte ich ihn an, sie da raus zu lassen. Er schmiss mich gen Boden und trat auf mich ein. Wir hatten Glück, dass die Nachbarn Wind von der Sache bekamen. Sie schalteten die Polizei ein, die meinen Ex in Gewahrsam nahmen. Danach sah ich ihn nie wieder. Das war zudem der Startpunkt meines neuen Lebens und ich zog nach Kassel.“ „Da hast du echt einiges mit durchmachen müssen.“ „So ist das halt manchmal im Leben. Jedenfalls habe ich daraus gelernt, nicht mehr so leichtfertig mein Vertrauen zu verschenken. Bei euch ist das etwas anderes. Ihr seid die Ersten hier, mit denen ich überhaupt solche Gespräche führen kann.“ Jules Herz machte einen Sprung. Gerade nach jenem Geständnis von Luan, wuchs in ihm der Wunsch, ihr Besseres bieten zu können. Sie hatte vieles wegstecken müssen, da war ein wenig Glück nur fair. Diesbezüglich wuchs in ihm jedoch ebenso die Angst, Luan vor den Kopf zu stoßen wenn er sie über ihre Beziehung unterrichtete. „Jetzt wisst ihr es, ich hoffe aber dass dies nicht eure Meinung zu mir geändert oder beeinflusst hat.“ „Auf keinen Fall“, sprachen Jay und Jules wie aus einem Munde. Sie lachte auf. „Da bin ich ja beruhigt.“ Mit diesem Satz beendete sie das Thema. Jenen Tag kam er ihr näher. Mit einem Mal, begriff Jules, dass da plötzlich mehr als ein Mensch in dieser Stadt war, der ihn verstand. Er blühte regelrecht auf. Genauso wie Luan selbst. Es dauerte nicht lange und sie schloss auch Jay in ihr Herz. Zu mindestens auf freundschaftlicher Ebene. Flo bemerkte allmählich, dass sich dieser langsam von ihm löste. Er gab nicht mehr so viel auf seine Meinung, wie zu Beginn ihrer Beziehung. Jules ahnte, dass er das nicht einfach hin nehmen würde. Für den Moment, ließ er dir drei hingegen in Ruhe. Sie trafen sich abwechselnd bei Luan oder Jules. Sie half Jay sogar bei universitären Angelegenheiten. „Mensch, du kannst weitaus besser erklären als ich“, äußerte Jules anerkennend. Die beiden waren inmitten einer Aufgabe, an der Jay zuvor nahezu verzweifelt war. „Ach, was“, sie grinste. „Oftmals ist es gut, wenn man Aufgaben aus verschiedenen Perspektiven erklärt bekommt. Deine Methode ist bestimmt nicht schlecht. Es kommt nur auf den Menschen an, welche er besser aufnehmen kann.“ Er sah ihnen fasziniert zu. Sein Partner war wesentlich ruhiger geworden und sie suchten zu dritt einen neuen Mitbewohner für Tony. In der WG verbrachte Jay mittlerweile selten seine Zeit. Stattdessen schlief er bei Jules. Selbst seine Sachen deponierte er dort. Jules war froh, dass Sascha damit keinerlei Probleme hatte. Manche Abende saßen sie sogar zusammen in der Küche und unterhielten sich. „Siehst du“; Luan klatschte in die Hände. „Wenn du die Aufgaben auf diese Weise löst, kommst du leichter ans Ziel.“ „Wow, ich danke dir“, Jay war die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. „Nicht dafür. Ich muss leider los. Der Haushalt macht sich nicht von allein. Meldet euch wegen Morgen.“ Luan beugte sich vor und gab Jules einen Kuss auf die Stirn. Jay schenkte sie eine Umarmung. „Na, da ist dir aber jemand verfallen“, der Schwarzhaarige grinste ihn verstohlen an. „Ha ha. Dich mag sie doch auch.“ „Ja, dass verläuft aber eher auf platonischer Ebene. Von ihrer Seite aus jedenfalls. Hinzu kommt, dass ich dir nicht im Weg stehen will. Du musst halt den Sprung ins kalte Wasser wagen und ihr die Wahrheit sagen. Du kannst nur gewinnen, meiner Meinung nach.“ Jules wollte die Freundschaft zu Luan auf keinen Fall verlieren. Dafür war sie ihm zu viel Wert. Er musste das Ganze erst abwägen. „Und du?“, dabei betrachtete Jules gespannt seinen Freund. „Das mit ihr und dir wird nichts zwischen uns ändern. Ich respektiere es, falls sie ebenso mit dir zusammen sein will.“ Jules hatte beobachtet, dass Jay Interesse an ihr entwickelt hatte. Das verrieten unter anderem seine Blicke, die er ihr heimlich zuwarf, während sie gemeinsam lernten. „Oh“, Jay räusperte sich. „Mir hat gerade einer geschrieben, der das Zimmer anschauen will.“ Jules war bewusst, dass er damit ablenken wollte, dennoch war er dankbar, dass sie nicht weiter über Luan sprachen. „Das ist doch super.“ „Ja, er fragt ob er noch heute vorbei kommen kann. Das heißt, dass ich mich gleich auf den Weg machen sollte. Ansonsten meckert Tony wieder herum.“ Er stand auf. „Keine Sorge. Danach bin ich sofort bei dir“, Jay hob Jules Kopf an und küsste ihn zärtlich. „Bis später und macht dir nicht zu viele Gedanken.“ Nachdem er seine Schuhe angezogen hatte, verschwand er. Jules setzte sich an den Tisch. Obwohl Jay ihm das Gegenteil riet, dachte er nach. ***** Er sah zu der Wohnung empor, die inzwischen sein Zuhause geworden war. Jetzt fehlte nur sein offizieller Einzug. „Hoffentlich klappt es mit diesem Besichtiger“, brummte Jay genervt. Er versuchte nicht an Luan zu denken. Abgesehen von seinen Albträumen, mischte sich in letzter Zeit ein anderer Traum tief in Jays Unterbewusstsein. In diesem führte er gleichermaßen eine Beziehung mit Luan und Jules. Ihn verwirrte das sichtlich. Jay kannte Luan nicht einmal gut genug, um zu beurteilen, inwieweit sie zu ihm stand und ob sie sich überhaupt vorstellen konnte, ihm näher zu kommen. Erst recht wollte er Jules kein Hindernis sein: Die letzten Tage hatte sich ihre Beziehung sehr zum Positiven gewandelt, was wohl daran lag, dass sich Jay langsam öffnete. Plötzlich ging er auf Jules zu. Jay wollte genau das nicht mehr missen. Sein Handy vibrierte. Jules? Nein, entgegen seiner Erwartungen war es Luan. „Ich hoffe, dass meine Erklärungen dir geholfen haben. Außerdem wollte ich dich fragen, ob du Lust hast etwas mit mir zu unternehmen?“ Er las die Nachricht mehrmals durch. Wie kam Luan auf einmal darauf, sich mit Jay alleine treffen zu wollen? Was sollte er jetzt tun? Jay bekam Gewissensbisse. Also antwortete er ihr mit einer Gegenfrage. „Danke, du hast mir sehr geholfen. Und was ist mit Jules? Oder möchtest du nur etwas mit mir machen?“ Eine Weile kam keine weitere Nachricht von ihr. „Du wirst lachen, aber dieser Vorschlag kam von ihm. Er meinte, wir können ruhig auch etwas ohne ihn unternehmen. So lerne ich dich besser kennen. Um ehrlich zu sein, finde ich es gar nicht mal so schlecht und befürworte das. Vorausgesetzt du hast Lust dazu?“ Vor Verwunderung blieb Jay der Mund offen stehen. Ihm wurde jedoch mit einem Mal bewusst, was die Absicht seines Partners war. „Du Idiot“, knurrte er. Gelegentlich überkam Jay das Bedürfnis Jules zu schütteln. Dieser war schon immer ein Mensch gewesen, der sich selbst zurück stellte. Ihn dämmerte es, dass er zudem die Freundschaft nicht gefährden wollte. Jay war hin und her gerissen ob er Luan nun zu sagen oder es lassen sollte. Letztendlich entschied er sich für ein Treffen mit dem Vorsatz, sich nicht zwischen die beiden zu drängen. „Ja; können machen. Ich muss ein wenig auf mein Budget achten. Wir könnten uns aber abends treffen und ins Kino gehen. Die haben sogar Studentenpreise.“ „Gerne“, sagte Luan blitzschnell zu. „Super. Lass uns wegen der Uhrzeit noch mal schreiben. Momentan bin ich auf dem Sprung. Heute wollte jemand mein Zimmer ansehen, bei uns in der WG. Drück mir die Daumen. Ja?“ Jay steckte sein Smartphone zurück in die Hosentasche und setzte seinen Weg fort. Wenig später erreichte er sein Ziel. Tony war zum Glück an der Arbeit. Er hatte ihn dennoch informiert, bevor es Ärger gab. Um sich bis zur Besichtigung abzulenken, zockte er. Eine Stunde verging als es schließlich an der Tür schellte. Jay stürmte sofort los und öffnete einem Mann, in etwa seinem Alter. „Hi, ich bin Alexej“, stellte er sich vor. Von der Statur her glich er Jules. Seine Augen waren grau-blau und die Gesichtszüge wirkten jugendlich. Vom ersten Eindruck machte er einen sympathischen Eindruck. „Freut mich, ich bin Jay. Toll, dass es heute bei dir geklappt hat.“ „Kann ich nur zurück geben“, Alexej lachte. „Krass, wie schlimm das zurzeit ist, in Kassel eine Wohnung zu finden.“ „Du sagst es. Ich musste das auch mit durch machen.“ Er war tatsächlich nett, wie Jay feststellte. Und das Beste war, dass Alexej Interesse an dem Zimmer hatte, insbesondere weil er dringend eine Bleibe brauchte. Jay musste dies nur noch mit Tony regeln. Dann war alles in trockenen Tüchern. Kapitel 20: ------------ Luan war überrascht von Jules. Was er wohl bezweckte? Aber vielleicht, wollte er wirklich nur, dass sie und Jay sich besser kennenlernen und ihre Freundschaft festigen konnten. Gespannt wartete sie vor dem Kino. Jay kam auf die Minute genau. „Hey“, er umarmte sie. Sein Griff war fester als der von Jules und auch sein Parfüm hatte eine gänzlich andere Note. „Ähm“, Luan löste sich von ihm. „Hast du schon eine Idee welchen Film, du anschauen möchtest?“ „Ich dachte, dass ich dir die Wahl überlasse.“ „Na, gehen wir erst mal rein.“ Im Voyeur widmete sie sich der Anzeigetafel. Luan fehlte der Ansatzpunkt, mit Jay ein Gespräch zu beginnen oder war es ihre eigene Unsicherheit? „Was Gutes dabei?“, meldete er sich zu Wort. Dabei legte Jay ihr sanft eine Hand auf die Schulter. Ungewollt zuckte Luan zusammen. „Verzeih, ich wollte dich nicht erschrecken“, flüsterte er. Sie frage sich warum sie so nervös wurde in Jays Gegenwart, während sie bei Jules völlig ungezwungen agierte. „Hm, der klingt nicht schlecht“, Luan deutete mit dem Finger auf einen Actionfilm, der sie interessierte. „Wenn du magst, können wir gerne in den gehen“, schlug Jay vor. Bevor sie sich weiter mit Entscheidungen quälen musste, stimmte Luan zu. Er schien erleichtert zu sein und nickte. Obwohl Jay zuvor sagte, dass sein Budget begrenzt war, bestand er darauf ihr das Ticket zu kaufen. „Oh man“, sie seufzte geräuschvoll. „Dann hole ich uns aber das Popcorn, okay?“ „Aber“, wollte Jay einwenden, doch Luan würgte ihn ab. Zielsicher steuerte sie die Theke mit den Snacks an und orderte ein Partnermenü. „Du bist echt stur“, stellte Jay fest, der mit ihren Tickets auf sie zu kam. „So bin ich eben. Findest du das etwa schlimm?“ „Nein, keineswegs. Es ist eben neu für mich.“ „Jules weiß doch auch was er will und setzt sich durch.“ „Ja“, Jay grinste. „Du bist jedoch ein anderes Kaliber. Allerdings ergänzt ihr zwei euch gut.“ Sie blinzelte. War das ein Kompliment? Der Saal war fast leer, was wohl daran lag, dass sie mitten in der Woche hier waren. Als sie sich setzte, erhaschte Luan einen kurzen Blick auf Jay. Er trug ein schwarzes T-Shirt, eine dazu passende Cap und eine Baggy Pants, die nicht jedem stand aber an ihm einfach perfekt aussah. So empfand sie es jedenfalls. Allgemein hatte Jay einen sportlichen Kleidungsstil, was Luan aus irgendeinem Grund anzog. Sie schluckte. Jules und Luan waren kein Paar. Wieso fühlte es sich dennoch so an als würde sie ihn betrügen? Dabei kam der Vorschlag, dass sie sich mit Jay treffen sollte, sogar von ihm. „Ist alles in Ordnung?“, Jay hatte Luans Unwohlsein bemerkt. „Ja“, log sie. Er zog eine Augenbraue empor, woraufhin Luan aufstöhnte. „Nein“, gestand sie ihm. „Wegen Jules?“, traf er es genau auf den Punkt. Sie machte eine bejahende Kopfbewegung. „Ich weiß, dass klingt naiv schließlich bin ich nicht mit ihm zusammen und er hat mir zudem dazu geraten mich mit dir zu treffen … trotzdem fühle ich mich ein wenig schlecht dabei.“ „Ich verstehe dich“, sprach Jay mit ruhiger Stimme. „Er ist dir wichtig. Das habe ich auf den ersten Blick gesehen. Jules ist eben ein besonderer Mensch. Ich kenne niemanden, der je so viel Geduld und Nachsicht mit mir hatte.“ „Bei mir war es ähnlich. Gut, du kennst ihn weitaus länger als ich aber in der kurzen Zeit war er stets für mich da.“ „Wenn ihm Personen wichtig sind und er sie in sein Herz geschlossen hat, ist das völlig normal bei Jules. Für uns würde er praktisch durch die Hölle gehen.“ „Du machst es gerade nicht besser“, Luan lächelte schwach. „Ich wollte dir auch eigentlich damit sagen, dass er uns vertraut. Ich denke, es ist Jules wichtig, dass wir beide uns verstehen. Ich kann ihn mittlerweile gut einschätzen und weiß wie er tickt. Wir sind die wichtigsten Menschen in seinem Leben.“ „Ob ich das überhaupt verdient habe?“, dachte Luan laut. „Wieso solltest du es nicht verdient haben?“ Ihr fiel darauf keine gezielte Antwort ein. Luans Gefühle waren momentan zu wirr. „Magst du ihn?“ „Dumme Frage“, meinte sie. „Er zählt bereits zu meinen engsten Freunden.“ „Ich meinte weniger diese Art von Mögen“, er zwinkerte. „Äh, also.“ Luan nuschelte. Wieso mussten die zwei sie nur immer so verwirren? „Das kann ich noch nicht genau einschätzen“, legte sie offen. „Er ist mir auf jeden Fall wichtig und ich finde ihn außerordentlich attraktiv. In seiner Gegenwart fühle ich mich beschützt. Und aufgehoben.“ „Klingt doch gut.“ „Ich kann es halt schwer einordnen. Hinzu kommen meine ganzen Baustellen. Ich bin nicht gerade einfach.“ „Wer ist das schon?“, Jay zuckte mit den Schultern. „Ich bin eh total anstrengend. Liegt teils an meinem Temperament. Ich habe oft das Gefühl, dagegen schießen zu müssen. Meine Vergangenheit hat ihren Teil dazu beigetragen.“ „Da haben wir etwas gemeinsam. Nach der Sache mit meinem Ex, weiß ich nicht ob ich geeignet für eine Beziehung bin.“ „Ich kann dir garantieren, dass Jules dich nie verletzen wird.“ „Dessen bin ich mir ja auch sicher. Aber es liegt eher an mir selbst. Verstehst du? Nach so einer Sache ist es schwer sich neu zu verlieben oder zu vertrauen.