Der Spiegel von lula-chan ================================================================================ 10 | Die Vorgeschichte ---------------------- Als Chloe bei dem angegebenem Zimmer ankommt, wartet Linalis Halbbruder bereits auf sie. Er lehnt mit verschränkten Armen im Türrahmen und betrachtet Chloe aus seinen schwarzen Augen abschätzend. Er trägt einen blauen Kimono mit weißen Längsstreifen, der von einem schwarzen Gürtel gehalten wird. Seine langen, blauen Haare sind streng zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Nur zwei Strähnen hängen locker herunter. Ein lockerer Pony bedeckt seine Stirn. Er ist barfuß. “Detective Chloe Decker, LAPD”, stellt Chloe sich vor und zeigt dem jungen Mann ihren Ausweis. “Kanda Yū”, erwidert dieser kurz angebunden, seine Begeisterung für diesen Besuch hält sich in Grenzen. “Könnten wir uns vielleicht drinnen unterhalten? Auf dem Flur erregen wir nur unnötiges Aufsehen”, bittet Chloe. Kanda tritt daraufhin schweigend zur Seite und lässt Chloe eintreten. Hinter ihr schließt er die Tür wieder und folgt ihr zurück ins Zimmer. Als Chloe jedoch auf die kleine Stufe, die etwas von der Tür entfernt ist, tritt, räuspert sich Kanda, worauf Chloe ihn fragend ansieht. Als Antwort sieht Kanda nach rechts unten, vor die Stufe, wo ein Paar Sneakers steht. Chloe folgt seinem Blick und versteht. Sie zieht sich ihre eigenen Schuhe aus und stellt sie ordentlich neben das andere Paar. Kanda ist in der Zwischenzeit an ihr vorbei geschritten und hat ein Tablett mit zwei japanischen Teetassen und einer dazu passenden Teekanne von einem hohen Beistelltisch auf den niedrigen Wohnzimmertisch gestellt. Schweigend kniet er sich im Seiza vor den Tisch und gießt Tee in die Tassen. Chloe, die inzwischen zu ihm getreten ist, betrachtet ihn eine Weile, bevor sie sich ihm gegenüber an dem Tisch niederlässt, seine Haltung dabei imitierend. “Das würde ich lassen”, meint Kanda, während er die Kanne zurück auf das Tablett stellt, Chloe dabei nicht ansehend. “Wie?”, fragt sie nach. “Für Ungeübte kann dieser Sitz schnell schmerzhaft werden. Wenn Sie nachher noch laufen wollen, sollten Sie sich anders hinsetzen”, erklärt er sachlich, seinen Blick nun wieder auf Chloe ruhend. “Danke”, erwidert sie und wechselt in den Schneidersitz. Kanda lässt dies unkommentiert, greift stattdessen zu seiner Tasse und nimmt einen Schluck Tee. Chloe fühlt sich dadurch genötigt ebenfalls einen Schluck zu nehmen. Der herbe Geschmack des Grüntees breitet sich in ihrem Mund aus. “Sehr lecker”, meint sie zu Kanda, während sie ihre Tasse zurückstellt. Von ihm erhält sie jedoch nur einen missmutigen Blick. Chloe fragt sich, was sie nun schon wieder falsch gemacht hat. Kanda scheint ihr ihre Überlegungen anzusehen. Er seufzt, ehe er beginnt zu erklären: “In Japan gehört es zum guten Ton einem Gast Tee anzubieten. Dafür wird kein Dank erwartet. Er ist sogar verpönt.” “Oh, das wusste ich nicht. Entschuldigen Sie bitte”, sagt Chloe. Kanda nickt daraufhin nur knapp. Einen Moment herrscht Schweigen. Kanda ist es, der die Stille bricht. “Also. Warum sind Sie hier?”, will er wissen. Seinen Argwohn dabei nicht verbergend. Nun ist es an Chloe zu seufzen, was Kanda eine Augenbraue hochziehen lässt. Chloe geht darauf jedoch nicht ein. Auf dem Weg zum Hotel hatte sie sich natürlich ihre Gedanken gemacht, wie sie ihm erklären sollte, dass seine Halbschwester