By Chance von MissImpression ================================================================================ Kapitel 1: ----------- KAPITEL 1   [ Februar 2018, New York City ]   „Ich kann es nicht fassen, dass du mich zu einem Blind Date überreden konntest“, sage ich kopfschüttelnd, während wir aus dem Taxi steigen. Eiskalte Februarluft schlägt mir entgegen, sodass ich an den Beinen, die nur in dünnen Nylonstrümpfen stecken, sofort zu frieren beginne. Ich wusste, dass es eine ganz blöde Idee sein würde, mich auf die Wärme der Taxis und die kurzen Wege zu verlassen. April grinst mich an und wirft sich ihre blonden Korkenzieherlocken, die unter der altrosafarbenen Mütze hervorschauen, über die Schulter. „Es wird aber auch mal Zeit, dass du wieder einen Mann kennenlernst.“ Ich rolle mit den Augen. Meine beste Freundin findet es offenkundig schlimmer als ich, dass ich seit zwei Jahren ohne festen Partner lebe. Sie meint, meine biologische Uhr bereits ticken zu hören. Mit 26 – ha, ha. Nur weil sie schon vor drei Jahren ein Kind in die Welt gesetzt hat. Ich seufze und streiche meinen langen Mantel glatt. „Außerdem muss man es ausnutzen, dass du wieder mal in der Stadt bist und unser Babysitter Zeit hat“, flötet sie fröhlich und hakt sich bei mir unter, als wir auf den Eingang des Steak-Restaurants zusteuern, in dem wir uns mit ihrem Ehemann Simon und seinem Arbeitskollegen – meinem Blind Date – treffen wollen. Mir wird etwas mulmig zu Mute. „Du weißt, dass es peinlich wird, wenn sich herausstellt, dass wir so gar nicht kompatibel sind?“, frage ich und bleibe direkt vor der Eingangstür stehen. Von außen hat man durch die komplett verglaste Fassade einen perfekten Blick auf die vollbesetzten Tischgrüppchen. Doch Simon und seine Begleitung habe ich auf die Schnelle noch nicht sehen können. April dreht sich zu mir um. „Entspann dich, Layken. Es ist ein ungezwungener Abend. Wir essen zusammen, trinken ein bisschen Wein, reden … Was sich daraus ergibt, werden wir ja sehen.“ Sie macht eine Pause und ihr Grinsen wird plötzlich breiter. „Außerdem habe ich bereits ein Foto deines potentiell zukünftigen Mannes gesehen. Und ich kann dir versprechen: Er passt perfekt in dein Beuteschema. Eure Kinder werden großartig aussehen!“ Sie gibt einen lauten Quietschton von sich und klatscht freudig in die Hände, bevor sie sich umdreht und nach der Türklinke greift. Ich kneife die Augen zusammen und lege mir Daumen und Zeigefinger meiner rechten Hand an die Nasenwurzel. Aprils Euphorie ist beunruhigend und das blöde Gefühl, dass heute irgendetwas furchtbar, furchtbar peinlich wird, verstärkt sich, als ich ihr ins Restaurant folge. Im Inneren ist es angenehm warm, weshalb ich mir bereits auf dem Weg zum reservierten Tisch, den wir von einer nett lächelnden Servicekraft gezeigt bekommen, meinen Schal vom Hals ziehe. Der Laden ist wirklich gut besucht, sodass mir unser Ziel – der einzige leere Tisch im recht großen Raum, ganz in der Nähe des Eingangs – sofort ins Auge springt. „Oh, Simon und Nolan verspäten sich wohl“, stellt April fest und legt ihre Handtasche auf einen der freien Stühle. Ich horche bei dem Namen auf, denn das ist die erste persönliche Info, die ich über meinen ominösen potentiell zukünftigen Mann erfahre. In meinem Nacken kribbelt es unangenehm. „Bei dem Schneechaos draußen kein Wunder“, werfe ich ein. Wir bringen unsere Mäntel zur