Dye von Maeyria ================================================================================ Kapitel 4: Die Ruhe vor dem Sturm --------------------------------- Die Pause geht herum und die letzten zwei Unterrichtsstunden stehen an. Noch immer kann ich mich nicht konzentrieren, jetzt zusätzlich darüber irritiert, warum Ishida davon weiß, dass ich hatte Schemen erkennen können. Auch wenn er momentan davon auszugehen scheint, dass ich sie komplett sehen kann. Und vor allem, warum interessiert es ihn? Im Manga hatte er Ichigo angesprochen, weil er Shinigami als seine Nemesis wahrgenommen hat, oder so in der Art. Aber Tatsuki oder Orihime oder Chad hat er nie angesprochen, zumindest nicht on Screen. Vor allem kann ich mir vorstellen, dass alle drei eher schlecht als recht ausgewichen wären. Aber was bringt ihm das Wissen? Er war auf sein Image fixiert genug, um nie aus dem Unterricht zu rennen, wenn Hollows auftauchen und auch sonst eher im Hintergrund. So sehr, dass Ichigo nicht mal seine Existenz im Klassenzimmer gekannt hatte. Ich wurde aus ihm nicht schlau. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie bekomme ich auch den zweiten Schultag rum. Tatsuki hat wieder Clubaktivitäten, Orihime war bereits gegangen. Sie hat wohl noch etwas zu erledigen, meinte sie eben. Ichigo und Rukia sind kurz nach dem Unterricht auch bereits gegangen gewesen. Ob das die magische Kraft des Wochenendes ist? Ich packe meine Sachen auch zusammen und mache mich ebenfalls Richtung Heim. Tendenziell gehöre ich zur Fraktion "Unterricht absitzen und dann so schnell es geht nach Hause und lasst mir alle meine Ruhe". Ich wüsste nicht, warum das sich hier so groß verändern sollte. Ich verlasse das Schulgelände und trabe eher apathisch nach Hause. Ich brauche einen mp3 Player. Die gab es sicher 2002 schon…? Hoffentlich, aber ohne Musik war irgendwie doof, vor allem, für jemand, der Musik an zweiter Stelle nach Zeichnen benennt unter den drei Sachen, ohne die sie „nicht leben“ könnte. Ich kann ja mal die CDs im Zimmer eins nach dem anderen durchhören, denn die Interpreten sagten mir allesamt nichts. Außerdem, heute könnte ich ruhig mal zum Fitnessclub gehen. Gott sei Dank war eine Minikarte auf dem Flyer gewesen, was für ein glücklicher Zufall. Während ich meines Weges wandere, werde ich wieder aufgehalten. "Arisawa Maria, wir wurden heute Mittag unterbrochen" Ich drehe mich um. "Richtig. Was war es nochmal?", frage ich, bemüht, nicht genervt zu klingen, was auch gelingt. "Um die Gasexplosion von gestern. Ich glaube, dass du etwas verheimlichst", setzt Ishida von Neuem an. "Ich wüsste nicht, was es da zu verbergen gäbe", antworte ich gespielt perplex. "Vor allem, ich erlaube mir auch mal zwei Fragen: Was hätte ich denn gesehen haben sollen? Da ich offensichtlich blind genug war, um es nicht gesehen zu haben. Und was hat das mit dir dann noch zu tun, dass du mich mehrfach deswegen aufsuchst...?", frage ich zurück. Schweigen. "Es hat sich erledigt" Ishida dreht sich um und geht seines Weges und ich schaue mit gerunzelten Augenbrauen hinterher. Dieses ganze Theater um dann so aufzugeben? Schultern zuckend komme ich nach Hause. "Bin wieder da!", rufe ich wie immer, bevor ich zu meiner Mutter zur Küche gehe, um nochmal richtig zu Grüßen. Anschließend in meinem Zimmer angekommen, schaue ich auf den Kursplan: Ich hatte gestern wohl zwei Kurse verpasst, zu denen ich wahrscheinlich gegangen wäre, heute ist nur Tanzaerobic um 19 Uhr. Ich schätze anhand des Wegs von zu Hause zur Schule etwa den Laufweg ab und beschließe, um 18:30 loszugehen. Tasche ans Bett, umziehen. "Ich gehe heute zum Sport", kündige ich Mutter unten an, damit sie planen