Distant Stars von Platypusaurus ================================================================================ Kapitel 3: Eskalation --------------------- Im Salon und im, für den Anlass offenen, Korridor dahinter drängten sich am frühen Abend knapp dreißig der angesehensten Mitglieder der magischen Gemeinschaft. Angeregtes Raunen lag über der Festgesellschaft, hie und da hörte man sogar höflich verhaltenes Lachen. Bei seinem Erscheinen hatte jeder Gast einen Händedruck und einen schweren Umschlag für Sirius übrig gehabt. Von Walburga war er damit in sein Zimmer geschickt worden und nun, da er die mit Galeonen ausgestatteten Karten losgeworden war, beachtete ihn niemand mehr. „Tolles Fest, Sirius!“ Regulus war mit einem mit Torte beladenen Teller neben ihm aufgetaucht und grinste ihn mit verschmiertem Mund an. Sirius widerstand dem Bedürfnis, das Gesicht seines Bruders vornüber in die Schokosahne zu drücken und grinste freudlos zurück. „Du bist viel zu klein für Ironie, Reggie!“ „Nenn mich nicht Reggie und ich bin eh klüger als du!“ Ein spitzer Ellenbogen landete in Regulus‘ Rippen, der Mühe hatte, seine Torte nicht fallen zu lassen. „Na, na, ihr beiden!“ Ein sehr dünner, sehr großer älterer Zauberer mit wirrem, schütterem Haar stand plötzlich vor ihnen. Er trug einen tief violetten Umhang und stach damit deutlich aus der Masse der anderen Gäste hervor. „Onkel Alphard!“ „Gut zu hören, dass du mich noch kennst!“ Er legte eine große, knöcherne Hand auf Sirius‘ Schulter und drückte mit erstaunlich viel Kraft zu. „Himmel, eure Mutter hat sich da aber wieder was einfallen lassen … Bisschen früh für Hogwarts, was?“ „Die woll’n ihn da gar nicht!“, frotzelte Regulus und fing sich noch einen Rippenstüber durch Sirius ein. Diesmal rutschte das Stück Torte über den Tellerrand hinaus und landete mit einem leisen „Matsch!“ auf dem Perserteppich. Die Brüder wurden beide kreidebleich, Regulus ließ Teller und Gabel fallen, Alphard nahm die Hand von Sirius‘ Schulter. Mit wirbelndem Umhang drehte er sich zu den anderen Gästen um und verdeckte die Sicht auf seine Neffen und das kleine Missgeschick auf dem teuren Vorleger, der den Fall des Porzellans gedämpft hatte. Niemand hatte etwas bemerkt. Regulus warf einen hilflosen Blick zu Sirius. „Das ist deine Schuld!“, jammerte er. „Klappe! Wir müssen das wegmachen, bevor es einer merkt!“ „Kreacher, er kann –“ „Nein!“ Sirius wurde wütend. Sein Bruder hatte offenbar immer noch nicht verstanden, dass es zu den Aufgaben von Hauselfen zählte, unbemerkt zu bleiben, nur im Hintergrund zu wirken. Für seinen Geschmack gab Regulus sich viel zu viel mit ihnen ab. Man sollte sich nicht zu sehr auf etwas verlassen, das derartig unter Walburgas Einfluss stand. „Wenn Mutter das mitkriegt, ist Kreacher tot!“, fauchte Sirius daher. Ein Räuspern vor ihnen ließ sie zusammenfahren. „Ich unterbrech‘ euch ja nur ungern, aber meint ihr nicht, ihr solltet einfach ‘mal den Teller aufheben?“ Sirius bückte sich hastig, klaubte die verschmierte Tortengabel und den Teller, der zum Glück heil geblieben war, vom Boden und drückte beides in Regulus nervöse Hände. Als er sich wieder aufrichtete, war die Sauerei auf dem Boden restlos verschwunden. „Onkel Al?“ Alphard schien das Aufbauschen seiner Roben wieder unter Kontrolle zu haben. Er hatte sich erneut zu ihnen umgewandt und in seinen kleinen Augen lag ein verschmitztes Funkeln. „Gern geschehen, ihr beiden!