Track or Treat. von Usagi_Jigokumimi (Auf deiner Spur?) ================================================================================ Kapitel 19: Lügen ----------------- ‚There'll be no desert too dry and no ocean too wet I’ll be your punchbag substitute I’ll sharpen your claws When you come tumbling down you’re still in my thoughts There's just one thing, baby, I can never abide No matter how much you beg No matter how hard you try You can tell me that I'll never be free Baby, don't you lie to me‘ ~ The Fratellis, „Baby,don’t you lie to me!“ (2015) Vor ein paar Jahren hatte ich mit meinen Eltern zusammen eine Dokumentation über verschiedene Trickbetrüger gesehen. Zum Beispiel, wie Typen in Firmen reinspazierten oder gar Leute am Telefon das Geld aus den Taschen leierten oder an der Haustür: Der „Ich bin den Enkel“- Trick oder die „Sie haben einen neuen BMW gewonnen, bitte sagen sie uns ihre Kreditkartennummer“- Masche und solche Sachen halt. Besonders im Gedächtnis blieb mir ein Fall, wo ein Mann, eigentlich so ein absoluter Durchschnittstyp, am Telefon verflucht reiche und vor allem auch verflucht clevere Leute um mehrere hunderttausend Doller erleichterte und dabei so tat, als wäre er entweder ein Angestellter, Verwandter oder jemand von der Steuerprüfung. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, dass es wirklich einen Menschen geben sollte, der so etwas könnte. Geschweige denn, dass jemand auf sowas reinfiel… Niemals konnte das echt sein! Für mich war das ein klarer Fall von abgekartetem Spiel, Versicherungsbetrug vom feinsten. Niemand konnte so dumm sein und besonders niemand konnte so charmant, geschweige denn so vertrauenswürdig wirken, dass das funktionierte! Nun ja, die letzten fünf Minuten hatten mich eindeutig eines Besseren belehrt. Josh, Vins ominöser bester Freund, hinter der Theke bei Nortens war der lebende Beweis, dass ein Mensch durchaus so charmant sein konnte und vor allem, dass andere Menschen, diesem Charme verfielen. Wenn er mich hier und jetzt fragen würde, wie der Code für den Safe in unserem Haus wäre, würde ich ihm den ohne zu zögern aufschreiben. Verdammt, wie konnte man so sein? Josh, oder eigentlich Joshua Rodrigez, war zur Hälfte Kubaner und zur anderen Hälfte Franzose und noch irgendwas anderes, was er aber, wie er selbst sagte, für sich behielt, um seinen Mythos zu bewahren. Außerdem war er einen guten Kopf kleiner als ich und recht pummelig. Er hatte schwarzes, dichtes Haar, das er unter einem schwarzen Beanie versteckte, und hatte dazu mit gerade mal 19 schon einen ziemlichen Vollbart, der ihn sehr viel älter wirken ließ, als er war. Sein Bart wirkte wie der perfekte Rahmen für das einladende Kunstwerk, das sein strahlendes Lächeln darstellte. „Also die Damen!“, kassierte er jetzt lässig zwei alte Frauen ab, die eindeutig Mottenkugeln und Parfüm nicht mehr auseinanderhalten konnten, „Ich hasse es, von schönen Frauen Geld zu nehmen, aber wenn ich hier nicht arbeiten würde, wäre ich ja auch nie an den Genuss ihrer Bekanntschaft gekommen…“ Kichernd steckten die beiden Damen, wie er sie genannt hatte, ihm ein ordentliches Trinkgeld zu und verließen zufrieden watschelnd den Laden. Anerkennend pfiff Josh ihnen hinter her und Vins verdrehte die Augen. „Ist er immer so?“, fragte ich und steckte mir ein riesiges Stück Apfelkuchen in den Mund. „Immer, für gewöhnlich sogar noch schlimmer!