“ „Das kann ich mir vorstellen“, sagte Jay. Die Werbung begann. Entspannt lehnte sich Jay zurück. „Oh man“, er hustete. „Manchmal frage ich mich, was du genommen haben um auf solche Werbeideen zu kommen.“ Luan lachte. Der Spot, der gerade lief, war tatsächlich mehr als unlogisch. „Ich glaube, man muss das nicht immer alles verstehen.“ „Hast Recht.“ Er hatte einen sehr saloppen Sprachgebrauch. Das unterschied ihn ebenfalls von Jules, der sich meist gewählt ausdrückte. „Wie hast du Jules eigentlich kennengelernt?“, wollte Luan wissen. „Oh, das weißt du noch nicht? Also das war so.“ Jay erzählte ihr die Geschichte ihres ersten Zusammentreffens. „Auf der Männertoilette?“, sie grinste. „Seltsamer Ort um einen Menschen kennenzulernen. Aber irgendwie passt das zu euch.“ „Auf jeden Fall. Mich hat seine Courage beeindruckt. Ich habe gemerkt, dass er ein Kämpfer ist und das hat mich beeindruckt. Dadurch fasste ich den Entschluss mich mit ihn anzufreunden. Von Jules habe ich viel gelernt, nicht nur Gender Dinge betreffend.“ Sofort erkannte sie das Strahlen in Jays Augen, wenn er über ihn sprach. Waren sie wirklich nur miteinander befreundet? Oder war da mehr? Luan kam ins Zweifeln. Endlich folgten die Trailer. Darauf hatte sie sich am meisten gefreut. Bestimmt ein Überbleibsel aus ihrer Kindheit, so resultierte Luan. Damals war sie oft gemeinsam mit ihrem Vater ins Kino gegangen. Zu dem Zeitpunkt war das Verhältnis zu ihren Eltern weitaus lockerer. Sie spürte eine Hand, die sich ihrer Schulter näherte. Kam es Luan nur so vor oder war auch Jay verkrampft? In ihrem Heimatort war sie mit vielen Jungs befreundet gewesen, daher scheute sie an sich keinen körperlichen Kontakt. Das änderte sich erst durch die Erfahrung mit ihrem Ex Partner. Jules war der Erste, bei dem sie sich fallen lassen konnte. Bei Jay fühlte sich Luan noch ein wenig unsicher, allerdings konnte sie sich letztendlich überwinden und lehnte sich an ihn. „Was soll daran auch verwerflich sein? Ich bin mit ihm befreundet, da sollte es ganz natürlich sein“, dachte Luan. Während des Films, schaffte sie es, sich zu entspannen. Sie merkte, dass Jay zwar über ein hartes Äußeres jedoch einen weichen Kern verfügte. Sie vertieften sich in den Film. Wie sie, hatte auch Jay die Angewohnheit bei Einsetzen des Abspannes noch sitzen zu bleiben. „Und ich dachte schon, dass ich dich damit nerve“, mutmaßte Luan. „Quatsch. Seitdem meinem ersten Marvel Film, bleibe ich prinzipiell sitzen.“ „Das ist gut“, sie strahlte. Ihre angelehnte Position behielt an Jay behielt sie bei. Ihn schien das keineswegs zu stören. „Möchtest du danach noch irgendwohin?“, fragte er. „Gute Frage“, Luan überlegte. „Lass uns zu mir gehen.“ „Bist du sicher?“, er verschränkte die Arme vor der Brust und setzte ein ernstes Gesicht auf. „Wieso? Sollte ich Angst vor dir haben?“ Sie schmunzelte dabei. „Aber so was von.“ Jay fiel es schwer seine Mimik aufrecht zu erhalten und er brach in Lachen aus. Dieses war so ansteckend, dass Luan mit einstimmte. Der letzte Song des Abspannes verstummte. Sie nahmen ihre leeren Getränkebehältnisse sowie die Popcorntüte, verließen den Saal. Mit der Bahn fuhren sie zu Luans Wohnung. „Erwarte aber nicht zu viel“, äußerte sie verlegen. „Schlimmer als bei mir, kann es wohl kaum aussehen.“ „Sagen wir, das es bei mir relativ karg ist. Ich habe mich nicht wirklich heimisch eingerichtet, da ich nach meinem Studium von hier fort ziehen möchte:“ „Ach“, Jay verdrehte die Augen. „Ich finde das nicht schlimm. Ich sehe das wie du. Diese Stadt ist für mich kein Ort zum dauerhaften Verweilen.“ „Wir sind da.“ Fast hätten sie ihre Haltestelle verpasst. Jay eilte Luan hinterher. Die Gegend war wahrlich nicht die Beste. Block an Block, die graue Tristesse, drohte fast auf das Gemüt zu schlagen, wenn man die Umgebung nicht ausblendete. Jay wusste jedoch, dass die Wohnungen hier kostengünstig waren, was Luan bestätigte. „Herein spaziert“, rief sie und schloss die Tür auf. „Du hast maßlos übertrieben“, lautete sein Urteil. Luans Wohnung verfügte zwar nicht über eine luxuriöse Einrichtung, dafür war sie gepflegt. Auf ihrem Schreibtisch standen ein paar eingerahmte Bilder, die Luan mit ihren, wie Jay vermutete, Freundinnen zeigten. Sie sah glücklich aus auf jenen Fotos. „Das ist ewig her“, Luan kicherte. „Eventuell lernt ihr euch ja kennen, wenn ich sie besuchen fahre.“ Kapitel 21: ------------ Jay wollte mehr über sie erfahren und fragte sie daher über ihr früheres Leben aus. Luan nahm das mit Humor, wie er erfreut feststellte. Und wie Jay heraus fand, war sie schon damals abenteuerlustig gewesen. Auch ihre lebhafte Art zog ihn förmlich an. „Genug von mir“, entschloss Luan. „ Was ist mit dir? Du hast bestimmt einige spannende Geschichten zu erzählen.“ Ihm war klar, dass sie irgendwann mehr wissen wollte, was sich bei ihm als Problem heraus kristallisierte. „Ich“, begann Jay zögerlich. „Um ehrlich zu sein, fällt mir nichts ein. Außer die Storys, die du wahrscheinlich schon von Jules kennst.“ „Wie kommt das?“, ihr Mund blieb vor Erstaunen offen stehen. „Es ist kompliziert. Im Kino habe ich ja bereits angedeutet, dass meine Vergangenheit so eine Sache ist, die mich sichtlich geprägt hat. Ich weiß kaum noch Sachen aus meiner Kindheit oder Jugend. Das mag sonderbar klingen, aber ich lüge dich nicht an. Es ist leider die Wahrheit. Ich denke, dass es eine Art Schutzmechanismus ist.“ Luans Augen fixierten ihn. Ihr katzenhafter Blick hatte etwas Magisches, dem er sich kaum entziehen konnte. „Keine Sorge. Ich dränge dich nicht.“ Luans Hand legte sich in seine. Jay spürte die Körperwärme, die von ihr ausging und nun auch ihn erfüllte. „Ein spezielles Erlebnis hat dafür gesorgt“, erklärte Jay. „Irgendwann werde ich es Jules und dir erzählen. Leider weiß er es nämlich ebenfalls nicht.“ „So wie ich ihn einschätze, lässt er dir alle Zeit, die du brauchst.“ Erstaunlich wie gut Luan seinen Freund mittlerweile kannte. „Hey, wie wäre es mit Musik?“, sie schnippte mit den Fingern. „Keine schlechte Idee.“ „Sehr gut.“ Begeistert stand sie auf und legte eine CD in ihren Player ein. Er lächelte amüsiert vor sich hin. In dieser Sache war Luan wohl ein wenig altmodisch. Jedoch empfand er dies keineswegs als störend. Es machte Luan umso sympathischer. Der Beat des Songs setzte ein und sofort erkannte Jay den Titel. „Dr. Dre“, rief er. Sein Körper machte sich selbstständig, schoss in die Höhe und er begann sich zu bewegen. Luan ließ ihn nicht aus den Augen. Langsam ging sie auf ihn zu. Rhythmisch umkreiste sie ihn und er ließ sich darauf ein. Die Unsicherheit der beiden verschwand. Spätestens als Jay ihre Hände nahm und diese auf seine Schulter legte. Luan hielt sich an ihm fest. Lächelnd sahen sie einander an. „Ich wusste doch, dass du gut tanzen kannst“, äußerte Luan. „Du bist besser als ich.“ „Einigen wir uns darauf, dass wir es beide drauf haben.“ „Du gibst nicht gerne nach oder?“, er grinste. „Ich bin bisher nie jemanden wie dir begegnet und das ist durchaus als Kompliment gemeint.“ „Und Jules?“ „Er ist auch anders. Ihr beide unterscheidet euch grundlegend, von den Menschen, die ich bisher kannte. Ich glaube, ihr seid die Einzigen, die mich verstehen können.“ Eine Hand suchte nach der seinigen und er spürte, dass sie keine Scheu mehr ihm gegenüber verspürte. Sie verschmolzen im Takt der Musik zu einem Bündel. Es fühlte sich richtig und befreiend an. Luan schmiegte sich an ihn. Seine Hände lagen nun mehr auf ihrer Taille. Dennoch hatte Jay hierbei keine Hintergedanken. Tanzen war für ihn ein Ausdruck von Leben und Freiheit. Luan sah das genauso. Viel zu oft agierte man eingeschränkt oder traute sich nicht aus sich heraus zu kommen. Für Jay war Musik, das Sprengen seiner Fesseln. Er vergaß für einen Moment Flo, den Leistungsweis und andere Sorgen, die auf ihm lasteten. Eine langsamere R&B-Nummer setzte ein. Luan bewegte sich im Takt auf und ab. Ihr Po rieb sich an Jays Schritt, der sich auf ihr Spiel einließ. Sie waren Akteure der Musik, sich treiben lassend und offen für einen neuen Morgen. Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Jay stellte sich vor gemeinsam mit Jules und Luan am Strand zu verweilen. Vor ihnen der Sonnenuntergang, der ihre Umgebung in ein sanftes Rot tauchte. Alle Menschen waren ausgelassen. Sie sprangen enthusiastisch empor und lösten sich von ihren erdigem Dasein. So musste sich der Himmel anfühlen, dachte Jay. Jules strahlte wie schon lange nicht mehr. Sein Glück bedeutete ihm mehr als alles andere. Allmählich wurde Jay sich dessen bewusst. Er dirigierte Jules, zu ihnen zu kommen. Zu dritt tanzten sie nun, die letzten Strahlen der Sonne auf ihrer Haut spürend. Sie versanken ineinander und verloren sich. Als gäbe es nur noch sie. Jays Lider öffneten sich. Vor ihm Luan, deren Gesicht nur ein paar Millimeter entfernt war. Ihre Nasenspitzen berührten sich. „E-entschuldige“, stotterte sie. „Hey, ganz ruhig.“ Er versuchte Luan zu beruhigen. Mit einem Mal zog sie Jay an sich und schlang ihre Arme um seinen Körper. Er fragte nicht, was dies zu bedeuten hatte. Viel mehr ahnte Jay, dass Luan ihn gerade brauchte. Daher folgte er ihr und legte seine Hände ebenso um ihren Körper. Bewegungslos verharrten sie in der Position. ***** Jules lag schon im Bett als er endlich das ersehnte Klicken des Schlosses hörte. Zur Sicherheit hatten sie Jay bereits einen Schlüssel anfertigen lassen. „Hey, Süßer“, er beugte sich über Jules und gab ihm einen Kuss. „Entschuldige, dass es später geworden ist.“ „Kein Problem.“ Er lauschte, wie Jay aus seiner Baggypants schlüpfte und noch einmal ins Bad ging, um sich fürs Schlafengehen fertig zu machen. Wenig später kam er wieder. Sachte kroch Jay zu Jules ins Bett. „War dir langweilig?“, erkundigte er sich nach dem Tag seines Freundes. „Ich war mit Unisachen beschäftigt.Das nahm mehr Zeit in Anspruch als ich dachte. Danach habe ich ein paar Runden gezockt. Wie war es bei euch?“ „Wo soll ich da nur anfangen?“ Gespannt hörte er den Erzählungen seines Freundes zu. „Luan scheint es dir angetan zu haben“, schlussfolgerte Jules. „Aber es freut mich, dass ihr euch versteht.“ „Ich habe ihr vieles zu verdanken“, gestand der Schwarzhaarige. „Zum Beispiel, dass ich jetzt weiß, wie falsch es war, sich mit Flo anzufreunden. Im Grunde brauche ich nicht viele Menschen um mich herum sondern die Richtigen!“ Jules erstaunte dieser Satz seines Partners. In vergangenen Zeiten war er sehr auf seinen Ruf bedacht gewesen. „Außerdem hatte ich einen seltsamen Tagtraum“, flüsterte Jay. „Magst du mich in diesen einweihen?“ „Klar, aber lach mich bitte nicht aus. Versprochen?“ „Du hast mein Wort“, gab Jules mit leiser Stimme zurück. „Na ja, ich habe mir vorgestellt, wie es wäre mit euch beiden Urlaub zu machen. Dieser Gedanke hat etwas. Jedoch weiß ich nicht, wie du dazu stehst. Keine Sorge, ich mische mich nicht in eure Beziehung ein.“ „Wir haben keine Beziehung“, er machte eine Pause. Eigentlich hatte er sich nach einem Urlaub mit Jay gesehnt. Und zwar nur mit ihm. Andererseits mochte er Luan. Sie waren schließlich allesamt befreundet. Trotzdem verwirrten ihn seine Gefühle, die sich langsam entwickelten. In ihm saß die Angst, einen der beiden verlieren zu können. Warum musste Jules auch so kompliziert sein? Als ob die Transidentität nicht reichte, war er auch noch pansexuell und polygam. Hin und wieder kam in ihm der Wunsch, einfach angepasst zu sein. Doch was bedeutete schon Normalität? Dieser Begriff war dehnbar. Vielleicht machte er sich völlig umsonst so viele Sorgen. Jules ächzte missmutig auf. „Falls du es nicht möchtest, kann ich das absolut nachvollziehen“, meinte Jay. „Lass uns das mit Luan besprechen“, sprach Jules müde. „Ist in Ordnung. Dann schlaf gut, Schatz.“ Jay gab ihm einen Kuss auf die Schläfe. Sein Körper rückte näher zu dem des Blonden, der es kaum glauben konnte, dass Jay inzwischen solche Worte an ihn richtete. Vor Monaten war dies kaum denkbar gewesen. „Du auch“, raunte er in die Dunkelheit des Zimmers. Wenig später versank Jules in seine Träume. Am nächsten Morgen konnte er sich nur noch schwach an diese erinnern. „Hmm“, gab ein schlafender Jay von sich. Jules grinste und rüttelte sanft an ihm. „Hey, Schnarchnase. Zeit aufzuwachen.“ Davon ließ sich Jay jedoch nicht aus der Ruhe bringen. „Du Schlafmütze“, Jules zwickte ihn, was der einzige Weg war, ihn wach zu bekommen. Sofort schellte Jay empor. „Autsch“, maulte er. „Tut mir leid, aber du warst ja förmlich im Koma.“ „Tss. Du liebst es eben mir weh zu tun.“ „Waaas?“, Jules wurde lauter. „Das war Spaß. Ach Mensch, wäre heute doch bloß keine Uni.“ „Leider kann man sich das nicht aussuchen. Aber ehe du dich versiehst, ist der Tag sowieso vorbei.“ Nörgelnd stand Jay auf. Er war schon immer ein Morgenmuffel gewesen. Um seiner Laune entgegen zu wirken, ging Jules in die Küche und machte ihnen Frühstück. Nach dem ersten Schluck Kaffee, wurden seine Lebensgeister endlich geweckt. Er half Jules mit dem Abwasch und gemeinsam verließen sie das Haus. Unterwegs sprachen und scherzten sie über vielerlei Sachen, unter anderem über Jays Gebrabbel, während er geschlafen hatte. „Erinnere mich bloß nicht daran“, er gluckste. „Das ist mir echt peinlich.“ „Ich finde es süß.