Zum Zuschauen verdammt von ougonbeatrice ================================================================================ Kapitel 12 - Die Gegenwart, die einmal war ------------------------------------------ Bestätigt in ihrer Arbeit fuhr sie die nächsten drei Tage fort die restlichen Tränke zuzubereiten. Während der Farbveränderer im Vergleich zu dem vorigen Trank ein Zuckerschlecken war, kam sie mit dem kombinierten Schrumpftrank an ihre Grenzen. Immer wieder hatte sie jeden ihrer Schritte geprüft, denn sie konnte sich einen Fehlschlag schlichtweg nicht leisten. Ihre Zutaten mussten genügen und sie war an ihrem letzten Restposten angekommen, nachdem sie einen weiteren zu solidem Stein getrockneten Fehlschlag in die Tonne hinter dem Pub warf. Zudem ging ihr die Zeit aus. Dumbledore hatte sich angemeldet und würde in nur drei Tagen Ollivander und vor allem sie, Evelyn Harris, besuchen. Ihre Finger umschlossen die Bürste umso fester, während sie ihren Kessel schrubbte. Sie merkte nicht, dass sie beobachtet wurde. "Den ganzen Tag verschanzt du dich in deinem Zimmer und kommst nur zum Arbeiten heraus. Was machst du da?", fragte Margaret mit einem frechen Unterton, während sie sich Tess näherte. "Was auch immer du dir gerade vorstellst, das mache ich nicht." Margaret zuckte mit den Augenbrauen und fuhr fort die Küchenreste zu entsorgen. "Schade, ich hatte gehofft du versteckst da oben einen süßen Zauberer." "Den ich wann genau getroffen haben soll? Ich sehe praktisch nichts anderes als den Pub und die Straße, die ich seit ich hier bin, noch nicht einmal verlassen habe." Margaret zeigte auf sie. "Das solltest du wirklich ändern." "Ich arbeite daran", murmelte Tess, den Kessel weiter mit der Bürste bearbeitend. "Jetzt im Ernst, was brütest du den ganzen Tag aus?" Tess hielt inne. Sie zögerte zu antworten, doch ihr fiel kein Grund ein, weshalb sie lügen sollte. Seit sie hier war tat sie praktisch nichts anderes als lügen. Ihre Vergangenheit änderte sich von einsamer Waisen zu entlaufenem Rebell gefühlt jeden Tag. Es war ermüdend. Sie stellte den Kessel mit einem lauten Klong auf dem Steinboden ab. "Wenn du es genau wissen willst, ich tüftle an ein paar Tränken. Allerdings macht der hier wie man sieht Probleme." Sie griff nach abgebrochenen Klumpen der farblosen, harten Masse, die einmal ein Trank hätte werden sollen und streckte sie Margaret entgegen. "Was ist das?" "Ein zweifacher Schrumpftrank. Naja, eigentlich." Mit knackenden Knien richtete sie sich auf und fasste sich an den Busen. "Die sollen kleiner werden. Nur verträgt er sich nicht mit den anderen Zutaten." Die ältere Frau blinzelte Tess in Sekunden der Schockstarre an, ehe sie in röchelndes Gelächter ausbrach, das sich an den steinernen Wänden hallte. "Kleiner? Kindchen, du hast doch gerade mal nur eine Hand voll." Tess Blick wanderte ungewollt zur Oberweite von Margaret, die zugegeben in einer anderen Liga war, als ihre. Margaret war eine vollschlanke Frau mit üppigen Rundungen, von denen Tess nur träumen konnte. "Das ist alles ja auch nur zu Versuchszwecken." Und da war sie wieder beim Lügen. "Das bisschen was ich habe, soll ja nicht für immer weg." Margaret kämpfte noch immer mit ihrem Gelächter, das sich nur nach und nach legte. Schließlich streckte sie ihren Arm aus und nahm Tess zu sich. "Du bist wunderbar, so wie du bist. Verändere dich nicht, nur um d-" Tess neigte den Kopf, sodass Margaret nicht sah, wie sie mit den Augen rollte. Nicht diese alte Leier. Einen Vortrag wie diesen hatte sie einmal zu viel in ihrer Welt gehört, in ihrer Zeit, die darauf bedacht war alles schön zu reden. Dass Margaret daraus eine gut gemeinte