Boody Memories von Loryan (Die Geschichte eines Auftragsmörders) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Es war Krieg. Fast überall, wohin ich gerufen wurde, brannten Häuser und schrien Menschen. Mütter versuchten, ihre Kinder zu retten und die, welche keine Familie mehr hatten, waren hoffnungslos verloren. Männer liefen bewaffnet über das Schlachtfeld und brachten sich gegenseitig um, denn sie wollten Macht, die sie nur bekamen, wenn die Schwächeren starben. Nur ein Bruchteil der Krieger wollte die Freiheit wieder haben, welche ihnen durch den Ausbruch der Schlacht genommen wurde. Zwischen den Kämpfenden lagen bereits hunderte Gefallene. Ich versteckte mich in der hintersten Ecke einer Hütte, die noch nicht angezündet worden war. Es war allerdings nur eine Frage der Zeit, bis sich auch das änderte. Mein Auftrag bestand darin, den Kriegsführer zu finden und ihm den Gar auszumachen. Dieser hatte in der Vergangenheit hunderte Städte tyrannisiert und in Brand gesetzt. Wenn das so weiter ging, gab es keine Bevölkerung mehr, über die geherrscht werden konnte. Niemand war so dumm, ohne Männer im Hintergrund einen Krieg anzufechten. Um an ihn heran zu kommen, mussten zuerst seine Marionetten ausgeschaltet werden. Aus der Hintertür der Hütte geschlichen, näherte ich mich dem Mann, welcher mit einem Lachen im Gesicht dem Gemetzel zusah und den Geräuschen lauschte, die dieses Schauspiel mit sich brachte. Nahe genug an dem ersten Gefährten des Tyrannen, zog meine Hand ein Messer aus dessen Gürtel und schnitt ihm die Kehle auf, bevor er nur daran denken konnte zu schreien. Der Zweite war ebenso kein Problem. Dieser starb auf dieselbe Weise. Für den Tyrann dachte ich mir allerdings etwas ganz Besonderes aus. Er sollte spüren, dass nicht nur ihm das Töten gefiel. Die Krieger vor ihm, welche nur seinetwegen kämpften, gingen nach und nach zu Boden. „Sieh sie dir an, deine Marionetten. All diese Menschen, wie sie sich wegen deinem Egoismus gegenseitig abschlachten. Ein schönes Gefühl, nicht?“ Als er mich reden hörte, zuckten seine Muskeln kurz. Dann drehte der Man sich zu mir um, sodass wir uns nun gegenüberstanden. „Was willst du?!“ „Oh, was ich will? Na ja... ich kann nicht zulassen, dass noch eine Stadt wegen dir in Schutt und Asche liegt, deshalb werde ich dich töten. Und da es dir offensichtlich Spaß macht zuzusehen, wie die Männer leiden und sterben, wird es dir sicher nichts ausmachen, genauso zu enden wie sie.“ Bevor er etwas sagen konnte, knebelte ich den Tyrann, schliff ihn in die Hütte, die vorher mein Versteck war und band ihn an einen Mast, welcher dieses kleine Haus stabil hielt. Meine Hände griffen nach einem Rohrstock aus Metall, mit dem ich ihm zuerst die Beine brach und dann seinen Brustkorb zerschmetterte. Der Tyrann musste weitere Schläge einstecken und je mehr er bekam, desto eher wurde sein Bewusstsein von Schmerz vernebelt. Mit einem letzten Schlag war sein Schädel zertrümmert. Wenn er nun in der Unterwelt versauerte, war mir das sehr recht. Solche Menschen sollten nun mal nicht ewig leben. Bevor jemand merkte, dass dieser Mann tot war, verschwand ich zwischen den Ruinen seiner Gier. Diese Stadt war zerstört. Viele ließen ihr Leben dort zurück, wo nun alles bis auf die Grundmauern niederbrannte. Mein Auftrag war erledigt. Trauer oder Mitgefühl waren Fremdwörter. Es war Alltag für mich, Menschen zu töten... Mein Name ist Kakyo Haoshi und ich bin Auftragsmörder. Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Es machte mir nichts aus, Existenzen auszulöschen. Im Gegenteil. All meine Opfer sollten sterben und für jemanden wie mich war es nicht wichtig, warum. Zu Hause angekommen ging ich ins Schlafzimmer, warf meine Sachen in die nächste Ecke und ließ mich ins Bett fallen. An Schlafen war jedoch nicht zu denken, denn dafür war mein Körper nicht erschöpft genug. Ohnehin war es egal, ob Traumwelt oder Realität, denn überall spielten Blut, Tränen und Verzweiflung eine Rolle. In meinen Gedanken versunken stellte ich fest, dass mir eigentlich noch nie etwas Wunderbares passierte. Wieder aufgestanden, sah mein Antlitz in den großen Spiegel neben dem Bett. Überall waren Narben und tiefe Kratzer zu sehen. Eine Narbe aber war der Beginn meines verdorbenen Lebens. Diese begann an der linken Schläfe, fand ihren Verlauf über der Wange und endete in der Mitte meiner Oberlippe. Zu diesem Zeitpunkt war ich sieben Jahre alt. Meine Familie gehörte zur Kategorie 'wohlhabend', was bedeutete, dass es zum Mittag Sushi und zum Abendessen Kaviar gab. Unser Hausmädchen musste natürlich all unseren Dreck wegräumen und mein Kindermädchen gehörte bereits zum Inventar. Vater und Mutter waren beide tüchtige Geschäftsleute. Und obwohl sie kaum da waren, hatte ich sie trotzdem irgendwie gern. Erfolg war eine Art Philosophie meiner Familie, woraufhin meine Mutter der Meinung war, dass ihr einziger Sohn ein Musikinstrument spielen lernen sollte. Sie sagte außerdem, das Muse der Schlüssel zum Glück sei, also wurde ein Klavier gekauft. Kaum zu glauben, aber mir gefiel dieses Instrument sogar. Der Klang der Töne strahlte eine unbeschreibliche Ruhe aus und lud zum Träumen ein. Eine Zeit lang wurden mir Stücke berühmter Pianisten nahe gebracht. Auch nach meiner Einschulung mit sechs Jahren blieb die klassische Musik ein Hobby und gleichsam ein Ventil, wenn es schlechtere Tage gab. Es war ein doch recht bequemes Leben, welches ich dank meiner Eltern führen durfte. Eines Tages jedoch kam mein Vater nach Hause und befahl mir, arbeiten zu gehen. Seine Begründung war, dass der eigentliche Erfolg nur durch harte Arbeit erzielt werden konnte. Meine Arbeit bestand schließlich darin, Steinkohle von Kellerräumen in Lkws zu schleppen. Jeden Tag nach der Schule musste ich zum Dienst antreten. Mein Körper war durch den Feinstaub immer total verrußt und dreckig. Das alles zerrte jedoch zum einen extrem an meinen Nerven, weil keine Zeit für Hausaufgaben blieb und zum anderen an den eigenen Kräften, weil die Tätigkeit derb in die Knochen ging. Mein Vater beobachtete die ganze Zeit, wie ich mich anstellte und sah, wie meine Kräfte nachließen. Das Spiel ging so lange, bis mein Körper schließlich so schlapp war, dass nicht einmal mehr Aufstehen möglich war. Und während die Schmerzen in meinen Gliedern immer stärker wurden, fiel mir doch etwas Wesentliches auf. Mein Vater, welcher ein so starker, zielstrebiger und erfolgreicher Mann war, ließ sich immer mehr gehen. Deshalb drillte dieser Kerl mich also. Wenn das Familienoberhaupt kein Geld rein brachte, musste es jemand anderes tun. Und dieser Jemand war ich. An Arbeit war jedoch nicht zu denken in meinem Zustand. Auch der Arzt meinte, dass das nie wieder passieren durfte, wenn ich gesund bleiben sollte. Mein Vater wurde daraufhin so wütend, sodass er nach mir griff, mich gegen einen Schrank warf und schließlich auf mich einschlug. „Wegen deinem Versagen werden wir alle zu Grunde gehen! Weil du es nicht einmal schaffst, ein bisschen Kohle zu tragen. Sieh dich doch an... Du bist ein Versager. Wir wären ohne dich viel besser dran!“, schrie er mir ins Gesicht. Dieser Übergriff sollte allerdings nicht der letzte sein... Um nicht mehr Ärger zu machen, und aus Angst vor ihm, ging ich weiter arbeiten, obwohl alle Reserven ausgeschöpft waren. Immer wieder brach mein Körper zusammen, und genau dann vergriff sich mein Vater an mir. Ein Jahr lang hörte dieser Kreislauf nicht auf. Eines Tages war ich allein zu Hause. Meine Mutter war arbeiten und er war... eben nicht da. Die Übergriffe wurden heftiger, weshalb meine Verbände fast permanent nach kurzer Zeit wieder blutig waren. Er wurde wütend, wenn sein Antlitz das sah. Plötzlich hörte ich die Tür klinken und eine Stimme ertönte. „So ein Saftladen! Da geht man hin, um dann gesagt zu bekommen, dass ich genug Kohle hab?! Die haben doch keine Ahnung. Wo wir grade dabei sind...