Das Volk aus den Bergen von Futuhiro (Magister Magicae 4) ================================================================================ Kapitel 18: schwierige Kommunikation ------------------------------------ Berg Yonaha auf Okinawa Frustriert rappelte sich Victor in seinem Holzkäfig wieder in eine sitzende Position auf. Das hatte ja keine Punkte gebracht. Mist, verdammter. Jetzt postierte sich auch noch dieser Genius Intimus draußen und passte auf, daß er nicht wieder stiften ging. Victor verschränkte mürrisch die Arme. „Eh, du sprichst nicht zufällig Russisch, oder? Ich müsste echt mal mit dir reden, Kumpel.“ Keine Reaktion. Der tätowierte, bierbäuchige Rocker-Verschnitt stand neben dem Käfig und starrte in die Ferne. „What about English?“, versuchte Victor es als nächstes. Damit kam man doch überall auf der Welt weiter, oder? „Do you speak English at least?“ Abermals keine Regung. „Na toll, nichtmal Englisch verstehst du?“ Okay, er war hier mitten unter Räubern, die obdachlos im Wald hausten. Welches Bildungsniveau konnte er von denen schon erwarten? Die würden wohl kaum Fremdsprachen gelernt haben. Aber die Art, wie der Kerl ihn keines Blickes würdigte, besagt mehr. Der Schutzgeist WOLLTE ihn gar nicht verstehen, begriff Victor. Der ignorierte seinen Gefangenen einfach. Suchend begann Victor wieder seine Taschen zu durchwühlen. Da diese Kerle ihm die meisten seiner Habseligkeiten gelassen hatten, würde sich sicher irgendwas magietaugliches finden. Er zog einen billigen Plastikkugelschreiber, Marke Werbegeschenk, und ein paar herausgerissene Seiten von einem Notizblock aus seiner Hosentasche. Nachdem er sich die langen, schwarzen Haare auf einer Seite hinter das Ohr geklemmt hatte, um etwas zu sehen, legte er das Papier vor sich auf den blanken Boden und zeichnete. Es musste doch mit Bann-Magie möglich sein, ein Sprachverständnis zu erzeugen, und wenn es nur kurz war. Er stückelte sich ein paar Komponenten zusammen, mit denen es seiner Meinung nach funktionieren müsste. Loriel beobachtete das Treiben einen Moment argwöhnisch erst aus dem Augenwinkel, irgendwann wandte er sich dem Käfig ganz zu, um zu erfahren, was der Magier da drin anstellte. Er wollte schließlich keine Probleme mit dem kriegen, sonst würde Chippy ihm den Hintern bis zu den Ohren aufreißen. „ne, soko de nani o shite imasu ka? nansensu shinaide!“ [Eh, was treibst du da drin? Stell keinen Blödsinn an!] Victor hob den Blick, lächelte leicht und drehte ihm das fertige Stück Papier hin. „Du wirst jetzt bitte mal Russisch mit mir reden, damit ich dich verstehe.“ „Egal was passiert, ich werde es bald zurückstellen“, gab der Schutzgeist daraufhin drohend und tatsächlich in Russisch zurück. Victor zog ratlos die Augenbrauen hoch und grübelte über dem Sinn dieser Worte. Zurückstellen? Hä? Mit dieser Aussage konnte er absolut nichts anfangen. „Wenn Sie es verlassen“, fuhr der Mann fort, „werden Sie hier wirklich nicht freiwillig rein geraten.“ „Wenn ich was verlasse?“, hakte Victor verwirrt nach. Der graue Schutzgeist zeigte auf den Zettel. „Wofür ist eine Note gut?“ „Note? Was für eine Note? Das ist ein Blatt Papier.“ Victor war inzwischen restlos überfordert. Was der Kerl von sich gab, klang wie mit dem Google-Übersetzer zusammen gepuzzelt. Sein Dolmetcher-Bann wirkte nicht richtig. Eine Sprache war wohl doch zu komplex, um sie mit Magie simulieren zu können. Man konnte scheinbar nur die Worte imitieren, aber nicht den Sinn. Es kam nur wirres Geplapper dabei heraus. Enttäuscht hob Victor seine Bann-Magie wieder auf, indem er das Symbole-Konstrukt kräftig mit dem Kugelschreiber durchstrich. Verdammt, das war sein letzter Hoffnungsschimmer gewesen, ohne Waleris Hilfe in Japan zu überleben. „stop that!