A Song from your Lips von Galaxyblade ================================================================================ Kapitel 6: In deiner Erinnerung… -------------------------------- „Also,“, erkundigte sich Chisaki. „Momo-chan ist jetzt in Akira-kuns Körper, richtig?“ „Worauf willst du hinaus?“ Sie hatten ihre erste Probe, oder was auch immer das war, beendet und sich zurück an den Tisch gesetzt. „Das heißt du hast jetzt seinen Schniedel, richtig? Wie fühlt sich das an? Erzähl’s mir!“ „Bitte?!“, riefen Akira und Momoko gleichzeitig und mit demselben Ton Schamesröte im Gesicht. „S-sowas kannst du doch nicht fragen Chi-chan!“, rügte sie Reina. „Wobei, für euch beide muss das ganze wohl noch ungewohnter sein als für uns beide…“ „Genau, weil Momo-chan jetzt ein Junge ist und Akira-kun jetzt ein Mädchen.“ Ruckartig schwenke Chisaki ihr geborgtes, schwarzes Haar herum und blickte ihn erwartungsvoll an. „Dann musst du mir erzählen wie es sich ohne deinen Schniedel anfühlt!“ „Da-Darüber will ich nicht nachdenken…“ „Hast du nicht mal nachgefühlt?“ Entrüstet stand er auf. „I-ich könnte Momokos Körper nie so anfassen! Niemals könnte ich ihr selbstloses Vertrauen so mit Füßen treten! Sie überlässt mir ihren Körper damit ich in ihm singen kann und dafür bin ich ihr unglaublich dankbar! Da-Das mindeste was ich machen kann ist ihre Privatsphäre zu wahren!“ Er hatte mehr herausgestammelt als er wollte. In seinen eigenen Augen sah er wie Momoko ihn etwas erstaunt ansah aber ihren Blick schnell abwandte als er Augenkontakt schloss. „Man seid ihr langweilig…“, schmollte Chisaki, bohrte aber nicht weiter nach. „Momoko, ich…“ Akira konnte den Satz nicht beenden. Auch nicht nachdem Momoko ihre Lippen wieder von seinen löste. „Mir reicht es für heute mit euch. Am Montag proben wir weiter und besprechen das weitere Vorgehen.“ Damit war sie verschwunden. „A-Akira-kun? Sie kommt doch zurück um Chi-chan und mich zurückzutauschen, oder?“ An diesem Abend putzte sich Momoko besonders ordentlich die Zähne. Das sie jetzt drei Personen hin- und her-tauschen musste war einfach nervig. Warum mussten es auch ihre Lippen sein, die dafür verantwortlich waren. Hatte sie diese Kraft schon immer? Wann hatte sie vor dieser Woche das letzte Mal jemanden geküsst? Sie wusste es nicht. Mit einem Schluck Wasser spülte sie aus. Eine Antwort auf diese Fragen würde sie wohl nicht so einfach finden, also konnte sie auch aufhören darüber nachzudenken. Letztendlich war sie an diesem Freitagabend einfach nur froh diese verrückte Woche hinter sich gebracht zu haben. Erschöpft fiel sie auf den sanften Stoff ihres Bettes. Der Club war gerettet also war alles gut. Jetzt wollte sie einfach nur noch schlafen… Momoko fand sich auf dem Rücksitz eines Autos wieder. Sie träumte. Hoffte sie. Alles wirkte viel zu real für sie. Den Fahrer des Wagens hatte sie noch nie gesehen, genauso wie die Beifahrerin, mit denen sie sich über belanglose Dinge zu unterhalten schien. Im Rückspiegel des Wagens erkannte sie aber nicht sich selbst, sondern Akira. Musste sie jetzt schon davon träumen in seinem Körper zu stecken? In Gedanken seufzte sie. Abgesehen davon war es ein unglaublich langweiliger Traum. Die Landschaft an der sie vorbeifuhren war so austauschbar wie jede andere und das Gespräch mit den anderen Insassen des Wagens interessierte sie nicht. Tatsächlich war das einzige was sie interessierte wann sie endlich etwas anderes träumen oder aufwachen würde. Der Aufprall kam unerwartet. Mit immenser Kraft wurde sie im Sitz nach vorne geschleudert. Ihre Welt drehte sich… Und als sie wieder etwas wahrnehmen konnte… Stille. Sich zu bewegen schien unmöglich, ihre Gliedmaßen waren eingeklemmt. Den Schmerz konnte sie nicht fühlen aber sie wusste, dass sie blutete. Jedoch war das Blut auf ihr nicht allein von ihr selbst. Das Schweigen der anderen Insassen war ein eindeutiges Zeichen für sie. Momoko wollte schreien aber das tat sie bereits. Akiras Stimme rief wieder und wieder nach seinen Eltern. Vergebens… Nach einem Augenaufschlag war sie woanders. In einem anderen Wagen. Akira stieg in diesem Moment aus einem Taxi. Sie waren wieder in ihrer Heimat, sie erkannte die Straßen von Kumoshita. Das Dojo vor ihr war nur ein paar Straßen von ihrem Haus entfernt. Nicht dass sie es je betreten hätte, aber sie war ein paar Mal daran vorbeigekommen. Auch das angrenzende Wohnhaus war ihr bisher nie aufgefallen, nicht bevor sie eine weitere unbekannte Frau in dessen Richtung geleitete. In dessen Türrahmen wartete ein bekanntes Gesicht auf sie. Orochi Taneba aus ihrer Klasse. Leidteilend hatte sie Akira in den Arm genommen. Er hatte nie erwähnt das er sie näher kannte, wobei das bei dem Chaos der letzten Woche verständlicherweise nicht zu Wort kam. „Bist du okay?