kann. "Alles klar, Essen wieder gegen Neun dann?" "Ja, vielen Dank", antworte ich dankbar und hechte wieder rauf in mein Zimmer. Und jetzt Hausaufgaben. Die alte Leier. Ich habe sie nicht vermisst. Heute brauche ich deutlich länger als gestern. Warum nur. Muss wohl daran liegen, dass ich heute nur körperlich in der Schule anwesend war. Ich werde gerade rechtzeitig fertig, um Tasche zu packen und loszugehen. "Ich gehe zum Sport!", rufe ich, als ich das Haus verlasse. "Viel Spaß!", kommt es von Mutter zurück. Den Weg habe ich mir gemerkt, wenn auch sicherheitshalber ein Zettel mit dem abgezeichneten Weg in meiner Hosentasche steckt. Ich schaue in den Himmel. Es ist immer noch hell. Es wird Sommer. Als ich etwa 20 Minuten unterwegs bin, höre ich leises Heulen. Ein ekliges, kratzendes, hohles Geräusch. Das musste ein Hollow sein. Wolfsgeheule klang nicht so markerschütternd. Ich runzle die Augenbrauen, kann aber nichts Verdächtiges in der Nähe erkennen und es ist ja auch recht leise, musste also weiter weg sein. Sicherlich waren Ichigo und Rukia auch schon auf dem Sprung. Außerdem, was könnte ich schon groß ausrichten, mit dem Wissen, wo sich der Hollow befindet, außer versuchen, es zu meiden. Ich laufe einfach meines Weges. Es schockiert mich eher, wie schnell es geht. Jetzt höre ich sie schon heulen. Hoffentlich kann ich Nachts noch schlafen bei dem Lärm. Ein paar Schritte später saust etwas über meinem Kopf hinweg und kommt einige Meter vor mir auf dem Boden auf. Jap. Es geht definitiv schneller: Ich sehe ein milchig transparentes Wesen aufkommen. War vorher alles irgendwie Schemenhaft und nur ein Flimmern gewesen, sodass ich Dinge nur hatte erahnen können, dann kann man jetzt behaupten, ich kann es sehen. Es ist noch so durchsichtig, dass ich es leicht übersehen könnte, aber ich kann definitiv die Gestalt klar ausmachen. In der Tat ein Hollow. Das Loch in … der Brust? ... und das weiße schalen-/knochenartige Gebilde stimmen mit der Bezeichnung aus dem Manga überein. Ist also doch nicht so weit weg gewesen wie gedacht. Vor mir … steht? … eine Art Zwitter zwischen Tintenfisch und Mensch. Es hat definitiv ein Torso, der aussieht, als hätte man drei menschliche Oberkörper am Rücken zusammengeklebt, ein bzw. drei Löcher zieren die … Brust? Brüste...? Moment, das klingt falsch, sorry. Aus der Hüfte wachsen mehrere Tentakel, die sich auf dem Boden verteilen, die trotz ihrer Flexibilität wohl kräftig genug scheinen, um den Körper aufrecht zu halten. Auf dem Torso sitzt ein dreieckig, rautenförmig anmutendes Objekt, das eher entfernt mit einem Kopf vergleichbar ist. Wie kann das Ding überhaupt heulen? Ich sehe nichts, was ich als Mund hätte identifizieren können. Und wieso stelle ich mir immer solche Fragen in Situationen, wo andere Fragen doch wichtiger sind? Wenn man vor so einem Ding steht, das knapp doppelt so groß ist wie man selbst… nun ja, ist furchteinflößend. Mein Herz klopft wie wild aber es gelingt mir, die Ruhe zu bewahren. Ich bin zwar aufgeregt, aber wenigstens bei klarem Verstand. Langsam ein und ausatmen, hyperventilieren hilft nichts. Ein bisschen fasziniert und auch neugierig, starre ich kurz diese unnatürliche Kreatur an, bis mir einfällt, dass das gefährlich ist und ich besser schnellstmöglich den Standort wechsle. "Ichigo, es ist nach links!", höre ich die mir bekannte Stimme von Rukia rechts von mir. Mit schnellen Schritten und einem gezielten Blick nach vorne, um so zu tun als hätte ich es nicht gesehen, zwinge ich mich an diesem Monstrum vorbei um die nächste Ecke. Hoffentlich hat es nicht gemerkt, dass ich es kurz angestarrt hatte oder war nicht weit entwickelt und damit nicht intelligent