Strangers In A Strange Land von Morwen (Thor x Loki) ================================================================================ En -- Loki stand am Fenster ihres Zimmers und sah hinaus, die Augen fest auf ihr Ziel gerichtet. Sein ganzes Leben lang hatte er mit Verachtung auf diesen Ort herabgesehen und nach Odins Tod hatte er nicht daran geglaubt, jemals hierher zurückzukehren – noch dazu unter diesen Bedingungen. Was nur ein weiterer Beweis dafür war, wie gründlich sein Leben mittlerweile aus den Fugen geraten war. „Hey“, hörte er eine leise, tiefe Stimme hinter sich. Er drehte sich jedoch nicht um, und im nächsten Moment schlangen sich zwei warme, starke Arme von hinten um ihn. „Hast du überhaupt geschlafen...?“, fragte Thor, während er sein Kinn auf Lokis Schulter legte. „Wir sind da“, entgegnete der andere jedoch nur, ohne die Frage zu beantworten. Thor sah auf und sein Blick fiel auf den blauen, wolkenbedeckten Planeten, der langsam immer näher kam. „Midgard“, sagte er dann, die Stimme voller Zuneigung. Loki verdrehte die Augen. Sein Bruder liebte diese Welt und ihre schwachen, idiotischen Bewohner auf eine Weise, die Loki nie verstehen würde. Gewiss, die Menschen waren auf ihre ganz eigene Art unterhaltsam, und es gab manche unter ihnen, die Loki für ihre Errungenschaften fast schon respektierte, auch wenn er weit davon entfernt war, sie jemals zu mögen. Aber es war – und würde niemals – ein Ersatz für Asgard sein. Nichts würde die goldene Stadt jemals ersetzen können. „Was nun?“, fragte Loki nach einer Weile und drehte das Gesicht zur Seite, um seinen Bruder anzusehen. Thor machte eine nachdenkliche Miene. „Jetzt suchen wir uns einen Ort, an dem wir bleiben können“, sagte er dann. Loki stieß ein leises Schnauben aus. „Sei nicht närrisch“, erwiderte er. „Glaubst du, es gibt auch nur einen einzigen Flecken Land auf diesem Planeten, der noch nicht irgendwem gehört? Ich bin mir sicher, wo wir auch landen werden, irgendjemand wird immer etwas einzuwenden haben.“ Thor schmunzelte. „Wie sehr du dich doch geändert hast, Loki“, sagte er und küsste den anderen auf die Wange, bevor er ihn losließ, um sich anzukleiden. Loki runzelte die Stirn und drehte sich zu ihm herum. „Was willst du damit sagen?“, fragte er. Er versuchte, seinen Bruder nicht allzu sehr anzustarren, während Thor seine königlichen Roben anzog. Loki hatte in den letzten Wochen ausreichend Gelegenheit gehabt, den Körper des anderen wieder kennenzulernen, aber das hieß nicht, dass er nicht in Versuchung kam hinzusehen, wann immer Thor unbekleidet war. „Die Tatsache, dass du dir Gedanken über diese Dinge machst“, entgegnete sein Bruder schließlich, als er fertig war, und schenkte Loki ein Lächeln. „Früher hättest du dir einfach genommen, wonach es dich gelüstet hat. Heute weißt du, dass dein Handeln Konsequenzen hat.“ Loki verschränkte die Arme vor der Brust. „Wundert es dich?“, fragte er. „Du hast schließlich oft genug versucht, mir diese Lektion einzuprügeln, Bruder. In den meisten Fällen wortwörtlich.“ Thor lachte nur, der Bastard. „Aber hat es uns nicht auch an den Punkt geführt, an dem wir jetzt sind – das erste Mal seit langem wieder vereint?“, erwiderte er. „Du meinst an den Punkt, an dem du auf einem Auge blind bist, Odin tot, Asgard zerstört und unser Volk heimatlos?“, fragte Loki sarkastisch. Thor trat jedoch nur schweigend auf ihn zu und nahm sein Gesicht in die Hände, um ihm einen langen, warmen Kuss zu geben, und Loki konnte nicht verhindern, dass seine Augen zufielen und ein Teil seines Widerstandes dahinschmolz. Manipulativer Mistkerl, dachte er, doch er schaffte es nicht, wütend auf den anderen zu sein. Nicht wirklich. „Ich sage nicht, dass es leicht war“, meinte Thor mit leiser Stimme, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten. „Doch für mich war allein das hier all den Schmerz wert.“ Dann drehte er sich um und verließ den Raum. Loki starrte ihm nach, und für einen Moment hasste er Thor ein klein wenig dafür, dass er ihn immer so sprachlos machte. Ihre Wahl fiel schließlich auf Senja, eine Insel in Norwegen, die sie landschaftlich und klimatisch sehr an Asgard erinnerte. Das Raumschiff landete im Wasser eines der Fjorde im Norden der Insel, und sobald die Asen an Land gegangen war, begannen sie auch schon unverzüglich mit der Errichtung von Unterkünften. Der Großteil der hochentwickelten Technologie Asgards war beim Untergang ihrer Welt verlorengegangen, doch die Überlebenden hatten genug davon retten können, um ihre Häuser mit einer Geschwindigkeit und Effektivität zu errichten, die den Bewohnern Midgards wie Magie erscheinen musste. Bei Sonnenuntergang hatte schließlich jede Familie ein Dach über dem Kopf, und eine rudimentäre, ringförmig angelegte Stadt thronte auf der Klippe hoch über dem Meer, in dessen Zentrum der Palast stand. Er war nur ein schwaches Echo des Palastes in Asgard, doch Loki hatte all sein magisches Geschick und Können in die Erschaffung der hohen Hallen und weitläufigen Gärten gelegt, und als er am Abend zu Tode erschöpft neben Thor ins Bett kroch und einschlief, kaum dass sein Kopf das Kissen berührt hatte, stand ihr Zimmer dem auf dem Raumschiff in Komfort in nichts nach. In den nächste Wochen und Monaten würde der weitere Feinschliff erfolgen, doch für den Anfang war Thor, der ebenfalls bis zum Einbruch der Dunkelheit unermüdlich beim Aufbau der Stadt geholfen hatte, mit dem Ergebnis zufrieden. Um alles Weitere würde er sich am nächsten Tag kümmern; in diesem Moment genügte es ihm völlig, sein Volk in Sicherheit zu wissen. Und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen legte er einen Arm um seinen Bruder und schmiegte die Wange an Lokis Schulter, bevor auch er schließlich einschlief. Der Frieden hielt für genau eine Nacht an. Als der nächste Tag anbrach, sollte sie die Realität jedoch schneller wieder einholen, als ihnen lieb war. „Thor.“ Es war die Stimme der Walküre, die sie am nächsten Morgen weckte. Sie sah kein Stück peinlich berührt aus, während sie geduldig darauf wartete, dass Thor sein Auge aufschlug – nur um hastig die Decke über sich und seinen Bruder zu werfen, die in der Nacht heruntergerutscht war. Loki schlief noch immer tief und fest... oder tat zumindest so, um nicht an der Unterhaltung teilnehmen zu müssen, Thor war sich nicht ganz sicher. Mit so viel Würde, wie er unbekleidet und so früh am Morgen aufbringen konnte, stemmte er sich in eine sitzende Position und sah die Walküre an. Sie hob nur vielsagend eine Augenbraue, verkniff sich aber jeden Kommentar. „Was gibt es?“, fragte Thor. Sie deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Da ist jemand, der Euch sprechen will“, sagte sie. „Ein gewisser... Stark?