Trouble in China von Eris_the-discord ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Was hat es eigentlich mit diesen roten Umschlägen auf sich?“ Sein Nebenmann zuckte desinteressiert mit den Schultern, während ein flüchtiger Blick die kleine Truhe traf, die auf einem länglichen Tisch, direkt am Eingang des Festsaals thronte. Eine von Rays hinreißenden Cousinen, ließ gerade ein weiteres knallrotes Couvert durch den Schlitz darin verschwinden. Maxs Blick heftete sich auf ihre schlanke Taille. Er liebte Wespentaillen. Ray hätte ihm ruhig einmal sagen können, dass es in seiner Verwandtschaft nur so von heißen Fegern wimmelte, dann hätte er ihn viel häufiger in China besucht. Da holte ihn Tysons Stimme wieder ins Diesseits zurück. „Bestimmt für Grußkarten.“, vermutete der teilnahmslos. Während Max nicht den Blick von der exotischen Schönheit am Eingang abwenden konnte, hatte sein Kumpel mal wieder nur Augen fürs Buffet. Bereits bei ihrer Ankunft leckte Tyson sich über die Lippen, als ihm der Duft von gebratenem Rind, Fisch und Nudeln in die Nase stieg. Glücklicherweise war noch einiges übrig und das obwohl ihre Gruppe, mit reichlicher Verspätung bei der Hochzeitslocation eintraf. Eigentlich hätte Max es ahnen müssen. Mit Tyson zu Verreisen hieß zwangsläufig dass es verrückt zuging, denn bei aller Freundschaft, dieser Kerl war der größte Chaot den die Welt je zutage befördert hatte! Nichtsdestotrotz griff sein bester Kumpel neben ihm nun gutgelaunt zu einer Sauciere, um sich eine großzügige Ladung ihres Inhalts über sein Rindfleischfilet zu gießen. Dagegen horchte Max bei dessen Antwort auf. „Hattest du eine Karte?“, wollte er von Tyson wissen. „Jepp.“ „Wie jetzt?! Warum sagst du mir das nicht?“ „Bleib locker. Ich habe im Namen von uns allen unterschrieben.“ „Puh! Schwein gehabt…“, Max griff gutgelaunt nach einer der Kellen am Buffet. Außer ihnen stand kaum noch jemand beim Essen an, nur ein Onkel von Ray, der kein Wort von ihrem japanischen Kauderwelsch verstand. Der kleine alte Herr wollte zunächst in seiner Muttersprache ein Gespräch mit Max beginnen, bis der ihm mit Händen und Füßen erklärte, dass er aus den USA stammte und kein chinesisch konnte. Von da an grüßte das ulkige Großväterchen ihn nur noch mit „Howdy Cowboy!“, wann immer sie sich über den Weg liefen. Klischees existierten eben überall… „Wie sieht die Karte ungefähr aus?“, fragte Max inzwischen. Nicht das das Thema vor Ray aufkam und er in ein Fettnäpfchen trat. Sein Blick schweifte über das nächste Gericht. Gleichzeitig versuchte er auszumachen, was in dieser merkwürdig riechenden Paste vor ihm schwamm. Um ehrlich zu sein war Max kein Freund der chinesischen Küche, auch wenn Ray seit Jahren versuchte seine Meinung darüber zu ändern. Witziger weise gingen alle davon aus, dass der einen hervorragenden kulinarischen Geschmack haben musste, nur weil er Chinese war. Die traurige Wahrheit war aber, dass sie während ihrer Bladerzeit nicht abgenommen hätten, wäre Ray tatsächlich ein guter Koch. Er hielt sich zwar für einen, aber was er da manchmal fabrizierte, glich einer Vergewaltigung aller Zutaten. Wenn es schon asiatisch sein musste, blieb Max dann doch lieber bei der guten alten Nudelsuppe. Da gluckste Tyson neben ihm schon begeistert los. „Die Karte ist echt witzig! Auf der Vorderseite ist ein Marineschiff abgebildet. Und darüber der Spruch – Von wegen Ehehafen. Nicht wenn deine Frau ein Kriegsschiff ist! Und wenn du die Karte aufklappst, geht das Schiff mit einer weißen Flagge unter.“ Tyson prustete allein bei dem Gedanken los. Seine restlichen Begleiter dagegen nicht. Max hätte schwören können, Kai vor ihnen entnervt mit den Augen rollen zu sehen. Ihm selbst fiel nichts Geistreicheres außer einem langgezogenem „Ääääähm…“ ein. Vor seinem geistigen Auge, sah er schon die Braut mit bebenden Nüstern und bauschendem Rock auf sich zurasen, wie eine kleine wütende Dampflokomotive. Gleich darauf tat sich aber ein weitaus größeres Fettnäpfchen auf. „In den Umschlag kommt Geld.“, erklärte Kai knapp. Wie auf Kommando schnellten ihre Köpfe zum Dritten im Bunde, der sich wenige Schritte von ihnen entfernt, schon etwas vom Hauptgericht auf den Teller tat. „Was?!“, kam es unisono. Kai machte sich nicht einmal die Mühe zu ihnen zu schauen, stattdessen sprach er in seiner üblichen Überheblichkeit: „Der Umschlag nennt sich Hong Bao und ist für Geldgeschenke gedacht.“ Und schon schnatternden beide gleichzeitig los. „Wieso sagst du das erst jetzt?!“ „Und meine tolle Karte?“ „Vergiss die Karte! Ray hat nie gesagt das er ein Geldgeschenk will!“ „Weil es hierzulande selbstverständlich ist, das Brautpaar ein wenig mit den Kosten für die Feier zu unterstützen. Deshalb die Umschläge. Der Inhalt orientiert sich für gewöhnlich an den durchschnittlichen Ausgaben pro Person. Hängt natürlich davon ab, wie nah man dem Brautpaar steht oder ob man zur Familie gehört.“, sprach Kai. „Na toll. Umsonst nach einem Geschenk gesucht…“ „Das darfst du ihm trotzdem noch geben, Max. Dort drüben auf dem Tisch stehen doch auch ein paar Päckchen.“, verdrehte Kai wieder die Augen. Wieso musste er das ständig machen? Man kam sich dann immer wie ein Neandertaler vor. Allerdings ließen seine Worte Max auch beruhigt ausatmen. Bis diese kleine blöde Randbemerkung folgte: „So lange es keine Messer oder Uhren sind.“ „Es sind Uhren!“, jaulte Max verzweifelt auf. Und endlich schaute Kai ihn einmal an. Mit erhobener Braue. „Oh.“ „Ist das alles was du zu sagen hast?“ „Oh, dumm gelaufen?“, fügte er gelangweilt hinzu. „Na danke auch! Warum darf man dem Brautpaar keine Uhren schenken?“ „Weil es in der chinesischen Kultur in diesem Fall für den Tod steht.“ „Hättest du mir das nicht sagen können, bevor ich in den nächsten Fossil Shop gerannt bin?“ „Und das mit dem Hongi Dongi Umschlang auch!“, fügte Tyson ebenso vorwurfsvoll hinzu. „Ich habe ewig nach einer witzigen Karte gesucht! Alle anderen waren so süßlich, dass ich allein vom Durchlesen einen Zuckerschock bekommen habe!“ „Ein Zuckerschock würde einiges erklären…“, murmelte Kai vor sich her. „Was war das?“ „Nichts.“ Mit den Jahren schien ihr ehemaliger Teamleader den ständigen Debatten überdrüssig geworden zu sein. Anscheinend überkam ihn mit zunehmenden Alter die Erkenntnis, dass man gegen Tysons Wahnsinn nicht ankam. Zumindest gab Kai schneller nach als früher und ging angehenden Streitereien entschieden aus dem weg. Jedenfalls versuchte er es… „Hey, ich habe dir eine Frage gestellt!“, stupste Tyson ihm fordernd in den Rücken. Das würde er so lange machen, bis er wieder Mal seinen Willen bekam. „Wieso verheimlichst du uns sowas? Das ist nicht gerade Fairplay, wenn du uns so auflaufen lässt!“ „Lass mich einfach in Ruhe...“ „Was hatten wir abgemacht? Keine Trauermiene auf Rays Hochzeit!“ „Dann nerv mich nicht!“ „Erst wenn ich eine Erklärung bekomme! Warum hast du nichts gesagt?“ Anstelle zu antworten, tat Kai erst einmal einen ausgiebigen Atemzug. Das schien inzwischen seine bewährte Lösung zu sein, um dem Impuls zu widerstehen, seinen Adoptivkindern den Hals umzudrehen. Tyson witzelte manchmal, dass er diese Methode bestimmt aus einem Heft für werdende Mütter hatte. „Wie alt seid ihr nochmal?“, fragte Kai inzwischen. Und schon ging die Diskussion wieder los… „Sechsundzwanzig.“, kam es gleichzeitig. „Da habt ihr eure Antwort! Ihr seid alt genug um euch selbst um so etwas zu kümmern.“ „Wie hätten wir das wissen sollen?“, kam es von Tyson. Es ließ Kai aber nur schnauben. „Es gibt da so eine Erfindung die nennt sich Internet.“ „Jetzt lass doch mal den Sarkasmus..“ „Dann lass du diesen schmollenden Unterton, Max! Der Einzige der hier einen Grund hat zu schmollen bin ich! Ich bin immer derjenige der sich informiert - Ihr beiden dagegen nie!“ „So ist das doch gar nicht.“ „Und ob! Ihr verlasst euch ständig auf mich.“ „Weil du unser Alphatier bist! High Five darauf!“ Anstatt einzuschlagen blickte Kai finster auf Maxs entgegengestreckte Hand. Es verging ein peinlich zäher Moment, bis er sie wieder sinken ließ. „Uncool Bro…“, schnalzte Max tadelnd mit der Zunge. Es gab für ihn nichts Schlimmeres als einen Bruder, bei einem High Five im Stich zu lassen. Doch alles was Kai dazu zu sagen hatte war: „Wann habe ich eigentlich eine Kindertagesstätte für Chaoten mit Peter Pan Syndrom eröffnet?“ „Autsch! Und da soll ich nicht schmollen?!“ „Seit Beginn der Reise treibt ihr mich in den Wahnsinn. Ich habe während dem Flug gehofft, dass der Flieger in einen Berg kracht!“ Nun rollte Tyson ausnahmsweise mit den Augen. Er piekte sich am Buffet ein weiteres Fleischstück heraus. Offenbar als Beilage für sein anderes Fleischstück. Manche Leute behaupteten Asiaten würden viel Gemüse essen. Seit Max Tyson kannte, hielt er diese Leute für naive Idioten. „Ach komm, so schlimm sind wir auch nicht…“, spielte der Kais Worte herunter. „Nein, ihr seid noch viel schlimmer! Du hast vor deinem Abflug deinen Pass verlegt, weshalb wir fast unseren Flieger verpasst hätten. Nicht einmal dein Koffer war gepackt!“ „Das nennt sich verschlafen…“ „Das nennt sich dämlich! Sowas erledigt man den Tag davor. Und Max hatte im Handgepäck zwei Gläser Mayonnaise und wollte sie nicht wegwerfen, was zu einer riesen Debatte beim Abtasten geführt hat.“ „Warum sollte ich die auch wegwerfen?!“, empörte der sich nun auch. „Flüssigkeiten sind im Handgepäck nicht erlaubt! Verdammt Max, das weiß man doch!“ „Mayonnaise ist cremig! Nicht flüssig. Punkt.“ „Das sah das Flughafenpersonal aber anders…“ „Ich werfe doch keine ungeöffneten Gläser intakter Mayonnaise fort!“ „Wieso hattest du die dann überhaupt dabei?“ „Mayonnaise schmeckt überall anders! Was ist, wenn sie in China irgend so eine eklige Zutat dazu mischen, wie Datteln, Pfifferlinge oder panierte Heuschrecken!“ „So ein Blödsinn! Und wieso musste es ins Handgepäck?!“ „Äh, hallo? Das nennt sich kleiner Snack für Zwischendurch! Ich will doch nicht darauf warten, bis ich meinen Koffer zurück habe, um mir meine Dampfnudeln mit Mayo zu gönnen!“ „Mayonnaise mit Pfifferlingen ist ekelhaft, aber mit Dampfnudeln geht Ordnung? Du bist krank…“ „Das schmeckt saugeil!“, schnaubte Max fassungslos. Er war ja nicht streitsüchtig, aber manche Dinge waren eben auch ihm heilig. Niemand stellte sich zwischen ihm und seiner Mayonnaise, nicht einmal der perfekte Kai Hiwatari. Jedem seine eigene Religion. Der schnalzte inzwischen. „Na, wie auch immer. Ihr beide habt mich die letzten Tage einige Nerven gekostet. Und dann verlauft ihr Chaoten euch auch noch nach der Landung am Flughafen.“ „Wir wollten nur einen Kaffee holen.“, kam es im Chor. „Auf der Damentoilette?!“ „Die Leute standen dort alle Schlange.“, erklärte Tyson. „Weil sie aufs Klo mussten! Ist euch nicht aufgefallen, dass dort nur Frauen standen?!