“ Verdammt! Er hatte die Absicht zu prüfen, ob ich zu Hause war. Es lag auf der Hand, was dann passierte. Ich schleppte mich zum Fenster, öffnete es und stieg schließlich herab. Das war nicht allzu gefährlich, da sich mein Zimmer im Erdgeschoss befand. Aber schon das war eine Hürde, denn mein Körper war übersät von blutigen Verletzungen, die mich zunehmend schwächten. Ich schaffte es, zu verschwinden, bevor er in meinem Zimmer stand. Es war gut möglich, dass mein Vater vor Wut herumschrie, aber ich war schon weit genug weg, sodass es um mich herum stumm war. Die Panik, dass mein Vater mich schnappen könnte, trieb mich weit weg. Meine Beine trugen mich die Straßen entlang, obwohl dafür keine Energie mehr da war. Meine Glieder schmerzten so sehr, dass mir das Atmen extrem schwer fiel. Doch bevor ich überhaupt die Möglichkeit hatte, mich in Sicherheit zu bringen, wurde es schwarz um mich herum... Im Unterbewusstsein nahmen meine Ohren das Klinken einer Tür wahr. Hatte ich nur geträumt, dass ich vor meinem Vater floh oder war ich wirklich weg? Vielleicht aber war es auch das Tor im Himmel, weshalb sich mir die Frage stellte, ob dies vielleicht die letzte Tür war, welche sich öffnete. Doch der Schmerz, welcher mit voller Wucht durch meinen Körper zog, war ein klarer Beweis dafür, dass ich noch nicht tot war. „Oh Gott“, flüsterte eine männliche Stimme, welche von Erschrecken belegt war. Dann sagte der Unbekannte erst mal nichts. Trotz, dass meine Augen geschlossen waren, konnte ich erkennen, dass sich sein Schatten über mich legte. „Hey, kannst du mich hören?“, fragte der Mann. Mein Kopf nickte sehr geschwächt. Ihm fielen Atemzüge sehr schwacher Natur bei mir auf. Nachdem er seine Antwort bekam, hörte ich ihn sagen: „Okay, mein Name ist Elias und ich bin Arzt. Du bist sehr schwer verletzt, aber keine Angst. Meine Frau und ich kümmern uns um dich“. Elias erwartete keine Antworten mehr. Stattdessen hoben seine Arme mich empor... Drinnen angekommen säuberte der Mann meine blutigen Verletzungen, und sofern der stark spürbare Schmerz mir nicht den Verstand raubte desinfizierte er diese, bevor sich der neue Verband um meine schwachen Glieder legte. Mit der Zeit verheilten diese, ohne Spuren zu hinterlassen, bis auf diese Narbe an der Wange. Während Monate vergingen, lernten wir einander gut kennen. Seine Frau hieß Emilia, war Lehrerin und die zwei gemeinsamen Kinder, Josh und Alicia, gingen auf dieselbe Schule wie sie. Diese Familie konnte nicht verstehen, wie man einem achtjährigen Jungen so etwas antun konnte, urteilten jedoch nicht über meine Eltern. Doch in mir brodelte nichts anderes als Wut gegenüber meines Vaters, schließlich war er für meinen Zustand verantwortlich. Das Schlimmste war, dass meine Mutter nichts dagegen tat, obwohl sie sah, dass ich immer mehr unter seiner Gewalt litt. Das alles interessierte Elias jedoch nicht, zumindest jetzt, und kümmerte sich stattdessen um meine Genesung. Er sagte immer „Ich zwinge dich zu nichts. Du kannst so lange bleiben wie du möchtest. Und wenn du dich irgendwann bereit fühlst, sollst du wissen, habe ich immer ein offenes Ohr“... So lernte ich ihn kennen. Elias war Vater, Ehemann, Arzt und irgendwie auch mein Schutzengel. Es vergingen bis heute zwar ein paar Jahre, doch es kam mir vor, als wäre es erst ein paar Monate her. Ihm verdankte ich mein Leben oder zumindest das, was davon übrig blieb. Außerdem war es die einzige Freundschaft, die ich mit ihm und seiner Familie pflegte, denn sie mochten mich so sehr wie ein vollwertiges Familienmitglied. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- In den Erinnerungen schwelgend musste ich feststellen, dass die Zeit extrem voran geschritten war. Ein Auftrag sollte jedoch noch erledigt werden musste also war nun Eile gefragt. Immerhin sollte es in einer halben Stunde losgehen. Also rannte ich aus meiner kleinen, tristen Dreiraumwohnung, schloss die Tür hinter mir, sprang in meinen Wagen und fuhr los. Hier in Tokio war es immer sehr anstrengend. Viele Autos, noch mehr Verkehr und umso mehr Menschen. Das alles war extrem nervig. Aus dem Grund hatte ich Bedenken, es nicht pünktlich zu meinem Auftraggeber zu schaffen, weil dieser von der harten Sorte war. Sobald man sich nur eine Minute verspätete, wartete eine sehr harte Strafe. Ich war einmal Zeuge, als einer von uns Auftragsmördern zu spät kam. Er hatte diesen armen Jungen, der vielleicht gerade mal fünfzehn Jahre jung war, einfach auf der Streckbank gefesselt und ihn ausgequetscht, warum er zu spät kam. Der Junge hatte keine passende Antwort für ihn parat. Deshalb wurde er so lange gestreckt, bis schließlich seine Knochen brachen. Das war kein schöner Anblick. Ja, ich war dabei, als dieser Bastard den Jungen quälte. Normalerweise störte mich so etwas nicht die Bohne, aber der Gedanke, eine vielleicht schlimmere Strafe zu bekommen, verpasste mir einen kalten Schauer, der über meinen Rücken lief. Also hupte, pfiff und schrie ich aus meinem Auto heraus, dass diese Idioten den Weg frei machen sollten, weil ich zu meiner hochschwangeren Frau musste. Das hörten sie alle. Es war jetzt viel leichter, durch den Verkehr zu kommen, und für mich ein leichteres Spiel, rechtzeitig bei meinem Auftraggeber anzukommen. Ich öffnete die Tür seines riesigen, und gleichermaßen brüchigen Anwesens, und sah ihn, welcher eine extrem böse Miene aufsetzte. „Warum hat das so lange gedauert?!“, fragte er mich. Meine Muskeln verkrampften kurz, bevor sie sich wieder aufzulockern. „Verzeihung, draußen war sehr viel Verkehr und wie Sie sicher wissen, ist es sehr schwer, um diese Uhrzeit durch die Stadt zu kommen.“ Der Mann grübelte kurz, dann sagte er mit einem leichten Kopfnicken „Da hast du wohl Recht, Haoshi. Okay, pass' auf. Ich lasse das heute noch durchgehen, aber kein zweites Mal, verstanden?“. Diesmal antwortete mein Kopf mit einem ebenso leichten Kopfnicken. „Ja, Sir.“ Er gab mir meinen Auftrag in die Hand, welchen ich mir erst einmal durchlas. Diesmal sollte ich einen Mann töten, der zwar kein Kriegsführer, aber meinem Auftraggeber trotzdem ein Dorn im Auge war, und das war für ihn fast dasselbe. Diese Idioten dachten immer, dass sie etwas Besseres waren. Ähnlich wie Königen. Das nervte mich immer. Dass es ausgerechnet dieser Auftrag war, ging mir ziemlich gegen den Strich. Aber ich nahm ihn an und machte mich an die Arbeit. So, wie damals der Kriegsführer den Tod fand, konnte es kein zweites Mal ablaufen. Denn diesmal war mein Opfer allein. Das war sein Fehler, aber umso leichter für mich. Ich musste also nicht an irgendwelchen Handlangern vorbei, sondern einfach nur die Tür öffnen und ihn um die Ecke bringen. So passierte es auch. Ich fuhr hin und erledigte den Kerl mit einem glatten Schuss durch seinen Schädel, sodass der Mann sofort tot war. Er fiel langsam nach vorn und sein Kopf landete auf der Tischplatte vor seinem sterbenden Körper. Hinter mir befand sich ein Fenster, welches sich durch meine Handbewegung öffnete. Aus diesem hinaus geklettert, kroch ich durch das grüne Dickicht seines Gartens und fand schließlich einen Ausgang, der sich mir als Fluchtweg bot, stieg wieder in mein Auto und fuhr zurück zum Auftraggeber. Dort angekommen, wartete er bereits am Tisch sitzend auf mich. Ich setzte mich dazu, legte den Auftrag auf die Platte und unterschrieb diesen. Das bedeutete, dass der Fall erledigt war. Er sah mich überrascht an und sagte mir, dass es bisher keiner geschaffte, den Job zu erledigen. Das wunderte mich. Ich war seit vier Jahren dabei und gerade siebzehn Jahre alt geworden. Es war eigenartig, dass es bisher niemand auf die Reihe bekam, einen einzelnen Kerl zu töten, dessen Sicherheitsvorkehrungen für die Tonne waren. Es brachte nichts, weiter darüber nachzudenken. Auch dieser Auftrag war nun erledigt. Das unterschriebene Dokument wechselte den Besitzer, und auf dem Gesicht des grimmigen Mannes zeigte sich ein kurzes Grinsen. Er sah mich an und reichte mir schließlich seine rechte Hand. Ein Händeschütteln konnte nur bedeuten, dass über kurz oder lang ein neuer Auftrag von ihm auf meinem Tisch landete. Nach dieser Begegnung mit ihm lief ich zu meinem Wagen und fuhr nach Hause. Es war schon eigenartig, wenn man bedachte, wie alles begann. Ich spürte jedes Mal, wenn wieder jemand auf der 'schwarzen Liste' stand, Erleichterung. Bei jedem, der durch meine Hand starb, kam die Erinnerung an meinen Vater, und jedes Mal die Vorstellung, dass er derjenige war, der starb. Was mich bis jetzt immer noch wunderte war seine plötzliche Arbeitslosigkeit. Zu Hause angekommen setzte ich mich in mein Büro, schaltete den PC an und recherchierte ein wenig, um herauszufinden, was damals geschah. Wie schon erwähnt waren meine Eltern sehr hoch angesehene Menschen, die ziemlich viel Einfluss