Der Spiegel von lula-chan ================================================================================ 01 | Die Übergabe ----------------- Lucifer will gerade in seine Corvette einsteigen und sich auf dem Weg ins LAPD machen, als ihm ein junger Mann mit einem Paket unterm Arm auf die Schulter tippt. Langsam dreht sich Lucifer um und setzt sein übliches Lächeln auf. “Lucifer Morningstar?”, fragt der Junge ihn. “Ja, der bin ich”, gibt Lucifer zurück und lässt dabei seinen Blick über den Mann vor ihm schweifen. Er hat braunes, wild zerzaustes Haar, das mit einem blauen Stirnband in Schach gehalten wird. Auf seinen Wangen prangt jeweils ein rotes Dreieck, anscheinend ein Tattoo, aber sicher ist Lucifer sich da nicht. Seine Augen haben etwas Raubtierhaftes, erinnern Lucifer irgendwie an die eines Hundes, und seine Eckzähne stehen leicht vor, sodass man sie auch sehen kann, wenn er seinen Mund geschlossenen hält. Der Junge, Lucifer schätzt ihn auf 19, trägt einen karierten, blauen Pullover mit grauer Kapuze und hochgekrempelten Ärmeln und eine blaue Hose sowie schwarze Sneaker mit weißer Sohle. “Ein Glück”, meint der Junge und atmet erleichtert aus. “Ich soll Ihnen das hier geben.” Mit diesen Worten überreicht er Lucifer das Paket, welches er bis gerade eben noch unter seinem Arm geklemmt hatte. “Was ist das?”, will Lucifer skeptisch wissen, doch der Junge zuckt nur mit den Schultern. “Keine Ahnung. Ich soll es Ihnen nur überreichen. Mehr hat man mir nicht gesagt”, antwortet er. Damit dreht sich der Junge auch schon um und zieht seiner Wege. Zurück lässt er einen verwirrten Lucifer. 02 | Das Paket -------------- Lucifer schaut dem Jungen noch einen Moment hinterher, ehe er seinen Blick auf das Paket in seinen Händen richtet. Ein braunes Paket, das noch nicht mal mit Paketband verklebt, sondern nur an den Laschen zusammengesteckt wurde, und keinerlei Hinweise auf den Absender birgt. Lucifer legt das Paket auf den Sitz seiner Corvette und öffnet eine der Laschen an der Seite. Um besser an den Inhalt zu kommen, hält er das Paket nun schräg. Vorsichtig zieht er den Inhalt heraus und legt ihn auf das Paket. Irritiert betrachtet er ihn, nicht wissend, was er damit anfangen soll. Es ist ein ovaler Spiegel mit goldenen, geschwungenen Verzierungen außen herum. Lucifer dreht den Spiegel um und wirft einen Blick auf die Rückseite, doch auch hier kann er keinen Hinweis entdecken, um zu verstehen, was das soll. Noch nicht mal ein Kratzer ist auf dem glatten Metall zu sehen und so dreht Lucifer den Spiegel wieder um. Mit den Händen an beiden Seiten richtet er ihn schließlich auf und wirft einen Blick hinein, doch außer seinem eigenen Spiegelbild gibt es nichts besonderes zu sehen. Auch die Verzierungen helfen Lucifer nicht weiter. Sie lassen keinen Schluss darauf zu, welchem Zweck dieser Spiegel dient. Lucifer betrachtet ihn noch einige Momente, ehe er den Spiegel genauso vorsichtig, wie er ihn auch rausgeholt hatte, wieder in dem Paket verstaut. Kurz überlegt er, ob er das Paket einfach auf den Rücksitz seiner Corvette legen und sich später darum kümmern soll. Er entscheidet sich jedoch dagegen. Da er nicht weiß, was es mit dem Spiegel auf sich hat, sollte er ihn besser nicht mitnehmen und so riskieren, dass nachher noch ein Unglück passiert. Lucifer klemmt sich das Paket also unter den Arm und geht zurück, um es in seiner Wohnung zu drapieren. So würde er sich zwar immer noch später damit beschäftigen, aber der Spiegel wäre wenigstens in Sicherheit. Zufrieden damit verlässt Lucifer seine Wohnung wieder und macht sich nun aber wirklich auf den Weg ins LAPD. 03 | Der Fall ------------- Lucifer läuft die Treppe im LAPD herunter und steuert direkt auf Chloes Schreibtisch zu. “Wo waren Sie so lange?”, wird er auch gleich von ihr gefragt. “Ich wurde aufgehalten”, antwortet Lucifer lediglich. Chloe sieht ihn fragend an. Lucifer macht jedoch keine Anstalten weiter darauf einzugehen. “Nun gut”, meint Chloe etwas enttäuscht und streicht sich eine Strähne hinter ihr Ohr. Einen Moment ist es still zwischen den beiden, ehe Chloe etwas gefasster weiterspricht. “Wir haben einen neuen Fall. Lassen Sie uns gleich gehen.” Lucifer lächelt. “Um was geht es?”, möchte er wissen, während er Chloe nach oben folgt. “Bei den Proben für die Fashion Week hier in L.A. wurde die Leiche einer jungen Frau gefunden.” “Wer?”, fragt Lucifer nach. Mittlerweile haben die beiden den Eingang zum LAPD erreicht. Lucifer hält Chloe mit einer geschmeidigen Bewegung die Tür auf. “Vielen Dank”, sagt Chloe geschmeichelt. Erneut streicht sie sich eine Strähne hinter ihr Ohr. “Keine Ursache”, meint Lucifer mit seinem typischen Lächeln. Sie gehen das Stück bis zum Wagen schweigend nebeneinander. Erst als sie drin sitzen und Chloe sich angeschnallt hat, gibt sie Lucifer die Antwort auf seine Frage. “Das Mädchen heißt Linali Li. Ein chinesisches Model, das bei der Fashion Week laufen sollte. 19 Jahre alt und Geheimtipp der Show.” Chloe kramt aus der Mappe des Falls ein Foto des Jungmodels hervor und reicht es Lucifer. “Das ist sie”, erklärt Chloe dabei. Lucifer nimmt das Bild an sich und betrachtet es eingehend. “Hübsches Ding. Eine Verschwendung ist das”, meint er und gibt Chloe das Bild zurück. “Ja, wohl wahr”, gibt ihm diese Recht und verstaut das Foto wieder in der Mappe. Lucifer runzelt über diese Aussage kurz seine Stirn, belässt es aber dabei. “Na dann. Auf geht's. Lassen Sie uns diesen Fall lösen”, sagt er stattdessen. Chloe nickt ihm zu und startet den Wagen. 04 | Die Ankunft ---------------- “Kommt es mir nur so vor oder ist innerhalb der letzten halben Stunde die Temperatur um 15 Grad gestiegen?”, fragt Chloe, kaum dass sie den Wagen verlassen haben. Sie streicht mit der Hand über ihre Stirn. Schweißtropfen kleben daran. “Ja, schon komisch”, antwortet Lucifer ihr. “Es ist schließlich schon fast Herbst.” “Und damit Spätsommer”, fügt Chloe an. Lucifer ist irritiert, was ihr durchaus auffällt. Chloe lächelt. “Lasst uns diesen Fall aufklären”, meint sie, was Lucifer nur noch mehr irritiert. Chloe quittiert dies mit einem Lächeln und betritt den Athletic Club. Diesmal hält sie Lucifer die Tür auf. “Kommen Sie endlich?”, fragt sie lachend. Lucifer schüttelt seinen Kopf und folgt Chloe ins Innere des Gebäudes. Eine angenehme Kühle schlägt den beiden entgegen. Von der Wärme außerhalb des Gebäudes ist nichts mehr zu spüren. Chloe atmet erleichtert auf. “Das ist eindeutig besser”, meint sie, während sie den Raum zügig durchschreitet und auf einen Polizisten zuläuft, der ihnen auf halbem Weg entgegenkommt. Lucifer folgt ihr. Bei dem Polizisten angekommen, informiert sich Chloe über die Lage, während sich Lucifer interessiert umschaut. “Kommen Sie?”, wird er aus seinen Gedanken gerissen. “Ja, natürlich”, antwortet Lucifer und holt zu Chloe auf. Gemeinsam betreten sie schließlich die große Halle. 05 | Der Tatort --------------- Chloe verschafft sich einen kurzen Überblick und lässt ihren Blick durch den Raum schweifen. “Hey, Lucifer!”, ruft sie ihrem Partner zu, der ohne etwas zu sagen, zu der Leiche des Mädchens gegangen ist. Schnell holt sie zu ihm auf und stellt sich neben Lucifer, der auf dem Boden kniet. “Wirklich zu schade”, meint Lucifer und betrachtet die junge Frau. Ihre grünen Haare verteilen sich auf dem Boden des Laufstegs. Eine rote, französische Mütze hält ihre Haare etwas in Schach. Dazu trägt sie ein schwarzes Longshirt mit grauen Streifen, eine rote Weste, eine hellblaue Shorts, die von einem grauen Gürtel gehalten wird, und Sneaker. Um ihren Hals hängt eine rote Kette. Was das friedliche Bild dieser Frau zerstört sind ihre weit aufgerissen, schwarzen Augen, das dünne Rinnsal Blut, welches aus ihrem Mund quillt, und das Messer, welches in ihrer Brust steckt. “Da haben Sie recht. Sie hatte ihr ganzes Leben noch vor sich”, gibt Chloe ihm erneut Recht. “Detective?”, werden die zwei aus ihren Gedanken gerissen. “Ja? Was gibt es?”, will Chloe wissen, dreht sich dabei nach hinten um. “Sie sollten sich mal mit der Frau dahinten unterhalten. Sie hat das Opfer gefunden”, sagt der Polizist, der sie angesprochen hat. “Oh, ja. Natürlich”, antwortet sie und beobachtet aus dem Augenwinkel, wie sich Lucifer erhebt. “Dann wollen wir mal”, meint Lucifer und läuft zu der Frau, die der Polizist erwähnt hat. Chloe sieht ihm einen Moment hinterher, ehe sie ihm folgt und schnell zu ihm aufholt. 