genug. Zumindest steht es immer noch da, wackelt mit seinen Tentakeln und tut einfach…nichts. Wenn mich Ichigo und Rukia hier jetzt sehen, dann werden sie mir sicher nicht mehr glauben, dass es Zufall ist, auch wenn es Zufall ist. Vor allem nicht zwei Tage hintereinander. Und außerdem hatte ich einen Kurs, zu dem ich will. Ein gellendes Schreiheulen hinter mir bedeutet wohl das erfolgreiche Beseitigen des Hollows. Am liebsten hätte ich zurückgeschaut, aber wissend, dass das möglicherweise unklug ist, starre ich stur geradeaus. Ich stakse, immer noch mit wild klopfenden Herzen, zum Fitnessclub. Die Stunde Sport hatte ich jetzt definitiv nötig. Wider Erwarten macht der Kurs viel Spaß und ist auch wirklich Sport! Nicht so wie Zumba. Leute ich hatte noch nie einen Zumbakurs, der mich auch nur halb so gefordert hat wie Body Jam. Ich war nach Zumba so kalt, dass ich nicht mal mehr richtig dehnen konnte und von Spaß bei so einer Schnarchversion kann ich nicht reden, egal wie sehr sich der Trainer vorne bemüht. Not even sorry. Also nimmt mir bloß nicht die Abwertung übel. Aber der Kurs hier war echt super! Ich verlasse frisch geduscht, gebadet -Japan mit seiner Badekultur hat tatsächlich Gemeinschaftsbäder in den Duschräumen, etwas, was ich in Deutschland immer etwas vermisse- und gut gelaunt und erfrischt, gehe ich nach Hause, wo mich Familie zum Abendessen erwartet. Wochenende!! Wobei es eigentlich nichts Besonderes zu erzählen gibt. Normalerweise besteht mein Wochenende aus Lernen, Sport, zeichnen, Staubsaugen, Waschen und Zocken. Und hier ist es nicht wirklich anders. Staubsaugen muss ich anscheinend nicht, zumindest fällt mir auf, das vor kurzem gesaugt wurde. Wahrscheinlich war das Mutter. Waschen tat ebenfalls Mutter. Zocken fällt weg, dafür lese ich viel und höre Musik. Ich habe sogar einen MP3 Player gefunden! Die Musik drin war dieselbe wie die CDs und vom Ton her waren es 80er, 90er und frühe Tausender Songs. Allesamt eine Art Mischung oder Abwandlung der Sachen die ich von meinem echten Leben kenne, aber ich würde nicht behaupten, ich kenne die Songs. Es ist eher wie: Ich kenne die Stimmung der Songs. Und sie gefallen mir auch auf Anhieb. Das erspart mir fürs erste Suchen nach Liedern bei einem Internet, was man wahrscheinlich sowieso besser nicht benutzt. Die Wochen gehen schnell vorbei. Es wird wärmer, das Wetter wird schwüler. Die Regenzeit steht an. Tage folgen, an denen es zum größten Teil schüttet wie aus Eimern. Es ist mitten im Trimester und die Tage ziehen sich hin. An meinen Schulalltag muss ich mich nicht wirklich gewöhnen. Schule ist nicht allzu lange her und Uni ist jetzt auch nicht groß anders. Was sich jedoch in diesem Monat deutlich verbessert ist mein Umgang mit den anderen. Am Anfang hatte ich immer befürchtet was Falsches zu sagen, aber nach einigen Tagen pendelt sich die Normalität ein, man wird lockerer und ungezwungener und ich kann deutlich weniger nervös wie sonst eigentlich auch immer, meine direkte Meinung sagen, wenn ich eine habe. Man gliedert sich besser an den Platz ein, wo man sich eben sieht. Ich meide mit Begeisterung große Gruppen und verbringe den Schulalltag mit Orihime und Tatsuki. Als jemand, der sich eigentlich recht gut alleine beschäftigen kann, merke ich, wie sehr ich doch die ein, zwei richtig guten Freunde vermisst habe. Seitdem ich in der Uni bin, habe ich erst recht mit niemandem mehr was so wirklich zu tun. Unter anderem ist das meiner etwas merkwürdigen Studienfächerwahl geschuldet, sodass ich gefühlt alle nur ein oder zwei Mal die Woche sehe, aber so sehr man Gesellschaft meidet, auf Dauer alleine ist es eben auch nicht das Wahre. Und dann kommt noch