Die Chroniken der Vier Jahreszeiten von Lady_of_D (Winters Passion) ================================================================================ Kapitel 1: Frühling I --------------------- Inmitten von Maiglöckchen, die zaghaft ihre Hälse gen Himmel ausstreckten, war die Prinzessin des Sommerreiches umringt von den Wiesenkindern desselbigen Reiches, die gespannt den Geschichten der Urahnen lauschten. "Habt ihr noch fragen?" Als sie das Buch zuklappte, wedelte eifrig ein junger Sprössling mit der Hand. Mit einem sanften Lächeln nickte sie ihm zu. "Prinzessin Myoso, warum war der Urvater nicht böse auf seinen Bruder?" "Das liegt doch klar auf der Hand", stupste ihn ein junges Wiesenmädchen an und sah zu ihrer großen Schwester herüber, die das Ahnenbuch beiseite gelegt hatte und schweigend dem Geschehen freien Lauf ließ. Malwa (so hieß die jüngste der drei Geschwister) zupfte ihr gold-weißes Seidenkleid zurecht und fuhr fort: "Unser Urvater war viel zu schlau. Er wollte nicht, dass sein Bruder noch einmal denselben Fehler macht." "Er hätte sich auch einfach rächen und ihn von der Sonne verbrennen lassen können." Die anderen Kinder nickten ihm zu, bevor sie ihre Köpfe zu Myoso drehten. Diese schüttelte den Kopf. "Aestos liebte seinen Bruder. Er musste ihm nicht verzeihen, denn er wusste, warum sein älterer Bruder so gehandelt hatte. Genauso musste er keine Rache oder Bestrafung ausüben. Hiemes hat so viele Jahre einsam und allein leben müssen. Dies war bereits seine Strafe. Und ihr sollt wissen, dass Rache keine Lösung ist. Sie führt zu mehr Leid als dass sie Genugtuung bringt. Das haben die Urväter verstanden und weil sie ihre Unsterblichkeit für unser aller Leben ließen, müssen wir den letzten Wunsch von Mutter Erde weiterführen." Der kleine Junge spielte mit seinen blonden Locken und drückte sein Gesicht in die rechte Schulter. Daneben verschränkte Cynos - der einzige Sohn des Sommerkönigs - die Arme vor der Brust. Ihm brannten tausende Fragen auf den Lippen. Er streckte den Arm aus und rief: "Aber wenn wir doch alle die Kinder unseres Urvaters sind, wieso sehen wir dann nicht so aus wie sie." Malwa schlug sich die Hand vor die Stirn. "Aber das tun wir doch, du Dummerchen." Cynos betrachtete seine Füße, die sommerbraune Haut seiner Arme und fasste sich an die blonde Wuschelmähne. Aus den Porträts im Schloss wusste er, dass Aestos im Vergleich zu ihm lediglich wie eine Schattierung aussah, die von goldenem Licht umrahmt wurde. Arme, Beine, Kopf und Oberkörper waren bloß angedeutet und schienen wie von Wurzeln getragen. Myoso sah den tief versunkenen Blick ihres Bruders und legte die Hand auf ihre Brust. "Malwa hat Recht. Tief in uns gleichen wir unserem Urvater. Wir bestehen alle aus einem Teil seines Lichts - die einen stärker, die anderen weniger. Dieses Licht, unser wahres Erscheinungsbild, tragen wir schützend in uns. Sie ist unsere Kraft, die uns ein langes Leben beschert solange wir sie nicht frei vollständig lassen." "Was passiert, wenn wir sie freilassen?", Cynos war neugierig geworden und fragte sich, wie man diese Kraft freisetzen könnte. Seine große Schwester setzte zu einer Antwort an als sich hinter sie Lathyrus stellte. Der junge Mann, der aus einer Zweigfamilie des Sommerkönigshauses entsprang kam auf den Prinzen zu und hockte sich neben ihm. "Wir wären unglaublich stark und würden noch vor Sonnenuntergang verblühen." Die Wiesenkinder zuckten zusammen. Auch Cynos erschreckte der Gedanke zu Erde zu zerfallen, noch bevor er König geworden war. "Schlag dir den Gedanken aus dem Kopf", Lathyrus strich dem jungen Sprössling lächelnd durchs Haar, worauf die anderen Wiesenkinder zu kichern begannen. Beleidigt schnaubte der junge Prinz. Doch Lathyrus wusste, wie er die Laune des Kleinen bessern konnte. Er ballte die linke Hand zur Faust und streckte sie Cynos entgegen. Zwischen den Fingern drängte