Track or Treat. von Usagi_Jigokumimi (Auf deiner Spur?) ================================================================================ Kapitel 8: Autoradio -------------------- ‘I have these thoughts, so often I ought To replace that slot with what I once bought 'Cause somebody stole my car radio And now I just sit in silence Sometimes quiet is violent I find it hard to hide it My pride is no longer inside It's on my sleeve My skin will scream reminding me of Who I killed inside my dream I hate this car that I'm driving There's no hiding for me I'm forced to deal with what I feel There is no distraction to mask what is real I could pull the steering wheel‘~ Twenty One Pilots, „Car Radio“ (2011) Die nächsten Tage kehrte endlich etwas Ruhe ein, wenn auch meine Eltern ziemlich hastig am Sonntag die Tageszeitung verschwinden ließen, als ich den Raum betrat. Wahrscheinlich war wieder ein Artikel über mich drin. Am Samstag war es ein noch ziemlich langer Abend geworden. Wir waren nach der Tapas Bar und dem Kino in einem ziemlich ranzigen Dinner versackt. Ich war erst kurz vor 12 zu Hause gewesen. Ich hatte gedacht, dass es vielleicht Ärger geben würde, doch meine Erziehungsfraktion schien eher froh, dass ich den Kopf mal ein bisschen frei bekommen hatte. Ich wusste nicht, ob es an dem Abend oder dem anstrengenden Training zuvor gelegen hatte, doch ich war sofort eingeschlafen, als ich mich gähnend aufs Bett hatte fallen lassen. Zum Glück war ich dann auch erst spät nach einer traumlosen Nacht aufgewacht. Mit meinem Dad zusammen fuhr ich am Sonntag noch meinen Wagen bei Jeff besuchen. Die neuen Teile würden verflucht teuer werden. Dezent deutete er an, dass ein neues Auto zu kaufen, vielleicht günstiger wäre, doch ich ignorierte ihn. Vins und ich hatten das Wochenende recht wenig miteinander geschrieben. Aber am Samstag hatten wir im Kino und auch um Dinner neben einander gesessen. Ich wusste ich sollte mich darüber nicht freuen und ich sollte da noch weniger rein interpretieren. Seine Berührungen waren Zufall und auch seine Blicke waren nichts als freundschaftliche Zuneigung. Er und Kim waren so glücklich, dass es auch ein Blinder sehen konnte! Nicht desto trotz freute ich mich sehr auf Montag und auf Mathe. Das lag definitiv nicht an dem Keller. Ob Vins wirklich nur wegen mir Hausaufgaben gemacht hatte? Noch hatte ich keinen meiner Freunde gesehen, als ich zu meinem Schließfach erreichte. Fast hatte ich erwartet Vins am Eingang zu treffen, dass er seine Eskorte von letzter Woche wieder aufnahm. Doch er war nicht zusehen gewesen und wie ein verliebter Volltrottel hatte ich auch nicht rumstehen wollen. Gerade als ich zum Matheraum gehen wollte, sah ich wie Sam, einer von Vins alten Freunden oder was die auch immer waren, die Chefin meines Informatikclubs schikanierte. Lisa trug ein Plakat für English mit sich rum. „Du bist so fett, du kannst dich noch nicht mal hinter deinem Schild verstecken!“, lachte Sam und schlug ihr das Projekt aus den Händen. Seine Kumpel stimmten in sein Gelächter mit ein. Die Braunhaarige wollte etwas sagen, doch sie hatte arge Probleme vor anderen zu sprechen und begann oft vor Nervosität zu stottern. „W-W-W!“, ahmte er sie nach, „Kriegst du dein scheiß Maul nicht auf, du W-W-Walross?!“ „Ey!“, ich nahm meine Kopfhörer ab und stellte mich vor Lisa. „Lass sie ihn Ruhe!