Kimitashi von Lady_of_D ================================================================================ Kapitel 2: Die neun Regeln des Jiudo ------------------------------------ Sentoki Mura war ein kleines Dorf, das - versteckt hinter dem Wald der sieben Flüsse - gelegen war und nur von demjenigen entdeckt wurde, der wirklich danach suchte. Sein Gründer - Taichi - hatte das Dorf nach seiner Flucht aus seiner Heimatstadt zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen - Daiki und Haruto - erbaut; zum Schutze der Familie und zur Wahrung seiner Geheimnisse. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich das Dorf in seiner Struktur kaum verändert. Noch immer umschloss eine große hohe Mauer die kleine Siedlung, in der Mitte fand sich die Zeremonienarena ein, in der die Prüfungen abgehalten und das Gründerfest Saisho Hiri gefeiert wurde. Umreiht wurde das runde Freiluftgebäude von der Trainingshalle und der Kantine. Lediglich die Häuser hatten sich mit der Zeit gewandelt. Statt kleiner Hütten, benötigte die wachsende Dorfgemeinde mehr Wohnraum, dass die gemütlichen, zeltartigen Häuschen durch vierstöckige Wohnhäuser ersetzt worden waren, die ihren praktischen Nutzen erfüllten. In einer der kleineren Wohnungen hauste Ima zusammen mit ihrer Mutter Kazumi. Ein Shamburi lebte solange bei seiner Familie bis er sich selbst einen Lebenspartner erwählte und sich entschied, den Bund des Lebens mit ihm einzugehen. Und obwohl Ima acht Jahre mit Yushio zusammen gewesen war, war es ihr nie in den Sinn gekommen, den Lebensbund mit ihm einzugehen. Rückblickend hatte es viele Anzeichen gegeben, doch die Braunhaarige hatte nicht die Nerven dazu, sich mit möglichen Fehlern der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Sie wollte schnellstens nach Hause. “Mama?”, Ima linste in das Wohnzimmer. Kazumi stand vor der Küchenzeile und schnitt den Ingwer in kleine Stücke. Von der Seite sahen sich die beiden Frauen sehr ähnlich: beide hatten langes, glattes nussbraunes Haar, eine helle Haut und dieselbe schmale Nase. Als sich die Shamburi zu ihrer Tochter umdrehte, war von der Ähnlichkeit kaum mehr etwas übrig. “Du kommst spät”, bemerkte Kazumi, bevor sie sich wieder ihrem Ingwer zuwandte. “Sensei Nobu hat uns und die anderen Shamburidesu zur Besprechung gerufen.” “War Yushio auch da?” “Sicher”, murmelte Ima und setzte sich an den runden Esstisch. “Wie geht es ihm?” “Ganz gut, denke ich. Aber darüber wollte ich nicht mit dir reden...Kannst du mir sagen wo Katsuro wohnt?” Kazumi hielt inne. “Was willst du von ihm?”, fragte sie in einem härteren Ton, dass die junge Shamburidesu verdutzt dreinlickte. “Das würde jetzt zu lange dauern, aber da er Papas ehemaliger Schüler war, wirst du sicher wissen, in welchem Wohnhaus er zurzeit lebt.” “Warum hast du nicht deinen Sensei gefragt?” Ima grinste verlegen. In der Eile hatte sie vollkommen vergessen, dass Nobu ebenfalls zum Team gehört hatte. Er, Katsuro und Saburo waren nicht nur die letzten,sondern auch die besten Schüler Otousans gewesen . Auch wenn sie in ihrer Kindheit diese nie zu Gesicht bekommen hatte, wusste die Braunhaarige von den Geschichten des beinahe schon legendären Teams. “Sensei Nobu war beschäftigt. Kannst du es mir nicht einfach sagen” sie setzte in ihre Stimme etwas Flehendes hinein, dass ihre Mutter einen tiefen Seufzer tat. “Er wohnt nördlich der Trainingshalle. Es ist das dritte Wohnhaus, gleich neben den Salatbeeten.” “Alles klar”, Ima sprang von ihrem Stuhl, küsste ihre Mutter auf die Wange und verabschiedete sich, dass Kazumi nur mit dem Kopf schütteln konnte. Das Wohnhaus hatte die junge Shamburidesu leicht gefunden. Eine alte Shamburi, die soeben aus dem Hauseingang trat, begrüßte Ima mit einer tiefen Verbeugung, bevor sie sich nach Katsuro erkundigte. “Katsuro? Ich kann mich nicht erinnern,dass er in den letzten Jahren Besuch bekommen hatte. Er wohnt ganz oben. Die linke Tür.” Erneut verbeugte sich die junge Frau und trat in den Hausflur. Sie klopfte an die besagte Tür. Schweigen. Ein zweites und drittes Mal brachte genauso wenig, dass Ima einfach beschloss, die Tür zu öffnen. “Huch",noch nie hatte die junge Shamburidesu eine verschlossene Tür in ihrem Dorf erlebt. Die Dorfbewohner vertrauten einander; niemand störte unerlaubt die Privatsphäre des anderen. Darum