By Chance von MissImpression ================================================================================ Kapitel 3: ----------- KAPITEL 3   [ Oktober 2008, Houston ]   Auf den Rängen erschallt ein ohrenbetäubendes Getöse, als unsere Heimmannschaft, die Bulls, das letzte Spiel der Saison gewinnt. Lachend fallen sich die ganzen Football-Spieler und die sogleich mitmischenden Cheerleaderinnen gegenseitig in die Arme und feiern den wohlverdienten Sieg. Ich stehe ganz unten bei der Haupttribüne und stimme in das freudige Lachen mit ein, während sich die Anführerin der Tanztruppe vom Captain des Teams durch die Lüfte schwingen lässt. Der Weg zu den Umkleiden ist chaotisch, sodass ich meine beste Freundin Lacey erst vor dem Eingang zu den Kabinen antreffe. Ihre Wangen sind rot und die Augen strahlen vor Freude. „Hast du gesehen, wie Nolan mich durch die Luft gewirbelt hat?“, fragt sie aufgeregt. „Heute findet zur Feier des Tages eine Party bei den Ghores statt.“ Sie packt meine Schultern und schaut mich eindringlich an. „Ich denke, das wird meine Chance, ihn mir endlich zu angeln!“   Eine Dreiviertelstunde später kommt Lacey endlich frisch geduscht und gestylt mit einer Traube weiterer Mädels aus den Umkleideräumen. Von unserer Clique bin ich die einzige, die keine Cheerleaderin ist, weil ich einfach nicht gelenkig genug bin, doch das macht mir nichts aus, denn dafür bin ich beim Anfeuern noch viel enthusiastischer dabei. Wir sind schon auf dem halben Weg zu den Autos, um direkt zur Party zu fahren, da bleibt Lacey in der Handtasche wühlend stehen und wirft ihren Kopf in den Nacken. „Oh nein.“ Sie seufzt theatralisch auf. „Ich hab mein Handy in der Umkleide vergessen!“, jammert sie, dreht sich um und bedenkt mich mit einem Hundeblick. „Soll ich es holen?“, frage ich. „Das ist so lieb von dir!“, ruft sie und schlingt ihre grazilen Arme um meinen Nacken. „Macht es dir etwas aus, wenn wir schon mal losfahren? Ich habe den todsicheren Tipp bekommen, dass Nolan schon auf der Party ist.“ Sie kichert mir ins Ohr und ich schüttle den Kopf. „Klar, macht ruhig. Ich bin ja auch mit dem Auto da und komme einfach nach.“ Wir verabschieden uns und ich trete den Rückweg zum Sportcenter an. Es ist still auf den Gängen und ein feiner Geruch nach Duschdampf und Deo liegt in der Luft. Ich betrete gerade den Umkleideraum und zucke sogleich zusammen, weil eine laute Stimme von rechts ruft: „Beeil dich, Bennett, die Mädels warten sicher schon sehnsüchtig.“ Ich luge um die Ecke und sehe einen der Spieler aus den Jungsumkleiden hinausgehen. „Fahrt schon mal ohne mich. Coach Rogers hat mich so lange aufgehalten. Ich komme gleich nach“, kommt es als Antwort aus den Räumen und der Angesprochene gibt ein Handzeichen als Okay, bevor er durch den Ausgang verschwindet. Mein Herz macht einen Hüpfer. Nolan ist noch hier? Sollte er nicht bereits auf der Party sein? Vorsichtig lehne ich mich gegen die Tür und starre an die Decke. Wann bin ich das letzte Mal alleine mit ihm in einem Raum gewesen? Es ist gefühlt eine Ewigkeit her … Und immer war da mindestens eine andere Person mit dabei. Ob wir überhaupt noch so miteinander reden könnten wie früher? Ich schüttle den Gedanken ab. Lieber nichts riskieren, Handy nehmen und abhauen. Ich schaue mich in der Mädchenumkleidekabine um und sehe das kleine Gerät auch sofort auf einer der hinteren Bänke liegen. Eilig stecke ich es ein, verlasse den Raum und laufe den Gang entlang zu den Ausgängen. „Layken!“, kommt es laut von hinten und ich bleibe wie erstarrt stehen. Okay, das Unauffällig-davonschleichen hat ja prima geklappt. Ich drehe mich um und setze ein Lächeln auf – was mir erstaunlich leichtfällt, als ich Nolan auf mich zukommen sehe. Seine Sporttasche geschultert geht er locker auf mich zu und grinst über das ganze Gesicht. „Hast du das Spiel gesehen?