06 | Das Gespräch ----------------- “Warum haben Sie es eigentlich so eilig?", fragt Chloe, als sie Lucifer erreicht hat. “Hm, weiß nicht”, meint Lucifer nachdenklich. “Sie wirken schon die ganze Zeit über etwas zerstreut. Ist alles in Ordnung?”, möchte Chloe besorgt wissen. “Ja. Ja, ich denke schon”, antwortet Lucifer ihr. “Das klingt aber nicht sehr überzeugt. Ist wirklich alles gut bei Ihnen?”, fragt Chloe erneut nach. “Ja, ist es. Ich hatte heute morgen nur eine etwas seltsame Begegnung. Das liegt bestimmt daran”, meint Lucifer und fügt an, bevor Chloe etwas sagen kann: “Wir sollten uns jetzt auf den Fall konzentrieren. Meinen Sie nicht?” “Ja. Ja, natürlich”, erwidert Chloe und streicht sich schon zum dritten Mal heute eine Strähne hinter ihr Ohr. Das letzte Stück bis zu der jungen Frau, die die Leiche gefunden hat, gehen sie schweigend nebeneinander. Lucifer lässt seinen Blick über die Frau gleiten. Sie hat blonde Haare, die sie zu einem hohen Zopf zusammengefasst hat. Ihr Pony hängt über ihrem rechten Auge und über ihrem linken Ohr hält eine rote Spange eine kleinere Strähne in Schach. Ihre Augen sind blau. Sie trägt silberne Ohrstecker und ein fliederfarbenes Kleid mit Spaghettiträgern. “Ich bin Detective Chloe Decker und das ist mein Partner Lucifer Morningstar”, stellt Chloe sich und Lucifer vor. “Ino Yamanaka”, erwidert die Frau. Ihr Blick ist auf ihren Schoß gerichtet. “Es wird Sie wahrscheinlich sehr geschockt haben ihre Kollegin, nehme ich jetzt mal an, so zu sehen, dennoch würde ich gerne wissen, wie Sie sie gefunden haben”, beginnt Chloe das Gespräch. “Das habe ich doch bereits einem ihrer Kollegen erzählt”, sagt Ino leise. Der tiefsitzende Schock über das Geschehene ist ihrer Stimme deutlich zu entnehmen. “Ich weiß, aber dennoch möchte ich Sie bitten es auch mir zu erzählen”, erwidert Chloe. “Na gut”, stimmt Ino ihr dann schließlich doch zu und richtet ihren Blick auf Chloe. “Ich bin zu den Proben hergekommen, war aber etwas zu früh dran. Da ich aber nicht hinten warten wollte, so ganz allein ist das dann doch recht unheimlich, bin ich hierher gekommen. Ich hatte gesehen, dass jemand auf dem Laufsteg liegt, und habe einfach gerufen, um seine oder eben ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Als keine Antwort kam, bin ich hingelaufen und habe wahrlich den Schock meines Lebens bekommen. Das ganze Blut. Ihre aufgerissenen Augen. Danach war alles schwarz. Als ich schließlich wieder zu mir kam, war die Polizei bereits da. An das was dazwischen war, kann ich mich nicht mehr erinnern.” Ino kaut auf ihrer Unterlippe, nachdem sie geendet hatte. “Das Sie dieser Anblick geschockt hat, verstehe ich. Es ist auch häufig so, dass man aufgrund dieses Schocks Erinnerungslücken hat und darum…”, erklärt Chloe. “Soll mich das jetzt trösten?”, unterbricht Ino sie erbost. “Es ist ein Mensch gestorben. Verdammt. Eine Kollegin, eine Freundin. Was bringt mir da dieses philosophische Geschwätz?” Chloe blinzelt einige Male. “Ja, natürlich”, bringt sie schließlich hervor. Sie blickt hilfesuchend zu Lucifer. “Also, Ino. Ich darf Sie doch Ino nennen, oder?”, beginnt er. Von Ino erhält er ein knappes Nicken. “Gut. Also Ino, Sie haben Linali als Freundin bezeichnet. Kannten Sie sich gut?”, fragt Lucifer. “Ich habe sie erst hier in L.A. kennengelernt. Das war vor etwa einer Woche. Man kann also nicht wirklich sagen, dass ich sie gut kannte. Sie war freundlich und hatte für jeden ein offenes Ohr. In China war sie wohl sehr bekannt. Sie wurde hauptsächlich für Werbefotos gebucht. Wer ihr den Job hier eingebracht hat, weiß ich nicht. Das hat sie nie erzählt. Sie war der Geheimtipp dieser Show, aber das wissen Sie sicherlich”, erzählt Ino. “Waren Sie deswegen eifersüchtig auf Linali?”, fragt Chloe, die sich mittlerweile wieder gefangen hat. “Nein. Warum sollte ich? Sie war jung, hübsch und relativ neu in diesem Business. Außerdem heißt Geheimtipp nur, dass die Show ein Sprungbrett in das internationale Modelbusiness sein kann. Mehr nicht. Hauptact ist man deswegen noch lange nicht”, erklärt sich Ino. “Verstehe. Wer ist denn der Hauptact?”, möchte Chloe wissen. Ino sieht sich kurz um. “Die schwarzhaarige Frau dort hinten. Boa Hancock. Sie ist meiner Meinung nach Japanerin. Eine echte Schönheit und das weiß sie auch. Sie versteht sich sehr gut darin ihren Körper einzusetzen und das nicht nur bei Männern”, erzählt Ino dann. “Okay. Eine Frage habe ich noch, dann lasse ich Sie in Ruhe”, sagt Chloe. Ino nickt daraufhin leicht. “Sie haben Linali als freundlich bezeichnet und dass sie für jeden ein offenes Ohr hatte. Gab es vielleicht dennoch jemanden, der sie nicht leiden konnte? Fällt Ihnen da jemand ein?”, fragt Chloe. Ino überlegt kurz, schüttelt dann aber ihren Kopf. “Nein, nicht das ich wüsste”, fügt sie an. “Aber in diesem Metier…”, beginnt Chloe, wird jedoch bereits zum zweiten Mal an diesem Tag von Ino unterbrochen. “... geht es nicht so ab, wie Sie sich das denken und es aus diesen ganzen Shows kennen. Die zeigen noch nicht mal ansatzweise, wie es im Modelbusiness zugeht. Streitereien gibt es natürlich trotzdem, das meine ich gar nicht, eher dass es nicht so läuft, wie es uns diese ganzen ‘Next Topmodel’-Shows weismachen wollen. Diese ganzen Dramen sollen nur mehr Leute vor den Fernseher locken”, erklärt Ino. Chloe nickt. “Verstehe.” “Ich muss aber auch sagen, dass diese Frage an mich ziemlich unnötig war. So gut kannte ich Linali gar nicht, um sagen zu können, ob es jemanden gibt, der ihren Tod wollte. Wir haben uns immer nur hier zu den Proben gesehen”, fährt Ino fort. “Sie haben also nichts zusammen gemacht. Sind nicht mal feiern gegangen oder zum Shoppen?”, hakt Chloe nach. “Nein. Nie”, antwortet Ino kopfschüttelnd und fügt an: “Außerdem war immer dieser Typ bei ihr. Keine Ahnung, ob das ihr Bruder oder Freund war. Auf jeden Fall hat der immer so grimmig geguckt, da hatte man gar keine Lust sich mit dem auseinanderzusetzen.” “Aha. Sie wissen nicht zufälligerweise, wie dieser Freund heißt?”, fragt Chloe nach. “Nein, keine Ahnung”, sagt Ino. “Sie haben nie nachgefragt?”, bohrt Chloe nach. “Nein. Ich weiß ja noch nicht mal, ob das ihr Bruder oder Freund war.” “Okay. Das reicht erstmal. Falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich an oder kommen Sie direkt ins Präsidium. Da müssen Sie ja sowieso hin, um Ihre Aussage zu Protokoll zu geben”, erklärt Chloe und reicht Ino ihre Karte. “Werde ich machen”, erwidert Ino und lächelt leicht. “Gut. Und wir gehen jetzt...”, beginnt Chloe zu reden, während sie sich zu Lucifer dreht oder eher dahin, wo sie ihren Partner vermutet hat, aber von dem ist keine Spur mehr zu sehen. “Wo ist denn...?”, fragt sie sich verwirrt und sieht sich um. Schließlich entdeckt sie ihn bei der Tür zur Eingangshalle. Lucifer hatte sich während des Verhörs heimlich davongestohlen. Es hatte ihm schlichtweg nicht mehr interessiert, stattdessen hatte er den Tatort unter die Lupe genommen. Plötzlich hat jedoch eine Bewegung bei dem Zugang zur Eingangshalle seine Aufmerksamkeit erregt. Diese Bewegung hat für ihn einfach nicht ins Bild gepasst. Schnellen Schrittes war er dorthin gelaufen und wurde gleich darauf überrascht. “Waren Sie vorhin nicht noch dort hinten?”, fragt er verwirrt. “Und wann haben Sie sich umgezogen?” Vor ihm steht eine junge Frau, die ihre Haare zu einem hohen Zopf gebunden hat. Ihr Pony verdeckt ihr linkes Auge. Ihre Augen sind blau. Sie trägt einen fliederfarbenen Kimono und Sneaker. “Sind Sie sich da sicher?”, fragt sie nach, lächelt dabei. Lucifer ist irritiert. Ihre Stimme klingt viel zu männlich. “Ja, natürlich”, antwortet er ihr, schaut aber dennoch nach hinten zu Chloe… und Ino? Lucifer ist noch verwirrter. Er schaut wieder nach vorne, doch von der anderen Frau ist nichts mehr zu sehen. Verdattert starrt er auf den Punkt, wo sie zuvor noch stand. “Ist alles in Ordnung, Lucifer?”, fragt Chloe besorgt und reißt ihn damit aus seinen Gedanken. “Nein. Nein, ich glaube nicht”, erwidert Lucifer ehrlich. 