“ Thor hörte ein leises Schnauben und als er den Blick senkte, sah er, wie Lokis Schultern vor kaum unterdrücktem Gelächter bebten. Also hatte er doch zugehört. „Oh, wie herrlich“, murmelte Loki, bevor sich seine Augen zu schmalen, grünen Schlitzen öffneten. „Das hat uns gerade noch gefehlt.“ Thor ignorierte seinen Kommentar jedoch. „Ich bin gleich da“, wandte er sich an die Walküre. Sie nickte kurz und ging dann wieder hinaus. „Er wird dich nicht bekommen, Loki“, sagte Thor leise zu seinem Bruder. „Du hast mein Wort.“ Loki stieß ein Seufzen aus, bevor er sich ebenfalls aufsetzte und mit einer Hand durch seine langen dunklen Haare kämmte. „Oh Thor, ich bitte dich“, erwiderte er. „Ich bin nicht arrogant genug zu glauben, dass er meinetwegen gekommen ist.“ Thor runzelte die Stirn. „Warum sollte er dann hier sein?“ Loki warf ihm einen Blick zu, als konnte er schlichtweg nicht fassen, wie langsam sein Bruder manchmal war. „Ich sagte dir bereits gestern, dass jeder Flecken Erde auf diesem Planeten schon vergeben ist“, entgegnete er dann. „Und ich garantiere dir, dass das der Grund für seinen Besuch ist. Woher soll er außerdem auch wissen, dass ich mit dir gekommen bin?“ Thor zuckte mit den Schultern. Dann weitete sich sein Auge plötzlich. „Banner!“, stieß er hervor. Der Hulk hatte sich von ihnen verabschiedet, kaum, dass sie in die Erdatmosphäre eingedrungen waren. Und er und Stark waren Freunde, es wäre also möglich... Doch Loki schüttelte nur den Kopf. „Falls die Bestie überhaupt bei klarem Bewusstsein ist, bin ich mit Sicherheit ihre letzte Sorge“, sagte er. „Du hast Banner gehört, er war seit Jahren nicht mehr auf diesem Planeten. Ich bin mir sicher, er hat einiges nachzuholen.“ In einer für diese frühen Morgenstunden unverschämt anmutigen Bewegung stand Loki dann auf und begann sich anzukleiden. „Thor“, meinte er genervt, während der Blick seines Bruders anerkennend über seinen blassen, nackten Körper wanderte. „Jetzt komm schon. Wir sollten ihn nicht warten lassen.“ Thor hob überrascht eine Augenbraue. „‚Wir‘?“ Loki drehte sich um und schenkte ihm ein grimmiges Lächeln. „Wir hatten uns geschworen, diese Sache gemeinsam durchzustehen“, erwiderte er. „Und wenn das bedeutet, Stark erneut in die Augen sehen zu müssen, damit unser Volk in Frieden leben kann, dann werde ich auch diese Demütigung über mich ergehen lassen.“ Thors Blick wurde weich. Wie sehr sein Bruder in den letzten Jahren doch an seinen Herausforderungen gewachsen war. „Loki, du-“ Doch der andere unterbrach ihn, indem er an das Bett herantrat und Thor einen Finger auf die Lippen legte. „Ich schwöre dir, wenn du noch ein weiteres Wort sagst, dann wirst du auch noch dein anderes Auge verlieren“, drohte er mit samtweicher Stimme. Dann fuhr er damit fort, sich anzuziehen. Thor war klug genug, seine Gedanken für sich zu behalten, während er Lokis Beispiel folgte und aufstand, um sich anzukleiden. Doch er konnte sein Lächeln dabei nicht verbergen. „Ich gebe zu: von allen Umständen, unter denen wir uns hätten treffen können, ist dies mit Abstand derjenige, mit dem ich am wenigsten gerechnet hatte“, sagte Tony, als Thor mehrere Minuten später den Thronsaal betrat. „Norwegen? Ernsthaft? Ist das nicht selbst für asgardische Verhältnisse etwas klischeehaft?“ Thor grinste nur breit. „Ich freue mich auch, dich zu sehen, Stark“, erwiderte er, bevor er auf den anderen zutrat und ihn in eine Umarmung zog, die seine metallene Rüstung gefährlich ächzen ließ. „Die Freude ist ganz meinerseits, nehme ich an“, stieß Tony etwa atemlos hervor, als der andere ihn wieder losließ. „Was führt dich hierher?“, fragte Thor dann und nahm auf seinem Thron Platz. Tony lächelte kurz und sarkastisch. „Oh, ich weiß nicht“, entgegnete er. „Das Bedürfnis, einen alten Kameraden wiederzusehen? Die malerische Landschaft? Oder vielleicht ist es auch nur die Regierung von Norwegen, die sich fragt, was zur Hölle ihr in ihrem Land zu suchen habt...?“ „Asyl“, erklärte Thor gelassen, und seine Antwort traf Tony so unvorbereitet, dass er für einen Moment innehielt. „Ist das dein Ernst?“, fragte er dann. „Warum um alles in der Welt solltet ihr Asyl suchen? Ihr seid Götter!“ „Und auch Götter verlieren gelegentlich Kriege“, erwiderte Thor. „Asgard existiert nicht länger. Was du hier siehst, ist alles, was von unserem Volk übriggeblieben ist.“ Tony starrte ihn an. Dann schüttelte er den Kopf. „Das erklärt so vieles“, murmelte er und ließ seinen Blick durch die leere Halle schweifen. Natürlich wählte Loki genau diesen Moment für seinen dramatischen Auftritt. „Wir wissen, dass Midgard Gesetze für Situationen wie die unsere hat“, sagte er, während er zwischen den Säulen hindurch auf den Thron zuschritt. „Wer politisch verfolgt wird oder heimatlos ist – was in beiden Fällen auf uns zutrifft – hat ein Anrecht auf Asyl.“ Sofort schloss sich die Maske seiner Rüstung über Tonys Gesicht und er ging in Angriffsposition, während die Blaster an seinen Händen summend zum Leben erwachten. „Was tut er hier?“, verlangte er mit metallisch verzerrter Stimme zu wissen. „Meinem Bruder ist es zu verdanken, dass so viele Bewohner Asgards gerettet werden konnten“, sagte Thor, der sich von Tonys Verhalten nicht beeindrucken ließ, während Loki derweil mit arrogantem Lächeln die Arme vor der Brust verschränkte. „Er kämpfte tapfer an meiner Seite, um die Zerstörung Asgards zu verhindern.“ „Tut mir leid, wenn deine Worte mich nicht sonderlich beruhigen, Thor“, erwiderte Tony angespannt, „aber er ist Loki. Er tut nichts, ohne damit ein bestimmtes Ziel zu verfolgen.“ Loki verdrehte die Augen. „Er steht neben euch und kann alles hören, was ihr sagt.“ „Verzeih mir, Bruder“, sagte Thor beschämt. „Ich wollte nicht respektlos sein.“ „Ich schon“, mischte Tony sich ein und wandte sich dann an Loki. „Ich habe keine Ahnung, was du dieses Mal vorhast, aber ich schwöre dir, wenn du auch nur daran denkst, deine Welteroberungspläne in die Tat umzusetzen, dann wird das unerfreuliche Konsequenzen für dich haben. Die Avengers sind mittlerweile um einiges zahlreicher, als sie es beim letzten Mal waren, und sie werden dich aufhalten!“ „Keine Sorge, ich werde an deine Drohung denken, wann immer ich nichts Besseres zu tun habe“, entgegnete Loki trocken. Thor seufzte. „Loki, Manieren!“ Sein Bruder machte mit der Hand nur eine Geste, die je nach Region Asgards als Gleichgültigkeit oder als tödliche Beleidigung interpretiert werden konnte, doch er hörte auf Thor und provozierte den anderen nicht weiter. Tony zögerte einen Moment, dann ließ er seine Hände wieder sinken und klappte das Visier seiner Maske hoch. „Ich halte es für eine historisch schlechte Idee, ihm zu trauen“, sagte er. „Und glaub mir, ich habe viel Erfahrung mit historisch schlechten Ideen. Aber wenn du ihm tatsächlich noch eine Chance geben willst, dann respektiere ich das. Auch wenn es mir keine Freude bereitet.