“, verlangte Loriel nochmals drohend, dann wandte er sich wieder ab. Victor horchte auf. „Ach, jetzt sprichst du also doch Englisch, oder was?“ Er wechselte selbst wieder ins Englische, in der Hoffnung, der Kerl würde ihn zwangsweise verstehen müssen, auch wenn er nicht mit ihm reden wollte. „Hör zu, auf deinem Schützling liegt ein Fluch. Den sollte sich vielleicht mal jemand ansehen und was dagegen tun.“ Tatsächlich widmete Loriel ihm daraufhin wieder ein wenig Aufmerksamkeit. „a curse? really?“ „Ein Fluch, ja.“ Oder eine Verwünschung, das war auch möglich. Aber Victor kannte das englische Wort dafür nicht, also versuchte er das gar nicht erst auseinander zu klamüsern, ob das Mädchen nun verflucht oder verwunschen war. Im Zweifelsfall kannte der Schutzgeist den Unterschied sowieso nicht. Stattdessen deutete Victor auf das einzige Zelt hier. Chippys Zelt. „Auf deinem partner.“ „Welche Art von Fluch?“ „Weiß ich noch nicht. Dafür muss ich mir das erst näher ansehen.“ „LORIEL!“, dröhnte da eine weibliche Stimme böse über das ganze Bergplateau. Loriel sah sich genervt um. Was denn nun? Sollte er auf den Gefangenen aufpassen oder nicht? Er konnte sich doch nicht zerteilen. Nach kurzem Hadern entschied er sich, dem Ruf Folge zu leisten und Victor im Käfig sich selbst zu überlassen. „Da bin ich! Du hast gerufen?“ „Ja. Wie ich sehe, kannst du mit dem Fremden reden?“, hakte Chippy in völlig undeutbarem Tonfall nach. Die Stimmlage konnte zwischen drohend und begeistert alles sein, das war echt gruselig. „Naja ... er ... versteht ein bisschen Englisch. Nicht viel, aber immerhin“, gab Loriel verwirrt zurück. Er fragte sich, wie zur Hölle sie das so schnell erfahren hatte. „Hab ich dir erlaubt, mit ihm zu reden?“ „Du hast es mir jedenfalls nicht ausdrücklich verboten.“ „Was hast du ihm erzählt?“, bohrte sie unbarmherzig weiter. Das hatte schon fast etwas von einem Verhör, dachte Loriel sauer. „Nichts von Belang. Ich hab ihn nur gefragt, ob er Hunger hat, oder irgendwelche anderen Befindlichkeiten. Immerhin hältst du ihn schon ganz schön lange fest“, log er. Chippy gab einen geringschätzigen Ton von sich. „Nun, wenn du dich mit ihm verständigen kannst, bist du ja vielleicht doch endlich mal zu irgendwas nütze. Wenn ich mit ihm reden will, wirst du dolmetschen.“ „Ach du grüne Neune ...“, äußerte der Schutzengel. „Mach dir da mal keine falschen Hoffnungen. So gut ist das Englisch von diesem Kerl nun auch wieder nicht.“ „Versuch ein paar Infos aus ihm raus zu kriegen, wer er ist und woher er kommt“, trug das Mädchen ihm auf und wollte sich schon wieder anderen Dingen widmen. Loriel war kommentarlos abgeschrieben. „Du?“, druckste der Engel dennoch etwas herum. Er wusste nicht so genau, wie Chippy darauf reagieren würde. Wenn sie sich von dem, was er zu sagen hatte, beleidigt fühlte, hagelte es bloß wieder Strafen. „Er sagt, auf dir würde ein ... äh ... ein Fluch liegen. Er kann ihn spüren. Und wohl auch was dagegen machen, so wie es klang.