07 | Die Unterhaltung --------------------- “Am besten gehen Sie nach Hause und ruhen sich aus. Ich kann Sie dann morgen über alles aufklären”, schlägt Chloe vor. Erst will Lucifer protestieren, entscheidet sich dann aber doch um. “Vielleicht ist das wirklich das beste”, meint er resigniert. “Gut, dann…”, beginnt Chloe, weiß aber nicht, was sie noch sagen soll. Einen Moment ist es still zwischen den beiden. Lucifer ist schließlich derjenige, der die Stille bricht. “Dann bis morgen”, sagt er und dreht sich um, um in die Eingangshalle und aus dem Gebäude zu gelangen. “Bis morgen!”, ruft Chloe ihm nach, erhält darauf aber keine Antwort mehr. Leicht traurig wendet sie sich wieder dem Tatort zu. Sie muss auf jeden Fall noch Boa Hancock befragen. Es dauert einen Moment bis Chloe sie wiedergefunden hat. Am Tatort ist ziemlich viel los. Ruhig geht sie zu der Stuhlreihe an der rechten Wand. Auf einem der mittig stehenden Stühle hatte sich Hancock niedergelassen. Als Chloe vor ihr steht, ist sie beeindruckt. Die Schönheit Boa Hancocks ist unbeschreiblich. Sie hat glänzendes, rabenschwarzes Haar, das sich offen über ihren Rücken erstreckt, und eine helle, makellose Porzellanhaut. Ihre klaren, blauen Augen fesseln einen regelrecht. Der Schock und die Trauer sind in ihnen deutlich zu erkennen, aber das schmälert ihre Schönheit nicht im geringsten. Eher im Gegenteil: Es lässt sie noch schöner aussehen. Ihre Lippen haben einen zart-rosanen Ton und sind leicht geöffnet. Sie trägt goldene Ohrringe und ein knappes, lilafarbenes Kleid mit langen Ärmeln, weitem Ausschnitt, welcher ihre großen Brüste betont, und einer Knopfleiste an der rechten Seite. Ihre Füße stecken in lilafarbenen Ballerinas. Chloe räuspert sich einmal und erhält so die volle Aufmerksamkeit Hancocks. “Ich bin Detective Chloe Decker, LAPD, und habe einige Fragen an Sie”, beginnt Chloe das Gespräch. “Boa Hancock. Wie kann ich Ihnen helfen?”, erwidert Hancock mit einem leichten Lächeln. “Es geht um die Tote. Linali Li. Wie gut kannten Sie sich?”, fragt Chloe. “Hm”, überlegt Hancock, streicht sich dabei eine Strähne hinter ihr Ohr, “Wir sind uns schon mal bei einer Werbekampagne begegnet. Das war…” Hancock legt den Kopf leicht schief und überlegt. “Das war im März für das chinesische Handelshaus Kunlun. Die Models waren aus ganz Asien. Es hat viel Spaß gemacht. Li ist mir schon am ersten Tag aufgefallen. Sie hatte wahre Schönheit. Selbst jetzt noch hat sie sie”, erzählt Hancock. “Wahre Schönheit?”, fragt Chloe nach. “Wahre Schönheit hat nichts mit Äußerlichkeiten zu tun. Sie ist die innere Schönheit eines Menschen. Ein guter Charakter. Hilfsbereit, freundlich, liebevoll, und das ohne es zu erzwingen”, erklärt Hancock. ”Diese Schönheit werde ich wohl niemals erlangen”, fügt sie an. “Sie haben Linali also dafür beneidet”, stellt Chloe. “Ja, habe ich und das war auch gut so. Sie wäre eine gute Nachfolgerin gewesen”, seufzt Hancock. “Wie meinen sie das mit Nachfolgerin?”, möchte Chloe wissen. “Für jedes Model kommt irgendwann der Zeitpunkt sich aus dem Modelbusiness zu verabschieden. Derzeit gelte ich als das schönste und begehrteste Model Asiens. Li hätte das auch schaffen können. Sie hat wahre Schönheit und war auch noch mit äußerlicher Schönheit gesegnet. Sie hätte die Laufstege der Welt erobern können”, meint Hancock. “Können Sie sich denn vorstellen, wer vielleicht eifersüchtig auf Linali war?”, fragt Chloe weiter. “Nein. Ehrlich gesagt, kann ich das nicht, auch wenn ich mir vorstellen kann, dass es genug gab”, antwortet Hancock. “Haben Sie gar keine Idee? Überhaupt keine?”, hakt Chloe nach. “Nein, das wären nur leere Hypothesen, die auf keiner Grundlage beruhen”, sagt Hancock, presst ihre Lippen kurz aufeinander und rollt sie nach vorne ab. “In Ordnung. Wann haben Sie Linali eigentlich das letzte Mal gesehen?”, möchte Chloe wissen. “Hm. Das war gestern Abend. Nach den offiziellen Proben hatte mich Li noch um Extra-Training gebeten. Ein paar andere haben das auch mitbekommen, sodass wir am Ende zu acht waren”, gibt Hancock als Antwort. “Wer genau war alles dabei?”, fragt Chloe nach. Das könnte eine heiße Spur sein. “Lass mal überlegen. Natürlich Li und ich. Dann waren da noch Mone Crown, Jubei und Gisen Yagyū, Tsugumi Nobunaga, Puma D. Ace und Nea D. Campbell”, zählt Hancock auf. “Hat sich jemand von diesen seltsam benommen?”, interessiert es Chloe. “Gestern?”, möchte Hancock wissen. Chloe nickt knapp. “Nein, mir ist nichts aufgefallen”, antwortet sie dann. “Okay. Das wäre dann auch erstmal alles. Falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich an oder kommen direkt ins Präsidium”, sagt Chloe und reicht ihrer Gegenüber ihre Karte. “Werde ich machen”, erwidert Hancock und nimmt die Karte entgegen. Die beiden geben sich die Hand und verabschieden sich. Chloe sucht gleich darauf einen der Polizisten und gibt ihm die Liste der Personen, die gestern Abend an dem Extra-Training teilgenommen haben, damit dieser sie zum Verhör ins Präsidium lädt. Nachdem sie das erledigt hat, macht sie sich selbst auf ins Präsidium. Kurz überlegt sie, ob sie vorher noch zu Lucifer fahren soll, um ihn über den neuesten Stand zu informieren, entscheidet sich dann aber dagegen. Lucifer war heute morgen viel zu durcheinander. Sie würde ihn wirklich erst morgen über alles aufklären, entscheidet sie. 08 | Die Einweihung ------------------- Lucifer seufzt leise, als er seine Wohnung betritt. Ihm gefällt es zwar nicht sonderlich für heute sozusagen vom Dienst suspendiert zu sein, aber Chloe hatte durchaus Recht. Heute hätte er sich nicht mehr auf den Fall konzentrieren können. Dieser Spiegel und der Umstand, wie er ihn erhalten hat, beschäftigen ihn einfach viel zu sehr. Jetzt kann er ihn wenigstens in Ruhe unter die Lupe nehmen. Die Frage ist nur, wie er dabei vorgehen soll. Die erste Methode wäre natürlich den Kurier wiederzufinden, aber das wäre fast unmöglich. L.A. ist immerhin riesig. Da eine einzige Person ohne irgendeinen Anhaltspunkt zu finden gleicht der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Also was dann tun? Den Spiegel auf irgendwelche Auffälligkeiten untersuchen? Den Karton untersuchen? Sollte er Maze oder Amenadiel oder beide einweihen? Könnten sie ihm überhaupt helfen? “Interessanter Spiegel. Ist der von einer deiner Verehrerinnen?”, wird Lucifer aus seinen Gedanken gerissen. Er schreckt hoch und entdeckt so Mazikeen, die den Spiegel in ihren Händen hält und ihn nun vorsichtig auf den Tresen legt. Der geöffnete Karton liegt direkt daneben. “Was?”, fragt Lucifer perplex nach, was eigentlich gar nicht seine Art ist. Maze lächelt. “Also, was hat es mit dem Spiegel auf sich?”, fragt sie. “Wenn ich das wüsste”, gibt Lucifer zurück. “Irgendein Bengel hat mir heute den Karton mit dem Spiegel in die Hand gedrückt und ist dann verschwunden.” “Aja. Also was wirst du nun tun?”, fragt Maze interessiert. Lucifer überlegt. “Hast du überhaupt einen Plan?”, reißt Mazikeen ihn erneut aus seinen Gedanken. “Nein”, gibt Lucifer zu und gesellt sich zu ihr. Er lässt seinen Blick über den Spiegel gleiten und fährt die Verzierungen mit dem Finger nach. “Wenn du Hilfe brauchst, sag es ruhig”, meint Maze. Den Arm dabei auf die Theke und den Kopf seitlich auf die Hand gestützt. “Du bietest mir freiwillig deine Hilfe an?”, fragt Lucifer ungläubig nach. “Ja. Warum nicht?”, gibt Maze schulterzuckend zurück. “Weil das nicht normal für dich ist”, erwidert Lucifer. “Ich habe heute eben meinen spendablen Tag. Also willst du jetzt meine Hilfe, oder nicht?”, will Maze erheitert wissen. “Ja”, antwortet Lucifer ihr schließlich. “Gut. Also wo sollen wir anfangen?”, fragt Maze, fügt dann an: “Den Spiegel habe ich bereits gründlich untersucht. Da ist nichts besonderes dran. Ein gewöhnlicher Spiegel. Keinerlei Markierung oder sonst was, was auf den Absender schließen lassen könnte.” Lucifer erwidert darauf nichts, stattdessen nimmt er den Spiegel in die Hand und stellt ihn hoch, um richtig hineinsehen zu können. Kurz stutzt er. “Ist dir auch aufgefallen, dass das Spiegelbild etwas verschwommen ist?”, fragt er Maze, den Blick dabei immer noch auf die Spiegelfläche gerichtet. “Nein”, antwortet sie ihm irritiert und stellt sich neben ihn, damit sie auch einen Blick auf den Spiegel werfen kann. Lucifer hat recht, stellt sie fest. Ihr Spiegelbild ist wirklich nicht ganz scharf und scheint außerdem leicht zu wabern. “Das ist komisch”, meint sie. “Wie geht das?” Lucifer hat ehrlich gesagt keine Ahnung, wie genau das funktionieren