“ Sirius seufzte erleichtert. Erst jetzt bemerkte er, dass ihm kalter Schweiß auf der Stirn geschrieben stand. Nein, er fürchtete seine Mutter nicht, oder zumindest wegen ihr nicht um sein Leben. Überraschenderweise hatte er Angst um Regulus, den er gleichermaßen dafür hasste, dass dieser einen so viel besseren Stand in den Augen seiner Eltern hatte. Außerdem war er, Sirius, streng genommen, Gastgeber dieser obskuren Party und er wollte es nicht riskieren, sich durch eine mütterliche Zurechtweisung bis auf die Knochen zu blamieren.  Sirius‘ Blick blieb an Alphard hängen, der, trotz seiner langen, hageren Statur erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Angorakaninchen aufwies. Es musste an seinen Haaren liegen … Alphard war der wohl einzige Zauberer in diesem Haus, der nahezu unbekümmert, ja, gut gelaunt schien. Die meisten anderen der Gäste distanzierten sich sichtlich von ihm; nicht, dass sie ihm auswichen oder sich nicht auf eine Unterhaltung mit ihm einließen, aber wenn er nicht hinsah, warfen sie ihm deutlich abschätzige Blicke zu. Erstaunlicherweise schien sich Alphard alles andere als unwohl zu fühlen, obwohl Sirius sich nicht vorstellen konnte, dass ihm die herablassende Haltung der anderen entginge. Seine Eltern nannten ihn jenseits der Familientreffen immer „Verrückt!“ und das war noch einer der harmloseren Beinamen.   „Wie wäre es mit ein bisschen mehr Spaß?“, fragte Onkel Al in diesem Moment und wackelte verheißungsvoll mit den Augenbrauen. Regulus wirkte, als habe er an diesem Abend schon mehr als genug Unterhaltung gehabt. Sirius wusste nicht, was er antworten sollte. Wie genau stellte sich Alphard Spaß in diesem Haus, in dieser Gesellschaft, vor? Er hieß seinen beiden Neffen, ihm zu folgen, die sich ratlos ansahen, bevor sie zu dritt den reich gedeckten Buffettisch ansteuerten. Hübsche, kleine Terrinen mit allerlei Soßen umrundeten ihn, eine Hand breit über dem Tischtuch schwebend, Brotkörbe füllten sich von selbst wieder auf und ein beeindruckender Drache aus unschmelzbarem Eis ließ Eiswürfel aus seinem Inneren in die Gläser fallen, die ihm unter das weit geöffnete Maul gehalten wurden, in dem filigran gemeißelte Reißzähne glitzerten. „Meine Schwester übertreibt so gern“, seufzte Alphard einen Hauch zu betroffen, griff sich einen Becher Kürbissaft und ließ den Drachen seine Arbeit verrichten. Alphard schwenkte sein Getränk, so dass die Eiswürfel darin leise klirrten, nahm einen großen Zug und setzte es schließlich schwungvoll auf dem weißen Tischtuch ab. „Ihr solltet etwas essen“, empfahl er gut gelaunt „Aus der Torte ist ja nicht viel geworden.“ Er nahm Regulus den schmutzigen Teller samt Gabel aus der Hand und stellte ihn auf ein silbernes Tablett mit benutztem Geschirr, das sich ab einer gewissen Menge selbstständig leerte. Alphard drückte den Brüdern jeweils ein sauberes Kuchengedeck in die Hand und schaufelte ihnen mit einem Schwung seines ungewöhnlich hellen Zauberstabs Tortenstücke auf, bevor er sich selbst bediente. „Wenigstens Geschmack hat Walburga!“ Er sagte es so laut, dass sich einige der umstehenden Hexen und Zauberer zu ihnen umdrehten. Sirius spürte, wie sich seine Nackenmuskulatur versteifte. Regulus hatte in kürzester Zeit sein halbes Stück Torte verspeist, wohl in Sorge darüber, dass es wieder anderswo als in seinem Mund landen könnte. Der gute Sohn, der so wenig aß. Sirius fühlte sich noch immer beobachtet; Alphard war wirklich eine exzentrische, aufmerksamkeitserregende Figur. Seltsamerweise erschien es weitaus schwieriger als gedacht, etwas zu essen, sobald mehr als nur seine Eltern darüber zu täuschen waren, wie viel er tatsächlich zu sich nahm. Als Alphard und Reg ihre Portionen bewältigt hatten, kämpfte Sirius immer noch mit seinem Stück. Disziplin. Sirius fühlte wiederholt Alphards festen Griff auf seiner Schulter. „Du solltest das aufessen, Junge. Bewirkt Wunder.