“ Okay, vielleicht waren sie wirklich ein wenig anstrengend… Max sah Kais düsteren Blick und pfiff unschuldig vor sich her, während er so tat, als würde er den Blattspinat am Büffet hochinteressant finden. Im Gegensatz zu Tyson besaß er doch etwas mehr Schamgefühl und konnte derlei Dinge, nicht immer mit einem lässigen Spruch abtun. Und der Vorfall in der Damentoilette war ihm definitiv noch peinlich. Offenbar nahm man die Geschlechtertrennung auf dem Örtlichen, in China verdammt ernst, denn sie wurden kurz darauf mit Handschellen abgeführt, ganz zu Schweigen davon, dass Max jetzt noch die Ohren klingelten, wenn er an das spitze Gekreische der Frauen dort drinnen dachte. Da brummte Kai auch schon vor sich her: „Wegen so etwas bescheuertem ist wohl noch niemand vom Flughafenpersonal aufgegriffen worden.“ „Ja. Das war schon ein Abenteuer.“, gluckste Tyson. Es war wirklich beneidenswert wie schamlos er solche Vorfälle immer wegsteckte. Nachdem die Security sie in der Damentoilette aufgabelte, saß Tyson nur lässig im Verhörraum und machte lauthals Witze darüber, dass die Drogen glücklicherweise in Maxs Hintern versteckt seien. Ihm hatte es förmlich den Schließmuskel zugezogen, als der Mann am Schreibtisch ihn argwöhnisch beäugte und ein Satz Einweghandschuhe überzog. Womöglich hatte Kai doch allen Grund um angesäuert zu sein, immerhin musste er die letzten Stunden einiges mitmachen. „Ja. Echt witzig!“, fauchte er inzwischen. „Vor allem die Durchsage am Airport, ich möge mich bei der Security einfinden, um eure Identität zu bezeugen. Die haben mich bei meiner Ankunft wie einen Schwerverbrecher gefilzt!“ „Stimmt, jetzt wo du es sagst? Hätte nicht gedacht das du wirklich auftauchst.“, meinte Tyson erstaunt. Wieder ein Augenrollen von Kai. Er musste wirklich mal damit aufhören, sonst würden ihm eines Tages die Augäpfel in dieser Position stecken bleiben. Vielleicht wäre es auch hilfreich, wenn sie ihm nicht ständig die Vorlage dafür bieten würden. „Ich hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt euch dort zu lassen!“, knurrte Kai bissig über seine Schulter hinweg, während er sich etwas Reis auf den Teller tat. „Das war das peinlichste Erlebnis meines Lebens.“ Das erklärte wohl auch, weshalb er mit Sonnenbrille und Mütze bei der Security auftauchte. „Okay, okay! Schon verstanden.“, tat Tyson eine achtlose Bewegung mit einem Spieß, an dem ein weiteres Stück Fleisch baumelte. Das wanderte anschließend als Fleischbeilage, für die vorherige Fleischbeilage, auf seinen Teller. Tyson hatte ja schon angekündigt er würde heute Abend eine Kuh verdrücken, doch Max nahm an, das sei nur metaphorisch gemeint. Auf seinem Teller war kein einziges Stück Gemüse. Nicht einmal eine winzige Cocktailtomate. Ungeachtet dessen verkündete Tyson: „Wir haben deine Nerven ganz schön überstrapaziert. Eines Tages wirst du aber darauf zurückschauen und herzhaft darüber lachen können.“ Kai drehte sich mit ungläubigem Blick zu ihnen um, öffnete den Mund zur Widerrede, bis er Tysons Teller erblickte. „Etwa so wie du? Wenn dein Arzt dir irgendwann zum dreifachen Bypass rät? Wie viel Fleisch willst du dir eigentlich noch aufladen?!“ Das schien ihm bisher noch gar nicht aufgefallen zu sein. Es kam nicht oft vor, dass man Kai erstaunt sah, doch bei dem Fleischberg auf Tysons Teller, machte selbst er große Augen. „Ich bin noch in der Wachstumsphase.“, erklärte der nun voller Inbrunst. Max und Kai tauschten vielsagende Blicke aus. Dazwischen Tyson mit seinem gigantischen Fleischturm. „Willst du in die Höhe wachsen? Denn wenn dir in die Seite reicht, dann…“, begann Max. „Klappe, Brutus! Fall mir hier nicht in den Rücken!“ Tysons Religion war offensichtlich Fleisch, denn was das betraf, ließ er mit sich genauso wenig reden, wie Max mit seiner Mayonnaise. Keine Diskussion. Keine Kompromisse. Stattdessen sprach er: „Machen wir doch jetzt endlich das Beste aus diesem Abend. Also hör auf zu schmollen Kai. Und vielleicht sollten wir uns nach dem Essen noch überlegen, wie wir meine Karte zurückbekommen.“ Selbstverständlich hätten sie das auch sofort machen können, doch Tysons Gehirn war im Fleischmodus, sodass er gerade nur daran denken konnte, seinen Teller bis zur Sauce leer zu lecken. Erst danach war er wieder handlungsfähig. Mit einem riesigen Heißhunger in den Augen, schielte er noch auf einige Fleischbällchen, die an einer anderen Ecke des Buffets, in einem Topf vor sich her dampften. „Könnte etwas peinlich werden, wenn Ray unsere Karte aufschlägt und keine Scheinchen darin vorfindet.“, kam es geistesabwesend. „Also fischen wir sie nachher lieber nochmal aus der Box und tun etwas Cash hinein.“ „Du meinst diese Karte?!“, fauchte Kai gereizt und zog besagtes Stück aus seiner Sakkotasche hervor. Auf der Vorderseite prangte tatsächlich das Marineschiff, mit den abschussbereiten Kanonen. „Ah, da ist sie ja schon.“, bemerkte Tyson halbherzig. „Wann hast du die denn geklaut?“ „Gleich nachdem du sie in die Box geworfen hast. Glaubst du wirklich ich lasse dich, in unserem Namen, eine Karte aussuchen? Niemals! Und danke übrigens für diese Aktion. Rays Verwandtschaft hat mich angestarrt, als wolle ich ihn beklauen.“ „Hast du gut gemacht. Klär noch das mit dem Geld, dann sind wir fein raus.“ „Oh, selbstverständlich der Herr! Sonst noch etwas was ich machen soll? Vielleicht noch ein Präsentkorb mit Wein und Mailänder Salami dazu?“ „Klingt cool. Kriegst du das noch hin?“ „Nein, verdammt! Ich will damit sagen, dass ich nicht dein Sklave bin!“ „Ich sehe dich eigentlich mehr als meinen persönlichen Assistent. Du regelst schließlich alle meine wichtigen Geschäfte. Da kommt man sich echt wichtig vor.“ „Das ist jetzt nicht dein ernst, oder?“ „Du machst ja auch meine Steuererklärung. Antwort genug?“ Kais Braue zuckte. Genau wie sein linkes Auge. Es war wohl der Moment, indem ihm die Sicherung durchbrannte. Max wartete auf ein alarmierendes Nasenbluten, doch es blieb glücklicherweise aus. Wenn Tyson aber so weitermachte, würde er der Grund sein, weshalb Kai mit siebenundzwanzig Jahren einen Hirnschlag bekam. Der schielte aber nur zu den Fleischbällchen und rief begeistert aus: „Ist das nicht toll wenn sich alle Probleme von alleine regeln? Ich finde jeder Mensch braucht einen Kai!“ Und schon schien die Welt in Ordnung… Mit fliegenden Schritten eilte Tyson zurück zu ihrem Tisch, während er beim Vorbeigehen noch einmal seine Gabel in eines der Fleischbällchen rammte und es auch auf seinen Teller tat. Das war dann wohl die Kirsche auf dem Fleischhäubchen. Die Bewegung kam so rasch, dass man ihn schon genauer beobachten musste, um es noch mitzubekommen. Das hatte schon etwas von einem Ninja. Als Max zu Kai schielte, massierte der sich gerade mit geschlossenen Augen über die Nasenwurzel und tat einige tiefe Atemzüge. Armer Kerl. Tyson hatte ihn in den letzten Jahren wirklich mürbe bekommen. Der bedauernswerte Anblick ließ ihn mehrmals schnalzen. „Weißt du, Kai? Ich will jetzt nicht in der Wunde bohren, aber du hast deinen Biss verloren.“ „Mach du diesen Wahnsinn vierzehn Jahre mit…“ „Ja. Das hat schon was von einem alten Ehepaar was ihr beiden da treibt. Aber hey, hinter jedem Wahnsinnigen steckt eine starke Frau, die den Wahnsinn aufräumen muss.“ Als Antwort haute Kai ihm die Karte um die Ohren. * „Ich Amerikaner.“, gestikulierte Max, während die exotische Schönheit vor ihm, sich genauso angetrunken über den Tisch beugte und entzückt kicherte. Sie knabberte auf dem Strohhalm ihres Drinks herum und das sehr langsam. Ihre Lippen waren das reinste Kunstwerk. Knallrot und verführerisch prangten sie in ihrem Gesicht. Max musste ständig darauf schauen. Durch die aufgedrehte Bassanlage war er glücklicherweise gezwungen, näher heranzukommen und da sie nur die Hälfte begriff, was er da auf Englisch von sich gab, war eine intellektuelle Konversation zweitrangig. Theoretisch könnte er ihr erzählen, dass man mit Gabeln gefahrlos in einer Steckdose stochern durfte, sie würde wohl nur bezaubernd lächeln und nicken. Max hätte gerne ihre Handynummer. Eigentlich sogar noch mehr, doch es lag nicht in seiner Absicht, Rays Familienehre heute Abend zu besudeln, vor allem nicht auf dessen Hochzeitsfeier. Doch gegen etwas Fummeln im Garderobeschrank, mit einigen heftigen Küssen, ließ sich bestimmt nichts einwenden. Das schien Ray jedoch anders zu sehen… Denn kurz darauf legte sich dessen Arm auf seine Schulter und durch seinen verklärten Blick, erkannte Max die spöttisch erhobene Augenbraue des Bräutigams neben sich. „Wir haben also meine Cousine kennengelernt?“ „Jepp.“, ein Hicksen kam aus seinem Mund. „Reizende Frau.“ „Ja, das ist sie. Und du hast genug getrunken, Kumpel.“, mit einem nachsichtigen Lächeln schob Ray das Glas auf die andere Seite der Tischplatte, während Max im Gedanken nachzählte, wie viel Wahrheitsgehalt hinter dessen Worten steckte. Vor einer Stunde hatte sich die Truppe allmählich zerstreut. Zuvor saßen sie aber alle noch beisammen mit dem Brautpaar am Tisch, während sie über alte Zeiten witzelten und der Alkohol nur so in Strömen floss. Das ging bis in die frühen Morgenstunden. Eventuell war ihm dabei das eine oder andere Glas entgangen. Irgendwann wusste er gar nicht mehr, was er da überhaupt noch trank. Auf einmal tauschte Ray ein paar chinesische Sätze mit seiner Cousine aus, die daraufhin aufsprang, ihre karmesinrote Clutch packte und von dannen stöckelte. „Hee!“, machte Max empört, während er sehnsüchtig der Wespentaille nachschaute. „Was hast du zu ihr gesagt?“ „Das du Trump gewählt hast…“ „Stimmt doch gar nicht!“ „Ich weiß. Finger weg von meiner Verwandtschaft!“ Zum zweiten Mal an diesem Abend bekam er eine gescheuert. Dieses Mal traf es seinen Hinterkopf. Er rieb sich grummelnd über die Stelle, während Ray einen Barhocker näher heranrückte und neben ihm Platz nahm. Seine Krawatte saß lockerer als am Anfang der Feier und den Augenringen nach zu urteilen, war es ein langer Tag für ihn gewesen. Die Location begann sich allmählich zu leeren. Wahrscheinlich würde das Brautpaar bald das eheliche Badabingbang einläuten. Oder einfach nur in voller Montur schnarchend auf dem Bett einpennen… „Tut mir Leid das wir vorhin von unserem Tisch aufstehen mussten, aber die ersten Gäste sind gegangen. Da müssen wir ihnen natürlich Auf Wiedersehen sagen.“ „Das kannst du wiedergutmachen wenn du mir ihre Nummer besorgst.“, forderte Max und zielte ungeniert mit dem Zeigefinger auf die begehrte Cousine. Bis ihm auffiel, dass es gar nicht die exotische Schönheit war, sondern Mariahs Großmutter, die nur zufälligerweise ein Kleid in derselben Farbe trug und mit ihrer Gehhilfe zum Ausgang humpelte. Ray blickte mit erhobener Braue auf Maxs vermeintliche Herzdame und sprach: „Wenn ihr bei eurem ersten Date auf feste Nahrung verzichtet, könnte daraus sogar was werden.“ „Die Cousine! Der Engel mit der Wespentaille, Ray!“ „Und wie stellst du dir das vor? Eine Fernbeziehung?“ „Mit den Vielfliegermeilen klappt das schon. Liebe kennt keine Grenzen!“ „Klar. Vor allem wenn das einzige chinesische Wort das du kennst Toilette ist.