“, entspannt, wie ich Vins selten gesehen hatte, nippte er an seinem Kaffee, den er mit viel Zucker, aber ohne Milch trank. Irgendwie fand ich das witzig. Kaum das wir den ausbesserungsbedürftigen Parkplatz überquert hatten und ins baufällige Nortens gegangen waren, ein typisch heruntergekommenes Dinner mit einer hässlich grünen Neonreklame, war Josh ganz selbstverständlich und mit strahlenden, dunklen Augen auf uns zu gekommen. Vins und er hatten sich umarmt, wie ich wohl Nathalie umarmen würde, wenn sie nicht so eine Hexe wäre. Danach hatte Vins mit dem Kopf in meine Richtung geruckt und nur sehr schlicht „Oscar“ gemeint. Zwar hatte ich keine Ahnung gehabt wer Josh war, doch Josh schien sehr genau zu wissen wer ich war. Er zog kurz die Brauen hoch und sah Vins an, der entschieden unbeeindruckt zurücksah und dann hatte er mir mit einem breiten Grinsen die Hand hingehalten und mich dann in eine kumpelhafte Umarmung gezogen. Ich hatte kurz das Gefühl gerade zum Ehrenbürger ernannt worden zu sein. Von was? Keine Ahnung, aber Josch schien zu wissen, war er tat. Währenddessen hatte er außerdem die ganze Zeit geredet. Also nicht unangenehm, wie das manchmal so war, von Leuten, die einen zu texteten und nur Gülle rauskam. Nein, Josh hätte mir ohne Probleme 20 Bände Wirtschaftssteuerrecht vorlesen können und ich hätte noch fasziniert zu gehört. Seine Stimme war recht hoch, aber klangvoll, sowie melodisch und er hatte einen ganz leichten Akzent, der ihm etwas unverschämt Markantes gab, ich aber einfach nicht zugeordnet bekam. Er hatte mir seinen Namen genannt, dass er gleich Feierabend habe, dass er Vins in letzter Zeit sehr wenig zu Gesicht bekommen hätte und das ich aussehe, als würde ich ein Stück Apfelkuchen vertragen können. Das wollte ich erst verneinen, dann sah ich sein Lächeln und ich nickte nur noch ergeben. Der Apfelkuchen war tatsächlich ziemlich gut. „Und das ist also Oscar!“, kam Josh nun ebenfalls mit einer Tasse Kaffee zu uns rüber und rutschte neben Vins auf die Sitzbank mir gegenüber. Das dunkelgraue Kunstleder der gut 15 Sitzbänke schälte sich gemächlich vom Polster und wirkte wie eine sich nicht sehr gesund häutende Schlange. „Jup.“, nuschelte ich plötzlich nervös in den letzten Rest Kuchen. „Du bist der beste Freund von Vins Freundin, die viel zu hübsch für ihn ist?“, explizierte Josh seine Frage und ich nickte. Ich wusste hundertprozentig, dass Josh und Kim noch keine Bekanntschaft miteinander gemacht hatten. „Jup. Kim und ich sind seit Ewigkeiten beste Freunde!“ „Da hast du eindeutig eine sehr viel hübschere Wahl als ich getroffen...“, seufzte Josh, nahm einen großen Schluck Kaffee und klopfte Vins gleichzeitig wohlwollend auf den Oberschenkel. Ich gluckste verhalten. „Du bist genauso hässlich, wie nicht witzig!“, war Vins Erwiderung, die so aalglatt kam, dass ich ein Lachen nicht unterdrücken konnte. „Ich weiß, ich bin dein Typ!“, seufzte Josh, „Du musst das nicht jedes Mal erwähnen, aber wir sind schon so lange Freunde… Ich will das einfach nicht riskieren! Dafür bist du mir zu wichtig!“ Pathetisch schlang er nun die Arme um Vins, der belustigt und gespielt angewidert das Gesicht verzog. „Könntest du dich bitte nicht völlig lächerlich benehmen?“, fragte Vins und Josh seufzte und richtete sich auf. „Er tut immer so hart…“, setzte Josh an. „Aber eigentlich ist er ein Weichkeks!