“ Jules lächelte. Sein Freund sagte nichts. Manche Sachen waren ihm eben unangenehm. Umso mehr überraschte es Jules, als er hinab blickte und erst jetzt realisierte, dass Jay die ganze Zeit über seine Hand gehalten hatte. Er ließ sie nicht einmal los, als sie das Gelände der Universität betraten. „Jay, ich“, flüsterte er. „Ich weiß genau, was ich tue. Wir haben uns viel zu lange versteckt“, äußerte Jay entschlossen. Vor seinem Seminarraum machten sie Halt. „Ich muss zur Vorlesung“, Jules ließ Jays Hand los, doch dieser zog ihn zu sich. Leidenschaftlich küsste er seinen völlig überrumpelten Partner. „Bis später“, zischte Jay in sein Ohr. Jules nickte. Lächelnd ging er in Richtung des Vorlesesaals und streifte dabei Flo, der ihn entsetzt und mit offenem Mund anstarrte. Gekonnt ignorierte er ihn. „Was zum?! Was genau hat das jetzt zu bedeuten?“, hörte er Flo schreien. Der arme Jay. Nun musste er sich auch noch mit diesem Rowdy auseinander setzen. Kapitel 22: ------------ „Habe ich da eben richtig gesehen, dass du ES geküsst hast?“ Jay wusch sich mit der Handfläche die Tropfen von Flos Spucke fort. Vor Wut hatte der sich kaum beherrschen können. Dementsprechend war ebenso sein Gesicht von einem tiefen Rot durchzogen. „Ja, das hast du gut erkannt“, Jay setzte ein triumphierendes Lächeln auf und ging unberührt an Flo vorbei. Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, suchte er sich einen Platz weit hinten im Raum aus. Er wollte hiermit einen Schnitt setzen. Für Jay war die Freundschaft zu Flo endgültig vorbei. Im Grunde hatte er sich da von Anfang an in etwas verrannt. Dank Luan hatte Jay jene Tatsache endlich erkannt. „Ich schäme mich so sehr, dass ich mich auf diesen Menschen eingelassen habe“, grummelte er innerlich. Er spürte Flos Blick auf ihn ruhen. Bestimmt grollte er gerade vor sich hin, aber das war Jay herzlich egal. Wichtig war ihm momentan nur, dass es Jules gut ging. Jays Finger fuhren zu seinen Lippen. Eine tiefe, schon fast unheimliche Zufriedenheit über kam ihm. „Hey, warte“, Flo fasste ihn bei der Schulter als er den Seminarraum verlassen wollte. „Ja?“, Jay schaute ihn verächtlich an. „War es das jetzt oder wie soll ich das verstehen?“ „Tja, es sieht wohl ganz danach aus, nicht wahr? Du wirst dich schließlich nicht bei Jules entschuldigen, so wie ich dich kenne.“ „Bei der Transe entschuldigen? Hast du den Verstand verloren?“ Genervt seufzte er. „Das habe ich mir gedacht. Und wie du über ihn redest, geht im Übrigen gar nicht. Erstens ist Jules kein Es sondern ein menschliches Wesen, um genauer zu sein, ein Mann wie du und ich. Zweitens ist er ebenfalls keine Transe. Informiere dich doch erst mal über das Thema bevor du urteilst. Ich wünsche dir dennoch einen schönen Tag und nicht zu vergessen, viel Erfolg für dein weiteres Studium.“ „Jay“, schrie Flo als er sich abwendete. „Glaube bloß nicht, dass es damit getan ist! Dank mir hast du deinen kompletten Freundeskreis an der Uni aufbauen können. Glaubst du etwa, nach dieser Aktion werden sie dich immer noch mögen? Du wirst vollkommen alleine da stehen.“ „Ehrlich gesagt, ist mir das egal. Ich brauche keine falschen Freunde. Außerdem habe ich ihn.“ Kochend vor Zorn biss sich Flo auf die Lippe. „Das wirst du bereuen“, war alles, was er Jay hinterher rief. Doch der kümmert sich nicht mehr, um jene Person, die er einst Freund nannte, ohne zu wissen, was wahre Freundschaft bedeutete. Jedenfalls wusste Jay es damals nicht. Er entschied sich dafür, seine neu gewonnene Freiheit zu nutzen und suchte den Basketballplatz auf. Es tat gut ein paar Körbe zu werfen. Der Druck und die Last, die er all die Zeit über mit sich herum geschleppt hatte, fiel von seinen Schultern. Gegen Mittag erhielt er eine Nachricht von Jules und sie verabredeten in die Mensa zu gehen. Freudig beendete Jay seine Runde. Auch Jules bemerkte sofort seine Veränderung und sprach ihn direkt darauf an. „Erzähle ich dir sofort. Lass uns erst mal rein gehen“, verkündete Jay. Sie kämpften sich durch die Menge. Heute gab es Spagetti, Jays Leibgericht. Zum Glück verhunzte die Mensa selten Nudelgerichte, also griff er zu. Am heutigen Tag glichen selbst die Spagetti aus der Mensa einem Festessen. „Man du hast aber echt verdammt gute Laune“, Jules grinste. „Und wie. Immerhin habe ich mich endlich von alten Lasten frei machen können.“ Jay legte das Besteck beiseite. „Schieß los. Ich bin ganz Ohr“, sagte der Blonde. „An sich verlief es kurz und schmerzlos. Na ja, zu mindestens von meiner Seite ausgehend. Flo meinte, mich wegen dir zurechtweisen zu müssen. Du hättest sein Gesicht dabei sehen sollen! Er hat mich fast an Hades erinnert. Zu guter Letzt habe ich ihm die Leviten gelesen. Das scheint ihm absolut nicht geschmeckt zu haben, denn nach dem Seminar, hatte er mich abermals angesprochen. Ohne ihn hätte ich ja keine Freunde, er würde sich nie bei so jemandem wie dir entschuldigen … der übliche Stuss halt. Ich habe mich von ihm verabschiedet und ihm noch viel Erfolg für sein Studium gewünscht. Das war der Schlussstrich. Meine Liaison mit ihm ist endgültig passe.“ „Wow“, Jules pfiff beeindruckt. „Und das hat er ohne Weiteres geschluckt?“ „Du kennst ihn doch. Klar, hat er mir gedroht und gemeint, damit wäre es nicht vorbei. Aber das ist es mir wert. Du bist es mir wert“, wiederholte Jay mit einem Lächeln auf den Lippen. Sanft umschloss er Jules Hand. „Was auch immer geschieht oder er vor hat, ich bin für dich da. Du hast vieles alleine durchstehen müssen. Ab heute wird sich das ändern.“ „Aber was wenn er seinen Groll gegen dich richtet? Flo hat eine Menge Kontakte hier an der Uni und die meisten von denen sind mir gegenüber alles andere als positiv gestimmt.“ „Sollen sie kommen. Ich habe keine Angst vor ihnen. Du hast mir in so vielen Dingen geholfen. Sei es bei den Hausarbeiten, mit der Wohnung oder in anderen Bereichen. Du warst stets an meiner Seite. Und genau das werde ich nun wieder gut machen. So leicht wirst du mich nicht mehr los.“ Um das zu unterstreichen, zwinkerte Jay. „Wir schaffen das. Gemeinsam.“ Früher hätte Jules dies für einen Scherz gehalten. Doch ein Blick in die Augen seines Partners, verriet ihm, wie ernst es Jay war. Er wollte für ihre Beziehung kämpfen. „Unsere Veranstaltung fällt übrigens aus. Der Dozent ist krank geworden“, sagte Jules mit einem verschwörerischem Grinsen. „Willst du damit irgendetwas andeuten?“ „Ähm.“ Er gestikulierte nervös mit den Händen. „Ich dachte, wir könnten vielleicht in die WG. Sascha arbeitet ja bis heute Abend. Oder hast du gleich noch einen Termin?“ „Nur ein Tutorium. Aber da dort keine Anwesenheitspflicht ist, macht es nichts, wenn ich es ausnahmsweise mal ausfallen lasse.“ „Verpasst du dann nicht Stoff, der dir fehlt?“ „Ich war in der Vorlesung und habe fleißig mitgeschrieben. Also mach dir keine Sorgen, ja? Bisher habe ich auch nie gefehlt in diesem Tutorium.“ „Okay. Da bin ich beruhigt.“ Sie aßen schweigend auf und machten sich danach direkt auf den Weg zu Jules Wohnung. Jay hoffte inständig diesen Ort auch bald sein Zuhause nennen zu können. Alexej wollte sich bei Tony melden, zwecks erneutem Termin und Kennenlernen. Wenn Tony mit ihm zufrieden war, wäre Jay ebenso diese Sorgen los. Dann wäre der Neuanfang komplett. „Da wären wir.“ Jules streifte freudig den Rucksack von seinen Schultern als sie sein Zimmer betraten. „Ja“, ihn fixierend, trat Jay auf seinen Freund zu. Die Augen nicht von ihm ablassend, zog er ihn langsam in seine Richtung. „Und ich bin froh, hier zu sein. Bei dir“, raunte er. Nach diesen Worten schien sich Jules gesehnt zu haben, denn Jay bemerkte, dass er eine Gänsehaut bekam. Die Hände des Schwarzhaarigen fuhren unter Jules Shirt. Dieser zitterte. „Alles in Ordnung?“, fragte Jay besorgt. „Ja, es ist nur alles so unwirklich. Das mit Flo und das du eure Freundschaft beendet hast, um zu mir zu stehen. Ich kann es kaum glauben.“ „Pscht“, er fuhr über seine Wange. „Vergiss ihn jetzt einfach mal und genieße lieber die Zeit mit mir.“ „Du hast recht.“ Jules atmete befreit auf. Liebevoll fuhr Jay seinen Rücken hinab. Er berührte die weiche Haut seines Freundes. Beinahe torkelnd vor Begehren, wich Jules zurück und landete geradewegs auf dem Bett. Wie er so saß, verloren, ein wenig beschämt aber dennoch begehrenswert, entfachte genau dieses Bild einen Jagdinstinkt in Jay. Er ließ sich zu ihm nieder sinken, umfing ihn mit seinem starken Griff und küsste ihn. Ihre Zungen verschmolzen. „Hmm“, entwich es Jules, dessen Körper bebte. Jay war jedoch forsch und gönnte ihm wenig Ruhe. Mit den Fingerkuppen glitt er über die Brustnippel des Blonden, der sich unter ihm wand. So viele Male hatten sie miteinander geschlafen, doch dieser Moment war ein besonderer. Jay hatte in sich hinein gehört und war zu dem Entschluss gekommen, dass es völlig egal war, wie genau er seine Sexualität benannte. Wichtig war viel mehr, dass Jules einen zentralen Platz in seinem Leben hatte. Es ging ihm um seine komplette Persönlichkeit. Nicht um das Geschlecht seines Freundes. Ihm war vollkommen bewusst, dass Jules ein Mann war. Dennoch zog ihn sein Wesen in seinen Bann. Und das war Fakt. Jay lächelte zufrieden als er sah, wie Jules allmählich unruhiger wurde. Daher erbarmte er sich und zog ihm das Shirt aus. Jules schloss die Lider. „Er vertraut mir“, stellte Jay fest, was ihn glücklich stimmte. Nun befreite er sich ebenfalls von seinem Oberteil. In einer innigen Umarmung, die sie beide umschloss, rieben sich ihre Körper aneinander. Er war wie entflammt, konnte sich aber Jules zu Liebe zurück halten. Mit zittrigen Händen fuhr Jay hinunter. Erst zart, dann fester werdend widmete er sich Jules Schritt. „Jay“, stöhnte der. Die Augen hatte er dabei fest verschlossen. Jules öffnete seine Beine. Vorsichtig zog ihm Jay die Hose hinab, danach folgte die Boxershorts. Dabei schauderte Jules, insbesondere als die Zunge seines Freundes über seinen Körper glitt. „Ich kann nicht mehr“, flehte er. Doch Jay ließ nicht von ihm ab. Erst als Jules im Inbegriff war, die Kontrolle zu verlieren, bot er Abhilfe. Er entledigte sich seiner restlichen Sachen. „Willst du mich?“, raunte Jay in das Ohr des Blonden. „Nichts lieber als das“, sprach Jules mit sich selbst und seinem Begehren ringend. Der Schwarzhaarige lächelte. Bedächtig drang er in Jules ein, der erleichtert auf keuchte. Sie gaben sich ihrer Leidenschaft hin, Flo und den Rest der Welt ausblendend. Auch nach dem Akt lag Jules in seinen Armen. Jay streichelte ihn und küsste ihn sanft auf die Stirn. „Darf ich dich etwas fragen?“, begann Jules zögerlich. „Natürlich. Alles was du willst.“ „Gut“, er seufzte. „Sind wir jetzt eigentlich ein Paar? Ich meine ganz offiziell für unsere Außenwelt?“ „Hmm“, machte Jay gespielt. „Lass mich überlegen.“ „Hey, ich meine die Frage ernst.“ „Ich weiß“, er grinste. „Was glaubst du denn? Ich meine, was diese Sache angeht.“ „Nun ich hoffe, dass wir ein Paar sind. Unabhängig ob die Beziehung offen ist oder nicht. Mit einer offenen Partnerschaft kann ich umgehen. Nur nicht mit diesem ständigen Verleugnen.“ „Damit hast du dir die Frage soeben beantwortet.“ „Du meinst?“ „Ja, für mich bist du mein Freund und zwar ganz offiziell“, Jay strich ihm eine Haarsträhne beiseite. „Ich liebe dich“, traute sich Jules endlich. War er zu früh? Sein Blick suchte rasch den von Jay. Doch der strahlte. „Ich dich auch“, offenbarte er seinem Freund, nach zwei langen Jahren. Kapitel 23: ------------ Sie entschieden, Luan von ihrer Beziehung zu erzählen, jedoch nicht sofort. Durch ein Blockseminar, dass sich über zwei Wochen erstreckte, hatte sie ohnehin genug zu tun. Derweil klappte es endlich mit Jays Umzug. Aus unbestimmten Gründen mochte Tony Alexej auf Anhieb. Somit hatte Jay rechtzeitig die Kurve bekommen. Da er nicht viel Mobiliar hatte, passte das Meiste in Jules Zimmer. Den Rest verfrachteten sie in den Keller, bis sie eine gemeinsame Wohnung nehmen würden. Ein kleiner Traum für Jules wurde also wahr. Jay war bei ihm und das konnte ihnen nun niemand mehr nehmen. Er beobachtete, dass sogar die Motivation seines Freundes stieg. Zur Uni gingen sie nun jeden Morgen zusammen und zwar Händchen haltend. Anfangs verstörten sie ihre Mitmenschen damit. Manche bedachten die zwei mit angewiderten Blicken. „Wie jetzt?“, hatte ein Mädchen mit Entsetzen gefragt. „Jay ist mit Jules in einer Beziehung? Das kann nicht sein Ernst sein!“ „Widerlich“, sprach ein anderer. Plötzlich degradierte Jay zu einem Geächteten. Er nahm es allerdings locker auf. Was Jules sichtlich überraschte, denn einst war er einer der beliebtesten Studenten gewesen. „Sehnst du dich nicht nach dieser Zeit zurück?“, wollte Jules eines Abends wissen. Der hatte nur mit dem Kopf geschüttelt: „Diese Freundschaften waren nicht echt.“ Jay meinte, dass er keine Marionette mehr sein und sich mit Jules ein selbstbestimmtes Leben aufbauen wollte. Daher hatte er keinen Bedarf für falsche Menschen. Mit diesen Worten beließ er es. Jules war tief beeindruckt von Jay, der die Sprüche und dummen Kommentare einfach weg lächelte. Während die Tage an der Universität manchmal schwierig sein konnten, gestalteten sich die Abende zuhause weitaus angenehmer. So brachte Jules seinem Partner etwa das Kochen näher. An einigen Tagen kam auch Luan zu Besuch. „Du siehst erleichtert aus“, sprach sie Jays Veränderung an. „Das bin ich“, er grinste breit und nickte Jules zu. „So so. Darf ich erfahren warum? Oder weiht ihr mich nun nicht mehr ein?