“, fragte Taneba sie mitfühlend aber Akiras Körper schüttelte nur den Kopf. Er hatte gerade seine Eltern verloren, natürlich war er nicht okay! Und Momoko war so ein Arsch zu ihm gewesen… Schweißgebadet öffnete sie die Augen. Sie war wieder in ihrem Zimmer, in ihrem Körper. Es war wirklich nur ein Traum. Nein, nicht nur. Hatte sie gerade eine Erinnerung von Akira durchlebt? In ihrem Schädel kündigte sich eine Migräne an. Wie konnte sie nur an sich gedacht haben? Wie konnte sie mit ihm die Körper tauschen und trotzdem nicht bemerken was in ihm vorging? Immer war sie so ein Trampel. So wie sie ihn behandelt hatte konnte sie nicht anders als sich Schuldgefühle einreden… Sonnenstrahlen weckten Momoko erneut. Irgendwann war sie wohl doch wieder eingeschlafen, trotz der Gefühle die sie zerfraßen. Über die Nacht hatten ihre Kopfschmerzen nicht sonderlich abgenommen. Verschlafen drehte sie sich in ihrem Bett herum. Sie musste mit ihm reden. Mit Akira. …aber aufzustehen war hart. Irgendwie hatte sie sich dennoch dazu durchgerungen. Aus dem Bett zu steigen, sich zu waschen, Kleidung über zu werfen. War das wie Akira sich fühlte? Wie zur Hölle bekam er mit so einer Last überhaupt irgendwas hin. Missmutig schloss sie hinter sich die Tür und schlug die Richtung des Dojos ein, welches sie in ihrem Traum gesehen hatte. Glücklicherweise hatte sie es in ihrem Traum gesehen, immerhin hätte sie sonst keine Ahnung gehabt wo Akira tatsächlich wohnt. Wobei es schon komisch war, dass es bei Taneba zu wohnen schien. Ihres Wissens hatte sie keine Cousins, dann wiederum hatte sie nie viele Worte mit ihr gewechselt. In ihrer Position als Kapitänin des Kendo-Clubs hatte sie immer etwas einschüchternd auf Momoko gewirkt, aber in Akiras Erinnerung hatte sie scheinbar auch eine mitfühlende Seite. Sie war so in Gedanken, dass sie beinahe an ihrem Ziel vorbeigelaufen wäre. Genau wie in ihrem Traum stand sie erneut vor dem Wohnhaus neben dem imposanten Dojo. An dem Türschild stand tatsächlich der Name Taneba in filigranen Lettern geschrieben. Zögerlich läutete sie die Klingel. „Komm schon Momoko, reiß dich zusammen!“ Als sie die Haustür öffnete war Orochi nicht wirklich darauf vorbereitet dahinter Momoko Akamori anzutreffen. Für ihr sonst burschikoses Verhalten kleidete sich ihre Mitschülerin erstaunlich feminin außerhalb ihres Klassenraums. Das dunkle Freizeitkleid passte hervorragend zu ihrer zärtlichen Statur. Was gar nicht zu ihr passte war der nervöse Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Akamori-san?“ „G-guten Tag Taneba-san. Wohnt bei euch zufällig ein Junge namens Akira Saeki?“ Woher wusste sie überhaupt wo sie wohnte? Und was wollte sie von Akira? „Momoko?“ Als er ihre Stimme hörte trat Akira aus einem anderen Zimmer zu ihnen. Auch er schien überrascht zu sein sie zu sehen. „Was machst du hier?“ „D-du sagtest doch wir wären Freunde oder nicht? Also lass uns was als Freunde unternehmen!“ Unter irgendeinem Vorwand hatte Momoko Akira in ein kleines Café in der Innenstadt geschleift. Sie war einfach bei ihnen aufgetaucht und jetzt saß sie ihm gegenüber und stach mit ihrer Gabel unruhig nach ihrem Limonenkuchen. Geduldig schob sich Akira ein Stück seiner Erdbeertorte in den Mund. Offensichtlich beschäftigte sie irgendwas, jedoch konnte sie einfach nicht die Worte finden um es anzusprechen. Sollte er etwas sagen? „Ist mit dir alles okay Momoko?“ Diese Frage schien es schlimmer zu machen. „Wirklich? Das fragst du mich als erstes? Wie kannst du dir in deiner Situation immer noch Sorgen um andere machen?“ „Wovon redest du bitte?