sich blauweißes Licht, das als Strahlen herausdrang. Langsam öffnete er die Hand und heraus flatterte ein kleines blau leuchtendes Wesen mit langen schmalen Fügeln und tänzelte um den jungen Prinzen, der begeistert in die Hände klatschte. Auch Malwa und die anderen Wiesenkinder sprangen entzückt auf und liefen dem blauen Licht hinterher, das mit schnellen Zügen die Flügel hoch und runter schlagen ließ, dass die Kinder Mühe hatten, dem kleinen Wesen zu folgen. Während einige Kinder bereits aufgaben es zu schnappen, war Cynos wie wild darauf, es als erster in die Finger zu bekommen. Dabei rannte er ungeachtet durch eine Gruppe von ausgebildeten Herbstkindern hindurch und rannte beinahe einen erwachsenen Mann des Herbstreiches um, der ihn mit zugekniffenen Augen hinterherblickte. Cynos vergaß, dass er nicht im Sommerreich war, sondern auf neutralem Gebiet. Nach dem vierten großen Krieg, der die halbe Erde in einen fahle Landschaft aus verdörrtem Holz und steilen Wüstenhängen verwandelt hatte, schlossen die Reiche Frieden miteinander. Jeder opferte ein Stück seines Territoriums, woraus das neutrale Gebiet entstand. Sie ernannten das Gebiet zu einem Ort der Lehre und des Wissens. Gemeinsam erbauten sie die große Bibliothek, in denen die Geschichten und Taten ihrer Ahnen in Büchern und Schriftrollen verewigt worden waren. Zwar stand das Betreten der großen Bibliothek nur den Königsfamilien zu, aber Myoso konnte nicht anders als ab und an daraus vorzulesen und ihr Wissen mit den Jüngsten zu teilen. Cynos breitete seine Hand aus und spürte bereits die Flügel des blauen Wesens, als sogleich ein Lufthauch um seine Fingerspitzen wehte und es ihm aus der Hand entwischte. Schnell flüchtete es in Richtung der großen Bibliothek. Es steuerte direkt auf eine Eiche zu, in der Hoffnung sich zwischen den Ästen verstecken zu können. "Du entwischst mir nicht", rief Cynos und beschleunigte seine Schritte. Abrupt blieb er stehen als sich von einer Sekunde auf die andere das leuchtende Wesen auflöste. "Oh", Cynos steckte die Hände in die Hosen und strich mit dem Fuß über das feuchte Gras. Seine blauen Augen sahen zu dem jungen Mann aus dem Winterreich hinauf, der lässig an dem Stamm der Eiche lehnte und in sein Buch starrte. Als er den kleinen Sommerprinzen bemerkte, sah er zu ihm herunter. Cynos grübelte kurz, bevor er ein breites Grinsen aufsetzte: "Es ist alles gut. Es gibt nichts zu vergeben." "Wie bitte?" Doch Cynos rannte bereits zurück zu seiner Gruppe. Der junge Mann klappte wieder sein Buch auf und vertiefte sich erneut in seine Lektüre, bevor er ein weiteres Mal gestört wurde. "Was soll ich nur mit diesem Burschen anstellen", schimpfte ein Wintergelehrter und schüttelte mit dem Kopf. Seufzend schlug der junge Mann nun entgültig sein Buch zu. "Was gibt es für ein Problem?", sagte er und kam auf den Gelehrten zu. Kleinlaut erwiderte dieser: "Oh, Prinz, ich hoffe ich habe dich nicht gestört." "Schon in Ordnung", entgegnete Tyledion und verschränkte die Arme. Der Wintergelehrte wusste nicht, ob die plötzliche Unruhe durch das Erscheinen des Prinzen herrührte oder doch der Tatsache geschuldet war, dass Tyledion optisch gesehen die junge Version König Asparagos' war, der nach dem letzten großen Krieg als einer der gefürchtesten Herrscher galt. Und obwohl Tyledion nicht diesen eisigen und furcherregenden Blick besaß, wurde er von vielen mit seinem Vater gleichgesetzt. "Es ist Winso", seufzte der Gelehrte und deutete auf den Braunhaarigen mit den strahlend blauen Augen, "es ist einfach sinnlos, mein Prinz. Ich kann ihn nicht die Abschlussprüfung bestehen lassen. Nicht mit diesen Fähigkeiten." "Gelehrter", begann Tyledion und klemmte das Buch unter seinen linken Arm, "gib' ihm noch etwas Zeit. Vermutlich lassen seine Kräfte noch etwas auf sich warten." Angesprochener rümpfte die Nase. Er glaubte nicht daran, dass ein Mischbastard