dazu, dass ich sehr wählerisch bin, was die Leute angeht, die ich um mich rum versammle. Und die wenigen die übrig bleiben, wollen meistens mit mir nichts zu tun haben. Aber über solche Sachen macht sich jemand wie Orihime keine Gedanken. Sie ist einfach nur eine witzige aber bis auf den Herzensgrund liebe Person, was es so angenehm macht, mit ihr den Tag zu verbringen. Tatsuki dürfte von der Art her mir recht ähnlich sein und sich im Hintergrund wahnsinnig viel Gedanken über verschiedenes machen. Vielleicht waren wir beide genau deswegen so gut mit Orihime befreundet, wer weiß. Seit den letzten zwei Hollows, die ich beide letztendlich nicht zu identifizieren weiß, ist mir mein hollowfreier Alltag sonst erhalten geblieben und eigentlich kann man sagen, es ist alles normal. Fast wie die Ruhe vor dem Sturm, wenn man bedenkt, dass in Bleach einiges an Sh*t down geht … wenn man das so sagen darf. Im Hinterkopf orientiere ich mich immer noch an meinem Bleachwissen, aber nehme es nicht mehr als Gerüst wahr. Ich erlebe jeden einzelnen Tag, der in Bleach übersprungen wird und interagiere mit Leuten, wo Szenen entstehen, die im Manga so gar nie gezeigt werden. Während ich so von Tag zu Tag vor mich hinlebe, ist es bereits mitten im Juni. Heute ist wieder einer dieser Tage, wo ich geistig leicht abzulenken bin. Die ersten vier Stunden gingen sogar recht solide um, aber in den letzten zwei Stunden kann ich mich nicht konzentrieren. Es ist schwül, die Luft ist schwer. Ausnahmsweise regnet es seit Morgens nicht. Aber heute Abend wird es sicher wieder regnen. Vorsichtshalber habe ich also den großen Schirm mitgenommen, obwohl ich auch einen Klappschirm immer dabeihabe. Angewohnheiten sind eben schwer abzulegen. Tatsuki hatte heute Morgen gelacht, wieso ich denn immer den kleinen dann nicht zu Hause lasse. Ehrlich gestanden, Faulheit. Vor allem wenn ich es vergesse, ihn wieder einzupacken, dann hätte ich das nächste Mal, wo es unerwartet regnet, keinen. Warum ich dann nicht den großen daheim lasse? Weil ich große Schirme lieber mag, da wird man drunter nur halb so nass wie bei den kleinen Faltschirmen. Wie dem auch sei, die Luft ist auf alle Fälle unruhig. Vielleicht ist es aber auch Ichigo geschuldet, den ich eben draußen hatte rumflitzen sehen. Er ist der erste Geist seit dem letzten Hollow und ich hätte vor Schreck beinahe Luft geschnappt, als ich im ersten Moment dachte, zwei Ichigos zu sehen. Ich weiß nicht woran es liegt, aber in diesem einen Monat hatte ich wohl noch einmal ordentlich zugelegt: Ich habe gerade eben Ichigo wie eine richtige Person sehen können. Er hat in seiner Shinigamigestalt genauso plastisch ausgesehen wie alles andere um mich herum auch. Hätte ich nicht gewusst, dass ich ihn in dieser Gestalt eigentlich nicht hätte sehen können sollen, ich wäre schwer davon ausgegangen, dass alle ihn sehen können. Vor allem, wenn die Sachen durchschimmernd, flimmerig, durchsichtig oder irgendwie milchig sind, dann ist es leicht zu glauben, dass sie zu einer anderen Ebene gehören, aber so? Das zu ignorieren ist schon deutlich schwerer. Schlimmer noch, ich bin jemand, der grundsätzlich gerne Dinge im Blick behält. Nehme ich eine Bewegung wahr, schaue ich hin, nehme ich irgendetwas wahr und kann es nicht im Blickwinkel sehen, drehe ich den Kopf und schaue hin. Die einzige Möglichkeit das nicht zu tun oder beschränkt zu tun ist, wissen was dort ist und sich dann aktiv zwingen, wegzuschauen. Aber instinktiv…? Keine Chance. Nennt es Überlebensinstinkt oder Kontrollfreak. Würde beides recht gut passen. Wie lange werde ich aufrechterhalten können, anderen weiß zu machen, dass ich nichts sehe, wo ich selbst nicht mal durch das Sehen alleine, den Unterschied ausmachen kann? Tatsuki hat heute wieder Clubaktivitäten, also bringe ich Orihime alleine nach Hause. „Was meinst du, warum Ichigo in letzter Zeit so angespannt ist?