Track or Treat. von Usagi_Jigokumimi (Auf deiner Spur?) ================================================================================ Kapitel 11: Wollen ------------------ ‘At the same time, I wanna hug you I wanna wrap my hands around your neck You're an asshole but I love you And you make me so mad I ask myself Why I'm still here, or where could I go You're the only love I've ever known But I hate you, I really hate you, So much, I think it must be True love, true love It must be true love‘ ~ P!nk, „True Love“ (2012) Es war kurz nach halb Elf. Ich atmete konzentriert und versuchte mich zu fokussieren, den anderen aus dem Kader ging es nicht anders. Ich streckte meine Körper, versuchte jede einzelne Muskelpartie zu aktivieren. Versuchte meine Körper zu spüren, die Kontrolle über jede Faser zu erlangen. „Süßer Arsch!“, kam es irgendwo sehr platt her als ich mich bückte um mich zu dehnen. Ich versuchte nicht zu lachen. Durch meine Beine hindurch sah ich zur Tribüne, auf der meine Freunde bereits Platz genommen hatten. Kim, bei Vins auf dem Schoss, wank mir zu und Bob hob grüßend die Hand. Vins nickte mir zu. Seit um halb zehn war die gesamte Staffel zusammen auf der Bahn. Wir hatten uns die Zeit für ein paar Runden warmlaufen genommen, während die anderen Teams ihre Stationen aufgebaut hatten. Es waren verschiedene Leichtathletik-Sachen, die heute im Wettkampf standen. Wir gingen unsere Strategie durch, sowie wir versuchten die Muskeln warm zu kriegen. Coach Tucker war ziemlich euphorisch, da unser größter Rivale die Kennedy-School letzte Woche verloren hatte, hatten wir Chancen seit langem aufs Treppchen zu kommen diese Season. „Du musst einfach nur konzentriert bleiben. Du hast die perfekte Technik! Also hab jetzt noch den Willen! Den Willen schneller zu sein!“, mal wieder stand der Couch neben mir mit einer mahnenden Rede und ich nickte, stumm und wie ich hoffte heroisch überzeugend. Schließlich waren die Leute vom Hürdenlauf dran und danach wir. Mich immer noch dehnend und streckend ging ich kurz zur Tribüne. „Bis jetzt bist du der Gewinner! Also vom Hintern her!“, begrüßte mich Kim, es war heute unglaublich warm und sie trug Short und ein übergroßes Shirt, vom Druck her könnte es von Vins sein. Kurz hing ich wieder bei der Vorstellung seine viel zu große Lederjacke anzuhaben und er meine High-School- Jacke. „Wenn man den hübschen Typen von euren Gegnern mal ignoriert!“, kicherte Leonie und warf ihm einen entschiedenen Blick zu. Sie, Kim und Vins waren von ihren Sitzen zu mir runtergekommen. Der hübsche Typ, wie Leonie ihn nannte, war mein Gegenläufer, der Schlussläufer der Trinitatis. Ich konnte tatsächlich verstehen, was sie meinte. Er war durchtrainiert und groß, mit einem verflucht hübschen Lächeln und… ja, Hintern! Die langen Beine, könnten ein Vorteil werden, doch ich ließ mich nicht einschüchtern, und als er merkte das wir in seine Richtung sahen hob er grüßend zu mir die Hand. Ich nickte zurück, so wie Vins es immer tat. „Ich glaube der Typ heißt Alex oder so.“, gab ich Leonie meine wagen Informationen weiter. „Alex…“, wiederholte sich gönnerisch und ich verdrehte die Augen. „Dem läufst du locker weg!“, meinte Vins und klopfte mir auf die Schulter, ich lächelte und versuchte nicht zu verkrampfen, ich musste meine Muskeln entspannt, aber bereit halten. Vins trug auch nur ein Shirt, was fast ein Wunder war, obwohl seine Lederjacke oben auf der Bank lag. Mit den Haaren unordentlich zurück und der Sonnenbrille, wäre er glatt als Model durchgegangen. Ich versuchte darüber nicht zu genau nach zu denken und begrüßte jetzt die anderen. Ruth und Bob waren bei den Rucksäcken geblieben und lächelten mir zu. „Deine Eltern sind ja noch gar nicht da?