“ „Das war die sinnvollste Bemerkung, die du bisher von dir gegeben hast“, entgegnete Loki spöttisch. Dann wandte er sich ab. „Ich wünsche dir einen angenehmen und baldigen Rückflug, Stark.“ „Oh, ich war noch nicht fertig“, sagte Tony fröhlich. Loki runzelte die Stirn. „Nicht?“ „Ihr erinnert euch vielleicht noch an die norwegische Regierung, die ich erwähnt habe?“, erwiderte Tony. „Wie es der Zufall so will, gibt es Asylverfahren, die jeder einzelne von euch durchlaufen muss, bevor sein Aufenthalt hier genehmigt wird. So einfach, wie ihr es euch vorstellt, funktioniert das Ganze nämlich nicht...“ „Ist das die irdische Hölle?“, stöhnte Loki. „Das muss die Hölle sein. Eine andere Erklärung habe ich nicht für diesen Wahnsinn.“ Thor, der in der Vergangenheit mehrmals mit der Bürokratie Midgards in Kontakt geraten war, lächelte jedoch nur. Sie saßen schon seit zwei Stunden in einem winzigen Wartezimmer, das sie sich mit einem Dutzend weiterer Menschen aus aller Welt teilten, die ihnen hin und wieder neugierige oder misstrauische Blicke zuwarfen. Thor und Loki waren die ersten ihres Volkes, die einen offiziellen Antrag auf Asyl stellen würden, und Loki bereute schon jetzt jede Sekunde seines Lebens, die er hier verbrachte. „Ungeduldig?“, fragte Thor belustigt, als Loki nicht zum ersten Mal in den letzten zwei Stunden aufstand, um in dem kleinen Raum auf- und abzulaufen. „Uns überhaupt warten zu lassen ist eine schlichte Beleidigung“, zischte Loki. „Uns gleichzusetzen mit diesen... diesen niederen Kreaturen!“ Er gestikulierte wild in Richtung eines älteren Ehepaars, das ihm als Antwort nur einen entrüsteten Blick zuwarf. „Achte auf deine Worte, Bruder“, erwiderte Thor leise. „Es sind diese ‚niederen Kreaturen‘, die über dein Schicksal entscheiden werden. Und über meines.“ Loki schnaubte nur. „Wenn sie uns ablehnen, versuchen wir es einfach woanders.“ „Und wenn wir ihnen mit einem Mindestmaß an Demut und Respekt begegnen, müssen sie uns gar nicht erst ablehnen“, sagte Thor. Die unendliche Geduld in seiner Stimme trieb Loki fast zur Weißglut, doch er gab keine Antwort, sondern warf ihm nur einen genervten Blick zu. Ein paar Minuten später öffnete sich eine Tür im angrenzenden Korridor. „Odinson, Thor und Odinson, Loki“, rief eine müde Stimme. Loki hob eine Augenbraue. „‚Loki Odinson‘?“, fragte er an seinen Bruder gewandt. Thor schenkte ihm ein kleines Lächeln. „Spielt es nach allem, was passiert ist, wirklich noch eine Rolle...?“, erwiderte er. Ja, dachte Loki. Ja, das tut es. Doch zum ersten Mal seit langer Zeit hatte er nicht die Energie für diese Diskussion. „Na schön“, sagte er stattdessen. „Dann lass uns gehen, Bruder.“ „Geburtsort?“ „Asgard.“ „Ist das eine Stadt oder eine Region?“ „Uh... beides?“ „... Geburtsdatum?“ Thor und Loki wechselten einen Blick. „Auf Grundlage welcher Zeitrechnung...?“, fragte Loki. „Welche Sprachen beherrschen Sie?“ „Alle.“ „Wie bitte?“ „Meine Herkunft befähigt mich dazu, alle im Universum existierenden Sprachen zu verstehen. Es ist eine der besonderen Fähigkeiten meines Volkes.“ „... okay.“ „Familienstand?“ „Keine Eltern. Ein Adoptivbruder.“ Thor zögerte kurz. „Eine ältere Schwester.“ „Wo hält sich Ihre Schwester derzeit auf?“ „In den Trümmern Asgards, wo sie sich mit Surtur bekämpft hat. Beide dürften jetzt vermutlich Sternenstaub sein.“ „Also ist nicht mit ihrem Nachzug zu rechnen?“ „Eher nicht, nein.“ „Sie sagten, Sie gehören der Aristokratie an.“ „Ich bin der König meines Volkes, ja.“ „Und ist Ihre Position eher repräsentativ oder sind Sie aktiv am Regierungsgeschehen beteiligt?“ „Ich allein treffe Entscheidungen über das Schicksal der Æsir.“ „Ich verstehe. Bitte seien Sie sich darüber im Klaren, dass dies zu Interessenkonflikten mit unserer Regierung führen könnte, insbesondere mit dem norwegischen Königshaus.“ „Oh, keine Sorge, ich will keinen Streit mit ihm. Ich möchte nicht Norwegen regieren, sondern nur mein eigenes Volk.“ „Ja, das ist es, was ich mit Interessenkonflikten meinte...“ „Können Sie ein Personaldokument vorweisen, beispielsweise einen Reisepass?“ „Für so etwas hatte ich nie Verwendung. In Asgard wusste jeder, wer ich bin.“ „Also ‚nein‘...“ „Geburtsort?“ Loki schwieg für einen Moment. „Jotunheim.“ „Ernsthaft? Jotunheimen? Heißt das, Sie sind gebürtiger Norweger?“ Loki blinzelte. „Es gibt Frostriesen in Norwegen?“ „Was?“ „... was?“ „Staatsangehörigkeit?“ „Asgard.“ „Volkszugehörigkeit?“ „Jötunn“, sagte Loki im selben Moment, in dem Thor sagte: „Æsir.“ Die Brüder sahen sich an. „Loki, du hast Jahrtausende in Asgard gelebt. Du bist ebenso sehr Ase, wie ich.“ „Aber das ändert nicht, was ich bin.“ „Was du bist, ist mein Bruder. Deine Herkunft und die Farbe deiner Haut sind für mich nicht von Bedeutung. Das waren sie nie.“ „Entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber... besteht die Möglichkeit, dass Sie an Ihrem Geburtsort noch Familie haben?“, fragte die Sachbearbeiterin. Loki starrte Thor weiterhin an, während er erwiderte: „Keine, die nicht sofort versuchen wird, mich umzubringen, sobald ich auch nur einen Fuß auf ihr Land setze...“ „Grund Ihres Antrags?“ „Hela und Surtur haben unsere Heimat in eine galaktische Staubwolke verwandelt.“ „Ihre Flucht war also demnach politisch motiviert?“ „Ich weiß nicht. Wie würden Sie das Bedürfnis einer größenwahnsinnigen Gottheit bezeichnen, alles und jeden zu ermorden, der ihr über den Weg läuft?“ „... also ein klares ‚Ja‘.“ Die junge Frau tippte mehrere Minuten lang etwas in ihren Computer, bevor sie ihnen beiden schließlich zunickte. „Vielen Dank für Ihre Geduld; ich habe vorerst keine weiteren Fragen an Sie. Wir werden uns zeitnah bei Ihnen melden.“ „Das lief doch besser, als erwartet“, sagte Thor optimistisch, nachdem sie das Gebäude verlassen hatten und auf die kalten, verregneten Straßen von Oslo hinausgetreten waren. „Findest du nicht auch? Loki...?“ Er sah zu seinem Bruder hinüber, der die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben hatte. „Ich bin außer mir vor Freude“, erwiderte Loki missmutig. Als wäre ihre Situation nicht schon unerträglich genug, so hatten die Fragen der Sachbearbeiterin auch noch ein paar Erinnerungen geweckt, die er nicht umsonst vor langer Zeit begraben hatte. Thor blieb stehen und griff nach Lokis Hand. „Wir haben es bis hierher geschafft“, sagte er leise und zog ihn in seine Arme. „Wir werden auch alles andere überstehen.“ Loki schloss die Augen und hielt sich an Thor fest, seinem Fels in der Brandung all dieses Wahnsinns. Wie sein Bruder angesichts der Ereignisse so ruhig bleiben konnte, war ihm ein Rätsel, doch zum ersten Mal an diesem Tag ließ Lokis Anspannung nach und er gab sich ganz der Wärme und Sicherheit des anderen hin. „Ich wünschte, ich hätte deine Zuversicht, Bruder“, entgegnete er, während sich der Sturm über ihnen weiter zusammenbraute und die Wolken dunkler wurden. Thor grinste nur, wie er es immer tat, wenn er das Schicksal herausforderte, dann hob er seinen Arm und streckte die Hand gen Himmel. Blitze erhellten die schwarzen, regenschweren Wolken, als Thor mit den Elementen eins wurde. Im nächsten Augenblick lag die Straßenecke, an der sie eben noch gestanden hatten, wieder verlassen da. To -- „Herzlichen Glückwunsch, ihr habt es auf die Frontseite nahezu jedes bedeutenden Nachrichtenmagazins der Welt geschafft!