Zum Zuschauen verdammt von ougonbeatrice ================================================================================ Kapitel 28 - Die Geschichte der Verlierer ----------------------------------------- Wie tags zuvor auch, musste Evelyn alleine den Nord-Turm erklimmen, was nun beim zweiten Mal jedoch deutlich schneller ging. Ihre Gedanken hingegen könnten unruhiger nicht sein. Sie hatte noch immer nicht herausgefunden, wie sie sich den anderen gegenüber verhalten sollte. Im Grunde war alles falsch, egal wie sie es machte. Ihre einzigen Wahlmöglichkeiten waren es, sich die anderen zum Feind zu machen um sie auf Abstand zu halten, was jedoch kontinuierlicher Stress für sie, aber auch für ihre Mitbewohner bedeutete, oder sich ihnen so weit zu öffnen, dass ein friedliches Miteinander entstand. Und wenn es hieß die eigenen Hausaufgaben zu teilen. Zunächst muss ich aber endlich herausfinden, was diesen Reinblütern sauer aufstößt. Das Leben und die Kultur der magischen Elite war Evelyn ein absolutes Rätsel, auch wenn das riesige Deckenfresko im Gemeinschaftsraum bereits einen kleinen Einblick in diese Welt geliefert hatte. Sie konnte Vermutungen anstellen, wie zum Beispiel dass es innere Hierarchien gab. Beweise dafür gab es genug, man musste sich nur umschauen und die Schüler beobachten. Etwas jedoch sicher zu wissen, war noch einmal etwas anderes, als Vermutungen anzustellen, so bewiesen sie auch scheinbar waren. Millicents Worte vom Vortag drangen sich in ihr Bewusstsein, während sie begann die Stufen zu erklimmen. Evelyn hatte eine Ahnung, was es mit dem von ihr angesprochenen Druck auf sich hatte. Für sie hatte die reinblütige Gesellschaft starke Ähnlichkeiten mit dem mittelalterlichen Leben bei Hofe. Die Vorstellung war romantisch, dennoch durchaus plausibel. Familien, die um Macht kämpften und höhere Posten anstrebten, wenn es sein musste auch mit hinterlistigen Intrigen. Der ständige soziale Druck der Elite in der Öffentlichkeit zu stehen und die insgeheimen Freuden die Geschicke des Landes im Hintergrund zu führen... Ein Lachen, das kaum ihre Augen erreichte, breitete sich in ihrem Gesicht aus. Du hast zu viel Tudors gesehen. Sie erwartete nicht in Daphne die nächste Anne Boleyn* getroffen zu haben, und auch sonst war wohl jede ihrer Fantasien über die Reinblüter genau das, Fantasien. Sicherlich trugen sie eine Last und den Druck den Erwartungen der Eltern gerecht zu werden. Jedes Kind spürte diesen Druck, mal mehr, mal weniger. Doch war dieser Druck groß genug, dass es ausreichte um Daphne – und Pansy – wutentbrannt aus dem Raum stürmen zu lassen, sobald man sie darauf ansprach? Oder, dass Millicent bereits nach wenigen Stunden begann Evelyn, die diesen ominösen Druck nicht zu haben schien, zu beneiden? Evelyn presste Luft durch ihre Zähne aus bei dem Gedanken. Ich und kein Druck? Ihr habt ja keine Ahnung. Oben angekommen bot sich ihr ein vertrautes Bild. Dieselben Hufflepuffs wie gestern warteten geduldig vor der Tür, die wieder einmal verschlossen war. Millicent, Pansy und Daphne standen in einiger Entfernung von der Gruppe Dachse, die Arme defensiv vor der Brust verschränkt als sie sahen, wie sich Evelyn ihnen näherte. Sie suchte Millicents Blick weil sie vermutete, dass es leichter sein würde mit ihr zu reden, als mit einer der anderen beiden. Tatsächlich spürte sie einen leichten Schmerz als sie beinahe dieselbe Abneigung in ihren Augen sah, wie sie auch Pansy und Daphne versprühten. "Es tut mir leid", begann sie, legte in ihre Stimme jedoch wenig Emotion. Noch sah sie es nicht ein allzu beschämt zu wirken, denn sie hatte schließlich