“ „Klar“, Jay machte eine Pause. „Ich habe die Freundschaft zu Flo beendet. Na ja, wenn man sie überhaupt je so nennen konnte.“ „Wie? Einfach so?“, vor Erstaunen blieb Luan der Mund offen stehen. „Jep! Und es hat sich gut angefühlt.“ „Mensch, das hätte ich jetzt echt nicht gedacht. Aber ich befürworte das. Flo ist das reinste Ekelpaket. Alleine schon wie er Jules behandelt. Das geht absolut nicht. Ich hasse ihn.“ Ein wenig beschämt, starrte Jay gen Boden. Jules spürte sofort, was er fühlte. „Hey, mach dich nicht selbst fertig. Du hast zwar später erkannt, was für ein Mensch Flo ist, aber letztendlich hast du es! Und das zählt.“ „Da stimme ich zu“, ihre Stimme wurde sanfter. „Fehler kann jeder einmal machen. Dazu zu stehen erfordert Courage. Die hast du mit deinem Entschluss auf jeden Fall bewiesen.“ Jene Worte schienen ihm gut zu tun. Er wirkte entspannter. „Wie läuft es ansonsten an der Uni?“, lenkte Luan ab. „Ach, ziemlich gut. Ich habe bemerkt, dass mich Flo eher runter gezogen hat. Seither sind meine Leistungen weitaus besser. Das habe ich jedoch ebenso euch beiden zu verdanken.“ „Uns?“, Jules blinzelte. An solche Lobeshymnen von Jay, musste er sich noch gewöhnen. „Sicher. Immerhin hattet ihr nahezu unendliche Geduld mit so einem Holzkopf wie mir.“ Luan und er brachen in Gelächter aus. Ja, Jay konnte tatsächlich stur sein. Aber genau das machte ihn aus. Sein Temperament glich einem Feuersturm, der nicht zu bändigen war. Hinzu kam, dass Jay Fehler keineswegs gerne zugab. Umso mehr überraschte es sie. „Pfff, nun macht ihr euch lustig.“ „Quatsch, wir lieben dich doch“, Luan zwinkerte. „Dem stimme ich zu“, Jules sah abwechselnd von ihr zu Jay. Der brummte zufrieden und somit war das Thema vom Tisch. Sie blieb noch eine Weile bei ihnen. Sascha scherzte öfter, dass ihre WG mittlerweile belebter war als jeder Wochenmarkt. Zum Glück nahm er es mit Humor. Zur Verabschiedung gab Luan heute nicht nur Jules, sondern ebenfalls Jay einen Kuss auf die Wange. „Siehst du, sie mag dich“, sprach der Blonde. „Ihr scheint euer Date ebenso gefallen zu haben wie dir.“ „Meinst du? Ich bin immerhin nicht so redegewandt wie du.“ „Ich glaube, dass Luan es wohl kaum so sieht. Sie hat eine recht hohe Meinung von dir.“ „Wenn du das sagst, dann glaube ich dir das mal.“ „Das solltest du. Übrigens“, setzte Jules an. „Ich habe mir das mit dem Urlaub überlegt und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich mit euch beiden fahren möchte. Allerdings sollten wir Luan vorher fragen und bald einweihen, was uns angeht.“ „Ja, das sehe ich genauso.“ „Super. Ich freue mich schon auf den Urlaub mit euch.“ Luan willigte sofort ein, nachdem sie von Jules über ihr Vorhaben unterrichtet worden war. Finanziell verfügte sie ein paar Rücklagen, die für einen Trip ausreichen würden. Ohnehin hatte Luan geplant gehabt weg zu fahren. Bevor sie Jules und Jay kennengelernt hatte, dachte sie jedoch eher an eine Reise zu ihren Freunden. Doch das konnte Luan jederzeit nachholen. Also berieten sie sich über ihr Reiseziel, was sich anfangs als schwierig herausstellte. Zu guter Letzt konnten sie sich auf einen Ort einigen. Es sollte nach Amsterdam gehen. Leider reichte ihr Budget nur für fünf Tage. Aber besser als gar nichts. Zu dritt buchten sie ihre Reise. „Das Jahr wird besser als ich dachte“, sagte Luan als sie aus dem Reisebüro kamen. „Jetzt heißt es nur die Prüfungen überstehen.“ „Ja“, Jay wirkte betreten. Vor ein paar Tagen hatte er sich Jules anvertraut, Angst vor dem Leistungsnachweis zu haben. „Das wird schon“, spürte Jules das Unbehagen seines Partners. Es hing viel an diesem Prozedere. Das wusste auch er. Früher hatte Jay nie offen über seine Sorgen oder Ängste gezeigt. Auch weil er nicht gerne klagte. Doch mit dem offenem Zeigen ihrer Beziehung hatte sich dieser Punkt ebenso geändert, was Jules stark begrüßte. Er würde für ihn da sein, bestärken und auffangen.“Oh“, Luan wurde von dem lautstarken Klingeln ihres Smartphones. Hastig kramte sie es aus ihrer Handtasche. „Hallo“, Luan klang ein wenig gereizt, wahrscheinlich da sie mit keinem Anruf gerechnet hatte. „Ja, ich bin gerade noch in der Stadt, aber ich komme sofort. Vielen Dank, dass sie es sich einrichten konnten. Bis gleich.“ Sie atmete tief aus. „Tut mir leid, Jungs. Eigentlich wollte ich den Tag ja mit euch verbringen, aber der Handwerker kommt gleich und daher muss ich heim. Wir schreiben.“ Mit einer Umarmung umschloss Luan beide, bevor sie davon stürmte. „Handwerker?“, wiederholte Jules perplex und blinzelt. „Ja“, Jay hustete. „Hat sie doch die letzten Tage bereits gesagt, dass das Wasser bei ihr in der Küche nicht funktioniert.“ „Hmm, da habe ich wohl nicht zugehört.“ „Schäme dich“, sagte ausgerechnet er. Nichtsdestotrotz. Jay hatte eine Wendung um hundertachtzig Grad gemacht. In der Vergangenheit hatte er selbst die einfachsten Sachen einfach so vergessen. Nun war er aufmerksam und zuvorkommend geworden. „Ich war wahrscheinlich im Rausch der Gefühle“, Jules räusperte sich. „Es sei dir verziehen. Luan hat sowieso nichts bemerkt.“ „Zum Glück“, er hielt inne. „Was machen wir beide jetzt?“ „Ich dachte, dass ich heute zur Abwechslung mal koche“, meinte Jay. Jules befand den Vorschlag als gut. Ein Uni Projekt stand an und somit konnte er sich, während Jay kochte, um dieses kümmern. Zuhause setzte er sich also gleich vor den Laptop. Jules neigte zum schnellen, aber dennoch akkuraten Arbeiten wenn er erst einmal in Fahrt kam. Genauso war es auch heute. Mit dem Ende seiner Recherchearbeiten, loggte er sich bei Facebook ein, um seine Nachrichten zu überprüfen. Jules bemerkte, dass er eine Nachrichtenanfrage erhalten hatte. Eigentlich hielt er nichts von Mails, deren Absender er nicht kannte. Leider überwog jedoch seine Neugier. Hätte er es doch gelassen. „Ich frage mich, was in deinem abartigen Kopf vorgeht. Einen heterosexuellen Mann in so eine Falle zu locken. Was hast du ihm versprochen, hä? Bestimmt bist du nichts weiter als ein Abenteuer für ihn und er will einfach eine spezielle Erfahrung machen. Schau dich doch an. Du bist komplett geisteskrank. Das sieht im Übrigen fast jeder so, den ich kenne. Wer weiß, was bei dir schief lief. Bestimmt feierst du deine Abartigkeit noch. Wer weiß, was du alles an Krankheiten hast. Wir werden dir schon noch zeigen, wo dein Platz ist, du Transe. Darauf kannst du dich verlassen.“ Aus Jules Gesicht war jegliche Farbe gewichen. War das Flo? Er redet von wir. War damit sein kompletter Freundeskreis gemeint? „Hey“, Jay erschien hinter ihm, aber Jules reagierte nicht. „Was soll der Scheiß, denn?“ Sein Partner schrie dies geradezu heraus und er war sich im Klaren, dass Jay jene Nachricht nun ebenfalls gelesen hatte. „Es … entschuldige, wenn“, bevor Jules den Satz beenden konnte, zog der Schwarzhaarige ihn in eine Umarmung. „Ich beschütze dich“, flüsterte Jay. Kapitel 24: ------------ Der Handwerker war pünktlich vor ihrer Wohnung. Kaum hatte er Luan gesehen, schon bedachte er sie mit einem verschwörerischem Grinsen. Sie ignorierte das gekonnt. Während er sich dem Wasserhahn in der Küche widmete, schrieb Luan an einer Hausarbeit. „So er müsste wieder funktionieren“, meldete sich der Handwerker zu Wort. Er demonstrierte Luan sein Schaffen, die zufrieden nickte. „Vielen Dank.“ „Gerne doch.“ Der Kerl starrte sie an, als würde er irgendetwas erwarten. Bestimmt pochte er auf Luans Handynummer. Zugegebenermaßen sah er nicht schlecht aus. Außerdem war er wohl nur ein paar Jahre älter als sie. Das war es jedoch schon. Luan verabschiedete sich höflich von ihm und begleitete ihn zur Tür. „Es ist immer das Selbe“, grollte sie, nachdem er fort gegangen war. Ihr Interesse an Männern begrenzte sich zurzeit auf ein Minimum. Die einzigen Ausnahmen stellten Jules und Jay dar. „Wieso ausgerechnet beide?“ Sie ließ sich wieder in ihren Stuhl sinken, den Blick zur Decke gerichtet. Die zwei waren komplett unterschiedlich und dennoch fühlte sich Luan wohl in ihrer Gegenwart. Mit Jay war sie recht schnell warm geworden. Insbesondere nach ihres ersten Dates. Jules war eher der ruhige Part, der sie aufrichtet und ihr Mut gab. Luan schüttelte missmutig den Kopf. Um sich abzulenken, widmete sie sich erneut ihrer Hausarbeit. Entgegen ihrer Erwartungen kam sie ein gutes Stück voran. Also gönnte sie sich eine Pause sowie einen Cappuccino. Bei Facebook sprangen Luan zahlreiche Freundschaftsanfragen ins Auge, von Personen, denen sie zuvor nie begegnet war. Nur einen von ihnen erkannte Luan sofort. Flo. Sie verzog angewidert das Gesicht. Was wollte er von ihr? In ihrer Mailbox befand sich eine Nachricht von ihm. „Entschuldige, dass ich dich ohne Weiteres adde aber ich würde dich gerne kennenlernen. Ich habe das Gefühl, dass du Dank Jules und Jay einen völlig falschen Eindruck von mir bekommen hast. Lieben Gruß.“ Luans Mundwinkel glitten nach unten. War Flo von allen guten Geistern verlassen worden? Was bildete er sich ein? Wut stieg in ihr auf und manifestierte sich. „Einen falschen Eindruck? Das soll wohl ein schlechter Scherz sein?! Auf Personen wie dich verzichte ich liebend gerne. Ich kann mir schon vorstellen, was du damit bezwecken willst! Du möchtest mich rum kriegen, nicht mehr oder weniger. Nein, diesen Gefallen tue ich dir nicht. Du denkst auch, du wärst es. Ich finde dich weder attraktiv noch mag ich deinen Charakter. Und mit wem ich befreundet sein will, entscheide ich selbst. Punkt.“ Luan war herzlich egal, wie er diese Nachricht auffassen würde. Um sich zu beruhigen, nahm sie einen großzügigen Schluck ihres Getränkes. Leider beließ es Flo nicht bei dieser klaren Absage. Zu ihrem Bedauern. „Oha, du bist aber recht vorschnell mit deinem Urteil. Liegt es daran, dass ich Jules nicht mag? Ich habe meine Gründe. Bevor Jay sich mit ihm anfreundete, hatte er oft Zeit und vernachlässigte keinen seiner Freunde. Außerdem beeinflusst Jules ihn. Für ihn sind wir doch nur die bösen transfeindlichen Cisgender oder wie auch immer er uns nennt. Keine Ahnung wieso er bei Jay anders denkt. Auf jeden Fall will Jules ihn auf seine Seite ziehen und uns alle gegeneinander ausspielen. Er liebt seine Opferrolle. Förmlich suhlt er sich darin.“ Bei dem letzten Satz, kam in Luan der Wunsch auf, Flo eine Backpfeife zu verpassen, die sich gewaschen hatte! „Wer sich in die Opferrolle drängt, ist wohl die Frage. Ganz sicher nicht Jules. Ich habe eine gute Menschenkenntnis. Und mir ist sofort aufgefallen, wie abwertend du dich ihm gegenüber geäußert hast. Du hast ihn ja nicht einmal die Spur einer Chance geben. Mit so einem Menschen will ich nichts zu tun haben. Und dabei bleibt es. Das ist mein letztes Wort“, schrieb rasch sie zurück. Luan versuchte sich zu fassen, aber der Kerl machte es ihr keineswegs leicht. Anscheinend war er in Rage verfallen, da eine Antwort auf ihre letzte Nachricht prompt folgte. „Er hat dich vermutlich geblendet. Aber wenn du unbedingt in dein Verderben rennen willst, ist es mir auch recht. Ich hoffe nur, dass du dich nicht in ihn verliebt hast. Was kann er dir denn schon bieten?“ „Worauf willst du hinaus?“, hacke Luan nach. „Ich spreche dabei technische Details an. Dir ist sicherlich bewusst, dass ihm etwas fehlt oder? Wie stellst du dir das Ganze vor? Sex mit ihm ist weder hetero- noch homosexuell sondern etwas dazwischen. Willst du dich dem wirklich aussetzen, wenn es da draußen richtige Männer gibt? Gut, bei Jay könnte ich es verstehen, wenn du ihm zugetan wärst. Aber Jules? Der praktisch nichts ist? Wie soll er denn bitte den aktiven Part übernehmen, hä?“ Ihr Gesicht glühte. Nicht nur, dass Flo dreist war, er sprach auch Details an, die ihn nicht zu interessieren hatten. „Nun, das sind Dinge, die dich nichts angehen. Und zu dem, was richtige Männer angeht … Jules ist für mich ein richtiger sowie vollständiger Mann, was man von dir wohl kaum behaupten kann. Ich bin hier raus. Auf weitere Gespräche mit dir, habe ich keine Lust mehr. Mach´s gut.“ Sie sah, dass Flo tippte. Doch Luan war schneller und blockierte ihn. Sollte er mit sich selbst weiter diskutieren, ihr war das Ganze zu lästig. Lieber widmete sich Luan abermals ihrer Hausarbeit, mit dem Ziel diese in der nächsten Woche abgeben zu können. Bis zu einem Gewissen Grad gelang Luan dies, gelegentlich kamen ihr jedoch Flos Worte in den Sinn. Es ging nicht darum, dass Jules für sie kein Mann war, denn für sie war er das absolut und dies hinterfragte sie auch nicht. Allerdings war ihr öfter der Gedanke gekommen, wie sich Intimität mit ihm anfühlte. Noch waren sie Freunde, aber was wenn Luan mehr wollte? Und Jules ebenso Gefühle für sie entwickelte? Sie hatte Angst ihn zu verletzen und wollte ihm auf keinen Fall vermitteln, dass er ihr nicht genügte. „Mache ich mir da etwa zu viele Sorgen?“, grübelte Luan vor sich hin. Es war nur ein Körperteil. Davon machte sie nichts abhängig. Erst recht keine Identität. Aber was war mit Jules? Ob er sich in Luans Gegenwart unwohl fühlte, wenn sie sich näher kamen? Sie ächzte laut und tippte weiter. Gegen zwanzig Uhr, beendete Luan ihre Arbeit. Stattdessen wechselte sie zu ihrem Fernseher und entschied sich dafür einen Film anzusehen. Dieser diente eher als Geräuschkulisse. Das Gespräch mit Flo hatte Luan nervlich mehr zermürbt als sie zugeben mochte. Ihr Smartphone summte und zeigte eine Mitteilung von Jules an, der sich nach ihrem Befinden erkundigen wollte. Sie freute sich sehr darüber, dass er an sie dachte. Jules zu Liebe erzählte sie ihm jedoch nichts von der vorigen Auseinandersetzung mit Flo. „Mir geht es mehr oder minder gesagt, ganz okay. Frag besser nicht. Ich werde es dir Beizeiten erzählen. Hoffentlich war dein Tag besser. Mein Wasserhahn geht endlich wieder. Ist ja schon mal etwas. Ach und ich bin mit meiner Hausarbeit wesentlich voran gekommen.