Rede machte, war für sie ein Stück weit nachvollziehbar, dennoch konnte sie gut darauf verzichten. "Margaret", unterbrach sie ihre Kollegin mit gefasster Stimme. "Meine Hüften sind zu breit, meine Finger zu kurz und meine Nase zu groß. Du wirst mir keine Frau nennen können, die wirklich mit sich zufrieden ist. Danke, für deinen Rat, aber das brauche ich nicht." Sie hoffte mit einem Lächeln die Sache etwas aufzulockern. "Was ich brauche ist ein Durchbruch mit meinem Trank." Margaret legte die Hände in ihre Schürze und sah zu, wie Tess sich den Kessel schnappte. "Ich weiß zwar immer noch nicht, wieso du ausgerechnet einen Schrumpftrank brauchst, aber ich weiß vieles nicht über dich, also setze ich das einfach auf die Liste." Tess nickte grinsend. "Tu das." "Was nimmst du als Basis Komponente um den Rückwirkeden Effekt zu erzielen?" Margarets plötzliche Fachfrage erwischte Tess auf dem falschen Fuß. Mit offenem Mund glotzte sie die Kellnerin an, von der sie nie dieses Wissen erwartet hätte. "Nun starr nicht so, im Gegensatz zu dir hatte ich einen guten Grund einen Schrumpftrank machen zu wollen. Ich kenn auch nur den", winkte sie ab, was Tess nicht minder begeisterte. "Du hast schon 'mal einen Schrumpftrank gemacht?" "Klar, da war ich sogar jünger als du. Als junges Mädchen ist es nicht leicht ... nunja ...", sie nahm ihre Hände aus der Schürze und überkreuzte sie unter ihrer üppige Brust, "mit diesem Paket." Tess war völlig überzeugt. "Ich versuche einen Schwelltrank umzuformen und ihn umzukehren. Ich habe zusätzlich eine Schrumpftrank-Basis, da ich eine komplette Schrumpfung haben möchte. Der Schrumpftrank soll zusätzlich mit dem umgekehrten Schwelltrank wirken. Dazu habe ich hauptsächlich Salviawurzel genommen." Margaret schüttelte den Kopf. "Falscher Ansatz. Ein Schwelltrank und ein Schrumpftrank heben sich auf, egal wie du es mischst. Kein Wunder, dass du einen Steinbrocken hast." "Und wie hast du es gemacht?" "Ein normaler Schrumpftrank genügt." Tess verdrehte die Augen. "Der reicht eben nicht." Margaret grinste triumphierend. "Er reicht, wenn du ihn mit Guinness aufbrühst, gut abgestanden." "Mit was?" Tess konnte und wollte kaum glauben, dass dieses eklige Gesöff für irgendetwas gut sein sollte, schon gar nicht fürs Brauen eines Zaubertranks. "Hab' ich in einer Boulevard-Zeitschrift entdeckt", sagte sie mit einem Zwinkern ihrer Augen. "Hätte nie Gedacht, dass es klappt. Zugegeben, die Wirkung hält nicht lange an, was der Grund ist, weshalb ich irgendwann aufgehört habe das Zeug zu nehmen. Der Aufwand war es nicht wert." Margaret redete noch weiter, doch in Tess Kopf ratterten bereits die Räder. Eine gemeinsame Basis wäre perfekt um letztlich einen vereinten Trank zu erschaffen, und abgestandenen Guinness fand sie hier genug... "Danke!", rief sie und verschwand im Pub, um kurz darauf eine neue und hoffentlich letzte Fuhre aufzusetzen. Einige Zeit später hielt sie eine dünnflüssige Suppe abgefüllt in Händen, die entfernt an warme Cola erinnerte. Die Masse war nicht wie die vorigen Male erstarrt, sondern hatte munter weiter gebrodelt. Wirklich begreifen, dass Guinness hier das Wundermittel sein sollte, konnte sie nicht. Doch auf der anderen Seite konnte sie sich auch bei den anderen Tränken nicht um Wirkung sicher sein. Wieso also nicht an Guinness glauben? Natürlich konnte sie die Tränke nicht so einfach einnehmen, auch nicht bei Ollivander. Die Wirkung war dabei ihr größtes Problem. Noch konnte sie nicht sagen, wie lange sie, im besten Fall, im Körper eines Kindes bleiben würde, bevor sie sich zurückverwandelte. Sie erwartete, dass sie einige Stunden mit einer Dosis auskam, weshalb