“ Er schluckte hart, spürte, wie dabei Luft seine Kehle mit hinab rollte. Er sah zu seinem Onkel auf und bemerkte überrascht, dass dessen Blick abwesend in die Ferne gerichtet schien. Er achtete gar nicht mehr auf Sirius, nahm die Hand von seiner Schulter und widmete sich stattdessen Regulus. Das ließ ihn sich ein wenig entspannen; Alphard würde ihm nicht dabei zuschauen, wie er das Stück Torte fertig aß. Sirius hatte bereits mehr gegessen, als beabsichtigt. Um genau zu sein, war jeder Bissen zu viel. „Ich habe jetzt einen eigenen Besen!“, hörte er Reg mit unverhohlenem Stolz erzählen. Sirius riss sich zusammen und schaffte noch zwei Kuchengabeln voll. Ein widerwilliger Blick auf seinen Teller verriet ihm, dass er vielleicht drei Viertel seines Stücks gegessen hatte. Das musste genug Demonstration sein. Ein wenig enttäuscht stellte er fest, dass  es nicht einen Bruchteil so gut geschmeckt hatte, wie der Mund voll Schokosahne, den er am Morgen in der Küche stibitzt hatte. Sirius straffte die Schultern, vermied es, Alphard, Regulus oder überhaupt irgendjemanden anzusehen und stellte seinen Teller mitsamt Kuchenrest auf dem sich selbst leerenden Tablett ab. Zufrieden sah er dabei zu, wie er mit einem leisen „Plopp!“ verschwand. Endlich war das Versagen aus seinem Blick. Sein Bauch fühlte sich seltsam hart und aufgebläht an. Der angepasste Umhang spannte sogar, zumindest bildete Sirius sich das ein. Wie wurde er jetzt nur dieses ekelhafte Gefühl wieder los? Regulus schien seine Erzählung vom Flugunterricht beendet zu haben, denn er und Alphard wandten sich wieder dem Gastgeber der Feierlichkeiten zu. Sirius lächelte gequält. Die anderen schienen es nicht zu bemerken. „So, und nun, da wir uns gestärkt haben, wäre es endlich an der Zeit für etwas Unterhaltung!“, fand Alphard und wippte gut gelaunt auf den Fußballen. „Seid ihr dabei?“ Regulus und Sirius tauschten unsichere Blicke. Dass Alphard sie bei ihrem Missgeschick auf dem Perserteppich gerettet hatte, brachte dem alten Zauberer einen gewissen Vertrauensvorsprung ein. Andererseits kannten sie ihren Onkel kaum, wussten nur, dass ihre Mutter keine gute Meinung von ihm besaß, was bedeuten musste, dass seine Vorstellung von ‚Unterhaltung‘ dazu prädestiniert war, ihnen beiden gewaltigen Ärger einzuhandeln, wenn sie sich mit ihm einließen. Sirius hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Vielleich lag es am Zucker. „Dabei!“, flüsterte er entschlossen. Sein Gesicht fühlte sich merkwürdig heiß an. Definitiv der Zucker. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Reg ihn mit offenem Mund anstarrte. Normalerweise war sein kleiner Bruder derjenige, der sich im entferntesten Sinne an so etwas wie Rebellion traute. Alphard nickte und sah dabei hochzufrieden aus. Ohne Regulus‘ Antwort abzuwarten – vielleicht betrachtete er Sirius‘ Zustimmung auch einfach als für sie beide geltend – drehte er sich plötzlich um und ging mit großen Schritten den Buffet-Tisch entlang.   