“ „Na, immerhin. Falls ich dich irgendwo unterstützen kann, sage es mir bitte.“ Luan lächelte. Er war wirklich liebevoll. Auch wenn sie zuvor nur cis Männer gedatet hatte, spielte diese Tatsache beim Kontakt mit ihm keinerlei Rolle. Egal was Flo sagte. Luan ließ es auf sich zu kommen. Mit diesem Entschluss, legte sie den Chat mit jenem Ekelpaket ad acta. Kapitel 25: ------------ Missgünstig wurde er von Flo beäugt. Jay hasste die Tatsache, dass er noch bis zum Semesterende dieses Seminar mit ihm gemeinsam absolvieren musste. Seit seinem Cut mit Flo, ließ dieser ihn ständig spüren, dass er nun mehr nicht mehr erwünscht war. Er versuchte es locker hinzunehmen. Obwohl ihm jene Nachricht an Jules ständig im Kopf herum schwirrte und ihn verfolgte. Jay hatte das Gefühl, dass Flo hinter all dem steckte. Aber er ließ es bleiben. Sein ehemaliger Freund wurde es ohnehin leugnen. „So damit sind sie für heute entlassen. Bitte arbeiten sie zum nächsten Mal die Unterlagen durch. Ich wünsche ihnen noch eine schöne Woche“, beendete der Dozent das Seminar. Seufzend richtete sich Jay auf und packte seine Sachen zusammen. Flo funkelte ihn zornig an. Er merkte, dass ihm Worte auf der Zunge lagen, die er Jay zu gerne an den Kopf geworfen hätte. Doch Flo ging an ihm vorbei, ohne einen Ton zu sagen. „Besser so“, dachte Jay. „Es macht keinen Sinn mit ihm zu reden.“ Als er den Raum verließ, trafen ihn die Blicke zweier Mädchen. Eine von ihnen kannte er vom Sehen. Dennoch war Jay zu Ohren gekommen, dass sie wohl auf ihn stand. Flo hatte dies in der Vergangenheit oft genug betont. Jay war das relativ gleichgültig gewesen, obwohl jenes Mädchen wirklich gut aussah. Die beiden tuschelten etwas, das er nicht verstand, da er zügig an ihnen vorbei gegangen war. „Warte“, das Mädel rannte Jay eilig hinterher und tippte ihn an. „Ja?“, er wand sich um, gespannt was sie ihm mitteilen wollte. „D-darf ich dich etwas fragen?“, stotterte sie hervor. Die Nervosität war ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Jay nickte. „B-bist du tatsächlich mit diesem Jules zusammen?“ Sie fiepte und war rot geworden. Eine Zeit lang, stand Jay ihr gegenüber, unschlüssig was er nun genau erwidern sollte. Interessierte sie das, weil sie auf ihn stand oder steckte da eine andere Absicht hinter? Jay entschied sich für die Wahrheit, denn er hatte sich geschworen zu Jules zu stehen. Komme was wolle. „Ja, wir sind in einer Beziehung.“ „Oh, okay“, sie fasste sich, lächelte dann, zu Jays Verwunderung, jedoch. „Warum willst du das eigentlich wissen?“, erkundigte sich Jay. Sie sah zu ihrer Freundin, die eine bejahende Kopfbewegung vollzog. „Weil ich euch beide bewundere“, lautete das überraschende Geständnis. Gerade im Anbetracht dessen, was ihn sonst hier erwartete, kam dies vollkommen unerwartet. „Im Ernst“, betonte das Mädchen. „Ihr seid toll. Ich habe mitbekommen, wie dieser Flo über euch redet und das ihr trotzdem zueinander steht, ist in der heutigen Gesellschaft selten.“ Die Freundin von ihr trat nun ebenfalls zu ihnen heran. „Das sehe ich genauso“, bekräftigte sie. „Danke euch“, murmelte ein sichtlich verwirrter Jay. Die beiden erläuterten ihm, dass sie ebenfalls queere Freunde hatten, die Ähnliches mit durch machen mussten. Es kam spontan, doch Jay lud die zwei noch in die Cafeteria ein und zwischen ihnen entwickelte sich ein langes Gespräch. Schließlich stellte sich das Mädchen als Catharina vor. „Du kannst mich aber ruhig Cathy nennen. Das ist mir lieber“, fügte sie an. „Und ich bin Sarah“, ihre Freundin nickte. „Freut mich“, er lächelte und gab seinen Namen zur Kenntnis. Natürlich hatten sie diesen bereits gehört. Cathy gab zu, Jay des Öfteren beobachtet und Interesse an ihm entwickelt zu haben bis sie von der Beziehung erfuhr. „Ich konnte nur die verstehen, dass du mit Flo abhingst“, gestand Cathy. „Du passt absolut nicht zu ihm.“ „Findest du?“ „Ja. Du hast auf mich stets einen ruhigen und verständnisvollen Eindruck gemacht. Man hat dir irgendwie angesehen, dass du dich keineswegs wohl mit ihm fühlst. Mit Jules habe ich dich davor auch schon öfters gesehen. Im Gegensatz zu Sarah habe ich erkannt, dass du ihn magst und deine Sympathie ihm gegenüber nicht nur spielst.“ „Du hast gedacht ich täusche ihn?“, Jay wand sich an Sarah, die verlegen den Blick senkte. „Die Freunde von Flo haben einen gewissen Ruf“, sprach sie leise. „Sie nutzen andere gerne für ihre Zwecke aus. Deshalb hatte ich zuerst Bedenken bei dir. Ich wollte Cathy sogar ausreden, Kontakt zu dir zu suchen. Bis ich gesehen habe wie offen du mit deiner Beziehung zu Jules umgehst. Und so hat sich meine Meinung grundlegend verändert.“ Jay dachte über ihre Worte nach. Bevor er sich von Flo gelöst hatte, war er absolut keine Person gewesen, der er selbst gerne begegnet wäre. „Ich verstehe dich“, er seufzte. Nach dem gemeinsamen Kaffee mit den beiden Freundinnen ging Jay nach Hause. Jules hatte ein vorbereitendes Seminar für eine wichtige Klausur, allerdings hatte er sich mit Luan verabredet, die ihm bei seiner Hausarbeit helfen wollte. „Hey“, sie kam bereits von Weitem auf Jay zugerannt. Enthusiastisch warf sich Luan in seine Arme. „Huch, so stürmisch heute?“, zeigte sich Jay verwundert über ihre Begrüßung. „Darf ich mich nicht auf euch freuen?“, Luan hustete. Rasch ließ sie von ihm ab. „Natürlich.“ Um sie zu besänftigen, tätschelte Jay sanft ihren Kopf. „Ich finde deine Reaktion echt süß“, bemerkte er zusätzlich. Luan lächelte, wahrscheinlich stimmte sie jener Satz glücklich. Zufrieden darüber, schloss Jay die Tür auf und sie betraten das Treppenhaus. Sie erkundigte sich nach seinem Tag. „Ach, der war echt gut. Flo hat mich zwar wieder kritisch beäugt, aber ich habe ihn weitgehend ignoriert. Später kam ein Mädchen zu mir, was mir ihre Bewunderung entgegen brachte“, er hielt inne. Noch wollte Jay ihr nichts von der Beziehung zu Jules sagen. Er sollte schon dabei sein. „Da ich zu der Freundschaft mit Jules stehe.“ Luan hinterfragte diesen Satz nicht weiter, wofür er ihr dankbar war. „Willst du einen Kaffee? Ich hatte ja bereits einen.“ „Ja, gerne.“ Sie wirkte müde und ein wenig abgespannt. Aus diesem Grund bemühte er sich besonders.Immerhin sollte Luan sich wohl fühlen. „Hier bitte“, er reichte ihr eine große Tasse. „Gracias.“ Sie wechselten in Jules Zimmer. Dort bereitete Jay seine Unterlagen aus. Sofort stürzte sich Luan in die Arbeit. Es war ihr Elan, was Jay antrieb. Durch sie schafften sie ein ganzes Stück. „Du bist ein Engel“, meinte Jay und strahlte. „Ach, was. Du hast echt gute Ansätze bei deinen Ausarbeitungen und auch dein Thema sagt mir zu. Rede dich also mal nicht runter! Du kannst mehr, als du denkst.“ „Hmm, eventuell hast du da recht. Ich habe mich nur immer zu sehr auf Jules verlassen. Ohne auf meine eigenen Talente zu achten.Vielleicht war es die Panik, dass ich sowieso versagen könnte.“ „Diese ist vollkommen unbegründet. Glaub mir, du bist intelligent und brauchst dich hinter Jules zu verstecken. Ihr habt es beide drauf.“ „Nun, danke“, murmelte Jay, ein wenig peinlich berührt. „Worauf hast du jetzt Lust? Bei Jules wird es später. Er ist noch an der Uni und danach wollte er in die Bibliothek, Lektüre besorgen für die Klausur sowie pauken. Die Ruhe dort zieht ihn magisch an.“ „Das habe ich mitbekommen“, Luan lachte auf. „Was hältst du von einer Runde Dead or alive und danach schauen wir einen Film? Ich habe noch nie gegen dich gespielt. Müssen wir nachholen!“ „Na, gut. Ich werde dich jedoch nicht schonen. Dass das klar ist.“ „Dann schwinge mal keine großen Reden und leg los“, sie drückte ihn einen Controller in die Hände. Jay musste ziemlich dagegen halten, denn Luan ging sofort aufs Ganze. „Du gehst ab“, rief Jay aus. Fast hätte Luan ihn aus den Ring gefegt. Sie schenkten sich beide nichts. „Genug“, gab Jay letztendlich auf. Er war außer Puste. Luan siegte damit knapp, was ihn nicht sonderlich ärgerte. „Ha, dir habe ich es aber ziemlich gezeigt, was?“, sie zwinkerte. „Passiert“, grummelte Jay. An sich war er besser in dem Spiel. Allerdings bescheinigte er Luan dennoch ihr Talent, immerhin hatte sie ihn fair besiegt. „Du darfst den Film aussuchen als Siegerprämie“, beschloss Jay kurzerhand. „Das ist aber sehr großherzig von dir.“ Sie lachte. „Ich wäre dir jedoch dankbar, wenn es keine Schnulze wird. Falls doch, muss ich da durch.“ „Du denkst ganz schön in Klischees“, Luan runzelte die Stirn. „So meinte ich das gar nicht“, dementierte er schnell und bereute seine Äußerung. „Ach, kein Ding“, sanft legte sie eine Hand auf Jays Schulter. Dann beendete sie das Spiel und zappte sich durch Netflix. Zu Jays Erleichterung, wählte Luan einen Actionfilm. „Ich sagte ja … total klischeebeladen“, neckte sie ihn. „Ha, ha. Es war wirklich nicht so gemeint.“ „Schon okay. Ich ärgere dich eben gerne.“ Eine Weile versuchte sich Luan den Film zu widmen, aber Jay bemerkte, dass ihr etwas auf dem Herzen lag. „Schieß los“, ermutigte er sie. „Hmm, mir war klar, dass du es merkst.“ „Mir kann man eben nichts vormachen. Zudem bist du ein offenes Buch, jedenfalls bei uns.“ „Na ja“, Luan stöhnte. „Es geht um Jules.“ Fast hätte er es sich denken können. Luan war also interessiert an Jules. Zu mindestens konnte sie ihre Gefühle nicht mehr genau zuordnen. Hinzu kam, dass Flo sie auch noch verunsichern wollte. Sie begann ihm alles zu erzählen und Jay hörte ihr aufmerksam zu, ohne Luan zu unterbrechen. Kapitel 26: ------------ Als Jules nach Hause kam, erwarteten ihn bereits Jay und Luan. Sie widmeten sich gerade einer Sitcom, um sich die Zeit zu vertreiben. „Hi“, Luan strahlte ihn an. Irrte sich Jules oder wirkte ihr Lächeln heute besonders verführerisch? „Hallo“, grüßte er die zwei und nahm neben Luan Platz, die in der Mitte saß. „Wir hatten gerade über dich gesprochen“, erläuterte Jay kurzerhand. „Oh. Ich hoffe doch Gutes?“ Jules war ein wenig verunsichert. Natürlich freute er sich auf den Urlaub, jedoch lag eine gewisse Veränderung zwischen ihnen in der Luft, die sie alle betraf. Jules spürte Luans Arm, den er streifte. Sie schien das weniger zu kümmern. „Wenn du was anderes gucken möchtest, brauchst du es nur zu sagen“, sprach sein Freund. „Ihr müsst nicht wegen mir eure Serie beenden.“ „Also ich muss die nicht mehr sehen“, mischte Luan mit. Wahrscheinlich war sie der ausschlaggebende Grund, dass sie sich letztendlich auf einen Horrorfilm einigten. Jeder von ihnen hatte eine Vorliebe für dieses Genre, was ihnen oft zu Gute kam. Es war mucksmäuschenstill still. Jules spürte, wie sich Luans Körper anspannte. Dies war oftmals der Fall, wenn sie solche Filme sah. Ihn amüsierte das Ganze und irgendwie fand er diese Art an Luan auch ziemlich niedlich. Sie rückte dichter zu Jules. Erneut streifte ihr Arm den Seinigen. Luans Haut fühlte sich weich an und Jules überkam das Bedürfnis, sie zu berühren. Wofür er sich innerlich verfluchte. Noch immer hatten sie Luan nicht eingeweiht. Flüchtig warf Jules einen Blick auf Jay, der ebenfalls nervös wirkte. Kein Wunder. Luan hatte es ihnen eben angetan. Manchmal scherzte Jay, wie es wohl wäre eine Dreierbeziehung zu führen. Jules spürte das dahinter wohl doch mehr als ein bloßer Spaß steckte. „Dabei ist es so schon kompliziert genug“, dachte er leise. Bei einer besonders gruseligen Szene, krallte sich Luan sowohl an Jules wie auch Jay fest. „Ganz ruhig“, versuchte Jay sie zu beruhigen. Luan verharrte in dieser Position. Keiner von ihnen sagte etwas dagegen. Es fühlte sich richtig an. Und um Luan die Angst zu nehmen, strich Jules sanft über ihren Arm. Jay tat es ihm nach. Luan schloss die Lider für einen Augenblick. Ihre Atmung entspannte sich merklich und Jules war klar, dass sie keineswegs etwas gegen ihre Zuwendung auszurichten hatte. Sie vertraute ihnen. Ehe sie sich versahen, endete der Film. Keiner hatte sich so wirklich auf die Handlung konzentriert. Jedoch war die Zeit mittlerweile weit voran geschritten, so dass Luan erschrocken fiepte. „Oh je, ich habe die letzte Bahn verpasst“, klagte sie. Es war Jay, der plötzlich den Vorschlag machte. „Wie wäre es wenn du heute ausnahmsweise hier übernachtest? Wir können dich morgen rechtzeitig wecken und du musst nicht nachts durch diese Gegend laufen“, begründete Jay seine Idee. „Aber ihr habt doch kaum Platz: Andererseits mag ich ungern laufen. Da hast du recht“, Luan hielt inne. „Ich kann auf dem Boden schlafen, kein Problem. Dann habt ihr zwei das Bett.“ Jules legte die Stirn in Falten. „Nee, wenn dann schlaft ihr im Bett“, meinte er. Sie gerieten in eine Diskussion, wer von ihnen auf den Boden schlief. „Jungs“, Luan wurde lauter und deutete mit den Händen eine Auszeit an. „Bevor ich jetzt mit streite, wer wo schläft, mache ich lieber einen anderen Vorschlag. Wir schlafen einfach alle im Bett. Das wird schon gehen. Ich habe das auch mal mit Freundinnen gemacht.