“ „Na, immerhin! Will ihr ja nicht in die Wohnung pinkeln…“ „Und wann immer ihr ein Date habt fliegst du dann nach China?“ „Vielleicht macht die Technologie in den nächsten Jahren einen Sprung und das Teleportieren wird erfunden. Oder ich fange ein Pokémon das das kann. Darüber mache ich mir aber Gedanken wenn es soweit ist.“ Maxs Finger tippelten sich langsam auf der Tischplatte voran, um ungeschickt nach dem Glas zu grabschen, doch sobald er es erreichte, stellte Ray es gezielt ein Stück weiter weg. „Tyson und Kai haben sich verabschiedet. Sobald du nachhause willst, gib einfach Bescheid. Mein Onkel fährt dich dann zum Hotel.“ „Ich weiß. Die beiden haben mich gefragt ob ich wirklich nicht mitkommen möchte.“ „Und du wolltest nicht, weil…?“ „Wegen der schönen Cousine die du mit deiner üblen Nachrede vergrault hast.“ „Falls es dich tröstet, sie ernährt sich streng vegan. Eine Ehe mit ihr bedeutet also Mayonnaise ohne Eier für dich.“ „Oh mein Gott! Wie bekloppt ist die denn?!“, Max riss die Augen panisch auf und legte seine Hand dankbar auf Rays Schulter. „Du bist ein wahrer Freund! Hast was gut bei mir…“ Dann grapschte er nach dem Glas, doch irgendwie entschwand es wieder seinen Fingern. „Nicht nur das habe ich gut bei dir.“, kommentierte Ray trocken. „Jedenfalls wollte ich noch einmal Danke sagen, dass ihr extra für meine Hochzeit angereist seid. Ohne euch wäre es nicht so toll geworden.“ „Ach, kein Ding. Das hätten wir uns niemals entgehen lassen. Unser Blutsbruder kommt unter die Haube. Und deine Mao sieht aus wie aus einem Brautmodekatalog entsprungen. Hast einen super Fang gemacht…“ „Danke. Ihr seid tolle Freunde.“, ihm wurde anerkennend auf den Rücken geklopft. Das Ergebnis war ein weiteres Hicksen und dass Max ein wenig auf seinem Stuhl ins Straucheln geriet. Ray stützte ihn am Tisch ab und nach einem lauten Gähnen, sprach Max: „Gott sei Dank hast du die Karte nicht gelesen. Sonst würdest du anders über uns denken.“ „Welche Karte?“ „Vergiss es. Frag Kai…“, er dachte nochmal nach. „Obwohl, frag ihn nicht. Er war am Anfang der Feier nicht so gut auf uns zu sprechen.“ „Klingt nach einer Vorgeschichte.“ „Du hast ja keine Ahnung!“, Max griff sich stöhnend an die Stirn. „Da denkt man mit den besten Kumpels zu verreisen wird witzig, stattdessen landet man mitten in einem Rosenkrieg. Manchmal habe ich das Gefühl, die beiden sind länger verheiratet, als du und Mao. Wenn die jemals schwul werden, singe ich Halleluja!“ Es ließ Ray lauthals lachen. „Unser altes Ehepaar ist also wieder auf Kriegsfuß?“ „Na was glaubst du warum ich dieses Glas brauche?! Ich muss aber noch herausfinden, wer von den beiden in dieser skurrilen Beziehung die Hosen anhat. Und warum das Glas immer verschwindet… Wo ist es denn jetzt wieder hin?“ Max schaute sich verwundert um, während Ray ein unschuldiges Pfeifen von sich gab, bis er ihn mit seiner Frage ablenkte: „Ich dachte Tyson hätte Kai endlich mürbe bekommen?“ „Hat er auch. Er ist schon gnädiger gestimmt. Manchmal bricht aber doch noch der Sturkopf bei ihm durch. Vorhin am Buffet gab es wieder eine riesen Diskussion. Hat uns vorgehalten das wir die ganze Verantwortung immer auf ihn abschieben.“ „Nimm mir das nicht übel, aber meiner Erfahrung nach…“ „Wenn du weiterredest, zeige ich dir gleich, wie eine Hochzeitsfeier in den USA endet! Die Sauerei willst du nicht wegwischen, Bro!“, drohte Max ihm mit erhobenem Zeigefinger. Auch wenn sein Zeigefinger nicht genau wusste, auf welchen der beiden Bräutigame er gerade deuten sollte. Es wäre wirklich hilfreich, wenn Ray endlich mal seine Konturen etwas schärfen könnte. Der rollte inzwischen schmunzelnd mit den Augen. Er und Kai könnten Zwillinge sein was das betraf. „Also ihr drückt die Verantwortung nicht auf Kai ab?“ Max war viel zu betrunken um den Sarkasmus herauszuhören. „Logisch tun wir das! Aber Kai soll sich mal endlich mit seiner Rolle abfinden. Ich bin der nette Sunnyboy. Tyson der wahnsinnige Wissenschaftler der seinen Handlanger braucht. Irgendwer muss doch die Drecksarbeit machen. Und Kenny konnte ja nicht mitfliegen…“ Er hörte ein amüsiertes Glucksen von Ray. „Hat etwas von der Widerspenstigen Zähmung.“ „Und wie! Petruchio könnte sich von Tyson noch einigen Irrsinn abschauen. Der hätte seine hochnäsige Katherina zum Frühstück vernascht. Bin wegen diesem Chaot am Flughafen aufgegriffen worden, weil ich ihm in die Damentoilette gefolgt bin.“ „Ja, Kai hatte so etwas erwähnt...“ „Tyson meinte er wisse den Weg. Immer dort anstehen, wo viele Leute sind, hat er gemeint. Da gibt es was zu kaufen, hat er gemeint. Ich wusste ich hätte nicht auf ihn hören sollen. Die Mädels haben uns schon beim Anstehen schräg angeglotzt.“ „Du weißt aber schon, dass du nicht immer tun musst, was dieser Spinner dir vorschlägt?“ „Ich weiß, ich weiß…“, seufzte Max bedauernd. Sein Kopf fühlte sich furchtbar schwer an, also legte er ihn einen Moment auf der Tischplatte ab. So langsam überkam ihn wirklich die Müdigkeit. „Tyson verkauft seine Einfälle aber immer so gut. Ich bin ja froh dass er kein Staubsaugerverkäufer ist, sonst hätte ich zehn davon.“ Einmal mehr bemerkte Max das Glas in seinem Sichtfeld und begab sich mit seinen Fingern wieder auf Wanderung. Doch sobald er es erreichte, verschwand es auf magische Weise an ein anderes Ende des Tisches. Sehr dubios… „Der Junge bringt Kais Blutdruck sowas von zum Kochen. Wenn ich ihm einen Topf mit Wasser auf den Kopf stelle, könnte ich mir vielleicht ein Frühstücksei machen.“, Max schaute sich erneut nach dem verschwundenen Glas um. Echt seltsam. Da fiel ihm etwas ein. „Weißt du an wen die beiden mich erinnern? An meine Eltern! Die kriegen sich an Thanksgiving auch ständig in der Wolle, sobald es um den Truthahn geht. Nur das bei uns daheim eindeutig meine Mutter die Hosen anhat.“ „Ja. Die beiden gäben genauso ein lustiges Pärchen ab. Und dabei dachte ich immer du brennst eines Tages mit Tyson durch.“ Beide glucksten bei dem Gedanken. Bis Max den Witz begriff… „Moment mal, was?!“ Es verging noch eine weitere Dreiviertelstunde bis Max sich auf den Weg ins Hotel begab. In dieser Zeit verlangte er nach einer ausführlichen Erläuterung, weshalb seine Männerfreundschaft mit Tyson, gleich wieder auf die homosexuelle Schiene geschoben wurde. Das ging so lange, bis Ray geschockt einfiel, dass er ja noch eine Braut hatte, um die es sich zu kümmern galt. Gleichzeitig bat er Max darum, den Rest der Truppe daran zu erinnern, dass sie alle am nächsten Tag noch zum Essen in einem Restaurant eingeladen waren. Zu diesem Anlass hatte sie sich etwas Besonderes für den Bräutigam einfallen lassen. Kenny lag seit mehreren Tagen, wegen einer heftigen Magen-Darm-Grippe flach und es sollte eine Möglichkeit werden, ihn wenigstens im kleinen Kreis einzubeziehen, indem sie dessen Laptop im Restaurant aufstellten und ihn über Skype dazu schalteten. Da Ray recht geknickt war, weil er nicht kommen konnte, wollte der Chef die Mühe auf sich nehmen und trotz seiner derzeitig sehr engen Beziehung zur Kloschüssel, bei diesem Moment dabei sein. Kai merkte zwar höflich an, dass das eine seltendämliche Idee war, doch er wurde vom Rest der Truppe überstimmt, weil Kenny meinte, er könne sein Essen eventuell für eine Stunde bei sich behalten. Kai betonte daraufhin erneut sehr höflich, dass eventuell keine hundertprozentige Sicherheit garantierte, doch Tyson konterte damit, dass der Chef einfach einen Eimer parat haben sollte. Daraufhin meinte Kai, er bekomme Kopfschmerzen… Ray kritzelte inzwischen auf eine unbenutzte Serviette noch schnell die Adresse des Restaurants, dann pfiff er seinen Onkel herbei, um ihn zu bitten, seinen ziemlich angeheiterten Kumpel ins Hotel zu fahren. Wie das Schicksal so spielte, handelte es sich dabei natürlich um den kleinen Kautz vom Buffet, der ihn prompt mit einem freudigen „Howdy Cowboy!“ begrüßte. Er schien sich ziemlich witzig zu finden und als sie in seinen quietschgelben Wagen stiegen, fiel Max auf, dass Rays Onkel scheinbar Taxifahrer war. Oder vielleicht auch Kurier. Zumindest roch es im Inneren, der für ihn unbekannten chinesischen Automarke, nach gebratenem Essen, was wohl an den alten Pappschachteln lag, die auf dem Rücksitz vor sich her moderten. Rays Onkel schien auch ein redseliger Geselle zu sein. Sehr, sehr, sehr redselig… Der Mann schnatterte ohne Punkt und Komma, dabei hatte Max angenommen, ihm zuvor klargemacht zu haben, dass er kein einziges chinesisches Wort sprach. Obwohl das nicht ganz stimmte. Immerhin wusste er nach der Sache am Flughafen was Toilette bedeutete. Während der Autofahrt begriff Max, dass der kleine Herr neben ihm, Namen von Schauspielern herunterleierte. Offenbar zählte er alle auf die er aus einem Western kannte. Das fand er doch ganz ulkig, einfach weil der Onkel mit dem schütteren Haar darauf sehr stolz zu sein schien. Und da Max betrunken war - und Namen keinerlei Übersetzung bedurften - stimmte er irgendwann einmal mit ein. Von Clint Eastwood, Bud Spencer bis Jon Travolta kam alles in ihrem Spiel vor. Sobald ihnen ein weiterer Namen einfiel, schallte ein „Oooooh!“ und „Aaaaaah!“ durch den Wagen, gefolgt von ihrem Gackern und einigen anerkennenden Schulterklopfern. Sie verstanden sich, obwohl sie sich überhaupt nicht verstanden. Immerhin… Als Max endlich beim Hotel herausgelassen wurde, schien Rays Onkel ihn noch zu fragen, ob er es alleine in sein Zimmer schaffte. Oder er wollte mit hochkommen, was etwas verstörend wäre. Maxs Antwort war nur ein „Howdy Cowboy!“, was beide wieder Grölen ließ. Es gab viel Händeschütteln durch das heruntergelassene Autofenster. Max erklärte Rays Onkel dass er ihn morgen anrufen würde, um mit ihm einmal ein Bier zu trinken. Dumm nur, dass er sich von seinem neuen besten Kumpel, nicht die Handynummer notiert hatte… „Is good!“ „Yeah! Is really good!“, lallte Max nur betrunken zurück. Sie gaben sich ein mörderisches High Five. Wer brauchte schon Kai dazu, Max hatte nun einen neuen Bro! Dann drehte er sich zum Eingang, in der festen Überzeugung, dass so auch seine Beziehung mit Rays Cousine geklappt hätte, bis ihm wieder einfiel, dass sie Veganerin war und er sie deshalb nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würde. Auf seinem Weg zur Eingangshalle, verkündete er inbrünstig, dass in seine Mayonnaise Eier gehörten, obwohl niemand da war der ihn hörte. Zumindest glaubte er das, denn an der Drehtür standen zwei Männer von der Security, die schmunzelnd den Kopf über sein Verhalten schüttelten. Die erste Hürde war, überhaupt erst hinauf zum Eingang zu gelangen, denn es führten mehrere Stufen hoch. Max kam der Weg ziemlich lang vor. Es könnte daran gelegen haben, dass er bei jedem Schritt vorwärts, drei weitere zurück machte und sich letztendlich immer wieder orientierungslos auf dem Gehweg fand. Irgendwann erbarmte sich einer der Männer am Eingang und half ihm die Stufen hinauf, nur um genervt zu stöhnen, als Max in der Drehtür ständig im Kreis weiterlief. Wann immer er die schwarzgekleideten Herren der Security wiedersah, trällerte er dann ein fröhliches „Howdy Cowboys!