kann. Doch zur Erwiderung kommt es nicht. “Wie geht was?”, werden die beiden nämlich aus ihren Gedanken gerissen. “Amenadiel”, meint Lucifer lächelnd, während er sich zu seinem Bruder umdreht und seine Arme wie zu einer Umarmung öffnet. “Was ist hier los?”, will Amenadiel skeptisch wissen, zieht dabei eine Augenbraue nach oben und verschränkt seine Arme vor der Brust. “Lucifer hat einen Spiegel zugestellt bekommen. Normal ist der ganz sicher nicht”, erklärt Mazikeen leichthin. “Warum erzählst du ihm das?”, fragt Lucifer entrüstet. “Warum nicht?”, erwidert Maze und fügt nach einigen Sekunden an: “Vielleicht kann er helfen.” “Na von mir aus”, stimmt Lucifer zu und wendet sich wieder dem Spiegel zu. Amenadiel bleibt jedoch da, wo er ist. “Jetzt komm schon her und sieh dir das an”, sagt Lucifer daraufhin leicht genervt und mit einem Seufzen Richtung seines Bruders. “Na gut”, meint Amenadiel immer noch skeptisch. Er tritt zu Lucifer und Mazikeen, wirft ebenfalls einen Blick auf den Spiegel. “Woher hast du den?”, fragt er Lucifer, doch ist es Maze, die ihm antwortet. “Von wem der genau kommt, wissen wir nicht. Irgendein Bengel hat ihn Lucifer in die Hand gedrückt und ist dann verschwunden”, erzählt sie. “Okay. Also wo sollen wir anfangen?”, fragt Amenadiel. “Wenn ich das wüsste”, antwortet Lucifer ihm seufzend. Er entfernt sich von der Theke, lässt Maze und Amenadiel mit dem Spiegel allein. Unschlüssig läuft er durch den Raum, ehe er sich schließlich auf der Bank vor seinem Klavier niederlässt. Lucifer klappt den Deckel hoch und streicht mit den Fingern über die Tasten. Er beginnt zu spielen. Was er genau spielt, wird ihm aber erst einige Akkorde später klar. Das Lied heißt Lala’s Lullaby. Kurz stutzt er über diese Erkenntnis, spielt dann aber unbeirrt weiter. Lucifer weiß nicht genau, warum sein Unterbewusstsein ausgerechnet dieses Lied ausgesucht hat. Es ist ihm aber auch egal. Erstmal will er nur spielen und die Sorgen für einen Moment vergessen. Maze und Amenadiel beobachten dieses Schauspiel ratlos. Sie wissen nicht genau, was sie davon halten sollen, und sehen sich unschlüssig. Auch sie kennen den Text dieses Liedes, was sie nur noch mehr irritiert. Warum Lucifer ausgerechnet dieses ausgesucht hat, verstehen sie nicht wirklich. 09 | Das Hotel -------------- Als Chloe im Präsidium ankommt, wird sie direkt von Dan abgefangen. “Ist Lucifer gar nicht bei dir?”, fragt er Chloe als erstes. “Nein, ist er nicht. Er war heute morgen nicht ganz bei der Sache, darum habe ich ihn nach Hause geschickt”, antwortet Chloe ihm. “Achso, verstehe”, gibt er zurück. “Das war es aber nicht, worüber du mit mir sprechen wolltest, oder?”, möchte Chloe wissen. “Nein, natürlich nicht”, erwidert er und fährt nach einer kurzen Pause fort: “Wir konnten die Angehörigen der Toten verständigen. Zumindest ihren älteren Bruder - Komui Li. Er wohnt derzeit in London, ist dort Abteilungsleiter eines Unternehmens genannt ‘The Black Order’. Er will nun so schnell es geht hierher nach L.A. kommen. Er hat uns während des Gesprächs von ihrem Halbbruder Yū Kanda erzählt. Dieser ist bereits in L.A., da er seine Schwester hierher begleitet hat. Er weiß aber noch nicht Bescheid. Herr Li hat darum gebeten, dass wir das übernehmen”, erzählt er. “Okay, dann werde ich mich gleich auf den Weg machen”, bestimmt Chloe. “Soll ich dich begleiten?”, fragt Dan nach. “Nein, das schaffe ich auch allein”, antwortet Chloe ihm. “Habe ich mir schon gedacht. Er hat ein Zimmer im Miyako Hotel. Hier die Adresse”, erwidert Dan und reicht Chloe einen Zettel. “Danke”, meint Chloe nur und macht auf dem Absatz kehrt, um sich gleich auf den Weg zu machen. Die Fahrt dauert über eine halbe Stunde. Als sie schließlich den Wagen parkt und aussteigt scheint die Temperatur noch weiter angestiegen zu sein. Chloe wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn und seufzt. Es ist viel zu warm für ihren Geschmack, so geht sie auch schnell in Richtung Hotel. Die Türen öffnen automatisch und sie tritt herein. Genau wie beim Athletic Club wird sie auch hier von einer angenehmen Kühle empfangen. Chloe macht sich direkt auf den Weg zum Empfangstresen, wo sie von der Empfangsdame sofort mit einem freundlichen “Kon'nichiwa. Willkommen im Miyako Hotel” begrüßt wird. Chloe erwidert den Gruß mit einem einfachen “Hallo”, bevor sie der Empfangsdame ihren Ausweis zeigt und sich vorstellt. Die junge Frau ist außerordentlich bestürzt, auch wenn Chloe noch gar nicht ihr Anliegen vorgetragen hat. Sie streicht sich eine lose Strähne ihrer orangenen Haare, die sie hochgesteckt und mit einigen Blüten verziert hat, hinter ihr Ohr. Sie hat braune Augen, die derzeit leicht geweitet auf Chloe gerichtet sind, und trägt einen beigen Kimono mit bunten Blumen und dazu einen Gürtel, bestehend aus einer weißen und einer lilafarbenen Kordel und drei Perlen. Ein Namensschild über über ihrer linken Brust verrät ihren Namen: Nami Vinsmoke. “Wo… Worum geht es denn?”, fragt sie leicht zittrig. “Es geht um sie - Linali Li. Sie wohnte hier mit ihrem Bruder”, antwortet Chloe und zeigt der jungen Rezeptionistin ein Bild von der Toten. “Kennen Sie sie?”, fügt sie an. “Ja, ich kenne sie. Ich habe sie oft mit ihrem Bruder gesehen. Sie war immer sehr freundlich. Was ist mit ihr?”, möchte Nami wissen. “Sie wurde heute morgen tot aufgefunden. Mord”, gibt Chloe als Antwort. “Oh Gott”, haucht Nami. Sie hält ihre rechte Hand vor ihren Mund. Das Entsetzen ist ihr deutlich anzusehen. Sie beginnt zu zittern. “Komm, setzen wir uns”, schlägt Chloe vor, der Namis Zustand durchaus aufgefallen ist. Nami nickt daraufhin nur und lässt sich von Chloe zu einer der Sitzgruppen führen. Kaum dass sie sitzt, schließt sie ihre Augen und atmet tief durch. “Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?”, fragt Chloe vorsichtig nach. Nami nickt. “Gut. Als erstes möchte ich wissen, ob sie Linali heute schon gesehen haben”, beginnt Chloe zu fragen. “Nein, heute nicht, dabei bin ich schon seit sechs Uhr hier”, antwortet Nami ihr. “Was ist mit gestern Abend?”, fragt Chloe weiter. “Gestern Abend hatte ich frei. Ich habe sie aber morgens gesehen”, sagt Nami, streicht sich dabei wieder die lose Strähne hinter ihr Ohr. Sie will einfach nicht da bleiben, wo sie soll. “Wissen Sie denn, wer gestern Abend am Empfang gearbeitet hat?”, möchte Chloe wissen. “Meine Kollegin Tenten Tao”, lautet die Antwort. “Sie hilft hier aus, wenn mal jemand längere Zeit ausfällt.” “Für wen ist sie denn gestern eingesprungen?”, fragt Chloe nach. “Das weiß ich nicht”, antwortet Nami, streicht wieder die Strähne hinter ihr Ohr. Allmählich nervt sie. “In Ordnung. Ich möchte Sie dann auch nicht länger aufhalten. Das einzige, was ich noch wissen muss, ist, in welchem Zimmer Linalis Bruder wohnt”, möchte Chloe noch wissen. “Ähm ja, natürlich", sagt Nami. Sie steht hastig auf und begibt sich wieder hinter den Tresen, um im Computer nach der Zimmernummer zu suchen. Schnell wird sie fündig und schreibt die Nummer auf einen Zettel, den sie dann Chloe, die ihr an den Empfang gefolgt ist, in die Hand drückt. “Soll ich Sie anmelden?”, fragt Nami noch. “Ja, aber verraten Sie ihm nicht den Grund, das mache ich selbst”, nimmt Chloe das Angebot an. “Okay”, erwidert Nami und greift schon zum Hörer. “Sayōnara”, sagt sie noch zu Chloe, bevor sie zu wählen beginnt und sich den Hörer ans Ohr hält. Chloe verabschiedet sich ebenfalls und macht sich dann auf den Weg zu der angegebenen Zimmernummer. 