“ Wie so oft in den letzten Tagen hielt sich Tony auch dieses Mal nicht lange mit Begrüßungen auf, sondern kam gleich zum Thema, kaum dass er den Thronsaal betreten hatte, wobei er mit der aktuellen Ausgabe des TIME-Magazins wedelte. Loki, der mit seinem Bruder in eine Unterhaltung vertieft gewesen war, verdrehte nur die Augen. „Türen, Stark“, kommentierte er. „Wir haben mittlerweile welche. Man kann sie zum Anklopfen verwenden, habe ich gehört.“ „Sieh an, es hat Humor“, entgegnete Tony, ohne ihn dabei auch nur eines Blickes zu würdigen, und wandte sich dann an Thor. „Seit der Sache in Wien haben die Medien ungeduldig auf das nächste Drama der ‚Supermenschen‘ gewartet; eure Ankunft auf der Erde war ein gefundenes Fressen für sie. Die ‚asgardische Diaspora‘, so haben sie euch getauft. Ich persönlich kann mich nicht entscheiden, ob es zynisch oder poetisch gemeint ist.“ Er hielt ihm das Magazin hin. Auf dem Titelbild sah man eine Luftaufnahme der asgardischen Siedlung. Daneben stand geschrieben: „Die Ankunft der Götter“. Thor warf einen flüchtigen Blick darauf, dann erhob sich von seinem Thron. Loki entging die Sorge und Erschöpfung auf dem Gesicht seines Bruders nicht, egal, wie sehr der andere versuchte, sie zu verbergen. Die letzte Woche hatte ihm Unmögliches abverlangt, hatte ihnen allen eine Menge abverlangt. Doch Thors Stimme war ruhig, als er Tony nach kurzem Schweigen antwortete: „Wir sind nicht hier, um Streit anzufangen oder Krieg gegen die Nationen Midgards zu führen. Alles, was wir wollen, ist in Frieden zu leben. Wir können uns selbst versorgen und wir brauchen keine Sonderbehandlung. Wir brauchen nur einen Ort, an dem Asgard – an dem sein Volk – weiter existieren kann.“ Tony seufzte und für einen Moment meinte Loki einen Ausdruck von Mitgefühl auf seinem Gesicht zu sehen. „Glaub mir, ich weiß, dass ihr nicht vorhabt, der Menschheit das Leben schwer zu machen“, entgegnete er. „Aber die Weltbevölkerung hat in der Vergangenheit eher schlechte Erfahrungen mit Leuten wie uns gemacht, ihr Misstrauen ist darum nachvollziehbar.“ „Was können wir dann tun?“, fragte Thor. „Wie können wir sie davon überzeugen, dass wir keine Gefahr darstellen?“ Tony lächelte schief. „Indem ihr zu denselben Mitteln greift, wie alle Freaks und Außenseiter“, erwiderte er, „und zwar Zeit, Geduld und Beharrlichkeit...“ 1362. Während Thor und Loki die Überlebenden in den letzten Tagen durch das Asylverfahren begleitet hatten, hatten sie die Gelegenheit genutzt, eine Volkszählung durchzuführen, und waren dabei auf insgesamt 1362 Personen gekommen, Kinder mit eingeschlossen. Es war die Bevölkerung einer Kleinstadt und mehr, als Thor zu hoffen gewagt hatte. – Und doch war es kein Vergleich zu den Zehntausenden, die Asgard vor der Zerstörung gezählt hatte. In Absprache mit der norwegischen Regierung war den Æsir vorerst die Erlaubnis erteilt worden, weiterhin in ihrer selbsterrichteten Stadt zu leben, fernab der Bevölkerung des Landes. „Aus den Augen, aus dem Sinn“, war Tonys trockener Kommentar gewesen, als er dies gehört hatte, und Thor musste zugeben, dass an seiner Aussage etwas dran war. Im Moment wurde ihre Anwesenheit von Norwegen zwar toleriert, doch sie unterschieden sich zu grundsätzlich von den Bewohnern dieser Welt, als dass sie jemals zu einem Volk zusammenwachsen würden. Die Tourismusbranche störte das allerdings überhaupt nicht. Bereits in den ersten paar Tagen, nachdem die Neuigkeiten über ihre Ankunft sich auf Midgard verbreitet hatten, war die Anzahl an Besuchern rapide angestiegen. Kaum eine Woche, nachdem die Überlebenden das Raumschiff verlassen hatten, quälten sich die ersten Reisebusse die schmalen Küstenstraßen entlang und parkten in sicherem Abstand zur Siedlung, damit die sich an Bord befindlichen Touristen Selfies mit den Göttern machen konnten. Noch wagte es keiner von ihnen, die Stadt zu betreten, doch Thor zweifelte nicht daran, dass sich dies bald ändern würde. Die größten Schwächen der Menschheit waren schließlich schon immer ihre Neugier und ihr Forscherdrang gewesen. Nach einer Ratssitzung mit Loki, Heimdall, sowie den überlebenden Ältesten der Æsir beschloss Thor deshalb, ausgewählten Individuen den Zutritt zur Stadt zu erlauben. Dazu zählten neben Tony Stark die Vertreter der norwegischen Regierung, Abgesandte der Vereinten Nationen, Journalisten, sowie Mitglieder diverser Hilfsorganisationen, die sich um die bei der Zerstörung Asgards verletzten Bewohner der Stadt kümmerten und medizinische Hilfe leisteten. „Sieh sie dir an“, sagte Loki am Abend nach der Ratssitzung, während sie auf einem der Balkone des Palastes standen und auf die belebten Straßen der Siedlung hinabsahen. „Jeder von ihnen hat Freunde oder Familie verloren, hat mitansehen müssen, wie seine Heimat zerstört wurde... und doch schlägt das Herz von Asgard weiter.“ Seine Stimme war leise und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von Erstaunen, als konnte er selbst nicht so recht glauben, wie widerstandsfähig das Volk war, für das er sein Leben riskiert hatte. Thor musste lächeln. „Es schlägt deinetwegen, Bruder“, entgegnete er und legte Loki eine Hand auf die Schulter. „Ohne deine Hilfe wäre keiner von uns am Leben.“ „Du weißt, dass das nicht stimmt.“ Loki senkte den Blick, einen bitteren Zug um den Mund. „Ohne mich wäre Asgard nicht so geschwächt gewesen. Ohne mich wäre Odin nicht dahingesiecht und Hela durch sein Ableben nicht aus ihrem Kerker befreit worden. Ohne mich-“ „Ohne dich wären all diese Dinge trotzdem passiert“, unterbrach Thor ihn sanft und zog ihn in seine Arme. „Geh nicht so hart mit dir ins Gericht, Loki. Glaub mir, Asgards Niedergang begann schon lange vor deiner Thronübernahme. Wir haben unser Mitgefühl schon vor langer Zeit begraben und uns wie Könige aufgeführt – haben hochmütig auf die anderen Welten herabgesehen und jede Rebellion, die unsere Vormachtstellung über die Neun Welten bedroht hat, mit Gewalt niedergeschlagen... Es war schlicht und einfach unsere Arroganz, die uns an diesen Punkt geführt hat.“ Loki lachte leise an seiner Schulter. „Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals Worte wie diese aus deinem Mund hören würde“, erwiderte er mit gedämpfter Stimme. Thor lächelte schwach. „Meine Reisen durch die Neun Welten haben mir eine andere Perspektive verschafft. Jedes Mal, wenn ich nach Asgard zurückgekehrt bin, konnte ich ein wenig besser verstehen, wieso viele es nicht als das perfekte Idyll betrachtet haben, für das wir es immer gehalten haben... und wieso du es dort kaum ausgehalten hast.