Garderobe und setzen uns nebeneinander an den Tisch. Zwei weiße Kerzen, die von kleinen Tannenzweigen umrahmt werden, bilden die einzige Deko auf der beigefarbenen Tischdecke – schlicht, aber elegant. Ein Kellner kommt und wir bestellen eine Flasche Mineralwasser. April holt ihren kleinen Taschenspiegel heraus und malt sich die Lippen nach, während ich nach der Speisekarte greife und schon mal einen Blick hinein riskiere. Das Restaurant ist recht nobel und das spiegelt sich auch in den Preisen wider. „Wie ist dein Hotel eigentlich so?“, fragt April und klappt den Spiegel zu. „Bin zufrieden, war ein guter Tipp von dir. Danke nochmal.“ Ich blättere zum Ende und studiere die Dessertkarte. April lacht und ich schaue fragend auf. „Entscheidest du immer noch anhand der Nachspeise über deinen Hauptgang? Ich dachte, nach dem College hättest du diese Eigenart abgelegt.“ „Ich würde auch immer noch das Dessert als erstes essen, würde es nicht so komisch wirken“, antworte ich grinsend und bringe sie erneut zum Lachen. Mein Blick gleitet im selben Moment zum Eingang, in welchem Simon plötzlich eintritt. Sein dunkler Mantel ist im Schulterbereich weiß und erst jetzt bemerke ich, dass es wieder schneit. Dadurch, dass es hier drin so hell und draußen so dunkel ist, fällt es einem durch die spiegelnde Fensterfront nicht sofort auf. Ich bin bereits dabei, meine Hand zu heben und Simon zuzuwinken, als ich in der Bewegung stocke. Hinter ihm betritt eine weitere Person das Restaurant, die dunklen Haare voller Schneeflocken. Und mein Herz schlägt plötzlich schneller, als ich die entfernt vertrauten Gesichtszüge erkenne. Auch April hat die beiden bereits entdeckt und ist aufgestanden, um auf sich aufmerksam zu machen. „Wie heißt Simons Kollege nochmal?“, frage ich leise und starre immer noch wie hypnotisiert zu den beiden Männern, die zielstrebig auf unseren Tisch zugehen. „Nolan“, antwortet meine beste Freundin. „Sein Nachname war irgendwas mit Ben oder so.“ Mein Herz verkrampft sich schmerzhaft, als die Erinnerung mich überschwemmt. Nolan Bennett. Ich habe mich geirrt. Der Abend wird nicht peinlich … Er wird desaströs.     [ Oktober 2008, Houston ]   SCHLAMPE steht in roter Schrift quer über meinen Spind geschrieben. Ich stehe wie versteinert davor und mir weicht jegliche Farbe aus dem Gesicht. Das Getuschel um mich herum ist ohrenbetäubend laut und ich trete einen Schritt zurück. Ein zertrampelter Lippenstift liegt auf dem Boden und die grelle Farbe leuchtet mir mit Hohn entgegen, als mir klar wird, dass es genau der ist, den ich gestern meiner besten Freundin Lacey ausgeliehen habe. Ein schmerzhafter Kloß bildet sich in meiner Kehle. Ich drehe mich um und erstarre erneut, als ich die Schüler sehe, die sich gaffend um den Schauplatz versammelt haben. Mir wird heiß und kalt zugleich. SCHLAMPE. Ich schlucke die Panik hinunter, die meine Wirbelsäule hinaufkriecht und sich schmerzhaft in meinem Nacken verbeißt. „Was ist denn hier los?“, schallt es laut durch den Gang, als Mrs. Rutherford, unsere bullige Biologie-Lehrerin, angestampft kommt und neben mir stehen bleibt. Sie schaut an mir vorbei und ihr Ausdruck wird hart. „Ist das Ihr Spind, Miss Wright?