keine Ahnung was genau sie falsch gemacht hatte. "Wir hatten einen schlechten Start, und ein Großteil der Schuld hab wohl ich." Sie sprach leise und dehnte die Wörter, damit die Hufflepuff, die bereits neugierig zu ihnen hinüber spähten, nicht alles mitbekamen, was sie besprachen. "Hau ab, Harris", fauchte Pansy und wendete sich ab. Evelyn bemühte sich um Ruhe und nickte zur Antwort. "Werde ich tun, aber darf ich mit dir sprechen, Millicent?" Ihre letzten Worte hatte sie an die Angesprochene gerichtet, die nach kurzem Zögern und Blick zu den anderen beiden zu Evelyns Erleichterung knapp nickte. Bevor Millicent sich ein wenig abseits stellte, damit sie unter vier Augen reden konnten, hatte Daphne ihr noch etwas ins Ohr geflüstert, was Evelyn jedoch nicht verstanden hatte. Was es auch war, es hatte kaum eine Regung in Millicents Miene verursacht. "Hogwarts ist etwas völlig Neues für mich." Evelyn blickte nach unten und knetete ihre Finger hinter ihrem Rücken. "Nicht nur Hogwarts, um ehrlich zu sein." Es lag viel Wahrheit in ihren Worten, weshalb sie auch so ehrlich über ihre Lippen kamen. Millicent hörte schweigend aber die Hände noch immer defensiv vor der Brust verschränkt zu. "Ich bin anders aufgewachsen, als du; oder", sie deutete knapp in Richtung Pansy und Daphne, "sie. Wenn ich etwas gesagt habe, dass euch verletzt haben sollte, dann tut es mir leid." Dieses Mal meinte sie ihre Worte, aufrechter, vielleicht auch deshalb, weil sie mit Millicent alleine sprach. Sie wollte, dass Millicent ihr verzieh, was auch immer es zu verzeihen gab. In Millicents Augen glitzerte etwas, doch sie blieb weiterhin stumm und zuckte nur die Schultern, weshalb Evelyn weiterhin das Wort führte. "Ich möchte es verstehen, Millicent. Wir werden noch lange miteinander leben ... müssen. Vielleicht glaubt ihr, ich müsste Bescheid wissen, über all die kryptischen Bemerkungen." Hilflos ließ sie ihre Arme sinken. "Aber das tue ich nicht. Ich dachte immer Reinblüter wären stolz auf das, was sie sind, aber –" "Stopp!" Millicents Stimme durchbrach ihr bisheriges Schweigen wie eine Peitsche. Zu Evelyns Schrecken verzog sich Millicents Mund beinahe zu einer Grimasse, die an einen Zähne fletschenden Wolf erinnerte. Bevor Evelyn etwas erwidern konnte, wurde die Tür zum Unterricht geöffnet und der noch immer ungewohnte Knoblauchgestank wehte ihnen entgegen. Sofort drehte sich Millicent auf dem Absatz und kehrte zu den anderen zurück, die sie aus sicherer Entfernung beobachtet hatte. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Geschlagen betrat Evelyn hinter den Hufflepuff, die sich immer wieder zu ihr herumdrehten, den Raum und ließ die nächsten zwei Stunden über sich ergehen. Zwar nutzte sie die Zeit ihre Hausaufgaben für Verwandlung abgabefertig zu beenden, als sie jedoch versuchte die Strafarbeit für Professor Snape zu formulieren, versagten ihr die Worte. Sie war unkonzentriert und mit den Gedanken die meiste Zeit woanders. Sie fühlte sich, als sei ihr komplettes Weltbild durcheinander geraten. Reinblüter waren stolz, Reinblüter zeigten offen, was sie waren. Immer wieder wiederholte sie, was sie bis vor kurzem als unumstößlichen Fakt angesehen hatte, wie ein Mantra, so als würde es wahr werden, wenn sie es nur oft genug aufsagte. Doch Millicents Reaktion war mehr als eindeutig gewesen. Der Kern des Problems lag wohl darin, dass Evelyn eine völlig falsche Grundannahme hatte, was in für die anderen beleidigenden Aussagen endete. Waren sie beleidigend? Evelyn fuhr sich frustriert durch die Haare. Im Grunde war sie noch immer genauso schlau, wie zuvor. Sie hatte