sie aufpassen musste, wann sie den Trank ausprobierte. Tom erwartete sie zu ihrer Schicht im Tropfenden Kessel und dort konnte sie kaum als Kind auftauchen. Ein Risiko musste sie eingehen: entweder trank sie in der Hoffnung am Abend wieder die Alte zu sein, oder sie nahm die Tränke erst kurz vor ihrer Abreise und dann wäre es zu spät noch irgendwelche Änderungen vorzunehmen. Diese Frage beschäftigte sie während ihrer Arbeit im Pub und auch danach noch, als sie bereits im Bett lag. Die Tränke standen verkorkt auf ihrem Nachttisch, von allen eine gute Portion, die für weit mehr als nur einen Schluck reichte. Das Gesicht in das dünne Kissen gepresst stöhnte sie auf. Das Risiko erst im letztmöglichen Moment zu trinken, war zu hoch und doch ging ihr die Zeit aus. Ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als den Selbstversuch auf den Tag von Albus Besuch zu schieben. Normalerweise war sie kein religiöser Mensch, doch in Anbetracht der Umstände schlief sie mit einem Gebet auf den Lippen ein. Am nächsten Tag verlor sie keine Zeit und zum ersten Mal, seit sie hier war, verließ sie den Pub nicht durch den Hinterhof, sondern durch den Vordereingang. Sie wollte sich mit den paar umgetauschten Pfundmünzen in ihrer Tasche Farbe für ihre Haare holen und das bekam sie nur in einer normalen Drogerie. Sie hatte etwas Panik womöglich für immer aus dem Tropfenden Kessel ausgesperrt zu sein, wenn sie ihn nun verließ, weshalb sie lange an der Tür mit den Fingern fest hielt. Doch als die Passanten zu starren begannen, ließ sie gezwungenermaßen los und sah zu, wie die Tür zur magischen Welt, hoffentlich nicht für immer, zufiel. Sie umklammerte nervös ihren vor Blicken versteckten Zauberstab, als sie sich einige Schritte entfernte. Doch als sie selbst von weitem das schimmernde Schild mit einer Hexe und einem Kessel abgebildet erkennen konnte, machte sie sich mit gutem Gefühl auf einen passenden Laden zu finden. Sie war bereits einige Male sowohl schulisch als auch privat in London gewesen, nur kannte sie diese spezielle Ecke rund um die Charing Cross Roads nicht. Wenn sie jedoch eines wusste, dann dass es immer irgendwo eine U-Bahn Station in der Nähe gab und daran konnte sie sich orientieren. Es war seltsam die Winkelgasse hinter sich zu lassen und sich unter, sie konnte es nicht anders sagen, normale Menschen zu mischen. Eigentlich war London ihr vertraut, doch irgendwie kam es ihr fremder vor, als die von unglaublichen Dingen strotzende magische Einkaufsstraße. Diese paar Wochen konnten doch wohl kaum ihre Wahrnehmung derart auf den Kopf gestellt haben? Selbst an einer U-Bahn Station angekommen, konnte sie das Gefühl der Fremde nicht abschütteln. "Was ist hier los?", fragte sie sich schließlich, als sie eine gut befahrene Straße erreichte. Alles sah eigentlich aus wie immer. Ein schwarzes Taxi nach dem anderen reihte sich in den Verkehr ein, abgewechselt nur durch die charakteristischen Doppelbussen, die die Bewohner und Touristen zu jeder Sehenswürdigkeit kutschierten. Sie begann sich sogar zu fragen, ob ihr seltsames Gefühl daher herrührte, dass dies nicht direkt "ihr" London war. Es war Harrys London, das London einer Welt, in der nur wenige Meter entfernt eine ganze Gesellschaft magischer Leute im Verborgenen lebten. Den Platz auf dem sie stand begutachtend, drehte sie sich hilfesuchend um die eigene Achse. Natürlich konnte sie auf gut Glück herumlaufen und darauf hoffen, auf eine Drogerie zu stoßen. Ihr Blick fiel auf eine ältere Dame im leichten Blumenkleid, die eine beige Tasche auf Rädern hinter sich herzog. Aber fragen geht schneller, dachte sie und ging mit großen Schritten auf