“, fragt er erwartungsvoll und bleibt etwa eine Armlänge entfernt vor mir stehen. Seine dunklen Haare sind noch ein wenig nass vom Duschen. Ich nicke und zeige mit dem Daumen nach oben. „Es war echt klasse! Hat richtig Spaß gemacht, euch zuzuschauen. Besonders dein letzter Touchdown.“ Sein Grinsen wird breiter. „Danke.“ Er lässt die Tasche vor sich auf den Boden plumpsen und streckt beide Arme aus. „Hab ich dafür eine Umarmung verdient?“ Ich verschränke die Arme vor der Brust und schaue ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Das ist eine ganz schön große Belohnung, die du da einforderst“, gebe ich scherzhaft zu bedenken und Nolan legt den Kopf schief. Sein bettelnder Blick trifft mich unerwartet. „Bitte? Ich hatte heute noch nicht genug Körperkontakt“, witzelt er. Ich feixe und boxe ihm gegen den harten Bauch. „Du bist ein Quatschkopf.“ Er nutzt den kurzen Moment, packt meinen Arm und zieht mich in eine feste Umarmung. Ich quieke laut lachend auf, wehre mich aber nur halbherzig. Mein Puls schießt in die Höhe. Der Duft nach frisch gewaschener Wäsche, Deo und ein weiterer vertrauter Geruch steigen mir in die Nase und ich atme unwillkürlich tief ein. Es ist lange her … Nolan stützt sein Kinn auf meinem Kopf ab und ich höre ihn fast grinsen, als er sagt: „So ist es gut. Ergib dich deinem Schicksal.“ Ich lache in sein Trikot hinein und erlaube mir für einen Moment, die Wärme zu genießen, die von seinem Körper ausgeht. Dann ist er plötzlich ganz still und wir stehen da, er mit den Armen immer noch um meinen Oberkörper geschlungen. „Ich vermisse unsere gemeinsamen Serien-Marathon-Abende“, gesteht er leise und ich lasse meine Schultern hängen. Die Zeit rast, ich erinnere mich gerne daran zurück, denn das war, bevor Nolan ins Football-Team aufgenommen wurde. Seitdem sehen wir uns nur noch in der Schule – und das obwohl sich unsere Freundeskreise überschneiden. Kaum zu glauben, dass wir mal wirklich eng befreundet waren. „Training geht vor“, nuschle ich und schiebe ihn von mir weg. Er lässt mich los und die plötzliche Kühle beschert mir eine Gänsehaut. Seine blauen Augen liegen auf mir und ich habe das Gefühl, dass eine gewisse Spannung zwischen uns in der Luft hängt. Nolan öffnet den Mund und ich kann meinen Blick nicht von seinen Lippen losreißen. Ich schlucke das Bedürfnis hinunter, mich wieder an seinen harten Körper zu pressen, und mache einen Schritt rückwärts. „Sehen wir uns gleich auf der Party?“, fragt er und steckt sich die Hände in die Hosentaschen. Ich nicke. „Wollen wir zusammen fahren? Soll ich dich mitnehmen?“ Ich bilde mir ein, einen hoffnungsvollen Unterton in seiner Stimme herauszuhören, was in meinem Bauch dieses blöde Kribbeln auslöst, das ich vor einem Jahr eigentlich zu überwinden geglaubt habe. Damals, als ich fehlplatzierte Gefühle für ihn entwickelte, er diese aber offensichtlich nicht erwiderte. Ich beiße mir auf die Lippe. „Danke für das Angebot, aber ich bin selbst mit dem Auto hier.“ „Alles klar.“ Grinsend greift er nach seiner Sporttasche und wirft sie sich über, ehe er nach vorne tritt und mich mit einer Hand an meiner Schulter zum Umdrehen auffordert. „Dann wollen wir der Partygesellschaft mal so richtig einheizen.“   Das Einheizen ist nicht nötig, wie man feststellen darf, denn das moderne, schicke Wohnhaus der Familie Ghore am Rande der Stadt scheint zu beben. Den ganzen Abend über läuft laute Musik, der Alkohol fließt in Strömen und man hat das Gefühl, die halbe Schule hat sich hier versammelt. Mike Ghores Eltern sind verreist – wie so ziemlich immer, bis auf ein paar Wochen im Jahr –, was bedeutet, dass keinerlei erwachsene Aufsichtspersonen anwesend sind. Es ist bereits kurz vor Mitternacht, als ich barfuß auf die geräumige Terrasse trete und die frische Luft einatme, die mir im Gebäude so langsam aber sicher gefehlt hat. Lacey habe ich bereits seit einer halben Stunde aus den Augen verloren, wahrscheinlich hat sie sich mit Nolan auf eins der oberen Zimmer verzogen, denn ich habe gehört, dass da noch ein paar „Privatpartys“ im Gange sein sollen. Ein unerwartet heftiger Stich der Eifersucht durchfährt mich bei der Vorstellung, wie meine besten Freundin stöhnend auf dem Typen sitzt, der still und heimlich mein Herz gestohlen hat und es nicht einmal weiß. Eigentlich müsste ich mich für das Bild in meinem Kopf jetzt schämen, denn es ist unanständig und unangemessen, stattdessen widert es mich an – und diese Tatsache verursacht bei mir wiederum ein schlechtes Gewissen. Mein Kopf dreht sich – genau wie der Boden unter mir, wenn ich gehe, denn der Drink, den ich soeben noch in der Hand hatte, ist mein vierter gewesen. Das Auto muss ich wohl bis morgen hier stehen lassen und zu Fuß nach Hause gehen … Ich tapse über die teuren Steinplatten, die hinüber zum angelegten Teich führen, und lasse mich gegen ein kleines, schmales Gerätehaus sinken. Die Ruhe hier draußen tut gut und das kühlere Holz fühlt sich angenehm auf meiner erhitzten Haut an. Ich seufze auf, als eine sanfte Brise über mein Gesicht hinwegtanzt. „Große Menschenmengen sind immer noch nicht so dein Ding, oder?“, kommt es plötzlich aus der Richtung, aus der ich gekommen bin, und ich zucke zusammen. Erleichtert lege ich eine Hand auf meine Brust, als ich Nolan erkenne, der auf mich zukommt, und atme demonstrativ laut ein und aus. „Du hast mich erschreckt.“ „Entschuldige.“ Er bleibt neben mir stehen und lehnt sich ebenfalls gegen das Häuschen. „Ist alles okay bei dir? Du siehst den ganzen Abend schon so verloren aus.“ Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen, als ich ihn anschaue. „Hast du mich beobachtet?“, frage ich direkt und ohne nachzudenken. „Vielleicht ein bisschen.“ Ein Grinsen erscheint auf seinen Zügen und lässt mein Herz kurz stolpern. „Du hast einiges intus.“ Es folgt ein Schulterzucken meinerseits. „Ich kann noch geradeaus gehen und sehe nicht doppelt. Passt schon.“ Ich greife in meine Tasche und hole einen Lolli heraus, den ich im Haus gefunden habe. Etwas umständlich fummle ich die bunte Verpackung ab. „Ich hätte auch Lust auf etwas Süßes“, raunt Nolan plötzlich und schaut abwechselnd auf meinen Mund und den Lollipop, den ich gegen meine Lippen halte. Abermals zucke ich mit den Achseln. „Tja, das ist jetzt blöd. Ich hab nur den einen.“ „Und du bist nicht bereit, zu teilen?“, schlussfolgert er und ich grinse, auch wenn meine Pumpe gerade verreckt. „Das habe ich so nicht gesagt …“ Die kleine, süße Kugel verschwindet in meinem Mund und Nolans Augen leuchten auf. „Aber du musst ihn dir schon holen“, nuschle ich so gar nicht damenhaft. Mit einer geschmeidigen Bewegung drückt er sich von dem Häuschen ab und stellt sich direkt vor mich, seine linke Hand an die Wand neben meinen Kopf gestützt. Meine Haut kribbelt. „Das nehme ich als Einladung“, sagt er leise, greift nach dem Stiel, den ich festhalte, und zieht mir den Lolli sachte aus dem Mund. Mein Kopf folgt automatisch der Bewegung, sodass ich mich nach vorne beuge und Nolans Gesicht sehr nahe komme. Seine Hand umklammert meine, während er innehält und meinen Mund fixiert. Dann, wie in Trance, führt er den Lolli an seine Lippen. „Heißhunger gestillt?“, frage ich leise und bekomme ein Kopfschütteln als Antwort. „Ich brauche etwas Süßeres“, flüstert er, schiebt meine Hand mitsamt Lolli zur Seite und beugt sich vor. Mein Herzschlag setzt aus, als Nolan meinen Mund mit seinem verschließt und sich mit dem ganzen Körper gegen mich drückt. Es ist ein sinnlicher Kuss, sanft und federleicht. Und irgendetwas in meinem Inneren scheint dabei zu explodieren.   +++++   Wie versteinert sitze ich auf meinem Bett und knete meine Hände im Schoß. Vor noch nicht einmal zwei Tagen hat Nolan mich geküsst, einfach so. Es war schön und meine Lippen kribbeln immer noch allein von der Erinnerung an seine, doch ich musste ihm das Versprechen abgewinnen, niemandem davon zu erzählen – denn vorher muss etwas geklärt werden. Und die Person, um die es geht, sitzt gerade in meinem Drehstuhl am Schreibtisch und ist wütend. Sehr wütend – und der Grund dafür bin ich … auch wenn sie es noch nicht weiß. „Ich fasse es nicht.