kaum Zeit sich Gedanken darüber zu machen erneut mit einem Teil von Voldemort konfrontiert zu werden, und kaum, dass es ihr bewusst wurde, neigte sich die Stunde auch schon dem Ende. Peinlich berührt musste sie feststellen, dass sie keine Ahnung hatte, was Quirrell ihnen erzählt hatte, vermutete jedoch eine Fortsetzung seiner gestrigen Mahnung in jeder Situation wegzulaufen. Ein Ratschlag, den Evelyn wohl beherzigen würde. Auch der Verwandlungsunterricht gestaltete sich nur wenig besser. Bereits auf dem Weg dorthin plagte sie das schlechte Gewissen, welches stetig anschwoll, bis es zu einem dicken Kloß in ihrer Kehle wurde. Sie wagte es nicht zu den Mädchen zu sehen, als McGonagall die Aufsätze aller einsammelte. Die anschließende Ruhe und fehlende Ermahnung von Seiten der Lehrerin ließ jedoch darauf schließen, dass auch die Millicent und Co. die Zeit während der Verteidigungsstunde genutzt hatten, um wenigstens irgendetwas aufs Pergament zu bringen. Trotzdem hätte ein einfaches "Ja, hier sind meine Aufschriebe" ihnen einiges erspart. Alleine auf der Bank, umringt von ihren Büchern, lauschte sie, diesmal mit mehr Interesse als eben noch in Verteidigung, den Ausführungen von Professor McGonagall. Leider warteten Evelyn und auch die anderen erneut vergeblich auf eine praktische Übung, und so vergingen weitere zwei Stunden reiner Theorie. Als die Mittagspause rief, stand sie schwerfällig von ihrem Platz auf, während ihnen Professor McGonagall letzte Anweisungen zu rief. Das lange Sitzen ließ ihre Beine versteifen, sodass sich nun umso mehr jede ihrer Waden schmerzhaft meldete. Verdammter Muskelkater, dachte Evelyn stöhnend, als sie im Packen von einer Hand auf ihrem Unterarm unterbrochen wurde. "Wir sollten reden." Millicents plötzliches Erscheinen war eine unerwartete Überraschung, mit der Evelyn nach der barschen Abfuhr am Morgen nicht mehr gerechnet hatte. Sie nickte knapp und folgte Millicent, die ohne zu zögern aus dem Raum stürmte und die Treppen nach unten stieg. Zuerst glaubte Evelyn, sie wolle in die Große Halle, doch statt durch das goldene Tor zu gehen, führte sie Evelyn daran vorbei hinein in einen breiten Gang, den Evelyn bisher noch nicht kannte. Sie entschied sich jedoch stumm zu folgen, wo auch immer Millicent hin wollte. Es dauerte nicht lange, da wurden aus den steinernen Wänden, die sie umgeben hatten, offene Alkoven, die nur von breiten Torbögen gehalten wurden. Durch die fensterlosen Öffnungen wehte der warme Wind des spätsommerlichen Tages und hüllte sie in den Geruch frisch gemähten Grases und stehendem Gewässer; ohne Zweifel vom See, der sich nicht weit von hier erstreckte. Millicent bog durch eine Öffnung und trat hinaus in den breiter werdenden Garten, der anfangs künstlich angelegt schien, mit Trittsteinen und gepflegter Erde. Doch mit jedem Schritt wurde die Umgebung wilder, bis sie einen Hügel voller Wildblumen hinabstiegen und keinem festen Weg mehr zu folgen schienen. Millicents schritt verlangsamte sich, als sie eine Reihe scheinbar zufällig angeordneter Felsen im Boden erreichten, die kniehoch aus dem Erdreich ragten. Mit einer Handbewegung bat sie Evelyn Platz zu nehmen, ehe auch sie sich auf einen von der Witterung mitgenommenen Felsen schwang. Der Stein war angenehm warm von der Sonne, die ihnen an diesem wolkenlosen Tag direkt ins Gesicht schien. Trotzdem konnte auch sie nicht die nagende Kälte vertreiben, die Evelyn in ihrem Innern spürte. Für eine Weile herrschte Stille, in der nur das Kratzen unruhiger Finger auf dem rauen Fels zu hören war. Keine der beiden wusste, was sie sagen konnten und sollten, um ein