By Chance von MissImpression ================================================================================ Kapitel 1: ----------- KAPITEL 1   [ Februar 2018, New York City ]   „Ich kann es nicht fassen, dass du mich zu einem Blind Date überreden konntest“, sage ich kopfschüttelnd, während wir aus dem Taxi steigen. Eiskalte Februarluft schlägt mir entgegen, sodass ich an den Beinen, die nur in dünnen Nylonstrümpfen stecken, sofort zu frieren beginne. Ich wusste, dass es eine ganz blöde Idee sein würde, mich auf die Wärme der Taxis und die kurzen Wege zu verlassen. April grinst mich an und wirft sich ihre blonden Korkenzieherlocken, die unter der altrosafarbenen Mütze hervorschauen, über die Schulter. „Es wird aber auch mal Zeit, dass du wieder einen Mann kennenlernst.“ Ich rolle mit den Augen. Meine beste Freundin findet es offenkundig schlimmer als ich, dass ich seit zwei Jahren ohne festen Partner lebe. Sie meint, meine biologische Uhr bereits ticken zu hören. Mit 26 – ha, ha. Nur weil sie schon vor drei Jahren ein Kind in die Welt gesetzt hat. Ich seufze und streiche meinen langen Mantel glatt. „Außerdem muss man es ausnutzen, dass du wieder mal in der Stadt bist und unser Babysitter Zeit hat“, flötet sie fröhlich und hakt sich bei mir unter, als wir auf den Eingang des Steak-Restaurants zusteuern, in dem wir uns mit ihrem Ehemann Simon und seinem Arbeitskollegen – meinem Blind Date – treffen wollen. Mir wird etwas mulmig zu Mute. „Du weißt, dass es peinlich wird, wenn sich herausstellt, dass wir so gar nicht kompatibel sind?“, frage ich und bleibe direkt vor der Eingangstür stehen. Von außen hat man durch die komplett verglaste Fassade einen perfekten Blick auf die vollbesetzten Tischgrüppchen. Doch Simon und seine Begleitung habe ich auf die Schnelle noch nicht sehen können. April dreht sich zu mir um. „Entspann dich, Layken. Es ist ein ungezwungener Abend. Wir essen zusammen, trinken ein bisschen Wein, reden … Was sich daraus ergibt, werden wir ja sehen.“ Sie macht eine Pause und ihr Grinsen wird plötzlich breiter. „Außerdem habe ich bereits ein Foto deines potentiell zukünftigen Mannes gesehen. Und ich kann dir versprechen: Er passt perfekt in dein Beuteschema. Eure Kinder werden großartig aussehen!“ Sie gibt einen lauten Quietschton von sich und klatscht freudig in die Hände, bevor sie sich umdreht und nach der Türklinke greift. Ich kneife die Augen zusammen und lege mir Daumen und Zeigefinger meiner rechten Hand an die Nasenwurzel. Aprils Euphorie ist beunruhigend und das blöde Gefühl, dass heute irgendetwas furchtbar, furchtbar peinlich wird, verstärkt sich, als ich ihr ins Restaurant folge. Im Inneren ist es angenehm warm, weshalb ich mir bereits auf dem Weg zum reservierten Tisch, den wir von einer nett lächelnden Servicekraft gezeigt bekommen, meinen Schal vom Hals ziehe. Der Laden ist wirklich gut besucht, sodass mir unser Ziel – der einzige leere Tisch im recht großen Raum, ganz in der Nähe des Eingangs – sofort ins Auge springt. „Oh, Simon und Nolan verspäten sich wohl“, stellt April fest und legt ihre Handtasche auf einen der freien Stühle. Ich horche bei dem Namen auf, denn das ist die erste persönliche Info, die ich über meinen ominösen potentiell zukünftigen Mann erfahre. In meinem Nacken kribbelt es unangenehm. „Bei dem Schneechaos draußen kein Wunder“, werfe ich ein. Wir bringen unsere Mäntel zur Garderobe und setzen uns nebeneinander an den Tisch. Zwei weiße Kerzen, die von kleinen Tannenzweigen umrahmt werden, bilden die einzige Deko auf der beigefarbenen Tischdecke – schlicht, aber elegant. Ein Kellner kommt und wir bestellen eine Flasche Mineralwasser. April holt ihren kleinen Taschenspiegel heraus und malt sich die Lippen nach, während ich nach der Speisekarte greife und schon mal einen Blick hinein riskiere. Das Restaurant ist recht nobel und das spiegelt sich auch in den Preisen wider. „Wie ist dein Hotel eigentlich so?