10 | Die Vorgeschichte ---------------------- Als Chloe bei dem angegebenem Zimmer ankommt, wartet Linalis Halbbruder bereits auf sie. Er lehnt mit verschränkten Armen im Türrahmen und betrachtet Chloe aus seinen schwarzen Augen abschätzend. Er trägt einen blauen Kimono mit weißen Längsstreifen, der von einem schwarzen Gürtel gehalten wird. Seine langen, blauen Haare sind streng zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Nur zwei Strähnen hängen locker herunter. Ein lockerer Pony bedeckt seine Stirn. Er ist barfuß. “Detective Chloe Decker, LAPD”, stellt Chloe sich vor und zeigt dem jungen Mann ihren Ausweis. “Kanda Yū”, erwidert dieser kurz angebunden, seine Begeisterung für diesen Besuch hält sich in Grenzen. “Könnten wir uns vielleicht drinnen unterhalten? Auf dem Flur erregen wir nur unnötiges Aufsehen”, bittet Chloe. Kanda tritt daraufhin schweigend zur Seite und lässt Chloe eintreten. Hinter ihr schließt er die Tür wieder und folgt ihr zurück ins Zimmer. Als Chloe jedoch auf die kleine Stufe, die etwas von der Tür entfernt ist, tritt, räuspert sich Kanda, worauf Chloe ihn fragend ansieht. Als Antwort sieht Kanda nach rechts unten, vor die Stufe, wo ein Paar Sneakers steht. Chloe folgt seinem Blick und versteht. Sie zieht sich ihre eigenen Schuhe aus und stellt sie ordentlich neben das andere Paar. Kanda ist in der Zwischenzeit an ihr vorbei geschritten und hat ein Tablett mit zwei japanischen Teetassen und einer dazu passenden Teekanne von einem hohen Beistelltisch auf den niedrigen Wohnzimmertisch gestellt. Schweigend kniet er sich im Seiza vor den Tisch und gießt Tee in die Tassen. Chloe, die inzwischen zu ihm getreten ist, betrachtet ihn eine Weile, bevor sie sich ihm gegenüber an dem Tisch niederlässt, seine Haltung dabei imitierend. “Das würde ich lassen”, meint Kanda, während er die Kanne zurück auf das Tablett stellt, Chloe dabei nicht ansehend. “Wie?”, fragt sie nach. “Für Ungeübte kann dieser Sitz schnell schmerzhaft werden. Wenn Sie nachher noch laufen wollen, sollten Sie sich anders hinsetzen”, erklärt er sachlich, seinen Blick nun wieder auf Chloe ruhend. “Danke”, erwidert sie und wechselt in den Schneidersitz. Kanda lässt dies unkommentiert, greift stattdessen zu seiner Tasse und nimmt einen Schluck Tee. Chloe fühlt sich dadurch genötigt ebenfalls einen Schluck zu nehmen. Der herbe Geschmack des Grüntees breitet sich in ihrem Mund aus. “Sehr lecker”, meint sie zu Kanda, während sie ihre Tasse zurückstellt. Von ihm erhält sie jedoch nur einen missmutigen Blick. Chloe fragt sich, was sie nun schon wieder falsch gemacht hat. Kanda scheint ihr ihre Überlegungen anzusehen. Er seufzt, ehe er beginnt zu erklären: “In Japan gehört es zum guten Ton einem Gast Tee anzubieten. Dafür wird kein Dank erwartet. Er ist sogar verpönt.” “Oh, das wusste ich nicht. Entschuldigen Sie bitte”, sagt Chloe. Kanda nickt daraufhin nur knapp. Einen Moment herrscht Schweigen. Kanda ist es, der die Stille bricht. “Also. Warum sind Sie hier?”, will er wissen. Seinen Argwohn dabei nicht verbergend. Nun ist es an Chloe zu seufzen, was Kanda eine Augenbraue hochziehen lässt. Chloe geht darauf jedoch nicht ein. Auf dem Weg zum Hotel hatte sie sich natürlich ihre Gedanken gemacht, wie sie ihm erklären sollte, dass seine Halbschwester ermordet wurde, aber erst jetzt, wo sie ihn vor sich hat und seinen Charakter beurteilen kann, hat sie sich für eine Methode entschieden. Sie würde es ihm direkt sagen, ohne großartig um den heißen Brei zu reden. “Es geht um ihre Halbschwester”, beginnt sie, ein bisschen um den heißen Brei reden musste sie wohl. So kann sie auch austesten, ob sie mit dieser Entscheidung richtig liegt. “Und?”, fragt Kanda genervt nach. Chloe lächelt leicht. Sie hatte mit ihrer Vermutung also Recht. Das Lächeln verschwindet aber gleich wieder, denn das, was sie zu sagen hat, ist keineswegs zum Lächeln. “Ihre Halbschwester wurde heute morgen tot aufgefunden. Wir gehen von Mord aus”, sagt sie direkt heraus und wartet dann auf Kandas Reaktion, die nicht lange auf sich warten lässt. Innerhalb einer Sekunde wechselt sein Geschichtsausdruck von genervt auf betroffenen. Mit zitternden Händen greift er zu seiner Tasse und trinkt den Rest Tee in einem Zug aus. Die noch recht hohe Temperatur scheint ihm in diesem Moment nichts auszumachen. Ruckartig erhebt er sich und läuft zu einer Kommode, die rechts neben einem Fenster steht. Chloe folgt jedem seiner Schritte mit den Augen und beschließt ebenfalls aufzustehen, als er vor der Kommode stehen bleibt. Vorsichtig macht sie einige Schritte in seine Richtung und kann so beobachten, wie Kanda die Hand nach einem Bilderrahmen ausstreckt und behutsam über das Holz streicht. Sie nähert sich ihm weiter, bewegt sich dabei langsam und behutsam. “Warum auch sie? Warum ausgerechnet heute?”, murmelt Kanda mehr zu sich selbst als zu Chloe. Seine Hand liegt dabei auf dem Glas des Bilderrahmens. “Auch?”, fragt Chloe vorsichtig nach. Erst reagiert Kanda nicht, nimmt dann jedoch den Bilderrahmen in die Hand und reicht ihn Chloe. Seine Position behält er dabei jedoch bei, streckt nur den Arm zu ihr aus. Vorsichtig nimmt Chloe den Rahmen an sich und betrachtet das Bild, das hinter dem Glas ist. Es zeigt einen jungen Mann mit weißen Haaren und silbernen Augen. Er zwinkert in die Kamera, wodurch man die Narbe über seinem linken Auge gut sehen kann. Auf seinen Lippen liegt ein breites Lächeln. Er trägt ein weißes Shirt und darüber eine schwarze Jacke. Dazu eine graue Hose und einen schwarzen Gürtel. Seine Hände liegen hinter seinem Kopf und auf seiner Schulter sitzt ein goldener Golem. Als Hintergrund sind Herzen gewählt worden. Einige Herzen sind auch vor dem Jungen platziert. “Wer ist das?”, fragt Chloe, reicht das Bild wieder zurück an Kanda, der es behutsam an seinen alten Platz stellt und sich erst dann wieder an Chloe wendet. “Allen Walker. Ein guter Freund von uns”, antwortet Kanda ihr. “Er wurde heute vor genau einem Jahr ermordet. Der Täter wurde nicht gefunden.” Er lehnt sich mit dem Rücken gegen die Kommode. Ein Seufzen verlässt seine Lippen. “Mögen Sie mir erzählen, was damals passiert ist?”, fragt Chloe behutsam nach. Sie möchte ihn keinesfalls bedrängen. Kanda nickt knapp. Er schließt seine Augen, seufzt erneut. “Wir hatten damals ein Cafe. Linalis großer Wunsch. Ein beschauliches, kleines Cafe in einem schönen Eck Londons. Das war noch vor ihrer Zeit als Model, aber auch danach ging es weiter. Irgendwann, ich hatte Linali zu einem Auftrag begleitet, hatte Allen auf dem Flohmarkt einen Spiegel erstanden. Das mag vielleicht komisch klingen, aber ich hatte das Gefühl, dass von ihm eine seltsame Energie ausging. Linali fand ihn aber gut und so haben wir ihn im Cafe aufgehangen. Drei Monate später hatte Linali erneut einen Auftrag. Es ging nach Schottland. Auch dorthin habe ich sie begleitet. Allen blieb in London. Er hatte sich noch nicht ganz von einer schweren Lungenentzündung erholt. Als wir wiederkamen sind wir ins Cafe. Linali wollte noch schnell nach dem Rechten sehen. Wir haben den Laden durch die Hintertür betreten und sind dann in den Verkaufsraum, Linali war vor mir, da hat sie auf einmal geschrien. Ich habe mich an ihr vorbei geschoben und konnte ihn so sehen. Er lag auf dem Tresen. Den Blick nach oben gerichtet. Ein Arm hing herunter, der andere lag auf seinem Bauch. Blut tropfte auf den Boden. Sein ganzes Hemd war vollgesogen mit seinem eigenen Blut und in seiner Brust steckte ein Kunai. Mir blieb das Herz stehen. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit, während der ich ihn einfach nur angestarrt habe, kam ich zur Besinnung. Ich schob Linali zurück in die Küche und rief die Polizei an. Später fiel dann auf, dass der Spiegel gestohlen wurde. Nur der Spiegel nichts anderes. Nur der Spiegel”, erzählt Kanda, die Augen dabei weiterhin geschlossen. Er zittert merklich und schluckt hörbar, als er aufgehört hat zu erzählen. “Es wurde wirklich nur der Spiegel gestohlen?”, hakt Chloe nach. “Ja”, haucht Kanda. Zu mehr fühlt er sich nicht in der Lage. Chloe, der sein derzeitiger Zustand aufgefallen ist, tritt nun nah an ihn heran und legt ihre Hände vorsichtig an seinen Arm. Mit leichtem Druck führt sie ihn zurück zu dem Tisch und sorgt dafür, dass er sich hinsetzt, diesmal jedoch nicht im Seiza. Sie selbst setzt sich ihm wieder gegenüber. “Haben Sie vielleicht ein Bild von diesem Spiegel?”, möchte Chloe wissen. Kanda nickt lediglich. Chloe bringt daraufhin eine ihrer Karten zu Tage und schiebt sie zu Kanda. “Könnten Sie das Bild an die angegebene E-Mail-Adresse senden?”, fragt sie dabei. Kanda nickt wieder nur. Er hat das Gefühl, dass seine Stimme versagt und diese Blöße will er sich nicht auch noch geben. “Gut”, sagt Chloe. Sie betrachtet Kanda einen Moment, ehe sie anfügt: “Ihrem Halbbruder Komui Li haben wir bereits Bescheid geben. Er wird sich, sobald es geht, auf den Weg hierher machen.” Wieder nur ein Nicken seitens Kanda. Nur mühsam kann er die aufsteigenden Tränen unterdrücken. Gleichzeitig ist er aber auch unendlich froh, dass er Komui nicht selbst Bescheid geben muss und dieser bald in L.A. ist. Chloe greift nach einem kurzen Moment der Stille zu ihrer Tasse und trinkt den Rest des Tees in einem Zug runter. Sie stellt das Glas wieder auf den Tisch und erhebt sich dann. “Ich werde Sie nun erstmal in Ruhe lassen. Das Gespräch werden wir später fortführen”, erklärt Chloe, der klar geworden ist, dass sie hier für's erste nichts mehr erreichen wird. Sie streckt Kanda ihre Hand entgegen, zieht sie dann jedoch zurück, als sie seinen ablehnenden Blick sieht. Chloe überlegt, was sie nun tun soll, doch Kanda nimmt ihr die Entscheidung ab. Er neigt seinen Kopf leicht nach unten. Chloe imitiert die Bewegung einfach und verabschiedet sich dann. Von Kanda erwartet sie keine Erwiderung, also geht sie einfach zur Tür, zieht sich ihre Schuhe wieder an und verlässt dann das Zimmer. Die Tür zieht sie vorsichtig hinter ihr zu. Für sie geht es jetzt erstmal zurück ins Präsidium. 