“, fragt sie mich besorgt. Ich leiste mir einen kleinen Seitenblick zu ihr. Ich bin immer wieder erstaunt, wie aufmerksam sie bei Ichigo ist. Mir fallen solche Dinge manchmal relativ schnell auf, manchmal gar nicht, aber wenn, dann auch nur wenn ich die Leute beobachte oder mit ihnen interagiere, was ich bei Ichigo jetzt zwar regelmäßig tue um seine Shinigamimachenschaften im Auge zu behalten, aber nicht auf die Art des „wie geht es ihm heute?“. So genau hatte ich jetzt nicht wirklich auf seinen Seelenzustand geachtet. Er dürfte mit seinem neuen Nebenjob sowieso genug andere Sorgen haben. Nachdenklich schaue ich gen Himmel. Die Wolken werden dicker und es wird dunkler. „Ich weiß es nicht“, gestehe ich ehrlich. Das Wetter wird es wohl kaum sein. Orihime schweigt nachdenklich. Auf dem ganzen Heimweg sprechen wir nicht. Sie scheint sich wirklich Sorgen zu machen und ich weiß nicht, was ich sagen soll, um sie aufzumuntern. Ich will nichts leicht dahinsagen und anstatt was Unnötiges zu sagen, schweige ich dann lieber. Bei ihr zu Hause angekommen, verabschiede ich mich von ihr, wo mir nichts Besseres einfällt, als „Kopf hoch! Es wird schon!“ zu sagen. Als ich zu Hause ankomme, fallen bereits die ersten Tropfen. Auf der Türschwelle werde ich von meiner Mutter wieder direkt einkaufen geschickt. „Es tut mir leid, ich habe heute vergessen, Toastbrot zu kaufen! Und wir haben nur noch für eine halbe Woche, würdest du gerade zwei Packungen einkaufen gehen? Und die Post hat angerufen, ein Paket ist da, wenn du das zum Bahnhof abholen gehen würdest, würde das sehr helfen“ „Natürlich, ich mach mich sofort auf den Weg“, antworte ich brav und verlasse sofort wieder das Haus. Wenige Minuten später regnet es zwar einen sehr leichten, aber deswegen nicht weniger nassen Regen. Zumindest ist es nicht so ein erdrückender Platzregen. Da stört es einen doch mehr, wenn man darin auch noch einkaufen muss. Aber so, laufe ich ganz normal Einkaufen und dann zum Bahnhof, der Gott sei Dank in dem einen Monat auch in meine innere Karte mit aufgenommen worden war. Das Paket war ein eher kleines Päckchen, was in meine Tasche passt. Das Toastbrot zwar nur halb, aber dann muss ich nichts in den Händen halten. Ich habe ja schon einen Schirm in der Hand. Auf meinem Heimweg am Fluss entlang, sehe ich weiter hinten Ichigo im Regen stehen. Ich erkenne ihn an der Körperhaltung und Silhouette wieder. Unweigerlich fällt mir Orihimes Frage heute Nachmittag ein und natürlich, jetzt macht alles Sinn. Wir haben Juni. Der Tag an dem er seine Mutter umgebracht hat, so wie er glaubt, ist … morgen? Heute ist der 15te, also müsste das morgen sein. Ich komme näher und sehe, dass er komplett durchnässt einfach im Regen steht. Ich kann ihn nur von hinten erkennen, aber er zieht einmal seinen rechten Arm übers Gesicht. Er heult doch nicht etwa? Dude, stell Dich nicht so an. Ich will einfach weitergehen, aber als ich an ihm vorbeikomme, entscheide ich mich anders. Ich sagte doch, ich kann mit solchen Gefühlssachen nicht gut ne? Aber Ichigo hier alleine stehen zu sehen, erinnert mich einfach echt stark an mich, die, wenn es ihr scheiße geht, im Zimmer alleine im Melancholiestrudel untergeht. Der ein oder andere kennt das bestimmt auch. Ich weiß nicht, was bei den anderen der Grund ist, aber bei mir ist es platt, dass ich nicht will, das andere es sehen. Genauso, wie ich normalerweise denke, dass andere sich nicht so anstellen sollen, denke ich das von mir schließlich