“ „Verständnis für mich? Auf deine alten Tage?“ Loki schnaubte leise. „Ich bin entsetzt.“ Thor seufzte. „Loki... ich meine es ernst.“ „Ich weiß.“ Sein Bruder hob den Kopf und nahm sein Gesicht in die Hände. „Du warst schon immer ehrlicher zu mir, als gut für dich war.“ Er presste einen kurzen Kuss auf Thors Lippen, dann ließ er ihn wieder los und griff stattdessen nach seiner Hand. „Komm schon“, sagte er und hob suggestiv eine Augenbraue. „Ich hätte da ein paar Ideen, wie ich dich für deine schmeichelhaften Worte belohnen kann...“ Thor grinste nur und ließ sich widerstandslos von Loki ins Zimmer ziehen. Der Abend war schließlich noch jung. „Bevor wir mit dem Interview anfangen, Herr... Thor? Kann ich Sie so nennen?“ „Thor reicht völlig.“ „In Ordnung. Bevor wir also beginnen, möchte ich mich für Ihre Zeit bedanken – und dafür, dass Sie mir die Gelegenheit geben, dieses Interview zu führen.“ „Gern geschehen. Ich weiß, dass die Welt viele Fragen an uns hat, und hoffe, dass ich auf diesem Wege ein paar davon beantworten kann.“ „Dann wollen wir uns nicht lange mit den Formalitäten aufhalten. – Die Welt hat Sie bisher nur als Thor, den Avenger, kennengelernt, jetzt erlebt sie zum ersten Mal Thor, den König. Als welchen der beiden würden Sie sich selbst bezeichnen?“ „Ich bin, was immer ich sein muss, um mein Volk zu beschützen. Und nach dem Tod meines Vaters ist das König von Asgard.“ „Ihr Vater war... Odin?“ „Das ist korrekt.“ „Ich weiß, dass dies ein persönliches Thema für Sie ist, aber... wie kann eine Gottheit wie Odin sterben?“ „Mein Vater war bereits Äonen alt, älter, als jede Zivilisation dieses Planeten... seine Zeit war einfach gekommen, zu den Sternen zurückzukehren, wie wir es alle eines Tages tun.“ „Ich verstehe. Und Sie traten seine Nachfolge an?“ „Nicht sofort. Genau genommen war es Hela, meine ältere Schwester, die in der Rangfolge als nächstes kam.“ „Hela, wie in ‚Hela, die Göttin des Todes‘?“ „Eben diese.“ „... ich verstehe.“ „Sie riss den Thron an sich, ohne Respekt für unsere Traditionen zu zeigen, und erweckte den Fenriswolf und eine Armee untoter Krieger zum Leben, um all jene zu vernichten, die sich ihr entgegenstellten.“ „... okay...“ „Die einzige Möglichkeit, sie zu besiegen, bestand darin, Surtur zum Leben zu erwecken und Ragnarök einzuleiten.“ „... oookay...?“ „In dem Kampf der beiden gegeneinander zerstörten sie sich schließlich gegenseitig – und Asgard mit dazu. Dadurch fiel dann auch der Thron an mich.“ „...“ „Aber ich möchte Sie nicht mit den Details langweilen.“ „Langeweile ist nicht das Wort, das ich verwendet hätte. ... Jetzt, da Sie König sind – wie wird es für Sie weitergehen?“ „Das hängt davon ab, ob Norwegen unserem Asylgesuch stattgeben wird oder nicht. Die Krone ist für mich nicht so wichtig wie die Tatsache, dass es den Überlebenden meines Volkes gut geht.“ „Ich verstehe. Doch was werden Sie tun, wenn Sie abgelehnt werden...?“ Stille. Dann: „Das wissen wir selbst noch nicht so genau.“ Loki war nicht blind. Er sah die Blicke, die die Menschen ihm zuwarfen, wann immer er sich öffentlich zeigte. Selbst, wenn er dabei an Thors Seite war, verschwand das Misstrauen nie gänzlich aus ihren Gesichtern. Es war zu erwarten nach dem, was damals in New York vorgefallen war, und doch hatte ein Teil von Loki gehofft, dass die Menschen seine Verbrechen mittlerweile vergessen hatten. Doch trotz ihrer Kurzlebigkeit vergaß die Menschheit nicht so schnell. Und sie vergab noch viel weniger. „Ich habe ein paar gute und ein paar, äh, weniger gute Neuigkeiten“, sagte Tony zwei Tage später. „Welche davon wollt ihr zuerst hören?“ Er hatte ein paar Flaschen Met mitgebracht und selbst Loki war nicht erbarmungslos genug, ihn bei einem solchen Friedensangebot rauszuschmeißen, weshalb sie nun zu dritt im Speisesaal saßen, jeder von ihnen mit einem Kelch in der Hand. „Spuck es einfach aus, Stark“, seufzte Loki. Tony beugte sich vor und stellte seinen Kelch auf den Tisch. Es war bereits sein zweiter Besuch ohne Rüstung in der asgardischen Siedlung, was nur bedeuten konnte, dass er Loki mittlerweile ein gewisses Grundvertrauen entgegenbrachte. Wie sich die Zeiten doch geändert hatten. „Norwegen wird heute oder morgen endlich eine Entscheidung treffen, was euren Fall angeht“, sagte er. „Und ich habe gehört, dass die Chancen gut stehen, dass ihr bleiben könnt. Was – zugegeben – hauptsächlich daran liegt, dass alle anderen Nationen euch nicht wollen und so lange Druck auf die norwegische Regierung ausgeübt haben, dass sie nicht anders konnte, als ja zu sagen.“ Loki hob eine Augenbraue. „Was das die gute oder die weniger gute Nachricht?“ Tonys Mundwinkel zuckte. „Die gute.“ „Dann sollten wir uns dringend noch mal über die Definition von ‚gut‘ unterhalten...“, meinte Loki. Doch Thor – Diplomat, der er war – legte seinem Bruder nur eine Hand auf die Schulter. „Es ist eine gute Nachricht, Loki. Oder hast du ernsthaft geglaubt, dass dies eine leichte Entscheidung für die Menschheit sein würde?“ Loki knirschte mit den Zähnen, aber er behielt seine Gedanken für sich. Für seinen Bruder war jeder noch so kleine Schritt ein Sieg, es hatte darum keinen Sinn, mit ihm darüber zu streiten. „Was ist die zweite Nachricht, Stark?“, fragte Thor dann und sah Tony aufmerksam an. Der andere Mann richtete seinen Blick wortlos auf Loki und nahm einen großen Schluck von seinem Met. Und Loki begriff plötzlich. „Ich“, sagte er leise. „Sie wollen, dass ich gehe.“ „Zuerst einmal wollen die Vereinten Nationen mit dir reden“, stellte Tony klar und warf einen Blick auf seine Uhr. „Und zwar in etwa, uh, zehn Minuten.“ Die Brüder warfen sich einen überraschten Blick zu. Loki fühlte sich mit einem Mal verraten. „Ist das der Grund, weshalb du heute so ungewöhnlich freundlich bist, Stark?“, fragte er kühl und erhob sich von seinem Sitz. „Hast du gehofft, dass ich dieser Hexenjagd zustimmen würde, sobald du mich erst mit deinem Wein und deinen Worten eingelullt hast?“ Tony stieß ein amüsiertes Schnauben aus. „Ich bitte dich, sehe ich aus wie ein Narr? Du magst nicht das hellste Licht am Himmel sein, aber selbst mir ist klar, dass ich dich nicht einfach so hereinlegen kann.“ „Stark...!“, sagte Thor leise, aber mit einer deutlichen Warnung in der Stimme. Tony sah ihn jedoch nicht an. „Tut mir leid, Thor, aber diese Sache muss dein Bruder persönlich mit der Menschheit klären.“ „Ich werde niemals freiwillig mit dir gehen!“, zischte Loki. Tony grinste. „Weißt du, ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest. Darum war ich so frei, noch jemanden mitzubringen.“ Er sah über die Schulter und rief: „Doctor?“ Im nächsten Augenblick öffnete sich in einem Funkenregen ein Portal hinter ihm, und ein hochgewachsener Mann mit langem Cape trat in den Raum. „Man sagte mir, ihr würdet euch bereits kennen...