“ Sein Schützling schaute ihn mit völlig uninterpretierbarer Mimik an. Ernst, aber auch ein wenig unsicher. In ihr arbeitete es. Sie wusste im ersten Moment wirklich nicht, ob sie ihm glauben oder ihn für die Unverschämtheit prügeln sollte. Ihr Schwäche zu unterstellen, oder auch nur Unwissenheit, war schon arg dreist. Sie selbst bemerkte an sich schließlich keine Einschränkungen, die für einen Fluch sprachen. Also war die Wahrscheinlichkeit denkbar gering. Aber über den silbernen Faden, der sie mit Loriel verband, spürte sie intuitiv sehr wohl, daß er nicht log. „Könntest du vielleicht mal mit ihm reden, oder so?“, legte Loriel vorsichtig nach. Besorgt, daß ihre unschlüssige Stimmung doch noch in die falsche Richtung umschlug. „Wenn ich Zeit habe, vielleicht. Jetzt geh wieder aufpassen, daß er nicht abhaut“, trug sie ihrem Schutzgeist auf und konzentrierte sich endlich auf andere Dinge. Dieser Aufforderung kam Loriel nur zu gern nach und trollte sich auf der Stelle. Als Loriel zurück kam, saß Victor gelassen auf dem blanken Boden seines Käfigs, die ausgestreckten Beine übereinander gekreuzt, die Hände im Genick, und tat nichts. Er machte den Eindruck, daß er nur noch aus gutem Willen hier in diesem Holzverschlag saß und artig wartete. Er hätte auch einfach gehen können, wenn er gewollt hätte. Das die paar zu Gittern zusammengeschnürten Äste ihn nicht aufhielten, hatte er ja schon einmal bewiesen. „Also ...“ Loriel versuchte das etwas verkorkst verlaufene Gespräch von vorhin nochmal neu und besser aufzuziehen. „Wie heißt du?“, wollte er auf Englisch wissen. „Die meisten nennen mich Victor.“ „Du bist Russe, ja?“ Er nickte leicht. „Und du?“ „Loriel.“ „Loriel, so.“ Victor ließ den Blick abschätzend über sein gesamtes Erscheinungsbild schweifen, selbstsicher, als wären keine Käfigstäbe zwischen ihnen. „Du bist aber auch kein Japaner. Loriel ist ja nichtmal ein japanischer Name. Wie haben sie dich vorhin genannt? Ro-ri-e-ru?“ „Rorieru ist die japanische Art, meinen Namen auszusprechen, ja. Im Japanischen gibt es ja eigentlich kein 'L' in dem Sinne. Ich stamme ursprünglich aus Europa. Aber mein letzter Schützling war schon Japaner, und nachdem der gestorben ist, bin ich in Japan geblieben. Chippy habe ich nun auch wieder hier in Japan gefunden.“ „Chippy heißt sie also. Wer zur Hölle ist dieses verdammte Gör? Sie hat hier das Sagen, oder? Die Halunken hier hören doch auf ihr Kommando, habe ich den Eindruck.“ Der Engel seufzte zustimmend. „Sie ist halt eine Magierin und damit hat sie in dieser Truppe hier alle Ässer auf ihrer Seite. Wenn ich ehrlich sein darf, ich verstehe auch nicht, was sie hier will. Aber sie scheint dieses Leben zu mögen. Als ihr Schutzgeist habe ich da nur wenig Mitspracherecht.“ Victor schüttelte verständnislos den Kopf. „Und was hat dich hier her verschlagen, Russe?“, wollte Loriel wissen. „Ich suche das 'Volk aus den Bergen'.“ Loriel kicherte. Das erste Mal seit über einem Jahr, daß er wieder lachen konnte. „Du hast es gefunden, schätze ich.“ Es dauerte gar nicht mal so lange, bis Chippy sich dazu gesellte. Die Sache mit dem angeblichen Fluch ließ ihr doch keine Ruhe. „ne, nani o itta nodesu ka?“ [Und, was hat er gesagt?], warf sie als Begrüßung in die Runde? „bikutoru desu. roshia-jin desu.“ [Das ist Victor, er ist Russe.], berichtete Loriel, und setzte dabei gewohnheitsmäßig konsequent alles in die japanische Aussprache um. Auch den Namen. „noroi wa dōiu imi desu ka?“ [Und was hat es nun mit diesem Fluch auf sich?] Loriel richtete sich wieder an den Gefangenen. „Sie fragt nach dem Fluch, den du bei ihr gespürt hast.