auch. Nur wenn man schon da ist…dann kommt man da nicht weg. Und wenn man alleine ist, dann kommen einem fast immer die selben Fragen in den Kopf: Warum bin ich so ein Weichei, warum muss ich so rumheulen, wieso bin ich so emotional, wieso führe ich mich auf wie ein Kleinkind, warum kann ich das nicht abschalten, ich bin so wertlos…irgendwas in dieser Richtung. Und egal wie sehr man mit dem Hirn weiß, wie unsinnig das Gehabe ist, es kommt wie von selbst irgendwo herausgesprudelt und die Gedanken springen wie ein Ping Pong hin und her zwischen „Unsinn, Du bist viel zu sensibel, jetzt krieg Dich in den Griff“ und „aber es geht mir nun mal scheiße und ich krieg es nicht weg, warum muss ich so sensibel sein?“ und das Ganze von vorne. Nach einer Weile, wenn man ruhiger wird geht es auch wieder und das rationale Hirn hilft einem da immer dabei. Dennoch fällt man halt manchmal da rein. Ich kann Leute absolut nicht trösten, aber zumindest bei mir ist es so, manchmal ist man einfach froh, wenn man nicht alleine ist. Ein echtes Paradoxon, wenn man bedenkt, dass man so aber nicht gesehen werden will. Ich weiß nicht, wie es bei Ichigo ist, aber im Manga ist er daran zugrunde gegangen, dass er sich abgeschottet hat. Ich seufze. Jop, ich bin viel zu sentimental trotz meiner Möchtegern-cool-sein-Attitude die ich vertrete. Ich mache die wenigen Schritte in das leicht matschige Gras, während ich meinen zweiten Schirm, den ich wahrscheinlich erst das zweite Mal in meinem Leben brauche, oder in diesem Fall das erste Mal in der Bleachwelt, auspacke, aufspanne und über Ichigo halte. „Du wirst dich noch erkälten“, stelle ich trocken fest. Es kommt nur ein halb genuscheltes „Kay“ zurück und der Schirm wird mir abgenommen. Ein bisschen überfordert stehe ich da und fixiere irgendetwas auf der anderen Seite vom Ufer, was nicht da ist. Ich will Ichigos Gesicht gerade nicht sehen und wäre ich an seiner Stelle, würde ich auch nicht angeschaut werden wollen. Ichigo ist nicht wie ich, aber jetzt muss er damit leben. Soll er froh sein, dass er meinen zweiten Schirm und Aufmerksamkeit bekommt. Orihime wäre mit ihrer Riesenportion Empathie und Herzensgüte hier wahrscheinlich deutlich richtiger am Platz als meiner einer. Mit diesem Regen hier und jetzt, nachdem ich Ichigo gesehen habe, fallen mir unweigerlich die ganzen Szenen aus dem Manga ein, wie das schwarzhaarige Mädchen hier am Ufer und Ichigos Fehlglaube, sie würde sich umbringen wollen… Das müsste 6 Jahre her sein, von dem Setting her. Damals war seine Mutter vom Hollow getötet worden, was Klein Ichigo damals aber noch nicht verstehen hatte können. Jahrelang bildete er sich ein, schuld am Tod seiner Mutter zu sein. Selbst als seine Familie sagte, dass alles in Ordnung und Ichigo nicht schuld sei, hat er es immer weiter geglaubt. Auf der einen Seite war er doof, auf der anderen Seite jedoch, war er wahrscheinlich viel zu jung gewesen, um das rational logisch verstehen zu können. Eine ganze Weile stehen wir schweigend da rum. Ich bin sehr froh, dass Ichigo nicht der Typ zum rumjammern ist. Der Grund wieso ich nicht als seelische Unterstützung geeignet bin ist nämlich der, dass ich zu Problemen sofort Lösungsmöglichkeiten anbieten will und überlege, wie man das Problem beseitigen kann. In den meisten Fällen wollen die Leute die aber gar nicht hören, sondern nur eine Schulter zum Ausheulen und Ohren die ihren Problemen Beachtung schenken. Und dafür war ich mit meiner Denkweise absolut ein Schuss in den Ofen. Und da ich mir dann für gewöhnlich anhören kann, wie kalt und emotionslos ich sei, tu ichs einfach immer seltener. Ich mein, ich will den Leuten schon helfen...nur ich kann nicht