“, schaute sich Leonie um, wahrscheinlich wollte sie schnell weg, wenn Nathalie aufkreuzte. „Die kommen schon noch…“, meinte ich und hoffte fast, dass sie es nicht taten, doch Kim drehte sich nach rechts und wank ihnen mit einem panischen, sowie prophetischen Lächeln entgegen. Ich konnte die Angst fast riechen, die sie ausströmte als sie neben meinen Eltern offensichtlich Nathalie laufen sah. Sie war erst heute früh hergeflogen. Weswegen ich sie noch nicht gesehen hatte. „Es ist so niedlich das deine Eltern immer noch Händchen halten!“, kommentierte Kim das Auftreten meiner Eltern, die wie immer mega peinlich in Partnerlook und verliebt turtelnd angelaufen kamen. „Kommt drauf an, wen du fragst!“, war mein Kommentar dazu und schließlich begrüßten meine Erzeugerfraktion meine Freunde. „Schön euch alle zu sehen!“ „Wir stehen hinter dem Hühnerbein!“, sagte nun Vins und ich trat nach ihm, mein Vater lachte und klopfte Vins kumpelhaft auf die Schulter. Schließlich liefen die beiden die Tribüne hoch und Nathalie begrüßte mich nun herzlich. „Kleiner Bruder!“, sagte sie und drückte mich leicht, ich erwiderte die Umarmung nicht, und flüsterte nur, „Bitte sei nett!“ Sie lächelte ihr unverschämt bezauberndes Lächeln, was sie so gekonnt perfektioniert hatte. „Ich bin immer nett!“ Und löste sich dann mit einem Blick von mir, der mir versprach, dass sie alles sein würde, aber nicht nett. „Der Flug hierher ist jedes Mal wie eine kleine Zeitreise.“, erzählte sie nun weiter, und drehte sich zu den anderen, sie waren alle auf der Hut- Nathalies Angriffe kamen unerwartet, sowie tödlich! Ich sah leider in Vins Gesicht das Gleiche, wie bei vielen unschuldigen Opfern zu vor. Er konnte nicht verstehen, warum wir alle so über meine Schwester sprachen. „Sie sieht okay aus!“, flüsterte Vins Kim ins Ohr, die leise meinte: „Das ist eine Falle!“ In der Tiefsee gabs einen Fisch den nannte man Anglerfisch, weil er ähnlich wie an einer Angel an einem kleinen Antennending, was aus seinem Kopf ragte, ein hübsches glänzendes und leuchtendes Kügelchen hatte. Das war ein Köder um arglose Fische anzulocken, die dachten das wäre was zu niedliches Kleines, was leicht zu fressen wäre. Sobald sie also auf dieses Kügelchen los schwammen und es beobachteten gingen sie dem riesigen Anglerfisch in die Falle, der die hypnotisierten Fische dann Fraß. Schluck und Weg! Nathalie war das menschgewordene Pendant, denn meine Schwester sah natürlich mehr als okay aus, ihr Köder war ihre liebliche Perfektion. Kim und Leonie und natürlich auch Ruth, waren hübsche Mädchen. Klar keine Supermodels, aber ziemlich gutaussehend. Nathalie hingegen war ein Supermodel! Ich hasste es das zu denken, aber ich konnte verstehen das jeder, der Nathalie sah, erstmal gefangen von ihr war. Sie war fast einen Meter Achtzig groß und sehr schlank, mit unverhohlen langen Beinen. An sich schien ihr Körper in jeder Hinsicht übermäßig vorteilhaft proportioniert, doch auch ihr Gesicht hatte fast perfekt symmetrische Züge. Mit den strahlend blauen Augen, die sie von Mom geerbt hatte, den vielen, zarten Sommersprossen und den kleinen vollen Lippen sah sie regelrecht engelsgleich aus, was nur noch von den langen hellblonden Haaren abgerundet wurde. „Nathalie!“, kam Coach Tuker zu uns rüber, „Schön dich zu sehen und das du Oscar anfeuerst bei seinem Lauf!