Das Volk aus den Bergen von Futuhiro (Magister Magicae 4) ================================================================================ Kapitel 2: alte Bekannte ------------------------ einige Jahre zuvor, Japan Loriel saß zufrieden in seiner üblichen Kneipe, wie immer am Tresen, und trank ein Bier. Zwei Wochen. Nur noch zwei Wochen, dann war es soweit. Er freute sich jetzt schon riesig darauf. Das würde ein cooles Leben werden. „Hörst du mir überhaupt zu?“ „Was?“ Loriel sah auf und schaute den Wirt, einen kleinen, drahtigen Endsechziger, fragend an. „Herrgott, Lori, was ist denn heute los mit dir?“, wiederholte der Wirt geduldig, stellte das Glas weg, das er gerade trockenpoliert hatte, und warf sich das Tuch dann über die Schulter. Sie kannten sich schon seit Jahren. Loriel war schließlich Stammkunde und saß fast jeden Abend hier. „Wie lange du noch bleiben willst, hab ich gefragt.“ Er deutete vielsagend in die Runde. Loriel drehte den Kopf und ließ den Blick durch die Kneipe schweifen. Erst jetzt merkte er, daß abgesehen vom Radio alles totenstill war. Keine Menschenseele mehr hier. „Oh, bin ich der Letzte?“ „Schon seit einer ganzen Weile. Ich würde für heute gern schließen, wenn du nicht noch ein Bier trinken willst“, gab Shoji zurück. „Tut mir leid, ich war total in Gedanken“, grinste Loriel, trank den Rest aus seinem Glas leer und wischte sich dann das Bier vom Schnauzbart. Dieser dunkelgraue Schnauzer und der ungepflegte Dreitage-Bart ringsherum ließen ihn alt und etwas heruntergekommen aussehen. Der runde Bierbauch und die Tätowierungen auf seinen Armen taten ihr Übriges. Da Loriel gerade nur in offener Lederweste da saß, konnte man beides sehr schön bewundern. Ein ranziger, alter Sack eben. „Müssen ja fesselnde Gedanken gewesen sein“, brummte der Wirt, der trotz seines Alters so ziemlich das Gegenteil von Loriel war. Der Gast grinste. „Wundervolle Gedanken!“ „Na, dann lass mich mal dran teilhaben“, kam als Vorschlag zurück, zusammen mit einer neuen Flasche Bier. Dann schnappte sich Shoji auch selber noch ein Glas und eine Schnapsflasche aus dem Regal hinter dem Tresen, kam herum und setzte sich neben ihn. Waren ja sonst keine anderen Gäste mehr hier, die er bedienen musste. Also konnte er auch an der Bar sitzen und mit seinem Kumpel quatschen. Einen Moment hörten sie beide einfach nur dem Radio zu. Da lief gerade ein Song von Bunkai, einer noch recht jungen, japanischen Visual Kei Band. Der Sänger hatte eine Menge Power, Loriel mochte die Truppe. Irgendwann musste er mal auf einem Konzert von denen aufkreuzen. „Also, was ist nun?“, hakte der Wirt schließlich nach, als ihm das Schweigen zu lästig wurde. Das Lied im Radio schien noch eine Weile zu gehen. Er wollte nicht warten, bis es zu Ende war. „Du weißt doch, daß ich ein Shogu Tenshi bin. Ein Schutzengel.“ „Schon seit 15 Jahren nicht mehr, mein Lieber. Seit du deinen letzten Schützling überlebt hast, bist du etwas aus der Übung gekommen.“ „Ist doch egal“, gab Loriel beleidigt zurück. „Wie alt werdet ihr Jungs überhaupt?“ Shoji goss sich selbst einen Schnaps ein und kippte diesen direkt weiter in seinen Rachen. „Alt. Sehr alt. Ein paar hundert Jahre. Darum haben wir im Laufe unseres Lebens auch mehrere Schützlinge.“ Shoji musterte den dickbäuchigen, grauhaarigen, faltigen Kerl neben sich verstohlen. Ob der einen noch vernünftig beschützen konnte, war arg zu bezweifeln. „Und du meinst nicht, daß du für deinen nächsten Schützling ein wenig im Training bleiben solltest?“ „Genau da liegt der Knackpunkt! Ich werde keinen mehr haben! Nie wieder! Ich bin frei, verstehst du? Frei!“ Euphorisch öffnete Loriel seine bereitgestellte Bierflasche und goss sich nochmal nach. „Und da bist du dir so sicher, weil ...???“ „Weil ich in vierzehn Tagen Geburtstag habe! Ich werde 500 Jahre alt.“ „Dann nenn ich mal einen runden Geburtstag. Wird das gefeiert?“ „Aber hallo! Weißt du, was das bedeutet?“ „Das du nicht nur ein Säufer mit einer dicken Wampe bist, sondern ein alter noch dazu. Soll ich schonmal einen Krückstock besorgen?“, grinste Shoji. Aber Loriel ließ sich davon die gute Laune nicht verderben. „Dann ist meine aktive Dienstzeit als Schutzengel vorbei und ich werde in den Rang eines Cheruben befördert. Und das ist verdammt cool.“ „Wenn du meinst!? Dafür hab ich nicht genug Ahnung von euch Jungs.“ Der Wirt goss sich ebenfalls nach. „Ich bin nur ein ganz gewöhnlicher Mensch und außer dir kenne ich auch keine magisch begabten Leute oder Genii.