verstehen, wieso Leute jammern aber dann nichts ändern wollen. Dann sollen sie aber nicht jammern. Und dann sage ich dann auch, was natürlich die seelisch aufgewühlten Leute nur noch wütender oder verzweifelter macht und alles andere als eine Hilfe darstellt. Deswegen sagte ich auch, ich bin ein schlechter Tröster. Aber wenn jemand Hilfe möchte und ich die anbieten kann, dann höre ich mir komplexe Konstrukte auch tagelang an. Der Regen will einfach nicht aufhören. Wir stehen immer noch da und ich glotze immer noch irgendetwas an, was nicht da ist, während ich meinen eigenen Gedanken hinterherhänge. Hauptsächlich bestehen diese aus Sorgen um Grand Fishers sehr wahrscheinliches Auftauchen in etwa 24 Stunden. Ichigo hat im Manga eher im Wahn gekämpft, was manchmal unerwartete Stärken mobilisieren kann, aber auch nach hinten losgehen und den Tod bedeuten kann. "Du musst nicht immer alles schlucken, you know. Du weißt, dass ich nicht gut mit sowas bin, aber wenn ich helfen kann, dann kannst Du immer kommen", meine ich schließlich, nachdem das Schweigen kein Ende nimmt. Mir ist klar, dass das die Leute schon von selbst den Mund aufmachen, wenn sie sprechen wollen. Nur, meine Mutter wartet auf ihr Toastbrot und wenn, würde ich gerne einfach einen Termin ausmachen, wo ich mir dann auch richtig Zeit nehmen kann. Gerade war etwas ungünstig eigentlich. "Wenn du dich nur ausheulen willst, dann such dir nen anderen tho", mache ich aber gleich klar. Die einen mögen das unsensibel nennen, ich nenne es von vornherein klare Kommunikation. "Danke Dir", kommt zurück. "Kein Problem" "Danke auch für damals" Ich runzle die Stirn. "Niemand sonst hat mir da geglaubt", fährt er fort. Ich werde aus der Aussage nicht schlauer, denke aber mal, dass es um der Ablauf vor dem Tod seiner Mutter geht. Um was soll es sonst gehen? "Ich wüsste nicht, warum du in so einer Situation lügen solltest", antworte ich platt feststellend. "Stimmt" Wieder eine Weile Schweigen. "Wartet nicht deine Familie auf dich? Ihr habt morgen einiges vor oder?", frage ich ihn. "Ja, stimmt" Kurze Pause. Dann: "Nochmal danke" "Ach wofür", winke ich ab. Noch ein kleines Weilchen verstreicht. "Ich mach mich ab, meine Mutter will ihr Toastbrot und ich will nicht aber muss Hausaufgaben. Wenn es was gibt, meld dich, dann lege ich Zeit zur Seite", hinterlasse ich ihm und stapfe den matschigen Hang langsam wieder rauf. "Ah, Maria. Schirm!", hält er mich auf. "Gib ihn mir irgendwann in der Schule wieder. Ich will nicht schuld sein, wenn du morgen flachliegst!", rufe ich zurück und winke kurz zum Abschied ohne zurückzuschauen. "Ist was passiert?", begrüßt mich zu Hause eine besorgte Tatsuki. "Ah, willkommen zurück. Nein wieso?", frage ich perplex, während ich den Schirm zum Trocknen ausspanne und mich aus den Schuhen schäle. "Mutter sagte Du bist vor drei Stunden los zum Einkaufen und Post abholen" "Ah, hab Ichigo aufm Weg getroffen", erkläre ich. Tatsuki zeigt einen merkwürdigen Gesichtsausdruck und folgt mir auf den Weg zur Küche, wo ich die Brote und das Päckchen abgeben will. "Bin wieder da", grüße ich Mutter dort. "Du hast aber lange gebraucht", meint auch Mutter. "Hab unterwegs Ichigo getroffen", erkläre ich zum zweiten Mal. "Ach so, leg einfach alles auf den Tisch, danke Dir", gibt Mutter Anweisungen, während sie den Fisch um seine Gräten erleichtert. "Ich bin dann oben", kündige ich an. "Ich auch", fügt Tatsuki hinzu und folgt mir. "Dann bis nachher", antwortet Mutter und wir verlassen die Küche wieder. "Und Du hast mindestens ZWEI STUNDEN mit ihm gequatscht?", fragt Tatsuki ungläubig. Ich betrete mein Zimmer. Tatsuki kommt einfach mit. Ich befreie mich aus meiner Schuluniform