Das Volk aus den Bergen von Futuhiro (Magister Magicae 4) ================================================================================ Kapitel 27: andere Ebenen ------------------------- See östlich vom Berg Yonaha Victor rappelte sich wieder auf, als er Chippy geruhsam näher kommen sah. Innerlich zwar etwas schwerfällig, aber äußerlich nahm er Haltung an und fuhr seinen Chef-Modus auf. Der Rücken aufrecht durchgestreckt, die Schultern angespannt, das Kinn selbstbewusst etwas auf die Brust gezogen, lauernd, aber nicht so sehr, daß es arrogant wirkte. In seine Augen legte er eine gute Ladung Überlegenheit und in seine Mimik wohldosierte Beherrschtheit. Die Handbewegungen, als er seine Körperachse neu zu Chippy ausrichtete, wurden sparsamer und langsamer, wodurch unterbewusst eine hoheitliche Macht suggeriert wurde, wie von jemandem der es nicht nötig hatte, selber einen Finger zu rühren, außer um würdevoll seine Untergebenen damit herum zu befehligen. Seine Körpersprache hatte er inzwischen derart psychologisch ausgefeilt, daß ihm keiner mehr irgendeine Art von Schwäche abkaufen würde. Gegenüber den dusseligen Motus-Handlangern zog diese Masche, wenn er sein viel zu harmloses, kleingeratenes Erscheinungsbild kompensieren musste. Vielleicht ließ sich Chippy davon ja nicht beeindrucken, aber wenn er schon unterlag, dann wollte er wenigstens aufrecht stehend verlieren, und nicht im Matsch liegend wie ein echter Versager. So würdelos wollte er den Kampf dann auch wieder nicht beenden. Er ärgerte sich zu Dreck, die Pistole weggeworfen zu haben. Jetzt hätte er sie brauchen können. Nagut, wenn er sie bei der Verwandlung nicht sowieso verloren hätte, wäre sie spätestens nach dem Tauchgang im See nicht mehr zu gebrauchen gewesen, aber trotzdem ... Ob er mit seiner Bann-Magie etwas gegen sie ausrichten konnte, jetzt wo sie sich endlich persönlich zeigte und sich dem Kampf selber stellte? Als die junge Dame in ihrem festlichen Kleid, das irgendwie so gar nicht für den Wald zu taugen schien, eine Hand hob, um Magie einzusetzen, blitzte um sie herum ein wolkenhaftes Gebilde auf. Nur einige verschwommene Schlieren in der Luft, etwa so wie ein Hitzeflirren, gerade am Rande der Wahrnehmung. In diesem fast unsichtbaren Dunst, der um Chippy herum einige Kubikmeter Raum einnahm, tauchten mehrere undefinierbare Wesen auf. Undefinierbar, weil sie nicht wesentlich sichtbarer waren als die schummrige Masse von Magienebel, in dem sie hausten. Man erahnte eher ihre Bewegungen als ihre konkrete Gestalt. Victor starrte sich fast die Augen aus dem Kopf, bei dem Versuch, von diesen geisterhaften Phänomen Genaueres zu erkennen. Aber erst als die Dinger sich auf Chippy stürzten und Chippy aufschrie, wurde ihm so richtig klar, daß das gar keine ihrer eigenen Illusionen war. Ihre Magie hatte hier nur irgend etwas ausgelöst. Eine Falle wahrscheinlich. Aber die Tatsache, daß diese magische Falle nahezu unsichtbar war, irritierte Victor ungemein. Er war sich sogar halbwegs sicher, daß er sie auch nur deshalb ausmachen konnte, weil er zu einer Art Genii gehörte, der solche Wahrnehmungsspektren hatte. Für Menschen waren die sicher komplett unerfassbar. Sowas hatte er noch nie erlebt. Ratlos schaute er zu, wie die Illusionistin in Windeseile von diesen Dingern eingewoben wurde, und war insgeheim froh, daß er vorhin mit seinem elemantaren Erd-Schild nicht näher an der Stelle gestanden hatte. Sonst wäre er am Ende noch selber in die Falle gegangen. In ihm kam unwillkürlich das Bild von