Möglicherweise war es nur Einbildung, immerhin war das Licht recht schummrig und seit einiger Zeit hatte Sirius Schwierigkeiten, die Sicht scharf zu stellen. Die gläsernen Karaffen mit Kürbissaft schienen allerdings plötzlich mit flüssigem Gold gefüllt zu sein, das träge in den Behältnissen schwappte. Als Alphard in der Mitte des Tisches angekommen war, blieb er einen Moment stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und beugte sich über das weiße Tischtuch, wie um die Speisen vor sich zu begutachten. Ein unverblümt diebisches Grinsen lag auf seinen schmalen Lippen, als er dem Drachen aus Eis zuzwinkerte. Dann setzte er seine Runde fort. Sirius hätte schwören können, dass der Drache … nun, dass er zurückzwinkerte. Waren dessen Augen eigentlich schon immer leuchtend rot gewesen? Alphard war die ganze Tafel abgeschritten und kehrte nun wieder zu seinen beiden verdatterten Neffen zurück.  „Ich hoffe, dass niemand von euch beiden in der nächsten Zeit Durst hat“, sagte er gut gelaunt und kramte in den unendlichen Weiten seiner Robe herum. „Hört zu, Jungs, es wird hier bald ziemlich bunt zugehen. Wenn der Trubel losgeht, ist es Zeit für das hier!“ Er zog zwei kleine Gegenstände aus seinem Umhang und drückte jeweils einen davon in ihre Hände. Sirius betrachtete die kleine, schwarz-rot gestreifte Schachtel. Sie besaß keinen Deckel, sondern war zum Aufschieben, einer Streichholzschachtel nicht ganz unähnlich. Ihr Inhalt rasselte dumpf, als er sie leicht schüttelte. Ein rascher Blick über die Schulter Reggies verriet ihm, dass dieser einen kleinen Zylinder aus Pappkarton in der Hand hielt, der an beiden Enden mit silberner Folie verschlossen war. Sirius hatte selbst nie etwas Derartiges aus der Nähe gesehen, doch er hatte eine vage Ahnung, was Onkel Alphard ihnen soeben gegeben hatte. „Schachtel aufziehen und auf dem Boden auskippen“, er zeigte auf Sirius, „Röhrchen schütteln und Folie abreißen!“, war die Anweisung für Reg. „Sobald es losgeht. Auf keinen Fall vorher! Und jetzt weg damit – wir wollen doch keinen Ärger bekommen!“   Es war Onkel Cygnus, der sich als erster dem Buffet näherte. Alphard war zwischen den anderen Gästen verschwunden, um ein Schwätzchen zu halten. Sirius und Regulus blieb nichts anderes übrig, als voller Anspannung neben dem Essen zu warten und dabei nicht allzu schuldbewusst dreinzuschauen. Regulus schien vor Aufregung, was Alphard genau im Schilde führte, fast zu platzen. Sirius erging es ähnlich, war aber der Meinung, dass es eher sein Mageninhalt war, der dieses Gefühl auslöste. Mit Argusaugen beobachteten die Brüder, wie Cygnus sich ein Häppchen von einer Silberplatte nahm. Die Getränke ließ er unberührt. Der Eisdrache schüttelte kaum merklich den Kopf, oder vielleicht war auch das nur Einbildung. Reg entwich ein tiefer Seufzer. „Onkel Cygnus ist unheimlich“, flüsterte er Sirius ins Ohr, der ihm zustimmen musste. Walburgas und Alphards Bruder war wirklich keine angenehme Gesellschaft. Sie trafen ihn zwar ein wenig öfter, als vergleichsweise andere Verwandte, weil er drei Töchter hatte, deren Gesellschaft Walburga als guten Umgang für ihre Söhne ansah, obwohl sie deutlich älter als Regulus und Sirius waren. Von den Mädchen war heute nur die jüngste anwesend: Narcissa, ein blondes, blasses Ding, fünfzehn Jahre alt und hatte gerade ihren ZAG mit Bravour bestanden. Abgesehen davon hatten sie auch mit diesem Teil der Familie wenig zu tun, was keiner der Brüder bedauerte. Narcissa war es schließlich, die, kaum, dass Cygnus zurück unter den Gästen war, neben ihnen am Buffet auftauchte. Sie hatten einander bereits begrüßt, doch sie ließ sich immerhin zu einem Kopfnicken herab. Sirius konnte nicht sagen, dass er seine Cousine besonders gut leiden konnte, aber innerhalb seiner Familie gab es weitaus schlimmere Gesellschaft. Ihre Schwester, Bellatrix, zum Beispiel. „Hey, Cissy!