“, fuhr Tony im Plauderton fort. Loki starrte den Fremden an und seine Augen weiteten sich, als er ihn erkannte. „Oh nein!“, rief er. „Auf keinen Fall! Du bist derjenige, dem wir damals in New York begegnet sind – der, dem ich eine sehr unangenehme halbe Stunde im freien Fall zu verdanken habe! Halt dich bloß fern!“ „Keine Sorge“, sagte Doctor Strange mit tiefer, gelassener Stimme. „Ich verspreche, dass du dieses Mal nicht ganz so lange fallen wirst.“ Loki hob die Arme und Dolche materialisierten sich in seinen Händen. „Wage es ja ni-!“ Weiter kam er nicht, denn plötzlich öffnete sich ein Portal unter ihm und im nächsten Moment hatte ihn der Boden verschluckt. Einen Sekundenbruchteil später landete er auch schon wieder auf... einem weich gepolsterten Stuhl? Loki schlug die Augen auf. Hunderte von Augenpaaren erwiderten seinen Blick. Er saß allein im Zentrum eines großen Raumes, in dem die Vertreter sämtlicher Nationen versammelt waren und auf ihn hinabsahen. Instinktiv sah Loki sich nach einem Fluchtweg um, als sich neben ihm ein Portal öffnete und Tony Stark hindurchtrat, gefolgt von Strange. „Versuche es besser gar nicht erst“, sagte Tony leise, als würde er Lokis Gedanken lesen. „Was du auch tust, du wirst immer wieder hier landen. So lange, bis du ihre Fragen beantwortet hast.“ Ein blonder Mann erhob sich in den Rängen über ihnen. „Willkommen bei den Vereinten Nationen“, sprach er. Seine Stimme hatte einen leichten Akzent, und Loki erkannte an dem Schild an seinem Platz, dass es sich bei ihm um den Vertreter Norwegens handelte. „Ihr Name ist Loki Odinson, ist das korrekt?“ Loki starrte ihn einen Moment lang an, dann nickte er kurz. „Gut“, fuhr der Mann fort. „Mister Odinson, die Nationen dieser Welt haben ein paar Fragen an Sie – zum einen zum Schicksal von Asgard, und zum anderen zu den Ereignissen, die sich vor sechs Jahren hier in New York City zugetragen haben...“ Loki atmete tief durch, während der Mann seinen Monolog vortrug. Das konnte ja heiter werden. Dunkelheit hatte sich über das Land gesenkt. Die Fifth Avenue war noch immer hell erleuchtet, doch die Lampen im Central Park waren zu so später Stunde gedimmt und unter den Bäumen waren die Schatten so dicht, dass man seine eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte. Loki saß auf einer Parkbank, als Thor ihn fand und sich neben ihn setzte. Für eine Weile herrschte Schweigen, als die Brüder in die Dunkelheit hinaussahen. Schließlich durchbrach Lokis leise Stimme die Stille. „Sie haben mir eine Wahl gegeben“, sagte er, „soweit man es als Wahl bezeichnen kann...“ Thor sah ihn an. Er sprach jedoch kein Wort, sondern wartete, bis sein Bruder von sich aus fortfuhr. Loki sah auf seine zusammengefalteten Hände herab. „Eine neue Heimat für Asgard, wenn ich gehe...“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Raunen. „Oder die Ausweisung und Verfolgung unseres Volkes, wenn ich bleibe.“ Thor legte seine Hand auf Lokis verschränkte Finger. „Wie lange?“, fragte er leise. „24 Stunden“, entgegnete Loki. „Dann wollen sie meine Entscheidung hören.“ „Aber du hast dich bereits entschieden“, sagte Thor. Es war keine Frage, sondern eine nüchterne Feststellung. „Wie ich schon sagte: es ist keine wirkliche Wahl“, erwiderte Loki. „Wie könnte ich mein Leben über das der Æsir stellen? Nach allem, was vorgefallen ist...?“ „Loki...“ Thor legte einen Arm um ihn und küsste ihn auf die Schläfe. „Wir werden eine Lösung finden, das verspreche ich dir“, sagte er. Loki schenkte ihm nur ein schwaches Lächeln. „Oh, du närrischer Mann“, entgegnete er. „Du weißt ebenso gut wie ich, dass das eine Lüge ist. Aber ich danke dir dafür, dass du die Hoffnung nicht einfach aufgibst...“ Thor küsste ihn erneut, dieses Mal jedoch auf die Lippen, und Loki schloss die Augen und genoss die Wärme und Sicherheit, die der andere ihm gab. Für eine Weile küssten sie sich, ohne sich auch nur für einen Moment loszulassen, als wäre es das letzte Mal. „Mein Gott, nehmt euch gefälligst ein Zimmer“, hörten sie plötzlich eine fremde Stimme rufen, und als Loki die Augen öffnete, sah er die Gestalt eines Joggers, der kopfschüttelnd in der Dunkelheit verschwand. Er leckte sich die Lippen, während Thor ihm nur ein Lächeln schenkte. „Er hat nicht Unrecht, Bruder“, murmelte er, den Kopf an Lokis Stirn gelehnt. „Ich habe gehört, die Zimmer im neuen Palast des Königs von Asgard sollen sehr einladend sein...“ Loki verdrehte nur die Augen, dann stand er auf und zog Thor mit sich auf die Beine. „Hör auf zu reden und bring uns nach Hause“, entgegnete er. Thor lachte nur, dann kam er Lokis Wunsch nach. „Ich will nicht gehen“, wisperte Loki, als Thor ihn in dieser Nacht in den Armen hielt, die Stirn an Lokis Schulter gepresst, während er sich tief in ihm bewegte. „Ich will das hier nicht aufgeben müssen...“ ... ich will dich nicht aufgeben müssen. Sie wussten beide, dass es das war, was er hatte sagen wollen, auch wenn er die Worte niemals über die Lippen bringen würde. Anstatt ihm eine Antwort zu geben, hielt Thor nur inne und hob den Kopf, um Lokis schweißnassen Hals zu küssen, sein Kinn, seine Wangen... um die Tränen fortzuküssen, die in seinen Augenwinkeln brannten. Die Türen ihres Balkons waren weit geöffnet und über der Stadt grollte der Donner. Doch obwohl eiskalte Luft in das Zimmer drang, hatte Loki das Gefühl, von innen heraus zu verbrennen. „Du bist alles, was mir geblieben ist“, fuhr er fort, weil es die Wahrheit war, und schloss die Augen, als Thors Lippen die seinen fanden. Er hatte gerade erst seinen Platz in dieser Welt – und an der Seite seines Bruders – gefunden, und nun würde er all das wieder verlieren...? Es war nicht fair. „Sie werden dich nicht bekommen“, versprach Thor und schmiegte das Gesicht an Lokis Hals, bevor seine Hüften ihre Bewegungen wieder aufnahmen. „Ich werde es nicht zulassen...!“ „Sie werden dir keine Wahl lassen“, stieß Loki hervor und kämmte mit den Fingern sanft durch Thors kurzgeschorene Haare. „Wie sie mir keine Wahl gelassen haben...“ „Wir werden sehen“, sagte der andere nur und Loki legte mit einem Stöhnen den Kopf in den Nacken, als Thor einen Punkt in ihm berührte, der seinen Körper vor Lust erschauern ließ. Er konnte seinen Bruder so tief in sich spüren, als wäre dies das letzte Mal, als wollte Thor endgültig ein Teil von ihm werden. Und auf gewisse Weise war er das auch... und war es schon immer gewesen. Thor gehörte Loki, und Loki gehörte Thor. Was auch immer geschah, dies war die einzige Konstante in ihrer jahrtausendelangen Existenz – die einzige Wahrheit, die keiner von ihnen je würde leugnen können. „Thor...“, flüsterte Loki und schlang die Arme um ihn, während er seinen Namen wie ein Mantra wiederholte. „Thor...!