Die Chroniken der Vier Jahreszeiten von Lady_of_D (Winters Passion) ================================================================================ Kapitel 13: Spätsommer I ------------------------ Hin und her wiegten sich die Grashalme vor ihren Füßen, als die zweitgeborene Zwillingsprinzessin ein lautes Seufzen ausstieß. Kleine Funken Frühlingsmagie umspielten ihre Knöchel, während sie sich aus dem sicheren Schatten bewegte und eine Runde durch die üppigen Blumenfelder spazierte. Aufgeregt sog die Erde den lebhaften Zauber der Frühlingsprinzessin ein, kleine Keimlinge lugten aus dem Boden, der vom ersten großen Schauer des Sommergewitters nass und kühl geworden war. Als wüssten sie nicht, was zu tun, schauten einzelne Stiele aus dem Boden, verdutzt, ob des plötzlichen Erwachens zu so später Stunde. Iris merkte nicht einmal, wie die Füße in die matschige Erde eintauchten, dabei einen Keimling nach dem nächsten hineinfallen ließen, welcher sogleich wieder verdampfte, nachdem die Sonne des Spätsommers ihren Arm nach der Erde ausgestreckt hatte. Immer zu seufzte sie, tief in ihrem Innersten schnürte sich ein Band eng um ihr eigenes Leuchten. Eine kleine, törichte Blüte von fünfzehn Jahren war sie! Den Blick zu den Herbstlingen gewandt, welche sich auf ihre bevorstehende Arbeit vorbereiteten, lief sie weiter durch das Dickicht, das ihre Kleider völlig besudelte. Das letzte große Gewitter war noch nicht ganz vorüber. Königin Allilaea pausierte lediglich, um ihre Kräfte für den nächsten kraftvollen Schauer zu bündeln. Danach wäre es nicht mehr lange hin, bis der Herbst an die Tür klopfte und ein Gewitter nach dem nächsten hinaus peitschen würde. Die Frühlingsprinzessin hatte nichts gegen etwas Abkühlung und wie die meisten der Frühlingsschar, sehnte auch Iris das Ende des Sommers herbei. Nur waren ihr die kalten, nebligen Tage des Herbstes viel zu trist und eintönig, dass sie sich ernsthaft darüber freuen könnte. Nicht einmal die bunte Landschaft konnte da noch ihre Stimmung heben. Denn wenn erst einmal aus dem bunten Blättertanz nichts als braunes, trockenes Laub übrig blieb, würde auch der Winter nicht lange auf sich warten lassen und dann wäre ihre gute Laune endgültig dahin. Die Hände an ihr knöchellanges Kleid gekrallt, ließ Iris den Blick weiter wandern. Ganz unauffällig bewegten sich die hellgrünen Augen zu den Winterlingen. Seit jenem grauenhaften Mittagstag waren die Wiesenkinder des Winterreiches dem neutralen Gebiet ferngeblieben. Nur ein paar Winterlinge, einschließlich des Prinzen und dessen Cousin, hatten sich eingefunden. Unter Ahornbäumen saßen sie, lasen oder bereiteten sich auf die Winterprüfungen vor. Jedes Mal huschten die Augen der neugierigen Prinzessin hinüber zu den kühlen Gesichtern, und jedes Mal stieß sie einen tiefen Seufzer aus. Wie gern würde sie ihre Gedanken in die Obhut eines mitfühlenden Freundes geben. Jemand, der sie nicht bloß für naiv und kindisch hielt. Aus dem Augenwinkel sah sie die große schlanke Gestalt, die sich im satten Gras niedergelassen hatte. Die Beine lässig angewinkelt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, dass die braunen Haare in wilden Locken über sein braungebranntes Gesicht fielen. Zwischen den Lippen lugte ein Grashalm hervor, der mit jedem Grinsen ein Stück weiter aus seinem Mund rutschte. Iris seufzte. Das war doch verrückt! Sie war verrückt! Ja, so musste es sein. Ihr wurde schon immer nachgesagt, sie hätte einen eigenwilligen Charakter. Sogar Irida lachte sie ständig wegen ihrer absonderlichen Ideen aus. Die einzige, die sie stets freundlich angelächelt hatte, war- "Myoso!", rief die Zwillingsprinzessin, als König Gingkos älteste Tochter von ihrem Marsch der Sommerblüten zurückgekehrt war. Iris strahlte und winkte der Sommerprinzessin zu, die neben ein paar eingeknickten Blumen stehen geblieben war und ihnen den letzten Wunsch erwies. Myoso sammelte die Wiesenblumen ein, knotete