hatten. Es war also nicht schwer herauszufinden, was bei ihnen beruflich passierte. Dann stolperte ich über einen sehr verwunderlichen Artikel. Die Firma, in der meine Eltern tätig waren, ging zum damaligen Zeitpunkt Pleite. Das war aber unmöglich, denn meine Kindheit war alles andere als ärmlich gestaltet. Wie konnte es also sein, dass meine Eltern kein Geld mehr hatten, weil das Unternehmen bankrottging? Meine Augen überflogen den Artikel weiter. Mein Vater, Takuyo Haoshi, wurde aufgrund des Verdachts der Steuerhinterziehung fristlos gefeuert, spielte aber immer noch den schwer Beschäftigten. Das erklärte einiges. Ich ließ mich in den Bürostuhl fallen und grübelte. Wahrscheinlich war es keine schlechte Idee, ihn deswegen und aufgrund von Kindesmisshandlung hinter Gittern zu bringen. Es musste schließlich jemanden geben, der sein Leben genauso zerstörte, wie er es auch mit meinem getan hatte. Eine andere Möglichkeit war, ihn zu erpressen. Ich wusste, dass er alles daran setzte, seine Vergehen zu vertuschen, um nicht aufzufliegen. Das war zwar hinfällig, dass er mal aufs Maul bekam, aber ein quälender Aufschub war auch eine Möglichkeit. Während meine Gedanken kreisten, verstrichen Stunden. Ein einziger Blick auf die Uhr verriet mir, dass es Zeit war, schlafen zu gehen. Zu meinem Job gehörten auch kleinere Aufträge, die mir eigentlich gar nichts brachten, weil ich dafür nur ein paar Münzen bekam. Nicht besonders lukrativ, aber besser als gar keine Kohle. Außerdem war alles besser, als sinnlos zu Hause zu sitzen. Nach einem gesunden und langen Schlaf, der jedoch mit Albträumen getränkt war, stand ich auf und ging sofort ins Büro, um meinen Papierkram zu erledigen. Die Recherche von gestern Abend beschäftigte mich immer noch, doch jetzt war noch nicht der richtige Zeitpunkt, sich damit den Tag zu versauen. Im Büro angekommen sortierte ich die zukünftigen Aufträge nach Fälligkeit und legte weg, was erledigt war. Mir fiel auf, dass es für diesen Monat gar nicht mehr so viel zu tun gab. Zwei oder drei Jobs waren noch offen, dabei war es mitten im März! Ehrgeiz zahlte sich eben aus. Der nächste Auftrag, der auf meiner Liste stand, war ein Junkie, gegen den die Polizei nichts unternahm. Dieser hatte eine Tochter im Alter von sechzehn Jahren, die er regelrecht versklavte. Häusliche Gewalt war wohl auch im Spiel, aber sie sagte aus Angst vor ihrem Vater nie aus. Die Situation kam mir sehr bekannt vor, nur dass mich damals niemand befragte. Die Polizei konnte wohl nichts machen, weil die Beweise letzten Endes nicht ausreichten, obwohl es auf der Hand lag. Ein Junkie konnte seine Sucht nur stillen, wenn er Drogen hatte. Diese mussten allerdings erst einmal besorgt werden. Ich nahm an, dass er seine Tochter los schickte, um die Drogen für ihn zu holen. Wenn sie aber mit leeren Händen wieder kam, erhob dieser Typ seine Hand gegen sie. So hatten wir also zwei oder drei Tatbestände, nämlich Hehlerei, häusliche Gewalt beziehungsweise Körperverletzung und schlussendlich auch Drogenbesitz, wenn er welche hatte. Das Problem: Ohne Zeugen gab es keine Täter und ohne die auch kein Verfahren. Ohne das gab es schließlich keine Strafe für seine Vergehen. Plötzlich fühlte ich mich in die Vergangenheit zurück versetzt. Eines war klar: dieses Mal musste etwas unternommen werden, bevor noch Schlimmeres geschah. Dieser Job war in zwei Tagen fällig. Es gab also genug Zeit, sich darauf vorzubereiten. Die verschiedenen Berichte durchforstet war der Name des Mannes polizeilich bereits bekannt. Sein Kosename war Joe und seine Tochter trug den Namen Sophie. Beide lebten in St. Louis, Missouri, genau an der Grenze zu Illinois. Sie ging noch nicht auf das Collage, wurde jedoch bereits für eines angenommen. Im Anhang der Auftragsakte waren Fotos angeheftet mittels einer Büroklammer. Darauf waren das Mädchen und dessen Vater abgebildet. Sie war sehr hübsch. Ihre Haare waren nussbraun und lockig, die Augenfarbe blau, und ihre Hautfarbe war blass. Das Mädchen hatte eine schlanke Figur und trug ein trägerloses Pünktchenkleid. Einige Blessuren waren ebenso zu erkennen. Die Trottel von der Fahndung hätten wenigstens ein Bild nehmen können, auf dem die Kleine noch unversehrt erschien. Ihr Vater hingegen hatte ein eingefallenes Gesicht, graue, fettige Haare und zerschlissene Klamotten. Sophie sah auf dem Foto alles andere als glücklich aus. Während ich mir die Akte mit dem Bildern weiter ansah, überkam mich plötzlich die Unsicherheit, ob ich diesen Auftrag tatsächlich annehmen sollte. Dieses Gefühl stand auf der sogenannten Tabu-Liste eines jeden Auftragsmörders, denn es machte unkonzentriert, leichtsinnig und schwach. Und Schwäche führte schließlich zu einem bösen Ende. Es war Zeit, mir Klarheit darüber zu verschaffen, ob ich den Auftrag annahm oder nicht. Also ging ich zu meinem besten Freund, Elias, der mir schon immer mit Rat und Tat zur Seite stand. Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Nach einem kurzen Klopfen an seiner Haustür öffnete er diese, bat mich herein und sah mich verwirrt an. Um seine Augen waren bereits deutliche Falten zu erkennen. Insgesamt war sein Gesicht durch solche verziert, vor allem seine Stirn. Die Arbeit als Arzt stresste ihn, weil er deshalb kaum Zeit für die Familie hatte. Seine Augenbrauen und Haare nahmen bereits einen Grauschimmer an. All das war aber nicht verwunderlich, immerhin war Elias schon vierzig Jahre alt. „Was ist los? Du siehst aus, als wüsstest du gerade nicht, wo dir der Kopf steht.“, sagte er. Wir gingen durch sein modern eingerichtetes Haus, mit hellen Wänden und Möbeln und schönen Bildern an der Wand. Auf einem war ein Ehepaar zu sehen, wobei die Frau schwanger war und beide glücklich lachten. Wir kamen in der riesigen und ebenso modern eingerichteten Küche an, wo alle Oberflächen, ob Schränke, Tisch- oder Arbeitsplatten, aus hochwertigem Mahagoni bestanden. Elias deutete mir, an dem großen Esstisch Platz zu nehmen. Während ich auf die Tischplatte starrte, in dem sich mein Spiegelbild zeigte, kochte mein bester Freund Kaffee und stellte die fertige Kanne und zwei Tassen auf den Tisch und schenkte mir ein. Ich gab Milch und Zucker hinzu, rührte mit einem Löffel alles um und trank einen Schluck. Gedankenverloren starrte mein Antlitz auf die mit Koffein versetzte Flüssigkeit. Elias setzte sich zu mir. „Na los, erzähl schon was los ist. Ist etwas passiert?“ Mit seiner Aufforderung holte er mich schlagartig in die Realität zurück. „Ich habe einen Auftrag.“ „So wie immer, Kakyo. Was ist mit dem Auftrag? Steckst du in Schwierigkeiten?“ „Noch nicht...“ „'Noch nicht'? Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen Kakyo...“ Ein tiefes Seufzen fand seinen Weg aus meinen Atemwegen nach draußen. „Habe ich dir jemals erzählt, was damals passiert ist, bevor ich vor deiner Tür lag, Elias?“ „Nein, seit wir uns vor knapp neun Jahren unter den damaligen Umständen kennen gelernt haben, hast du kein einziges Wort darüber verloren. Ich schätze, das nun so viel Zeit vergangen ist, dass du es mir erzählen solltest.“ Elias hatte recht. Nun war es an der Zeit, ihn in mein Leben einzubeziehen und ihm alles im Zusammenhang mit damals zu erzählen. Meinem besten Freund gegenüber war der Zeitpunkt gekommen, ehrlich mit ihm zu sein. Mein Wesen war lang genug so verschlossen, dass er mich eigentlich nie wirklich kennen lernen konnte. Ich versuchte, alles so genau wie möglich zu beschreiben. Dabei kamen all die Erinnerungen wieder hoch, und es fühlte sich für mich an, als müsste ich gleich zusammen brechen vor Wut und Verzweiflung. Diese Gefühle mussten gleich, nach dem Gespräch mit Elias, wieder verdrängt werden. Je länger er mir zuhörte und dabei die Ereignisse wirken ließ, wurde sein Gesicht immer mehr von Betroffenheit gezeichnet. Zum Schluss berichtete ich noch von der gestrigen Recherche und von dem, was dabei für mich ins Licht kam. „Das... das ist ja schrecklich!“ Meine Antwort war ein langsames Kopfnicken. „Und ein Jahr, nachdem du wieder gesund warst, bist du verschwunden... Wo warst du?“ „Ich habe mich dem Clan Kasuye angeschlossen und zu einem Auftragsmörder ausbilden lassen.“ „Was haben sie mit dir gemacht? Als du damals weg gingst, hattest du nur die Narbe an der Wange. Aber als du nach vier Jahren, zurückgekehrt bist...