Das Volk aus den Bergen von Futuhiro (Magister Magicae 4) ================================================================================ Kapitel 7: einsame Insel ------------------------ jetzt, Insel Okinawa Victor Akomowarov war froh, als er den Mietwagen endlich auf einem Parkplatz abstellen und aussteigen konnte. Der japanische Linksverkehr war doch anstrengender als gedacht. Als Fahrer auf der rechten Seite zu sitzen, war etwas, woran man sich echt erstmal gewöhnen musste. Und dabei hatte er nicht mal sonderlich viel Gegenverkehr gehabt. Die Gemeinde Kunigami bestand im Wesentlichen aus einer langgestreckten Landstraße, die an der Westküste der Insel entlang führte, immer am Wasser, und an der sich die Häuser wie eine Perlenschnur mit mehr oder wenigen großen Lücken auffädelten. Auf der anderen Seite der Straße war nur undurchdringlicher Wald. Hier draußen war absolut gar nichts, also auch kein Verkehr. Um so mehr hatte sich Victor ständig selbst daran erinnern müssen, auf der linken Fahrspur zu bleiben. Falls sich hier doch mal ein einsames Auto im Gegenverkehr her verirrte, wollte er ja schließlich nicht als Geisterfahrer enden und einen Unfall bauen. „Waleri, aufwachen!“, verlangte der Boss in etwas strengerem Ton vom Beifahrersitz. Ein leises aber eindeutiges Schnarchen antwortete von der Rückbank. Der Schutzgeist lehnte hinten im Auto mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen an der Fensterscheibe und pennte. Vladislav griff zwischen den Sitzen hindurch nach hinten und rüffelte ihn an. „He!“ Waleri erwachte leise murrend. „Was denn ... sind wir schon da, oder was?“, nuschelte der Hühne unzufrieden. Schon beim Frühstück hatte er den Eindruck gemacht, daß er gut und gerne noch ein paar Stündchen Schlaf vertragen hätte. „Ja, sind wir. Komm in die Gänge“, trug Vladislav ihm an. Waleri gähnte soweit er seine Klappe aufbekam und quälte sich dann mühsam aus dem Wagen heraus. Victor stand bereits draußen und schaute sich interessiert um. „Das hier scheint das Gemeindezentrum zu sein. Was meinst du, Waleri?“, wollte er wissen. Hier gab es ein Hotel, einen Lebensmittelmarkt, ein Hafenbecken und eine Handvoll Wohnhäuser. Nicht viel, nichts besonderes, aber mehr als die vereinzelt stehenden Hütten entlang der Straße, an denen sie bisher vorbei gekommen waren. Zwischen den Häusern flitzten sogar zwei oder drei Japaner hin und her. „Yoah, ya soglasen s etim.“, [seh ich auch so], stimmte der Genius zu. „Okay, Vladi. Wie sieht dein Plan aus?“ „Wie hast du mich gerade genannt???“, jaulte Vladislav empört auf. „Soll ich dich lieber Vadim nennen?“, kicherte Victor. Das war die offizielle Kose-Form des Namens Vladislav. Wenn ihm das lieber war ... „Du sollst mir GAR KEINE Spitznamen auf´s Auge drücken! Ich bin immer noch dein Boss, verdammt!“ „Also doch 'Vladi'.“ „Werd nicht frech, Freundchen!“ „Niemals, Sir!“, versicherte Victor mit einem Augenzwinkern. „Nun spuck´s schon aus. Was wollen wir hier und wie geht´s weiter?“, wechselte er dann schnell das Thema, als der Chef der Motus sich bedrohlich mit Luft vollsog, um eine Strafpredigt zu starten. „Vitja möchte hier bleiben und Schmiere stehen“, teilte Vladislav seinem Genius Intimus sauer mit und brachte Victor damit zum Lachen. „Was wird das jetzt? Du schlägst mich mit meinen eigenen Waffen? Ist das nicht ein bisschen armselig?“, meinte der Vize amüsiert. 'Vitja' war die Kose-Form des Namens Victor. „Wenn du schon andere dissen willst, hätte ich dir ja zumindest zugetraut, daß du dann wenigstens mit eigenen Ideen aufwartest.