sie zu einer Kette, die sie wie einen zweiten Gürtel um ihr weiß-goldenes Gewand legte. Nachdem die Frühlingsprinzessin über den Rasen gerannt war, kam sie schliddernd vor Prinzessin Myoso zum stehen. "Meine liebste Myoso", rief Iris und hakte sich bei der Sommerprinzessin unter. Myoso erwidert ihre Begrüßung mit einem strahlenden Lächeln, das selbst die Sonne vor Neid erblassen ließ. "Du weißt gar nicht, wie froh ich bin, dich zu sehen", sagte Iris und seufzte zwischen den Worten. "Ich brauche dringend deinen Rat." Geschickt lenkte sie die Sommerprinzessin in Richtung des Ahornbaumes. Sie bewegte ihren Arm so, dass Myoso sich ein wenig seitwärts positionierte und damit den Blick auf den Winterprinzen und dessen Begleiter freigab. "Was kann ich für dich tun, meine liebe Frühlingsprinzessin?" "Verspricht du auch, mich nicht auszulachen? Egal, was ich sagen werde?" "Ich würde dich niemals auslachen, Iris", versicherte Myoso. "Ehrenwort?" "Bei der Ehre meines Königreiches", Myoso legte die freie Hand auf die Brust und schaute besänftigend zu Iris herüber. "Na gut", murmelte die Zwillingsprinzessin, welcher ein wenig der Mut verlassen hatte, jetzt wo sie wirklich mit jemandem darüber reden konnte. "Es geht…um einen gewissen Jemand", Iris stolperte über jedes ihrer Worte, "sagen wir mal, mir würde ein Bursche aus deinen Reihen gefallen. Wärst du darüber erschüttert? Also, wenn es so wäre?" "Nein, wieso denn auch?", antwortete Myoso gerade heraus, "die Liebe ist etwas Wunderbares. Es ändert nichts daran, ob du sie in deinem oder meinem Reich findest." "Richtig, richtig!", erwiderte Iris ganz aufgeregt, "oh, und vergiss' nicht das Bündnis unserer beiden Reiche. Wusstest du, dass darin Eheschließungen zwischen dem Sommer- und Frühlingsvolk schriftlich legitimiert wurden, und dass seit zweihundert Jahren niemand mehr außerhalb des eigenen Reiches geheiratet hat, weil man fürchtete, die Kräfte würden sich verschieben? Oh, oh", hüpfte Iris und ließ ihren langen geflochtenen Zopf auf und ab springen, "und selbst wenn eine Knospe aus unseren zwei Reichen entsteht, dürfte Mutter sie nicht verstoßen, weil sie ab dem Moment, an dem sie am Lebensbaum des Frühlings hängt, ein Schützling des Frühlingsreiches ist und per Gesetz", sie hob den Zeigefinger, stolz, dass sie nicht während jeder von Mutters Lektionen eingeschlafen war, "darf ein Frühlingskind weder verstoßen noch ausgewiesen werden." "Das ist mir wohl bekannt", bestätigte die Sommerprinzessin. "Und König Gingko hätte auch nichts dagegen, stimmt's?" "Er wäre sicher der letzte, der deinem Glück im Wege stünde." "Selbst wenn", Iris stockte, dass die nächsten Worte nur noch ein Fiepen waren, "selbst wenn dieser Sommerling kein offizieller Bürger des Reiches ist?" Iris lugte zu ihrer zarten Begleiterin herüber. "Iris", beim Klang ihres Namens zuckte die Frühlingsprinzessin zusammen. Die Stimme der Sommerprinzessin war stets von sanften Melodien begleitet, dass Iris sie einmal mehr für ihre Anmut beneidete. "Wir reden also von Winso." Myoso klang keineswegs überrascht. "Du magst ihn, nicht wahr?" "A-ach weißt du", begann die Zwillingsprinzessin überrascht auszurufen. Ein Kichern folgte, wobei sie mit der freien Hand vor ihrem Gesicht wedelte und kleine, feine Luftwirbel erzeugte, "mögen ist doch etwas übertrieben, meinst du nicht? Ich kenne ihn ja kaum und gesprochen haben wir bisher auch kein Wort miteinander. Nein, nein, mögen", sie lachte, hickste, wie es eine Eigenart der jungen Frühlingsblüte war. Genauso heftig wie er gekommen war, hörte ihr Lachanfall auch schon wieder auf. Iris presste die Lippen zusammen, starrte auf den Boden, der ihre Füße schwarz gefärbt hatte. Der Matsch tat gut, wenn ihre Erscheinung nicht gerade einer Prinzessin würdig war. In allem war sie nur Durchschnitt. Iris war eher klein und zierlich. Ihr Körper nicht so ausgereift wie der ihrer Sommerfreundin, die von zarter Schönheit