“ „A-aber“, stotterte Jules hervor, aber sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Du tust so als ob das total verwerflich wäre“, sagte Luan mit ruhiger Stimme. „Wir sind befreundet. Da sollte das keine Probleme darstellen.“ Damit war alles gesagt. Jules stellte ihr ein T-Shirt und eine Shorts zur Verfügung. „Danke dir“, sie grinste. Luan nahm ihm die Sachen ab und verschwand im Bad. Ein paar Minuten später kam sie wieder. Das T-Shirt war ein wenig zu groß, stand ihr jedoch. Die Shorts musste Luan enger ziehen. Im Großen und Ganzen passten ihr die Sachen dennoch. Durch die kurze Hose, wurden ihre Beine freigelegt, schlank und grazil. Jules schluckte. „Ihr könnt“, sie nickte, woraufhin er sofort aufsprang. Jene Konstellation stimmte Jules unruhig. Jay betrat den Raum. „Entschuldige“, zischte er leise. „Ich wollte sie halt ungern durch die Straßen ziehen lassen.“ „Ich verstehe das“, gab Jules flüsternd zurück. „Allerdings komme ich mir schlecht vor, weil wir ihr bisher nicht die Wahrheit über uns gesagt haben.“ „Ich weiß. Wir sollten das bald in Angriff nehmen.“ Jay griff nach seiner Zahnbürste. Schweigend standen sie nebeneinander und putzten sich die Zähne. „Versuch ruhig zu bleiben“, riet Jay seinem Partner, bevor sie das Bad verließen. Luan hatte es sich im Bett gemütlich gemacht. Seine Unruhe bekämpfend, überwand sich Jules und legte sich in Richtung der Wand. Somit wiederholten sie ihre jeweiligen Positionen, denn Luan lag zwischen ihnen. „Gute Nacht“, raunte sie. „Schlaft gut“, wünschte Jules ihnen. Jay gab ein zufriedenes Brummen von sich. Er war der Erste, der ins Land der Träume verschwand. Insgeheim beneidete er ihn dafür. Als sich Luan nach einiger Zeit in Richtung von Jules wendete, berührten sich fast ihre Nasenspitzen. Auch sie schien mittlerweile eingeschlafen zu sein. Jules lauschte ihren gleichmäßigen Atemzügen. Völlig unvorbereitet griff sie nach ihm und drückte ihn an sich. Dabei dachte er an Jays Rat. „Du hast leicht reden“, maulte er leise. Jules bemerkte, dass sich ihr Körper verkrampfte. Bestimmt hatte Luan einen Alptraum. Um ihr zu signalisieren, dass er für sie da war, erwiderte er ihre Umarmung. Sanft fuhr Jules über Luans Haar. Sie machte es ihm wahrlich nicht leicht. Dennoch war sie unglaublich süß, wenn sie schlief. Ein paar Haarsträhnen glitten ihr ins Gesicht. Vorsichtig strich Jules diese zur Seite. „Wenn du wüsstest“, flüsterte er. Seit dem Kuss hatte er immer wieder an sie und jenes Ereignis gedacht. Luan war die erste Frau, die ihn dermaßen aus dem Konzept brachte. Fest stand für Jules jedoch, dass er Jay auf keinen Fall verlassen würde. Wie sie da nun so lagen, hatte es etwas, von seinen geheimsten Wünschen. Vielleicht lag es daran, dass Luan ihn und Jay perfekt ergänzte. Sie waren alle auf einer Wellenlänge. Und so etwas fand man nun mal selten. Wenn er es für sich selbst beantworten müsste, wusste er, dass mehr dahinter steckte. Jules würde sowohl für Jay als auch für Luan durch die Hölle gehen, falls dies nötig wäre. Sie waren die Personen, an die er zu Beginn eines jeden Morgens dachte. „Habe ich für Luan etwa Gefühle?“, nuschelte er nachdenklich. Sie kuschelte sich näher an ihn. Es war nicht von der Hand zuweisen, dass zwischen ihnen mehr als bloße Freundschaft existierte. Was wohl für sie alle galt. „Ich sollte langsam schlafen“, ermahnte Jules sich selbst. „Hey“, flüsterte eine Stimme sanft. Doch Jules reagierte nicht. Er wollte noch liegen bleiben. Jetzt pikte ihn die Person in die Seite. „Aufwachen“, raunte eine andere Stimme. Letztendlich schreckte Jules empor und starrte in die Augenpaare von Jay und Luan, die ihn breit angrinsten. „Wir dachten schon, dass du ins Koma gefallen wärst“, bemerkte Luan. „Wie spät ist es?“, nuschelte er. „Höchste Zeit aus den Federn zu kommen“, Jay riss ihm die Decke weg, um Jules zum Aufstehen zu bewegen. Der brummte. Behäbig kämpfte er sich empor. Luan hatte bereits ihre Straßenkleidung an. Er schämte sich aufgrund dessen, da er schier halbnackt im Bett lag und ärgerte sich über Jays Aktion. Rasch sprang Jules auf, um sich seine Sachen zu schnappen und im Bett zu verschwinden. Ihm entging nicht, dass Luan ihn interessiert hinterher sah. Als er fertig war, saßen die beiden bereits in der Küche. Jay hatte sich um das Frühstück gekümmert. „Wow, du mutierst ja förmlich zum Hausmann“, pfiff Jules beeindruckt. Sein Partner grummelte. „Er mag uns eben und bemüht sich daher“, Luan zwinkerte Jules kokett zu. Als sie mit dem Essen fertig waren, halfen sie allesamt Ordnung in der Küche zu schaffen. Danach machte sich Luan auf den Weg, ebenso wie Jay. Jules blieb zurück, denn er hatte heute, im Gegensatz zu seinen Freunden, ein wenig Leerlauf. Mit einer weiteren Tasse Kaffee ausgestattet, öffnete er das Fenster und setzte sich auf den Sims. Etliche Gedanken gingen ihm durch den Kopf. An manchen Tagen beneidete Jules seinen Freund. Jay war einfach weniger eingeschränkt und freier. Bestimmt hatte Luan gewisse Erwartungen, wenn sie tatsächlich intim werden würden. Was wenn Jules diese nicht erfüllen konnte? Jay hatte diese Probleme nicht, denn er war ein cis Mann. In jenem Moment wurde sich Jules seiner körperlichen Verfassung schmerzlich bewusst. So sehr er auch dagegen ankämpfte, kamen ihm erneut die Worte Flos in den Sinn. Hybrid. Genauso hatte man ihn in der Vergangenheit genannt. Teils bezeichnete er sich in dieser Zeit selbst mit jenem Begriff, weil er befürchtete, nie etwas Ganzes, vollwertiges sein zu können. „Ich muss meine Ängste besiegen“, sprach Jules zu sich selbst und sah aus dem Fenster. ***** Zuhause hatte Luan schnell eine Dusche genommen und war von dort aus zur Uni aufgebrochen. In der Mittagspause traf sie sich mit einer Kommilitonin, die sie in einem Seminar kennengelernt hatte. Gedanklich war sie allerdings bei Jules und Jay. „Hoffentlich denken sie nichts falsches von mir“, sagte Luan still zu sich selbst. Ihre Begleiterin ging gerade die Aufgabenliste durch, die sie mitbekommen hatten. „Hey, hörst du mir überhaupt zu?“, sie stupste Luan an. „Was? Oh, entschuldige bitte.“ „Hm, dich scheint wohl etwas zu bedrücken oder?“ „Kann man so sagen“, Luan seufzte. „Nun“, Lucy, so hieß das Mädchen, nickte ihr zu. „Wenn du möchtest, kannst du gerne mit mir darüber reden.“ Sollte sich Luan wirklich einer Person anvertrauen, die sie kaum kannte? Es wäre jedoch nicht, dieses Chaos in ihren Kopf zu ordnen. Ihren Eltern konnte sie, was das anging, auch keinen reinen Wein einschenken. Lucy schien recht nett zu sein und niemand, der sie für ihre Gefühle verurteilen würde. „Also gut“, entschloss sich Luan laut. Somit weihte sie Lucy ein. „Oha, da hat es dich scheinbar echt erwischt“, bemerkte die, nachdem Luan endlich ihre Geschichte beendet hatte und sich ihrem Mittagsessen widmen konnte. „Also ich kenne mich weder mit Transidentität noch Dreiecksbeziehungen aus, jedoch scheinen dir beide ja gut zu tun, so wie ich das aus deinen Erzählungen heraus höre“, resümierte sie. „Absolut. Sie sind die ersten gewesen, die auf mich zugegangen sind und wenn du so willst meine einzigen Freunde in Kassel. „Das macht das Ganz aber auch kompliziert. Ich möchte ungern die Freundschaft zu beiden aufs Spiel setzen“, raunte Luan. „Darf ich dich da noch etwas fragen?“ „Nur zu.“ Lucy blickte durch die Mensa. Als sie sich sicher fühlte, nickte sie. „Macht es dir nichts aus, dass Jules nicht ganz so ist wie andere Männer?“ Luan war klar gewesen, dass dieser Punkt auftauchen würde. Im Gegensatz zu Flo, der Jules einfach nur demütigen wollte, wirkte Lucy eher interessiert und dem Thema gegenüber offen. „Klar, habe ich mir meine Gedanken gemacht. Teils sind da auch noch bestimmte Sorgen. Für mich ist Jules jedoch das, was er im Grunde schon immer war. Ein Mann. Das andere sind Äußerlichkeiten, die vielleicht ein wenig abweichen. Es gibt nun mal gänzlich unterschiedliche Männer. Wenn es dazu kommt, werde ich ihn ganz normal behandeln. Er ist kein Exot oder eine Rarität, die man ausprobiert, um irgendeine Liste abzuhacken.“ Ihr Gegenüber lächelte sie an. „Das finde ich gut. Dann steht dieser Sache zu mindestens nichts im Weg. Die Frage ist halt nur, ob du mit beiden eine Beziehung eingehen, nur mit einem oder es bei Freundschaft belassen möchtest.“ Falls du zu Zweiterem tendierst, solltest du aber mit offenen Karten spielen.“ Eine Dreier Beziehung? Wie sollte das funktionieren? Luan hatte, was dies betraf, keine Erfahrungen gesammelt. Zudem war sie unsicher. Was wenn sie einen von ihnen dadurch verletzte? Lucy und sie sprachen noch eine ganze Weile über ihre Situation. Irgendwann trennten sich ihre Wege. Sie war so vertieft in ihren inneren Konflikt, dass sie geradewegs Flo in die Arme lief. Kapitel 27: ------------ Eigentlich wollte Luan einfach passieren, ohne den Störenfried zu beachten. Doch Flo ließ ihr keine Chance und fasste sie grob beim Arm. „Ich muss mit dir reden“, sprach er mit einem gereizten Unterton. „Ich wüsste nicht, was wir noch zu besprechen haben“, zischte sie. Er blieb standhaft und zog Luan mit sich, die wild demonstrierte. In einer ungestörten Ecke, abgeschieden von dem Rest der Studierenden, die sie mit Blicken verfolgt hatten, ließ Flo Luans Arm los. „Was willst du?“, fauchte sie aufgebracht. „Habe ich dir nicht ausdrücklich klar gemacht, dass ich meine Ruhe haben will?“ „Tja, ich wollte dir eigentlich etwas erzählen, was dich durchaus interessieren könnte“, posaunte Flo. Unschlüssig, was sie davon halten sollte, stand Luan da. Bestimmt wollte er sich nur profilieren. Sollte Flo doch reden, beschloss Luan und ließ ihn gewähren. Ohnehin würde sie seinem Geschwätz wenig Glauben schenken. „Dann schieße mal los. Ich bin gespannt welche Lügen du mir auftischen willst.“ Er plusterte sich wichtigtuerisch auf, holte tief Luft und grinste. „Wie es mir scheint, bist du wohl die Einzige, die nicht eingeweiht ist“, erneut machte Flo eine Pause und genoss förmlich die Ahnungslosigkeit in Luans Augen. „Dein ach so geliebter Juls versteckt etwas vor dir. Und damit meine ich nicht, dass er eine Transe ist.“ Sie spürte das Blut in sich aufkochen. „Dann will ich dich mal erlösen. Ein Wunder, dass du so blind warst und es nicht selbst erkannt hast. Er führt dich komplett hinters Licht- Schon lange ist er in einer Beziehung mit Jay. Alle hier wissen das. Außer du! Ich an deiner Stelle würde mich fragen, ob du ihm tatsächlich so viel bedeutest, wie er dir weiß machen will.“ „Ich habe das Gefühl“, Luan seufzte. „Dass du einfach nicht darauf klar kommst, dass du keine Macht mehr über Jay hast. Schon traurig, nicht wahr? Im Grunde bist du ganz alleine. Menschen, wie du haben keine richtigen Freunde. Siehst du es nicht? Sie kriechen förmlich vor dir. Mit richtiger Freundschaft hat das rein gar nichts zu tun.“ „Denk, was du möchtest“, sprach Flo, dennoch konnte sie erkennen, dass ihre Worte nicht gänzlich an ihm vorbei gegangen sind. „Allerdings wirst du irgendwann die Wahrheit herausfinden. Ich habe dich gewarnt. Zu schade. Ich hatte echt vermutet, dass du mehr Grips hast, den Eindruck hast du jedenfalls vermittelt.“ Damit verabschiedete sich Flo und ließ sie alleine zurück. War an seinen Worten etwas dran? Unschlüssig blieb Luan, auf der Stelle verharrend, stehen. „Hey, alles klar bei dir?“, ein Typ sah sie fragend an. „Ähm, ja“, murmelte Luan und setzte sich in Bewegung. Sie musste mit Jules reden! Mit zittrigen Händen fischte Luan ihr Smartphone aus der Hosentasche. „Ich muss unbedingt mit dir sprechen. Vielleicht überrumpelt dich das. Aber es ist wichtig. Hast du später Zeit?“, zögerlich besah sie die Nachricht, schickte sie jedoch ab. Etliche Minuten später, ihr kam es fast wie eine Ewigkeit vor, folgte die Antwort. „Für dich habe ich immer Zeit. Das solltest du doch wissen. Sag mir einfach wann und wo.“ „Heute Abend um achtzehn Uhr bei mir“, schrieb Luan, ohne jegliche Spuren von Gefühlsdusseligkeit. Und so setzte sich der Tag fort. Allerdings verfolgten sie die Worte Flos. Sie versuchte, diesen Gedanken abzuschütteln und auf den Abend zu verschieben, doch so recht gelang Luan das nicht. Die letzte Vorlesung ging vorüber. Endlich konnte sie sich auf den Weg nach Hause machen, wo Jules wahrscheinlich schon auf sie wartete. Ihr wurde ein wenig mulmig. Wie sollte Luan das Gespräch beginnen? Und was, wenn dies alles ohnehin nicht stimmte? Eine blecherne Computerstimme verkündete ihre Haltestation. Erschrocken, dass sie diese fast verpennt hätte, stieg Luan aus. Mit langsamen Tempo schritt sie auf ihre Wohnung zu. Luan hatte Recht behalten. Jules stand bereits vor ihrer Tür. „Hi“, er strahlte sie an und wollte sie in eine Umarmung ziehen, doch Luan wehrte diese ab. Fragend sah Jules sie an. In dem Augenblick versetzt ihr Herz ihr einen Stich. „Lass uns erst mal reingehen“, säuselte Luan. Bedröppelt folgte Jules ihr. Erschöpft warf sie ihre Tasche achtlos in die Ecke, als sie die Wohnung betraten. „Willst du was trinken?“ Es war unverkennbar, dass sich Luan gerade zur Höflichkeit zwang. „Nein, schon in Ordnung. Du machst einen ziemlich aufgewühlten Eindruck. Was ist los? War etwas an der Uni?“, Jules fixierte sie. „Na schön, ich wollte nicht direkt mit Sache herausrücken, weil du schließlich erst angekommen bist, aber wie du magst ...