“ „Deine große Klappe macht mich noch fertig ...“ „Victor hat dich nicht gebeten, mit nach Japan zu kommen“, mischte sich auch Waleri endlich in das Gespräch ein. „Verbrüdert ihr zwei euch jetzt auch noch gegen mich, oder wie seh ich das?“ „njet, nikogda“ [Nein! Niemals!], beeilten sich die beiden wie aus einem Mund zu versichern. Victors Aufmerksamkeit wurde plötzlich von etwas angezogen, das sich hinter dem Boss befand, und sein Gesicht wurde wieder ernster und besorgter. Vladislav drehte sich um und folgte dem Blick. Aber er sah nichts, was einer Beachtung wert gewesen wäre. „Bin ich der einzige, der hier irgendwas komisch findet?“, fragte der Vize-Boss nach und ließ den Blick schweifen. „Das hier ist ne abgelegene Insel am Rand der Landkarte. Was erwartest du?“ „Es ist zu ruhig, selbst für eine abgelegene Insel.“ „Na schön. Bevor wir noch länger dumm hier rumstehen, sollten wir langsam was tun. Du suchst dir jetzt irgendwo einen hübschen Ausguck und behältst die Umgebung im Auge. Ich zieh los und frag mal die Leute – falls ich welche finde – ob sie mir was über dieses Volk aus den Bergen erzählen können.“ „Warum du?“, maulte Victor. Ihm ging auf, daß der Boss die Sache mit dem Schmiere stehen wahr machen wollte. „Weil ich Waleri habe. Und der kann Japanisch, im Gegensatz zu dir.“ „Ich finde, die Größe dieser Ortschaft mit ihren 3 Häusern macht es nicht erforderlich, daß wir uns unbedingt aufteilen müssen. ... Schon gut, schon gut! Zu Befehl“, lenkte Victor ein, als der Boss ihn mit verengten Augen bedrohlich anfunkelte. Der wollte jetzt eindeutig keine Widerworte mehr hören. „yama kara no hitobito o shitte imasu ka?“ Die Tür flog vor Waleris Nase laut scheppernd ins Schloss. Wie schon die letzten drei. Als wären 'yama kara no hitobito' [Volk aus den Bergen] magische Worte, die ihm jeden Gesprächspartner sofort vom Hals schafften. Der Russe gab einen genervten Ton von sich und klopfte erneut. „Langsam reicht mir das!“, maulte er dabei. „Was hast du ihr denn gesagt?“ „Ich hab nur gefragt, ob sie das Volk aus den Bergen kennt.“ „Du solltest deine Frage anders formulieren, wenn dir danach jeder die Tür vor der Nase zuschlägt“, meinte Vladislav nüchtern. Waleri klopfte nochmal, als sich die Hausbesitzerin nicht mehr blicken lassen wollte. Deutlich derber. Aber sie blieb vorläufig bei ihrer Meinung. Erst als Waleri etwas auf Japanisch brüllte, das vom Tonfall her klang, als würde er damit drohen, die gottverdammte Tür einzutreten, öffnete sich diese endlich wieder einen kleinen Spalt breit. Ein halbes Gesicht schaute hindurch. „hai“, antwortete die Frau mit hörbarer Verbitterung in der Stimme. Waleri schimpfte noch ein wenig auf sie ein, sie streute dann und wann eine knapp angebundene Antwort ein, und irgendwann ging die Tür wieder zu. Weniger schwungvoll diesmal. Vladislav verfolgte das Gespräch, von dem er kein Wort verstand, dennoch mit großem Interesse. Aber schon der jeweilige Tonfall war selbstredend. „Und?“, hakte er nach, als sein Schutzgeist sich umdrehte und weiterging. „Sie weiß nichts. Oder sagen wir: sie WILL nichts wissen. Das trifft es eher.“ „Sie muss dir doch irgendwas gesagt haben“, gab der Boss irritiert zurück. „Angeblich gibt es hier kein 'Volk aus den Bergen' und hat es auch nie gegeben. Ich hab sie gefragt, wer denn dann die ganzen Überfälle und Plünderungen begangen hat. Die haben angeblich auch nie stattgefunden, wenn es nach ihr geht.“ „Ah ja. Und was war mit ihren vielen Fensterscheiben, die eingeworfen und notdürftig mit Pappe zugeklebt waren?“ „Hab ich sie auch gefragt. Das war der Wind.