umschmeichelt wurde. Nichts zeichnete die Frühlingsprinzessin aus. Ihre Zwillingsschwester hatte zumindest die Augen ihres Vaters geerbt, welche der Frühlingsblüte einen geheimnisvollen Ausdruck verliehen. Und Iris? Sie war nichts Besonderes; eher unscheinbar, wenn sie ihr Äußeres nicht durch ihr lautes Auftreten wettmachen würde. Sie seufzte. Wer würde sich schon für die junge Blüte interessieren, wenn es keinen Titel und keine erzwungenen, gesellschaftlichen Konventionen gäbe, die ihr eine gewisse Aufmerksamkeit einräumten? Wieso sollte jemand, der keinerlei Verpflichtungen gegenüber der königlichen Frühlingsblüte hatte, ausgerechnet ihr den Hof machen wollen? Allmählich wünschte sie sich wirklich, sie wäre wieder ein Wiesenkind. Als alles noch einfach und sorgenfrei war, ihre Gedanken nicht um Schönheit und Grazie kreisten und kein gutaussehender Mischling in ihren Träumen erschien. "Ach Myoso!", seufzte Iris verzweifelt, "ich weiß doch selbst nicht, was mit mir los ist." Heftig schüttelte sie den Kopf, dass mehrere Strähnen aus ihrem Zopf fielen, "ich bekomme ihn einfach nicht aus meinem Kopf. Irida ärgert mich deswegen schon den ganzen Sommer. Sie meint, ich solle mir die irrsinnige Idee aus dem Kopf schlagen." Iris' trotziger Schmollmund entlockte Myoso ein mitfühlendes Lächeln. "Aber nicht dass du denkst, ich interessiere mich neuerdings für die Burschen aus dem Winterreich", murmelte die Frühlingsprinzessin sogleich hinterher, "wenn ich an Prinz Tyledions kalten Augen denke, schlottern mir die Knie." Ihre Augen huschten zu der Gestalt des Winterprinzen. In seinen Kreisen mochte Prinz Tyledion durchaus seine Vorzüge haben. Sein Äußeres war ansehnlich, die Gesichtszüge einprägsam und schmeichelhaft und die Statur zeugte von einer Sportlichkeit, die ihn stattlich aussehen ließen. Alles in allem ein Bursche, den man attraktiv nennen konnte. Wenn Irisa nicht ständig von den Seelenspiegeln abgelenkt wäre; düster wie ein Dezembertag und eisig wie die Eisschollen des Winterberges ließen sie die junge Frühlingsblüte erschaudern. Sie schüttelte sich, reckte dann ihr Kinn und blickte erneut zu dem Mischling herüber. "Aber wenn ich ihn so ansehe, denke ich gar nicht an den Winter. Ich sehe den Frühling vor mir, wie die letzten Tage an ihm vorüberziehen und an der Schwelle zum Sommer stehen, wo er ihn in seine starken, liebevollen Arme nimmt." "Das klingt wunderschön", hauchte Myoso, die Iris nicht aus ihren tiefsten Gedanken reißen wollte. Lieber gewährte sie der jungen Frühlingsprinzessin einen Moment der Schwärmerei. Einen Augenblick, der ihr und ihren Träumen gehörte. Wer wusste besser als Myoso, welch innerer Zwist in ihrer jungen Freundin ruhte? Welch Unsicherheiten und Verwirrungen in ihr schlummerten? War es der Sommerprinzessin ähnlich ergangen. Als noch Sorgen und Ängste der Liebe Steine in den Weg gelegt hatten, war Myoso Innerstes von denselben Gefühlen, denselben Fragen gefangen genommen worden. Erst die Gewissheit hatte ihren Geist aufgeklärt. "Du siehst es doch auch, nicht wahr, Myoso? Seine Mimik, die Offenheit, der Schalk in den Augen. Oh, diese Augen, Myoso! Nie hätte ich gedacht, dass sie so gut zu diesen braunen Haaren passen. Oder die Sonnen durchtränkte Haut…" Schnell sah sie weg, bevor noch mehr Gedanken ihr Innerstes aufwirbeln konnten. "Wie einfach wäre es, ihn anzusprechen, wenn er bei euch leben würde. Mutter hätte bestimmt nichts dagegen. Schließlich fließt königliches Blut in ihm und als Zweite in der Erbfolge müsste ich mir keine Gedanken um die Kinder machen…ähm ich meine", sie blieb stehen, machte eine wegwerfende Handbewegung und zog Myoso weiter über die Wiesen, "a-also nicht, dass du denkst, ich würde mir ernsthaft Gedanken darüber machen. Ich bin doch keine dumme Blüte. Haha." Hinter der Hand lachte Iris ihr unsicheres Lachen, bis ihr die Mundwinkel schmerzten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)