Der letzte Schmetterling von Gamergirl2000 ================================================================================ Kapitel 1: 1. Kapitel: Sehnsucht und Blut ----------------------------------------- Chloe ist tot. Ich ließ zu, dass sie auf der Schultoilette erschossen worden ist und den Boden mit ihrem Blut tränkte, während ich bloß in der Ecke kauerte und versuchte mein Schlunzen zu unterdrücken. Als der grauenvolle Schuss ertönte, zerbrach mein Herz in viele winzige Stücke, die in meine Brust schnitten. Es verging kein Tag, an dem ich nicht daran dachte, keine Nacht, an der ich mich nicht in den Schlaf weinte, um schließlich, ihren Namen rufend, aus den Albträumen hochzuschrecken. An jenem Tag ist nicht nur Chloe gestorben, sondern auch ein Teil von mir. Außer der Trauer fühlte ich nur noch die Leere, die mich zerfraß. Ich verbrachte die Tage eingeschlossen in meinem Zimmer des Wohnheims in Arcadia Bay. Weinte, schaute mir die Bilder aus unserer gemeinsamen Kindheit an oder starrte ausdruckslos gegen die Wand. Mein Körper wurde mal zu mal schwächer, da ich kaum aß und trank. Jeder Bissen der Nahrung stellte für mich eine Qual dar. Minutenlang kaute ich an den trockenen Brocken herum, während Tränen meine Wangen herunterliefen und ein sauerer Geschmack sich in meinem Mund bereit machte. Es war mir egal, ob ich vor Hunger oder Durst sterben würde,denn jeder Tag an den ich existierte,sich als die reinste Hölle entpuppte. Jetzt war es Nacht und auch dieses mal erschien mir Chloe in meinem Traum. Doch es war kein Horror wie sonst. Sie stand vor der Klippe am Leuchtturm, umhüllt vom Schein der Sonne und schaute hinaus auf Meer, wie die Wellen gegen den Sand schlugen. Als sie mich erblickte, breitete sich ein friedliches Lächeln auf ihrem Gesicht aus, doch in ihren Augen lag eine tiefe Traurigkeit. Wie gerne wäre ich auf sie zugegangen, hätte meinen Arm ausgestreckt und ihre zarte Wange berührt, doch ich konnte keinen Zentimeter meines Körpers rühren. Sie drehte mir den Rücken wieder zu und nun erkannte ich die blauen Schmetterlingsflügel, die sich langsam ausbreiteten, bis sie voller Pracht abstanden und dann flog sie davon. Mit winzigen Flügelschlägen steuerte sie auf die Sonnen zu. Schwerelos. Immer kleiner erschien ihr Körper, bis sie schließlich ganz verschwand. Als ich aus dem Traum erwachte, fühlte ich die Nässe meines Kissens, auf dem mein Gesicht ruhte. Nachdem ich die Lampe, die auf meinem Nachttisch stand an machte, holte ich darunter etwas eckiges hervor. Es war ein Foto, dass ich seit Chloes Tod hütete wie einen Schatz und immer bei mir trug. Es zeigte Chloe und mich in der Küche ihres alten Hauses. Wir sahen so glücklich aus, so stolz, dass wir uns gegenseitig hatten. Doch das Glück würde nur noch wenige Stunden unter uns sein, denn es war der Tag, an dem William starb. Das blonde Mädchen verlor nicht nur ihren Vater, sondern auch ihre beste Freundin, die nach Seattle zog und sich nicht einmal gemeldet hat, bis sie sich nach fünf Jahren endlich wiedersahen und diese zu der Erkenntnis kam, dass Chloe nicht mehr das Mädchen war wie zu der Zeit. Und obwohl wir so eine lange Zeit von einander getrennt waren, habe ich mich noch nie im Leben Chloe so nah gefühlt, wie in dieser einen Woche. Fünf Jahre waren mir nötig gewesen, um zu verstehen, dass ich Chloe liebte und das weit mehr als nur Freundschaftlich. Ich fühlte wie eine Träne über meine Wange rollte und auf das Foto tropfte. Dann noch eine und noch eine, bis ich schließlich wie ein Embryo zusammengerollt auf dem Bett lag und mir die Seele aus dem Leib heulte. Die Tränen nahmen mir die Sicht auf die Umgebung, mein Körper zuckte und vom Schlunzen blieb mir die Luft weg, sodass ich befürchtete ersticken zu müssen. Jede doch so kleine Faser meines Körpers sehnte sich nach Chloe. Dieser Schmerz, diese Trauer überwältigte mich immer wieder aufs Neue. Auch die wachsende Schuldgefühle erdrückten mich und ließen mich als ein Häufchen Elend zurück. Ich hätte Chloe retten können. Sie hätte im diesen Augenblick bei mir sein können. Wenn ich doch nur in der Lage wäre, zurück zu reisen, zu dem Moment am Leuchtturm... Doch was wäre dann ? Würde