“ „Schulsport ist reinster Faschismus!“, lächelte Nathalie weiter, „Und auch schön Sie zu sehen Coach Tuker, wie ich sehe, sind Sie immer noch in einer Karriere gefangen, die Sie nicht über das Tragen von Jogginghosen hinausbringt. Ich habe auch gehört ihre Ex-Frau ist neu verheiratet, ist es nicht frustrieren ein Leben als Mittvierziger Single mit Stirnglatze und eindeutigen Schilddrüsenproblemen zu fristen?“ „Ich hatte ganz vergessen wie Charmant du bist!“, meinte Coach Tuker und ging sehr schnell wieder zum Rest der Mannschaft, das er fast stolperte. „Also Kim!“, wand sich meine Schwester nach dem sie sich aufgewärmt hatte nun meinen Freunden zu, „Wie ich sehe, sind deine Schneidezähne durch die Zahnspange endlich gerichtete, es muss toll sein endlich einen Überbiss zu haben den man kaum sieht!“, war ihr Eröffnungszug und Kim presste völlig überrumpelt und verunsichert die Lippen auf einander, doch Nathalie war noch nicht fertig, „Außerdem hab ich gehört du hast einen neuen Freund, der die billige Karikatur und ein lächerliches Klischee eines kleinen 50iger Jahre Rowdys darstellen soll und du wahrscheinlich durch deine bis jetzt immer sehr impulsiven und fürchterlichen Lebensentscheidungen wahrscheinlich eine Teenagerschwangerschaft haben wirst! Was mich zu dem bringt, dass du schon weniger füllig in diesen Shorts gewirkt hast. Aber ich bin definitiv jemand der Body Positivity unterstützt! Wir sind alle schön auf unserem ganz eigenen Weg!“ „Was, ich…“, „Wie bitte!“, korrigierte sie Nathalie zuckersüß und meinte dann, „Ich bin neugierig, würdest du das Kind selber großziehen, oder würdest du so tun, als hättest du Pfeiffersches Drüsenfieber und deine Mutter tut dann so als wäre es ihr Kind und du hättest eine geheime Tochter- oder Sohn-Schwestern Beziehung? Oder hast du durch die berechtigte Angst, dass eure Beziehung nichts weiter als eine verzerrte Widerspiegelung deines Wunsches nach Rebellion und seines nach Sicherheit auf Grund einer verkorksten Mutterfigur ist, angefangen Frust zu essen?“ „Was ist dein Problem?“, zischte ich meine Schwester an, die ganz Unschuld spielte, „Du hattest mir versprochen, dass du meine Freunde nicht mehr mit deinen Psychospielchen traktierst!“ Kim zog wie zur Bestätigung sehr untypisch unsicher an den Beinen ihrer Shorts. „Erst einmal, Hitler hatte auch versprochen nicht in die Tschechoslowakei einzumarschieren, Willkommen in der wirklichen Welt, Oscar!“, lässig warf sie ihr langes Haar elegant zurück, „Und zweitens, ich betreibe nur Smalltalk. Ich habe so ein interessantes Konzept der Kommunikation letztens in einer Verhaltenspsychologischen Vorlesung in Harvard gehört, und war regelrecht fasziniert, wie viel Stellenwert er der Interaktion der einzelnen Schichten zu schrieb!“ „Da siehst du es! Für normale Menschen ist Smalltalk kein interessantes Konzept, es ist…“ „Ach du Gott Oscar, ich finde doch nicht Smalltalk interessant!“, sie lachte, „Ich finde die Idee interessant, dass man weniger gebildete Menschen, in dem Glauben der gleichgestellten Interaktion,- das bedeutet indem Fall, das wir miteinander reden!- , viel leichter beeinflussen kann.“ „Du bist krank!“, war meine Antwort darauf und Leonie wollte sich davonstehlen, doch Nathalie wand sich nun ihr zu. „Leonie, ich habe dich doch gleich erkannt!“ „Hi…“, Leonie sah aus als würde sie gleich weinen. „Durch deine Kleidung und das Kreuz, das du um den Hals trägst, sehe ich das deine Mutter immer noch versucht ihre Jugendsünden und die vorehelichen Kinder durch Übermäßige Religiosität zu kompensieren.