“. Gleich darauf prustete er los, weil er gar nicht aus Texas stammte. Solche Witze verstanden eben nur Amerikaner. Einem der Security Männer wurde es dann wohl zu bunt mit ihm, denn etwas später fand sich Max im Fahrstuhl, ohne überhaupt eine Ahnung zu haben, wie er hinein gelangte. Dort drinnen machte er sich erst einmal einen Spaß, drückte alle Knöpfe und klapperte so alle Stockwerke ab. Es gab sechzehn, inklusive des Parkhauses. Wann immer sich die Schiebetür dann öffnete, grölte Max ein „BAAMM!“ hinaus. Im Parkhaus schallte das „BAAMM!“ herrlich nach, daher bekam dieses Stockwerk besonders viel Zuwendung von ihm. Einige Etagen darüber überraschte er aber ein knutschendes Paar. Ulkiger weise kreischte ausgerechnet der Mann los, was aber auch daran liegen konnte, dass seine Partnerin ihm vor Schreck auf die Zunge biss. Da sah Max endlich ein, dass er ins Bett gehörte und drückte eilig wieder auf den Fahrstuhlknopf. Irgendwie gelang ihm dann auch noch die Herakles Aufgabe, seine Zimmerkarte aus der Hosentasche zu zaubern. Verwundert stellte er dabei fest, dass es eine weitere in seiner Hand gab. Wäre Max nicht so betrunken gewesen, hätte er sich daran erinnert, dass ihm Tyson seine eigene in die Hand gedrückt hatte, in der festen Überzeugung, sie sei bei ihm besser aufgehoben. Wann immer er das tat, kam sich Max wie seine blöde Handtasche vor. Im Skiurlaub verbummelte Tyson ständig seine zweite Zimmerkarte, weshalb er beim Ausschecken eine Strafgebühr zahlen musste. Als Max endlich sein Stockwerk fand, taumelte er den Gang hinunter und schob seine Karte durch jedes Schloss, dass es wagte seinen Weg zu kreuzen. Irgendwann machte es leise Klick und er trat in das geöffnete Zimmer ein. Das Hotel in dem sie übernachteten, war sehr modern und komfortabel. Kai hatte es ausgesucht. Mit ihm zu Verreisen war ohnehin wie ein Sechser im Lotto. Da er durch seinen Beruf öfters im Ausland unterwegs war, bekam dieser Glückspilz bei vielen Hotelketten verdammt gute Prozente und auch so manches Upgrade. Tyson und Max hatten nicht schlecht gestaunt, als jedes ihrer Zimmer über ein Kingsize Bett und einem eigenen Balkon, samt Jacuzzi verfügte. Sie waren sogar erste Klasse hier her geflogen. Ein Grund mehr warum Max nicht verstand, weshalb Kai die Reise mit ihnen, einfach nicht genießen konnte. Gut, vielleicht lag es daran, dass sie beim Sport schauen im Flieger herumgebrüllt hatten, während er zwischen ihnen saß und sich zähneknirschend die Ohren zuhielt. Doch wem kochte nicht das Blut über, wenn der Trainer den falschen Spieler ins Feld tauschte? Und wo Max gerade an Kai dachte… Es war schön zu sehen, dass er sich offenbar mit Tyson versöhnt hatte. Denn als Max ins Zimmer trat, blinzelte er dumpf auf die beiden Silhouetten, welche vor dem weiten Panoramafenster standen und sich eng umschlungen küssten. Da er dieses Mal vorgewarnt war, sah er davon ab ein „BAAMM!“ zu schreien, immerhin sollte keiner seiner Freunde die Zunge verlieren. Stattdessen schielte Max auf den dargebotenen Anblick, kniff die Augen fest zusammen, um auch wirklich sicherzugehen, dass er richtig sah. Doch die helle Beleuchtung der nächtlichen Stadt vor dem Fenster, ließ keinen Zweifel aus. Er starrte lange auf die beiden Männer, die nichts von seiner Anwesenheit mitbekamen. Musste ja ziemlich heiß hergehen dort drüben. Dann blinzelte Max auf seine Karte. Schließlich klatschte er sich gegen die Stirn, als ihm einfiel, dass er im falschen Zimmer gelandet war. Prompt taumelte er wieder leise Richtung Tür, darauf bedacht so wenig wie möglich Krach zu machen – immerhin wollte Max ja niemanden zu so später Stunde noch stören, Privatsphäre war auch unter Freunden wichtig – und lief kommentarlos aus dem Raum. Fünf Minuten später öffnete er noch einmal die Tür, um seine Hose, samt Tysons Zimmerkarte darin, hinein zu werfen. Dieser Chaot sollte endlich Mal lernen, dass Max nicht seine Handtasche war! ENDE Kapitel 1 Kapitel 2: ----------- Der nächste Morgen kam und mit ihm der Kater danach… Als Max seine dunkel umränderten Augen einen spaltweit öffnete, empfing ihn gleisendes, helles, verflucht penetrantes Sonnenlicht, dass ihm schier die Netzhaut wegätzte. Er stöhnte laut. Vor allem da ihn ein aufgeregtes Klopfen an der Tür weckte. So energisch wie der morgige Besucher auf sich aufmerksam machte, konnte es sich dabei nur um Tyson handeln. Obwohl es Max wunderte, dass er so früh wach war. Doch ein Blick auf sein Smartphone, was auf der Kommode neben dem Bett lag, verriet ihm, dass eigentlich er zu spät dran war. An der Tür wurde jetzt auch noch gerüttelt. Max ließ einen genervten Ruf los, während er sich aus den Bettlaken befreite. Das war gar nicht so einfach, da es sich irgendwie um seinen Körper geschlungen hatte. So musste sich der Inhalt eines Burritos fühlen… Sobald er sich endlich in die Freiheit hinaus gekämpft hatte, schaute Max an sich hinunter. Warum hatte er seine Hose ausgezogen, aber den Rest nicht? Das sah wirklich albern aus, mit den bunten Shorts unter seinem schicken Sakko und den polierten Schuhen. Außerdem trug er noch seine Krawatte. Eigentlich wollte Max sich wenigstens noch eine Hose überziehen, doch die Dringlichkeit mit der Tyson klopfte, ließ ihn an die Tür gehen. „Jetzt bleib doch mal ruhig! Ich bin doch schon da…“, es war keine freundliche Begrüßung, aber seine morgendliche Stimmung nach einer durchzechten Nacht, war allgemein bekannt. Tyson wusste also worauf er sich einließ und war seiner Meinung nach selbst schuld. Ausnahmsweise maulte der auch nicht herum, als Max die Tür aufriss und ihn einfach wieder stehen ließ, sich stattdessen lieber auf die Suche nach seiner Hose begab. „Hey, Maxi! Alles klar bei dir?“, fragte der nur vorsichtig. „Geht so. Ich brauche eine Aspirin.“ „Verkatert?“ „Und wie…“ „Verstehe. Und du bist alleine hier?“ „Jepp.“ „Also lief nichts mit Rays Cousine?“ „Welche Cousine?“ „Dein Engel mit der Wespentaille.“ „Hä?“, Max blinzelte schläfrig und mit dunklen Augenringen zu Tyson hinüber. Dessen Braue zuckte ebenso überrascht auf. Nach einer langen Denkpause ging ihm aber endlich ein Licht auf. „Achso die! Ja stimmt. Von der wollte ich eigentlich was... Warum hat das nicht geklappt?“ „Keine Ahnung. Das will ich ja von dir wissen.“ „Gute Frage...“ Tyson starrte ihm nach. Max fand er hätte sich ruhig mal an der Suche beteiligen können. „Du musst dich ja gestern wieder ziemlich abgeschossen haben.“, schloss er aber nur erstaunt die Tür hinter sich, während Max auf die Knie ging und seine Hose unter einem Sessel suchte. Stattdessen fand er nur eine zusammengeknüllte Socke. Dessen Bruder blieb jedoch verschollen, ebenso wie die Hose. „Allerdings. Ich weiß noch nicht einmal wie ich in mein Zimmer gekommen bin.“ „Du hast keine Ahnung?“ „Nope.“ „Wirklich nicht?“ „Nein.“ „Sicher?“ „Mann, Kumpel!“, stöhnte er. „Stress mich doch nicht so früh am morgen. Ich hatte noch nicht einmal einen Kaffee. Wo ist denn nur diese dämliche Hose abgeblieben?“ „Keine Ahnung. Aber nochmal wegen der gestrigen Nacht…“, Tyson wippte auf seinen Schuhballen herum. Das tat er eigentlich nur, wenn ihm etwas unangenehm war, was eigentlich selten vorkam, da dieser Kerl Null Schamgefühl besaß. Max beschäftigte aber gerade mehr, wo seine restliche Abendgarderobe steckte. „Warst du gestern noch einmal in meinem Zimmer?“ „Keine Ahnung. Warum fragst du?“ „Meine Zimmerkarte lag auf dem Boden.“ „Dann hast du deine wahrscheinlich fallen lassen. Ich habe dir die zweite definitiv nicht zurückgegeben. Da bin ich sicher.“ „Ähm…“, Tyson starrte ihm nachdenklich hinterher, wie er da auf dem Boden herumrobbte, um unter das Bett zu krabbeln. Irgendwann wich sein Blick zur Decke aus. „Kann schon sein. Also du weißt sicher nicht ob du im Zimmer warst?“ „Ich weiß noch nicht einmal wer mich heimgefahren hat. Glaubst du da weiß ich noch, ob ich bei dir war?“ „Okay…“ „Warum fragst du eigentlich so hartnäckig?“ „Nur so. Kommst du frühstücken?“, Tyson legte fröhlich die Hand auf die Klinke. Auf einmal grinste er wieder zufrieden. Bestimmt weil ihn die Aussicht gefiel, die nächste Kuh auf seinen Teller zu verfrachten. „Kai geht duschen und führt danach noch so eine komische Videokonferenz mit einem Geschäftspartner. Er isst später.“ „Ich kann nicht. Die Hose ist weg…“ „Dann zieh doch einfach eine andere an. Du willst doch nicht im Sakko da unten auftauchen? Obwohl, mit den Shorts unten drunter, könntest du einen neuen Trend ins Leben rufen. Wir nennen den Look - Oben Business, unten Penner.“ „Echt witzig.“ „Du wirst ja wohl noch eine weitere Hose eingepackt haben…“ „Darum geht es gar nicht!“, rief Max verzweifelt aus. Er rappelte sich wieder hoch auf die Füße, schaute sich ratlos im Raum um. „Es sind die Zimmerkarten! Die Zimmerkarten stecken noch in der verdammten Ho-…Holy crap!“ Auf einmal wurde er kreidebleich als ihm einfiel wo sie war. Da tauchte ein Bild vor seinem inneren Auge auf. Eine Szene vor einem weiten Panoramafenster. Die Hauptdarsteller in dieser Erinnerung - zwei seiner engsten Freunde. Mit tellergroßen Augen drehte Max sich zu Tyson um, starrte ihn mit zuckender Braue an. Ihm klappte entsetzt der Mund auf, dabei entwich ihm ein hoher erstickter Ton. Er klang wie ein Mann, dem man gnadenlos die Hoden in einen Schraubstock einklemmte. Und so fühlte es sich auch an. Tyson starrte inzwischen zurück. Er begriff, dass Max begriff… Und genauso schnell wie seine gute Laune kam, verflüchtigte sie sich auch wieder. „Ach verdammt…“, schnalzte er genervt mit der Zunge. Eine viertel Stunde später hockte Max auf seinem Bett, nur dieses Mal wollte er statt einer Aspirin Tablette, etwas Valium haben, einfach um seine Nerven zu beruhigen. Seinen Kopf stützte er auf den Armen ab. Die Arme auf den Knien. Und während er so da auf der Bettkante saß, war sein Blick starr geradeaus, auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, wo ein Bild hing, dessen graue Linien an eine kalbende Elefantenmutter erinnerten. Für moderne Kunst konnte er sich selbst unter den günstigsten Umständen nicht begeisterten. Momentan fühlte er sich auch viel zu überfahren. Also so richtig überfahren… Wie diese plattgewalzten Tauben, die zu dämlich waren, um einem Auto davonzufliegen. Und ausgerechnet sein bester Kumpel saß hinterm Steuer. Dieser Chaot, von dem Max geglaubt hatte, er könne ihn mit nichts mehr schockieren. Neben ihm auf dem Bett, mahlte Tyson nervös seinen Kiefer, schaute zur Decke und pfiff ab und an vor sich her, um die unangenehme Stille zwischen ihnen zu durchbrechen. Das ging so lange, bis Max ihn mit weitem Blick anblinzelte. Da grinste er verlegen, kratzte sich mit einem nervösem Lachen am Hinterkopf, bis ihm nicht mehr nach Pfeifen zu mute war. Das hier war definitiv die peinlichste Stille, die beide je erlebt hatten. Max ging in der Zwischenzeit durch den Sinn, dass er noch nie einen Joint in der Hand hatte und jetzt der richtige Augenblick wäre, um es zu versuchen. Obwohl, vielleicht war er jetzt bekifft… Womöglich hatte sich irgendein gelangweilter Portier einen Spaß daraus gemacht, die Klimaanlage des Hotels mit Marihuana zu füllen, was der Grund war, weshalb er gestern Abend Halluzinationen bekam. Er tat einen tiefen Atemzug. Irgendwer musste ja den Anfang machen und der Chaot an seiner Seite würde es wohl nicht tun. „Tyson?