“, beendete ich den Satz, „Ja, das hatten wir heute schon mal!“ Ich nickte wissend und versuchte die Gabel auf meinem Kuchenteller parallel zur Tischkante zu legen. Es war verwirrend zu sehen, wie selbstverständlich Josh Vins anfasste. Natürlich machte es jetzt Sinn, dass Vins so körperlich war… Sein bester Freund ließ nicht die Finger von ihm, wahrscheinlich war Vins der Meinung, so war das eben zwischen Freunden. Ein unangenehmer Kloß setzte sich in meinem Hals fest, unsicher schluckte ich ihn hinunter. Er schmeckte nach Eifersucht. „Weichkeks?“, Josh sah mich an, als hätte ich ihm den Osterhasen persönlich geschenkt. Vins seinerseits sah mich eindeutig verärgert an, ich grinste nur milde zurück und griff nach seinem Kaffee um den bitteren Nachgeschmack, den ich im Mund hatte, runter zu spülen. Er ließ mich ohne weiteres einen Schluck aus seiner Tasse nehmen. „Weichkeks! Das ist so passend, dass es wehtut! Warum ich da selber noch nicht draufgekommen bin!“ „Danke, Spinnenbein!“, knurrte Vins, als er mir seine Tasse wieder abnahm. Ich verzog das Gesicht, doch Josh schien lieber schlechte Wortspiele zu Gebäck vom Besten zu geben und ignorierte den fürchterlichen Spitznamen, den Vins mir gegeben hatte. Irgendwie wollte ich auch nicht, dass ihn jemand anders als Vins benutzte. Das war unser Ding, also… Mit langen kalten Fingern, angelte sich die Eifersucht wieder einen Weg nach oben. Josh fragte Vins nun, wo dieser seine Schokostreusel versteckte und als Vins das, warum auch immer, nicht witzig fand, meinte Josh zu ihm, er solle nicht so ein Sauerteig sein. Vins seufzte so genervt und gleichzeitig so nachsichtig, dass ich grinsen musste und mich gleichzeitig am liebsten zwischen die beiden gesetzt hätte. Josh kannte Vins verflucht gut und sie waren verdammt vertraut miteinander. Das war nicht diese krampfige um einander schlängeln, wie es zwischen uns beiden war. Warum musste es bei uns so anders sein, fragte ich mich bitter. Kannte jedoch die Antwort: Weil ich, Scheiße noch mal, scharf auf Vins war! Natürlich warum auch sonst? So ein Fick! Und natürlich war ich nicht Josh. Wie sollte Vins Josh nicht als besten Freund wollen… Und natürlich war auch Vins einfach… Ich hustete verhalten und mein Innerstes flatterte kläglich. Vins war wundervoll. So schlicht, so Nervenzusammenbruch. Nach unzähligen schlechten Witzen von Josh leerten er und Vins ihre Tassen. „So. Dann lass uns zum Rest der Bande!“, wackelte Josh frech mit den Augenbrauen und sah mich auffordernd an. Fragend sah ich zu Vins, der nur grinste und mit den Schultern zuckte. „Mit gehangen, mit gefangen!“ Josh musst noch einmal hinter die Theke und seine Sachen holen. Vins meinte indes, dass er kurz austreten gehen würde. Ich nickte und sah mich nun alleine neugierig um. Ich musterte die zwei völlig eingestaubten Ventilatoren an der Decke, besah mir die kleinen, und nicht sonderlich guten, schwarzweiß Fotografien von irgendwelchen Gebäuden an den Wänden an und versuchte dann zu erraten, welche Farbe die grauen Fließen am Boden mal ursprünglich gehabt hatten. Trotz meines völlig Dämlichen und, Gott sei Dank, stummen Eifersuchtsdramas zwischen mir und meiner persönlichen Unzulänglichkeit musste ich noch immer daran denken, dass Vins und Miguel sich hier angeblich kennengelernt hatten. Wie war es wohl dazu gekommen? Hatten sie sich vorher in der Schule gekannt und hier richtig Kontakt geknüpft? Hatte Josh Miguel auch gekannt? Wahrscheinlich. Hatten sie wie wir eben zu dritt an dem Tisch bei der Theke gesessen? Miguel und Josh hätten sich bestimmt auf Knopfdruck gut verstanden. Miguel war von einem ähnlichen Schlag wie Josh gewesen. Er war jemand, dem man sehr schwer nicht mögen konnte, wenn er auch nicht ganz so extrovertiert gewesen war. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, egal was ich Miguel erzählte, er verstand es und niemals hätte er es weitererzählt. Ein anderes, kaltes Gefühl kroch nun in meine Brust, ich schüttelte es entschieden ab und versuchte mich aufs wesentliche zu konzentrieren. Was hatte Miguel hier gemacht? Hatte ihm der Apfelkuchen auch geschmeckt? Oder hatte er hier vielleicht gejobbt? Angestrengt versuchte ich mich, an unsere letzte Unterhaltung zu erinnern. Es war ein Freitag gewesen, der letzte Freitag, an dem ich ihn gesehen hatte… Wir hatten übers Wochenende geredet, dass ich einen Wettkampf hätte. Er müsse Arbeiten, hatte er gemeint, sonst hätte er vielleicht bei meinem Wettkampf vorbeigesehen. Hatte er hier gearbeitet? Und wäre er wirklich vorbeigekommen, wenn er keine Schicht gehabt hätte? So viel hätte, würde könnte… Warum war "Vielleicht" nur so deprimierend? „Alles in Ordnung?“, fragte Josh und zerrte mich aus meinen düsteren Gedanken. „Was... Oh ja! Ich war nur…“, stotterte ich überrumpelt. „In Gedanken?“, half Josh nach und ich nickte seufzend. Sein Lächeln war einladend und nicht aufdringlich. Obwohl ich auf seine und Vins Vertrautheit eifersüchtig war, fand ich ihn sympathisch- Was sehr doof war… Irgendwie! Er hatte jetzt einen kleinen Rucksack dabei und trug ein rotes Halstuch, dass ihn in Kombination mit seinem schwarzen Pulli und der schwarzen Mütze wie einen Freiheitskämpfer aussehen ließ. „Vins ist schnell pinkeln!“, informierte ich ihn nun. „Er immer mit seiner nervösen Blase!“, theatralisch verdrehte Josh die Augen. „Was?“, lachte ich. „Ja, ist dir das noch nicht aufgefallen?“, meinte der anderen und suchte geschäftig in seiner Tasche wohl nach seinem Handy, „‘Ne Blase wie ‘ne Konfirmandin!“, unbeeindruckte wischte er, als er sein iPhone gefunden hatte, eine Nachricht vom Display und fügte dann hinzu, „Und genauso wenig Arsch in der Hose!“ „Ich find, das ist genug Arsch!“, sagte ich ohne nachzudenken und erstarrte erschrocken. Man fühlte sich eindeutig zu schnell zu wohl mit Josh, doch er grinste mich einen kurzen Moment viel zu wissend an und meinte dann diplomatisch: „Prinzipiell steh ich ja auf Arsch. Auf viel Arsch!“ „Wer hat, der kann…“, meinte ich dazu und versucht meinen Ausrutscher noch immer zu verarbeiten. „Das wohl wahr!“, lachte Josh. Unsicher sah ich ihn an, er lächelte diesmal eindeutig erwartend. „Kann…“, ich räusperte mich, „Kann ich dich mal was fragen?“ „Willst du die Frage schnell stellen, und ‘ne schnelle Antwort, bevor Vins wieder hier ist?“, fragte Josh mit einem belustigten Funkeln in die Augen zurück, aber auch verschwörerisch leise. Ertappt verzog ich das Gesicht, fragte jedoch trotzdem: „Kanntest du einen Miguel Vidal?“ Einen kurzen Augenblick schien Joshs lächelnde Fassade einen Riss zu bekommen. Mit einem nervösen Zucken sah er genau wie ich kurz zu den Toilettentüren, Vins war noch nicht zu sehen. „Miguel…“, seufzte er nun wieder ganz der Alte, „Ja, den kannte ich. Traurige Sache.