“, fragt sie mich und ich senke den Blick, während ich flüsternd bejahe. Das Atmen fällt mir schwer und meine Augenwinkel brennen, doch ich weigere mich, jetzt vor all meinen Mitschülern zu heulen. Ein letztes bisschen Würde möchte ich noch behalten. „Folgen Sie mir bitte zum Direktor“, sagt Mrs. Rutherford streng und ich zucke zusammen, als sie ihre Stimme erhebt: „Und alle anderen begeben sich jetzt bitte in ihre Klassenräume.“ Auf wackeligen Beinen gehe ich ihr, an meinen weiterhin glotzenden Mitschülern vorbei, nach und starre dabei stur auf den Boden. Meine Selbstbeherrschung ist nahezu ausgeschöpft und der Kloß im Hals wächst mit jedem Schritt. Wir biegen in den Gang zu den Treppen, als mich eine warme Hand plötzlich am Oberarm packt und dazu zwingt, stehen zu bleiben. „Layken“, höre ich eine vertraute Stimme an meinem Ohr und eisige Kälte packt mich. Nicht er, nicht jetzt … „Was ist passiert?“ Ich reiße mich los und starre ihn entgeistert an. „Ich habe dich darum gebeten, es für dich zu behalten“, sage ich laut und mit schmerzender Brust. Er öffnet seinen Mund, doch kein Ton kommt heraus. Sein Blick brennt ein Loch in mein Herz, sodass ich gezwungen bin, mich von ihm wegzudrehen, bevor ich die nächsten Worte ausspreche: „Lass mich in Ruhe, Nolan. Ich bin fertig mit dir.“ Kapitel 2: ----------- KAPITEL 2   [ Februar 2018, New York City ]   Es ist, als hätte mich ein Blitz getroffen. Ich wende meinen Blick ab und balle die Hände zu Fäusten. Nolan Bennett. Verwechslung ausgeschlossen. Es ist bestimmt fast zehn Jahre her, dass ich ihn das letzte Mal gesprochen habe. Damals sind wir noch auf die High School gegangen und alles schien unschuldig und leicht … bis zu jenem Tag, der das Ende von etwas bildete, das noch nicht einmal richtig begonnen hatte. „Entschuldige, Schatz, der Verkehr war furchtbar“, sagt Simon, umrundet den Tisch und gibt seiner Frau einen Begrüßungskuss. Ich meide den Blick nach vorne und beiße mir leicht auf die Lippe. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Nolan mich erkennt? Klar, ich bin älter geworden und mein Kleidungsstil hat sich geändert, genau wie die Frisur, aber ansonsten … Sollte ich das Risiko eingehen und so tun, als würden wir uns nicht kennen? Ich atme tief aus und spüre das leichte Zittern meiner Hände, als ich aufstehe, um Simons Küsschen links und rechts zu erwidern, ehe er mir freundschaftlich eine Hand auf den Rücken legt und mit der anderen auf seinen Kollegen zeigt. „Darf ich vorstellen? Nolan Bennett. Nolan, das ist -“ Ich unterbreche ihn höflich, indem ich mich selbst vorstelle und eine Hand zur Begrüßung ausstrecke: „Layken Wright, freut mich, Sie kennenzulernen.“ Er erwidert meinen Händedruck und ich fühle mich von seinem durchdringenden Blick gescannt. Seine dunklen Augen huschen über mein Gesicht und ich kann erkennen, dass sein Gedächtnis auf Hochtouren läuft. Schließlich bleibt er an meinen Lippen hängen und ein Lächeln erscheint auf seinen. „Nolan“, stellt er sich nochmal vor. „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Erst jetzt merke ich, dass ich die Luft angehalten habe, und atme unauffällig aus, während die beiden zur Garderobe gehen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich mich setze. Hat er mich wirklich nicht erkannt? Irgendetwas in meinem Inneren scheint zu protestieren. Wahrscheinlich weil diese Tatsache heißen würde, dass das, was damals zwischen uns passiert ist, keine Bedeutung für ihn hatte. Ich schlucke den aufkeimenden Frust hinunter und zwinge mich zu einem Lächeln, als April sich mir flüsternd zuwendet: „Ist er nicht ein Prachtkerl?