“ „Ja!“, sein Nebenmann setzte sich prompt gerade auf, wie beim Militär. Nach einer langen Pause tat Max es ihm gleich, entließ seinen Kopf und räusperte sich, bevor er weitersprach. „Eine Frage…“ „Okay?“, er wurde erwartungsvoll angestarrt. „Was habe ich da gestern Abend in deinem Zimmer gesehen?“ Wieder entstand eine Pause. Es hätte nur noch ein quakender Frosch gefehlt, dann hätte das Ganze etwas von einer Komödie. Tyson überlegte lange. Sehr lange… „Kommt darauf an ab welchem Zeitpunkt du im Zimmer warst?“ „Du meinst, weil ihr…“, er wagte eigentlich gar nicht daran zu denken. Tyson starrte ihn aber nur peinlich berührt an. Dann huschte ein ertapptes Grinsen über seine Lippen. „Eventuell.“ „Holy crap!“, flüsterte Max noch einmal geschockt. Seine Stimme wurde so hoch dabei, er hätte als Hundepfeife dienen können. Das war einfach zu viel Input an diesem Morgen. Er vergrub sein Gesicht einen Moment in den Handflächen. Dann sprach er: „Okay, ich muss das jetzt fragen, aber macht ihr das um Ray und mir eins auszuwischen, weil wir euch ständig als altes Ehepaar bezeichnet haben?“ „Natürlich nicht!“ „Und was war das dann? Ein Ausrutscher? Habt ihr zu viel getrunken auf der Hochzeit oder euch hinter der Halle eine Wundertüte gedreht? Sind wir bei der versteckten Kamera oder sogar in der Matrix? Muss ich mich gleich zwischen einer blauen und einer roten Pille entscheiden? Wurdet ihr durch Aliens ausgetauscht? Kommen Mulder und Scully gleich hereingestürmt? Oder halt warte…“, Max tat eine bedeutsame Pause. Schaute sich im Raum um, als fühlte er sich beobachtet. „Ist das hier nur die Ausgeburt einer ätzenden Fanfiktion? Existieren wir eigentlich gar nicht, sondern halten nur für die obskuren Fantasien einer drittklassigen Autorin her?“ Tyson starrte ihn an. Dann meinte er: „Sagtest du nicht du hättest eine Frage?“ „Alter, komm mir jetzt nicht so!“ Max sprang auf. Es hielt ihn einfach nicht mehr auf dem Bett. Auf so etwas war er nicht vorbereitet gewesen. In seinen Augen gab es niemals ein Anzeichen, dass sich so etwas hinter seinem Rücken abspielte und ausgerechnet bei ihrer Reise nach China passierte das. Auf einmal hatte er das Gefühl, seine Kindheitsfreunde gar nicht mehr richtig zu kennen. Tysons Blick folgte ihm, während er hin und herlief. Es sah aus als würde er ein Tennisspiel beobachten. Irgendwann hielt Max aber vor ihm inne. „Okay, jetzt eins nach dem anderen! Wie viel habt ihr gestern getrunken?“ „Schon etwas…“ „Das heißt ihr ward doch betrunken?“, fragte Max hoffnungsvoll. „Getrunken haben wir. Nur betrunken waren wir nicht.“ „Dann ist das gestern mit voller Absicht passiert?! Oder halt! Hat dir Kai vielleicht nur - mit Absicht - so einen Todeskuss verpasst, wie bei einem dieser italienischen Mafiafilme?“ „Warum sollte er mir einen Todeskuss verpassen?“ „Naja, du kannst schon manchmal nerven…“ „Hey!“, empörte Tyson sich lauthals. „Kai hat mich geküsst weil er es wollte, du Arsch!“ „Er könnte dich ja auch töten wollen? Das eine schließt das andere nicht aus…“ „Er will mich nicht töten!“, wurde Max vom Bett aus angeblafft. Offenbar nahm Tyson das nun doch persönlicher. Es ließ ihn beschwichtigend die Hände heben. „Okay, schon gut! Ich klammere nur die Möglichkeiten aus.“, Max fuhr sich müde über das Gesicht. Er brauchte eine Dusche, eine Zahnbürste, einen Kaffee, ein Fünfminuten Ei und einen Notausgang, aus dem er kreischend wie ein Mädchen dieser Situation entfliehen konnte. Stattdessen fragte er: „Ist das zum ersten Mal passiert?“ „Nicht wirklich…“, kratzte Tyson sich unterm Kinn. „Seid ihr etwa zusammen?!“, fragte Max panisch. „Nein, nicht ganz…“ „Oh mein Gott! Ihr seid bereits verheiratet!“ „Nein, Mann!“, rief Tyson entnervt aus. Nun hielt es ihn auch nicht mehr auf dem Bett. Er hob beschwichtigend die Hände, kam vorsichtig auf ihn zu. „Geh doch nicht gleich vom Schlimmsten aus und beruhige dich erst einmal. Glaubst du wirklich ich würde dir verheimlichen wenn ich verheiratet wäre?“ „Na, was hier abgeht habt ihr uns offenbar auch verheimlicht!“ „Das war ja wohl auch besser so! Du führst dich auf, als hättest du erfahren, dass ich ein koreanischer Doppelagent bin, der einen Todesstern für Kim Jong baut!“ Das klang nicht gerade erfreut. Genaugenommen sogar ziemlich sauer. Und wenn Max so darüber nachdachte, war da etwas Wahres dran. Er verhielt sich nicht wirklich verständnisvoll, was ihm augenblicklich Leid tat. Aber verdammt, warum musste ausgerechnet ihm das passieren… „Okay, der Punkt geht an dich.“, er tat einen tiefen Atemzug um sich zu entspannen. Auch wenn es nicht wirklich half. „Was hast du aber erwartet? Ich komme zu Rays Hochzeit nach China und kehre mit einem schwulen Pärchen zurück! Damit habe ich echt nicht gerechnet!“ „Es war ja auch nicht geplant dass du es so erfährst! Oder überhaupt irgendwann. Es konnte ja niemand damit rechnen, dass du blöder Säufer mitten in der Nacht das Bedürfnis verspürst, deine Hose bei mir reinzuwerfen!“, schnauzte Tyson ihn an. „Und genaugenommen sind Kai und ich kein richtiges Paar. Das zwischen uns ist viel komplizierter...“ „Das sehe ich! Ihr streitet euch permanent und schlaft hinterher miteinander?! Ist das irgend so ein komisches Vorspiel zwischen euch?“ „Also um ehrlich zu sein, macht es den Sex tatsächlich etwas…“ „Lalalala! Ich will es nicht wissen!“, Max hielt sich die Ohren zu und gab einen laut von sich, wie ein Indianer bei einem Regentanz. Vor ihm fuhr Tysons Hand an seine Stirn und er seufzte. Als Max endlich den albernen Gesang beendet hatte, fragte er: „Fertig?“ „Wenn du nicht weitererzählst?“ „Bestimmt nicht. Es sei denn ich will das die Regengöttin die Pflanzen hier drinnen gießt.“, Tyson trat auf der Stelle, schaute genervt auf seine Füße, offenbar auf der Suche nach den rechten Worten: „Ich weiß ja selbst wie komisch das auf dich wirken muss.“ „Ich fasse es einfach nicht. Du und Kai! Ausgerechnet ihr beiden!“ „Falls es dich tröstet, an manchen Tagen kann er auch nicht fassen, dass er freiwillig mit mir schläft. Erst gestern hat er das wieder gesagt. Und danach hatten wir Sex.“ Großer Gott, sein Kopf wollte jetzt wirklich nicht ins Detail gehen… „Warum dann immer dieses Gezeter zwischen euch?“ „Ach komm schon! Als hättest du noch nie eine Beziehungen geführt, wo ab und zu die Fetzen fliegen!“ An dieser Stelle erlebte Max einige kleine Rückblenden aus seiner Vergangenheit. Es hätte nur noch der zarte Klang einer Harfe gefehlt, um diesen Moment zu unterstreichen. Da war einmal diese blonde Austauschstudentin namens Nancy gewesen. Im Bett war sie ebenso der Knaller, wie beim Werfen mit Blumenvasen. Dann diese Miko oder Kiko - oder wie immer sie hieß – die jedes Mal wenn sie getrunken hatte, ihr Oberteil hochzog und ihre Brüste dem gemeinen Volk präsentierte. Als Max sie kennenlernte, hatte er noch kein Problem mit ihrer Offenherzigkeit, sondern viel mehr Interesse an den Präsentationsobjekten. Doch sobald etwas Festes daraus wurde, ging ihm diese Marotte ein wenig gegen den Strich, vor allem an Weihnachten, als sie bei seinen Eltern zu Besuch waren. Er hatte wohl den Eierpunsch seiner Großmutter unterschätzt… Wenn Max sich seine bisherige Frauenwahl ansah, wäre seine Mutter wohl auch glücklicher, wenn er Kai nachhause brachte. Obwohl sein Vater das Busenwunder mochte. „Na gut. Vielleicht hatte ich die eine oder andere Niete gezogen.“, gestand Max sich allmählich ein. „Aber ihr beiden hattet euch schon immer in den Haaren! Ich kenne euch gar nicht anders. Nicht einmal nachts, wenn ihr pennt hört das auf.“ „Was soll denn das jetzt bedeuten?“ „Ist uns nur einmal während unserer Europatour aufgefallen. Wenn wir zusammen in einem Raum geschlafen haben, hast du immer vor dir her geredet. Manchmal fiel dann Kais Name. Klang als ob du dich mit ihm um das letzte Kalbsfilet streitest.“ „Ernsthaft?“ „Ja. Komischerweise hat Kai dann auch im Schlaf geantwortet. Meistens hat er dir dann gesagt du sollst die Klappe halten. Das war irgendwie seltsam…“ „Ha! Das macht er heute immer noch. Ich dachte er träumt dann von seinem Großvater.“, fiel Tyson ein. Doch dann kam er schnell wieder auf das Thema zurück. „Naja, jedenfalls ist das mit ihm und mir etwas verfahren. Wir streiten uns, wir versöhnen uns, Streit, Versöhnung, Streit, und so weiter. In einer Woche bemerken wir, dass der andere uns fehlt, in der nächsten verteufeln wir uns gegenseitig, weil einer von uns vergessen hat Toastbrot fürs Frühstück zu kaufen.“ Tyson tippte sich nachdenklich ans Kinn, dann erklärte er: „Mit Kai ist es in etwa so, als ob ich alle paar Wochen eine Diät anfange, bis mir wieder einfällt, wie gerne ich doch eigentlich Rumpfsteak esse.“ Max blinzelte ihn an. Eine lange Pause entstand. „Ernsthaft? Selbst jetzt denkst du noch an Fleisch?“ „Ich hab Hunger…“ „Ich auch! Aber konzertieren wir uns doch bitte auf die Tatsache, dass ich gestern Zeuge davon geworden bin, wie ihr beiden miteinander herumgemacht habt!“ „Das wird schwer, weil ich jetzt nur noch an Steaks denken kann.“ „Konzentrier dich, verdammt!“, fuhr Max ihn an. Tyson verzog das Gesicht. Offenbar war der Wunsch etwas zwischen die Kiemen zu bekommen größer, als ein klärendes Gespräch zwischen ihnen. Eigentlich sollte Max keine Partei ergreifen, aber Kai war doch ein recht hübsches Kerlchen. Weshalb also ausgerechnet Tyson sein Herz im Sturm erobern konnte, war ihm schleierhaft. Vielleicht war Kai derjenige der hier Drogen nahm… „Also diese komische On-Off Beziehung die ihr führt, wie lange geht die schon?“ „Kommt darauf an ab welchem Zeitpunkt man anfängt zu rechnen. Kai hat schon so oft mit mir Schluss gemacht, ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft wir zusammen waren. “ So langsam spielte Max mit dem Gedanken, Tyson in der Toilette zu ertränken. Diese ausweichenden Antworten gingen ihm gehörig auf die Nerven. „Okay, dann formuliere ich die Frage eben so, dass du sie verstehst…“, knirschte er mit den Zähnen. Sein linkes Auge begann bereits zu zucken. So musste Kai sich fühlen, wenn Tyson ihn wieder in den Wahnsinn trieb. Und doch schlief der Junge mit ihm. Er musste Masochist sein. Dennoch fragte Max: „Wann hattest du zum ersten Mal Lust auf dein Kai Steak?“ Tyson blinzelte ihn an. „Also mit Steak ist in dieser Metapher mein erstes Mal mit ihm gemeint?“ „Jah...