jemals seine Fähigkeiten gewinnen könnte. Nach siebzehn Jahren der Stagnation, war es Winso noch nicht einmal möglich die Eiskräfte zu beschwören. Nicht einmal Schneeflocken könnte er über sein Haupt rieseln lassen. Doch König Asparagos' Sohn wollte er nicht widersprechen. Also tat er eine ehrfürchtige Verbeugung: "Du wirst Recht haben, mein Prinz. Bis zum nächsten Winter bleiben uns noch einige Monate." Er sah hinauf in den Frühlingshimmel, der einige Wolken hinaufbeschworen hatte. Bis zum Ende des Tages würde sich ein Gewitter zusammenbrauen. Vermutlich das Lezte vor dem großen Sommer. "Ich werde mich nun weiter um meine Schüler kümmern." Mit einer weiteren Verbeugung kehrte der Gelehrte zu einer Gruppe junger Winterschüler zurück, an dessen Außenrand Winso stand und der Ignoranz der anderen Schüler mit einem Lächeln entgegenwirkte, dass Tyledion ebenfalls über seinen heiteren Cousin schmunzeln musste, ehe sein Blick eine gewohnt kühle Aura ausstrahlte, die einzig seiner Stellung geschuldet war. Seine Augen wanderten hinüber zu dem Buch, von dem er das starke Bedürfnis empfand, es zurück in die Bibliothek zu stellen, nachdem er bemerkt hatte, dass die Wiesenkinder Lathyrus ins Sommerreich folgten. Die Bibliothek des Wissens und der Lehre war nach menschlichem Vorbild erbaut worden. Die Mauern waren aus robustem Steinen, ebenso die mächtigen Säulen an deren Eingang. Rotbraun ragte die Spitze des Daches hervor, dass sie von allen Reichen sichtbar war. In ihrem Inneren begrüßte ein kastanienfarbener Teppich die Ehrenbesucher, welcher direkt in das Kernstück der Bücherei führte - in die Chronologie der vier Erdenbäume. Von dort verzweigte sich der Weg, führte durch die Geschichte der vier Reiche, weiter zu den Stammbäumen der Urfamilien. Tyledion entdeckte das blond wallende Haar, das bis zum Fußboden ragte. Die junge Prinzessin des Sommerreiches legte die Chronik zurück an ihren Platz. Behutsam berührten die Fingerspitzen den Bandrücken und schoben das Buch zurück an seinen Platz. Vorsichtig näherte er sich der zarten Gestalt, die für eine Sommerprinzessin elfenbeingleiche Haut besaß, dass ihre Schönheit sich wie ein Schleier um ihre Haut legte. Die Erben des Sommers waren hellblonde Wesen mit frischem, sommerbedecktem Teint - Myoso stach zwischen ihnen hervor wie ein Schneeglöckchen im Juli. Sie war ihren Untertanen die strahlende Sonne, man vergötterte die liebliche Sommerprinzessin, obwohl ihre schwache Form ihr niemals den Platz als Königin einräumen würde. Leise stellte auch Tyledion sein Buch an seinen rechtmäßigen Platz und näherte sich mit schleichenden Schritten der Sommerprinzessin. Trotz des Wissens, dass nur königliches Blut den Raum betreten durfte, wanderten seine Blicke suchend durch den Raum. Als er dicht hinter Myoso stand berührte ihr seidenes Haar sein Wange. Ruckartig drehte sich die zarte Gestalt zu ihm um. Ein Lächeln formten ihre geschwungenen Lippen, Rot verfärbten sich die Wangen, dass sie der bleichen Haut einen lieblichen Lebenshauch einatmeten. "Tyledion". In der nächsten Sekunde lag der zerbrechliche Körper in seinen Armen. Erleichtert atmete die Prinzessin des Sommers aus und vergrub noch stärker ihren Kopf in seiner Brust. Auch Tyledion spürte, wie sein Körper entspannte, die Atemzüge sanft in ihr Ohr hauchten. Hier waren sie sicher, niemand würde sie stören, niemand die zwei entdecken, welche seit einem halben Jahr durch die Bibliothek wandelten - immer auf der Suche nach dem anderen. Ihr einziger Zufluchtsort war ihnen heilig, dass sie niemandem von ihrem Geheimnis. Zu unsicher waren noch die Zeiten, zu nahe die letzte Schmach zwischen den distanzierten Reichen des Sommers und des Winters. Selbst ihre engsten Vertrauten waren ahnungslos, das Prinz und Prinzessin der beiden größten Jahreszeiten einander die Liebe geschworen hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)