11 | Die Maids -------------- Lucifer murmelt etwas Unverständliches vor sich hin. Maze hatte ihn tatsächlich aus seiner eigenen Wohnung geschmissen. Wie sie das hinbekommen hat, ist ihm immer noch ein Rätsel. Da er nicht wusste, wo er sonst hin sollte, hat er sich auf den Weg ins LAPD gemacht. Kaum unten angekommen, kommt ihm auch schon Dan entgehen. “Sollten Sie nicht zuhause bleiben? Chloe meinte, dass es Ihnen nicht so gut ging”, fragt dieser leicht irritiert. “Das ist richtig, aber jetzt ist wieder alles in Ordnung. Sagen Sie, wo ist Chloe denn jetzt?”, erwidert Lucifer lächelnd. “Sie führt ein Gespräch mit dem Halbbruder des Opfers”, sagt Dan, fügt gleich darauf an: “Sie sollte bald wieder hier sein. Solange können Sie sich mit den Unterlagen zum Fall beschäftigen.” “Gut”, sagt Lucifer darauf nur und geht zu Chloes Schreibtisch, um sich dort die Unterlagen zu besorgen. Dan lässt er einfach stehen. Einen Moment sieht Dan ihm hinterher, ehe er sich selbst wieder an die Arbeit macht. Der Täter fängt sich schließlich nicht von allein. Lucifer lässt sich derweil auf Chloes Platz fallen und greift sich eine der Akten. Lustlos öffnet er sie und lässt seinen Blick über das bedruckte Papier wandern. Viel lieber wäre er jetzt bei Chloe und mitten im Geschehen, als einfach nur die Protokolle durchzulesen. Er ist fast fertig, als ihn ein Räuspern nach oben schauen lässt. Vor ihm steht Dan, der etwas gehetzt wirkt. So kommt es Lucifer zumindest vor. Ein Lächeln legt sich auf seine Lippen. “Ja?”, fragt er. “Ähm, also...”, beginnt Dan, weiß nicht so genau, wie und wo er anfangen soll. Lucifer kommt das sehr komisch vor. Sein Lächeln schmälert es allerdings nicht, lässt es sogar noch etwas breiter werden. “Hier sind zwei Frauen, Jubei und Gisen Yagyū. Sie sollen eine Aussage machen. In den Unterlagen müsste etwas darüber stehen. Da Chloe nun aber nicht da ist, weiß ich nicht, ob das Gespräch nicht lieber verschoben werden sollte”, erklärt Dan schließlich, seine Lippen zu einem unglücklichen Lächeln verzogen. “Trauen Sie mir etwa nicht zu, das alleine zu machen?”, fragt Lucifer interessiert nach. “Doch, doch, natürlich… nein… Ich meine ja”, erwidert Dan auf die Frage. Lucifer erheitert sein Verhalten ungemein. So kennt er ihn gar nicht. “Geht es Ihnen nicht gut? Sie scheinen etwas neben der Spur zu sein”, möchte Lucifer stichelnd wissen. “Ähm…”, gibt Dan daraufhin wenig geistreich von sich, da ertönt ein helles Lachen hinter ihm. Kurz darauf schiebt sich Gisen an Dan vorbei. Ihr mittellanges, weißes Haar fällt über ihren Rücken, bis auf zwei Strähnen, diese fallen über ihre Schultern. Ihr Pony ist abgestuft, sodass die längste Strähne zwischen ihren Augen liegt. Zwei kürzere Strähnen rahmen ihr Gesicht ein. Ihr rechtes Auge wird von einer roten Augenklappe verdeckt. Ihr sichtbares, linkes Auge ist grün. Sie trägt ein Maid-Kostüm in schwarz und weiß, das gerade mal das nötigste bedeckt. Würde sie sich vorbeugen, könnte man ihr Höschen sehen. Die kurzen Ärmel sind an den Schultern aufgebauscht und liegen dann wieder eng an. Um ihren Hals wird das Kostüm vorne mit einem goldenen Knopf geschlossen, sodass sich ein, nach oben spitz zulaufender, dreieckiger Ausschnitt bildet, der ihre großen Brüste betont. Auch an den zwei anderen Ecken des Ausschnitts sind goldene Knöpfe. Während die Ärmel, der Teil, der ihre Brüste bedeckt, und der Rock schwarz sind, ist die angenähte Schürze weiß. Die Schürze hat in der Mitte der oberen Kante eine kleine, schwarze Schleife. Zu dem Kostüm trägt sie schwarze, etwa ellbogenlange Handschuhe, weiße Kniestrümpfe und schwarze Halbschuhe mit Schnalle und hohem Absatz. “Nun ärgern Sie diesen Mann doch nicht so. Er tut doch auch nur seine Pflicht”, meint sie kichernd an Lucifer gewandt, legt Dan dabei ihre rechte Hand auf seine Schulter und drückt ihre Brüste gegen seinen Arm. Dan ist dies sichtbar unangenehm. Er versucht starr geradeaus zu sehen, linst allerdings immer wieder zu Gisen rüber. An ihn gewandt fügt sie an: “Wie wäre es denn, wenn Sie sich jetzt wieder an ihre Arbeit machen und uns ihrem gutaussehenden Kollegen überlassen.” “Er ist nicht mein Kollege”, bringt Dan mühsam hervor. “Nicht?”, fragt Gisen nach. Den Zeigefinger ihrer linken Hand führt sie dabei zu ihrem Mund und beißt leicht darauf. Ihre Brüste drückt sie noch näher an ihn. Diese Geste erfüllt genau den Zweck, den sie erfüllen soll: Dan hat keine Ahnung mehr, was er tun soll. Unsicher linst er erst zu Gisen und schaut dann zu Lucifer, den das ganze sichtbar erheitert. Ein Schmunzeln liegt auf seinen Lippen. “Das ist unfair, Gittan!”, hört man plötzlich eine weibliche Stimme quengeln. Auf Dans rechter Seite erscheint Yubei. Sie schlingt ihre Arme um seinen rechten Oberarm und presst diesen so zwischen ihre großen Brüste. Ihre langen, roten Haare sind zu zwei Pferdeschwänzen gebunden. Eine etwas dickere Strähne auf jeder Seite hat sie jedoch herausgenommen. Ihr Pony ist ebenfalls abgestuft, nur drei dünne Strähnen stehen nach oben ab. Eine Klammer aus Holz ziert die linke Seite ihres Ponys und ein Haarkranz in violett und weiß ihren Kopf. Sie trägt ebenfalls ein Maid-Kostüm, das vom Schnitt her genauso wie das ihrer jüngeren Schwester ist. Es ist allerdings violett und weiß. Auch der Rock ist etwas länger. Allerdings könnte man auch bei ihr das Höschen sehen, wenn sie sich vorbeugen würde. Um ihre Oberschenkel trägt sie je ein weißes Seidenband. Ihre Handschuhe sind violett und reichen ihr bis knapp unter ihre Ellenbogen. Dazu trägt sie schwarze, dicke Halbschuhe mit Verschlussband und violette Kniestrümpfe. Nun ist Dan hilflos überfordert. Von beiden Seiten wird er belagert und er hat keine Ahnung, wie er aus dieser Situation kommen soll. “Warum denn unfair?”, fragt Gisen interessiert, lehnt sich dabei etwas zu Yubei herüber, wodurch sie Dan noch weiter in Bedrängnis bringt. Dieser weiß gar nicht mehr, wo er hinschauen soll. “Es ist eben unfair. Was soll o-nii-san denn denken?”, fragt Jubei kindlich, lehnt sich dabei selbst etwas näher zu Gisen rüber, schaut sie mit großen Augen an und schürzt ihre Lippen. “Der Meister kann denken, was er will”, erwidert Gisen lächelnd und streicht dann mit ihrer linken Hand über Dans Brust. “Ähm also, könnten Sie vielleicht in Erwägung ziehen mich, ähm, loszulassen”, fragt Dan hilflos nach, anders weiß er sich nicht mehr zu helfen. “Aber warum denn? Gerade ist es doch so schön”, möchte Gisen wissen, drückt ihre Brüste nur noch näher an ihn. Dan schaut hilfesuchend zu Lucifer, der das ganze amüsiert beobachtet. Er hat eigentlich nicht vor, Dan zu helfen, dazu findet er es viel zu spannend. Nach einem Moment rappelt er sich dann aber doch dazu auf. “Also Ladies, sind Sie nicht eigentlich für etwas besseres hergekommen als den Guten hier zu verführen? Es gibt doch so viele Interessantere als ihn”, fragt er, ohne dabei auf eine kleine Stichelei zu verzichten. Dan verdreht seine Augen, ist Lucifer aber durchaus dankbar als die beiden jungen Frauen wenigstens etwas von ihm ablassen und sich nicht mehr so an ihn pressen, losgelassen haben sie ihn aber trotzdem noch nicht. Bevor die beiden darauf jedoch etwas erwidern können, zieht eine andere Stimme die Aufmerksamkeit der vier auf sich. “Was ist denn hier los?”, fragt sie. Lucifers Mund verzieht sich zu einem breiten Lächeln, als er erkennt, wer da spricht. Es steigert sich aber nochmals, als er Dans Reaktion