“, fragt April und klappt den Spiegel zu. „Bin zufrieden, war ein guter Tipp von dir. Danke nochmal.“ Ich blättere zum Ende und studiere die Dessertkarte. April lacht und ich schaue fragend auf. „Entscheidest du immer noch anhand der Nachspeise über deinen Hauptgang? Ich dachte, nach dem College hättest du diese Eigenart abgelegt.“ „Ich würde auch immer noch das Dessert als erstes essen, würde es nicht so komisch wirken“, antworte ich grinsend und bringe sie erneut zum Lachen. Mein Blick gleitet im selben Moment zum Eingang, in welchem Simon plötzlich eintritt. Sein dunkler Mantel ist im Schulterbereich weiß und erst jetzt bemerke ich, dass es wieder schneit. Dadurch, dass es hier drin so hell und draußen so dunkel ist, fällt es einem durch die spiegelnde Fensterfront nicht sofort auf. Ich bin bereits dabei, meine Hand zu heben und Simon zuzuwinken, als ich in der Bewegung stocke. Hinter ihm betritt eine weitere Person das Restaurant, die dunklen Haare voller Schneeflocken. Und mein Herz schlägt plötzlich schneller, als ich die entfernt vertrauten Gesichtszüge erkenne. Auch April hat die beiden bereits entdeckt und ist aufgestanden, um auf sich aufmerksam zu machen. „Wie heißt Simons Kollege nochmal?“, frage ich leise und starre immer noch wie hypnotisiert zu den beiden Männern, die zielstrebig auf unseren Tisch zugehen. „Nolan“, antwortet meine beste Freundin. „Sein Nachname war irgendwas mit Ben oder so.“ Mein Herz verkrampft sich schmerzhaft, als die Erinnerung mich überschwemmt. Nolan Bennett. Ich habe mich geirrt. Der Abend wird nicht peinlich … Er wird desaströs.     [ Oktober 2008, Houston ]   SCHLAMPE steht in roter Schrift quer über meinen Spind geschrieben. Ich stehe wie versteinert davor und mir weicht jegliche Farbe aus dem Gesicht. Das Getuschel um mich herum ist ohrenbetäubend laut und ich trete einen Schritt zurück. Ein zertrampelter Lippenstift liegt auf dem Boden und die grelle Farbe leuchtet mir mit Hohn entgegen, als mir klar wird, dass es genau der ist, den ich gestern meiner besten Freundin Lacey ausgeliehen habe. Ein schmerzhafter Kloß bildet sich in meiner Kehle. Ich drehe mich um und erstarre erneut, als ich die Schüler sehe, die sich gaffend um den Schauplatz versammelt haben. Mir wird heiß und kalt zugleich. SCHLAMPE. Ich schlucke die Panik hinunter, die meine Wirbelsäule hinaufkriecht und sich schmerzhaft in meinem Nacken verbeißt. „Was ist denn hier los?“, schallt es laut durch den Gang, als Mrs. Rutherford, unsere bullige Biologie-Lehrerin, angestampft kommt und neben mir stehen bleibt. Sie schaut an mir vorbei und ihr Ausdruck wird hart. „Ist das Ihr Spind, Miss Wright?“, fragt sie mich und ich senke den Blick, während ich flüsternd bejahe. Das Atmen fällt mir schwer und meine Augenwinkel brennen, doch ich weigere mich, jetzt vor all meinen Mitschülern zu heulen. Ein letztes bisschen Würde möchte ich noch behalten. „Folgen Sie mir bitte zum Direktor“, sagt Mrs. Rutherford streng und ich zucke zusammen, als sie ihre Stimme erhebt: „Und alle anderen begeben sich jetzt bitte in ihre Klassenräume.“ Auf wackeligen Beinen gehe ich ihr, an meinen weiterhin glotzenden Mitschülern vorbei, nach und starre dabei stur auf den Boden. Meine Selbstbeherrschung ist nahezu ausgeschöpft und der Kloß im Hals wächst mit jedem Schritt. Wir biegen in den Gang zu den Treppen, als mich eine warme Hand plötzlich am Oberarm packt und dazu zwingt, stehen zu bleiben. „Layken“, höre ich eine vertraute Stimme an meinem Ohr und eisige Kälte packt mich. Nicht er, nicht jetzt … „Was ist passiert?“ Ich reiße mich los und starre ihn entgeistert an. „Ich habe dich darum gebeten, es für dich zu behalten“, sage ich laut und mit schmerzender Brust. Er öffnet seinen Mund, doch kein Ton kommt heraus. Sein Blick brennt ein Loch in mein Herz, sodass ich gezwungen bin, mich von ihm wegzudrehen, bevor ich die nächsten Worte ausspreche: „Lass mich in Ruhe, Nolan. Ich bin fertig mit dir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)