ermordet wurde, aber erst jetzt, wo sie ihn vor sich hat und seinen Charakter beurteilen kann, hat sie sich für eine Methode entschieden. Sie würde es ihm direkt sagen, ohne großartig um den heißen Brei zu reden. “Es geht um ihre Halbschwester”, beginnt sie, ein bisschen um den heißen Brei reden musste sie wohl. So kann sie auch austesten, ob sie mit dieser Entscheidung richtig liegt. “Und?”, fragt Kanda genervt nach. Chloe lächelt leicht. Sie hatte mit ihrer Vermutung also Recht. Das Lächeln verschwindet aber gleich wieder, denn das, was sie zu sagen hat, ist keineswegs zum Lächeln. “Ihre Halbschwester wurde heute morgen tot aufgefunden. Wir gehen von Mord aus”, sagt sie direkt heraus und wartet dann auf Kandas Reaktion, die nicht lange auf sich warten lässt. Innerhalb einer Sekunde wechselt sein Geschichtsausdruck von genervt auf betroffenen. Mit zitternden Händen greift er zu seiner Tasse und trinkt den Rest Tee in einem Zug aus. Die noch recht hohe Temperatur scheint ihm in diesem Moment nichts auszumachen. Ruckartig erhebt er sich und läuft zu einer Kommode, die rechts neben einem Fenster steht. Chloe folgt jedem seiner Schritte mit den Augen und beschließt ebenfalls aufzustehen, als er vor der Kommode stehen bleibt. Vorsichtig macht sie einige Schritte in seine Richtung und kann so beobachten, wie Kanda die Hand nach einem Bilderrahmen ausstreckt und behutsam über das Holz streicht. Sie nähert sich ihm weiter, bewegt sich dabei langsam und behutsam. “Warum auch sie? Warum ausgerechnet heute?”, murmelt Kanda mehr zu sich selbst als zu Chloe. Seine Hand liegt dabei auf dem Glas des Bilderrahmens. “Auch?”, fragt Chloe vorsichtig nach. Erst reagiert Kanda nicht, nimmt dann jedoch den Bilderrahmen in die Hand und reicht ihn Chloe. Seine Position behält er dabei jedoch bei, streckt nur den Arm zu ihr aus. Vorsichtig nimmt Chloe den Rahmen an sich und betrachtet das Bild, das hinter dem Glas ist. Es zeigt einen jungen Mann mit weißen Haaren und silbernen Augen. Er zwinkert in die Kamera, wodurch man die Narbe über seinem linken Auge gut sehen kann. Auf seinen Lippen liegt ein breites Lächeln. Er trägt ein weißes Shirt und darüber eine schwarze Jacke. Dazu eine graue Hose und einen schwarzen Gürtel. Seine Hände liegen hinter seinem Kopf und auf seiner Schulter sitzt ein goldener Golem. Als Hintergrund sind Herzen gewählt worden. Einige Herzen sind auch vor dem Jungen platziert. “Wer ist das?”, fragt Chloe, reicht das Bild wieder zurück an Kanda, der es behutsam an seinen alten Platz stellt und sich erst dann wieder an Chloe wendet. “Allen Walker. Ein guter Freund von uns”, antwortet Kanda ihr. “Er wurde heute vor genau einem Jahr ermordet. Der Täter wurde nicht gefunden.” Er lehnt sich mit dem Rücken gegen die Kommode. Ein Seufzen verlässt seine Lippen. “Mögen Sie mir erzählen, was damals passiert ist?”, fragt Chloe behutsam nach. Sie möchte ihn keinesfalls bedrängen. Kanda nickt knapp. Er schließt seine Augen, seufzt erneut. “Wir hatten damals ein Cafe. Linalis großer Wunsch. Ein beschauliches, kleines Cafe in einem schönen Eck Londons. Das war noch vor ihrer Zeit als Model, aber auch danach ging es weiter. Irgendwann, ich hatte Linali zu einem Auftrag begleitet, hatte Allen auf dem Flohmarkt einen Spiegel erstanden. Das mag vielleicht komisch klingen, aber ich hatte das Gefühl, dass von ihm eine seltsame Energie ausging. Linali