“, verlangte ich. „Sie mal einer an, das Schulmaskottchen!“, Sam schien unbedingt Stress zu wollen, „Pass auf in was du dich einmischst oder ich verpass dir ein paar, dann siehst du nicht mehr so hübsch für dein nächstes Interview aus!“ Ich versuchte mich nicht einschüchtern zu lassen, obwohl ich wusste, dass er stärker war als ich. Er war seit der Junior High im Football-Team, aber ich war schneller und nicht so selbstgefällig. „Lass sie doch einfach in Ruhe. Ihr habt gezeigt, was ihr für dicke Eier habt und jetzt ist auch gut!“ „Es ist aber erst gut, wenn das hässliche Walross heult!“, sagte Sam und stieß mich gegen Lisa. Ich hatte nicht damit gerechnet und taumelte zurück. Bevor Sam jedoch mehr als hämisch Grinsen konnte, wurde er verflucht hart gegen die Schließfächer gepresst. Sein Körper knallte laut gegen das Blech. Er keuchte erschrocken auf. Totenstille herrschte plötzlich im Flur. Vins packte Sam grob an seiner Schuljacke und knurrte: „Fasst du ihn noch mal an, breche ich dir beide Arme!“ Vins Augen brannten kalt. Sowohl Sam als auch mir war klar, dass das keine leere Drohung gewesen war. Entschieden packte ich Vins bei der Schulter, nur wiederwillig löste er den Griff von Sam. Er und seine Freunde waren eindeutig überfordert damit. „Verteidigst du den Pisser?“, fragte Sam ziemlich überflüssig das Offensichtliche. „Der Pisser!“, trat ich nun vor Vins, mutig da ich ihn nun im Rücken hatte, „Hat gesagt, dass ihr sie ihn Ruhe lassen und verschwinden sollt!“ „Pfft!“, machte Sam nicht sonderlich schlagfertig, doch er und seine Freunde trollten sich tatsächlich. „Das war ‘ne stürmische Begrüßung deinerseits!“, grinste ich Vins an, der etwas überrumpelt an Gesichts meiner Reaktion war, „Aber Guten Morgen auch für dich!“ Ich wusste das es hirnrissig war, doch Vins überbeschützende Reaktion beflügelte mich regelrecht. „Ist alles okay?“, wand ich mich nun Lisa zu, die etwas verdutzt da stand. Schnell hob ich ihr Plakat auf. „Du musst doch auch zu Mathe, oder?“ Sie nickte, wollte sich bedanken, bekam aber wieder vor Aufregung keinen Ton heraus. „Alles gut!“, meinte ich munter und fing an über ihre neuste Arbeit im Informatikclub zu reden. Vins trabte stumm neben uns her. Als wir im Klassenraum angekommen waren, grinste sie uns schließlich eindeutig beruhigter zu und setzte sich in die erste Reihe. Vins folgte mir wie beim letzten Mal in die Mitte. „Haben die dich schon mal angemacht?“, grollte Vins. Er war anscheinend immer noch wütend. „Ach Sam ist nur pissig, weil er mal mit der Football-Mannschaft nicht in der Zeitung stand, alles gut…“, winkte ich ab und packte meine Hefter aus, „Nur Lisa sollen sie in Ruhe lassen!“ „Du kennst sie aus dem Informatikclub?“ „Sie ist brillant!“, sagte ich sehr entschieden, „Sie geht bestimmt mal aufs MIT oder so. Hast du ein Veilchen?!“, erst jetzt hatte ich Vins auch von links gesehen und eindeutig zeichnete sich ein Bluterguss unter seinem Auge ab. „Das ist nichts!“, tat er schnell ab. „Wo hast du das her, was…? Wann ist das passiert?“ „Ich hab gesagt: es ist nichts!