“ Ich seufzte. „Zuerst verprügeln sie dich, dann peitschen sie dich aus, brechen dir sämtliche Knochen, wobei sie darauf achten, dass man all das überlebt... bis zu dem Punkt, an dem du den Schmerz als alltäglich empfindest. Er ist da, aber man nimmt ihn als solchen nicht mehr wahr. Während sie das gemacht haben, erhielt ich kein einziges Mal ärztliche Versorgung. Auch dann nicht, als sie mich alle Waffen und Techniken lehrten, obwohl alle Wunden immer noch präsent waren. Einem wird beigebracht, welche man wann nutzt. Die Prüfung, die man für den Abschluss ablegen muss, ist kurz gesagt ein Mord. Man empfindet irgendwann einfach nichts mehr. Keine Freude, keine Trauer. Letzten Endes eigentlich nur Wut und den Schmerz, an den man sich ja gewöhnt hatte.“ „Und wozu tust du dir all das Leid an? Warum, Kakyo?!“ In Elias' Stimme lag sehr große Besorgnis. „Um meinen Vater irgendwann zu treffen und ihn spüren zu lassen, was er mir damals angetan hat.“ „Ich denke, bevor wir weiter reden, sehe ich mir deine Knochen mal genauer an. Komm mit.“ Elias ging absichtlich nicht darauf ein. Ich kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er das für kompletten Schwachsinn hielt und dafür auch kein Verständnis hatte. Das war auch logisch, schließlich rettete dieser Mann mich vor neun Jahren vor einem elenden Tod. Im Keller seines Hauses befand sich eine Art Untersuchungsraum. Ich setzte mich auf die Liege an der Wand und entblößte meinen Oberkörper. Nachdem er alle nötigen Geräte zusammen hatte, stellte sich Elias vor mich, horchte mich ab und ertastete meinen kompletten Oberkörper. Unterhalb der Rippen zog ein tiefer Schmerz durch meinen Körper, sodass ich es nicht unterdrücken konnte, nach Luft zu schnappen. Dann legte mein bester Freund das Stethoskop weg, holte sich einen Hocker, setzte sich direkt vor mich und nahm seine Brille ab. „Du kannst von Glück reden, dass du noch gerade stehen kannst. Nein, dass du noch lebst.“ „Warum?“ „Wie lange haben die dich so zugerichtet?“ „So knapp drei Jahre. Wieso fragst du?“ Er seufzte gequält. „Deine Rippen sind schief oder gar nicht zusammengewachsen. Einige deiner Organe haben sich verformt und dein Brustbein ist immer noch durch. Außerdem drückt irgendetwas gegen dein Herz. Hast du Schwierigkeiten beim Atmen?“ „Manchmal schon, aber nicht lang.“ „Du solltest so schnell wie möglich ins Krankenhaus, Kakyo.“ „Das kann ich nicht! Ich habe zu tun!“ „Ich weiß was du so tust, wenn du nicht hier bist!“, unterbrach er mich. Elias klang schroff. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Dann atmete er kurz durch und sprach weiter. „Aber wenn dir etwas daran liegt, dies unbedingt weiter zu machen, solltest du so schnell wie möglich etwas dafür tun, das es auch so bleibt. Sonst werden wir uns nie wieder sehen. Dann stehst du nämlich niemals wieder auf.“ Das traf mich wie ein Schlag. Sagte er gerade, dass ich sterben werde? Das konnte nicht sein! Meine Gedanken kreisten um diese Tatsache, während sein trauriger Blick meinen traf, welcher starr vor Schock war. „Was soll ich tun? Ich kann diesen Auftrag nicht einfach verstreichen lassen!“ „Wenn du das unbedingt willst, kannst du diesen Job noch machen. Doch danach musst du dringend etwas unternehmen!“ Ich nickte starr. Wieder zurück in der Küche fragte Elias mich, was für ein Job auf mich wartete. Wir saßen erneut am Esstisch. Ich legte die Akte auf diesen, welche sich in meiner freien Hand befand. „Es geht um einen Junkie namens Joe, Elias. In den Akten steht, dass er offensichtlich seiner Tochter gegenüber handgreiflich wird, wenn sie ihm nicht neue Drogen beschafft. Ich glaube ja, dass sie sich prostituiert oder so, um all das zu finanzieren und an das Zeug ran zu kommen.“ „Klingt ja nach einem ganz netten Kerl...“ „Ja, dachte ich auch. Ich muss eigentlich nur hinfahren, und... na du weißt schon.“ „Mh-mh. Und wo liegt das Problem?“ „Das Mädchen, Elias. Wenn... ich Gefühle entwickle, werde ich von denen abgelenkt. Trauer, Besorgnis, Liebe...“ „Verstehe.“ Er grübelte kurz, bevor ich seinen Ratschlag zu hören bekam. „Pass auf. Ich an deiner Stelle würde hin fahren, den umlegen und dann gleich zurück fahren. Und sobald du wieder da bist, kommst du zu mir. Da fahren wir zusammen ins Krankenhaus. Muss sowieso dorthin.“ „Geht klar!“ Wir standen beide auf. Ich ergriff wieder die Akte, bevor er mich zur Tür brachte und kurz umarmte. Dann sagte Elias, ich solle doch aufpassen, dass mir nichts passierte. Die Reise nach St. Louis ging in einer halben Stunde los. Mein Gepäck war bereits im Flieger, als das Ticket, welches sich in meiner linken Hand befand, eingelesen wurde. In der Maschine sah alles aus wie immer. Links, rechts und in der Mitte befanden sich Sitze in Dreierreihen. Dazwischen war Platz, damit die Flugbegleitung die Gäste bedienen konnte. Ich hatte einen Fensterplatz in der vordersten Reihe, auf dem sogar mein Name stand. Als nach einer Weile der Flieger startete, beobachtete mein Antlitz durch das oval förmige Sicherheitsglas die Landschaft, welche immer kleiner wurde, bis sich dichter Nebel und Wolken an die Maschine schmiegte, welche mich in den USA absetzen sollte. Meine Augen waren geschlossen, während mein Körper etwas ruhte und sich die Gedanken um Elias kreisten. 'Aber wenn dir etwas daran liegt, dies unbedingt weiter zu machen, solltest du so schnell wie möglich etwas dafür tun, das es auch so bleibt. Sonst werden wir uns nie wieder sehen. Dann stehst du nämlich niemals wieder auf'. Seine Worte gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Es war für mich surreal, als er fast anfing zu weinen. Plötzlich fiel es mir ein. Er machte sich tatsächlich Sorgen um mich! Auch wenn es mein Verstand nicht ganz auf die Reihe bekam, lag es auf der Hand. Warum sonst versorgte er mich oder war immer für mich da? In meinem Inneren machte sich eine fremde, aber angenehme Wärme bemerkbar. Doch diese Emotion verschwand, als sich die Erinnerung von damals in den Vordergrund drängte. Das Wirrwarr endlich abgeschüttelt schlief ich etwas, um einigermaßen fit in St. Louis landen zu können. Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- In St. Louis wurden mir mein Gepäck und ein Schlüssel für einen Mietwagen ausgehändigt. In diesen eingestiegen trat mein Fuß auf das Gaspedal. Viele der Straßen hier waren sehr eben, jedoch gab es auch ein paar mit Pflastersteinen bedeckt. Für die Zeit hier wurde mir ein kleines Apartment zur Verfügung gestellt. Das war auch gut so, denn es hieß, meine Unterbringung läge in einer eher schwierigen Gegend, in der viele krumme Geschäfte gemacht wurden. Das störte mich allerdings nicht, immerhin musste ich mich auch mit solchen Gepflogenheiten vertraut machen und das erleichterte mir die Arbeit auch etwas. So konnte mein Auftrag dementsprechend angepasst werden. Nichts war peinlicher, als mit Schlips und Anzug in einem Ghetto aufzukreuzen. Meine Unterkunft war nun weniger als einen Kilometer entfernt. Aber bevor mich die Idioten dort empfingen, kaufte ich mir erst einmal Proviant. Und nachdem mein Geld im letzten Geschäft den Besitzer wechselte, waren in meinen zehn Einkaufstüten Getränke, Kleidung, Essen und noch etwas Kleinkram. Alles in den Wagen gestopft war mein letztes Ziel für heute das Apartment. Nach nur einer Stunde war alles in meinem Zimmer. Die vergilbten Gardinen zugezogen und mit verschlossener Tür packte ich alles aus, was für den Auftrag zu gebrauchen war. Auf meinem Bett, wo das Lattenrost bereits durchgebrochen war, lag alles Mögliche. Eine zerschlissene Jeans, ein schwarzes Shirt, graue Turnschuhe und eine langärmliche Weste aus einem Secondhandshop in der Farbe dunkelgrau. Neben all den Klamotten lagen die Alternativen, die mir für den Auftrag logisch erschienen. Ein größerer Revolver mit Schalldämpfer und selbst angefertigten Patronen, ein Elektroschocker und ein Dolch. Es war nicht schwer, sich Waffen hier zu besorgen, schließlich war das Gesetz hier sehr schwammig. Aber mit fremder Ausrüstung war es schwieriger zu arbeiten als mit der eigenen, und derartiges Equipment zu schmuggeln war für mich schon immer ein Leichtes gewesen. Nachdem alles fertig geplant war, ging ich im Badezimmer unter die Dusche. Es war eine Überlegung wert, sich die Haare abzurasieren. Aber diese mussten auch wieder nachwachsen. Geduld war nicht meine Stärke. Wieder aus der Dusche raus fühlte