Gespräch zu beginnen. Schließlich war es Millicent, die auch auf dieses Gespräch bestanden hatte und sich ein Herz fasste. Sie atmete tief ein, ehe sie zu reden begann. "Ich muss mich auch entschuldigen, weißt du?" Evelyn runzelte irritiert die Stirn, beantwortete die Frage jedoch nicht. "Es ist leicht zu vergessen, dass es Leute gibt, die nicht wissen ... wie es ist ... nunja. Jeder in Slytherin weiß normalerweise Bescheid. Und ein paar der anderen Schüler, glaub ich. Aber hier bei uns ist es nochmal ... anders." Es war nur allzu offensichtlich, dass Millicent nervös war. Sie brabbelte, zunächst langsam und gedehnt, immer schneller, bis sich ihre Worte überschlugen, so als wolle sie am liebsten alles auf einmal erzählen. Evelyn hob beruhigend die Hände. "Millicent, du bist wieder kryptisch. Ich verstehe nur Bahnhof." "Bahnhof? Was hat denn ein Bahnhof mit der Situation zu tun?", fragte Millicent auf eine ehrliche Art und Weise. "Oh ... ehm", nun war es an Evelyn nervös zu brabbeln. "N-nicht so wichtig. Vergiss es einfach." Muggelredensarten sind wohl nicht sehr geläufig, bemerkte sie mit einem angedeuteten Schmunzeln, auf das sich Millicent jedoch keinen Reim machen konnte. Evelyn wollte die Aufmerksamkeit wieder Wichtigem zuwenden. "Erklärs mir, Millicent. Daphne, du, Pansy ... vermutlich auch die Jungs ... etwas belastet euch. Ständig. Du hast es selbst gesagt. Macht euer Familienhaus euch derart Druck gut zu sein? Erfolgreich zu sein?" Es war eine naheliegende Vermutung, die sie nun laut aussprach. Doch auch das konnte nicht die Antwort auf alles sein. Millicent mied ihren Blick, weshalb Evelyn zunächst dachte mit ihrer Vermutung richtig zu liegen, bis Millicent jedoch anfing heftig den Kopf zu schütteln. "Nein, nicht nur. Ich meine, natürlich wird von uns viel erwartet. Ich will nicht in Dracos Haut stecken, als Beispiel." Ein schwaches Lächeln erschien in ihrem Gesicht, das genauso schnell auch wieder verschwand. Erneut empfand sie Mitleid für Millicent, die zusammengesunken und um Worte ringend auf dem Felsen saß. In ihren Augen fehlte plötzlich jeder Glanz, so als ob sie die aufkommenden Emotionen tief ins sich einschloss. Tatsächlich redete sie mit monotoner Stimme weiter, wich Evelyns Blick aber weiterhin aus. "Es ist der Druck nicht das zu werden – nicht das zu sein –, was die Welt von dir erwartet." Evelyn spielte mit den Worten in ihren Gedanken und versuchte deren Bedeutung genau zu entschlüsseln. "Was die Welt erwartet?" Millicent nickte langsam. "Man hasst uns, so einfach ist das." Es war schockierend solch harte Worte aus dem Mund eines Kindes in Millicents Alter zu hören, noch dazu in völlig nüchternem Ton, so als wäre es eine lang akzeptierte Tatsache. "Weil eure Eltern Anhänger von ... Du-weißt-schon-wem waren", schloss Evelyn ihre Gedanken. "Eure Eltern", fauchte Millicent, nun mit Wut in der Stimme. "Das ist es. Du distanzierst dich, und gleichzeitig redest du, wie sie. Eure Eltern, so als ob unsere Eltern natürlich gemeinsame Sache mit Du-weiß-schon-wem gemacht haben." Millicent nahm kurz Luft, ehe sie in ruhigerem Ton weitersprach. "Wobei ich nicht bestreiten will, dass einige tatsächlich involviert waren ... vielleicht." Ihre Stimme war ein flüstern, so als hatte sie Angst überhört zu werden, obwohl weit und breit niemand zu sehen war. Evelyn begann jedoch langsam zu verstehen. "Man sieht nur das Schlechte." In euch, wollte sie noch sagen, machte vorher jedoch einen Punkt, um sich nicht wieder zu distanzieren. "Jeder hat jemanden verloren. Auf die ein oder andere Weise." Ihre Stimme war brüchig und ihr Blick verlief ins Leere, ohne etwas zu fokussieren. Evelyn versuchte zu schlucken, doch ihre Zunge blieb an ihrem völlig ausgetrockneten Gaumen kleben, während sie daran dachte, was Millicent unausgesprochen ließ. Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Niemand betrauert die Verlierer, außer den Verlierern selbst. Man begegnete allen aus Slytherin mit Abneigung, egal wie sehr die Familie eines einzelnen involviert war, soviel wusste Evelyn. Es waren Rons eigene Worte gewesen, die er kurz vor der Sortierung an Harry gerichtet hatte. Man sah nicht die einzelnen Schüler, sondern man sah nur die Slytherins. Und die hatten mit den allzu frischen Vorurteilen der restlichen Zauberergemeinschaft zu kämpfen. Ein wenig konnte Evelyn Millicent und die anderen nachvollziehen. Ähnliches hatte auch sie schon unzählige Male erlebt, besonders während ihrer Japanreise wurde sie immer wieder mit dem Nazi-Stempel versehen sobald andere hörten, dass man Deutsche war. Ohne Zweifel wird, das meiste zumindest, scherzhaft gemeint, doch jede Bemerkung ist ein Stich in eine eigentlich verheilte Wunde einer Nation. 60 Jahre liegen zwischen ihr und denen, die für all das Grauen während des Krieges verantwortlich waren, und doch reichte ihre Nationalität aus, um sie in eine Schublade mit denen zu stecken. Sie konnte sich kaum vorstellen wie es für Millicent und die anderen war, die zu der ersten Generation nach Voldemort zählten; mit zum Teil nachweislicher Vergangenheit. Plötzlich kam ihr Daphnes Dünnhäutigkeit nicht mehr überzogen, lächerlich oder kindisch vor. Letzten Endes war auch sie nur ein Mädchen, das versuchte gegen eben jene Vorurteile anzukämpfen. "Es tut mir so leid." Zum ersten Mal meinte sie ihre Entschuldigung von ganzem Herzen. Mehr noch, sie fühlte sich elend je mehr ihr einfiel, was sie alles gesagt hatte, und wie ihre Bemerkungen auf dünnes Eis getroffen waren; dünnes Eis, das verständlicherweise leicht brach. "Daphnes Eltern wurden wochenlang verhört, damals als ... du weißt schon. Weil ihr Onkel als Todesser identifiziert worden war vermutete man, sein Bruder und dessen Frau gehörten auch dazu." "Millicent, du musst mir das nicht erzählen." Eilig unterbrach Evelyn Millicents Erklärung, die sie leise, beinahe ehrfürchtig begonnen hatte vorzutragen. "Ich möchte aber. Es ist eigentlich kein Geheimnis. Jeder von uns könnte dir etwas erzählen." Sie lachte trocken, ohne Humor in die Stimme zu legen. "Jeder weiß es. Nur sprechen wir nicht darüber. Es reicht, wenn die anderen über uns reden, verstehst du?" Sie hob ihren Kopf und sah zurück zum Schloss hoch, dessen grauer Stein und unzähligen Fenster im Licht der Sonne funkelte. Evelyn folgte ihrem Blick, konnte die malerische Szenerie vor ihr jedoch nicht wertschätzen, da sie verblüfft darüber war, wie erwachsen Millicent mit dem Thema umging. Es war klar, dass sie schon sehr früh mit Vorurteilen und wie die Gemeinschaft sie sah konfrontiert worden war. Evelyn hätte es sogar verstanden, wenn sie verbittert gewirkt hätte, ja sogar wütend. Doch das tat sie nicht. Stattdessen sah Evelyn nur ein gefasstes Mädchen, das sich mit erschreckender Gefühlskälte an den Hass gewöhnt hatte. "Dann müssen wir auch nicht reden", versuchte sie es erneut, doch Millicents Kopfschütteln ließ sie verstummen. "Du hast ja recht. Wir können nicht erwarten, dass du dich, ahnungslos wie du bist, wie wir verhältst." Millicent gluckste. "Soweit ich weiß sind die meisten Fawleys sowieso damals abgehauen. Kein Wunder, dass dir nie jemand etwas erzählen konnte von ... dem hier." Sie machte eine weit ausholende Geste mit ihrer Hand, die nie