“, Nathalie sah kurz an ihr vorbei, Ruth und Bob kamen nun auf uns zu, „Und versucht du immer noch eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, in dem du dich gegensätzlich zu deiner viel talentierteren und intelligenteren Zwillingsschwester benimmst?“ „Ich habe eine eigene Persönlichkeit…“, stotterte Leonie. „Und du musst bestimmt Vincent sein!“ „Vins“, korrigierte ich sie, und sie lächelte ihr Nathalie lächeln. „Und du musst das Ding aus dem Sumpf sein!“, war seine Entgegnung und lächelte sie herausfordernd an. „Ich persönlich halten den Film für ein triviales Märchen was gelegentlich sogar Anflüge von stiller, aber doch sehr ungelenker Poesie hat. Obwohl ich mich mit der Rolle der Alice als Regierungsbeamtin, die versucht einen korrupten Milliardär davon abzuhalten neueste wissenschaftlichen Fortschritt auszubeuten doch eher identifizieren könnte, als mit Dr. Holland.“, Nathalie legte einen Finger überlegend ans Kinn, „Natürlich kann ich verstehen, dass ihn viele als Klassiker bezeichnen! Ich schätze ich würde mich selbst eher in Die Auslöschung sehen, mit meiner Namensvetterin Nathalie Portman. Die komplette Auslöschung der Welt ist dann eher mein Stil. Und außerdem ein bildgewaltiger Film und mit einer bizarren Eleganz, die Metaebene ist wie ein Puzzle. Wenn du ihn dir ansiehst, erkläre ich ihn dir, euch, auch gerne danach!“ Bevor Vins das Verdauen konnte und vor allem etwas dazu sagen konnte begrüßte meine Schwester schon Bob. „Steven“, lächelte sie nun zum ersten Mal ehrlich, „Wie geht es dir? Immer noch an vorderster Front?“ „Warum nennt sie ihn Steven?“, sah mich Vins verwirrt an. „Bob ist nur ein Spitzname…“, meinte ich zu ihm und laut dann zu meiner Schwester, „Aber eigentlich weiß sie auch, dass ihn niemand Steven nennt!“ „Ich nenne Dinge immer beim Namen, wenn Amerika das tun würde, hätten wir jetzt keinen geisteskranken Chauvinisten als Präsidenten, also…“ „Danke nochmal für die Unterlagen, die du mir zu geschickt hast, wir konnten die Infos über den Haushaltsetat echt gut einbinden!“, Bob band sich gewohnt die Dreads zurück und Kim fragte Ruth leise, ob sie das Gefühl hätte, das sie dicker geworden wäre. „Ich war so schockiert und wusste, wenn jemand damit umgehen kann, dann du!“, Nathalie stemmte die Hände in die Hüfte und ging Richtung Tribüne, „Wo sitzen wir eigentlich?“ „Da drüben!“, lotste sie Bob zu ihren Plätzen. „Willst du nicht lieber bei Mom und Dad sitzen?“, meinte ich, ich ahnte das Vins sich ihre Art nicht so gefallen ließ wie die anderen, Nun gut, die anderen verunsichert sie einfach nur und gab ihnen den Grund einen Psychologen aufzusuchen. „Willst du nicht lieber so tun als wärst du besser als der uniformierte Brei, in dem du schwimmst, und eine Staffel gewinnen?“, war ihre Antwort. „Meine Sachen sind da, bestimmt liest sie aus meiner Jacke, irgendwelche Kindheitstraumata…“, jammerte Leonie als sie Bob und der Auslöschung, wie sich meine Schwester selbst treffenderweise betitelt hatte, nachsah. „Ich hab nicht zu genommen, die Shorts könnten eingelaufen sein…“, erklärte Kim immer noch Ruth, die nur seufzte. „Es ist toll, wenn deine Schwester da ist…“ Die drei Mädels gingen zu ihren Plätzchen, jedoch nur sehr, sehr langsam… Unschlüssig sah ich zu Vins, auch ihn hatte sie etwas mit ihrer Antwort erstaunt. „Kaum zu glauben, dass ihr aus demselben Uterus kommen sollt…“, sagte er schließlich und ich seufzte. „Der Punkt ist, dass ich nicht sicher bin, welche andere Spezies sich da reingelegt hat zuvor!