“, sie sammelte sich und erzählte ihm letztendlich von ihrer heutigen Begegnung mit Flo. Als sie fertig war, nahm sie auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch Platz. „Er hat unrecht, oder?“ Jules stand ihr gegenüber. Sein Gesicht schien nahezu erstarrt. „Ich meine, Flo lügt doch immer. Außerdem hat er es sowieso auf dich abgesehen. Bestimmt wollte er mich einfach nur verunsichern.“ Schweigen. „Jules? Jetzt sag was!“ Luan wurde lauter. „Ich ...“, setzte er an. Man merkte, dass er mit sich selbst kämpfte. „Raus mit der Sprache! Du musst ihn nicht verteidigen, nach allem, was er dir angetan hat und den Lügen, die er über dich verbreitet.“ Ihre Stimme begann zu zittern. Jules richtete die Augen gen Boden. Minuten der Stille vergingen, bis er sich räusperte. „Nein, da hat er ausnahmsweise nicht gelogen.“ „D-das heißt?“ „Ja“, er nickte bekräftigend. „Jay und ich sind in einer Beziehung.“ Für Luan brach schier in dem Moment eine Welt zusammen. Es war nicht so, dass sie Jules verteufelte aufgrund seiner Beziehung zu Jay. Damit hätte Luan wahrscheinlich sogar umgehen. Viel mehr war es die Tatsache, dass sie abermals belogen wurde. Ausgerechnet von zwei Menschen, denen sie mittlerweile vertraute. Sie hatten ihr einfach vorenthalten, dass sie ein Paar waren! Nicht nur, dass … Luan hatte sich ihnen geöffnet, ihnen Seiten gezeigt, denen sie kaum jemanden zeigen konnte. Was, wenn sie nur ein Spielzeug für die zwei war? So wie es bei ihren Ex Freunden der Fall gewesen war. „Luan … ich.“ „Raus“, sagte sie leise. Jules wollte auf sie zu treten, aber Luan zeigte bestimmend zur Tür „Ich habe gesagt du sollst gehen! Ich will weder dich noch Jay vorerst sehen. Haltet euch einfach von mir fern.“ Mit traurigem Blick, verließ er ihre Wohnung. Und sie war wieder allein. Wie sie es am Anfang war. Einsam … . Kapitel 28: ------------ „Was für eine Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte Jay, nachdem Jules durch Tür kam. Dieser verzog missmutig das Gesicht. Er wirkte sichtlich gequält. „Ich gehe erst mal duschen“, murmelte Jules. Doch so einfach wollte Jay ihn nicht entkommen lassen. Er kannte ihn mittlerweile zu gut. Also folgte er ihn ins Bad, wo Jules bereits halb unter der Dusche stand. „Hey, du weißt, dass du mir nichts verschweigen kannst. Irgendetwas hast du. Das spüre ich. Raus damit.“ Der Blonde gab sich kühl, schlüpfte aus der, bereits halb ausgezogenen Boxershorts und stieg unter die Dusche. Jay tat es ihm nach. „Sorry“, seufzte Jules, der ihn immer noch keines Blickes würdigte. „Ich rede mit dir“, Jay drückte ihm seinen Oberkörper entgegen und sah ihm in die Augen. „Hör zu … ich“, sprach Jules gebrochen. Er schielte an ihm vorbei. Schließlich brach es aus ihm aus. Jules weihte seinem Partner ein, was zuvor passiert war. Dabei merkte man ihm deutlich an, wie er mit seinen Gefühlen kämpfen musste. „Wir hätten es ihr sagen müssen“, resultierte Jules. „Wahrscheinlich hast du recht“, Jay bedauerte sein Zögern gegenüber Luan. Mit ihr hatten sie sich wie eine Einheit gefühlt, sie war wie die beste Freundin, nach der er sich immer gesehnt hatte. Und nun war sie fort. Er konnte es ihr nicht einmal verübeln, wenn sie keinen Kontakt mehr zu ihnen wollte. Es war nur allzu verständlich. „Ich wünschte, ich hätte es ihr gesagt“, flüsterte Jules. „Vielleicht ...“, Jay seufzte. „Sollte ich mit ihr reden?“ „Mach das besser nicht. Sie hat mir gesagt, dass sie weder dich noch mich sehen will. Ganz ehrlich, ich kann Luan da vollkommen verstehen. Sie hat uns fast ihre komplette Vergangenheit anvertraut und was machen wir? Tja, wir stoßen sie vor den Kopf. Wir sind doch nicht besser als ihre Ex Freunde. Im Endeffekt haben wir Luan ebenfalls enttäuscht.“ Jules biss sich auf die Lippe, die zitterte. Um ihn zu beruhigen, strich Jay über seine Wange. Er wollte diese Sache zwischen ihnen auf keinen Fall so stehen lassen! Daher nahm sich Jay vor, nochmals mit Luan zu reden. Jules sagte er davon nichts. Ohnehin war dieser den Abend über ziemlich in sich gekehrt. Nicht einmal eine Runde Dead or Alive konnte ihn aufmuntern. „Ich denke, ich gehe ins Bett“, nuschelte Jules. Wortlos ging er ins Bad, um sich fertig zu machen. Wenig später kam Jules wieder, mit müden Blick, strebte er direkt das Bett an. „Schlaf später gut und mach nicht zu lange“, waren seine letzten Worte. Dann hüllte er sich in die Decke ein und drehte Jay den Rücken zu. „Ärmster“, der Schwarzhaarige sah Jules einige Zeit an. Letztendlich griff er nach seinem Handy. Er hatte schon Bedenken, dass Luan ihn geblockt hatte. Aber ihr Profilbild, was sie bei Whatsapp drin hatte, war noch sichtbar. „Hey, es tut mir so leid, dass wir es dir nicht vorher gesagt haben. Es ist nicht so, dass wir es dir verschweigen wollten. Im Gegenteil. Es war nur ein unpassender Zeitpunkt dafür. Immerhin hast du in der Vergangenheit viel durchgemacht. Daher hatten wir daran gedacht, dich im Urlaub einzuweihen, was unseren Beziehungsstatus betrifft. Auch da dann der ganze Unistress hinter uns liegt. Ich hoffe, dass du uns eine Chance gibst, um dir beweisen zu können, wie viel du uns bedeutest. LG Jay“, tippte er. Verloren starrte Jay auf sein Smartphone. Ob Luan bereits schlief? Er schüttelte den Kopf, da er fast von einem Gegner erledigt wurde. Um sich abzulenken, spielte Jay gerade im Onlinemodus Call of Duty. „Dude, pass doch einfach mal auf“, schnauzte ihn ein Mitspieler an. Entnervt zog er die Runde durch. Danach loggte er sich aus. Genug für heute. Eventuell sollte er Jules folgen und ebenfalls ins Bett gehen. „Eigentlich keine schlechte Idee“, raunte Jay. Als er sich fertig gemacht hatte und im Inbegriff war, die Leinen Richtung Land der Träume zu reißen, sah er eine Nachricht bei Whatsapp aufflackern. Luan! „Ihr wolltet es mir sagen? Ist das nicht schon wieder eine Lüge? Tut mir leid, aber ich weiß wirklich nicht mehr, was ich euch noch glauben kann. Momentan komme ich mir ziemlich verarscht vor. Ich hätte nie ein Problem mit eurer Beziehung gehabt. Ihr wisst genau, dass ich stets zu euch gehalten habe. Ganz egal, was Flo oder wer auch immer gesagt hat. So fühlt es sich jedoch an, als hättet ihr mich absichtlich belogen. Ich würde lügen,wenn ich bestreiten würde, dass ich nichts für euch empfinde. Bestimmt habt ihr das bloß ausgenutzt ...“ Sie dachte, dass sie für Jay und Jules nur ein Spielzeug gewesen wäre? Er knirschte mit den Zähnen. Wie konnte er Luan klar machen, dass sie mehr für die beiden war? „In so etwas bin ich echt nicht gut“, stellte er betrübt fest. Trotzdem musste Jay es versuchen, nicht für für sich selbst sondern ebenfalls für Jules und Luan. „Okay, ich weiß, dass das alles unglaubwürdig auf dich wirkt. Ich kann nicht mehr als dir zu sagen, dass du uns ebenso viel bedeutest. Damit meine ich nicht nur auf platonischer Ebene. Seitdem du in Jules Leben getreten bist, hat er sich verändert – und zwar zum Positiven. Vorher war er gänzlich anders. Du tust ihm einfach gut- Nicht nur ihm. Auch mir. Ich habe vieles erst durch dich erkannt. Man kann sagen, dass du mir die Augen geöffnet hast.“ Dabei beließ es Jay erst einmal. Im Laufe der Nacht, in der er kaum ein Auge zumachte, folgte keine weitere Nachricht von Luan. An den Häkchen konnte er erkennen, dass sie es gesehen hatte. Kapitel 29: ------------ Vor dem Seminarraum verabschiedete sich Jules von Jay. „Ich hole dich dann später wieder hier ab, ja?“, er gab ihm einen Kuss. Seufzend sah ihm Jules hinterher. Das Seminar gestaltete sich als zähflüssig. Gedanklich war er sowieso bei Luan. Warum musste er immer alles versauen? „Lesen Sie die Unterlagen, die ich ihnen ausgeteilt habe, aufmerksam durch. Sie sind auf jeden Fall prüfungsrelevant. Wir sehen uns dann nächste Woche. Bis dahin.“ Unterlagen? Jules blickte auf seinen Tisch. Sein Banknachbar hatte ihm das Blatt nicht weitergegeben. „Mist“, fluchte er innerlich, sprang auf und bat den Dozent um eine weitere Kopie. Der zog missbilligend eine Augenbraue empor, tat Jules letztendlich jedoch diesen Gefallen. „Wie schade“, sein Banknachbar kicherte. „Wie meinst du das?“, Jules war irritiert. Zuvor war ihm dieser Typ nie aufgefallen. Nun richtete er seine Augen direkt auf ihn und schnaufte verächtlich. „Ich hätte nichts dagegen, wenn du durch die Prüfung saust. Solche Leute wie du, haben es nicht anders verdient.“ Der Kerl räumte sein Zeug zusammen und wollte gerade verschwinden, was Jules nicht ohne Weiteres zuließ. „Wir kennen uns doch kaum … was hast du gegen mich?“, fragte der Blonde. Sein Banknachbar, ein nerdig wirkender, rundlicher, blasser Typ, der an sich aussah, als könnte er keiner Fliege etwas zu Leide tun, wand sich um. „Warum, willst du wissen? Du stellst andere in ein schlechtes Licht und täuscht sie. Denkst du echt, so was macht nicht die Runde? Da hast du dich aber geschnitten!“ Plötzlich dämmerte es Jules: Flo steckte hinter alldem. Wie sollte es auch anders sein. Der Nerd hatte keine Lust auf die Fortsetzung des Gesprächs und verließ fluchtartig den Bereich. „Was wollte der denn von dir?“, erkundigte sich Jay, der geradewegs auf ihn zu kam. „Ach, nichts weiter“, Jules schüttelte den Kopf. Seine Lust über diesen Vorfall zu reden, hielt sich in Grenzen. „Lass uns zur Mensa gehen.“ „Wie du meinst“, säuselte Jay. Seine Hand umfasste die von Jules. Erneut folgten ihnen einige neugierige Blicke. Selbst in der Mensa waren sie nicht ungestört. Ein paar von Flos Leuten inklusive seiner eigenen Wenigkeit saßen nur ein zwei Tische von ihnen entfernt. „Vielleicht sollten wir woanders hin gehen“, flüsterte Jules seinem Gegenüber zu. „Willst du dich etwa vor ihm verstecken?“, gab Jay zurück. „Hmm“, Jules wirkte alles andere als selbstbewusst. Das kannte er gar nicht von ihm. Normalerweise bot er Flo die Stirn, komme was wolle. Seit gestern schien Jules allerdings wie ausgewechselt zu sein. Unter dem Tisch holte Jay sein Handy hervor. Jules schien das alles nicht zu bemerken. Stattdessen schielte er zu Flos Tisch. Ein ohrenbetäubendes Lachen schallte ihnen von diesem entgegen. Zugegebenermaßen genossen sie ihr Mittagsessen unter den Bedingungen beide nicht. Da sie Flo aber nicht gewinnen lassen wollten, blieben sie. „Ich habe jetzt noch ein Tutorium“, sprach Jules im leisen Tonfall. „Zur Prüfungsvorbereitung.“ „Alles klar. Soll ich dich zum Raum begleiten?“ „Wenn du magst … .“ Sie standen auf. „Oh lala“, pfiff einer von Flos Freunden. „Schaut mal, wer da kommt.“ „Nicht beachten, einfach nicht beachten“, ermahnte sich Jules selbst. „Hey“, schrie ein anderer aus der Gruppe. Jay und Jules setzten ihren Weg fort. „Bist du sicher, dass ich nicht bei dir bleiben soll?“, flüsterte der Schwarzhaarige seinen Partner ins Ohr, als sie endlich vor dem Raum standen. „Klar, die haben sich doch verzogen“, Jules zwang sich zu einem Lächeln. Flo und Konsorten hatten sie unter kindischen Gelächter noch einige Zeit verfolgt, bis sie es schließlich aufgaben. Richtig wohl war Jules dabei nicht. Jay zur Last fallen wollte er jedoch auf keinen Fall. Also drängte er ihn förmlich, seiner Wege nachzugehen. Jules verspürte ein ungutes Gefühl dabei. Und er sollte recht behalten. Am Ende des Tutoriums erwartete ihn ein hämisch dreinblickender Flo. „Ohne Bodyguard?“, er grinste. „Ich hätte echt gedacht, dass er heute den ganzen Tag an dir kleben bleibt. Er scheint ja richtig besorgt um dich zu sein.“ „Halt doch die Klappe“, fuhr Jules ihn an. „Oh, so aufmüpfig?“ Er hatte echt keine Lust auf Flos Provokation. Dieser ließ nicht locker. „Ihr scheint euch ja ziemlich mit der Kleinen gezofft zu haben, oder? Ich war lange mit Jay befreundet, ich sehe ihm genau an, wenn es ihm nicht gut geht. Du wirkst ebenfalls wie ein Zombie. Tja, aber was soll ich sagen? Karma schlägt eben zurück. Glaubst du denn ernsthaft, Luan hätte so etwas Krankes mitgemacht … wie eine Dreierbeziehung mit euch einzugehen?“ Flo streute weiter Salz in die Wunde. Seine Trumpfkarte gegenüber Jules spielte er außerdem aus: „Na, wer weiß … sie steht ja auch auf einen Cuntboy. So was kann gar nicht normal sein. Wer dann wohl der Aktive wäre, sie oder du? Bestimmt hat sie irgendeinen Schaden, dass sie auf so etwas wie dich steht – weder Fleisch noch Fisch.“ Jules ballte die Fäuste. Ihm war egal, wenn Flo ihn beleidigt, aber ging es um Jay und Luan war das etwas anderes. „Hey, hast du nicht noch eine Extra Nachhilfestunde?“ Jules blinzelte. Es war Jay, der nun hinter Flo aufgetaucht war. „Ich bin doch nicht du“, Flo lachte auf. „Vor lauter Transensex mit dem Cuntboy leidet die Uni völlig bei dir. Anstatt dich auf deine Prüfungen vorzubereiten, lebst du lieber deine perversen Triebe an diesem Ding da aus.“ Sein ehemaliger Kumpel zeigte auf Jules. „Lässt du dich schon von hinten nehmen? Wie ist das so? Pass besser auf, wer weiß, was es sich eingefangen hat, um sich diese Abart zu finanzieren, ich denke … .“ Wums! Mit einem Knockout ging Flo zu Boden. Über ihm stand ein wütender Jay, dessen Blick nahezu in Flammen stand. Er setzte zu einem weiteren Tritt an, aber Jules hielt ihn auf. Um sie herum hatte sich eine schaulustige Menge gebildet. „Herr Raye“, schrie eine tiefe, männliche Stimme, die Jules als Jays Dozenten identifizierte. Kapitel 30: ------------ Flo hielt sich das Gesicht und starrte Jay hasserfüllt an. „Viel Spaß“, er grinste voller Genugtuung. „Sofort in mein Büro“, der Dozent nickte Jay zu. Dieser folgte ihm, ohne zu murren. „Wie es aussieht bekommt dein Freund nun mächtig Ärger“, raunte Flo, dem sichtlich mitgenommenen Jules ins Ohr. „Richtig so. Was schlägt er auch einfach zu? Mir scheint. als kann er gar nicht anders als gewalttätig zu werden. Liegt wohl einfach in seiner Natur. Ich hätte es mir eigentlich gleich denken können.