sieht. Panik hat sich in ihm breit gemacht. Lucifer quittiert dies mit einem Schmunzeln. Das wird definitiv noch lustig, denkt er sich. 12 | Die Erklärung ------------------ “Chloe, du bist schon wieder da?”, stellt Dan fest. Es klingt jedoch mehr wie eine Frage. “Ja, bin ich”, erwidert Chloe daraufhin lediglich. Ihre Arme verschränkt sie vor ihrer Brust. “Also, das ist nicht das, wonach es aussieht”, versucht Dan sich rauszureden. Chloe zieht eine Augenbraue nach oben. “Ach, ist das so?”, möchte sie wissen. Bevor Dan jedoch zu einer Erwiderung kommt, zerschlägt Gisen seine Aussage. Sie drückt sich wieder näher an ihn. “Wie kannst du sowas nur sagen, Schatz?”, fragt sie mit weinerlicher Stimme. “Ähm”, kommt es darauf von Dan, der nicht wirklich weiß, wie er reagieren soll. “Genau. Wie kannst du das nur sagen”, fügt Jubei hinzu, drückt sich ebenfalls wieder an ihn. Dan ist damit mehr als nur überfordert. Wie er da wieder rauskommen soll, weiß er beim besten Willen nicht. Plötzlich erklingt jedoch Lucifers Lachen. Er zwinkert Dan zu, ehe er sich erhebt. “Was machen Sie denn hier?”, fragt Chloe verwirrt. “Ich rette dem guten Dan hier sein Leben”, antwortet Lucifer grinsend. “Die beiden jungen Schönheiten haben sich nämlich ihm um den Hals geworfen - nicht umgekehrt. Er war damit lediglich vollkommen überfordert. Ihn trifft also überhaupt keine Schuld an der derzeitigen Situation.” Chloe und Dan sind von dieser Ansage vollkommen perplex, hat Lucifer doch sonst kein gutes Wort für Dan übrig und jetzt hilft er ihm sogar schon das zweite Mal an diesem Tag. “Ist mit Ihnen alles in Ordnung?”, möchte Chloe leicht besorgt wissen. “Mir geht es bestens”, erwidert Lucifer darauf. “Sicher?”, fragt Dan nach, der endlich dem Klammergriff der Schwestern entkommen konnte. Durch Lucifers Ansage haben sie wohl die Lust verloren. “Ja. Es ist alles gut”, bestätigt Lucifer. “Wenn Sie sich wirklich sicher sind, wird es wohl stimmen”, meint Chloe noch nicht ganz überzeugt. Aus Erfahrung weiß sie, dass sie Lucifer sowieso nicht aufhalten kann, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Dass sie es am Morgen so einfach geschafft hat, wundert sie noch immer. Wenigstens ist er jetzt wieder voll da, denkt sie sich. “Dürfte ich fragen, was Sie hier wollen?”, richtet sich Chloe nun an die beiden Schwestern. “Wir?”, fragt Gisen unschuldig. Den Zeigefinger ihrer rechten Hand hält sie vor ihren Mund, knabbert leicht daran. “Ja, Sie”, antwortet Chloe ungeduldig. “Wir sollten hier eine Aussage machen. Ihr Kollege hat uns hergebeten”, erklärt Gisen nun ernst. “Ach, ist das so? Wer sind Sie überhaupt?”, will Chloe wissen. “Ich bin Yagyū Gisen und das ist meine ältere Schwester Yagyū Jubei”, stellt Gisen sie vor. “Achso, verstehe. Dann lasst uns beginnen”, meint Chloe mit einer ausladenden Geste Richtung des Verhörraums. Gisen und Jubei folgen dieser Geste und machen sich dann auf den Weg in die angegebene Richtung. Chloe folgt ihnen in Begleitung von Lucifer. “Was machen Sie hier?”, raunt Chloe ihm zu. “Ich helfe bei den Ermittlungen”, erwidert Lucifer genauso leise. “Das sehe ich. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich Sie heute morgen nach Hause geschickt habe”, meint Chloe. “Da war ich auch”, erzählt Lucifer. “Und warum sind Sie nicht dort geblieben? Ich hatte doch gesagt, dass ich Sie morgen über alles aufklären werde”, hakt Chloe nach. “Maze hat mich rausgeschmissen”, gibt Lucifer resigniert zu. “Was?”, möchte Chloe kichernd wissen. “Lassen Sie das”, murrt Lucifer. Chloe kann darüber nur ihren Kopf schütteln, was Lucifer ein leises Knurren entlockt. Sie ignoriert das jedoch und beschleunigt ihre Schritte, um zu Jubei und Gisen aufzuholen und die Tür zum Verhörraum zu öffnen. Die Schwestern treten hinein dicht gefolgt von Chloe und Lucifer. 13 | Die Schwestern ------------------- Jubei und Gisen setzen sich auf die eine Seite des Tisches, Chloe und Lucifer auf die andere. Einen Moment ist es still, ehe Chloe das Wort ergreift. “Sie sind also Jubei und Gisen Yagyū?”, fragt sie nach. Gisen bestätigt dies mit einem knappen Nicken. “Okay. Also fangen wir an. Sicher ist Ihnen klar, warum Sie hier sind. Es geht um Linali Li, die in der letzten Nacht ums Leben gekommen ist”, erzählt Chloe und fügt nach einer kurzen Pause an: “Von einer ihrer Kolleginnen haben wir gehört, dass Sie zusammen mit einigen anderen Models, darunter auch Linali Li, gestern Abend an einem Extra-Training teilgenommen haben. Wir möchten nun gerne wissen, was genau während und nach diesem Trainings alles passiert ist.” “Mhm.” Gisen legt ihren Kopf schief. “Also während des Trainings hat uns Boa noch ein paar Kniffe beigebracht. Wie man seine Hände am besten halten kann. Wie man die Drehung vorne zu etwas besonderem macht. Das richtige Auftreten. Mimik und Gestik richtig einsetzen. So was eben”, erzählt sie. “Und danach?”, hakt Chloe nach. “Wir haben uns alle noch etwas unterhalten und sind dann nach und nach gegangen. Als erstes ist Campbell gegangen. Meine Schwester und ich haben fast als letztes den Athletic Club verlassen. Da waren nur noch Portgas und Nobunaga”, antwortet Gisen. “Wann ist Linali Li gegangen?”, fragt Chloe weiter. “Linali? Sie muss irgendwann zwischendurch gegangen sein. Auf einmal war sie weg”, meint Gisen. “Wann ist Ihnen das aufgefallen?”, möchte Chloe wissen. “Ich habe es erst gemerkt, wo wir selbst gegangen sind”, sagt Gisen mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. “Und Sie? Wann ist es Ihnen aufgefallen?”, richtet sich Chloe nun an Jubei. “Sie ist vor uns gegangen”, antwortet diese. “Geht das auch noch genauer?”, fragt Chloe nach. “Hm. Nach der mit grünen Haaren”, meint Jubei verwirrt, legt ihren Kopf schief und schaut Chloe aus großen Augen an. “Glaub ich”, fügt sie unsicher an. “Wie heißt diese Frau?”, möchte Chloe es etwas genauer wissen, doch Jubei zuckt nur mit den Schultern. “Weiß nicht”, sagt Jubei kleinlaut und zwirbelt eine Strähne ihrer Haare zwischen ihren Fingern. “Mone Crown”, kommt ihr schließlich Gisen zu Hilfe. “In Ordnung. Das sollte es jetzt auch gewesen sein. Wenn Ihnen noch etwas wichtiges einfällt, rufen Sie mich an oder kommen Sie direkt hierher”, meint Chloe, steht dabei auf und reicht Gisen ihre Karte. “Machen wir”, antwortet diese und steht genau wie ihre Schwester auf. Auch Lucifer erhebt sich. Sie schieben ihre Stühle zurück an den Tisch und gehen gemeinsam zum Ausgang des Verhörraums. Erst an Chloes Schreibtisch verabschieden sie sich und Gisen und Jubei verlassen das Präsidium. Chloe und Lucifer bleiben am Tisch stehen. “Das war ja mal sehr interessant”, meint Lucifer grinsend, als Jubei und Gisen außer Hörweite sind. “Was ist denn mit Ihnen los?”, fragt Chloe nach. “Gar nichts”, antwortet Lucifer ihr. “Es geht Ihnen auch wirklich gut?”, möchte Chloe leicht besorgt wissen. “Ja, mir geht es gut. Was habt ihr heute nur alle?”, möchte nun Lucifer seinerseits wissen. Chloe winkt ab. “Wir haben wohl wirklich größere Sorgen”, sagt sie und wendet sich ihrem Schreibtisch zu. Sie sucht ein Blatt und schreibt dort die gefallenen Namen in der Reihenfolge, wie sie den Club verlassen haben, auf. Die restlichen Teilnehmer des Trainings fügt sie dazwischen ein. “Mal sehen, in welcher Reihenfolge die anderen Teilnehmer des Extra-Trainings das sehen”, meint Chloe nachdenklich. “Mhm”, ist das einzige, was Lucifer darauf erwidert. Nach einer kurzen Pause fügt er jedoch an: “Die Rothaarige… Jubei. Richtig?” Chloe nickt knapp und Lucifer fährt fort. “Sie wirkt wie ein Kleinkind. Ihre Schwester ist da erwachsener”, meint er. “Ja, ist mir auch aufgefallen. Das kann aber auch täuschen. Vielleicht tut sie nur so. Ihr Männer scheint ja auf sowas zu stehen”, erwidert Chloe. “Das ist eine ganz miese Anschuldigung”, regt sich Lucifer gespielt beleidigt auf. “Wieso? Ist doch so”, meint Chloe leicht lächelnd, sortiert dabei einige Unterlagen auf ihrem Tisch. Lucifer grinst. “Irgendwo ist da wohl was dran”, gibt er dann doch zu. “Sag ich doch”, erwidert Chloe lächelnd. Sie greift zu einem Stift und macht sich eine kurze Notiz. Sie muss unbedingt daran denken Yū Kanda zum Gespräch zu laden. Bei ihrem ersten Treffen im Miyako Hotel blieben durch seine Gefühlslage leider einige Fragen offen und nun sind auch noch einige neue dazugekommen. Heute möchte Chloe ihn aber nicht mehr damit belästigen. Das würde sie auf den nächsten Tag verschieben. 