“ Er gluckste und sah nun dabei zu wie Nathalie und Bob sich anscheinend anregend unterhielten, Ruth saß daneben und wirkte irgendwie verstimmt. „Sie mag Bob?“ „Sie denkt er wäre gut zu rekrutieren, wenn sie die Weltherrschaft ins Auge gefasst hat!“ „Ihr seht euch ja schon ähnlich, aber…“, der Dunkelhaarige schien wirklich verdattert, unschlüssig sahen seine grünen Augen mich an, und ich versuchte wie so oft nicht rot zu werden, Nathalie war bildschön, wenn er fand, dass wir uns ähnlich sahen dann… Naja, vielleicht ist es nicht gut, für einen Kerl wie ein hübsches Mädchen auszusehen. „Ich denke, das ist eine Mutation des X- Chromosoms in unserer Familie!“, ich dachte kurz an meine Handvoll Cousinen, die alle fürchterliche Klugscheißer waren, angeführt von der Königin der Verdammten: Nathalie! „Ich wäre bestimmt auch voll das zickige Mädchen geworden.“ „Du bist ein zickiges Mädchen!“, meinte Vins sofort entschieden und sehr ernst, ich boxte ihn dafür. „Tu dir nicht weh vor deinem großen Lauf, Hühnerbein- Obwohl ich Spinnenbein immer noch besser finde!“ Bevor ich ihm dafür ebenfalls eine verpassen konnte gestikulierte mich Coach Tuker wild zu sich und Vins rief mir hinterher: „Viel Glück!“ Ich zeigte ihm den Mittelfinger und er lachte bestätigt. Schließlich ging es los, Coach Tuker hielt seine letzte Motivationsansprache und wir stellten uns alle in Position. Erst Brandon, der am längsten von uns dabei war, dann ungewohnt Henry auf Position zwei, darauf folgte der Meister der Kurve Leroy und schließlich noch ungewohnter, ich als Letztes! Ein Stück neben mir stand Alex oder wie er hieß. Er lächelte mich an, ich zog nur eine Grimasse, die ihn noch breiter Grinsen ließ. Ich atmete tief und bewusste ein und aus. Spürte jede Faser, jede Zelle. Konzentrierte mich nur auf den Lauf, versuchte alles auszublenden! Vor allem das Nathalie wahrscheinlich meine Freunde in einen Gruppensuizid trieb oder sie sie mit Fackeln und Mistgabel auf einen Scheiterhaufen jagten und anzündeten. Aber vor allem versuchte ich auszublenden, dass Vins dort oben saß, die grünen Augen auf mich gerichtet und mich beobachtete. Der Anpfiff kam und die ersten Läufer starteten. Schließlich bekam Henry den Stab, eine saubere Übergabe, dann Leroy, ich achtete nicht auf das andere Team, achtete nicht auf Alex neben mir, achtete nur auf Leroy, passte mich seinem Schritt an in dem kurzen Stück, in dem die Übergabe war und nahm ihm schließlich den Stab ab und sprintete los. Ich hörte nur meinem Atem und spürte den Kies unter meinen Füßen und dann, ganz plötzlich ging ein Ruck durch meinen Körper. Ich strauchelte und sah aus den Augenwinkeln, wie Alex neben mir wohl gestolpert sein musste. Sie hatten anscheinend die Übergabe verhunzt und er mich, als er um Gleichgewicht und Korntolle mit dem Stab gekämpft hatte, versehentlich angerempelt. Er fing sich einen Ruck schneller als ich und ich wusste, dass es mich kostbare Sekunden kosten würde, wieder vernünftig in die Spur zu kommen. Ich entschied instinktiv, mich rennend nach vorne fallen zu lassen. Nur um Haaresbreite trat ich vor ihm über die Ziellinie und stürzte, mich nun nicht mehr abbremsen könnend, hart auf den Schotter. Ich prallte auf die Schulter und mit noch völlig überspannten Beinmuskeln ging ich zu Boden, mein rechtes Knie überstreckte sich viel zu stark. Vergeblich versuchte ich noch Gewicht vom Gelenk zu nehmen und mich irgendwie zur Seite zu drehen, doch ich spürte schon längt das verdächtiges Ziehen, dass irgendetwas, nicht mehr da war, wo es sein sollte. Als ich endlich zum Liegen kam drehte ich mich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Rücken. Ich hörte irgendwen meinen Namen rufen. Doch ich streckte die linke Hand mit dem Staffelstab in die Luft und meinte dann. „Erster!