“, kanzelte er mich scharf ab. Sein Blick war so kalt wie vor hin bei Sam. Es brannte mir auf der Zunge mehr zu sagen, zu fragen was passiert war. Doch sein Blick, seine ganze Körperhaltung sagte mir, dass er das nicht wollte. Am Samstag hatte er den Bluterguss definitiv noch nicht gehabt. War er nachdem wir im Dinner waren noch unterwegs gewesen? War das heute Morgen oder vielleicht letzte Nacht passiert? Stumm saßen wir neben einander. Mr. Keller begann seinen Unterricht. Diesmal hatte er anscheinend vorher eine Ankündigung zu machen. Zwei Leute mussten etwas austeilen. Verwirrt nahm ich das Infoblatt entgegen. Es war ein Auszug aus einer Rede von Sean Spicer, dem völlig bescheuerten Sprecher von Trump. „Bevor wie beginnen, kurz etwas zu den jüngsten Ereignissen an unserer Schule!“, Keller wippte fast heroisch auf und ab auf seinen Fußballen, „Ich möchte Sie bitten den Auszug, den ich Ihnen mal kopiert habe, aufmerksam durchzulesen. Verallgegenwärtigen Sie sich, was Ihr Verhalten der Gesellschaft und unserem Land antut!“ Ich überflog das Schreiben fassungslos. „Sie haben eine Pflicht Ihrem Land gegenüber. Mit Ihrem lächerlichen renitenten Gehabe und Protesten gegen Ordnung, Sitte und Moral machen wir es Abschaum leicht, gute amerikanische Kinder zu Junkies zu machen!“ „Wie definieren Sie den Abschaum?“, fragte Vins laut und knüllte das Papier vor ihm zusammen, „Wie Onkel Trump? Wollen Sie uns als nächstes erzählen, dass die Mauer um Mexico eine super Idee ist und alle Schwarzen besser im Ghetto blieben?“ „Genau dieses Verhalten ist es, was ich meine!“, Keller erhob die Stimme und fixierte Vins bösartig, „Menschen ohne Moral und Anstand und dem Bewusstsein, Respekt vor einer Autoritätsperson zu haben bringen Drogen und sexuelle Entartungen an unsere Schule!“ Vins stand auf, die Wut, die schon den ganzen Morgen in ihm brodelte, schien nun überzukochen. „Sie sollten sich mal fragen, Mr. Treasur, warum ihr Spind als erstes durchsucht wurde nach dem Vorfall am Montag!“ Einen kurzen Augenblick dachte ich Vins würde nach vorne gehen und Mr. Keller einfach die Fresse polieren, doch er schnappte sich seinen Rucksack stopft seine Notizen hinein und ging. Mr. Keller sah ihm seiner Meinung nach bestätigt nach. „So… Falls noch jemand, etwas Unangebrachtes sagen will, dann sollte er wissen, dass er Mr. Treasur gleich folgen kann! Ich verbitte mir eine Diskussion über ein Thema, das…“ Doch ich hörte nicht weiter zu, sondern packte meine Sachen zusammen und stand auf. Völlig verdattert sah mich der Lehrer nun an. „Mr. Sprout ist das ihr…“ „Ja! Mein voller Ernst!“, sagte ich nur schlicht, lächelte ihm dreist ins Gesicht und ging Vins hinterher. Im Flur sah ich mich um. Vins entdeckte ich am Ende des Ganges. „Hey!“, rief ich und sprintete ihm hinterher. „Was machst du hier?“, blaffte er mich entgeistert an. „Mr. Keller meinte, wer nicht seiner Meinung sei, könne gehen, also…“, ich zuckte mit den Schultern. „Spinnst du, geh zurück!“ „Geh du doch zurück!“, entschieden renitent, wie Keller der Arsch es genannt hatte, verschränkte ich die Arme vor der Brust und grinste ihn an. Vins musste nun doch lachen. „Du willst ernsthaft schwänzen?“, fragte er nun. Ich versuchte nicht auf sein Veilchen zu starren und nickte stur. „Jap… Und vielleicht sollten wir darüber nicht hier im Gang sprechen, bevor uns noch wer sieht…“ „Wo willst du hin?“, fragte er mich auffordernd. „Wir kriegen so oder so Ärger, weil wir Mathe sausen lassen…“, überlegte ich jetzt. „Das ist richtig.“, gespielt weise nickte Vins. „Also können wir auch richtig Ärger kriegen, weil wir den ganzen Tag nicht da sind?“ Belustigt funkelten die Augen meines Gegenübers. „Theoretisch…“ „Ich war schon immer eher der praktische Typ, also lass uns verschwinden. Ich weiß, wo wir hingehen!