“ Laceys Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse, während sie auf ihrem Handy herumtippt. Soeben hat sie mir ein schlecht beleuchtetes und leicht verschwommenes Foto mit der Bildunterschrift „Erwischt! ;D“ gezeigt, das mir den Schweiß auf die Stirn getrieben hat. Darauf sind zwei Personen abgebildet, im Garten der Ghores, beim Gerätehaus, sich küssend. Und eigentlich erkennt man nicht, wer darauf zu sehen ist – wäre da nicht die verräterische, weiße Zahl auf der Rückseite des Trikots. Nummer 21 … Nolan Bennett. „Wenn ich rauskriege, wer ihm da die Zunge in den Mund schiebt ... ich mach diese Schlampe kalt“, zischt Lacey und ich zucke zusammen. Nervös pule ich an meinem Daumen herum. Eigentlich wollte ich ihr die Wahrheit sagen, doch diese ist mir direkt im Halse steckengeblieben. „Wer hat das Foto eigentlich gemacht?“, frage ich stattdessen vorsichtig nach. „Martha, sie war oben im ersten Stock und dachte, dass ich da unten stehe“, antwortet Lacey mit zusammengebissenen Zähnen und sackt im Stuhl zusammen. „Hätte sie ein paar Minuten ihre Muschi zusammengekniffen, hätte sie vielleicht sehen können, wen sie da überhaupt fotografiert. Aber nein, sie musste sich noch im selben Augenblick von dem Flachwichser Dave durchbügeln lassen.“ Ich senke den Blick und schlucke jeden Kommentar herunter, der mir auf der Zunge liegt. Es wäre nicht fair. Ich habe schließlich meine beste Freundin betrogen und sie hat jedes Recht, wütend und ausfallend zu sein … auch wenn das jetzt nicht aus den „richtigen“ Gründen ist. Plötzlich richtet sie sich kerzengerade im Stuhl auf und ihre Augen werden groß. „Oh, wow“, sagt sie trocken und press die geschminkten Lippen aufeinander. Erschrocken schaue ich auf. „Was ist los?“ Lacey antwortet nicht sofort, denn ihre Finger huschen fieberhaft über die Handytastatur. Ihre gesamte Haltung wirkt angespannt und ich meine, ein leichtes Zittern ihrer Hände erkennen zu können. Innerlich schrillen bei mir alle Alarmglocken, aber ich kann mich keinen Zentimeter rühren. „Nolan hat heute in der Umkleide aus dem Nähkästchen geplaudert“, sagt sie langsam und mein Körper verkrampft sich schmerzhaft, als ihre Augen aufleuchten und ein entschlossener, beinahe angsteinflößender Blick mich trifft. „Er hat den Namen der Schlampe genannt.“ Mein Inneres wird zu Eis. „Wer ist es?“, bringe ich stotternd heraus. Laceys Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen, fast wie eine Grimasse, so als wüsste sie nicht, ob sie es amüsant oder schrecklich finden sollte. „Du würdest es nicht glauben.“ Jeder meiner Nerven ist bis zum Reißen gespannt, als ich mich innerlich bereits darauf vorbereite, gleich meinen Namen zu hören. Doch Lacey steht ruckartig auf. „Ich muss gehen und ein paar Vorbereitungen treffen“, sagt sie. „Du wirst es morgen früh erfahren, es wird eine große Überraschung für alle.“ Ich höre meinen eigenen Puls, als ich sie dabei beobachte, wie sie betont ruhig ihre Sachen zusammensucht. Ich bin nicht fähig, mich zu bewegen. Bevor sie mein Zimmer verlässt, greift sie nach einem Lippenstift auf meiner Kommode. Meine Lieblingsfarbe, ein tiefes, saftiges Rot. „Darf ich mir den bis morgen ausleihen?“, fragt sie. „Du bekommst ihn auch wieder, versprochen.“ Sie wartet mein Nicken nicht ab, und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich das überhaupt zustande gebracht hätte, denn meine Gedanken explodieren regelrecht. Ich kenne meine beste Freundin lange genug, um zu wissen, wie rachsüchtig und intrigant sie sein kann. Ich spüre, wie die Angst meine Wirbelsäule hinaufkriecht und sich brennend in meinem Nacken festbeißt. Nein, Nolan hat sein Versprechen nicht gebrochen, denn dann würde Lacey doch ganz anders reagieren … oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)