“ Das Gesicht von Alex erschien in meinem Blickfeld, schuldbewusst sah er auf mich runter. Seine braunen Augen waren viel tiefer und dunkler als meine. „Alter, geht’s dir gut?“ Ich überlegte kurz und meinte „Ja!“ und dann, als ich mich bewegt hatte, „Aua!“. Er lachte und schien nicht beruhigt, er reichte mir die Hand und ich zog mich vorsichtig in sitzende Position. „Sorry“, setzte er nun an, „Ich hab den Stab fast fallengelassen beim Handwechsel und als ich ihn neu greifen wollte bin ich gegen dich gestoßen! Tut mir wirklich leid!“ „Alles gut…“, meinte ich und bewegte vorsichtig meine Schulter, es tat leicht weh, aber da war alles heil, „Ich hab ja trotzdem gewonnen!“ Ich grinste ihn schadenfroh an und er nickte, grinste breit zurück: „Zurecht!“ Mit der Schulter war zwar alles okay, mit meinem Bein sah das schon anders aus, vorsichtig versuchte ich es anzuwinkeln und biss vor Schmerzen die Zähne zusammen. „Fuck!“ „Alles gut, mein Jung?“, Coach Tuker erschien neben mir und der Trainer der anderen Mannschaft. „Beeindruckender Lauf, Junge!“, meinte dieser und tätschelte Alex beruhigend die Schulter. „Kannst du das Bein noch bewegen?“, fragte der Coach und betastete vorsichtig das Gelenk, ich nickte schlicht. Bewegen ging, es tat nur höllisch weh. „Am besten wir setzten ihn erstmal auf eine Bank!“ Alex griff mir sofort unter die Schultern, auf ihn und einen breit grinsenden Leroy stützend hinkte ich auf die Seitenbank. „Wir haben gewonnen!“, kam nun Henry an und schien nicht im Geringsten, genau wie Leroy, besorgt wegen meinem Sturzflugs, „Ich hab keinen Fehler gemacht bei der Übergabe und du hast mit deiner üblichen Portion Drama den Sieg geholt!“ „Fick dich!“, war mein Kommentar dazu, obwohl ich mich auch über den Sieg freute. Leider hatte Henry recht, irgendwie hatte ich in letzter Zeit auch kein Glück. Während nun über mein Knie beratschlagt wurde kamen natürlich Mom und Dad angetrabt, sowie mein besorgter Haufen Freunde, sie hatten es momentan nicht leicht mit mir. Verwirrt stellte ich fest, dass Vins nicht dabei war. Mom scheuchte natürlich die beiden Trainer, die sich die Stirnglatzen kratzten, sofort zur Seite und besah sich mein Bein. Leider zuckte ich genau dann zusammen, als sie die Stabilität testete und an ihrem Blick erkannte ich, was folgen würde. „Damit werden wir ins Krankenhaus müssen!“ „Oh bitte nicht!“, sagte ich gereizt und riss die Hände hoch. „Ich bin nicht sicher, was das ist und wir müssen das checken lassen! Im besten Fall ist es wirklich nur überstreckt, aber wenn da irgendwo Risse sind…“, Mom redete weiter mit dem Coach und Alex meinte nun noch einmal zu mir, dass es ihm leidtat, wieder wank ich ab. „Du wärst mir echt weggelaufen!“, sagte er, „Du hast mehr als verdient gewonnen!“ „Ja, er ist zu gut für dich!“, kam es plötzlich hinter mir, Vins stand anscheinend schon die ganze Zeit da, sein Blick war wütend auf den anderen Läufer gerichtet, der versuchte meinen bösen Schatten einzuordnen. Ich wollte ihn nicht ansehen, ich schämte mich irgendwie. Sein beschützender Ton war mir tatsächlich mal unangenehm. Selbst ein dummes Rennen konnte ich nicht hinter mich bringen, ohne mich halb umzubringen. Ich hatte, was eigentlich schon peinlich genug war, gehofft heute endlich mit Coolness punkten zu können. „Ey, du machst Sachen!