Memphis von Teilzeit_Otaku (against humanity) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Kapitel Zwei Bo trat hinaus auf die Straße, Nebel lag über den schmalen Gassen, verschlang alles in Reichweite und versteckte das umliegende Geschehen vor neugierigen Blicken. Der Morgen graute bereits und tauchte den Nebel in ein sattes Rot, ein durchaus schöner Anblick, doch ebenso gewöhnlich. Die einzelnen Straßen waren schmal, höchstens vier Leute passten zur selben Zeit aneinander vorbei, ein Haus reite direkt um nächsten, hoch, schlank und selten ganz aus Beton. Häufig waren die Häuser aus Metallresten erbaut, welche man auf dem Sperrmüll der High-Class fand. In den Slums von Last York lernten die Menschen rasch, dass man kreativ sein musste, um zu überleben, hier fiel einem nichts in den Schoss, doch dafür passten die Menschen aufeinander auf. Die Stromleitungen hingen kreuz und quer von Haus zu Haus, dazwischen unzählige Wäscheleinen. Seine Füße trugen ihn weiter die Straße hinab, ein paar Abbiegungen entlang und eine Handvoll Treppen hinab, wer sich in den Slums nicht auskannte und die Marktstraße verließ, konnte schnell die Orientierung verlieren. Als Bo den Schutz der engen Gassen verließ und auf den Marktplatz trat, streckte er sich ausgiebig. Der rote Marktplatz war einer der wenigen freien Plätze in den Slums, insgesamt gab es vier – einen für jede Himmelsrichtung. Hier würde sich in wenigen Stunden das Leben der Anwohner abspielen. Bereits jetzt sah man die Menschen ihre Läden vorbereiten und die Stände aufbauen, ein tägliches und immer wiederkehrendes Ritual. Ein Schmunzeln schlich sich auf Bo seine Lippen, als er den blassroten Pflastersteinen folgte und eine Frau vor dem einzigen Blumenladen weit und breit entdeckte. „Iris!“ rief er und winkte der Frau zu, welche sich verwundert von ihren Blumen abwandte. Iris Dots, eine hochgewachsene, recht drahtige Frau mit blondem Haar, welches langsam ergraute. Sie war bekannt für ihre gutmütige Art und das herzliche Lächeln – Eigenschaften mit denen sie Menschen, wie Bo, stets anlockte. Vor nicht allzu vielen Jahren sammelte sie Bo auf der Straße auf und nahm ihn mit in ihr Haus. Er erinnerte sich noch als wäre es gestern gewesen: Sie kochte ihm einen Tee und einen Eintopf, den nur seine eigene Mutter hätte besser gekocht. Ihr Mann scherzte damals, sie sollte nicht immer jeden Streuner aufsammeln, den sie sah. So skurril es klang, dieser Tag zählte zu Bo seinen schönsten Erinnerungen, vermutlich bemühte er sich daher um eine gute Beziehung zu Iris und ihrer Familie – es waren immerhin herzensgute Menschen und er verdankte ihnen eine Menge. „Oh, mein Lieber“, kaum erreichte der junge Mann die Ladenbesitzerin, legte diese ihre Arme um Bo und zog ihn in eine feste Umarmung, „Schön dich zu sehen, wie ist es dir ergangen?“ Fast schon beschämt schlug Bo seine Augenlider herab „Wir haben uns doch erst vor einer Woche gesehen …“ So liebenswürdig Iris war, ihre mütterliche Art verunsicherte Bo jedes Mal aufs Neue, dennoch erwiderte er die Umarmung und schloss für einen Moment seine Augen – diese Art von Nähe tat ihm ausgesprochen gut. Iris streckte sich ein wenig, um Bo einen Kuss auf die Wange zu hauchen: “Und wie oft bitte ich dich darum, uns öfters zu besuchen? Du weißt, wir haben dich gerne hier, mein Lieber.“ Sie löste die Umarmung und Bo unterdrückte ein sehnsüchtiges Seufzen, am liebsten hätte er sich sofort die nächste Umarmung abgeholt. Iris stupste dem Brünetten gegen die Nase, wendete sich von ihm ab und deutete Bo mit einem Handzeichen an ihr zu folgen „Schau nicht wie ein ausgesetzter Welpe, komm rein, der Tee müsste noch warm sein". „Ich habe aber nicht viel Zeit, ich möchte noch zu meiner Wohnung, bevor ich zur Arbeit muss ...", rasch folgte er ihr in den kleinen Laden, welcher noch unbeleuchtet war und lief wie gewohnt durch die Tür am anderen Ende, direkt hinter der Kasse. Wie beinahe alle Bauten in den Slums konnte man auch Iris ihr Haus nicht unbedingt als groß bezeichnen. Es kam nicht selten vor, dass sich große Familien nicht mehr als zwei