“, Maxs Zahnbelag tat schon weh, so fest presste er den Kiefer aufeinander. „Das ist richtig clever. Hut ab! Wollen wir essen gehen?“ „Gib mir eine Antwort…“ „Also um ehrlich zu sein, ist das eine ziemlich intime Frage. Ich bin etwas unsicher, ob das nicht eine Verletzung meiner Privatsphäre darstellt.“, tat Tyson pikiert. Max holte mit der Faust aus und boxte seinem Gegenüber auf die Schulter. Es ließ Tyson aufschreien. Er rieb sich grummelnd über die Stelle und schaute ihn vorwurfsvoll an. „War das jetzt wirklich nötig?“ „Ich habe einen verdammt miesen Start in den Tag und du bist schuld daran! Also ja!“ „Ohne Kaffee bist du launischer als Kai. Hat dir das schon mal jemand gesagt?“ „Weich nicht aus! Seit wann läuft da etwas zwischen euch?!“ Nun knickte er endlich ein. „Eventuell seit deiner Silvesterparty…“ „Welche Party?! Ich habe einige geschmissen!“ „Die Erste.“, Tyson tat einen Schritt zurück. Und das zurecht… Denn nachdem Max zurückrechnete, ihm der Kiefer dabei langsam weiter hinunterklappte, seine Augen immer größer wurden, wollte er noch einmal ausholen. Stattdessen raufte er sich die Haare. „Das war vor acht Jahren!“ „Wirklich? Na sowas, die Zeit verfliegt…“ „Du verarscht mich doch! Wie konntet ihr das so lange verheimlichen?!“ „So schwer war das nicht. Wenn wir euch von der Backe haben wollten, hat Kai behauptet er müsse zu einem Geschäftstermin und ich, dass ich ein Date in einem veganen Restaurant habe. Eins, zwei, drei… Schon hat man den Abend für sich allein. Tadaa!“ Tyson klatschte fröhlich in die Hände und breitete die Arme aus, wie ein Kabarettist nach seinem Auftritt. Das dieser Spinner immer noch Witze reißen konnte... „Also dein Date war dann Kai?“ „Jepp.“ „Du hast uns jedes Mal belogen!“ „Streng genommen nicht. Immerhin hatte ich wirklich ein Date. Euer Fehler war, dass ihr zu gutgläubig ward und mir ständig meine Weibergeschichten abgekauft habt.“ „Deshalb hast du uns nie eine von deinen Frauen vorgestellt!“ „Als ob du das gewollt hättest. Dich hat es förmlich vor Ekel geschüttelt, wenn ich dir erzählt habe, was es beim Veganer zu Essen gab. Zum Glück stellen die ihre Speisekarte ins Internet, sonst wäre mir auf diese Frage nie etwas eingefallen.“ „Klar. Such die Schuld bei uns…“, Max rieb sich über die Nasenwurzel. Eigentlich hielt er sich aber wirklich für seltendämlich. Tyson und vegan? Das konnte doch nur eine Finte sein! Aber sie hatten einfach geglaubt, er denke mehr mit dem Penis, als mit seinem Steakhirn. „Ich weiß echt nicht wie ich mich jetzt verhalten soll. Was hat denn Kai dazu gesagt, dass ich es jetzt auch weiß?“ „Ehrlich gesagt weiß er noch gar nichts von seinem Glück…“ „Hat er keine Fragen gestellt wegen der Hose im Flur?“ „Er dachte es wäre meine und hat mich wegen meiner Unordnung wieder angepflaumt. Also wenn du glaubst, man kann keine Zicke im Haus haben, nur weil man auf Männer steht, hast du dich geschnitten.“ „Moment… Dann weiß er also gar nicht das du jetzt hier bist?“ „Nein. Ich habe doch gesagt dass er duschen geht und noch eine Skype Konferenz führen muss. Außerdem hielt ich es für besser, ihn erst einmal außen vor zu lassen. Ich wollte dich aushorchen, um zu schauen wie viel du weißt. Du warst schon etwas angeheitert als wir gegangen sind. Da hatte ich gehofft du wärst wieder in einem deiner Säuferdeliriums gelandet.“ „Ja, danke übrigens dafür. Ein guter Freund hätte mich in diesem Zustand ins Hotel zurück gebracht!“ „Ein guter Freund hätte nicht damit gedroht, mir einen Teller über den Kopf zu ziehen, wenn ich ihm die Tour bei der Wespenbraut vermassle!“, konterte Tyson prompt. „Hast du dich schon einmal erlebt, wenn du betrunken bist? Die Polizei sollte dich für Plakate gegen Alkoholmissbrauch buchen!“ „Hey, warum reden wir jetzt eigentlich von mir? Erklär du mir lieber, wie es jetzt weitergehen soll! Holst du Kai auch gleich herein und wir reden zu Dritt noch einmal darüber, wie bei so einer komischen Therapiesitzung?“ „Auf gar keinen Fall!“, Tyson schüttelte warnend den Kopf. „Das willst du nicht erleben!“ „Warum?“ „Naja, weißt du, das ist das eigentliche Probleme an der ganzen Sache. Wenn es nach mir ginge, hätte ich schon längst etwas zu euch gesagt. Kai will es aber nicht! Nicht bevor sein Großvater ins Gras beißt. Ich habe ihm zwar versichert, dass wir diesen Vorgang mit unserem Outing beschleunigen würden, aber…“, Tyson wiegte den Kopf hin und her. „… irgendwie mag er diese Idee nicht. Der Junge bleibt eben beratungsresistent. Manchmal weiß ich nicht, was ich mit diesem sturen Bock noch anstellen soll.“ „Klar. Kai ist das Problem.“, kam es trocken von Max. „Wie ist dass denn gemeint?“ „Das willst du gar nicht wissen.“ „Also an mir kann es ja wohl nicht liegen! Ich bin der Traum von einem Schwiegersohn.“, rief Tyson völlig von sich selbst überzeugt aus und stemmte die Arme in die Hüften „Wenn du jemandem die Schuld für diese Geheimniskrämerei geben willst, dann ja wohl bitte Kai! Ich hätte euch schon längst reinen Wein einschenken können, wenn ich Voltaires Blutdrucktabletten gegen Viagra austauschen dürfte.“ Also besaß sein bester Freund, zusätzlich zu den homosexuellen Tendenzen, auch noch eine soziopathische Ader. Max war sich unsicher, womit er weniger gerechnet hatte… „Aber wenn es nur an Voltaire liegt, warum habt ihr mir nie etwas gesagt?“ „Hast du vergessen wie schlecht du lügen kannst? Bei der ersten Person die Verdacht schöpft, würdest du doch einknicken, wie ein Politiker der seine Konten öffentlich darlegen soll!“ „Das ist nicht wahr!“, Max setzte einen empörten Schmollmund auf. „Muss ich dich wirklich an unseren ersten Kneipenbesuch erinnern?“ Die alte Kamelle wieder. Max rollte mit den Augen. Als Tyson und er sechszehn waren, hatten sie sich über einen Hintereingang einmal in eine Bar geschlichen. Ihr jugendliches Interesse trieb sie und es sollte nur bei einem Glas Sake bleiben. An diesem Abend bemerkte Max aber das erste Mal seine Vorliebe für Alkohol. Lange Rede, kurzer Sinn… Sie kamen sturzbetrunken zu seinen Eltern zurück und als seine Mutter wutschnaubend wissen wollte, wo sie sich herumgetrieben hatten, fiel ihm in Anbetracht der aktuellen Werbung die im Fernsehen lief, nichts anderes außer Disneyland ein. Fünf Minuten später hatte man ihn ausgequetscht, wie eine Zitrone, während Tyson fragte, ob er kurz die Toilette benutzen dürfe, um aus dem Badezimmerfenster zu verschwinden. „Mit den Jahren bist du kein besserer Lügner geworden, Kumpel.“ „Ich hätte schon irgendwie meine Klappe gehalten.“ „Tja, dann hast du jetzt die Gelegenheit es zu beweisen.“, Tyson verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihn ungewöhnlich ernst an. „Wenn Kai herausfindet, dass du etwas weißt, sind wir geliefert. Und damit meine ich vor allem dich!“ „Ich?“, sich keinerlei Schuld bewusst deutete Max auf sich. „Na ich ja wohl nicht! Kai braucht mich lebend.“, Tyson grinste so verschmitzt, man sah ihm an, dass ihm der Gedanke gefiel. „Aber wir sind Freunde! Warum sollte ich geliefert sein?“ „Kai verfolgt so eine Devise. Keine Zeugen hinterlassen. Im Klartext heißt dass, das er den Russen heraushängen lässt, wenn du plapperst.“, erklärte Tyson fröhlich. „Du meinst wie früher, wenn Kenny in der Diskothek angepöbelt wurde und er Kai vorgeschickt hat, um die Angelegenheit für ihn zu klären?“ „Jepp. Nur wird es garantiert schlimmer für dich ausgehen. Er ist meine sexy Mordmaschine.“, grinste Tyson verschmitzt. Irgendwas stimmte an diesem Satz nicht. Max war sich auf einmal unsicher, ob es Tyson wirklich nur darum ging, ihn vor Kais Zorn zu schützen. Eher drängte sich ihm der Eindruck auf, als wäre sein Kumpel der eigentliche Strippenzieher. Der Mafiosi Boss der seinen Helfer vorausschickte. Augenblicklich ging ihm ein Filmzitat aus dem Paten durch den Kopf. „So lange meine Mama lebt, wird Fredo nichts zustoßen…“ War Max etwa Fredo?! Er stellte sich eine italienische Ausgabe von Tyson vor. Mit Anzug, Schnäuzer und Akzent, hinter einem Mahagoni Schreibtisch hockend, während er eine hässliche Perserkatze kraulte. „Ich bin nicht sicher, was ich davon halten soll…“, sprach Max langsam. „Keine Sorge. Momentan besteht noch keine Gefahr für dich. Heute Morgen konnte ich Kai weiß machen, dass die Hose im Flur mir gehört, aber du musst jetzt auch deinen Teil beitragen, damit er nichts bemerkt. Der Junge ist ein laufender Lügendetektor. Es ist eine Kunst ihn an der Nase herum zu führen. Und ich weiß wovon ich rede, immerhin habe ich eingehende Studien darüber verfasst.“ „Also soll ich mich blöd stellen?“ „Genau das! Du weißt von…“ Es klopfte an der Tür. In Maxs Innerem zog sich alles zusammen. Er sah sich bereits auf einem Stuhl gefesselt, während man seine Brustwarzen unter Strom setzte. Und auch Tysons Mimik gefror. Dessen Finger legte sich auf seinen Mund, um ihm zu bedeuten still zu bleiben. Beide schauten sich an, bis es noch einmal energischer klopfte und sich eine Stimme auf der anderen Seite meldete. „Max, bist du da?“ Manchmal gab es im Leben diese Momente, wo man in solche Panik verfiel, dass das Hirn sich komplett verabschiedete. Das war so ein Augenblick. Max war ein so grottenschlechter Lügner, dass er selbst auf diese einfache Frage, keine gescheite Antwort fand… „Nein. Ich bin nicht da!“, rief er hinaus. Prompt schaute Tyson ihn kopfschüttelnd an. Und selbstverständlich fand Kai sofort den Fehler in seiner Argumentation. „Fällt mir schwer das zu glauben, wenn du gerade mit mir redest.“ Wow, Kai kam ihm gerade wie ein Genie vor. Und man konnte sogar hören, wie er auf der anderen Seite der Tür die Augen verdrehte. „Dann bin ich erst wach geworden?“ „Ist das eine Frage oder eine Feststellung?“ „Ääähm…“, war alles was Max herausbrachte. Seine Stimme wurde wieder höher. Sein Hirn litt unter Überlastung. Außerdem bekam er Schweißausbrüche, wie ein Sünder in der Kirche. Tyson hob hektisch zwei Finger hoch, um ihm bei der Antwort zu helfen, doch er brauchte seine Zeit um den Hinweis zu verstehen. „Eine Feststellung!“, rief Max irgendwann hinaus. Sein Kopf kam ihm wie eine Geisterstadt vor. Er konnte nur daran denken, was Kai mit ihm anstellen würde. Wo waren nur seine verdammten Hirnzellen abgeblieben… „Okay, schön das das geklärt ist.“, kam es ziemlich gereizt. „Machst du irgendwann mal die Tür auf, oder warum lässt du mich hier draußen stehen, wie einen Staubsaugerverkäufer?“ „Ich weiß nicht, welchen Teil der Frage ich zuerst beantworten soll…“ „Verdammt Max, mach die blöde Tür auf!“ Tyson schüttelte warnend den Kopf und verschränkte die Arme als Kreuz vor seiner Brust. Sein Denken war zwar auf ein Minimum reduziert, doch selbst Max leuchtete ein, dass Kai besser nicht sehen sollte, wie sie hier heimlich Kriegsrat hielten. Dieser Bluthund wurde nur wieder den Braten wittern. Inzwischen vollführte Tyson vor ihm einen albernen Tanz, als ob er sich die Haare ausreißen würde, bis ihm klar wurde, was dieses Pantomimenspiel zu bedeuten hatte. „Ich bin nackt! Komme gerade aus der Dusche…“ Ein genervtes Schnalzen war zu hören. „Sag das doch gleich. Ich wollte dich nur daran erinnern, dass wir nachher noch zum Mittagessen mit Ray verabredet sind. Pack also gleich deinen Koffer. Wenn wir heute Abend fliegen, wirst du danach kaum Zeit haben. Also sieh zu das du das vor dem Frühstück erledigst. Ich will nicht dieselben Dramen erleben, wie bei unserer Hinreise.