“, rief er halblaut zu ihr herüber, als sie gerade dabei war, die Hand nach einem sauberen Becher auszustrecken. Regulus neben ihm zappelte nervös. Er merkte plötzlich, dass es ihm leid getan hätte, würde sich Alphards Streich einzig und allein gegen Narcissa richten. Sie hielt in der Bewegung inne, drehte sich zu ihm herum. „Ja?“, sagte sie mit erhobener Braue. So hübsch sie auch war – und seinetwegen auch klug – ihr schien seit einiger Zeit eine gewisse Hochmut anzuhaften, die Sirius nicht ausstehen konnte. Offenbar erzielte der Abstand zur Familie durch Hogwarts bei ihr nicht die Wirkung, die Sirius sich für sich selbst und seinen Bruder wünschte. „Wo hast du deine Schwestern gelassen?“ Er spürte Regulus‘ irritierten Blick in seinem Nacken. Als ob er sich plötzlich für die Familie interessierte! Nun, zumindest Andromeda, seine Lieblingscousine, interessierte ihn tatsächlich. „Dromeda muss für die UTZ lernen“, antwortete Narcissa langsam, „Bella hilft ihr dabei.“ „Okay, dann grüß‘ sie von mir?“, erwiderte Sirius ebenso zögerlich. Wie brachte er sie jetzt nur davon ab, sich ein Getränk zu nehmen? Narcissa sah so aus, als überlegte sie einen Moment. Dann lächelte sie plötzlich.  „Gut für dich, dass das mit Hogwarts klappt. Ich weiß nicht, wieso deine Eltern der Meinung sind, sie bräuchten einen Beweis für deine Magie.“ Sirius starrte seine Cousine an, unfähig, zu verhindern, dass ihm der Mund offenstand. Sie klang ja nahezu … nett? „Im Ernst, du bist schon … merkwürdig genug, kann mir nicht vorstellen, dass du deiner Familie auch noch diese Schande bereiten willst.“ Narcissas Lächeln wurde eine Spur breiter. „Regulus kann nicht alles auffangen, was du vermasselst.“ Sirius hatte den Mund wieder geschlossen. Also doch, natürlich. Er spürte weder Zorn, noch war er verletzt. Eine tiefe Ruhe breitete sich plötzlich in ihm aus. Regulus neben ihm kiekste nur nervös. Er klang wie ein kleines Tier. Nicht die Traute, seiner älteren Cousine etwas entgegen zu setzen, das seinen großen Bruder vor ihr in Schutz nahm. Nun, Sirius brauchte niemanden, der ihm half. Er erwiderte Narcissas Lächeln. „Was immer du sagst!“, entgegnete er freundlich. „Ich denke, ich geh‘ jetzt meine Eltern suchen. Sie daran erinnern, was für eine Enttäuschung ich bin. Kommst du, Reg?“ Er fasste nach dem Robenärmel seines kleinen Bruders und zog ihn mit sich, fort vom Buffettisch. „Hey – was soll das?“, protestierte der halblaut, folgte aber stolpernd. „Willst du ihr nicht die Meinung sagen?“ „Nee, wozu, Reggie. Hat keinen Sinn. Lass uns einfach nur nicht zu nah am Tisch stehen. Sie wird sich gleich was zu trinken nehmen und wenn wir direkt dabei sind, wird sie sich denken können, dass wir was damit zu tun haben.“   Und wirklich. Kaum, dass sie die Wand auf Höhe der Salontür erreicht hatten, herrschte plötzlich ein entsetzliches Getöse. Einige der Gäste schrien überrascht auf, Gedrängel erfüllte den Raum. „Was geht hier vor?“, hörte Sirius die gewaltige Stimme seiner Mutter donnern. „Los, Reggie, jetzt!