Die Chroniken der Vier Jahreszeiten von Lady_of_D (Winters Passion) ================================================================================ Kapitel 17: Herbstlese II ------------------------- "König Gingko", den rechten Arm an die Brust gedrückt verbeugte sich der Prinz des Frühlingsreiches. Seine weiße Uniform, die lediglich am Kragen und an den Ärmeln mit zwei hellgrünen Streifen verziert worden war, schimmerte im gleißenden Licht der Kerzen, welche die Plätze der sommerlichen Königsfamilie erhellte. Eine weiße Schärpe wies auf seine königliche Stellung hin, sonst unterschied er sich nicht von der restlichen Frühlingsschar. Zwei kleine Löwenzahnblüten, die an seinen Manschetten angebracht waren, begannen zu zucken, als die anstehenden Hochblätter seine Brust berührten. "Erlaube mir bitte, den ersten Tanz mit der wundervollen Prinzessin Myoso." Sein Atem ging flach. Er war den Weg gerannt. Von einem Ende der Festtafel zur anderen. Jetzt hing ihm eine Strähne seines Ponys wirr über der Nase. Bevor der König zu einer Antwort ansetzen konnte, schnaubte Tante Pensea. "Was ist bloß los mit den Prinzen der Nachbarreiche? Erst der Winterprinz, jetzt Prinz Scidellos…und zum Frühlingserwachen bittet dann König Asteros um den nächsten Tanz!?" Sie warf dem Kronprinzen einen feindseligen Blick zu. Dieser antwortete mit einem breiten Grinsen. "Verzeih', liebe Pensea, wenn ich nur meine Ehre als Frühlingsprinz zu verteidigen versuche. Oder möchtest du lieber, dass ich Platz für den Winterprinzen mache?" Die Provokation traf genau ins Schwarze. Penseas Nüstern begannen zu beben, die nächste verbale Attacke bahnte sich an, als König Gingko seine Hand auf die Schulter seiner Schwester legte. "Natürlich darfst du mit meiner Tochter tanzen", der Sommerkönig drehte sich zu seiner Ältesten, die ihn bestätigend zulächelte. "Ich danke dir, König Gingko", entgegnete Scidellos. Er ignorierte ein weiteres verächtliches Schnauben seitens Pensea und zog Myoso von ihrem Platz. Seine Gesicht war nahe dem ihren. "Hilf mir, Myoso", flüsterte er in ihr Ohr und wirbelte die Sommerprinzessin in Richtung Tanzfläche. Die Musik des Herbstvolkes lud zu schnellen Bewegungen ein, doch der Frühlingsprinz stellte die Ausgelassenheit der Herbstlinge allesamt in den Schatten. Den Blick voneinander abgewandt, umfasste der Erbe des Frühlingsstabes Myosos Hand. Die andere lag auf Hüfthöhe. Er presste ihren zarten Leib an seinen durchtrainierten Oberkörper und begann sich im Takt der Musik zu bewegen. Prinz Scridellos war ein begnadeter Tänzer, seine Bewegungen geschmeidig und elegant, wie es kein Zweiter in seinem Reich vermochte. Wie er über den Boden flog, dabei seine Tanzpartnerin mit sich zog, blieb Myoso nichts anderes übrig, als sich voll und ganz auf Scidellos einzulassen und ihm die Führung zu übergeben. Wollte man nicht über die eigenen Füßen stolpern, so hatte man sich ganz seinem Rhythmus zu fügen. Er war so flink - seine Füße schienen ein Eigenleben entwickelt zu haben -, dass man kaum gegenhalten konnte und nur von Prinz Scridellos selbst aufgefangen werden konnte, der seinen Gegenüber mit Leichtigkeit durch den Saal wirbelte, dass es schien als fiele ihr das Tanzen ebenso leicht wie ihm. Ein leises Seufzen stieß der Erbe des Frühlings aus. "Was ist denn passiert?", fragte Myoso ihren Tanzpartner, nachdem sie seinen zerknirschten Ausdruck bemerkt hatte. "Ich flüchte vor Mutters Zorn", entgegnete Scidellos, zwinkerte ihr zu und führte sie durch den Saal. "Ich musste mir etwas einfallen lassen, sonst macht sie mich einen Kopf kürzer. Und das vor aller Augen!" "Und du glaubst, durch einen Tanz mit mir, Königin Allilaeas Zorn zu entfliehen?" Myoso und Scidellos wussten, dass diese Frage unnötig war. "Noch hege ich die Hoffnung, dass Mutters Zorn verraucht, wenn sie