“ Victor schaute sie suchend von oben bis unten an und analysierte, was ihm dabei so für Schwingungen entgegen sprangen. Ja, das Mädchen hatte sich eindeutig einen Fluch eingehandelt. Es war ein ziemlich starker, vergleichsweise langanhaltender Fluch, der aber keine sehr offensichtlichen Auswirkungen hatte. Nun hatten Flüche die Eigenart, auf einem Gegenstand zu sitzen, der selber nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde, sondern nur dessen Besitzer gängelte. Sie musste also irgendwas bei sich tragen, worauf der Fluch lag. Ziemlich schnell fand er auch die Quelle der tückischen Magie. Er stand betont langsam und ächzend auf, um selbstsicherer zu wirken, und zeigte ruhig auf Chippys Hosentasche. „Sie hat irgendwas in der Tasche da. Das hätte ich gern.“ Bereitwillig holte sie die drei Dinge heraus, die sie bei sich hatte, ohne daß Loriel extra für sie hätte übersetzen müssen. Es handelte sich um eine Münze, einen Schlüsselanhänger aus Metall und eine Kastanie, die schon alt und ziemlich vertrocknet war. Diese drei Sachen hielt sie Victor abwartend hin. Er ließ einen Moment die Hand darüber schweben und entschied sich für den kaputten Schlüsselanhänger, den sie wohl nur wegen des coolen, ägyptischen Motives darauf behalten hatte. „Ah ja“, meinte er verstehend und machte die Fluchmagie sichtbar. Eher, um sie selbst besser beurteilen zu können, weniger um Chippy einen sichtbaren Beweis vor die Nase zu halten. Sie schwebte wie ein blau glühendes Spinnennetz um den Anhänger und Victors Hand herum. „Dieser Fluch verändert langsam aber sicher den Charakter seines Opfers. Er macht größenwahnsinnig und rücksichtslos, wenn ich mir das so ansehe“, stellte er fest. Loriel musste sich hart zurückhalten, um nicht zu grinsen. Ja, einhundert Punkte. Das würde er dem Russen so unterschreiben. Was der hier sagte, hätte Chippy nicht besser charakterisieren können. „doko kara kitano desu ka?“ [Woher hast du das?], wollte er von seinem Schützling wissen. „gakkō de nusunda“ [Das hab ich damals in der Schule geklaut.] Tja, dumm gelaufen. Warum hatte sie auch immer so viel Mist verzapfen müssen? Zur Strafe hatte sie demnach noch einen Fluch gratis dazu bekommen. Und dieser Fluch machte also größenwahnsinnig. Schöner Murks. Loriel machte sich daran, ihr auf Japanisch und äußerst diplomatisch zu erklären, was genau los war. Besser machte es das aber auch erstmal nicht. Auch in dem Wissen, daß ihr garstiges Verhalten all die Zeit nur die Folge eines Fluches gewesen war, konnte er ihr nur schwer verzeihen, wie sie ihn behandelt hatte. Oder allgemein, wie das ganze letzte Jahr hier im Kreise dieser Vagabunden gelaufen war. Die kriminellen Machenschaften, die sie zusammen mit diesen Kerlen betrieb, waren inzwischen schon mehr als nur Bagatell. Nach einigem Herumprobieren schaffte Victor es, den Fluch zu beheben. Der löste sich in einem Strudel auf, als würde er von einem schwarzen Loch eingesogen werden, und dann war er weg. Zurück blieb nur ein alter, kaputter, billiger Schlüsselanhänger aus Metall, den er Chippy auffordernd wieder hinhielt. Sie nahm ihn dankend an. Dankend wohlbemerkt! Das hatte Loriel schon sehr lange nicht mehr bei ihr erlebt. Nachdem sie nachdenklich auf den Anhänger gestarrt hatte, und überlegt hatte, wie das Leben nun vorläufig weitergehen sollte, gab sie ihrem Schutzgeist einen Wink. „kaihō suru.“ [Lass ihn frei.] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)