“ „Woher kanntest du ihn?“, hastig sprach ich weiter. „Miguel und ich waren Kollegen. Er hat ihr gejobbt, hatte ein gutes halbes Jahr nach mir angefangen.“, führte Josh immer noch im Plauderton aus, doch sah er erneut prüfend zu den Toilettentüren. „Also kanntest du ihn gut?“, hackte ich nach. „Das würde ich nun nicht sagen!“, wiegelte er ab, „Er war ein netter Typ und hat so ein Ende nicht verdient… Aber wir haben jetzt nicht gegenseitig in unsere Poesiealben geschrieben!“ Trotz des Scherzes war Joshs Miene etwas betreten. „Und Vins?“, fragte ich nun das, was mich eigentlich interessierte, „Sie kannten sich auch? Von hier?“ „Du warst mit Miguel befreundet.“, stellte Josh unerwartet fest. „Ja, also… Wir waren Nachbarn, und früher mal… Also- Sie kannten sich?“, stotterte ich mir eine Antwort zurecht. „Okay, hör zu Kleiner!“, das Lächeln in Joshs Augen verschwand und wich einer Ernsthaftigkeit, die mich fast ängstigte, „Für gewöhnlich bin ich der Meinung, man soll immer mit der Person direkt sprechen, über die man was wissen will! Ich bin nämlich nicht Auskunft!“, er lehnte sich ein Stück weiter zu mir vor und sprach nun leiser, „Aber du scheinst ein netter Typ sein. Und Vins mag dich offensichtlich. Also… Wenn du willst, dass das so bleibt, solltest du dieses Thema wirklich nicht vor Vins anschneiden…“ Joshs Ton bekam etwas Entschiedenes und Endgültiges zu gleich. „Warum?“, fragte ich sofort, mein Herz schlug mir bis zum Hals. „Es gibt Fragen, die beantwortet man nicht! Oder eher ich!“, wiegelte Josh ab. „Warum…“, fragte ich sofort weiter, erntete aber nur ein nichtssagendes Lächeln, „Also…?“ Ich konnte das so nicht so stehen lassen: „Also waren Vins und er befreundet?“ Sichtlich unentschlossen zog Josh die hochgeschobenen Ärmel seines Pullis wieder nach unten. Erst jetzt fiel mir auf, dass er auf seinem linken Unterarm eine große Narbe hatte. Sie sah aus wie ein Bissbadruck, doch bevor ich sie richtig identifizieren konnte, hatte er den Ärmel darüber geschoben. Schließlich sah er mich direkt an, seine dunklen Augen wirkten ehrlich, aber irgendetwas in der Art, wie er mich ansah, sagte mir, dass er mehr wusste, als er gerade preisgab. „Es gibt ‘nen guten Grund, warum ich diese Frage nicht beantwortet! Und das ist das, was du dir merken solltest! Glaub mir! Es ist besser so! Miguels Tod war ein mieser Schlag des Schicksals und dabei sollte man es auch belassen!“ „Bist du soweit?“, kam Vins von den Toiletten zurück und zog seine Zigarettenschachtel aus den Untiefen seiner Lederjacke hervor. „Wenn du alle Krümel dagelassen hast, wo sie hingehören?“, konterte Josh grinsend, drehte sich zu seinem besten Freund und gab mir damit einen Augenblick um mich wieder zu sammeln. „Kommst du?“, wand sich Vins nun mir zu und ich nickte eilig, kurz fixierten mich seine grünen Augen fragend, doch ich grinste nur schwach und verzettelte Josh in erneutes Gespräch über schlechte Wortspiele. Als wir das Diner verließen, steckte sich Vins eine Kippe an und auch Josh zog eine Schachtel Zigaretten hervor. Ganz selbstverständlich hielt er mir die Schachtel hin. „Er raucht nicht!“, meinte Vins sofort. „Gute Einstellung!