bis drei Räume teilten und diese waren üblicherweise auch nicht sonderlich weitläufig. Bei Iris sah es ähnlich aus: Die Küche stellte den Dreh- und Angelpunkt des Hauses dar. Sie war verhältnismäßig groß und besaß sogar eine Sitzecke aus abgenutzten Polstermöbeln, vermutlich vom Sperrmüll. Den meisten Platz nahm der große Esstisch ein, welcher mitten im Raum thronte, umrandet von jeweils unterschiedlichen Stühlen. Dahinter gab es eine Treppe ohne Geländer, die gewiss aus besseren Zeiten stammte. Der angenehme Geruch von aufgebrühtem Kräutertee wanderte durch die Räumlichkeiten und Bo atmete den Duft genießerisch ein. „Ah, bevor ich es vergesse …“, rasch öffnete Bo seine Tasche und kramte die Tüte mit den Spritzen hervor. Sorgfältig zählte er acht Spritzen ab und legte sie auf den Esstisch. Seit dem Tod von Iris ihrem Mann übernahm Bo freiwillig die Aufgabe Iris und ihre Familie mit Memphis zu versorgen – seine Art sich für all die Dinge erkenntlich zu zeigen, zumal er erleichtert war, dass Iris niemals fragte, wie er das Memphis finanzierte. Die Ladenbesitzerin machte sich daran eine Tasse mit Tee zu füllen und nickte dankbar in Bo seine Richtung. „Ich weiß wirklich nicht, was ich ohne deine Hilfe tun würde …“, lächelnd reichte sie ihm die Tasse, strich ihm fürsorglich über die Wange, „Du bist ein wahrer Segen für unsere Familie, besonders jetzt wo Marten …“ Sie musste nicht weitersprechen, Bo wusste bereits, was sie bedrückte. Vor einigen Wochen fiel ihm das Aufblühen ihres jüngsten Kindes selbst auf. Wie auch nicht, wenn er mir einer leblosen Maus das Haus betrat und dieses Tier wenige Sekunden danach munter herumsprang. Bereits Kathy, Iris Tochter, zeigte vor einigen Jahren ein Aufblühen und nun traf es ebenso den jungen Marten. Aus diesem Grund gab Bo über die Hälfte seines Memphis an Iris ab, sie benötigte es dringender als er selbst. Umso älter man wurde, desto seltener musste man Memphis zu sich nehmen, um die eigenen Fähigkeiten zu unterdrücken. Doch Kinder brauchten die Droge in einer höheren Dosis. Obwohl Droge das falsche Wort war, eigentlich handelte es sich lediglich um ein illegales Medikament. Blass und mit verzweifelter Miene setzte sich Iris auf einen der Stühle „Ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn sie es herausfinden. Sie werden mir die Kleinen wegnehmen und sie in eine dieser fürchterlichen Einrichtungen sperren ...". Abgesehen davon, dass sie in diesem Fall Iris ihre Kinder nahmen, sorgte Bo sich eher um Iris ihr Leben. Keiner von ihnen wurde je beim Staat gelistet, damit galten sie als Kriminelle und hier griff weiterhin die Todesstrafe. Sie würden diese Frau noch vor den Augen ihrer Kinder hinrichten - ein Exempel statuieren. Bo stellte die Tasse beiseite und ging auf Iris zu, legte ihr aufmunternd seine Hand auf die Schulter „Mach dir keine Sorgen, ich habe Novus versprochen, mich um euch zu kümmern. Sorge einfach dafür, dass Kathy und Marten regelmäßig das Memphis nehmen, alles andere ist nebensächlich …“. Unter dem Einfluss des Memphis waren sie kaum bis gar nicht in der Lage ihre Fähigkeiten einzusetzen, zusätzlich erschwerte es die Möglichkeiten die Mutation mit einfachen ärztlichen Tests im menschlichen Organismus nachzuweisen – allerdings nur bei regelmäßiger Anwendung. Bo verließ das Haus noch bevor Kathy und Marten aufstanden, er liebte die beiden, doch zwei Kinder am frühen Morgen waren ihm einfach zu viel – besonders nach solch einer durchzechten Nacht. Bei dem Gedanken an Kyle verzog Bo sein Gesicht zu einer Grimasse, er wollte nicht über diesen Idioten nachdenken und dennoch spukte das ungewöhnliche Verhalten des Älteren in Bos Kopf herum, setzte sich fest wie Kleister. Das vergangene Jahr schienen die Grenzen und Regeln zwischen ihnen immer klar. Kyle hielt sie ein und forderte niemals mehr, bis heute. Doch was hatte sich in dem Dealer geänderte, was führte ihn dazu nun mehr zu verlangen? „Bo?