ich mich besser fühlen, wenn ich tausende von Leben auf dem Gewissen hätte ? Wohl kaum. Anstelle der Traurigkeit breitete sich Wut in mir aus. Wut auf jeden und alles, doch vor allem auf mich selbst. Ich hielt diese Reglosigkeit nicht mehr aus, die mich wochenlang ans Bett gefesselt hielt. Ich stand nun in der Mitte meines Zimmers und verspürte den unbesiegbaren Drang dem Gefühl freien Lauf zu lassen. Mein Blick fiel auf die Gitarre, die einsam in der Ecke stand. Wie in Trance streckte ich meinen Arm nach ihr aus und umklammerte den Hals, als würde mein Leben davon abhängen. Mit letzter Kraft riss ich sie hoch und ließ sie gegen den Spiegel schmettern, sodass er mit ohrenbetäubendem Lärm zerschellte. In den Scherben, die jetzt auf dem Boden verteilt lagen, sah ich ein Mädchen, dessen kurze Haare in jede erdenkliche Richtung abstanden und dunkele Schatten unter den Augen das Gesicht schmückten. Ich brauchte eine kurze Zeit, bis ich realisierte, dass dieses Mädchen ich war. Seit Chloes Beerdigung habe ich nicht einmal mehr in den Spiegel geschaut, aus Angst das zu sehen, was auch andere zu sehen bekamen. Es war nicht genug. Zügig ging ich zum Schreibtisch und fegte mit einer Handbewegung den Laptop und die Bücher vom Tisch, während ich schrie. Ich schrie jede erdenkliche Emotion aus meinem Körper heraus, welche sich angestaut hat. Ohne Rücksicht auf die anderen Studenten zu nehmen, brüllte ich so lange, bis ich erschöpft auf dem Boden zusammenbrach. Ich versuchte mir das Atmen beizubringen, als wäre es das erste mal, doch alles was ich zustande brach, war bloßes Röcheln. Auf einmal hatte ich einen Gedanken. Ich stellte mich auf die Knie und faltete die Hände vor mir auf dem Bett zusammen. Noch nie in meinem Leben habe ich gebetet und wusste auch nicht recht, wie ich beginnen sollte. Vielleicht war es falsch von mir, damit erst jetzt anzufangen, doch was hatte ich schon zu verlieren ? ,, Gott oder-was-auch-immer-da-oben-ist", brachte ich mit zittriger Stimme hervor. ,,Ich weis, ich habe lange nicht an dich gedacht und es tut mir leid. Bitte hilf mir. Wieso hast du Chloe weggenommen ?" Wieder liefen Tränen meinen Gesicht herunter, drängten sich in meinen Mund. Beim Aussprechen ihren Namen brach wieder ein Stück meines bereits kaputten Herzens, doch ich machte weiter. ,,Gib sie mir zurück oder nimm mich mit zu ihr. Ich flehe dich an". Natürlich wusste ich, dass dies nichts bringen würde. Dass ich mich nur lächerlich machte. Als ich meinen Augen erhob, fiel mein Blick auf den kleinen Taschenmesser, der neben mir auf dem Boden lag. Vor zwei Jahren hatte mein Vater ihn extra für mich mitgebracht. ,, Für das kleine Mädchen in der gefährlichen Welt", sagte er damals mit seinem warmen Lächeln im Gesicht. Vorsichtig berührte ich ihn, so als könnte ich mich daran verbrennen. Behutsam strich ich mit der scharfen Klinge meinen Unterarm entlang, da wo die blauen Äderchen durch die blasse Haut durchschimmerten. Ich habe es schon einmal getan. Vor fünf Jahren, als ich alleine in meinem neuen Zimmer in Seattle saß, einsam und schuldig, traurig und nicht fähig darüber zu reden. Auch ich habe William verloren und den Menschen alleine gelassen, der mich am meisten benötigt hat. Ich habe eine Rasierklinge genommen und, wie auch jetzt, über meinen Unterarm gestrichen. Dann drückte ich sie in meine Haut ein. Ich weiß noch, wie trocken mein Mund war. Wie weit ich meine Augen vor Schreck aufriss. Die Klinge fiel zu Boden und ich schwor mir, mich nie wieder selbst zu verletzen. Chloe zuliebe. Doch dieses Mal betrachtete ich fasziniert das Blut, dass über meinen Arm lief, den Teppich rot färbe. Es verlieh dem Zimmer einen metallischen Geruch. Ich drückte fester, vertiefte den Schnitt. Mehr von der dunkelroten Flüssigkeit bahnte sich aus meinem Körper. Es tat weh, doch ich schrie nicht, gab keinen Laut von mir, denn im Vergleich zu dem Schmerz in meiner Seele, war dies ein Scherz. Etwas wie Erleichterung und Zufriedenheit machte sich in mir breit. Bevor ich sie Boden sackte, umspielte ein winziges Lächeln das letzte mal meine Lippen. ,,Chloe". Dann wurde alles schwarz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)