“, sagte Josh und zog genüsslich an seiner Kippe, „Ich hab auch nur angefangen, um mein Wachstum zu stoppen! Ich wäre sonst bestimmt…“ „Wenigstens ein Meter Sechzig groß geworden?“, schlug Vins vor und erntete einen erhaben Blick von Josh. Ich schob die Hände tief in die Taschen meiner Schuljacke und blickte nach oben, der Himmel verdunkelte sich immer mehr. Es sah nach Regen aus, doch auch meine Gedanken verdunkelten sich. Was hatte Josh damit gemeint, dass man manchen Fragen nicht beantwortete? Warum sollte ich vor Vins nicht über Miguel reden? Wie gut hatten sie sich wirklich gekannt? Was war passiert, über das Vins nicht sprechen wollte? Und warum wusste Josh davon? Wusste Josh alles, oder hatte Vins zu ihm nur gemeint, er will nicht drüber reden? Nein, Josh wusste, was da abgegangen war… Nur was war es? Langsam liefen wir über den Parkplatz. Josh tratschte irgendwas über einen ehemaligen Lehrer, den er und Vins an der Carter gehabt hatten. „Erzähl mir nicht, dass das jetzt deine Karre ist!“, anerkennend zog Josh pfeifend die Luft zwischen den Zähnen ein, als wir vor meinem Schätzchen standen, „Wem hast du die den geklaut?“ „Das ist meine Karre!“, sagte ich entschieden stolz und Vins hüstelte belustigt über Joshs völlig erstaunte Miene. „Deine?“ „Ein Impala 67- Vollständig und original restauriert!“, immer noch selbst ganz hingerissen fuhr ich über den perfekten schwarzen Lack der Karosserie. Wenigstens mein Schätzchen schaffte es, dass ich ein echtes Lächeln ins Gesicht bekam. Josh pfiff beeindruckt. „Ich hab ihn teilweise selbst mitrestauriert. Aber den Feinschliff verdanke ich Vins!“ „Also hast du mich nicht verarscht, als du meintest, du bist in einer Werkstatt?“, Josh sah seinen besten Freund an, als hätte er sich spontan wirklich in einen Keks verwandelt. „Ja, ich bin nicht im Geringsten so unbegabt, wie du immer tust!“, Vins ging nun zur Fahrerseite und schloss auf. „Ich halte dich nicht für unbegabt!“, sagte nun Josh und schüttelte immer noch schockiert den Kopf, „Ich halte dich für völlig unfähig, den dreieckigen Baustein ins dreieckige Loch zu stecken!“ Ich tarnte ein gehässiges Lachen mit einem Husten und öffnete die Beifahrertür. „Warte!“, eindeutig immer noch verwirrte mit der Situation hob Josh die Hände, „Wenn das dein Auto ist, warum fährt dann das Knack- und Back- Männchen?“ Ich lachte anstatt zu Antworten. Vins ignorierte Josh und stieg schlicht ein. „Weichkeks ist überbesorgt, deshalb!“, sagte ich schließlich, als Josh mich immer noch verständnislos ansah, meinte ich weiter, „Ich hab mir bei ‘nem Wettkampf das Knie verrenkt und Vins meint, ich soll mich schonen…“ „Hm“, war Joshs Antwort darauf und seine Mundwinkel zuckten anscheinend ziemlich belustigt. Wir stiegen nun auch ein und Josh nahm hinter mir Platz. Während ich mich anschnallte, legte Vins den Rückwärtsgang ein und parkte aus. „Ich finde es ziemlich mutig, dass du ihn fahren lässt!“, sagte nun Josh und hielt sich übertrieben ängstlich am Panikgriff hinten fest. „Er fährt wie ‘ne alte Frau!“ „Wenigstens sehe ich nicht wie eine aus!“, sagte Vins lässig und fädelte sich ohne Probleme in den Feierabendverkehr ein, als er vom Parkplatz fuhr. „Wirklich Oscar, es gibt viele gute Gründe, warum Vins kein Auto hat! Glaub mir, sehr viele Leute haben einstimmig darüber abgestimmt, dass es so das Beste ist… für alle!