“ Ich nicke, sage aber nichts weiter dazu. Nolan hat wirklich nichts von seinem guten Aussehen, das er schon als Jugendlicher hatte, verloren. Als Football-Spieler ist er schon immer sehr muskulös gewesen und dieser Umstand wird auch von seinen jetzigen Business-Klamotten nicht verdeckt. Ich schiele zu ihm rüber, als er wieder zu uns an den Tisch kommt. Das Sakko liegt eng an und betont, in Kombination mit der perfekt sitzenden Jeans, seine sportliche Figur. Auch sein Gesicht hat sich kaum verändert, wenn man den Dreitagebart mal außen vor lässt. Es ist nur etwas kantiger, männlicher, geworden. Seine Augen strahlen immer noch in einem unergründlichen, tiefen Blau. Doch das faszinierendste an ihm sind seine sinnlich geschwungenen Lippen, an die ich mich immer noch perfekt erinnern kann … „Layken?“ Aprils Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Mit wild klopfendem Herzen wende ich mich ihr zu. „Hm?“ Sie hält mir die Getränkekarte entgegen und zeigt auf die Bedienung, die soeben an unseren Tisch gekommen ist. „Möchtest du auch einen Aperitif?“ Ich bejahe und sie bestellt vier Manhattan. Ich habe offenbar gar nicht mitbekommen, wie darüber bereits gesprochen wurde, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, Nolan anzustarren. Wie peinlich … Und doch riskiere ich einen weiteren Blick in seine Richtung. Seine Lippen sind zu einem schiefen Grinsen verzogen, während er mich direkt anschaut. Er hat es eindeutig mitbekommen. Meine Ohren beginnen zu glühen und ich bin froh, dass sie von meinen schulterlangen, rotbraunen Haaren verdeckt werden. „Das Hüftsteak hier ist ausgezeichnet“, sagt Simon in die Runde und hält dabei die Speisekarte in die Höhe. „Oh ja, das nehme ich!“, stößt April begeistert aus und klappt die Karte wieder zu. Es vergehen einige Minuten, in denen wir uns über die angebotenen Speisen austauschen, bis wir schließlich unsere Bestellung aufgeben und mit den gerade an den Tisch gebrachten Getränken anstoßen. „Wie war dein Flug?“, fragt mich Simon und nippt an seinem Manhattan. „Ich habe gehört, es gab eine außerplanmäßige Landung in Pittsburgh?“ Ich nicke. „Ja, der Schneesturm hat einen Weiterflug unmöglich gemacht und wir wurden umgeleitet. Ich wollte eigentlich schon gestern hier sein, stattdessen bin ich erst heute Morgen mit einem Mietwagen angekommen. Was tut man nicht alles, um pünktlich zu einem Geschäftstermin zu erscheinen“, erzähle ich schulterzuckend. „Wissen Sie, Nolan“, schaltet sich nun auch April in das Gespräch ein, „Layken lebt eigentlich in Denver und arbeitet dort als freiberufliche Illustratorin. Ihre Werke findet man ganz oft im Internet, auf Social Media Seiten und in Zeitungen. Sie haben bestimmt schon mal was von ihr gesehen.“ Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen, als ich ihr einen kurzen Seitenblick zuwerfe. Wenn April nur wüsste, dass ihre Verkupplungs-Versuche ein Fass ohne Boden sind. Nolan lehnt sich interessiert nach vorne und stützt sich mit den Unterarmen lässig auf dem Tisch ab. „Illustration?“, fragt er mich mit höflich neugierigem Unterton. „Wo haben Sie studiert?“ Ich greife nach meinem Aperitif. „In New York. Hier habe ich auch April kennengelernt, wir haben zusammen in einer WG gelebt.“ „Und ursprünglich kommen Sie woher?