und packe mich in Alltagskleidung. "Nicht wirklich. Wir haben uns eher angeschweigt", erkläre ich. "Zwei Stunden?! Wieder der Fall mit seiner Mutter?", fragt Tatsuki "Mhm...", antworte ich. Tatsuki setzt sich einfach auf mein Bett. Ich lege mich daneben, die Arme hinter meinem Kopf verschränkt. "Wobei...wieso wieder?", frage ich gespielt ahnungslos. Tatsuki lehnt sich an die Wand. "Er hat sich seitdem immerhin total verändert. Früher war er so ein Weichei. Immer übertrieben fröhlich, hyperaktiv. Total nervig irgendwie und eine richtige Heulsuse. Genau wie Du" "Danke vielmals", grummle ich trocken. Witzig. Die Maria dieser Welt war wohl als Kind auch so wie ich. Auch wenn ich nicht so sehr die Heulsuse war (hoffe ich?), aber hyperaktiv und viel zu gut gelaunt konnte stimmen. "Aber als dann seine Mutter gestorben ist wurde er ruhiger, hat auch angefangen sich mit Schlägern zu prügeln...und niemand wusste was los war" "Hmmm..." "Du bist die Einzige mit der er geredet hat" "So...?" "Ja. Jedes Mal kamst Du ein paar Stunden später nach Hause und sagtest, Du hast aufm Weg Ichigo getroffen" "Kann sein...", kommentiere ich das etwas teilnahmslos. Schließlich war es nicht wirklich ‘ich' gewesen. Ich habe daran natürlich absolut keine Erinnerung und ich kann mir ehrlich nicht vorstellen, was Ichigo mit der damaligen Maria gesprochen haben soll. Im Manga wird er von vielen aufgemuntert aber spricht kaum. Sehr wahrscheinlich war es ‘damals' genauso gewesen wie heute: Ichigo und die damalige Maria standen da und schwiegen, mit vielleicht einigen kurzen Sätzen. "Wieso weichst du so aus?", fragt Tatsuki genervt. "Ich weiß nicht. Was willst Du denn wissen?" Ich drehe meinen Kopf zu Tatsuki, fragend. "Was habt ihr wirklich besprochen? Damals lief das Gerücht um, dass Ichigo Geister sehen könnte. Als ich ihn gefragt habe, hat er Nein gesagt. Was war dann aber los mit Ichigo? Und wieso hast du mir nie erzählt was Du gemacht hast, wenn Du mal wieder viel später Heim kamst?" "Nichts. Wirklich. Er sagt nichts. Du kennst ihn selber. Was soll ich da erzählen?", frage ich resigniert. Ich kann Tatsukis Frustration sehr gut verstehen, aber ich kann gar nicht antworten, selbst wenn ich wollte. "Wir haben uns wirklich nur angeschweigt", wiederhole ich mit Nachdruck. "Egal ob Du ihn aufforderst oder nicht, er wird nur reden, wenn er will. Und dann wird er es auch ungefragt tun", schildere ich ihr meine Sichtweise. "Ich weiß...aber ich hab das Gefühl, ausgelassen zu werden. Ich bin seine erste Freundin gewesen und habe ihn durch fast alle Krisen begleitet. Warum...auf einmal sagt er nichts mehr?" Ja, Tatsuki kann ich sehr gut verstehen. Auch im Manga hat sie mir schon leidgetan. Sie kriegt halt so halb was mit, aber nichts Ganzes. Alle scheinen Geheimnisse vor ihr zu haben und sie wird rausgelassen. Kein tolles Gefühl. "Ichigo is halt so...", beende ich das Drama. "Er wird seine Gründe haben" "Aber du wirst doch nicht zwei Stunden einfach schweigend neben ihm gestanden haben?", fragt Tatsuki entgeistert. "Doch, habe ich", mache ich ihr klar. Ihr dummes Gesicht zeigt das selbe Entsetzen und gleichzeitig denselben Spott oder dasselbe Mitleid, wie man es denn nennen will, den ich bei anderen schon gesehen habe, als ich ihnen erzählt hatte, dass ich schon über vier Stunden auf Freunde gewartet habe, die zu spät kamen. Und nicht nur einmal. Einer der ehemaligen Kumpel hat es jedes Mal geschafft, mindestens zwei Stunden zu spät zu kommen. Aber ich habe gewartet. Jedes Mal. Auch ohne Info weil „keine SimKarte und kein WLAN“. Ich bin halt so doof gewesen. Und anscheinend bin ich es immer noch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)