“ „Ich hab wenigstens ‘nen Führerschein…“, meinte Vins wieder völlig unbeeindruckt. Ich verstand überhaupt nicht, was Josh meinte. Vins fuhr sehr gut und auch ziemlich lässig, was ihn sogar noch attraktiver erscheinen ließ. Leider. Verdammt. „Ich fahr trotzdem besser als du!“, sagte Josh entschieden. „Ich will jetzt nicht klein kariert sein, aber gibt’s ‘nen Grund warum du keinen Führerschein hast?“, mischte ich mich nun ein und Vins schenkte mir sein schmales Lächeln, während er immer weiter Richtung Innenstadt fuhr. „Ich bin ein Opfer der Justiz!“, erklärte Josh sehr sachlich und Vins schnaubte verächtlich: „Du bist ‘nem Bullen besoffen hinten reingefahren!“ „Das ist deine Wahrheit!“, tat Josh noch immer erhaben und ich sah Vins ungläubig an, der mal wieder mit den Schultern zuckte. „Und was ist deine Wahrheit? Die Wodkaflasche ist in dich reingefallen und dann hat der Cop sich mit Absicht in den Weg gestellt?“, fragte ich schnaubend. „Weißt du, so wie du das sagst, klingt das echt negativ…“, überlegte Josh nun und Vins lachte. „Ich weiß wirklich nicht, wie man das positiv formulieren sollte!“, verdrehte ich die Augen, das konnte doch nicht der Ernst von den beiden sein? „Dann musst du dich mehr anstrengen!“, sagte Josh. „Da ich dir definitiv nicht an die Wäsche will, spar ich mir die Mühe garantiert!“, entschieden verschränkte ich die Arme vor der Brust und Vins brach in schallendes Gelächter aus. „Tja, nicht jeder steht auf Bart!“, gluckste Vins und bog nun von der Hauptstraße ab in eine verlassene Seitenstraße. „Das ist gelogen und das weißt du!“, pikiert sah Josh aus dem Fenster und meinte dann, „Am besten parkst du hier. Bee wird dann ein Auge auf den Schinder haben!“ Unsicher sah ich mich um, wir waren in einem der unschöneren Gebiete der City. Keine Gegend, in die ich alleine gehen würde, Dad schob hier ab und an eine Schicht. Zweimal hatte man hier bereits auf ihn geschossen. Jedes Mal hatte er Glück im Unglück gehabt, nichtsdestotrotz machte mich das nervös. „Achso Oscar. Deine Jacke ist zwar echt cool, aber ich würde sie im Auto lassen!“, riet mir Josh mit einem Augenzwinkern, meinte das aber auf jeden Fall ernst und stieg dann aus. „Ja, vielleicht ist das besser!“, meinte nun auch Vins und ich nickte verwirrt. „Mein Schätzchen ist hier wirklich sicher, oder?“, ungelenk schälte ich mich aus meiner Schuljacke. Ich trug darunter nur ein hellgraues Shirt. „Ja, Bee passt auf.“, Vins schien überzeugt. „Bee?“, fragte ich den anderen als er Ausstieg und beeilte mich auch aus dem Wagen zu kommen. „Bee!“, bestätigte Vins und zeigte auf den Wohnblock gegenüber. Eine eindeutig sehr tattrige Oma mit Dutt und in geblümter Bluse lehnte sich aus einem der schmalen Fenster im zweiten Stock. Angeregt unterhielt sie sich mit Josh, der sich eine Kippe ansteckte. „Das ist ihre Straße, hier klaut niemand etwas, dass sie nicht freigegeben hat!“, erklärte Vins weiter. Ungläubig sah ich ihn an, während ich an den kurzen Ärmeln meines Shirts zog. Ich hätte mir einen Pulli mitnehmen sollen. Es war nicht kalt, aber ich kam mir irgendwie ungeschützt, entblößt vor. „Du machst Witze!“, überquerte ich mit Vins nun zusammen die Straße, „Ist sie die Oma des Paten?“ „Nein!“, er lachte, „Naja, fast. Bee hat hier auf jeden Fall das sagen!“ „Also Granny, es wird spät heute!“, verabschiedete sich Josh nun und zeigte dann kurz auf mich. „Das ist der Neue, pass gut auf sein Auto auf! Er ist ein ganz Lieber!