“ Er versuchte ihn zu überhören. Wichtiger war, dass er Jay beistand. Also kehrte er Flo und dem Mob, der sich um sie geschart hatte, den Rücken zu. Mit schnellen Schritten folgte Jules seinem Freund. Vor dem Büro des Dozent, in das Jay bereits eingetreten war, wartete er. Die Minuten zogen sich dahin. „Es wird nicht wieder vorkommen, entschuldigen Sie“, sprach Jay als die Tür aufging. „Das will ich hoffen. Ansonsten wird das Konsequenzen haben. So ein Verhalten dulden wir nicht an unserer Universität.“ „Ich weiß und ich versichere Ihnen, dass ich mich im Griff haben werde.“ Die Tür schloss sich hinter Jay. Erledigt blickte er Jules entgegen. „Wieso?“, fragte der. Jay war bewusst, dass er ihn auf vorige Aktion ansprach. „Wieso?“, wiederholte er und seufzte. „Weil ich mir das nicht mehr mitanhöre! Ich lasse nicht zu, dass er dich entmenschlicht, denn ich habe viel zu lange da mit gespielt. Ja … mich sogar deiner geschämt. Vielleicht weil ich einfach zu feige war und das obwohl du stets den Mut hattest, unsere Beziehung öffentlich zu zeigen. Dir war egal, was alle denken. Genauso sollte es auch sein. Und was tue ich? Im Grunde lief ich davon, spielte sogar den guten Kumpel dieses Heuchlers. Aber hiermit verspreche ich dir, dass das nie wieder vorkommen wird.“ Seine Hände umschlangen den Blonden. Jay meinte es ernst, das spürte Jules. Die Zeiten, in denen er ihn verleugnet hatte, waren endgültig vorbei. „Lass uns nach Hause gehen“, schlug Jay vor. Dankbar nahm Jules Dieses Angebot an. Jay berichtete ihm, dass sein Dozent durchaus Verständnis bezüglich ihrer Situation aufbrachte. „Flo ist wohl nicht sonderlich beliebt, bei den Dozenten und Lehrenden, weil er oft aneckt. Dass er andere Mitstudenten mobbt, ist ebenfalls nicht unbekannt. Allerdings macht Flo das weitgehend versteckt. Daher konnte man ihn bisher nichts nachweisen. Außerdem ist es hier eben anders als zu Schulzeiten“, er machte eine Pause und rollte mit den Augen. „Körperliche Gewalt ist jedoch nochmal eine andere Messlatte. Ich kam mit einer Verwarnung davon. Beim nächsten Mal nehmen sie es aber nicht so locker hin. Im schlimmsten Fall kann ich exmatrikuliert werden.“ „Lass dich nicht mehr provozieren“, sprach Jules ernst. „Flo ist es nicht wert. Ich finde, dass er uns ohnehin genug Probleme bereitet hat. Allein wenn ich an die Sache mit Luan denke … .“ Es machte Jules zu schaffen, dass sie Luan wahrscheinlich für immer verloren hatten. „Ich muss dir etwas gestehen“, Jay räusperte sich. Die Aufmerksamkeit seines Partners richtete sich nun vollkommen auf ihn. „Nun“, begann er ein wenig zögernd. „Als ich gesehen habe, wie sehr es dich trifft, dass sie keinen Kontakt mehr zu uns will, konnte ich nicht anders und habe ihr geschrieben. Ja, ich weiß, was du davon hältst. Aber ich möchte Luan ebenfalls nicht verlieren und außerdem tut es mir ebenso weh, dich leiden zu sehen. Dir macht der Verlust ziemlich zu schaffen, das weiß ich.“ Ihn erstaunte es, wie viel Empathie Jay doch besaß. Obwohl er dies gerne bestritt. An sich wollte Jules den Kontakt zu Luan meiden, um sie nicht weiter zu verletzen. Aber sauer war er keineswegs. Im Gegenteil. Luan bedeutete Jay viel. Und er war endlich in der Lage, seine Gefühle offen zu zeigen. Auch was seine Liebe zu Jules betraf. Genau das stimmte ihn glücklich. „Du bist der Beste.“ Natürlich ließ Flo das nicht auf sich sitzen. Somit wurde die Zeit vor den Semesterferien zum Spießrutenlauf. Seine Mitstudenten mieden Jules weitgehend. Er fand das nicht sonderlich schlimm. Viel mehr ärgerte Jules die Tatsache, dass Flo keine Gelegenheit ausließ ihn zu demütigen. „Hey“, er griente. „Denkst du nicht, dass das die falsche Toilette ist?“ Flos Hand legte sich auf Jules Schulter und hielt ihn davon ab, die Männertoilette zu betreten. „Deine ist da drüben“, er zeigte auf die Behindertentoilette. „Schließlich bist du ja eingeschränkt. Nicht nur körperlich sondern auch geistig.“ „So lange ich vor Nervensägen wie dir Ruhe habe, ist mir das auch recht“, konterte Jules. „Ach und noch etwas … deine Behindertenfeindlichkeit ist ebenso wie dein Charakter – ziemlich arm.“ Er legte Flos Hand beiseite und betrat die Toilette, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Als Jules den Raum verließ, wartete der Tyrann tatsächlich vor der Tür. „Gibt es hier ein Problem?“ Ein anderer Student beäugte Flo sowie Jules kritisch. „Nein“, log der Mobber und verschwand. „Danke“, murmelte Jules seinem Gegenüber zu. „Kein Problem. Ich habe gemerkt, dass der Typ ziemlich aufdringlich dir gegenüber war. Deshalb wollte ich mal lieber eingreifen, bevor der auf irgendeine dumme Idee kommt. Glaub mir, ich kenne solche Leute zur Genüge.“ Bei diesem Satz musste Jules lächeln. „Ich bin übrigens Louis. Und du?“ „Julien, aber alle nennen mich Jules.“ Sie reichten einander die Hände. „Freut mich.“ „Mich ebenso. Ich will jetzt nicht belästigend wirken, aber ich habe gerade kein Seminar und Freiraum. Hast du Lust mit mir in die Mensa zu gehen?“ „Klar, wieso nicht.“ Louis schien nett zu sein. Und da er ohnehin Hunger hatte, war Jules der Idee nicht abgeneigt. Mindestens einer hier, der ihn, neben Jay natürlich, nicht verurteilte. Mitten ins Gespräch vertieft, bemerkte er fast nicht die Nachricht von Jay. „Dein Handy vibriert.“ „Oh“, Jules hustete und entsperrte sein Smartphone. „Ach, das ist mein Freund. Er wollte jetzt auch in die Mensa. Darf er nachkommen?“ „Klar, je mehr desto besser“, stimmte Louis sofort zu. Wenig später kam Jay, ein wenig außer Atem. Er schien sich beeilt zu haben. „Und du bist …?“, Jay schielte verstohlen zu Louis. „Das ist Louis, wir haben uns vor der Herrentoilette kennengelernt“, plauderte Jules munter. „W-was?“ „Keine Sorge. Er hat mir geholfen Flo in die Flucht zu schlagen.“ „Oh, na dann.“ „Das ist Jay …:“ „Sein Freund“, fiel ihm dieser ins Wort. Jules war amüsiert darüber, wie eifersüchtig Jay scheinbar sein konnte. „Ja, das hatte er mir gesagt. Moment, du meinst …?“ „Genau. Ich bin sein fester Freund.“ „Ach“, Louis sah zu Jules und lächelte dann. „Kein Wunder, dass du so reagiert hast. Nun, wieso auch nicht? Ihr scheint ein tolles Paar zu sein.“ Er nahm es so selbstverständlich hin, dass es Jules positiv überraschte. So eine Reaktion war er nicht mehr gewohnt. Es war erfrischend. Und nachdem Jay sich setzte, schien auch er Louis zu mögen. Kapitel 31: ------------ Sie wusste nicht, wie lang sie schon dieses eine Lied hörte. Immer wieder wählte Luan die Repeat-Funktion. Überhaupt fühlte sie sich wie eine Maschine. Als wäre sämtliches Leben aus ihr gewichen. Sie nahm ihr Smartphone vom Tisch und klickte sich durch die Galerie. Es war nicht allzu lange her, dass sie gemeinsam mit Jules und Jay Zeit verbracht hatte. Dennoch schien dies Lichtjahre entfernt zu sein. Wie gerne würde Luan einen von beiden einfach anrufen. Aber in ihr saß immer noch die Angst, enttäuscht zu werden. Wie hatten sie sich das eigentlich vorgestellt? Sollten sie nun alle eine Dreierbeziehung miteinander führen? Luan kamen die Worte ihrer Eltern in den Sinn: „Man sollte nicht ständig gegen den Strom schwimmen, sonst macht man es sich unnötig schwer.“ War das etwa ihre Bestimmung? Hauptsache in der Norm sein, nie etwas zu wagen und keinen eigenen Kopf zu haben? Bitter schüttelte Luan den Kopf. So wollte sie beim besten Willen nicht sein. Sie entschied sich dafür, rauszugehen und sich ein wenig abzulenken. Also setzte sich Luan in die Bahn. Wohin sie genau wollte? Sie wusste es selbst nicht genau. Der Weg war das Ziel. Seit dem Cut zu Jules und Jay war sie ohnehin nicht mehr raus gekommen. Luan stieg an einer recht belebten Passage aus. Kneipe an Kneipe reihte sich hier nebeneinander. „Irish Pub“, las sie laut. Von außen sah er nicht sehr einladend aus. Das musste allerdings nichts bedeuten. Rock Music dröhnte an ihre Ohren. Obwohl Luan eher, ebenso wie Jules und Jay, Hip Hop hörte, war sie keineswegs abgeneigt. Der Türsteher besah sie für einen kurzen Moment, als wolle er fragen, was sie ohne Begleitung hier mache. Er schwieg jedoch, kassierte von Luan den Eintritt und ließ sie passieren. „Oh man, ist das voll“, dachte sie. Ihre Augen suchten verzweifelt nach einem Platz, den sie letztendlich in einer Nische, neben einer Gruppe von jungen Männern und Frauen fand. Anfangs breitete sich Nervosität in Luan aus. „Bist du neu in der Gegend? Hab dich noch nie gesehen“, wurde sie spontan von einer sehr attraktiven Frau angesprochen. Sie hatte einen androgynen Kurzhaarschnitt, mehrere Piercings, einen rockigen Kleidungsstil und wirkte locker. „Nun ja, so lange wohne ich tatsächlich noch nicht hier“, Luan lächelte die unbekannte Frau an. „Und gefällt es dir in Kassel?“ „Ewig möchte ich nicht bleiben, aber als Übergang ist es ganz okay“, antwortete sie ehrlich. „Kann ich verstehen“, erwiderte die Fremde. „Ich bin übrigens Claire. Und du?“ „Luan“, sie reichten sich die Hände. „Ungewöhnlicher Name“, sprach Claire und erinnerte sie dabei stark an das erste Zusammentreffen mit Jules. „Aber er gefällt mir.“ „Danke.“ „Darf ich dir einen Drink ausgeben?“, bot Claire spontan an. Da sagte Luan nicht nein. Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb. Claire erklärte ihr, dass bald ein Karaoke-Event stattfand. Aus diesem Grund waren sie und ihre Gruppe heute Abend im Irish Pub. „Du machst doch mit oder? Mein Freund und ich werden sogar im Duett singen“, sie deutete auf den schwarzhaarigen Mann neben ihr, der einen lässigen Stufenschnitt sowie das dazu passende rockige Outfit. Er wirkte ebenso sympathisch wie Claire und reichte Luan sofort die Hand. „Ich weiß nicht“, sie druckste. Mit einem Mal erinnerte sich Luan: Bevor ihr Leben Luan wie eine Lawine überrollte, hatte sie das Singen geliebt. Obwohl Liebe der falsche Ausdruck war. Eher war es Luans große Leidenschaft gewesen, praktisch ihr Lebensinhalt. „Stimmt“, dachte sie still. „Das habe ich Jay und Jules nie erzählt.“ „Komm schon“, Claire gab ihr einen leichten Stups. „Es macht bestimmt Spass.“ Sollte sie? Luan war sich selbst noch unsicher. Doch als sie Claire und ihren Freund, der sich als Matt vorstellte, anschaute, entschied sie sich dafür. Alte Liebe rostet nicht oder wie man so schön sagte. „ Fein“, Claire strahlte. Der Ordner mit den Liedern ging herum. „Welches nimmst du?“, fragte sie. „Hmm“, Luan überflog die jeweiligen Titel. Währenddessen schnappten sich Claire und Matt ihre Zettel und notierten einen Song. „I got you babe“, Luan musste lachen bei der Wahl. Letztendlich fand auch sie einen Titel, der ihr entsprach – Step by Step von Whitney Houston. Mit diesem Song verband Luan ohnehin viel, was die Vergangenheit als auch die Zukunft anging. Claire schnappte sich alle Zettel und warf sie in eine Box. „Nun heißt es abwarten“, sie zwinkerte Luan zu. Jemand aus der Gruppe schmiss eine weitere Runde. Luan vergaß völlig die Zeit, obwohl ihre Gedanken hin und wieder bei Jules verweilten. Nicht nur an ihn. Sondern ebenso an Jay. „Hey hey, ich bin dran“, Claire klopfte ihr auf die Schulter. Enthusiastisch betrat Luans neue Bekannte gemeinsam mit ihrem Freund die winzige Bühne, die im Irish Pub aufgebaut war. Ein Moderator reichte ihnen Mikros. Sofort legte das Paar mit ihrer Show los. Obwohl sie hin und wieder recht schräg sangen, stimmte das Publikum mit ein. Selbst Luan wippte mit den Füßen. „Man hat gemerkt, dass das wohl euer Lied ist“, stellte sie später, als sie von der Bühne traten, fest. „Ja total“, Claire kicherte. „Ich weiß … total kitschig.“ „Ach was, ich finde es schön. Auf euch.“ Wenig später fiel ihr Name. Mit wackeligen ging Luan in Richtung der Bühne. „Leg los, Kleines“, ermutigte sie der Moderator. Anfangs war sie schier unbeholfen. Doch als Luan das Mikro zu ihrem Mund führte, fühlte sie die einstige Liebe aus alten Tagen aufflammen. Sie sah zu Claire, deren Mund sprachlos offen stehen geblieben war. Vor Luans geistigem Auge tauchten die Silhouetten von Jules und Jay auf. Wie gerne hätte sie beiden genau hier gehabt. Also sang sie aus vollem Herzen. Sang für sich aber auch jene Personen, die ihr mittlerweile so viel bedeuteten. Nachdem die letzten Töne erklangen, tippte ein unbekannter Mann sie an. „Du hast wirklich Talent. Falls du regelmäßig singst oder es willst, melde dich.“ Er drückte ihr eine Visitenkarte in die Hand und verschwand. Zuerst dachte Luan, er sei ein Betrüger, bis Claire sie aufklärte, dass er in der Gegend ein bekanntes Mitglied einer Band war, die öfter in kleineren und manchmal größeren Locations auftrat. P.S. Verzeiht die Verzögerung. Ich war sichtlich eingespannt und mittlerweile habe ich auch endlich mein erstes Buch (allerding mein zweiter Roman, an dem ersten arbeite ich grad wieder) herausgebracht - unter "Fast Car" von Julien Franke ist es u.a. bei Amazon und BoD zu finden. Ich hatte diese Geschichte auch einst hier hochgeladen :). Die LeserInnen haben mich ermutigt, es zu veröffentlichen und somit auch ihr. Vielen Dank dafür . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)