“ „Ich habe gesehen was mit deinen Eltern passiert ist. Aus irgendeinem Grund ist deine Erinnerung daran durch das switchen bei mir hängen geblieben oder so, jedenfalls habe ich gestern nach davon geträumt…“ Das Mädchen wandte ihre smaragdgrünen Augen von ihm ab. Zu sagen Akira konnte es nicht glauben wäre gelogen, da ihm nach dieser Woche so einiges möglich erschien. Tatsächlich hatte ihm das ganze Chaos sogar geholfen seine Trauer möglichst auszublenden. „Mei-mein Beileid…“ „Es… tut mir leid, dass du das sehen musstest Momoko… der Anblick war für dich sicher…“ Mit einem lauten Krach schlug Momokos Faust auf den Tisch. „Hör auf damit dich für alles zu entschuldigen! Kannst du nicht wie jeder andere auch sauer werden und es einfach rauslassen?“ Ein paar der anderen Gäste drehten sich zu ihnen um, verloren aber genauso schnell wieder das Interesse. „Was meinst du? Was bitte soll ich rauslassen?“ „Deinen Ärger, deinen Frust, deine Trauer, ALLES! Seit wir uns getroffen haben hast du nur versucht mir zu helfen, trotz deiner eigenen Probleme. Und ich… ich war einfach nur ein Arsch zu dir. Ich habe dich angeschrien, dir für alles die Schuld gegeben… Selbst als wir die Körper getauscht hatten, hast du nicht nur mich sondern auch meinen Körper immer mit Respekt behandelt. Also lass endlich deine Wut an mir aus! Das ist was ich verdiene...“ Fassungslos blinzelte Akira in ihre Richtung. „… was ich nicht verdient habe ist deine Freundschaft.“ „Momoko… für mich ist Freundschaft nicht etwas was man sich verdienen muss. Was wir alles schon in den paar Tagen erlebt haben in denen wir uns kennen reicht mir völlig um dich meine Freundin zu nennen.“ „Aber…“ „Momoko, du musst kein schlechtes Gewissen haben wegen Dingen von denen du keine Ahnung hattest. Ehrlich gesagt hab ich jemanden gebraucht der mich nach all dem ganz normal behandelt und nicht in Watte packt…“ Ihre Mimik suggerierte ihm das sie verstanden hatte. „Irgendwie beruhigt das alles mein schlechtes Gewissen nicht so wie ich es mir erhofft hatte…“, schmollte sie und nahm eine Gabel voll ihres Kuchens. „Du kannst dir ja einfach vornehmen mich weniger auszuschimpfen, wie wäre das?“ Bei den Worten mussten sie beide lachen. In diesem Moment konnten sich die beiden zum ersten Mal ehrlich anlächeln. Das rötliche Licht der Abendsonne badete den Stadtpark in seinen Farben. Der Rückweg führte die beiden vorbei an frühlingsblühenden Blumenbeeten und Alleen mit knospenden Bäumen. „Vermisst du sie sehr?“, fragte Momoko während sie vor ihm her schlenderte. „Natürlich. Du denkst erst dann an all die Dinge die du ihnen noch sagen möchtest, wenn sie nicht mehr da sind, weißt du?“ „Verstehe…“ „Wie sind deine Eltern so?“ „Sie arbeiten im Ausland und sind kaum zuhause. Aber auch wenn sie nicht wirklich für mich da sind wäre ich wahrscheinlich genauso drauf wie du, wenn ihnen irgendwas zustoßen würde. Wahrscheinlich würde ich mich nur in meinem Zimmer verkriechen und flennen.“ Für einen Moment hielt Akira an. „Es ist komisch. So sehr ich versucht habe meine Trauer raus zu lassen, wie du gesagt hast… irgendwie habe ich es nicht geschafft meine Eltern zu beweinen…“ Auch Momoko blieb stehen. Sie sah sich nach andern Passanten um und zog ihn, nachdem sie keinen erspähte, auf die nächste Parkbank. „Würde es dir helfen dich mal richtig auszuheulen?“ „Was genau meinst du dam-“, doch in dem Moment sah er schon wieder in sein eigenes Gesicht. „I-ich wusste nicht, dass das auch außerhalb des Musikraums funktioniert.“, wunderte sich Akira mit Momokos Stimme. „Aber wieso switcht du plötzlich mit mir?“ „Damit du dich in meinem Körper ausheulen kannst.“ „Huh?“ „Alleine durch den anderen Hormonhaushalt fällt es Mädchen einfacher zu weinen. Versuch’s mal.“ „Das ist doch Schwachsinn Momoko. Wie soll ich denn so auf Kommando…“ Er konnte den Satz nicht zu Ende bringen. In Gedanken war er wieder an dem Tag. Der Tag an dem er sie das letzte Mal gesehen hatte. Als sie ihm das letzte Mal gesagt hatten wie stolz sie auf ihn waren. Kalt zog die erste Träne über eine seiner geborgten Wangen. Sie kamen nicht mehr zurück, damit hatte er sich abgefunden. Aber wieso tat es immer noch so weh…? Alles schrie er heraus, während er sich die Augen rieb. Es ließ sich nicht stoppen, die Tränen flossen wie ein reißender Strom. …und Momoko nahm ihn in den Arm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)