klopfte Ima ein weiteres Mal. Sie hätte schwören können, ein Knacksen wahrgenommen zu haben. Sie ballte die Hände zu Fäusten. “Glaubt er, mich auf den Arm nehmen zu können”, ein Knurren entfuhr ihrer Kehle. Sie holte aus und versetzte der Tür einen kräftigen Tritt, dass sie aus den Angeln flog. “Die wirst du ersetzen.” Ima blinzelte in den verdunkelten Raum. An der Wand lehnte lässig Sentoki Muras stärkster Shamburi. Seine Augen zierten dunkle Ringe als hätte ihr Besitzer seit Wochen nicht durchgeschlafen. Sein Dreitagebart passte zu der zerzausten Mähne, dass er wie ein Verwilderten wirkte, den das Dorf notgedrungen aufgenommen hatte. Zu allem Überfluss trug er Jeans und T-Shirt - Kleidungsstücke, die ein Shamburi lediglich in der normalen Welt als Tarnung trug. Zuhause war das typische Trainingsoutfit bestehend aus einer olivgrünen, locker sitzenden dreiviertel Hose sowie einem kurzärmlichen Leinenshirt in demselben Ton Pflichtkleidung eines jeden Shamburi. Der fremde Look verwirrte die frischgebackene Shamburidesu, dass sie eine Augenbraue anhob. Die Tatsache, dass er zwischen seinem linken Ohr eine Zigarette stecken hatte, rundete das Bild eines Fremdkörpers vollkommen ab. “Äh”, hatte ihre Mutter sie vielleicht in das falsche Haus geschickt? Andererseits hatte Ima dieses Gesicht noch nie zuvor gesehen, und sie meinte sich einbilden zu können, so gut wie jeden Bewohner Sentoki Muras zu kennen. Es musste sich einfach um ihn handeln. “Nobu schickt mich”, fiel ihr nichts besseres ein. Katsuro hob eine Augenbraue und musterte die Braunhaarige von oben bis unten. “Nett von ihm, aber ich bin gerade nicht in Stimmung.” Ima riss die Augen auf, ihre Wangen bliesen sich Pausbacken artig auf. Schließlich tat sie einen tiefen Atemzug. “Ganz ruhig”, murmelte sie kratzig, “Es geht um eine neue Mission.” Katsuro lächelte müde: “Hat er dich etwa vorgeschickt, um mich anzuschwärzen? Er sollte es besser wissen.” Daraufhin holte er aus seiner Hosentasche ein Feuerzeug heraus (woher hatte er nur all diesen Kram?), dann nahm er die Zigarette und steckte sie sich zwischen die Lippen. Gemütlich zündete er die Spitze an und tat einen tiefen Zug: “Mich interessiert weder die Mission, noch der Grund warum Nobu nicht selbst erschienen ist.” Das letzte glaubte sie ihm nicht, da seine Stimme bei den Worten etwas rauer geworden war. Die junge Shamburidesu schüttelte den Kopf und stemmte die Hände in die Hüften. Ihre Augen starrten glühend auf das Gesicht des ranghöchsten Shamburidesu. “So einfach wirst du mich nicht los. Schließlich geht es um mehr als nur eine Mission. Die Menschheit könnte in Gefahr sein-” “Mit solchen Floskeln überzeugst du mich nicht”, grinste er sie herausfordernd an, dass Ima bloß ein Blinzeln hervor brachte. Sie konnte nicht glauben mit welchem Desinteresse er ihr zuhörte. “Heißt das, es ist dir egal, was aus ihnen wird? Hast du deine Pflicht vergessen?” Kasturo ließ den Zigarettenstummel neben sich fallen und kam ein paar Schritte auf die Braunhaarige zu. “Es ist zwecklos mir Schuldgefühle einreden zu wollen. Du müsstest schon schwerere Geschütze auffahren um mich überzeugen zu können. Nicht einmal dann könnte ich dir garantieren, dass ich darauf anspringe”, er stand nun direkt neben ihr, dass sich die junge Shamburidesu auf einmal so winzig vorkam, “ich weiß, dass es Nobu um die übermorgige Prüfung und die Auswahl der Tag-Partner geht. Und ich habe kein Interesse an diesem Schmierentheater teilzunehmen. Ich habe ihm bereits klargemacht, dass ich mich nicht daran beteiligen werde. Also nenne mir nur einen plausiblen Grund, weshalb ich es doch tun sollte.” Sie konnte seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren, der sie auf seltsame Weise an Schlaf erinnerte. Ima schloss die Augen und erinnerte sich an die Worte ihres Vaters: “Die neun Wege des Jiudo”, ihre Augen öffneten sich und sahen selbstsicher in die ihres Gegenübers, “wer die neun Wege durchschreitet mag vielleicht die Macht besitzen, die Erde des Lebens zu spalten. Doch nur wer Barfuß über sie gegangen ist, der erlangt tatsächlich das Jiudo. Alle anderen haben nur Macht erlebt, aber nie gelebt.” Hoch erhobenen Hauptes wandte sie sich von ihm ab. “Bei Gelegenheit repariere ich deine Tür.” Sie winkte zum Abschied. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)