sich das Handtuch auf meiner Haut sehr kratzig an. Frische Klamotten lagen auf dem Stuhl vor mir, doch mich interessierte nur der Bademantel, welcher am Haken neben dem Waschbecken hing. Im ganzen Zimmer herrschte Stille. Den Bademantel um meinen schmalen Körper gewickelt war es eine willkommene Abwechslung im Gegensatz zum Rest meines Alltags. Sonst vernahmen meine Ohren Schüsse oder Schreie oder eben Stichwaffen in einer Vielzahl von Möglichkeiten. Einmal landet eben das Messer in einem Körperteil oder ein Schwert schellt mit einem anderen zusammen. Ich fragte mich für einen kurzen Moment, ob es hier irgendwo ein Klavier gab. So schnell, wie der Gedanke kam, ging er aber auch wieder. Für heute war genug getan. Ich schob die Klamotten und meine Ausrüstung beiseite, legte mich auf das unbequeme Bett und merkte dann erst, wie anstrengend dieser Tag war. Keine fünf Minuten später befand sich mein Geist in der Traumwelt, in der es diesmal keinen Terror gab. Ein laut schrillendes Klingeln riss mich aus meinem Schlaf. Reflexartig schleuderte mein linker Arm den dämlichen Wecker von Nachttisch herunter, welcher dann mit einem Knall auf dem Fußboden landete. Die rechte Hand rieb über meine müden Augen. Ich schielte zur Wand gegenüber meines Bettes, woran eine Uhr mit einem verkrüppelten Nagel befestigt war. Sie verriet mir, dass es um halb zehn vormittags war. Das Ziffernblatt wurde mit einem braunen Rahmen umschlossen. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis auch dieses tickende Etwas das Zeitliche segnete, wie so vieles in diesem Raum. Bevor mein heutiger Zeitplan komplett hinüber war, stand meine Entscheidung fest aufzustehen und sich fertig zu machen. Die Dusche gestern Abend tat gut und war ausreichend, sodass es heute reichte, sich etwas im Gesicht zu rasieren und dieses danach noch etwas zu waschen. Danach widmete ich mich dem heutigen Plan. Um nichts zu vergessen, ging mein Gehirn nochmal alles durch, was zu tun war und was beachtet werden musste. Jeder wusste, dass mit Drogenabhängigen nicht umgegangen werden konnte wie zum Beispiel mit einem dreizehnjährigen Teenager. Aber im Großen und Ganzen eigentlich nicht sonderlich kompliziert, denn Entzügige waren für nichts zu gebrauchen. Also hingehen, den Typen töten und hoffen, dass die Kleine nicht gerade dann bei ihm war. Es gab nichts Schlimmeres als Zeugen. Allerdings musste ich mich ebenso darauf gefasst machen, dass der Typ sich wehrte und verteidigte, sobald er realisierte, was da gerade passierte. Einen Plan B sollte man also auch irgendwie parat haben. Mir fiel nur keiner ein. Wenn Elias das erfuhr, war ich definitiv erledigt, aber er hatte glücklicherweise Ablenkung und Beschäftigung durch seinen Job und die Familie. Nachdem die vom Vorabend zurecht gelegten Klamotten angezogen waren, griffen meine Hände zu der Ausrüstung. Der Revolver und die Patronen fanden ihren Platz am Hosenbund mithilfe einer kleinen Tasche am Gürtel. Den Schalldämpfer steckte ich in die Innentasche meiner Weste. Nun musste nur noch der Dolch verstaut werden. Mir fiel auf, dass noch eine Tasche am Gürtel frei war. Die Zeit verstrich wie im Flug, als alles fertig war. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es Zeit war, aufzubrechen. Der Stadtplan, den ich mir gestern noch besorgte, war gerade noch gut genug, um die Orientierung nicht komplett zu verlieren. Straßen, deren Namen man nicht ohne einen Knoten in der Zunge aussprechen konnte, waren das Markenzeichen dieses Ortes. Doch ein Blick auf den Zettel aus meiner Hosentasche, auf dem die Adresse dieses Typen stand, brachte Erleichterung. Der Junkie wohnte nur zwei Straßen nach Norden von meinem Apartment entfernt. Natürlich war es eine Variante, ins Auto zu springen und hinzufahren, aber das war schade um den Sprit. Außerdem konnte man sich dabei die Füße etwas vertreten. Während ich die Gegend ablief, fielen mir viele Abrisshäuser auf. Es war nicht auszuschließen, dass in diesen baufälligen Bruchbuden tatsächlich Menschen wohnten. Passte auch irgendwie zu diesem Bezirk, der wie leer gefegt wirkte. Eines wurde mir hierbei klar: Das war keine Stadt, die mich je dazu bewegen konnte, hierher zu ziehen. Nach gerade mal zehn Minuten Fußweg war ich da. Na toll, eine Bruchbude. Es war sinnlos, zu klopfen, denn vom Inneren dieses brüchigen Bauwerks waren ein lauter Knall, danach ein dumpfer Aufprall und Schreie zu hören. „Hast es wieder nicht auf die Reihe bekommen, was?! Na warte! Du wirst dir wünschen, nie auf der Welt gewesen zu sein!“ Das war der Junkie! „NEIN, DAD!“ Und das war seine Tochter. Ich verzichtete auf Höflichkeitsfloskeln, riss die Tür auf und wurde Zeuge von Wut und Zerstörung. Joe stand links neben mir am Fenster, Sophie lehnte verletzt und panisch an der kahlen Wand gegenüber, der Tisch zwischen ihnen war nur noch Sperrholz. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten mich an, die stumm nach Hilfe riefen. Der Typ hatte eine Schusswaffe in der Hand, die aber ordentliche Schlagkraft hatte und lud diese nach. Bevor er nur daran denken konnte, seine eigene Tochter zu erschießen, schnellte ich sofort zu dem Mädchen, schnappte sie mir und rollte mit ihr gerade noch rechtzeitig zur Seite, bevor seine nächste Kugel ein weiteres Loch in die Wand presste. Dieser Idiot musste aufgehalten werden. „Hab keine Angst“, hörte sie mich flüstern, während meine grauen Zellen nachdachten. Doch viel Zeit war nicht, bevor ihr Vater wieder auf uns zielte. Eine weitere Kugel kam geflogen. Wir duckten uns. Mir ging das Ganze auf die Nerven. Ich sah sie mit festem Blick an. „Verschwinde...!“ Nach diesem Wort kroch sie Richtung Tür, unbeachtet von dem Junkie, der sich nun auf mich fixierte. Ein weiterer Schuss fiel und entpuppte sich als Streifschuss an meiner rechten Schläfe. Wut schwappte in mir hoch. Ehe Joe Gelegenheit hatte, sein Spielzeug nachzuladen, sprang ich direkt auf ihn zu, schlug ihm die Pistole aus der Hand, welche laut schallend auf den Boden fiel, und drückte ihm schließlich auf dem Boden die Kehle zu. Während er erfolglos nach Luft schnappte, schlug dieser Kerl mir erst zweimal ins Gesicht und dann mit voller Wucht gegen meinen Brustkorb. KNACK! Eine meiner Rippen war von ihm gebrochen worden. Meine Lunge kämpfte, um Luft zu kriegen. Währenddessen warf er mich von sich weg, und ich landete mit dem Rücken auf dem kahlen Betonboden. Joe kam wieder zu sich und wollte gerade dafür sorgen, dass sein Gesicht das letzte war, welches mein Antlitz erkannte, doch in letzter Sekunde sahen meine Augen die Waffe neben mir. Meine Hände griffen zu der Waffe, mein Augenmaß zielte ihm zwischen die Augen und mein Finger drückte ab. Ein glatter Durchschuss beendete den Terror und der Vater des Mädchens landete direkt neben mir. Gerade als sich das Erinnerungsvermögen meldete und mein Kopf Richtung Tür drehte, sah mein Antlitz das sie regungslos auf dem Boden liegen. Die Kleine schaffte es nicht raus, aber mein Gefühl sagte mir, dass Sophie nicht tot war. Ich ging zu ihr, um mit zwei Fingern ihren Puls zu ertasten. Dieser war schwach, aber sie lebte noch. Ohne groß nachzudenken, hoben meine Arme ihren dürren Körper hoch und pressten ihn an meine Brust. Zu Fuß gehen war zu riskant für uns beide. Also legte ich sie draußen auf den Boden, mit dem Kopf auf meinen Schoß, und rief den örtlichen Notdienst. Der war in weniger als fünf Minuten da. Die Sanitäter trugen sie in den Wagen, sahen allerdings auch mich, der ebenso verletzt und blutend in der Nähe hockte. Einer der Rettungskräfte gab mir das Zeichen, mitzukommen. Seit Stunden im kahlen Vorraum des Krankenhauses wartend ging ich auf und ab und fragte mich, wann denn nun ein Arzt kam. Mir war es nicht wichtig, was mit dem Mädchen passierte, nachdem sie entlassen wurde. Aber wer wusste denn, was der Typ seiner Tochter antat, wenn nicht die Ärzte hier? Allerdings hatte ich ohnehin keine Ahnung von der Materie und ließ es sein. Falls der Arzt mich fragte, welche Verbindung die Kleine zu mir hatte, blieb eigentlich nur die Notlüge, ihr Freund zu sein. Sie war schon sehr lang weg. Das Krankenhauspersonal bestand darauf, auch mich zu untersuchen. Um Stress aus dem Weg zu gehen, willigte ich ein, obwohl es vollkommen überflüssig war. Die heftigen Schmerzen, welche durch meinen Brustkorb zogen, kamen eindeutig von der Rippe, die durch die Faust des Junkies gebrochen wurde und diese fühlte sich an, als würde sie meine Lunge bald aufspießen. Endlich kam ein Doktor, welcher auf mich zukam und, wie erwartet, nach der Verbindung zwischen dem Mädchen und mir fragte. „Ich bin ihr Freund. Sie rief mich an, weil es ihr nicht gut ging und mich deshalb brauchte. Daraufhin bin ich in den nächsten Flieger gestiegen... Warum fragen Sie?