“, zischte er und kramte die Schachtel, die Onkel Alphard ihm gegeben hatte, aus seiner Tasche. Regulus zögerte einen Moment verwirrt, zu abgelenkt von dem Tumult um sie herum. Über die Köpfe der Gäste hinweg stob in diesem Moment eine beeindruckende, regenbogenfarbene Stichflamme. Mit fahrigen Händen schob Sirius die Schachtel auf, ging in die Hocke und schüttelte den Inhalt über dem Boden aus. Was heraus purzelte, sah auf den ersten Blick aus wie kleine, schrumpelige schwarze Bohnen. Kaum, dass sie die Schachtel verlassen und die Dielen berührt hatten, prallten sie jedoch von der Erde ab und schienen sich zu entknittern, in alle Richtungen zwischen die Beine der umher rennenden und schreienden Menschen zu hüpfen, als hätten sie Sprungfedern. „GNOME!“, schrie Onkel Alphard irgendwo. „Sie wollen meine Zehen fressen!“ Sirius biss sich heftig auf die Lippen, um nicht laut los zu lachen. Er knuffte Regulus in die Seite. „Los, jetzt mach schon!“ „J-ja, ist gut …“ Regulus riss mit zittrigen Fingern die Folie von seinem Zylinder ab, den er unbeholfen geschüttelt hatte. Augenblicklich drang lautes Pfeifen und Zischen daraus hervor und Regulus ließ ihn erschrocken fallen. Es war, als wäre ein ganzes Feuerwerk in dem kleinen Röhrchen gefangen gewesen, das nur darauf gewartet hatte, von ihm befreit zu werden. Es krachte, knallte und fauchte in allen Farben – Rauch stieg auf und verbreitete einen schweren Geruch von Schwefel und Schießpulver über der Menge. Sirius konnte nicht anders, er war zu neugierig und sie schienen von ihrer Position aus den größten Spaß zu verpassen. Er fasste seinen kleinen Bruder am Handgelenk und zog ihn mit sich zurück Richtung Buffet, von wo sie sich eben noch zurückgezogen hatten. Das Risiko, erwischt zu werden, hatte sich definitiv gelohnt, denn sie erhaschten einen Blick auf den Drachen aus Eis, der wütend seine Kreise um das Essen zog und offenbar die Karaffen mit dem Kürbissaft verteidigte. Dabei brüllte er, für seine Größe beeindruckend laut, und spie gelegentlich bunte Flammen in den Raum hinein. Die im Übrigen die Oberflächen zu färben schienen, auf die sie trafen – Narcissa rannte schluchzend und mit leuchtend grünen Haaren aus dem Salon.   In seinem ganzen Leben, jeden Wutausbruch Walburgas inbegriffen, hatte Sirius noch nie ein solches Durcheinander im Haus seiner Eltern erlebt: Am Boden rannten die geschrumpften Gnome, die er befreit hatte, zwickten den panischen Gästen in die Waden, bissen sie, brachten sie zum Stolpern, stahlen Taschen und warfen mit Essen und Besteck. Über den Köpfen peste ein nie enden wollendes Miniaturfeuerwerk und ein zorniger kleiner Eisdrache attackierte jeden, der ihm zu nahe kam. Er konnte sich nicht daran erinnern, schon einmal in seinem Leben so sehr gelacht zu haben. Tränen liefen ihm über die Wangen, sein Kopf war feuerrot und schien genauso zu brennen, wie die Samtvorhänge, um die ein orangerotes Feuer züngelte, als der Drache sich von Tante Druella bedroht fühlte, die am Fenster hatte Schutz suchen wollen. Regulus schien das alles weniger witzig zu finden. Seine Augen waren ungewöhnlich hell und er hatte sie weit aufgerissen; außerdem war sein Gesicht kreidebleich. „Hey, alles okay?“, fragte Sirius atemlos, als er sich ein wenig beruhigt hatte. „Reggie? Geht’s dir gut?“ Regulus schüttelte heftig den Kopf, offenbar unfähig, auch nur einen Ton herauszubringen. Sirius verstand seinen kleinen Bruder nicht. Endlich einmal hatten sie die Möglichkeit, sich gegen die Unbarmherzigkeit ihrer Eltern zu wehren und Regulus fand das nicht zum Schreien komisch? Sirius seufzte tief, warf einen letzten Blick auf das Spektakel, an dem er hatte teilhaben dürfen. Dann schnappte er sich Reg und brachte ihn fort von den Gästen und hinunter in die Küche. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)