14 | Das Foto ------------- Chloe legt den Stift beiseite und will sich Lucifer zuwenden, doch ein Pling-Geräusch hält sie davon ab. Eine E-Mail ist eingetroffen. Chloe klickt auf das Ikon in der Bildschirmleiste und die E-Mail öffnet sich. Chloe ist irritiert. In der Betreffzeile steht einfach nur “Das Foto, das Sie wollten”. Weiterer Text ist nicht vorhanden. Erst ein Blick auf die E-Mail-Adresse des Versenders gibt ihr Aufschluss darüber, was die E-Mail zu bedeuten hat. Die E-Mail ist von Kanda und dadurch wird Chloe auch klar, welches Foto gemeint ist. Chloe öffnet die angehängte Datei und sieht sich das Foto an. Man kann darauf drei Personen entdecken - Linali Li, Allen Walker und Yū Kanda - und hinter ihnen befindet sich der Spiegel. Er wird zwar etwas durch die drei verdeckt, aber erkennen kann man ihn noch sehr gut. Die Spiegelfläche ist oval. Die Verzierungen drumherum sind golden. Nun widmet sich Chloe den drei Personen auf dem Bild, von denen nur der Oberkörper abgelichtet ist. Linali steht auf der linken Seite und lächelt in die Kamera. Ihre Haare sind offen und leicht gewellt. Sie trägt einen rosafarbenen Wollpullover mit dickem Kragen. Neben ihr ist Allen Walker zu sehen. Auch er lächelt in die Kamera. Seine Haare sind mit einem schwarzen Band zum Pferdeschwanz gebunden. Er trägt eine schwarz-graue Jacke mit weißen und roten Verzierungen, darunter ein weißes Hemd. Um seinen Hals ist ein rotes Band zur Schleife gebunden. Kanda steht links neben Allen, also auf der rechten Seite des Bildes, und wirkt etwas abwesend. Seine Haare sind offen. Jeweils eine Strähne seines Haares fällt über seine Schulter nach vorne, der größte Teil seiner Haare fällt jedoch über seinem Rücken. Er trägt ein blau-kariertes Hemd, darunter ein weißes Shirt mit Knopfleiste. Um seinen Hals hängen zwei längere Ketten. Chloe betrachtet das Bild und merkt so gar nicht, dass Lucifer hinter sie getreten ist und ebenfalls einen Blick auf das Foto wirft. Linali erkennt er sofort. Mit den anderen beiden kann er nicht viel anfangen. Sein Blick fällt auch auf den Spiegel. Scharf zieht Lucifer die Luft ein. Den Spiegel kennt er. Es ist derselbe, der sich nun in seinem Besitz befindet. “Was ist das für ein Bild?”, fragt Lucifer nach. “Ein möglicher Hinweis”, antwortet Chloe ihm, “Der junge Mann rechts ist der Halbbruder von Linali Li und der Junge in der Mitte ist ein gemeinsamer Freund von den beiden. Den Spiegel im Hintergrund wurde für den gemeinsamen Laden erworben.” “Und was soll das für ein Hinweis sein?”, fragt Lucifer nach. Er versteht nicht ganz, was an dem Bild so wichtig sein soll. Chloe erklärt: “Heute vor einem Jahr wurde der Junge in der Mitte - Allen Walker - ermordet. Der Spiegel ist in der Nacht verschwunden.” “Ziemlich großer Zufall”, meint Lucifer. “Das habe ich mir auch gedacht, darum habe ich Linalis Halbbruder auch darum gebeten, dass er mir ein Foto mit dem Spiegel darauf schickt.” “Verstehe”, meint Lucifer daraufhin nur, starrt mit zusammengekniffenen Augenbrauen den Spiegel auf dem Foto an. “Wenn man jetzt nur herausfinden könnte, wo der Spiegel ist. Das dürfte nicht so einfach werden”, überlegt Chloe. “Ich weiß, wo er ist”, sagt Lucifer. “Und wo?”, fragt Chloe irritiert nach. “In meiner Wohnung”, antwortet Lucifer ihr. “In Ihrer Wohnung? Was macht der Spiegel denn da?”, möchte Chloe wissen. Lucifer seufzt. “Ein junger Mann hat mir heute morgen ein Paket überreicht und in dem war der Spiegel”, erzählt er. “Waren Sie deswegen heute morgen so durch den Wind?”, fragt Chloe. Lucifer setzt zu einer Antwort an, wird jedoch unterbrochen. “Wer war verwirrt?”, fragt nämlich Ella nach, die zu den beiden getreten ist. “Ach, nicht so wichtig”, wimmelt Chloe ihre Frage ab. “Was ist los?”, richtet sie sich stattdessen selbst an Ella. “Ich wollte euch die Ergebnisse der Autopsie mitteilen”, wirkt Ella etwas verwirrt. “Dann schießen Sie mal los”, meint Lucifer, froh darüber, dass sie nicht weiter nachfragt. “Das Opfer wurde mit dem Dolch getötet und das mit einem exakten Stich ins Herz. Es gibt keine weiteren Verletzungen. Es deutet nichts auf einen Kampf hin”, erzählt Ella, die eine kurze Pause macht, ehe sie weiter spricht, “Jetzt kommt aber erst das Interessante: Die Tote zeigt Anzeichen von Luftmangel, trotzdem hat sie sich nicht gewehrt. Kurz bevor sie erstickt wäre, hat der Täter sie mit dem Dolch getötet.” Chloe ist etwas verwirrt. “Wie kann sie unter Luftmangel gelitten haben, wenn es, außer der Wunde, die ihr durch das Messer zugefügt wurde, keine weiteren Verletzungen gibt?”, fragt sie nach. “Ich gehe von einem Kuss aus. Die Untersuchungen dazu habe ich schon gemacht, allerdings ohne Ergebnis, das muss aber nichts heißen”, erklärt Ella. “Das klingt nicht gerade plausibel”, meint Lucifer. Ella wirkt leicht genervt. “Ach, kommen Sie schon. Haben Sie etwa noch nie jemanden so lange geküsst, dass Sie sich wegen Luftmangel lösen mussten”, quengelt sie schon fast. Lucifer schaut sie daraufhin nur etwas irritiert an. Ella winkt ab. “Na ja, auch egal”, meint sie. “Was ich euch sagen wollte, habe ich gesagt, also lasse ich euch mal wieder in Ruhe eure Arbeit machen.” Mit diesen Worten wendet sie sich ab und geht. 15 | Die Überlegungen --------------------- Chloe schaut Ella einen Moment hinterher, ehe sie sich wieder Lucifer zuwendet. “Also wie war das mit dem Spiegel?”, fragt sie nach, vergessen hatte sie es nicht. Lucifer zieht seinen Augenbrauen zusammen. “Sollten wir uns nicht erstmal mit den Informationen beschäftigen, die Ella uns gerade gegeben hat?”, möchte er wissen. “Ach, damit können wir uns auch später befassen”, winkt Chloe ab. “Das mit dem Spiegel finde ich gerade interessanter. Also was war da los?” Lucifer zuckt mit den Schultern. “Ich wollte gerade hierher aufbrechen, da hat mich ein junger Mann abgepasst und mir ein unbeschriftetes Paket in die Hand gedrückt. Danach ist er verschwunden”, erzählt Lucifer. “Hm. Kannst du den Jungen beschreiben?”, fragt Chloe nach. Lucifer überlegt kurz. “Er hatte kurzes, braunes Haar und spitze Eckzähne. Auf seinen Wangen war jeweils ein rotes Dreieck. Er müsste um die 19 Jahre alt sein”, beschreibt Lucifer den Jungen. “Das ist doch schon mal was”, meint Chloe. “Wollen Sie jetzt nach dem Bengel fahnden, oder was?”, möchte Lucifer skeptisch wissen. “Ja. Warum nicht?”, möchte nun ihrerseits Chloe wissen. “Wenn Sie eine Nadel im Heuhaufen suchen wollen, nur zu”, meint Lucifer dazu nur. Er hält dieses Vorhaben für nicht gerade sinnig, eher für für eine Zeitverschwendung. “Der Spiegel ist ein wichtiger Anhaltspunkt. Wir müssen wissen, wo er herkommt und wer ihn vorher in seinem Besitz hatte. Außerdem haben Sie den Spiegel sicherlich nicht ohne Grund erhalten”, hat Chloe dazu zu sagen. “Wenn Sie meinen”, gibt Lucifer schulterzuckend von sich. “Kommen wir jetzt zu der Todesursache”, sagt Chloe. “Nach dem, was Ella uns erzählt hat, muss der Täter sein Opfer geküsst haben, bevor er sie umgebracht hat. Anders ist das gar nicht möglich. Schließlich weist Linali Li lediglich die Wunde an ihrer Brust auf, die ihr mit dem Dolch zugeführt wurde. Der Täter kann sie weder gewürgt noch unter Wasser gedrückt haben. Beides hätte Spuren hinterlassen”, fasst Chloe nochmal alles zusammen. “Dann muss sie den Täter gekannt haben oder wenigstens mit dem Kuss einverstanden gewesen sein”, überlegt Lucifer. “Hm”, meint Chloe und fügt an: “Bei dem Extra-Training waren sie zusammen mit dem Opfer acht Personen, davon waren zwei Männer. Nach Jubei und Gisen Yagyū muss Linali irgendwann zwischen Nea D. Campbell und Mone Crown gegangen sein. Sehr aufmerksam waren sie jedoch nicht. Es kann durchaus sein, dass jemand zwischendurch den Raum verlassen hat, ohne dass es eine der beiden bemerkt hat.” “Da haben Sie Recht. Wie werden wohl auf die Aussagen der anderen Teilnehmer warten müssen”, meint Lucifer. “Ja, das glaube ich auch”, stimmt Chloe ihm zu. Sie zieht ihre Stirn kraus und überlegt. Schließlich sagt sie zu Lucifer, dass er einen Moment warten solle, und verschwindet anschließend Richtung Pathologie. Lucifer sieht ihr irritiert hinterher. Er hat keine Ahnung, was sie nun schon wieder vorhat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)