“ „Ich weiß“, raunte sein Bruder und sein verbliebenes Auge sah ihn mit einer fiebrigen Intensität an, als wollte er sich jedes Detail seines Körpers einprägen. „Ich dich auch, Loki.“ Dann kehrte wieder Stille ein und das einzige, was zu hören war, war ihr leises Keuchen und das Geräusch ihrer Körper, die sich gegeneinander bewegten. Also Loki schließlich zum Höhepunkt kam, war es lautlos und befreiend. Fast wie sterben, dachte er, bevor er erschöpft die Augen schloss. Als die ersten Regentropfen fielen, war er schon längst eingeschlafen. Tre --- Die Wolken über dem Palast waren grau und regenschwer. Loki schlief noch immer tief und fest an seiner Seite, als Thor am nächsten Morgen erwachte. Für eine Weile blieb er still liegen und betrachtete das schlafende Gesicht seines Bruders, wie es für ihn zur Gewohnheit geworden war, seitdem sie ihre Beziehung neu begonnen hatten. Loki war blasser als sonst und sein Gesicht wirkte selbst im Schlaf angespannt, fast als würde er spüren, dass dies das letzte Mal war, dass sie beide das Bett miteinander teilten. Der Gedanke, seinen Bruder bald wieder zu verlieren, erschien Thor nach wie vor unwirklich. Und doch konnte er die Entscheidung der Nationen der Welt, Loki von der Erde zu verbannen, nur zu gut nachvollziehen. Vor einigen Jahren wäre auch Thor selbst noch der Meinung gewesen, dass es das Beste für Midgard sein würde, wenn sein Bruder so weit wie möglich von dieser Welt entfernt war. Doch seitdem hatte sich vieles verändert, nicht zuletzt Loki selbst. Und auch, wenn er niemals für die Dinge, die damals vorgefallen waren, Reue zeigen würde, so war er doch auch nicht mehr dieselbe Person, die vor sechs Jahren all diese Zerstörung angerichtet hatte. Die Wut, die ihn damals angetrieben hatte, existierte nicht länger, und jene, an denen er hatte Rache üben wollen, lebten nicht mehr. Du bist alles, was mir geblieben ist. Einmal mehr wurde Thor bewusst, wie viel Wahrheit hinter diesen Worten steckte. Er war derjenige, der Loki Halt gab in einem Universum, das ihm alles genommen hatte. Was würde nun aus seinem Bruder werden, wenn er auch diesen letzten Anker verlor...? Ein Klopfen an der Tür ließ Thor aufblicken. Er zog sanft die Decke über Lokis Schulter, dann stand er auf und zog sich rasch an. „Ihr habt einen Besucher“, sagte die Walküre, als er einen Moment später auf den Gang hinaustrat. Sofort verfinsterte sich Thors Gesicht. „Stark ist hier nicht länger willkommen“, entgegnete er ungehalten. Nicht nach dem, was am Abend zuvor passiert war. Sein Verstand sagte ihm zwar, dass Tony Stark nicht direkt für die Entscheidung der Vereinten Nationen in Bezug auf Loki verantwortlich war – doch er war derjenige, der ihnen seinen Bruder ausgeliefert hatte, und Thor vergab einen Verrat wie diesen nicht so schnell. „Es ist nicht Stark“, erwiderte die Walküre jedoch nur. „Er sagte, er wäre ein König wie Ihr und möchte mit Euch sprechen, von Herrscher zu Herrscher. Er meinte außerdem, er hätte vielleicht eine Lösung für das... Problem mit Eurem Bruder.“ Mit diesen Worten wandte sie sich ab und ging. Thor starrte ihr nach. Konnten die Götter des Schicksals sein Flehen tatsächlich erhört und ihm die Antwort geschickt haben, auf die er gehofft hatte...? Thor setzte sich in Bewegung, fest entschlossen, es herauszufinden. Als Loki eine halbe Stunde später gähnend und mit ungekämmten Haaren auf der Suche nach seinem Bruder in den Thronsaal trat, war er überrascht, eine weitere Person dort vorzufinden. Der dunkelhäutige, junge Mann, der Thor an der langen Tafel gegenübersaß, erwiderte seinen verwirrten Blick aus warmen, braunen Augen. Er trug schlichte, dunkle Roben und um den Hals eine silberne Kette – und er kam Loki seltsam bekannt vor. Es sollte nicht lange dauern, bis ihm wieder einfiel, wo er ihn schon mal gesehen hatte. „Loki“, begann Thor und sah zu ihrem Besucher hinüber, „darf ich vorstellen? Dies ist-“ „König T’Challa von Wakanda“, unterbrach Loki seinen Bruder. „Ich erinnere mich.“ T’Challa war eines der wenigen Staatsoberhäupter, deren Gesichter sich ihm während der mehrstündigen Befragung durch die Vereinten Nationen am Abend zuvor eingeprägt hatten. Und das nur wegen einer einzigen Frage, die die restlichen Nationen als irrelevant empfunden hatten, die Loki jedoch für einen Moment völlig aus dem Konzept gebracht hatte... „Hatte die Beziehung zu Eurem Bruder Einfluss auf Eure Entscheidung, Asgard in seiner dunkelsten Stunde beizustehen?“ Loki hatte den jungen Mann in den Rängen über ihm für eine Weile angestarrt, während er nach den richtigen Worten gesucht hatte. Schließlich hatte er erwiderte: „Thor glaubte an mich, als jeder andere schon längst die Hoffnung aufgegeben hatte. Er ist nicht der Grund, weshalb ich Asgard half – doch er hat mich daran erinnert, wieso es die Mühe wert ist.“ Mehr hatte er zu dem Thema nicht sagen wollen, doch T’Challa hatte nur genickt und sich wieder zurückgelehnt, offenbar zufrieden mit seiner Antwort... Lokis Augen verengten sich misstrauisch, als er ihn nun ansah. „Was wollt Ihr hier?“, fragte er ohne große Umschweife. Thor warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Sei nicht unhöflich, Loki.“ „Schon gut“, sagte T’Challa und schenkte den Brüdern ein kleines Lächeln. „Ich bin mir darüber im Klaren, dass dies eine schwierige Zeit ist. Ich möchte mich darum so kurz wie möglich fassen.“ Er erhob sich von seinem Platz. „Es gibt eine Möglichkeit, wie Euer Volk hier bleiben kann, ohne dass Ihr, Prinz Loki, die Erde verlassen müsst“, erklärte er. Loki verschränkte die Arme vor der Brust. „Tatsächlich. Und wie stellt Ihr Euch das vor?“ T’Challas Mundwinkel zuckten. „Indem Ihr von hier ‚verschwindet‘“, sagte er. „Oder zumindest die Nationen dieser Welt in dem Glauben lasst, dass Ihr den Planeten wieder verlassen habt.“ Loki schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich“, meinte er. „Wir verfügen schlichtweg nicht über die Magie, die nötig wäre, um eine Illusion von solch einem Umfang aufrechtzuerhalten. Sonst wäre es das erste gewesen, was wir nach unserer Ankunft auf Midgard getan hätten.“ „Ich spreche nicht von Magie“, erwiderte T’Challa, wieder mit diesem kleinen Lächeln auf den Lippen, als wüsste er etwas, was Loki nicht wusste. Es machte ihn langsam wahnsinnig. „Wakanda hat die Technologie, es möglich zu machen.“ Loki warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu. „Er hat Recht“, bestätigte Thor. „Das Gefährt, in dem er hergekommen ist, ist der beste Beweis für das, was er sagt. Ihre Technologie ist wirklich beeindruckend, Bruder. Wir sollten es zumindest in Betracht ziehen.“ Loki zögerte für einen Moment. Schließlich nickte er kurz. „Na schön“, sagte er. „Zeigt uns, wozu Ihr fähig seid. – Doch zuvor habe ich noch eine Frage an Euch...“ „Gewiss.“ T’Challa sah ihn aufmerksam an. „Warum?