“ Die alte Frau nickte mir zu als ich schüchtern die Hand hob. Sie hatte blutrot lackierte Fingernägel und tausend kleine Falten um ihre Rosinen großen Augen. „Ich stell dir deinen Teller warm!“, lispelte sie durch eine gewaltige Zahnlücke. „Bist die Beste!“, warf Josh seiner Großmutter einen Luftkuss zu und lief die Straße hoch, mit übertrieben beschwingter Manier ging er jetzt an sein klingelndes Handy. Vins und ich folgten ihm mit einem kleinen Abstand. „Ist Josh wirklich betrunken gefahren?“, fragte ich Vins schließlich leise. „Er hatte zwei, drei Bier und plötzlich ging der Bulle vor ihm voll auf die Eisen und Josh schaffte es nicht mehr zu bremsen. Der Bulle roch das Bier und Josh war Schuld…“, Vins reichte mir meine Autoschlüssel. „Also hat er die Wahrheit gesagt, als er meinte er ist ein Opfer der Justiz?“, ich steckte den Schlüssel in die Hosentasche. „Jo, lügen ist sowieso nicht so Joshs Ding!“, blieb Vins nun plötzlich stehen und sah mich unsicher an, während er sich die Haare zerwühlte, „Josh ist nicht verkehrt!“ Ich nickte. „Genau wie die anderen, die du jetzt kennenlernst, wenn du willst… Manchmal sind sie etwas… Gewöhnungsbedürftig!“, wiegelte Vins ab. „Ganz anders als du, was?“, scherzte ich, wusste aber nicht auf was er hinauswollte. Joshs Warnung mit Vins nicht über Miguel zureden fiel mir wieder ein. Was wusste ich wirklich über ihn? „Wenn’s dir zu dumm wird, kannst du jederzeit los!“, fuhr Vins entschieden fort und schaffte es nicht mir in die Augen zu sehen. „Du meine Güte! Ich bin mit Nathalie aufgewachsen, ich bin also elend gewohnt!“, scherzte ich erneut, nun jedoch selbstbewusster, zog jedoch erneut etwas unbeholfen mein Shirt zurecht. Ich würde mich nicht so leicht einschüchtern lassen. Vins lächelte sein schmales Lächeln und schlüpfte unerwartet aus seiner Lederjacke. „Hier!“, er reichte sie mir, überrumpelt hielt ich sie fest. „Du kannst sie ruhig überziehen…“ Fast mechanisch schlüpfte ich in seine Jacke. Sie war warm und schwer und mir eindeutig ein gutes Stück zu groß. „Steht dir!“, meinte Vins und sah dann die Straße lang hoch zu Josh, der an der Ecke auf uns wartete und noch immer am Telefonieren war. Tief atmete ich ein, ich konnte nicht anders. Vins vertrauter Geruch lullte mich vollständig ein. Vins Augen brannten sich in meine, wie so oft zu vor, meine momentan sowieso sehr unzuverlässigen Knie wurden weich. „Es macht mich nervös, dass du hier bist…“, gestand er schließlich völlig unerwartet, ganz leise. „Ich weiß nicht, ob das ‘ne gute Idee ist…. Ob du…“, er brach ab und fluchte. „Ich renn nicht gleich weg, nur weil deine Freunde vielleicht doof sind.“, sagte ich genauso leise. „Momentan ist wegrennen für dich auch nicht sonderlich leicht!“, war er es jetzt der scherzte, wieder sah er nach vorne zu Josh, der uns seinerseits neugierig ansah, sein Telefonat hatte er beendet. „Na los Weichkeks!“, sagte ich und ging entschieden auf Josh zu, „Ich will wissen, was deinen anderen Freunden für schlechte Witz zu dir einfallen!“ Lachend folgte er mir und legte schließlich seinen Arm um mich, bevor er mir wie sooft zuvor durch die Haare fuhr. In seiner Jack fühlte ich mich sicher und für diesen kurzen Augenblick war es mir egal, dass diese Sicherheit vielleicht nur eine Lüge war. 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