“ Offenbar hatte Kai gerade wirklich andere Sorgen. Das war sein Vorteil. Es ließ beide erleichtert ausatmen. Tyson hob sogar den Daumen, um Max zu zeigen, dass er mit seiner Leistung sehr zufrieden war. Jetzt hieß es nur noch ihn loszuwerden. Geradezu überschwänglich rief Max: „Okay, mache ich gleich! Danke für die Erinnerung!“ „Gut. Hast du eigentlich Tyson gesehen?“ „Nein. Nicht seid ihr gestern Nacht in seinem Zimmer ward.“ Es wurde still auf der anderen Seite. Totenstill. Irgendwas lief gerade falsch. Das spürte Max an seinen Nackenhaaren die sich aufrichten. Kais düstere Aura von der anderen Seite der Tür, strahlte wie ein radioaktiver Klumpen herüber. Max starrte mit aschfahlem Gesicht zu Tyson hinüber. Der blickte aber nur mit aufgezogener Braue auf seine Armbanduhr. „Ganze fünf Minuten durchgehalten. Immerhin…“ * Seine Daumen kreisten nervös umeinander, während die Hände auf den Knien verhakt lagen. Max wagte nicht seine Begleiter anzuschauen, stattdessen war sein Blick starr geradeaus gerichtet, auf die klimpernde Glückskette die am Rückspiegel tänzelte. Darunter auf der Autoarmatur klebte die Taxilizenz, samt dem Foto ihres darauf ziemlich verblüfft wirkenden Fahrers. Er machte ganz schön große Glubschaugen auf dem Bild, fast so, als habe er gar nicht damit gerechnet, dass vor ihm eine funktionierende Kamera stand. Der Straßenbelag in dieser Stadt war eine Katastrophe, denn alle paar Sekunden, machte das Taxi bei einem Schlagloch einen Hüpfer. Es rumste dann förmlich. Max und Tyson hob es dabei immer aus den Sitzen. Kai dagegen schien der Schwerkraft zu trotzen. Zu allem Übel klang der Motor als müsse er dringend mal zur Inspektion. Auf jedes Schlagloch folgte ein ungesundes Knattern. Rums, Knattern, Rums, Knattern… Immer wieder abwechselnd. Nicht gerade förderlich für die ohnehin angekratzte Stimmung im Wagen. Die Szene im Hotel war ziemlich unheimlich gewesen. Kai hatte sich Tysons Erklärung angehört und so tief seine Brauen ins Gesicht gezogen, dass Max ihn für ein medizinisches Wunder hielt. Er war nicht laut geworden. Und das war ein richtig böses Omen! Jeder von ihnen wusste, dass ein gehässiger Kai besser war, als ein stiller Kai. Sobald er leiser wurde und wieder diesen Serienkillerblick aufsetzte, lautete die Faustregel, sich auf den Boden fallen zu lassen und hinter dem nächsten Gegenstand in Deckung zu robben. Max hätte schwören können, sogar eine Erschütterung der Macht zu spüren. Als er Kai scherzhalber fragte, ob er vor der Standpauke einen Anwalt kontaktieren dürfe, meinte der nur, dass ein Anruf nur gestattet wäre, wenn er sich von seiner Mutter verabschieden wolle. Er ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Und er blinzelte ganze fünf Minuten nicht… „Also, wie verbleiben wir eigentlich?“, fragte Tyson neben ihm nun grimmig. Es war das erste Mal seit langem, das er wieder von sich aus das Wort ergriff, wenn auch ziemlich eingeschnappt. Kai hatte im Hotel nämlich prompt wieder mit ihm Schluss gemacht und sich sogar geweigert im Taxi neben ihn zu sitzen, da er seiner Meinung nach daran schuld trug, dass sie überhaupt aufgeflogen waren. „Nur weil ich Max meine Zimmerkarte gegeben habe?!“ „Genau deshalb.“ „Oh toll! Na wenigstens machst du dieses Mal nicht wegen fehlenden Toasts im Kühlschrank Schluss! Du fängst an deine Prioritäten zu ordnen!“ Im Gegensatz zu Kai zog Tyson gerne alles übermäßig ins lächerliche, wenn er sauer wurde. Und was sein Ex-Liebhaber an Lautstärke herunterdrehte, legte er nach. Eine böse Kombination. Max wusste gar nicht, wer von beiden lebensmüder war. Zumindest erlangte er die Erkenntnis, dass schwule Paare sich nicht anders stritten, als heterosexuelle. Zumindest konnten auch hier Kleinigkeiten zu einem Weltkrieg führen. Es wurde gefaucht, gestichelt, beschuldigt und irgendwann flogen die ersten Schimpfwörter durch den Raum. Es hätte nur noch gefehlt, dass einer von ihnen nach einer Vase griff. Und mittendrin in dem Chaos kniete Max und betete zu Gott, er möge ihn noch so lange leben lassen, damit er die letzte Game of Thrones Staffel sehen durfte. „Was soll das heißen - wie verbleiben wir?“, fragte Kai unterkühlt. „Tja, wir treffen uns immerhin gleich mit Ray und Mariah. Falls dir nicht klar ist, warum wir überhaupt in dieser Schrottkarre sitzen.“, kam es ebenso bissig von Tyson zurück. Beide schauten ziemlich bockig aus ihren Fenstern. Brrrrr, frostig… Als würde man zwischen zwei Schneemännern sitzen. Das war wohl die Phase eines Streites, wo sich das Pärchen allmählich beruhigte und die Gehirnzellen wieder in Betrieb nahm, aber auch zu stur war, um sich zu entschuldigen. Max hatte den Eindruck als fungiere er gerade als Sicherheitspolster zwischen ihnen. Warum hatte er sich eigentlich auf den Rücksitz gesetzt, wenn doch vor ihm die Beifahrerseite frei war… Geradezu sehnsüchtig spähte er auf den leeren Platz. Ein himmlischer kleiner Fleck auf Gottes Erde. Wenn er sich zwischen den Sitzen hindurchzwängte, könnten die beiden ihre Differenzen auf der Rückbank alleine klären und er wäre aus dem Schussfeld. Gut, der Wagen bog gerade auf eine Schnellstraße und bei einer plötzlichen Vollbremsung könnte es ihn durch die Windschutzscheibe katapultieren, doch momentan schien das ein akzeptables Risiko zu sein. Vor allem als er Kais gereizte Tonart hörte. „Wir werden doch wohl dieses Mittagessen hinter uns bringen können, ohne das Ray und Mariah etwas merken.“ „Nicht wenn du weiterhin so ein Gesicht ziehst…“ „Wie war das?“ „Nichts. Du weißt aber schon das Maxi kein besonders guter Lügner ist.“ „Jeder Mensch kann lügen. Zur Not soll er einfach die Klappe halten.“ „Hast du die Geschichte mit deinem Großvater vergessen?“ Max schnalzte genervt mit der Zunge. Na toll, noch mehr alte Kamellen… Eine ganze Weile hatte Kai eine ziemlich rebellische Phase was seinen Großvater betraf, deshalb schwänzte er ständig die Schule und kam sogar tagelang nicht nachhause. In dieser Zeit fand er entweder bei Tyson Obdach, bei Kenny oder bei ihm. Er hätte auch bei Ray leben können, doch die Aussicht nach China auszuwandern, nur um seinem Großvater eins auszuwischen, fand selbst Kai damals etwas überzogen. Jedenfalls stand eines Nachts das leibgewordene Böse vor Maxs Haustür und forderte ihn auf, ihm zu verraten, wo sein Enkel sich herumtrieb. Lange Rede, kurzer Sinn… Voltaire konnte ihn ebenso gut auspressen wie seine Mutter, auch wenn Max zu Anfang versuchte, sich eine Notlüge einfallen zu lassen, nämlich das Kai als Matrose auf einem vietnamesischem Fischkutter angeheuert hatte. Etwas an der Geschichte fand Voltaire allerdings unglaubwürdig. „Er wird es ja wohl schaffen die Klappe zu halten!“, stöhnte Kai genervt. „Nicht wenn Max trinkt.“ „Dann trinkt er eben heute nicht.“ „Max und nicht trinken?!“ „Ist ja gut! Ich habe es auch gerade bemerkt. Das glaubt ihm doch keiner…“ „Hey!“, entfuhr es ihm beleidigt. Er schaute vorwurfsvoll zu Kai. „Könnt ihr aufhören über meinen Kopf hinweg zu reden?! Ich sitze zwischen euch, verdammt! Und ich kann übrigens sehr wohl auf Alkohol verzichten, wenn es sein muss.“ „Davon hast du dir die letzten Jahre wenig anmerken lassen.“ „Bisher wollte ich ja auch nicht. Ich könnte aber wenn ich wollte…“ „Könntest du nicht! Du bist ein übler Kampftrinker. Keine Whiskyflasche ist vor deinem Mund sicher. Du verträgst sogar mehr Wodka als ich!“ „Und das sagt dir ein Halbrusse!“, betonte der Verräter zu Max anderer Seite. Auf einmal schienen sich beide wieder einig. Allerdings auf seine Kosten. „Er würde sich gut auf einem Plakat gegen Alkoholmissbrauch tun.“, überlegte Kai laut. „Ha! Das habe ich ihm im Hotel auch gesagt!“, rief Tyson aus. Max stellte dagegen fest, dass er es lieber hatte, wenn die beiden sich in den Haaren lagen. „Aber vor allem kommt nur Blödsinn aus seinem Mund wenn er trinkt. Oder schlimmer noch - die Wahrheit!“ „Gott, ja. Wie damals bei meinem Großvater. Als ob ich einen Fuß auf einen vietnamesischen Fischkutter setzen würde.“ „Oder als Max und ich zum ersten Mal betrunken waren. Judy hatte ihn nur schräg angeschaut, da platzte alles aus ihm heraus. Oder weißt du noch damals, die Sache mit der Polizeikontrolle?“ „Wie könnte ich die Geschichte vergessen…“ Max rollte zähneknirschend mit den Augen. Da landeten sie einmal nach einer durchzechten Nacht, in einer Polizeikontrolle und ihm wurde ständig vorgehalten, dass er der Beamtin zu ihrem üppigen Vorbau gratuliert hatte. Wer hätte denn schon ahnen können, dass die hysterische Zicke sich rächte, indem sie Kai ein unnötig hohes Bußgeld verpasste, nur weil auf seinen Autoreifen zu wenig Druck drauf war. „Ich kann sehr wohl die Klappe halten.“, maulte Max. „Sah im Hotel aber anders aus.“, stellte Kai schnippisch fest. „Das war eine Ausnahmesituation! Ich war nicht auf diesen Schock vorbereitet.“ „Du bist ein Weichei. Das ist alles…“ „Hey, sei nicht so fies! Ich dachte wir hätten die Zeiten hinter uns gelassen, wo du unsere Gefühle mit den Füßen trittst! Oder hast du unsere Intervention vor vier Jahren vergessen?“ Er hörte Kai neben sich verstimmt grummeln. Damals hatten sie ihn, unter Spiegelung falscher Tatsachen, zu Tyson in den Dojo eingeladen, wo sie ihn in großer Runde und mit sehr ernsten Gesichtern empfingen. Kai musste in einem Stuhlkreis vor ihnen platz nehmen und sich anhören, dass sie alle menschliche Wesen mit Gefühlen waren und es deshalb nicht nett war, wenn er Hilary nach der Geburt ihres ersten Kindes sagte, dass sie Elefantenfüße bekommen habe. Auch dann nicht wenn es der Wahrheit entsprach… „Als ich keine Freunde hatte, war mein Leben so viel einfacher.“, seufzte Kai vor sich her. „Jetzt hast du aber welche! Und es ist sehr verletzend, wenn du sagst, ich könne als Freund nicht die Klappe halten. Aber vor allem das ich ein Säufer bin!“ „Schon gut.“, dann fügte Kai leiser hinzu. „Weichei…“ „Ist es wirklich klug, jemandem zu beleidigen, der deine Geheimnisse für sich behalten soll?“, fragte Max eingeschnappt. „Ist es wirklich klug von dir, jemandem zu drohen, der dich mit nur einem Anruf verschwinden lassen kann?“, konterte Kai ebenso gewitzt. Da tauchte auch schon wieder dieses Bild vor Maxs Augen auf. Er sah sich selbst in einem Plastikeimer stehen, während zwei russische Schränke Zement auf seine Füße gossen. Zumindest wenn Kai gnädig gestimmt war. Vielleicht würde er doch noch auf eine Folter bestehen. Max war sich ziemlich sicher, dass es ihm nicht gefallen würde, sollte man seine Nippel unter Strom setzten. „Ach komm schon, du würdest einem Bro niemals etwas antun. Du liebst uns doch insgeheim abgöttisch. Vor allem mich! Ich meine, schau dir doch nur mal mein liebes Teddybär Gesicht an. Kann man mir da wirklich lange böse sein?