“, fragte Loki. „Warum tut Ihr das für uns? Es bringt Euch keine Vorteile, uns hier zu haben, ganz im Gegenteil. Wir sind nur eine weitere Interessengruppe, die Eure Regierungen fürchten. Warum also Euer Angebot...?“ T’Challa musterte ihn nachdenklich und es dauerte eine ganze Weile, bis er ihm eine Antwort gab. „Weil ich – und jeder Mann und jede Frau in meinem Volk – weiß, wie es sich anfühlt, der Außenseiter zu sein, der nirgendwo wirklich hineinpasst. Weil ich weiß, wie wichtig es ist, einen geschützten Ort zu haben, an dem wir uns frei entfalten können, verborgen vor den Augen der Welt.“ Seine Stimme wurde leiser. „Und weil ich vor kurzem jemanden verloren habe, ein entferntes Mitglied meiner Familie... und mich seitdem oft gefragt habe, wie sein Leben ausgesehen hätte, wäre seine Familie für ihn da gewesen, so wie sie es für mich gewesen ist.“ Er sah Loki offen in die Augen. „Bei Eurer Antwort auf meine Frage gestern musste ich an ihn denken, und mir wurde klar, dass Ihr nur dann weiterhin Großes vollbringen werdet, wenn Ihr bei Eurem Volk – und Eurem Bruder – bleibt.“ Sein Blick wanderte zu Thor hinüber. „Denn bei allen Plänen, die die Vereinten Nationen für Euch hatten, haben sie kein einziges Mal die Wichtigkeit der Familie für Euch bedacht, Prinz Loki... oder die Tatsache, dass es vielleicht gerade sie ist, die Euch Halt gibt.“ Die Brüder tauschten einen langen Blick. Du bist alles, was mir geblieben ist. T’Challa hatte mit seiner Beobachtung, ob bewusst oder unbewusst, den Nagel auf den Kopf getroffen. Thor brauchte Loki, und Loki... was war Loki ohne Thor? Bis zu diesem Moment hatte er geglaubt, dass er eine Entscheidung treffen musste. Nun hatte T’Challa die Entscheidung gänzlich aus der Gleichung gestrichen. Thor grinste plötzlich, als hätte er die Gedanken seines Bruders gelesen, und erhob sich mit neuem Elan von seinem Sitz. „Dann sollten wir wohl nicht länger warten, sondern uns an die Arbeit machen“, sagte er. „Uns bleiben nur noch vierzehn Stunden, bis die Vereinten Nationen Lokis Antwort hören wollen.“ T’Challa lächelte. „Das sollte reichen.“ „Was soll das heißen, sie sind weg?“, fragte Tony stirnrunzelnd, während sein Jet Kurs auf Norwegen nahm. Er war die Strecke in den letzten Wochen schon so oft geflogen, dass er den Weg dorthin auch ohne Autopilot und mit geschlossenen Augen hätte finden können. „Wie kann eine komplette Siedlung von einem Moment zum anderen plötzlich verschwinden?“ „Es ist so, wie ich es Ihnen bereits gesagt habe, Mister Stark“, ertönte die hilflose Stimme des norwegischen Vertreters in der Leitung. „Eben waren sie noch da, und im nächsten Augenblick waren sie auf einmal weg.“ „Und ihr Raumschiff?“ „Sie haben alles mitgenommen. Das Raumschiff, die Siedlung... und ungefähr ein Achtel der Landmasse der Insel.“ Tony fluchte leise und beschleunigte den Jet. Er hätte wissen müssen, dass Thor niemals klein beigeben würde. Dafür war Lokis Einfluss auf ihn einfach zu groß. Verdammte Götter und ihr verdammtes Shakespeare-Drama...! Als er sein Ziel schließlich erreicht hatte, sah er sofort, wovon der Mann gesprochen hatte. Ein gewaltiger Krater von mehreren Kilometern Durchmesser prangte an der Stelle, an der sich die asgardische Siedlung und die umliegenden Fjorde befunden hatten. Das Meer war in den letzten Stunden bereits in die neu entstandene Bucht eingedrungen und mittlerweile tummelten sich dort mehrere Lachsschwärme und ein paar verwirrte Buckelwale. Während der Jet über den Krater hinwegflog, erblickte Tony eine vertraute Gestalt mit wehendem Cape, die am Rand des Abgrunds stand und auf die Bucht hinausblickte. Er ließ den Jet weiter über dem Krater kreisen und flog mit der Rüstung zu dem Mann hinunter, der ihm gelassen entgegensah. „Wo sind sie, Strange?“, fragte Tony, kaum, dass er neben dem anderen gelandet war. „Sie können doch nicht einfach spurlos verschwunden sein!“ „Wie auch immer sie es getan haben, sie haben dabei keine Magie verwendet“, entgegnete Doctor Strange. „Ich würde es sonst spüren.“ „Das heißt, wir haben keine Möglichkeit, sie wiederzufinden“, stellte Tony fest und rieb sich über das Gesicht. „Wie um alles in der Welt soll ich das den Vereinten Nationen erklären...?“ Der andere Mann sah ihn mit stiller Belustigung an. „Ich bin mir sicher, Sie finden eine Lösung, Stark.“ Dann sah er nach Nordwesten auf den Atlantik hinaus, über dem sich dunkel die Wolken auftürmten. „Ich habe allerdings eine Vermutung, wo sie sein könnten...“ „Glaubst du, wir haben sie abgehängt?“, fragte Loki, während er von der Klippe auf den Ozean tief unter ihnen hinabblickte. Die gigantische Landmasse, auf der sich die Stadt der Æsir befand, schwebte einen halben Kilometer über dem Meer in Richtung Süden, in der Luft gehalten von der erstaunlichen Technologie Wakandas, deren Vibranium-Triebwerke die Stadt mit Leichtigkeit in den Himmel emporgehoben hatten. Aus der Ferne war die schwebende Insel komplett unsichtbar, getarnt durch eine riesige, holografische Kuppel, die sie vor neugierigen Augen verbarg. „Ich denke, bis sie gemerkt haben, dass das Gewitter über dem Nordatlantik nur eine falsche Fährte ist, dürften wir längst außer Reichweite sein“, entgegnete Thor zufrieden. Dann wandte er sich an T’Challa. „Ich danke Euch, Eure Hoheit“, sagte er mit ernster Stimme. „Durch Eure Hilfe bleibt Asgard weiterhin bestehen – ebenso wie meine Familie.“ Er griff nach der Hand seines Bruders, der seine Finger unbewusst mit denen von Thor verschränkte... bevor ihm klar wurde, was er tat, und ihn mit finsterer Miene sofort wieder losließ. T’Challa, dem die Geste nicht entgangen war, lächelte jedoch nur. „Es war mir eine Ehre“, erwiderte er. Dann hob er den Blick und sah zu der Stadt hinüber. „Ich bin zuversichtlich, dass dies nicht unsere letzte Begegnung war.“ „Wir werden für Euch da sein, wann immer Ihr uns braucht“, versprach Thor. „Wir stehen in Eurer Schuld.“ „Dann lasst uns hoffen, dass Ihr Euer Versprechen nicht allzu schnell einlösen müsst“, sagte T’Challa leise. „Bis dahin wünsche ich Euch und Eurem Volk alles Gute.“ Sie nickten einander zu, von Krieger zu Krieger. Dann wandte T’Challa sich ab, um in den Jet zu steigen, mit dem er am Morgen gekommen war. Kaum war er in der Ferne verschwunden, griff Loki erneut nach Thors Hand – dieses Mal jedoch, ohne sie wieder loszulassen. Thor lächelte, dann wandte er sich seinem Bruder zu und küsste ihn. „Vielleicht habe ich mich geirrt“, gab Loki widerwillig zu, als sie sich wieder voneinander lösten. „Vielleicht ist dieser Planet doch nicht so schlecht.“ Thor strahlte. „Du glaubst gar nicht, wie lange ich darauf gewartet habe, dass du das sagst, Bruder“, erwiderte er. Loki verdrehte die Augen und wandte sich ab. „Du bist unverbesserlich, Thor. Unverbesserlich.“ Thor lachte nur. Dann kehrten sie gemeinsam zur Stadt zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)