einem Spinnennetz auf, in das Chippy hinein geraten war, und wo sie sich nun mit einem ganzen Nest voll Spinnen herumschlug, die natürlich sofort über sie herfielen. Aus seinen Recherchen über japanische Yokai in der Bibliothek fielen ihm spontan nur die Jorôgumo und die Tsuchigumo ein. Beides waren Arten garstiger, asiatischer Spinnen-Dämonen, die Menschen anfielen und fraßen. Jorôgumo traten aber eigentlich einzeln und in der Gestalt schöner Frauen auf, und nicht wie hier als Pulk. Ein ganz anderer Gedankenblitz schoss ihm in diesem Zusammenhang auch noch in den Kopf. Schutzgeist: Der Schutzgeist, auch Genius genannt, ist ein Geisterwesen, welches Magiern, Schamanen oder Hellsehern hilfreich zur Seite steht und diese vor Gefahren der anderen Ebene, auch als Astralebene oder Geisterwelt u.ä. bezeichnet, schützt. Oberste Regel: Jeder Genius, ob gebunden oder nicht, ist verpflichtet einem Begabten (Magier, Schamane, Hellseher, o. ä.) in Not zu helfen, sofern dies nicht mit den Pflichten gegenüber dem eigenen Schützling in Konflikt gerät. Bei Zuwiderhandlung ist der betreffende Schutzgeist zu bannen. Auszug aus dem Codex Geniorum, herausgegeben vom Amt für Genii und Magi * Victor kannte den Codex auswändig. Jeder Genius, der auch nur ansatzweise mal mit dem Bildungssystem Bekanntschaft gemacht hatte, kannte ihn auswändig. Den bekamen Genii vom Kindergarten an eingebläut, bis in die Universität hinauf. Victor hatte sich nie viel darauf versprochen, denn er fand dieses Gesetz ziemlich ungerecht. Der Schutz der Menschen vor Genii; darauf waren sämtliche Regelwerke der zivilisierten Welt ausgelegt. Als ob das alles wäre. Wer schützte denn bitte die Genii vor den Menschen? Seit Victor in der Motus aktiv war, die auf Genii im großen Stil Jagd machten, stand er mit dem Codex Geniorum noch viel mehr auf Kriegsfuß, denn hier erlebte er ja hautnah, wozu magisch begabte Menschen Willens und in der Lage waren. Wie dem auch sei, jedenfalls ging Victor auf, daß er es hier gerade mit dieser besagten „anderen Ebene“ zu tun hatte. Es gab Wesen, die zwischen der irdischen Welt und der Astralebene hin und her wechseln konnten und sich auf der Astralebene verbergen konnten wie hinter einem Tarnumhang. Dann sah man sie als irdisches Wesen nicht mehr. Manche lebten komplett dort und kamen gar nicht mehr auf die stoffliche Ebene zurück. Tsuchigumo gehörten auf jeden Fall zu den Kreaturen, die zwischen den Ebenen wechseln konnten, aber Victor war sich nicht so sicher, ob das hier solche Viecher waren. Es gab immerhin auch Magie, die auf der Astralebene wirkte. Man konnte, die nötige magische Begabung vorausgesetzt, Fallen auf der Astralebene stellen, die auch auf die irdische Welt Effekt hatten, wenn sie ausgelöst wurden. Vielleicht hatte Chippys Magie auch einfach bloß so eine Falle auf der Astralebene getriggert. Victor fragte sich, wo ihr Schutzgeist Loriel eigentlich hin war. Der hätte sie doch jetzt retten können, wenn er hier gewesen wäre. Oder vielleicht hätte sogar seine bloße Anwesenheit schon verhindert, daß sich irgendwelche anderen Wesen an ihr vergriffen. Es gab durchaus Genii, die Menschen vorsätzlich übel mitspielten, oder auch nur scherzkeksmäßig ihren Schabernack trieben. Bei Magiern, die einen Schutzgeist bei sich hatten, waren solche Witzbolde aber wesentlich vorsichtiger, weil das in der Regel schlecht für sie ausging. Dafür hatten Magier schließlich Schutzgeister, und deshalb hießen Schutzgeister so. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)