“ Sein Grinsen ist unergründlich. „Geboren und aufgewachsen in Houston, Texas“, antworte ich knapp und beiße mir auf die Lippe. Diese Frage ist provokant. Er erinnert sich doch an mich … oder? Wenn er es tut, dann lässt er sich zumindest nichts anmerken, denn er lehnt sich zurück und erwidert: „Was für ein Zufall, ich auch.“ Sein Blick durchbohrt mich und eine Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen. Zum Glück wird sie durch die langärmlige, weiße Bluse verdeckt. „Layken ist wirklich viel herumgekommen“, plappert April drauf los, als sich Stille zwischen uns ankündigt. „Aber sie möchte demnächst hierherziehen, richtig?“ Sie dreht sich zu mir und schaut mich erwartungsvoll an. Ich weiß, dass sie möchte, dass ich mich angeregt mit ihrem arrangierten Date unterhalte – aber wie soll ich das anstellen, wenn ich mich bei jedem Blick in sein Gesicht unweigerlich in die Vergangenheit katapultiert fühle? Ich seufze innerlich. „Ja, viele meiner Arbeitgeber sind von hier aus besser zu erreichen“, bestätige ich. „Auch wenn ich im Grunde von überall aus arbeiten könnte, dem Internet sei Dank.“ Ich lache etwas unsicher. „Apropos viel herumkommen“, sagt Simon und dreht sich zu Nolan. „Warst du nicht in Südostasien, bevor du zu uns gekommen bist?“ Er nickt und lässt mich dabei keine Sekunde aus den Augen. „Ich habe zwei Jahre lang als Expat in Thailand gelebt, bevor ich hier angeworben wurde.“ „Und als was haben Sie gearbeitet?“, frage ich daraufhin. April zuliebe werde ich zumindest freundlich bleiben. Und irgendwie regt sich doch auch die Neugier in mir, zu erfahren, wie sein Leben verlaufen ist. „Ich bin Unternehmensberater“, antwortet Nolan. „Ich habe Ökonomik mit psychologischer Zusatzqualifikation in London studiert.“ „Oh, London!“, ruft April. „Da würde ich auch gerne mal hin. Wie ist es da so?“ Endlich wendet er seine Augen von mir ab, um meine beste Freundin galant anzulächeln, und ich atme tief durch. „Es ist deutlich kälter und nasser als in Houston, es war für mich ein richtiger Wetterschock“, entgegnet er und erntet ein hohes Lachen. April springt sofort auf den Wetter-Themen-Zug auf und erzählt ihm von ihren wortwörtlich ins Wasser gefallenen Flitterwochen in Kanada, während ich mich kurz entschuldige, um die Toilettenräume aufzusuchen. In den edel aussehenden Sanitärräumen stehe ich vor dem wandhohen Spiegel und stütze mich am Waschbecken ab. Am liebsten würde ich mir kaltes Wasser ins Gesicht spritzen, aber dann wäre mein Make-up komplett hinüber. Nolans Anwesenheit macht mich nervös und das nicht nur, weil ich mich vor Jahren mal wie eine absolute Bitch verhalten und ihm Dinge unterstellt habe, die er nicht getan hat. Wäre die Erkenntnis damals nur früher zu meinem Teenie-Erbsenhirn durchgedrungen, könnten wir heute vielleicht als Freunde hier sitzen und über diesen absurden Zufall lachen, dass gerade wir beide miteinander verkuppelt werden sollen. Am liebsten würde ich jetzt das sprichwörtliche Handtuch werfen. Aber selbst eine plötzliche Erkrankung wäre zu auffällig und ich möchte weder April noch Simon in Verlegenheit bringen – im Gegensatz zu mir werden sie wahrscheinlich noch öfter Kontakt zu Nolan haben. Ich zupfe meinen hochtaillierten, schwarzen Bleistiftrock, der mir bis zu den Knien reicht, zurecht und atme ein paar Mal tief durch. Nein, ich werde jetzt nicht das Weichei mimen. Ich werde da rausgehen und den Abend überstehen. Wenn nötig, wird der Alkohol mir dabei helfen. Ich straffe meine