“ Vins folgte mir und schweigend verließen wir die Schule. Als wir einen Block weiter waren, zog er seine Zigarettenschachtel hervor und steckte sich eine an. Ich versuchte nicht auf die Zigarette zwischen seinen Lippen zu achten. Der Wunsch ihn zu küssen war regelrecht erdrückend. Zügig liefen wir dahin. Wo genau gehen wir hin?“, fragte er, als ich am Eingang zur U-Bahn vorbeilief und weiter zum Bus marschierte. „Wirst du sehen, wenn wir da sind!“, tat ich so cool und mysteriös, wie er immer gelangweilt neben Kim stand. Er lachte. „Schleppst du mich hier etwa gerade ab?“, tat er schockiert. Ich wurde rot ohne es verhindern zu können. „Sorry, aber dafür bist du mir dann doch zu anstrengend…“ „Schaffe ich es kurz noch beim Koreaner rein?“, ruckte er mit dem Kopf zur anderen Straßenseite, „Meine Kippen sind fast alle…“ Kurz sah ich nach, wann der nächste Bus kam, und nickte. „Ja, ist locker drin.“ Wir überquerten die Hauptstraße und ich wartete draußen, während Vins Zigaretten kaufen ging. Unschlüssig sah ich auf mein Handy. Sollte ich Kim schreiben, was passiert war? Ihr Vortrag, was für ein toller Einfluss ich sei, hing mir noch in den Ohren. Ich entschied mich dagegen. Erstmal. Sie würde sowieso in der nächsten Pause fragen wo ich und ihr Freund abgeblieben war. Sollte Vins ihr vielleicht besser schreiben? Am liebsten würde ich es niemanden sagen. Es war ein Moment, der nur unserer war. Das war falsch, aber wann würde ich sowas nochmal haben? „Na sieh mal einer an…“, kam es plötzlich vor mir und ich erstarrte. Langsam sah ich auf. „Müsstest du nicht in der Schule sein, Hühnerbein?“ „Dad…“, sagte ich platt und sah meinem Vater in Uniform entgegen. Seine Arme waren eindeutig nicht erfreut vor dem Körper verschränkt. „Ich hab auch noch Kaugummis geholt, falls…“, kam Vins aus dem Laden, die kleine Türglocke klirrte und er erstarrte als er meinen Vater sah. „So, so…“, Dad sah von mir zu Vins, „Ich bin gespannt, was ihr beide hier macht!“ „Also…“, setzte ich an und versuchte mir was auszudenken, „Wir…“ Doch mir wollte nichts einfallen. Kurz sah ich zu Vins. Der wollte den Mund schon auf machen um die Schuld auf sich zu nehmen, der Idiot. Also sagte ich platt: „Wir boykottieren den Unterricht!“ „Boykottieren!?“, mein Vater nickte beeindruckt, „Jugendsprache ist was Witziges! Bei mir heiß das noch Schwänzen…“ Entschieden holte ich das Blatt, welches Keller ausgeteilt hatte, hervor und reichte es ihm. „Keller hat im Unterricht erzählt, dass wir selbst dran Schuld sind, dass Lukas Drogen genommen hat und aus dem Fenster springen wollte, weil wir dumme, weltoffene Hippies sind. Er hat Vins als Abschaum bezeichnet und…“, ich holte aufgebracht Luft. Mein Dad nahm den Zettel entgegen und sein Schnurrbart wackelte ungehalten. „Das hat er ausgeteilt?“ Vins und ich nickten. „Vins ist wütend raus. Keller meinte, wer was dagegen sagen will, kann gleich hinterhergehen. Er diskutiert mit keinem dummen Teenager!“ „Und dann bist du hinter?“, Dad schien sehr angestrengt ein Schmunzeln zu unterdrücken, dann seufzte er. „Natürlich bin ich hinter her!“, sagte ich entschieden. „Also…“, er kratzte sich nachdenklich das Kinn, „Ich habe gerade Pause!