“ Er sah sehr betroffen aus. „Hat sie es etwa nicht geschafft?“, fragte ich. Wenn dem so wäre, hätte ich keine Schwierigkeiten an der Backe und meine Ruhe. Dann sagte der Arzt endlich was. „Doch... Sie hat ein paar gebrochene Rippen, Quetschungen an den Armen und oberhalb der Hüfte, unzählige Blutergüsse und eine mittlere Gehirnerschütterung.“ „Wurde sie etwa...?“ „Ja. Vieles spricht dafür.“ „Wird sie denn wieder gesund?“ „Sie hat durch die Verletzungen enorm viel einstecken müssen, aber ich bin zuversichtlich. Bald ist Ihre Freundin wieder gesund.“ Na super, auch noch das. Ich hoffte inständig, dass sie sich nicht an mich erinnerte, wenn alles überstanden war. Plötzlich zog wieder ein stechender Schmerz seine Bahnen, woraufhin sich meine Glieder kurz verkrampften. „Nun aber zu Ihnen, Herr... Haoshi.“ Na toll, jetzt waren also meine Diagnosen dran, wobei es ja klar war, was auf seinem Befund stand. „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche möchten Sie zuerst hören?“ „Die Schlechte, bitte.“ „In Ordnung.“ Der Arzt blätterte kurz in seinem Bericht um, bevor er mir offen legte, was für mich kein Geheimnis war. „Aus den Röntgenbildern geht hervor, dass auch Sie mehrere gebrochene Rippen haben und davon einige schief, andere gar nicht wieder zusammengewachsen sind. Zudem ist Ihr Brustbein sehr in Mitleidenschaft geraten. Einige Quetschungen haben Sie außerdem auch noch.“ Das war alles andere als überraschend, wenn man bedachte, dass mein bester Freund selbst Arzt war. „Und was ist die gute Nachricht?“ Der Doktor vor mir sah mich kurz verdutzt an, bevor er meine Frage beantwortete. „Nun, den Streifschuss brauchten wir nur klammern.“ „Wow, was für eine tolle Nachricht! Meinen Sie das ernst?“, fragte ich ihn gespielt genervt, aber er war professionell und ging nicht darauf ein. Schließlich sprach der Mann weiter. „Mal etwas anderes, Herr Haoshi. Hier steht, dass Sie gestern extra aus Tokio angereist sind...“ „Haben Sie das etwa noch nie für jemanden gemacht?“ „Das meine ich nicht. Ich will damit sagen, dass Sie zurück fliegen können, sofern Sie sich dafür in der Lage fühlen.“ „Na jetzt kann ich ohnehin fürs Erste nicht arbeiten! Was ist mit meiner Freundin, wenn ich gehe?“ „Sie bleibt bis zur vollständigen Genesung hier.“ „Und wieso sollte ich dann gehen, Doktor? Was, wenn sie mich sehen will?“ Langsam aber sicher ging mir der Typ auf die Nerven. Mich interessierte überhaupt nicht, was er da quasselte. Ich wollte eigentlich nur noch zu dem Mädchen, mich vergewissern, dass er mich nicht anlog und wieder gehen. Aber gerade jetzt wäre es keine gute Idee, das offen so auszusprechen, so würde alles auffliegen. „Die Akten des Mädchens haben wir, Ihre nicht, Sie haben keine amerikanische Staatsangehörigkeit und es würde zu lange dauern, die nötigen Formalitäten abzuwickeln, damit wir Sie hier behandeln können. Bevor sich das alles geklärt hätte, sind Sie schon zehnmal hin und her geflogen.“ „Verstehe. Kann ich meine Freundin noch einmal sehen, bevor ich abreise?“ „Selbstverständlich. Ach bevor ich es vergesse. Falls wir Informationen über Ihre Freundin haben, was ihre gesundheitlichen Fortschritte angeht, würden wir Sie gern telefonisch kontaktieren. Dafür wäre eine Nummer vorteilhaft, unter der wir Sie erreichen können.“ Auch das noch! Mir blieb nichts anderes übrig, als einzuwilligen, sonst wäre das ganze Schauspiel umsonst gewesen. Nachdem dieses Gespräch beendet war, gingen wir gemeinsam zum Empfangstresen und ich gab die Telefonnummer von Elias an. Ich behauptete, er sei mein Ziehvater, da meine Eltern verstorben seien. Zu einem gewissen Teil war das nicht einmal gelogen. Danach führte mich der Arzt in einen kleinen Behandlungsraum, in dem er mir einen festen Verband um meine Rippen wickelte. Danach lief ich kurz zu dem Mädchen, welchem ich, ohne es zu wollen, das Leben rettete. Im Zimmer der Kleinen war niemand zu finden. Sophie schlief, was man an ihrer regelmäßigen Atmung erkannte. Mir war schleierhaft, warum ich sie nicht einfach in der Bruchbude liegen gelassen hatte. Aber die Frage beantwortete sich schnell. Es war mein Gerechtigkeitssinn. Obwohl es so etwas nicht in meinem Wortschatz gab, und ich auch noch gegen all meine Prinzipien verstieß, war ich der Meinung, dass dieses Mädchen eine Chance verdiente. Schließlich gab man mir auch einen Neuanfang, auch wenn er nicht ganz so verlief, wie es andere gern gehabt hätten. Das war mir allerdings egal. Das Mädchen sollte das Leben führen, wie es ihr gefällt, ohne Zwänge oder Einflüsse von außen. Ich hinterließ ihr einen Notizzettel und ein wenig Geld, damit Sophie erst einmal um die Runden kommen konnte. Ein Blick auf meine Uhr verriet, dass es Zeit war zu gehen. Schließlich war das sie wieder ganz allein in dem Krankenzimmer. Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Im Rückblick auf den Auftrag in St. Louis musste ich feststellen, dass es total bescheuert war, dieses Mädchen in Schutz genommen und ihr eine Chance gegeben zu haben. In meinem Kopf hallten Regeln sich wider und riefen mir ins Gedächtnis, das es ein riesiger Fehler war, sie am Leben zu lassen. Die Sache mit der Gerechtigkeit war genauso dumm von mir. Warum sollte ich anderen eine Chance geben, wenn es mir eigentlich egal war, was mit Sophie passierte. Elias musste mir definitiv einen Rat geben, sonst würde das Ganze in einem heillosen Chaos enden. Er und seine Familie waren die einzigen Menschen, für die ich etwas empfand, und dabei war es egal, ob man das Nächstenliebe oder sonst wie nannte. Bevor ich von dort verschwand, um Killer zu werden, war Elias‘ Familie die einzige, die mir geholfen und mich unterstützt haben. Das verdiente Respekt. Und den hatte ich. Alles andere, was danach kam, hatte nix mehr mit positiven Gefühlen oder Respekt zu tun. Sie haben mich zu einem gefühlstoten Menschen gemacht, und das war ich auch, aber Elias und seine Familie hatten einen festen Platz in meinem kalten Herzen, wenn ich überhaupt ein hätte, was für andere schlug. Nach dem Flug zurück nach Tokio, welcher mir ewig lang vorkam, stieg ich mit Gepäck in den eigenen Wagen. Mir gefiel der Gedanke überhaupt nicht, mit Elias ins Krankenhaus zu fahren und mich dort gegebenenfalls unters Messer legen zu müssen. Jedoch waren Sturheit und Ausdauer nur zwei seiner Eigenschaften, gegen die man einfach nicht ankam. Doch vorher musste ich erst einmal duschen. Also war zuerst meine kleine Zwei-Raum-Wohnung, welche aus einem hellen Wohnzimmer, einem hellgrünen Badezimmer, einem hellblauen Schlafzimmer und eben dem Flur bestand. Meine Obdach von innen verriegelt landeten meine Sachen in der Waschmaschine, die im Schlafzimmer stand. Viel Platz war eben nicht auf nur vierzig Quadratmetern. Schließlich sprang ich unter die Dusche. Es war gar nicht so einfach, diesen dämlichen Verband los zu werden. Kaum war dieser ab, zwang mich der Schmerz, der wieder durch meinen Brustkorb schoss, in die Knie. Es war diesmal kaum möglich, ihn zu ignorieren, denn die gebrochene Rippe bohrte sich immer mehr in den rechten Lungenflügel, weshalb es mir fast unmöglich machte, zu atmen. Vor meinem inneren Auge spielte sich die Situation des letzten Atemzugs ab. Endlich war mir klar, dass etwas passieren musste, damit dieses 'letzte Mal atmen' gar nicht erst kam. Ich verzichtete schließlich aufs Duschen, stellte mich wieder aufrecht so gut es ging und warf mir Klamotten über. Kurz kam die Überlegung, Sachen für den Krankenhausaufenthalt zu packen, doch Elias konnte ja auch noch welche holen, wenn der alles vorbei war. Es machte für mich eigentlich keinen Unterschied, ob Leben oder Tod, es ereilte irgendwann jeden, aber meine Zeit war noch längst nicht gekommen. Es durfte einfach nicht sein. Nicht, nach all der Zeit, in der Elias mir beistand und es sich bis heute auch nicht änderte. Meine Hände schlossen die Wohnung und starteten schließlich den Motor des eigenen Wagens. Von weitem