“ „Ist klar“, seufzte Vladislav. „Nicht erschrecken, ich bin´s bloß“, kündigte Vladislav sich an, als er sich hinterrücks seinem Vize näherte. Victor saß auf dem blanken Asphalt des Parkplatzes, die Beine lang ausgestreckt, mit dem Rücken an einen Boller gelehnt, und machte nicht den Eindruck, sehr aufmerksam zu sein. Aber Vladislav wusste, daß Victor verdammt gute Reflexe hatte und schnell mit einer abgedrückten Pistole reagieren konnte. Er wollte keine Kugel im Kopf haben, weil er Victor versehentlich erschreckt hatte. „Ist mir nicht entgangen. Ich hab dich schon bemerkt, seit du aus dem Supermarkt da drüben gekommen bist“, erwiderte Victor nur gelassen, ohne sich zu rühren. Weder stand er auf, noch würdigte er seinen Boss eines Blickes. „Wir waren nicht sehr erfolgreich. Nichtmal aus dem Betreiber des Supermarktes haben wir was rausgekriegt. Hier scheint keiner mit uns reden zu wollen. Diese Leute schweigen. Warum auch immer.“ „Die haben wohl noch dreckigere Geheimnisse als wir“, vermutete sein grobschlächtiger Genius Intimus mit einem schiefen, gequälten Grinsen. „Und hier? Auch alles ruhig, wie?“, legte Vladislav nach. „Würde ich so nicht sagen. Ich habe schon vier Autos gezählt, die hier mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durchgebrettert sind. Das ist bezeichnend. Diesen Landstrich scheinen alle zu meiden oder schnellstmöglich wieder verlassen zu wollen, wenn sie schon unbedingt hier durch müssen. Und wir stehen bereits unter Beobachtung. Siehst du das Haus da gegenüber? Hinter der Gardine lungert irgendjemand rum und rührt sich nicht von der Stelle. Der verfolgt jeden unserer Schritte seit wir hier angekommen sind. Soviel ich weiß, ist das nicht die Art der Japaner, sich in die Angelegenheiten anderer Leute einzumischen. Die Einwohner sind argwöhnisch. Das sagt mir, daß hier irgendwas faul ist.“ Waleri drehte sich zu dem bezeichneten Haus um und suchte mit seinem Blick die Fenster ab. An diesem Haus hatten sie vorhin auch geklopft. Dort hatte man ihnen gar nicht erst aufgemacht. „Und was nun?“ „Wir warten!“, entschied der Boss motiviert. Victor drehte endlich den Kopf, um die beiden fragend anzusehen. „Wie meinst du das: Wir warten!?“, wollte er ungläubig wissen. „Wir bleiben hier! Waleri, lass uns in dem Hotel da nach Zimmern fragen!“ Victor Akomowarov sprang vom Boden hoch und hechtete den beiden nach, um den Anschluss nicht zu verlieren. „He, Sekunde mal! Was meinst du mit warten??? Willst du jetzt etwa hier rumsitzen, bis irgendwas passiert?“ „Offensichtlich tun wir das! Das ist der Plan!“, stimmte Vladislav zu. „Du könntest in den Supermarkt gehen und uns ein paar Lebensmittel beschaffen. Vielleicht erstmal für zwei oder drei Tage.“ Victor ließ sich etwas zurückfallen und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung die schulterlangen, schwarzen Haare aus dem Gesicht. Das durfte nicht wahr sein. Diese Insel war keine 15 Kilometer breit. Man konnte innerhalb von 4 Stunden zu Fuß von einer Küste zur anderen spazieren, wenn man das wollte. Wieso gingen sie nicht einfach nach den Übeltätern suchen? Das konnte doch nun wirklich kein Problem sein. Oder wenigstens ins Auto steigen und weiterfahren!? Vielleicht fanden sie weiter oben im Norden ja mehr Hinweise als hier. Da merkte man wieder, daß Vladislav keinerlei Praxis-Erfahrung hatte und noch nie in seinem Leben selber auf so eine Jagd gegangen war. Wahrscheinlich dachte er, wenn schon die Polizei in diesen Wäldern nichts fand, dann würde er selber erst recht nichts finden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)