“, er zeigte mit dem Daumen nach hinten zu dem leeren Streifenwagen am Straßenrand. Von seinem Kollegen war keine Spur zu sehen. „Deshalb bin ich gerade nur dein Dad, kein Polizist… als Polizist müsste ich euch beide nämlich jetzt in den Wagen setzten und persönlich beim Direx absetzten!“, er schaute ernst, „Aber als dein Vaterkann ich das nachvollziehen. Deshalb verschwindet ihr beiden jetzt, bis meine Pause zu Ende ist… Und ich rede mal mit Mr. Keller über seine Motivationsreden…“ „Ähm, echt jetzt?“, ich war völlig überrumpelt, „Ja echt jetzt! Verzieht euch!“ Schnell packte ich Vins am Ärmel und zog ihn zur Ampel. „Wo wollt ihr eigentlich hin?“, rief mir Dad nach,.„Zu meinen Schätzchen!“, grinste ich und er verdrehte die Augen. „Wenigstens was Sinnvolles…“, dann sah er Vins an, „Wenn du Lust hast, kannst du heute Abend zum Essen kommen, Vincent! Es gibt den berühmten Hackbraten seiner Mutter!“ „Ähm…“, Vins sah erst mich und dann meinen Dad völlig perplex an. „Mal schauen…“, antwortete ich für ihn schließlich und zerrte den immer noch überforderten Vins über die Straße, als die Ampel auf Grün sprang. Gerade noch so schafften wir es in den Bus der Linie 9. „Hackbraten…“, wiederholte der Dunkelhaarige, ich nickte. „Der ist wirklich gut!“, erläuterte ich zwanglos und musste mir doch ein Lachen verkneifen. Die Vorstellung Vins bei mir zu Hause mit meinen Eltern an einem Tisch Hackbraten essend war lächerlich. Dennoch flatterte irgendwo ganz tief in mir ein kleiner Falter der Hoffnung. „Ich weiß nicht, ob ich der Hackbratentyp bin…“, sagte Vins ehrlich. Ich wusste wie er das meinte und scherzte deshalb: „Mit der Einstellung sowieso nicht!“. Doch dann fügte ich hinzu, „Du musst natürlich nicht mit mir und meinen Eltern Hackbraten essen.“ „Wer ist dein Schätzchen?“, fragte Vins nun plötzlich, als er sich an den Rest der Unterhaltung erinnerte. „Das wirst du schon sehen. Ich hoffe ihr mögt euch. Sie ist momentan ‘ne ziemliche Zicke!“ Er zog die Braune hoch. „Mehr sag ich dazu nicht und meintest du nicht gerade was von wegen Kaugummi?“ Vins griff in seine Tasche und zog ein blaues Päckchen Pfefferminzkaugummis hervor. Nur kurz in seiner Tasche und schon hatten sie eine ganz leichte Tabaknote. Der Bengel rauchte eindeutig zu viel. Wir fuhren bis zur Endstation und Vins war verwirrt, als ich in einem Gebiet voller Hinterhöfe und Fabrikhallen ausstieg. „Hast du etwa Angst?“. Ich boxte ihm gegen die Schulter und er strich sich belustigt durch die Haare. „Vielleicht führst du mich in irgendeine Lagerhalle und zum Schluss wache ich in einer Badewanne voll Eis samt einer Niere weniger auf!“ „Ersatzteile kann man da tatsächlich gebrauchen, aber ich glaube mit deinen können sie nichts anfangen…“, überlegend richtete ich die Riemen meines Rucksacks. Vins Blick wurde noch verwirrter. Schließlich bog ich ab und wir standen auf einem kleinen Hof, der voll mit ausgeschlachteten Autos stand. Drei große Garagen standen weit offen und geschäftig liefen Mechaniker in Blaumännern durch die Gegend und brüllten sich halblaut irgendwas zu. „Willkommen in Jeffs Werkstatt!“, sagte ich und lief auf die mittlere und größte Garage zu. Ein paar der Männer nickten mir grüßend zu. Ich winkte allen fröhlich zurück. Vins beäugte sie so kritisch, wie sie ihn. Egal wo er hin kam, er fiel auf. „Hey Moe!“, rief ich einem sehr alten Typen mit langem, grauen Bart zu, „Wo ist Jeff?“ „Ah, der SJ, wo hast du denn deinen Vater gelassen? Der schuldet mir noch fünf Mäuse wegen dem letzten Spiel!