erkannten meine Augen schwarzen Rauch. Es war nicht nötig nachzudenken, denn es war Elias' Haus, welches lichterloh brannte. Ich hörte seine Schreie. Viel, als da rein zu rennen und zu retten was ging, blieb mir nicht. Meine Gedanken waren bei ihm und seiner Familie. Sie würden sterben, bevor die Feuerwehr kam. Die Haustür existierte schon gar nicht mehr und durch alle Fenster schossen Flammen in die Höhe. Ich rannte mit einem Stück Stoff von meiner Jeans vorm Gesicht in das Gebäude. Als erstes war Elias zu sehen, welcher von mir hinaus geschoben wurde. Nach kurzem Suchen im Erdgeschoss war klar, dass seine Frau und die Kinder oben waren. Es wurde immer schwerer, Luft zu bekommen, aber Aufgeben war keine Alternative. Ich war Elias etwas schuldig. In allen Räumen war niemand zu sehen. Die letzte Hoffnung war der Dachboden. Dorthin führte eine Holzleiter, welche am unteren Ende bereits brannte. Oben angekommen sah mein Antlitz nur noch verschwommen, jedoch waren die drei noch erkennbar. Sie waren durch den Ruß total schwarz im Gesicht und an den Händen. Ich deutete ihnen, mit mir zu kommen, da es nicht mehr lang gedauert hätte, bis das Haus über uns zusammengefallen wäre. Sie kamen mir nach, und ich nahm die Kleine an mich, da die Mutter nicht beide Kinder tragen und gleichzeitig aus dem Haus rennen konnte. Wir eilten aus dem brennenden Gebäude, welches kurz darauf langsam zusammenfiel wie ein Kartenhaus. Elias, seine Frau und der große Bruder meines Schützlings, Joshua, standen bereits etwas weiter entfernt. Das kleine Mädchen meines Freundes nahm den Zeigefinger meiner Hand und wollte mit mir gerade wacklig zu ihren Eltern laufen, als sich ein brennender Balken vom Vordach löste und sie zu erschlagen drohte. Sie fiel hin und in letzter Sekunde stemmte ich mich schützend über sie, bevor der Balken direkt auf meinen Rücken krachend auseinander brach. Tränen schossen in ihre Augen, weil sie Angst hatte. Die höllischen Schmerzen aus meinem Brustkorb wurden unwichtig, als mein erschöpfter Blick ihren dankbaren traf. Als ihr klar wurde, was gerade passiert war, stand sie auf und lief weinend zu ihren Eltern, bevor mir schwindelig und schwarz vor Augen wurde. Um mich herum war es ruhig. Ruhiger, als ich es je gewohnt war. Ein Gefühl von Ausgeglichenheit und Erleichterung machte sich bemerkbar und all die Schmerzen und letzten Ereignisse waren wie von einem Regenguss weggespült. Sah etwa so der Tod aus? Für mich unbegreiflich, wo ich doch so viele Leben auf dem Gewissen hatte. Vor mir, umhüllt von hellem Licht, erschienen Elias mit seiner Familie. Jetzt wurde mir klar, dass das kein Traum war, sondern, dass es wohl doch mein letzter Atemzug war. Der, welcher doch noch gute Taten vollbrachte, um ohne schlechtem Gewissen zu gehen. Die Ruhe wurde durch ein leises, aber regelmäßiges Piepen unterbrochen und eine bekannte Stimme drang in meine Ohren. Kurz darauf waren alle weg und aus dem hellen Licht wurde Dunkelheit. „Kakyo, bitte wach auf... bitte…“ Es war die Stimme meines besten Freundes, welcher schließlich mit einem kleinen Mädchen sprach. „Papa? Wird der Onkel Kakyo bald gesund?“ „Ganz bestimmt, Alicia. Ich bin mir sicher, dass du ihm sehr bald Danke sagen kannst.“ Er war mit seiner kleinen Tochter in hörbarer Nähe. Langsam öffneten sich meine Augen und aus den verschwommenen Wahrnehmungen entwickelten sich ganz langsam klare Bilder. Über mir war eine weiße Decke, woran eine Lampe hin und her baumelte. Eine seichte Brise, welche von der linken Seite kam, strich über mein Gesicht. „Guck mal Papa! Onkel Kakyo ist aufgewacht!“ Mir war es unmöglich, meinen Kopf nach rechts zu drehen, jedoch wusste ich, dass die beiden neben meinem Bett saßen. „Oh Gott, Kakyo!“, stieß es aus ihm heraus. Mein Freund sah seine kleine Tochter an und gab ihr zu verstehen, uns kurz allein zu lassen. Sie hörte aufs Wort und verließ das Zimmer, in dem mein schlaffer Körper auf einem Bett lag. „Wo bin ich?“ „Im Krankenhaus auf der Intensivstation, Kakyo. Du hast ungefähr eine Woche lang im Koma gelegen.“ „Was ist passiert?“ „Erinnerst du dich nicht mehr?“ „Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich nach Tokio zurück geflogen bin und dann zu dir wollte.“ Elias seufzte. „Du hast meine Familie gerettet, Kakyo. Im Haus ist ein Brand ausgebrochen, doch als wir es bemerkten, brannte die unterste Etage schon. Meine Frau und die Kinder waren oben im Dachboden. Ich konnte ihnen aber nicht helfen und...“ Man brauchte seinen Gesichtsausdruck nicht zu erfassen. Allein an der Stimme erkannte ich, dass er unendlich dankbar war, sich jedoch ebenso Vorwürfe machte. „Und dann kamst du. Du bist, ohne mit der Wimper zu zucken, in das Haus rein gerannt und hast mich als Erstes herausgeholt. Und dann liefst du mit meiner Frau und den Kindern aus dem brennenden Haus. Dann löste sich ein Balken, und du hast Alicia, meine Tochter, abgeschirmt, damit ihr nichts passiert...“ „Und dann?“ „...dann fiel der Balkon auf dich.“ Langsam dämmerte es mir. Vereinzelte Erinnerungsfetzen kamen ins Gedächtnis zurück und fügten sich zusammen wie ein komplexes Puzzle. „Geht es der Kleinen gut?“ Er nickte. „Der Schock sitzt immer noch tief, aber uns geht es gut.“ „Da bin ich aber erleichtert.“ „Kakyo, wie fühlst du dich?“ „Echt beschissen, danke der Nachfrage. Hab höllische Schmerzen. Was haben die hier mit mir angestellt?“ „Nun, wie soll ich es dir sagen? Als sie dich eingeliefert haben, sahen die Ärzte sofort deine gebrochenen Knochen und die Rippe, die sich in deinen Lungenflügel bohrte. Dein Lungenflügel...“ „Die Kurzfassung bitte, Elias!“ „Na gut. Sie haben dir künstliche Knochen eingesetzt und deine Organe in die ursprüngliche Position gebracht. Kurz gesagt, alles repariert, was kaputt oder schief war.“ „Da hatten die Ärzte sicher mehrere Stunden gebraucht, da an meinem Körper so gut wie gar nichts unversehrt blieb.“ „Das kannst du laut sagen. Der behandelnde Arzt fragte mich sogar, ob ich dich schlagen würde.“ „Und was hast du ihm erzählt?“ „Dass du beim Militär wärst und davon die Verletzungen hast.“ Eines musste man Elias lassen, lügen konnte er gut, wenn es darauf ankam. Und ganz falsch war es auch nicht. „Gut. Und wie lang muss ich noch hier bleiben?“ „Nun ja, ich würde behaupten, bis du wieder gesund bist, Kakyo.“ „Sehr witzig. Nein, jetzt mal im ernst!“ „Das war mein voller ernst. Ich weiß es nicht. Wohl mindestens so lange, bis deine Lunge sich regeneriert hat und deine Knochen ordentlich verheilt sind. Und das kann dauern.“ Na großartig. Eine bessere Perspektive hatten sie wohl nicht übrig. 'Bis alles ordentlich verheilt ist' bedeutete, dass das hier sehr, sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Wenn mein Clan erfuhr, dass ich meine Zeit im Krankenhaus verschwendete, war ich so gut wie erledigt! Die Tage und Wochen vergingen und jeden Morgen zur Visite wurde mir beinahe dasselbe gesagt, nämlich, dass der Heilungsprozess langsam verliefe und keiner so richtig wüsste, wann ich hier wieder raus konnte. Das Fernsehprogramm war zum kotzen, den Fraß hier konnte auch keiner ertragen und vom Pflegepersonal brauchte man nicht reden. Aber immerhin hatte ich fast jeden Tag eine Ablenkung, durch den regelmäßigen Besuch von Elias, seiner Frau und den Kindern. Manchmal kam seine Frau, Emilia, auch mit Alicia allein. So wie heute auch. Sie wollten um vier nachmittags vorbei kommen, also in wenigen Minuten. Kaum hörte ich auf, über deren Zeitplan nachzudenken, klopfte es auch schon. Die Tür war kaum geöffnet, da kam die kleine Alicia auch gleich quiekend an mein Bett gerannt und umarmte mich fröhlich zur Begrüßung. Die Geste erwidert, fiel mir auf, wie sehr ihre Augen leuchteten und dass sie gewachsen war. „Hallo, Onkel Kakyo! Wie geht es dir heute?“ „Mir geht’s supi, danke! Und wie geht es dir?“ „Gut!“ Emilia sah ihre Tochter an. „Alicia, irgendetwas wolltest du doch Onkel Kakyo sagen. Erinnerst du dich?“, fragte sie und deutete auf mich. Die Kleine machte eine Geste, als wäre ihr ein Licht aufgegangen, krabbelte auf mein Bett und sah mich lieb an. „Ähm… danke, dass du mich gerettet hast, Onkel Kakyo. Ich hatte so viel Angst… aber du hast mich beschützt. Das war so mutig von dir! Vielen, vielen Dank!