uns nur lange genug tanzen sieht." Scidellos musste über seine eigenen Worte schmunzeln. "Naja", korrigierte er sich, "wenn sie sicher nicht von meinem Liebreiz entzückt ist, so wird sie es von deinem sein." "Wie konntest du die Königin nur derart in Rage versetzen?" Ihr fiel es schwer, Scidellos dabei nicht in die Augen zu sehen. Aber die Etiketten verboten es nun einmal, Blickkontakt aufzunehmen. Zunächst gab der Frühlingsprinz keine Antwort. Aus dem Augenwinkel sah Myoso, wie er die Unterlippe zwischen die Zähne nahm. Als die Stille Scidellos zu zerreißen drohte, drehte er Myoso und antwortete: "Vor etwa sechs Wochen war ich…nicht ganz ich selbst." Jetzt war es Myoso, die ein leises Seufzen ausstieß. Warum wusste sie nur, was gleich folgen würde? "Ich dachte wirklich, sie sei die Richtige, Myoso. Diesmal hatte es sich anders angefühlt und ich war fest davon überzeugt…" Er hielt inne. Spürte die zornigen Blicken im Rücken und zog Myoso ein Stück weiter nach links. "Natürlich merkte ich es, als sie vor drei Wochen so verändert schien, dachte mir nur nichts dabei. So sind die Blüten nun einmal - heute so, morgen so." "Du sprichst in Rätseln, Scidellos." Aber Scidellos hörte nicht auf sie. "Wie hätte ich denn ahnen können, dass die beiden Schwestern sind?!" "Moment", Myoso stolperte beinahe über die Füße des Prinzen, "du hast ein Verhältnis mit zwei Frauen?!" "Hatte", korrigierte er die Sommerprinzessin, als wäre es von äußerster Wichtigkeit. "Ich habe es doch auch erst vor zwei Wochen herausgefunden." "Du hast es doch sofort beendet, oder?" Myoso wandte sich Scidellos zu, ungeachtet der Gepflogenheiten, die sie damit verletzte. "Gestern, ja." "Scidellos", sie gab ihm einen kleinen Klaps auf den Oberarm, "du bist furchtbar!" Entschuldigend lächelte er sie an. "Ich seh's ja ein", schwor er und drehte sie wie einen Kreisel. Rot glühten seine Wangen auf, doch Myoso kaufte ihm die Reue nicht ab. Dafür kannte sie ihn zu gut. Scidellos' Ruf eilte ihm voraus. Der Hang zum Übermut, überschäumender Euphorie und unbekümmerter Ausgelassenheit machten einen Großteil seines Charakters aus. Besonders in Bezug auf das andere Geschlecht war Scidellos schnell zu verzaubern. Die Blüten wechselten schneller als die Jahreszeiten und hatten bereits so manche Träne vergießen lassen. Jedes Mal schien es die Richtige zu sein und jedes Mal genügte ein Wimpernschlag, um die Schmetterlinge im Bauch zerplatzen zu lassen. Sei es einer Laune oder seinem unbedachten Gemüt geschuldet - Prinz Scidellos konnte sich einfach nicht festlegen und solange ihn die Pflichten des Königshauses nicht einholten, tobte sich der Erbe des Frühlingsstabes weiterhin aus. "Das eigentliche Problem kommt erst noch." Das Lied endete, die Musikanten streckten sich, bevor sie die Zupfinstrumente zurück in ihre Position brachten. "Wie sich herausgestellt hat, gehören die Töchter zu Bellissa, Mutters Beraterin und langjährige Freundin." Er seufzte. "Als ich das Verhältnis beendete, sind die beiden gleich zu ihrer Mutter gegangen. Das Ganze ist während der Wanderung aus dem Ruder gelaufen. Natürlich hat auch Mutter davon erfahren und ist jetzt der Wirbelsturm in Person." Er traute sich nicht, in ihre Richtung zu blicken. Es genügte, dass er ihre gefährliche Aura wahrnahm. Das nächste Lied spielte und Scidellos machte nicht die Anstalten, Myoso dem Nächsten zu übergeben. Seine Hand packte ihre Taille noch fester, sein widerspenstiges Haar flog in alle Richtungen, als er mit dem Kopf schüttelte. "Du bist unverbesserlich, Scidellos", erwiderte Myoso tadelnd, obwohl ein Anflug eines Lächelns ihre Lippen zierte. "Ach, Myoso", der Winterprinz bekam ein breites Grinsen. Der Löwenzahn verblühte, ein einziger Lufthauch genügte, dass die Pusteblumen die feinen, haarigen Schirmchen der Welt entließen. "Ich