“ „Ich werde ihn dran erinnern, aber du weißt ja, das vergisst er gerne!“ Moe lachte und ruckte dann mit dem Kopf nach hinten. „Jeff ist bei deiner Süßen!“ „SJ?“, fragte mich Vins leise. „Sprout Junior…“, seufzte ich, so nannten sie mich nur hier. Er nickte. Wir liefen weiter nach hinten und kamen schließlich in einen separaten Raum in dem mein Schätzchen stand. Schwarzmetallisch glänzte der Lack und ich grinste so breit, dass es fast wehtat. „Das ist mein Schätzchen!“, ich breitete die Arme aus um sie in all ihrer Pracht zu umfassen. „Wow“, Vins war sofort gefesselt, „Ist das ein Original Impala?“ „Von 1967!“, zärtlich fuhr ich über den Kotflügel. „Momentan ist er ein originaler Haufen Schrott!“, meinte ein bärtiger Mann, der über dem offenen Motorblock gebeugt stand und nun aufsah. „Pscht Jeff!“, ich tätschelte tröstend einen Seiten Spiegel und flüsterte dann, „Sie kann dich hören!“ „Du hast die gleiche Meise wie dein alter Herr!“, seufzte Jeff. Wir gaben uns die Hand, nachdem er sie sich kurz an einem bereits völlig verschmierten Tuch abgewischt hatte, „Der könnte sich übrigens mal blicken lassen. Er schuldet…“ „Moe ‘nen Fünfer, ich weiß!“, sagte ich und sah mit Jeff gemeinsam in den Motor. „Und mir ’nen Zehner!“, lachte der Mechaniker meines absoluten Vertrauens und sah dann fragend zu Vins. „Das ist Vins, wir gehen zusammen zur Schule!“, nuschelte ich und lehnte mich vor um an einer Dichtung zu ziehen. „Müsstet ihr nicht genau da gerade sein? Also in der Schule…“ „Wir haben heute Wandertag!“, meinte ich schlicht und Jeff lachte rau. „Wollt ihr was trinken?“, Jeff war ein bisschen dicker als mein Vater, aber ein gutes Stück größer. „Cola, wenn du hast…“ Jeff ging in einen Seitenraum. Leise hörte ich eine Kühlschranktür klirren. Vins trat neben mich und sah mit mir in den Motor. „Er funktioniert nicht?“ „Nicht ganz…“, seufzte ich. „Was ist kaputt?“, fragte er interessiert. „Die bessere Frage ist, was ist es nicht!“, Jeff kam mit zwei kleinen Flaschen Cola und einem Bier wieder. Er reichte uns die Cola und nahm dann selbst einen großen Schluck des kühlen Hellen. „Du hast dich beschupsen lassen, SJ…“, seufzte er. „Du musst dich einfach mehr anstrengen!“, sagte ich empört und Vins gluckste. „Wenn ihr schon mal hier seid, könnt ihr gleich mal mit anfassen. Die neue Lichtmaschine ist da. Mal sehen ,ob das was bringt!“, Jeff stellte sein Bier zur Seite und ich nickte begeistert. „Ein Problem damit dreckig zu werden?“, fragte ich Vins. Er schüttelte den Kopf und zog bestimmt seine Lederjacke aus, was ich absolut sexy fand! Schnell wand ich mich meinem Auto zu. Mein armes Schätzchen! Sie brauchte mein völlige Konzentration. Zwei Stunden später war ich von oben bis unten mit Schmiere bekleistert. Ich saß in meinem Wagen, während Jeff am Motor schraubte. Vins stand neben ihm. Seine Hände waren ebenfalls schwarz. Er hatte noch nie an Autos geschraubt, hatte er gesagt, aber war nach Jeffs Meinung recht talentiert. Die Tatsache, dass er an einem falschen Schlauch gezogen hatten und einen gehörigen Schwall Öl ins Gesicht bekommen hatte, mal bei Seite gestellt. Ich hatte fünf Minuten gelacht, so empört hatte er ausgesehen. Erst hatten wir die Lichtmaschine gewechselt, dann waren wir auf ein Problem an der Zündung gestoßen und schließlich vermutete Jeff ein Problem bei der Einspritzvorrichtung. „Es tut sich nichts!