“, sagte sie und sah mir dabei tief in meine Augen. Ihre waren blau-grün und strahlten regelrecht vor Glück und Dankbarkeit. Ich versuchte, mich hinzusetzen, aber es ging kaum. Emilia half mir, indem sie das Kopfteil des Bettes höherstellte und meinen Rücken polsterte. Alicia hatte nun aber keinen freudigen Blick mehr, sondern ein besorgtes Gesicht. „Dir geht es nicht gut, Onkel Kakyo!“ sagte sie strafend, jedoch verzog sich mein Gesicht zu einem matten Lächeln. Ich griff sanft nach ihren kleinen Händen und umschloss diese vorsichtig. „Doch, es geht mir gut, und weißt du, warum das so ist?“ „Nein…“ „Weil es dir gut geht, und deinen Eltern, nicht zu vergessen, dass auch dein Bruder wohlauf ist. Deshalb geht es mir gut. Weißt du, ich habe euch alle so gern, dass ich einfach helfen musste. Sonst hättest du dich nicht bei mir bedanken können. Verstehst du das?“ „Ja, das versteh ich. Aber du hast immer noch diese komischen Schläuche und dieses Ding dort, das immer wieder piept. Wozu ist das gut?“ „Damit schauen die Ärzte ganz genau zu, wie ich gesund werde. Und damit es mir noch schneller besser geht, möchte ich, dass du nicht mehr traurig oder böse auf mich bist, okay?“ Alicia nickte, hüpfte vom Bett und begann, in der Ecke des Zimmers zu spielen. Nun konnten Emila und ich ungestört miteinander reden. Elias‘ Frau war deutlich anzusehen, dass sie überglücklich war, sich aber auch große Vorwürfe machte. Ihr Blick traf meinen. „Kakyo, ich… es tut mir-„, begann Emilia, wurde aber sofort von mir unterbrochen. „Nein, hör auf damit. Es ist doch alles gut gegangen. Ihr habt so viel für mich getan. Ich musste etwas tun. Ehe die Feuerwehr dagewesen wäre, wäre von euch nichts mehr übrig geblieben.“ Ich sah kurz zu dem kleinen Mädchen. „Ich verstehe nichts von der Liebe, deshalb sei mir nicht böse, dass ich Alicia angeschwindelt habe, dass ich sie lieb hätte. Aber sie gehört zu euch. Und ihr habt mir damals das Leben gerettet und ein Stück von dem wieder gegeben, was ich verloren habe.“ Meine Augen wanderten wieder zu Elias‘ Frau, die vollkommen sprachlos war. Ihr war das Mitleid mir gegenüber anzusehen, deshalb wurde es Zeit, das Thema zu wechseln. „Was ist mit eurem Haus? Wie hoch ist der Schaden?“ Ihr Blick war gequält. „Nur noch Schutt und Asche. Das Feuer hat sich so schnell ausgebreitet, das nichts mehr von dem Gebäude übrig geblieben ist...“ Sie begann zu zittern und hatte Tränen in den Augen. „…und wir wissen beim besten Willen nicht, was wir machen sollen. Seitdem arbeitet Elias tagelang durch. Er hat sieht gar nicht mehr, dass seine Kinder ihn vermissen. Und ich kann nicht mehr so viel arbeiten. Wer soll denn für die Kinder da sein, wenn er sich nicht mehr blicken lässt und schon in der Klinik übernachtet. Und das nur, damit wir uns irgendwann einmal wieder ein Haus leisten können?“ Mein Entschluss stand fest. Ich musste es ihnen ermöglichen, wieder in das alte Haus ziehen zu können. „Wie viel?“ „Mindestens zweihundertfünfzig Tausend Yen.“ „Puh, dann ist vom Gebäude wirklich nichts mehr übrig.“ „Nein. Wir wohnen vorübergehend bei Freunden. Die haben genügend Platz für uns 4, aber ich ertrage es jetzt schon nicht mehr.“ Ich nahm ihre Hand. „Ihr werdet es schaffen, da bin ich mir ganz sicher.“ Kurz bevor Emilia und Alicia gingen, bat ich die beiden, dass Elias mich besuchen kommt. Sie nickten mit dem Kopf und gingen. Kaum war der Raum wieder still, kreisten die Gedanken in Zeitlupe durch meinen Kopf. Elias ging also schuften, um irgendwann mal genügend Geld zu haben, damit seine Familie das Haus restaurieren lassen und wieder einziehen konnten? Das Wort ‚Familie‘ gab es bei mir nicht in dem Ausmaß, wie es bei meinem besten Freund der Fall war. Irgendetwas musste passieren, damit er wieder mehr Zeit hatte. Für sich, Emilia und die Kinder. Mit einem kräftigen Händedruck gegenüber einem Darlehen war es jedoch nicht getan, die Banken waren alle pure Halsabschneider. Bereits am nächsten Tag stand Elias in meinem Zimmer. „Hallo, Kakyo,“ begann er kurz angebunden. „Was gibt es denn so dringendes. Ich habe keine Zeit.“ Die Reaktion konnte ich mir denken, ließ mich davon aber nicht beeindrucken. „Setz dich.“, hörte er mich sagen und nahm still auf dem Stuhl neben meinem Bett Platz. „Gestern war Emilia mit Alicia hier.“ „Ich weiß.“ „Und sie haben mir erzählt, dass du sogar auf der Arbeit übernachtest.“ „Ja, Kakyo. Aber irgendwie müssen wir doch die Restaurierung bezahlen. Wenn ich damit erreiche, dass das Haus irgendwann wieder intakt ist und wir nach Hause zurückkommen, ist es das mir wert. Auch wenn es bedeutet, dass ich alles verpasse.“ „Was ist mit dem Rest deiner Familie?“ „Emilia und ich versuchen, trotz der schwierigen Phase, alles so normal wie möglich zu gestalten. Aber die beiden Kinder sind nicht blöd. Alicia hat in drei Wochen ihren achten Geburtstag und Joshua hat bald sein erstes Fußball-Turnier. Er wünscht sich am allermeisten, dass wir ihn gemeinsam anfeuern, nur geht das nicht!“ „Und warum nicht?“ „HÖRST DU MIR ÜBERHAPT ZU?!“ „Elias, du musst mich nicht gleich anschreien!“ Ich sah in seine Augen und erkannte sofort, das etwas passieren musste. Er war schlapp, erschöpft und extrem übermüdet. Dieser Mann war nicht mehr die standhafte Person, die ich vor neun Jahren kennengelernt hatte. Elias war jetzt nur noch ein Wrack im Autopilot-Modus. Aus diesem Grund telefonierte ich gestern mit meiner Bank, um mir das Geld von meinem zweiten Konto auf mein Hauptkonto zu überschreiben, und sprach mit ein paar Kontakten aus der Hinterhand, die das Geld abheben und hierher bringen sollten. Gesagt, getan. Und nun saßen Elias und ich hier, und während er total verzweifelt ins Leere starrte, griff meine Hand zum Nachttisch und holte aus der Schublade einen dicken Briefumschlag heraus. „Elias, ich habe etwas für dich.“ Sein starrer Blick löste sich und lenkte die Aufmerksamkeit auf mich und den Umschlag. Diesen gab ich ihm in die Hände. „Was ist das, Kakyo?“, fragte mein bester Freund, der diese ganze Situation noch nicht verstand. „Das ist deine Freiheit, endlich wieder Zeit mit deiner Familie zu verbringen.“, begann ich. „Mach ihn auf, Elias.“ Immer noch verwirrt machte er den Umschlag ganz vorsichtig, fast schon ängstlich, auf und holte einen dicken Bund Scheine heraus. Der Familienvater war fassungslos, aber auch den Tränen nahe. „Das sind die Restaurierungskosten. Dazu noch Geld, um die Firma zu bezahlen, die eurem Haus arbeiten werden. Wenn es fertig ist, könnt ihr vier wieder nach Hause kommen. Ab jetzt schiebst du keine Überstunden mehr und verbringst Zeit mit deiner Familie. Ach, und wo wir gerade dabei sind, Kleingeld für Alicias Geschenke ist auch dabei, ein kleiner Beitrag von mir.“, sagte ich und lächelte etwas. Elias war sprachlos. Seine Augen wurden glasig, und irgendwas sagte mir, dass er gleich weinend zusammenbrach, aber nichts dergleichen geschah. Wahrscheinlich war er dafür viel zu erschöpft, und früher oder später durfte ich mir sicher eine Predigt von ihm anhören, aber in seinen Augen sah ich ganz deutlich Dankbarkeit. „Du bist wahnsinnig.“, flüsterte Elias. Ich nickte wissend. „Ich weiß, aber als Emilia und Alicia gestern zu Besuch kamen und mir erzählten, was los ist, konnte ich einfach nicht anders. Ich verstehe nichts von Liebe oder ähnlichen Gefühlen, aber von Dankbarkeit habe ich sehr wohl Ahnung. Und ich bin es jeden Tag, seitdem du mir damals das Leben gerettet hast. Das wird sich nicht mehr ändern, nie. Nimm das Geld und genieße die Zeit mit deiner Frau und deinen Kindern.“ Immer noch sprachlos und überfordert umarmte er mich kurz, bevor er die Tür wieder öffnete und ging. Ein paar Tage später wurde mir bei der Visite gesagt, dass ich in 2 Tagen entlassen werden sollte. Das wurde auch langsam Zeit, immerhin lag ich schon fünf Wochen hier, musste aber bald wieder arbeiten. Die Auftraggeber konnten es nicht leiden, wenn ihre Anliegen nicht wenigstens pünktlich erledigt wurden. Mein Gefühl sagte aber, dass es dafür bereits zu spät war. Sicherlich warteten schon die Strafvollstrecker auf mich. So war nun mal das Leben eines Killers. Einmal verbindlich zugesagt, unterschrieb man mit seiner Gesundheit oder mit dem Tod. Doch darüber durfte ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Wenn es so sein sollte, konnten wenigstens Elias und seine Familie für mich weiterleben. Meine Sachen landeten in der Reisetasche. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)