groß genug hätte sein können, um die komplette englische Zauberergemeinschaft mit einzuschließen. Evelyn neigte beschämt ihren Kopf. Im Grunde hätte Millicent auch sagen können, dass sie genauso viel über sie alle Bescheid wusste, wie eine Muggelgeborene, die sie im Kern wenn auch unentdeckt von den anderen war. Ob Millicent die Wahrheit zu ihrer angedichteten Familie sprach, konnte Evelyn nicht beurteilen, also hob sie nur entschuldigend die Schulter und lachte schwach. "Was wurde aus Daphnes Eltern?", fragte sie schließlich, hatte jedoch Angst die Antwort zu hören. "Offiziell geschah ihnen nichts. Inoffiziell", sie machte eine kurze Pause, in der Evelyn glaubte ihr Herz war über das Rauschen des Windes hinweg zu hören, "brachte man sie tief hinunter ins Ministerium. Dort befragte man sie ... mit Hilfsmitteln. Sie haben nie darüber gesprochen, doch meine Mutter meinte, Daphnes Mutter wäre seitdem ... anders. Auch äußerlich." Wieder senkte Millicent ihre Stimme zu einem Flüstern, sodass sich Evelyn leicht vorbeugen musste, um sie zu verstehen. "Äußerlich?" Sie nickte. "Sie hat schneeweiße Haare." Die Art wie sie es sagte machte deutlich, dass Daphnes Mutter eigentlich zu jung war, um weiße Haare zu haben. Vor allem wenn man Daphne mit ihren dunklen, langen Haaren kannte und vor Augen hatte. Evelyn formte ein stummes O, als ihr dämmerte, was passiert sein konnte. "Daphne war gerade drei geworden und lebte praktisch im Ministerium, in der Obhut jener Männer, die ihre Eltern verhörten. Daphnes Mutter war zu dem Zeitpunkt hochschwanger", erklärte Millicent weiter, setzte aber einen markanten und gut hörbaren Punkt hinter ihre letzte Aussage. Vielleicht erwartete Millicent nun zu hören, wie schlecht sich Evelyn für Daphne fühlte und wie furchtbar es gewesen sein muss in so einem Alter bereits so etwas zu erleben. Doch Daphne war nun mal nicht die einzige. Es war, wie Millicent sagte, jedem aus ihrem Haus irgendwann in irgendeiner Weise so ergangen. Vielleicht erwarteten sie kein Mitleid, auch wenn Evelyn es durchaus empfand. Vielleicht brauchten sie nur Verständnis und Akzeptanz. "Danke, dass du mir das gesagt hast. Ich denke, ich verstehe jetzt einiges besser." Sie verstand, dass es vieles gab, worüber man in Slytherin bewusst nicht sprach, da es alte noch lang nicht verheilte Wunden aufriss. Sie verstand, dass jeder Tag für sie ein Kampf gegen all jene war, die in ihnen nichts weiter als den Feind sahen. Sie verstand, dass es eine besondere, auf gemeinsamen Erlebnissen basierende, Gemeinschaft zwischen den Slytherins gab, in die sie nun wie ein Fremdkörper hineingeplatzt kam. Wieder dachte sie an ihre Sortierung zurück, die ihr Leben so einfach hätte machen können. In Hufflepuff wäre sie als Fremdkörper beinahe nicht aufgefallen. Sie wäre nur eine Außenseiterin gewesen, ohne jemanden damit zu schaden. Hier jedoch, in Slytherin, könnte sie ein sorgfältig, aber dünn aufgebautes Konstrukt von Sicherheit mit ihrem Entschluss sich zu distanzieren zerstören. Als Slytherin hielt man zusammen, so wurde es ihnen gesagt. Eine sichere Insel, gegen das Meer an Hass und Abscheu gegen das, was sie darstellten, indem sie das grün-silberne Wappen auf der Brust trugen. Sie könnte all dies zum Einsturz bringen, wenn sie als erste in dieser langen Kette ausbrach und sich weigerte, aus welchen Gründen auch immer, einem Slytherin in Not zu helfen. Zum Beispiel, wenn sie mit einer harmlos gemeinten Bemerkung, über die man in Ravenclaw vielleicht nur müde gelächelt hätte, sich weigerte, ihre Hausaufgaben zu teilen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)