“ Max gluckste vor sich her. Doch dann fiel ihm diese düstere Miene auf die Kai zog. Seine Brauen waren schon wieder auf Sinkflug. Dieses unheimliche Blitzen in seinen Augen gefiel ihm nicht. „Oder?“, hakte Max noch einmal nervöser nach. Kai antwortete aber nicht. Und es war ziemlich schwierig auf einem Rücksitz, wo bereits drei ausgewachsene Männer saßen, etwas Sicherheitsabstand zu gewinnen. Da Max sich nicht anders zu helfen wusste und ihm sein Arsch gerade auf Grundeis ging, griff er zu dem Strohhalm, der sonst immer in einer solchen Situation half. „Ty~son, Kai lässt den Russen schon wieder heraushängen!“, petzte er weinerlich. „Kai, lass den Russen nicht heraushängen.“, ermahnte der ihn routiniert. „Du weißt genau, dass Maxi der Arsch auf Grundeis geht, wenn du so schaust.“ Endlich sah der von ihm weg. Wenngleich ein verächtliches Augenrollen folgte. Manchmal konnte Kai eine richtig miese Bazille sein… „Du darfst uns das nicht übel nehmen, Kumpel.“, sprach Tyson inzwischen beschwichtigend zu seiner anderen Seite. „Wir wissen einfach aus Erfahrung, dass du nicht dicht halten kannst. Und Kais Bedenken kennst du ja wohl.“ „Wegen Voltaire?“ „Natürlich wegen meinem Großvater!“, sprach Kai genervt. „Er war schon nicht begeistert, dass ich mit euch Chaoten befreundet bin. Wenn er jetzt noch herausfindet, dass ich mit dem dort drüben schlafe, steckt er seinen Kopf doch in den nächsten Backofen!“ „Der dort drüben hat einen Namen.“, merkte Tyson an. „Und wenn der Eierkopf deines Großvaters unter Hitzeeinwirkung platzt, löst das endlich alle unsere Probleme. Also ist das nichts weshalb wir besonders enttäuscht sein müssen!“ „Ich werde mal so tun, als hätte ich das überhört…“ „Warum sträubst du dich eigentlich immer dagegen? Er ist ein Arsch! Keiner würde uns verurteilen, wenn wir ihn mal kurz eine Treppe hinunterschubsen.“ „Zum letzten Mal, Tyson! Wir bringen meinen Großvater nicht um!“ Es klang so als wäre diese Diskussion nicht zum ersten Mal geführt worden. Und nach einem entnervten Augenrollen, wandte sich Tyson ihm zu und erklärte: „Siehst du, Max? Das habe ich gemeint. Der Junge ist einfach nicht für gute Ratschläge offen.“, Kai öffnete empört seinen Mund zu Widerworten, wurde aber übergangen. „Jedenfalls ist Voltaire der Grund, warum wir immer die Füße vor euch still gehalten haben. Und auch bei Ray sind wir uns nicht so sicher, wie er auf unser Outing reagieren würde.“ Das verstand Max sogar. Da gab es nämlich einen kleinen Zwischenfall mit Ray, der auch ihn an dessen Aufgeschlossenheit was Homosexualität betraf, zweifeln ließ. Ihr frischvermählter Bräutigam wurde nämlich vor Jahren bei einem Abstecher nach Japan, mit ziemlich eindeutigen Avancen von einem älteren Mann in einer Bar bedrängt. Die Geschichte endete mit einem Veilchen für den Herrn, einer Anzeige wegen Körperverletzung gegen Ray und da es dem zu peinlich war, sich eingestehen zu müssen, dass er von einem Mann angebaggert wurde, nahm er die Vorstrafe lieber kleinlaut in kauf, ohne viel Drama darum zu machen. Außerdem schnitt Ray sich zwei Wochen später den Zopf ab, da sein ungebetener Verehrer, immer wieder bei der Verhandlung betont hatte, wie sehr er auf seine langen Haare abflog. Ray meinte damals, er könne sich nicht mehr kämmen, ohne dass ihm ein kalter Schauer über den Rücken jagte. „Okay, könnte problematisch werden…“, sah auch Max langsam ein. „Und genau deshalb hältst du die Klappe!“, bedrohte Kai ihn mit erhobenem Zeigefinger. „Ansonsten herrscht zwischen uns ein kalter Krieg, der dem letzten in den Arsch tritt! Verstanden, Blondi?“ Ihm fuhr nun auch ein eisiger Schauer über den Rücken, während seine Augen auf den Finger vor seiner Nase starrten. Max tat das so intensiv das er zu schielen begann. „Ty~son, Kai macht es schon wieder!“, petzte er prompt wieder weinerlich. „Kai, hör auf Maxi Angst zu machen.“, kam es monoton von der anderen Seite. „Ich lege nur die Grenzen fest. Bei Amerikanern sollte man immer schön eine klare Mauer ziehen, sonst mischen die sich nur überall ein.“ Es ließ Tyson höhnisch die Brauen heben. „Lass die kalte Krieg Metaphern. Oder soll ich Max erzählen wie handzahm du im Bett bist?“ Max betete insgeheim darum, Tyson möge das nicht tun. Und auch Kai schien der Gedanke nicht zu gefallen. Denn da sprudelten wie auf Kommando einige russische Sätze aus dessen Mund. Die Tonlage klang harsch, beleidigend und Max war sich ziemlich sicher, dass es wieder seine Gefühle verletzt hätte, hätte er etwas davon verstanden. Außerdem wurde bei der Intervention vor vier Jahren beschlossen, dass Kai nur noch auf Russisch fluchen durfte, wenn bei ihm die Sicherungen durchbrannten. Es konnte also nichts schmeichelhaftes sein, was er da von sich gab. „Message angekommen. Blondi hält die Klappe.“, schmollte Max. „Und bitte nicht so wie vorhin im Hot-…“ „Hör auf mit dem Hotel, Tyson! Da stand ich unter Druck!“, rief er aus. „Im Übrigen muss ich an dieser Stelle betonen, dass euer blöder Zickenkrieg vorhin, mich mein Frühstück gekostet hat. Und ich hatte noch immer keinen Kaffee!“ „Ach, weil wir schwul sind, sind wir gleich Zicken?“, fragte Kai. „Also du hast schon etwas von einer Zi-…“ „Klappe Tyson!“ Auf dem Rücksitz wurde nun wieder so lebhaft debattiert, dass ihr Fahrer in den Rückspiegel schielte. Jetzt hatte er schon mehr Ähnlichkeit mit seinem Foto. Zwei große Kuhaugen blinzelten zu ihnen nach hinten. Glücklicherweise war ihr ausländisches Kauderwelsch unverständlich. „Du hast mit mir Schluss gemacht, nur weil Max meine Zimmerkarte hatte!“, griff Tyson das Thema wieder auf. „Ich bin von dir ja wegen einem Haufen Mist abserviert worden, aber das schlägt dem Fass echt den Boden aus!“ „Das gehört jetzt nicht hier her…“ „Ich habe Max letzte Woche mein Deo nach dem Sport geliehen. Ist das auch ein Trennungsgrund? Hast du eigentlich eine Liste für solche Fälle? Vorzugsweise als PDF Datei?“ „Sehr komisch.“ „Wo wir es von Sport haben… Ich würde mich besser fühlen, wenn wir in Zukunft keine Gemeinschaftsduschen mehr verwenden.“, fiel Max an diesem Punkt entsetzt ein. Dieser Satz schlug wie eine Bombe ein, denn gleich danach schallten Tysons fassungslose Ausrufe durch den Wagen, während Kai sich gequält über die Nasenwurzeln massierte und murmelte, dass sich seine Migräne ankündigte. Es sah aber eher aus, als stünde sein schon lange befürchteter Hirnschlag vor der Tür. Ihr Fahrer schien sich mittlerweile mehr auf die Rückbank zu konzentrieren, als auf den Verkehr vor ihnen, denn er nahm einem anderen Auto die Vorfahrt, das daraufhin hupend hinter ihnen vorbeisauste. „Okay, das ist jetzt echt beleidigend!“, stellte Tyson klar. „Wieso?“ „Ich bin nur schwul! Das macht mich nicht zum notgeilen Vergewaltiger. Ich springe nicht auf jeden x-beliebigen Hintern an und schon gar nicht auf deinen!“ „Da kenne ich einige Gefängnisfilme mit einer anderen Botschaft…“ Tyson fuhr sich stöhnend über das Gesicht, während Kai sehnsüchtig aus dem Fenster schaute. Er schien sich an einen besseren Ort zu wünschen. Oder an eine Klippe von der aus er in die Tiefe springen konnte. Da stellte Tyson klar: „Okay, Kumpel. Ich versichere dir hoch und heilig, dass ich keinen Wunsch verspüre, deinen Hintern anzufassen. Selbst wenn du dich unter der Dusche nach der Seife bückst. Das verspreche ich dir!“ „Ah okay! Dann geht das mit dem Fitnessstudio noch in Ordnung. Nicht das ich Homophob wäre, aber ich will unsere platonische Beziehung nicht unnötig auf die Probe stellen.“, kam es erleichtert von Max. Doch dann kam ihm ein anderer Gedanke. „Hey, soll das heißen mein Arsch ist es nicht wert angefasst zu werden?!“ Es wurde still im Wagen. Tyson blinzelte ihn verdutzt an. Offenbar weil er nicht damit gerechnet hatte. „Das… Das habe ich doch gar nicht behauptet.“, stotterte er perplex. Ein Seufzen kam von Kai. Es wurde aber ignoriert. Inzwischen hielt ihr Fahrer vor einer Ampel. Geradeaus ging es weiter auf eine Brücke, die sich über einen Fluss erstreckte. Doch Max ließ nicht locker. „Klar hast du das behauptet! Immerhin sagst du doch selbst, dass du keinerlei Wunsch verspürst meinen Hintern anzufassen.“, äffte Max seine Wortwahl nach. „Kai, verstehst du was hier gerade abgeht?“ Von dem kam aber nur ein weiteres Seufzen. „Ich weiß es! Du willst damit sagen dass ich zu unattraktiv bin, als das ein Kerl auf mich abfliegen würde. Erst Recht nicht der tolle Tyson Kinomiya!“ „Nein, ich meine damit nur, dass ich dich niemals im Gefängnis vergewaltigen würde!“ „Weil ich hässlich bin?“ „Weil wir Freunde sind!“ „Verstehe. Der hässliche Kumpel auf den du niemals abfahren würdest.“ „Du bist nicht hässlich! Aber Kai ist einfach mehr mein Typ ist. Das heißt doch nicht das du deshalb unattraktiv bist.“ „Schon klar. Mach doch was du willst mit deinem russischen Loverboy. Er kann auch immer schön deine Limonade kalt halten, dieser unsensible Eisklotz.“ Kai ließ dieser Seitenhieb ungerührt. Viel lieber kramte er nach seinem Geldbeutel und überprüfte dessen Inhalt, während ihr Fahrer bei Grün losfuhr, um auf die Brücke zu zusteuern. „Max, was passiert hier gerade?“ „Nichts. Alles cool. Ich bin nur ein Monster.“, zuckte der gleichgültig mit den Schultern. „Machst du mich gerade echt deshalb dumm an?“ „Du hast angefangen. Du findest mich hässlich.“ „Das sagt doch keiner!“ „Doch. Du!“ „Okay, okay…“, versuchte Tyson die Wogen zu glätten. „Wie wäre das? Wenn Kai eines Tages von einem Lastwagen überfahren wird, bist du der Nächste an den ich mich heranschmeiße.“ „Also nur wenn er überfahren wird? Vorher bin ich dir also nicht gut genug…“ „Ich baggere dich nachher im Restaurant an! Zufrieden?!“ „Irre! Ich bin so heiß das sogar ein Mann auf mich steht!“, Max strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Er hatte eben auch seinen Stolz und jeder Kerl wollte doch angeschmachtet werden. Das war absolut natürlich. Da dachte er aber noch einmal gründlich nach. „Obwohl. Jetzt habe ich wieder Angst mit dir ins Fitnessstudio zu gehen…“ Tyson ließ einen Schrei fahren und raufte sich verzweifelt die Haare, dass selbst die Insassen im Nebenauto es hören konnten. Ihr Fahrer machte vor Schreck eine Vollbremsung, was ein Hubkonzert mitten auf einer vielbefahrenen Kreuzung verursachte, samt dem dazugehörigen Stau. „Du machst mich wahnsinnig, Max!“, brüllte Tyson ihn an. Dabei waren die Rollen eigentlich sonst vertauscht. Da beugte Kai sich vor und bot dem geschockten Fahrer den Inhalt seiner Geldbörse an, mit der höflichen Bitte, das Taxi den Abhang hinab in den Fluss zu lenken, bevor er eigenhändig alle Insassen im Auto erwürgte. „Sie können sich ja mit einer Hechtrollte aus dem Wagen retten. Lassen sie es aber bitte wie einen Unfall aussehen.“ ENDE Kapitel 2 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)