bemühe mich ja - wirklich. Aber es gibt einfach viel zu viele hübsche Blüten. Wie könnte ich mich da jemals entscheiden?!" Er zuckte mit den Schultern. "Vielleicht sollte ich dich einfach heiraten." "Hast du mir gerade einen Antrag gemacht?" "Und wenn es so wäre?", neckte er sie. "Dann lautet die Antwort nein." "Du bist grausam, Myoso!", doch sein Lächeln verriet ihn. "Königin Allilaea hat uns am selben Zweig des Lebensbaumes aufwachsen lassen, Scidellos. Streng genommen bist du mein Bruder." "So was hält doch meine Familie nicht auf." "Scidellos!", stupste Myoso ihren Tanzpartner erneut an. "Was denn?!", grinsend zuckte er mit den Schultern, "wäre ja schließlich nicht das erste Mal. Vor dreihundert Jahren hat Königin Astella ihren eigenen Bruder geehelicht, um das Frühlingsreich regieren zu können. Dafür soll sie ihren Bruder so lange um den Finger gewickelt haben, bis dieser ihr jeden Wunsch von Augen abgelesen hat. Natürlich wurden die Ereignisse verschleiert. Offiziell hieß es, der König habe regiert, doch die Volkslieder besagen etwas anderes. Und du weißt, Volkslieder lügen nicht." "Königin Astella war doch die Königin, der es als einzige gelungen war, die Winterarmee während des dritten großen Kriegs aus ihrem Territorium zu vertreiben." "Genau", bestätigte Scidellos und nickte. Geradezu beiläufig geleitete er die Sommerprinzessin aus dem Sichtfeld der Frühlingskönigin, führte sie weiter durch eine Gruppe Winterlinge, dass ihre Erscheinung zwischen all den dunkelblau gekleideten Tänzern provokant hervorstach. Ihre Anwesenheit wurde mit Skepsis beäugt, obwohl Scidellos' Tanzeinlage auch dem Wintervolk imponierte. Myoso kannte Scidellos nur all zu gut. Gewiss heckte er etwas aus, sein Handeln geschah nie ohne gewisse Absichten. Ohne den Grund zu erfragen - oder auf die Blicke der Winterlinge einzugehen -, ließ sich Myoso herumwirbeln. Sie schmunzelte. Wie sehr hatte sie den Frühling und seine Vertreter vermisst! Gerade Scidellos, dem sie all die Jahre so nahe gestanden hatte, und nur die gesellschaftlich aufgezwungenen Konventionen eine innige Freundschaft zwischen ihr und dem Prinzen verboten hatten, dass sie sich kaum mehr zu Gesicht bekamen. Dabei hatte Myoso die Ausflüge ins hiesige Reich so sehr geliebt. Jeden Frühling hatte sie auf Königin Allilaeas Schloss verweilen dürfen und jedes Mal war sie mit offenen Armen empfangen worden. Ein Flattern umhüllte ihr Leuchten, wenn sje an die Zeit dachte, als sie Hand in Hand mit Scidellos durch den Frühlingspalast gerannt war. Wie der Frühlingsprinz einen Unsinn nach dem nächsten ausgeheckt hatte und am Ende des Tages von Königin Allilaea an den Ohren durch die Flure gezerrt worden war. All die gemeinsamen Spaziergänge durch das Wiesental. Mit dem Kronprinzen den Schnee von den Gräsern wischen und den Kirschblüten Gute-Nacht-Geschichten vorsingen. Um das Maifeuer tanzen, mit den Zwillingsprinzessinnen im Wasserfall baden, mit den anderen Wiesenkindern händchenhaltend über die Gänseblümchenwiese. Oder Fangen auf den Wiesen spielen und sich am Abend in den Gebüschen verstecken, weil man einfach noch nicht nach Hause will… Niemals könnte sie die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Frühlingsschar vergessen. Die Offenheit und Ungezwungenheit. Vom ersten Tag an war sie als eine von ihnen angesehen worden. Nie würde Myoso die Güte und Wärme der Königin missen wollen. Wie sie sich ihrer angenommen hatte - selbstlos und ohne einen Hauch von Zweifel. Und wie beschützend Scidellos zu ihr gewesen war - Myoso wusste noch alles und es schmerzte sie, dass die Zeiten ihr jähes Ende gefunden hatten, als sie und der Frühlingsprinz fünfzehn Jahre wurden. Nur weil sie nicht im Blute verwandt waren und es sich nicht für Königskinder schickte, einander so nahe zu sein, ohne Aussicht auf