“, ertönte eine Stimme in der Ferne. In Gedanken vertieft hatten seine Beine den Weg zu seiner Wohnung wie von selbst gefunden, kein Wunder also, dass nicht weit entfernt seine Nachbarin auf ihn wartet. „Da kann ich ja lange klopfen“, amüsierte sich die ältere Dame, „Ich war gerade bei Don und habe mir ein paar seiner Spezialitäten geholt, dir habe ich natürlich auch etwas mitgebracht!“ Sie schien ganz aus dem Häuschen zu sein, als sie in ihren Beutel griff und Bo eine Glasflasche hinhielt. Bo brauchte nicht lange um den weißen Inhalt der Flasche zu erkennen. „Milch?“, fragte Bo verwundert nach und nahm dankend die Glasflasche entgegen. Milch war eine Rarität in den Slums, denn für eine Viehzucht fehlten den Anwohnern einfach die nötigen Mittel und vor allem Flächen. Man konnte gerade einmal so viel anbauen, um die Bewohner sattzubekommen, wie sollte man dann noch Nahrung für die Tiere anbauen. „Don hat einen neuen Job vor der Mauer und wir kennen ihn doch mittlerweile, das Schlitzohr nutzt alles zu seinem Vorteil – hat mich auch ganz schön was gekostet …“, erklärte sie freudestrahlend und kicherte verschwörerisch hinter vorgehaltener Hand, „Zudem hast du mir letztens so sehnsüchtig von diesem Zeug erzählt, wie konnte ich dir da keine mitbringen? Ich muss dich immerhin hegen und pflegen, es gibt nur wenige Mieter, die ihre Mieten auch bezahlten!“ Da konnte Bo ihr nicht einmal widersprechen, auch wenn er wusste, dass die wenigsten Mietrückstände mutwilliger Herkunft waren. Wenn eine Familie sich zwischen Nahrung und Miete entscheiden musste, dann fiel die Entscheidung wohl meist nicht schwer. Mit einer Vermieterin wie Amanda Bricks hatte man allerdings wirklich ein Glückslos gezogen, sie war eher eine Auffangstelle für Bedürftige, als eine strenge Vermieterin. „Woah, ich weiß gar nicht was ich sagen soll … danke, wirklich“, ungläubig drehte Bo das kühle Glas in seinen Händen umher, wann hatte er zuletzt Milch getrunken? Vermutlich vor seiner Zeit innerhalb der Mauer. „Papperlapapp“, Amanda machte eine Handbewegung, als wollte sie eine lästige Fliege vertreiben, „Du bist ein guter Junge, arbeitest immer so hart, und wenn du dich nicht mal etwas verwöhnst, dann tue ich es halt!“ „Aber …“, startete Bo den kläglichen Versuch ihr zu widersprechen, obwohl er die Flasche bereits schützend gegen seine Brust drückte. Doch Amanda machte keine anstanden die Milch zurückzunehmen: „Jetzt hör auf mit mir zu diskutieren und nimm das Gesöff einfach an. Ich bringe dir immerhin nicht jeden Tag irgendwelche Geschenke vorbei!“ „Ehrlich, Dankeschön …“, am liebsten hätte er Amanda aus Dankbarkeit gedrückt, „Danke“. Amanda gab sich damit zufrieden und verschwand in ihrer Wohnung, ließ Bo auf der engen Straße zurück. Beinahe liebevoll begutachtete er die Glasflasche, Milch erinnerte ihn an seine Heimat, an seine Familie. Diese ruhigen Momente, die sie zusammen am Frühstückstisch verbrachten und Müsli aßen, in welches ihre Mutter liebevoll frisches Obst hineinschnitt. Eine Zeit, in der es alles gab und man nicht für etwas Alltägliches wie Milch zum Schwarzmarkt musste. Eine Welt ohne Sorgen, komplett anders als innerhalb der Mauer. Gähnend lief Bo die rostigen Metallstufen hinauf und öffnete die Tür zu seinem Zimmer, ein Türschloss gab es nicht, man vertraute eher darauf, dass die wertvollen Gegenstände gut genug versteckt waren oder gar nicht erst jemand auf die Idee kam, andere Leute Wohnungen zu betreten. Seine Wohnung war übersichtlich, denn sie bestand lediglich aus einem Raum mit vier Fenstern und einer Haustür. Auf den wenigen Quadratmetern gab es eine Küchenzeile, einen kleinen Tisch mit vier Stühlen, ein Bett und einen mit Vorhängen abgegrenzten Teil, hinter dem sich eine Badewanne und die Toilette befanden. Nicht unbedingt luxuriös, doch es ließ sich darin wohnen, solange die Gäste nicht auf eine ungestörte Toilettensitzung bestanden. Bo verstaute die Milch im Kühlschrank und warf einen Blick auf seine Wanduhr. Um sich noch einmal aufs Ohr zu hauen, fehlte ihm die Zeit, doch für ein kurzes Bad sollte es womöglich reichen. Das klang in seinen Ohren glatt nach einem Plan, ein warmes Bad und eine kalte Milch – beinahe wie im Paradies. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)