“ „Doch, bestimmt kennst du welche. Sie haben sich bloß nicht zu erkennen gegeben. Die meisten gehen damit nicht unbedingt hausieren, weil sie auch lieber in Frieden leben wollen, soweit sie es können. Na, wie dem auch sei, ich freu mich jedenfalls riesig, wenn ich dann keine Schützlinge mehr zu bemuttern habe. Nach dem zweiten oder dritten wird es echt lästig, daß die einem immer so schnell wegsterben. Es wäre schöner, wenn die in Sachen Lebenserwartung ein bisschen mit uns Shogu Tenshi mithalten könnten.“ „Du meinst, es wäre schöner, wenn du nicht immer nach deren Pfeife tanzen müsstest, obwohl sie so unerfahrene, ahnungslose Jungspunde sind.“ „Das auch. Aber das darf ich natürlich nicht sagen.“ Beide lachten, prosteten sich gegenseitig zu und kippten sich eine Ladung ihrer jeweiligen Getränkte hinter die Binde. Shoji schüttelte sich. „Na dann, auf deinen Geburtstag. ... Und wie genau funktioniert diese Beförderung zum Cheruben? Gibt´s da jemanden, der das zu entscheiden hat?“ „Nein, das ist unser ganz normaler Entwicklungsprozess im Laufe unseres Lebens. So wie Menschen in die Pubertät kommen, oder wie bei Magi irgendwann die magischen Begabungen zu Tage treten, so kommen wir Shogu Tenshi einfach irgendwann in ein weiteres Stadium unserer Entwicklung. Es geht neben der optischen Veränderung und einer Veränderung unserer Fähigkeiten auch damit einher, daß dann halt keine Schützlinge mehr auftauchen, die mit uns verbunden wären.“ „Dann ist 'Beförderung' aber ein irreführendes Wort“, fand der Wirt. „Ich würde es eher 'in den Ruhestand gehen' nennen, oder sowas.“ „Schon möglich. Aber so nennt es sich nunmal.“ Loriel trank sein Bier in einem Zug aus und kramte dann nach seiner Geldbörse. „Okay, Shoji, ich will dich nicht länger von deinem Feierabend abhalten. Ich verzieh mich jetzt. Wieviel kriegst du?“ „Äääähm ... ach, ich rechne es morgen zusammen. Bei dir muss ich ja keine Angst haben, daß du nicht wiederkommst.“ „Meinetwegen. Dann bis morgen.“ „Ja, bis morgen. Gute Nacht, Lori.“ Der alte, graue Shogu Tenshi wälzte sich von seinem Barhocker herunter und stapfte mit einem breiten Grinsen davon. Die Türglocke schlug an, als er die Tür aufzog, und nochmal, als sie wieder hinter ihm zufiel. Shoji lächelte leicht. Er freute sich ein wenig für seinen langjährigen Kumpel. Er konnte zwar die Tragweite dieser altersbedingten 'Beförderung' in den nächsten Lebensabschnitt nicht ganz verstehen, aber wenn Loriel darüber so happy war, dann war es sicherlich etwas Gutes. Der alte Kneipengänger war mit seinem Bierbauch ja immerhin schon lange kein passabler Schutzengel mehr. Er sah nicht mal mehr wie einer aus, selbst wenn er körperlich wirklich noch in der Lage gewesen wäre, diesem Job nachzugehen. Ein Engel war er bestenfalls noch im Geiste. Seine Art schwankte zwischen gelassen und fröhlich, und das mochte der Wirt so an ihm. Er hatte Loriel noch nie negativ erlebt. Shoji beschloss, ebenfalls zu gehen. Den Boden durchwischen konnte er auch morgen noch, bevor die ersten Gäste kamen. Loriel spazierte fröhlich pfeifend die Straße hinunter und kramte dabei schon nach seinem Wohnungsschlüssel. Weit hatte er es bis nach Hause nicht, er wohnte quasi eine Querstraße weiter. Genau darum war der Schuppen von Shoji auch sein Stammlokal. Es war halt gleich um die Ecke. Auf seinem Weg musterte er die schreiend bunten Werbereklamen. Das hier war nicht Tokyo oder Osaka, aber selbst in den kleineren Städten war es niemals still oder dunkel. Auch hier wurde es niemals Nacht. Auch diese kleine Stadt schlief nie. Der Shogu Tenshi beschloss, nochmal in einen Konbini-24-Stunden-Laden abzubiegen und sich noch etwas zu essen zu beschaffen, denn er wusste wie es um seinen Kühlschrank derzeit bestellt war. An Geldmangel litt er zwar nicht, aber er war gern mal zu faul zum einkaufen. Einige Minuten später stand er mit einer Packung Knabberkram an der Kasse und zückte die Geldbörse. „Das macht bitte 200 Yen“, informierte der Kassierer ihn freundlich. Loriel nickte und öffnete das Kleingeldfach. ... Und plötzlich drehte sich ihm der Magen um, als er ein Gefühl in sich aufsteigen spürte, das er inzwischen nur zu gut kannte. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, wollte der Verkäufer besorgt wissen. „Sie sehen plötzlich ganz furchtbar aus.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)