die Dame zu. "Verzeihen Sie, Ma'am?" Die Dame schaute sie mit ihren eisblauen Augen fragend an. Dabei schob sie ihre Tasche defensiv hinter sich. Tess ging ein wenig auf Abstand, um sie nicht unnötig zu erschrecken. "Können Sie mir vielleicht sagen, wo ich die nächste Drogerie finde?" "Aber sicher." Die Dame hatte sich als sehr hilfreich erwiesen. Dank ihrer Wegbeschreibung fand Tess sehr schnell einen Kombi Markt, in dem sie zielsicher nach einer Tönung suchte. Auch der Laden erschien ihr fremd, doch erst als sie vor den Haarprodukten stand und in die Gesichter der Frauen auf den Packungen starrten, viel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie ärgerte sich sosehr über ihre eigene Ignoranz, dass sie sich mit beiden Händen an die Stirn fasste. "1991. Das ist nicht nur Harrys London, es ist London fast 30 Jahre in der Vergangenheit." Die plötzlich über sie hereinfallende Realisation in einer anderen Zeit zu sein war vergleichbar mit dem Gefühl in der Geschichte von Harrys Potter gelandet zu sein. Selbst diese Muggel-Welt, zu der sie sich insgeheim noch zählte, war ihr völlig fremd, was ihr während ihres Aufenthaltes bisher nie so bewusst war. Je länger sie sich umschaute, desto eindeutiger wurde es. Die Kleider mit Schulterpolstern, mit denen einige Frauen durch den Laden schlenderten; die toupierten Haare, die ein Überbleibsel der noch nicht lang zurückliegenden 80er Jahre. Und egal ob Herr oder Frau, sie alle trugen ihre Jeansjacken stolz zur Schau. Nun erinnerte sie sich auch an die einzelnen Autos auf der Straße, die recht farblos und kantig das Gesamtbild der Vergangenheit vervollständigten. Eine Vergangenheit, die sie selbst nie bewusst erlebt hatte. Sie schnappte sich eine Blondfärbung und beeilte sich zur Kasse zu kommen. Eine falsche Welt war schon schwer zu verkraften gewesen, das ganze nun zweimal innerhalb weniger Wochen zu durchleben, grenzte schon fast an Tortur. Zügig verließ sie den Laden und suchte ihren Weg zurück. Überall sah sie jetzt Frauen in seltsam breiten Blusen oder Herren in viel zu großen Anzügen. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie sogar gedacht, Zauberer hätten sich hier bei der Wahl seiner Muggelkleidung arg vergriffen. Zweifellos fehlte auch die Technologie, die Tess mittlerweile aus ihrer Zeit gewohnt war, wobei sie innerhalb kurzer Zeit gelernt hatte darauf zu verzichten. Ihr war früh klar gewesen, dass ihr in der magischen Welt nichts davon nützen wurde, schon gar nicht in Hogwarts. Trotzdem ließ der Anblick von handylosen Jugendlichen und kitschigen Handtaschen ihren Puls vor Nervosität höher rasen, was sie dazu brachte sich noch mehr zu beeilen. Diese Welt war genauso wenig ihre Welt, wie die hinter dem Tropfenden Kessel. Doch die magische Welt würde sie zu der ihren machen und da war sie auf dem besten Weg. Die Menschen-Welt musste ihr egal sein. Sie durfte nicht darüber nachdenken, was hier draußen geschah oder wie die Muggel lebten. Zwei Welten waren eindeutig eine zu viel und wenn sie sich entscheiden musste, dann war ihre Wahl ganz klar. In der Ferne erkannte sie bereits das schwarz schimmernde Schild zum Pub, der sie zurück bringen würde. Nervös schaute sie nun nicht mehr nach oben, sondern nur noch stur nach unten, ohne ihre Umgebung wirklich wahrzunehmen. Mit zitternden Händen griff sie schließlich nach der Tür neben dem alten Buchladen und stolperte regelrecht hinein, den Straßenlärm hinter sich lassend. Der bekannte Duft nach Bier, frisch gebratenem Essen und Kerzenwachs begrüßte sie und zum ersten Mal seit Wochen hatte sie das Gefühl nach Hause zu kommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)