“, meinte nun Kim und kniete sich neben mich. „Irgendwie sah es cool aus!“, wiegelte Leonie ab. „Nur ein bisschen, armselig.“, war Ruth Kommentar. „Er ist wie Sophokles größter tragischer Held!“, kam es von Nathalie, doch ich sah in ihren blauen Augen, dass sie doch etwas erleichtert war, dass mir nichts Ernstes fehlte. „Ich weiß, dass das König Ödipus war und das du mich damit beleidigst, aber sie ist auch deine Mutter, also sei vorsichtig!“ Sie lächelt jetzt ehrlicher und meinte dann zu Dad, „Gibst du mir bitte den Autoschlüssel?“ Automatisch reichte er ihr den Schlüssel, fragt dann jedoch im Nachgang, „Wofür brauchst du denn?“ „Nathalie fährt das Auto so nah wie möglich ran, das Oscar nicht soweit laufen muss!“, sagte jedoch Mom jetzt und meine Schwester war längst unterwegs zum Auto. „Vielleicht können dich die beiden auch tragen?“, sah Kim zu Alex und ihrem Freund. „Jetzt werde nicht albern!“, alleine der Gedanke, dass Vins mich trug ließ mich innerlich zerfließen. Noch peinlicher konnte ich nicht werden! „Ich würde dich auch alleine schaffen!“, meinte nun Alex ganz hilfsbereit. „Du schaffst es kaum ‘nen Stock festzuhalten, vielleicht trägst du ihn besser nicht!“, war Vins Kommentar dazu und ich sah verwirrt zu ihm, bevor ich entschuldigend zu Alex die Hand hob, der empört aussah. „Am besten ihr beide bringt ihn schon mal zum Wagen!“, meinte Mom nun zu Kim und Vins. „Schreib uns was los ist!“, verabschiedeten sich Bob, Leonie und Ruth von mir. Ich versuchte mich derzeit alleine aufzustellen, taumelte jedoch leicht nur auf einem Bein. Alex streckte die Hand nach mir aus, und ich wollte auch schon haltsuchend nach ihr greifen, als Vins hinter mir mich festhielt und die Arme entschieden um mich legte. Warm presste sich sein Körper an meinen. Kurz musste ich an die Mittagspause vom Donnerstag denken, wo er hinter mir gesetzten hatte, genau so eng an mich gedrängt. „Geht schon, geht schon!“, sagte ich schnell und versuchte seinem Klammergriff zu entkommen, in meinen Laufshorts konnte man nichts verstecken, wenn in ein sehr mitteilungsbedürftiges Organ zu viel Blut floss. Mit einem letzten Blick zu Vins und einem letzten „Sorry“ zu mir ging Alex schließlich mit seinen Teamkollegen von dannen. Vins stützte mich und so hinkend liefen wir von der Bahn. Als wir an der Turnhalle ankamen, meinte Kim, dass sie schnell meine Sachen holen würde. „Wir gehen schon mal weiter, ich brauch ‘ne Weile!“, rief ich ihr hinter her, sie zeigte den Daumen nach oben. „Wenn‘s nicht mehr geht, musst du es sagen…“, wand Vins ein. Sein linker Arm war um meine Hüfte geschlungen, mit der rechten Hand hielt er den Arm fest, den ich ihm um die Schulter gelegt hatte. „Geht schon!“, presste ich zwischen den Zähnen hervor. Es forderte meine ganze Konzentration, nicht wehleidig zu stöhnen wegen den Schmerzen, mir seine Nähe auszublenden und auch noch vernünftig weiter zu laufen. „Du bist ganz schön stur…“, lächelte er milde. „Sagt der Richtige!“, murrte ich und sein schmales Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, wenn es ging wurde ich noch roter im Gesicht. „Oscar!“, kam es plötzlich hinter mir und noch immer im Sporttrikot kam Alex aus der Turnhalle. Er reichte mir einen kleinen Zettel, seine Handynummer stand darauf. „Vielleicht kannst du ja schreiben, was beim Arzt rauskommt!“, entschieden sah er nur mich an und ging dann wieder rein. „Du willst ihm doch nicht wirklich schreiben, oder?