eine Heirat. Denn natürlich drehte sich alles um das eine Thema, seit Myoso in den Kreis der jungen Blüten aufgenommen worden war und solch innige Zweisamkeiten und Neckereien nicht gern gesehen wurden. Die Besuche hörten auf, Scidellos und Myoso gingen ihre eigenen Wege und es schmerzte die Sommerprinzessin, den Frühlingsprinzen nur noch zwischen Festlichkeiten und zufälligen Bibliotheksbesuchen anzutreffen. War er doch immer ihr Beschützer gewesen! Seit sie zusammen am Lebensbaum gehangen hatten, war er wie ein großer Bruder. So dicht an dicht, als Myosos Leben am seidenen Faden gehangen hatte, hatte Scidellos an ihrer Seite verweilt, hatte sie als Familienmitglied anerkannt, sie festgehalten und Licht gespendet. Zu keinem Zeitpunkt hatte er Unterschiede zwischen ihr und den Zwillingprinzessinnen gemacht. Sie wusste, ohne ihn und Königin Allilaea wäre Myoso längst zurück im Schoße Mutters Erdes. Wehmut ergriff die Sommerprinzessin. Das Frühlingsreich war auch ein Stück Heimat und dass sie so einfach davon entrissen worden war, hatte Myoso nie ganz verkraften können. An manchen Tagen sehnte sie sich so sehr nach den heftigen Frühlingsgewittern, der taufrischen Erde, die zwischen ihren Zehen kitzelte. Das sorglose Lachen der Wiesenkinder, das Rauschen des Wasserfalls, dem Singsang der Maiglöckchen und dem Summen des Windes. Nirgends war das Gras so grün und die Regenbögen so bunt wie im Frühlingsreich. Ach, wenn sie doch eines Tages dorthin zurückkehren könnte! "...doch genug von Politik", Scidellos' Stimme erinnerte sie daran, dass sie immer noch auf der Tanzfläche war. Der Frühlingsprinz grinste breit und Myoso fühlte sich ertappt. "Neuerdings werden Gerüchte breit, dass du dich bald vermählen wirst." Myoso senkte die Lider. "Wir wollten doch nicht länger über Politik sprechen." "Ich dachte immer, es spielt keine Rolle, wen du heiratest. Immerhin wird irgendwann Cynos den Thron besteigen und nicht du." "Tante Pensea scheint das etwas anders zu sehen." "Darum war das Tantchen so mies gelaunt." Scidellos schmunzelte. "Scheint so, als hätten wir uns gegenseitig gerettet." "Wenn es doch bloß so einfach wäre", hauchte die Sommerprinzessin. "Besteht denn gar keine Hoffnung, dass…ich meine", er zuckte mit den Schultern, "du magst Lathyrus und er offensichtlich dich. Warum nicht einfach abwarten, sehen, wie sich die Dinge entwickeln." "Unsere Gefühle sind…verschieden." "Und du meinst, das wird sich in Zukunft nicht ändern." Sie schüttelte den Kopf. Noch nie hatte die Wahrheit so sehr aus ihr heraus gewollt. Die viele Heimlichtuerei, die monatelangen Versteckspiele - schmerzhaft pressten sie sich an die Oberfläche. Vielleicht war es jetzt ein guter Zeitpunkt, ehrlich zu sein. Mit Scidellos hatte sie einen Gesprächspartner, dem sie sich womöglich öffnen könnte. Der Frühlingsprinz war weder voreingenommen noch verurteilte er sofort. "Scidellos, i-ich…" Aber es ging hier um den Winterprinzen. Scidellos' selbst auserkorener Rivale. Bei aller Liebe und Verständnis, die er Myoso aufbrachte, doch ein Verhältnis mit Tyledion würde wohl auch er nicht gutheißen. "Schon gut", hauchte ihr Scidellos zu. Seine Stirn berührte die ihre, er lächelte sanft. "Wenn es um Liebesdinge geht, bin ich der Letzte, der dir irgendwelche Ratschläge erteilen sollte." "Scidellos." Myosos Lippen begannen zu beben. Nicht nur, dass ein unüberbrückbarer Zwist zwischen Frühling und Winter herrschte. Wie hätte sie Scidellos einweihen können, während ihres Familie weiterhin im umklaren blieb? Dem Frühlingsprinzen ein solches Geheimnis anzuvertrauen, war mehr als unfair und nur weil Myoso mit sich und ihrem Gewissen im Unreinen war, durfte sie nicht egoistisch handeln. "Danke", murmelte sie - weitere Gedanken im Keim erstickend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)