fand ihn aber gut und so haben wir ihn im Cafe aufgehangen. Drei Monate später hatte Linali erneut einen Auftrag. Es ging nach Schottland. Auch dorthin habe ich sie begleitet. Allen blieb in London. Er hatte sich noch nicht ganz von einer schweren Lungenentzündung erholt. Als wir wiederkamen sind wir ins Cafe. Linali wollte noch schnell nach dem Rechten sehen. Wir haben den Laden durch die Hintertür betreten und sind dann in den Verkaufsraum, Linali war vor mir, da hat sie auf einmal geschrien. Ich habe mich an ihr vorbei geschoben und konnte ihn so sehen. Er lag auf dem Tresen. Den Blick nach oben gerichtet. Ein Arm hing herunter, der andere lag auf seinem Bauch. Blut tropfte auf den Boden. Sein ganzes Hemd war vollgesogen mit seinem eigenen Blut und in seiner Brust steckte ein Kunai. Mir blieb das Herz stehen. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit, während der ich ihn einfach nur angestarrt habe, kam ich zur Besinnung. Ich schob Linali zurück in die Küche und rief die Polizei an. Später fiel dann auf, dass der Spiegel gestohlen wurde. Nur der Spiegel nichts anderes. Nur der Spiegel”, erzählt Kanda, die Augen dabei weiterhin geschlossen. Er zittert merklich und schluckt hörbar, als er aufgehört hat zu erzählen. “Es wurde wirklich nur der Spiegel gestohlen?”, hakt Chloe nach. “Ja”, haucht Kanda. Zu mehr fühlt er sich nicht in der Lage. Chloe, der sein derzeitiger Zustand aufgefallen ist, tritt nun nah an ihn heran und legt ihre Hände vorsichtig an seinen Arm. Mit leichtem Druck führt sie ihn zurück zu dem Tisch und sorgt dafür, dass er sich hinsetzt, diesmal jedoch nicht im Seiza. Sie selbst setzt sich ihm wieder gegenüber. “Haben Sie vielleicht ein Bild von diesem Spiegel?”, möchte Chloe wissen. Kanda nickt lediglich. Chloe bringt daraufhin eine ihrer Karten zu Tage und schiebt sie zu Kanda. “Könnten Sie das Bild an die angegebene E-Mail-Adresse senden?”, fragt sie dabei. Kanda nickt wieder nur. Er hat das Gefühl, dass seine Stimme versagt und diese Blöße will er sich nicht auch noch geben. “Gut”, sagt Chloe. Sie betrachtet Kanda einen Moment, ehe sie anfügt: “Ihrem Halbbruder Komui Li haben wir bereits Bescheid geben. Er wird sich, sobald es geht, auf den Weg hierher machen.” Wieder nur ein Nicken seitens Kanda. Nur mühsam kann er die aufsteigenden Tränen unterdrücken. Gleichzeitig ist er aber auch unendlich froh, dass er Komui nicht selbst Bescheid geben muss und dieser bald in L.A. ist. Chloe greift nach einem kurzen Moment der Stille zu ihrer Tasse und trinkt den Rest des Tees in einem Zug runter. Sie stellt das Glas wieder auf den Tisch und erhebt sich dann. “Ich werde Sie nun erstmal in Ruhe lassen. Das Gespräch werden wir später fortführen”, erklärt Chloe, der klar geworden ist, dass sie hier für's erste nichts mehr erreichen wird. Sie streckt Kanda ihre Hand entgegen, zieht sie dann jedoch zurück, als sie seinen ablehnenden Blick sieht. Chloe überlegt, was sie nun tun soll, doch Kanda nimmt ihr die Entscheidung ab. Er neigt seinen Kopf leicht nach unten. Chloe imitiert die Bewegung einfach und verabschiedet sich dann. Von Kanda erwartet sie keine Erwiderung, also geht sie einfach zur Tür, zieht sich ihre Schuhe wieder an und verlässt dann das Zimmer. Die Tür zieht sie vorsichtig hinter ihr zu. Für sie geht es jetzt erstmal zurück ins Präsidium. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)