“, brüllte ich aus dem Wagen, als ich den Schlüssel in der Zündung drehte. Jeff nickte wissend. „Er zieht kein Öl!“ Moe erschien in der Tür und rief nach Jeff. „Macht mal kurz Pause Jungs!“, sagte dieser nun und folgte seinem ältesten Mechaniker. Vins setzte sich nun neben mich auf den Beifahrersitz und ich streichelte übers Lenkrad. „Du machst es mir nicht leicht…“ „Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du ein Autonarr bist oder ein Mechaniker…“, bemerkte der Dunkelhaarige beeindruckt. „Ich stecke voller Überraschungen und verborgener Talente!“, arrogant warf ich den Kopf in den Nacken, musste aber lachen. Dieser Tag war einfach perfekt. Vins und ich voller Schmieröl in der Werkstatt bei meinem Auto. Vins versuchte sich mit dem Rücken seiner Hand etwas Schmiere aus dem Gesicht zu wischen und stieß an den Bluterguss unter seinem Auge. Schmerzerfüllt verzog er das Gesicht. Mein Gute-Laune-Blase zerplatzte. „Sag mal, wegen deinem Veilchen…“, setzte ich wieder an, und ich merke sofort wie er wieder verkrampfte, „Ich…“ „Ich hab gesagt, es ist nichts!“, würgte er mich ab. Dabei klang er jedoch nicht so harsch wie vorhin im Klassenraum. „Ich denke doch!“, ließ ich mich diesmal nicht so leicht abwimmeln. „Du hast mir vorhin bei Sam geholfen und eigentlich die ganze letzte Woche… ich…“, schwer holte ich Luft, „Ich kann vielleicht keinen richtig verprügeln, aber ich bin ziemlich schnell, wie du weißt. Ich könnte wen wirklich fest Schubsen und dann wegrennen!“ Vins Mundwinkel zuckten, doch seine Augen waren plötzlich nicht mehr kalt, sondern traurig. „Ich…“, fing er an, doch dann schüttelte er den Kopf. „Es ist okay, wenn du es nicht sagen willst.“, meinte ich nun, „Ich will nur, dass du weißt, dass du es mir sagen könntest!“ „Es ändert nichts, wenn ich es dir sage.“, er sprach ungewohnt leise, „Selbst wenn du es weißt, kannst du nichts dagegen machen! Ich bin selber daran Schuld…“ Ich runzelte die Stirn und sah in sein plötzlich so nervöses Gesicht. „Wenn ich es dir sage, darfst du dazu nichts sagen. Gar nichts!“ Ich nickte. Er sah nun nach vorne und schlucke schwer. Es kam kein Ton raus, als er den Mund aufmachte. Er sah mich an und meinte dann fast mechanisch, als würde er nicht über sich sprechen: „Das war mein Vater.“. Er biss sich auf die Unterlippe, bevor er fort fuhr, „Er wollte meine Mutter… Ich hab mich davor gestellt, und welche verpasst gekriegt. Dumm gelaufen und selbst Schuld. Mehr gibt’s da nicht zu zusagen!“ Vins sah nun wieder nach vorne und begann an den Knöpfen meines prähistorischen Autoradios zu drehen. Tausend Sachen und ein großes Nichts schossen mir gleichzeitig durch den Kopf. Ich wollte etwas sagen, wollte ihn drücken und doch, auch wenn ich mich schämte, war ich fast erleichtert, dass er wollte, dass ich nichts dazu sagte. Wie sollte man wirklich dazu etwas sagen, das hilfreich war? Er drückte zwei Knöpfe und rauschend begann tatsächlich ein Lied zu plärren, dass ich nicht kannte. „I'm forced to deal with what I feel. There is no distraction to mask what is real.“ „Da gibst doch nicht!“, Jeff kam herein, „Du kannst keinen scheiß Meter fahren, aber das Radio geht!“ Ich rang mir ein Lachen ab, „Meine Schöne setzt Prioritäten!“ „Vielleicht gibt’s ja doch noch Hoffnung.“, seufzte Jeff und ich sah zu Vins, der meinem Blick begegnete. Hatte er Hoffnungen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)