“, fragte Vins und sah aus, als würde er mir den Zettel am liebsten wegnehmen. „Klar schrieb ich ihm, er hat ein schlechtes Gewissen, aber es wird ja auch nichts sein…“, gerade als ich das gesagt hatte, stolperte ich leicht gegen einen Stein und musst sehr darum kämpfen nicht in Tränen auszubrechen. „Es ist nichts, hm?“, meinte nun Vins und nahm plötzlich den Arm von meiner Hüfte bevor er mich plötzlich im Brautstil hochhob. „Was machst du denn?“, protestierte ich ein paar Oktaven zu hoch und wusste, dass jegliches Blut, das ich besaß in meinen Kopf gerauscht war. „Dich zu deinem Auto tragen!“, war seine schlichte Erwiderung. „Das…das nicht nötig!“, versuchte ich ihn tatsächlich eher kläglich zu überzeugen mich runterzulassen, „Das geht schon mit dem laufen!“ „Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, also halt die Klappe!“, sagte er entschieden und lächelte auf mich herab. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. „Ich kann laufen!“, nuschelte ich. „Spinnenbein, auch ein Held braucht einmal Hilfe!“ Ich buffte ihn leicht, doch ließ ihn mich schließlich bis zum Auto bringen. Nathalie hatte bereits hinten die Tür geöffnet und Vins setzte mich Vorsichtig ab. „Sehr innig ich zwei“, meinte sie, wofür ich ihr einen garstigen Blick zu warf. Keine Minute später kam Kim mit meinen Klamotten. „Henry scheint ein Steher zu sein…“, gluckste sie und ich konnte mir vorstellen wie sie meine armen Teamkollegen fürs Leben gezeichnet hatte, als sie ohne anzuklopfen in die Umkleide gegangen war. Mit etwas Hilfe hievte ich mich nun auf den Rücksitz und verabschiedete mich von Kim und Vins, denen ich versprechen musste zu schreiben, was abging. Nathalie stieg nun neben mir ein und ich durfte mein Bein ausgestreckt über ihren Schoss legen, an sich war sie schon sowas wie eine große Schwester, wenn auch gruseliger als die meisten. Wahrscheinlich definierte man das auf ihrem Heimatplanten einfach anders. „Du und Vins seid noch nicht lange befreundet, oder?“, fragte sie mich plötzlich und sah genau wie ich den beiden nach. „Nein, Kim und er sind ja auch noch nicht lange zusammen.“ Unentschlossen sah sie mich an, ein sehr untypisches Verhalten. „Weißt du, warum ich Politik und Jura studiere?“, fragte sie und ich zuckte mit den Schultern, eigenwilliger Themenwechsel, „Weil es der einfachste erste Schritt zu Weltherrschaft ist?“, fragte ich nun zurück. Weil sie ein riesengroßer Klugscheißer war, wäre bestimmt auch eine adäquate Antwort gewesen. „Ich erkenne was Menschen wollen, schon immer!“, ihre Stimme hatte eine merkwürdigen klang, und das Blut schoss mir erneut in die Wangen. „Tatsächlich…“, stotterte ich. „Es ist bei den meisten auch recht leicht zu erkennen, wenn man weiß, auf was man achten muss. Nur im Gegenteil zu vielen anderen, kann ich das zu meinem oder ihrem Vorteil benutzen…“ „Ja, das hab ich auch schon bemerkt!“, ich hatte keine Ahnung auf was Nathalie mit dem ganzen hinaus wollte. „Es ist schon ein bisschen komisch, dass ich Vins seiner wirklich hübschen Freundin Kim Komplexe wegen einem nicht vorhandenem Überbiss und noch weniger vorhandenen Fetteinlagerung einreden kann, und er nicht reagiert. Aber wenn du dein Gesicht zum Stoppen deines Wettkamplaufes benutzt und ist er schneller von der Tribüne runter und neben dir als irgendein anderer von uns reagieren konnte…“ „Wie… Wie meinst du das?“, meine Stimme zitterte. „So wie ich es sage: Ich weiß, was und wann Leute etwas wirklich wollen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)