Schultern und schaue mich im Spiegel an. Meine Wangen haben eine leicht rötliche Farbe angenommen, was mich vielleicht ein wenig erhitzt aussehen lässt. Doch meine braunen Augen leuchten voller Zuversicht. Ich verlasse das Damen-WC und trete in den länglichen Gang, der etwas abseits des Gastronomiebereichs liegt, als ich auch schon abrupt innehalte. Direkt neben mir, gegenüber der Männer-Toiletten, steht eine Person an die Wand gelehnt. Nolan. Fuck. Ich räuspere mich. „Oh, Sie mussten nicht auf mich warten“, sage ich mit einem gespielten Kichern. „Ich finde den Weg auch allein.“ Die hohen Absätze meiner Stiefeletten klackern auf dem nackten Steinboden, als ich an ihm vorbeigehen will, doch seine warme Hand an meinem Oberarm hält mich auf. „Layken“, sagt er leise und ich habe prompt das Bild von vor zehn Jahren vor Augen, als mich eine Lehrerin ins Direktorzimmer begleitet hatte. Wie versteinert bleibe ich seitlich zu ihm gedreht stehen und senke meinen Blick. Nolan tritt einen Schritt vor und ich spüre die Wärme seines Körpers, auch wenn er mich damit nicht berührt. Ich habe den Bass meines Herzens im Ohr. Es schlägt laut und viel zu schnell. „Ich weiß, dass du mich erkannt hast. Also warum spielen wir dann dieses Spiel?“, fragt er leise und ich schließe die Augen, als ich den Anflug des Bedauerns mitschwingen höre. „Um es für April und Simon nicht unangenehm werden zu lassen“, antworte ich. „Glaub mir, hätte ich gewusst, dass du der besagte Kollege bist, hätte ich irgendeinen Grund gefunden, dich nicht in diese peinliche Situation zu bringen.“ Ich schaue auf und mein Herz setzt aus. Nolans Hand liegt immer noch auf meinem Oberarm, doch ich spüre sie kaum. Er steht so nah vor mir, dass ich sein Aftershave riechen kann. „Für mich ist es keine peinliche Situation“, versichert er mir. „Aber es wird zu einer, wenn wir weiterhin einen auf Fremde machen.“ Er beugt sich etwas näher heran und sein Atem tanzt über meinen Nacken, als er flüstert: „Ich finde es sogar sehr schön, dich zu sehen, glaub mir.“ Ein warmer Schauer läuft mir den Rücken hinab, als er sich leicht grinsend von mir entfernt und dabei meinen Oberarm hinabfährt, um nach meiner Hand zu greifen und mich mitzuziehen, während er langsam rückwärts geht. „Komm, lass uns den Abend genießen. Die beiden werden es bestimmt witzig finden, wenn wir ihnen von unserer Geschichte erzählen.“ Ich bleibe weiterhin wie angewurzelt stehen und halte ihn somit zurück. Meine Pumpe dreht durch, als sich Panik unter die Gänsehaut mischt. „Aber nicht … wir erzählen nicht von der Sache mit Lacey“, stottere ich und ein wissender Ausdruck legt sich auf sein Gesicht. „Natürlich nicht“, versichert er mir und ich spüre, wie zumindest ein wenig Druck von meinem Brustkorb genommen wird, als wir gemeinsam zum Tisch gehen. Meine Hand hat er währenddessen losgelassen. „Alles klar bei euch? Layken, du siehst ein wenig bleich um die Nase aus“, meint April, als ich mich hinsetze. „Was? Nein, alles bestens“, gebe ich mit einer wegwerfenden Handbewegung von mir. „Wir haben uns eben nur ein wenig unterhalten“, sagt Nolan und alle Augen liegen auf ihm. „Witziger Zufall, aber wir kannten uns doch bereits. Wir waren auf derselben High School.“ Aprils Augenbrauen schießen in die Höhe. „Ach, wirklich?“ Ihre Stimme überschlägt sich bei dem fragenden Unterton, als sie mich dabei eindringlich ansieht. Auch Simon schaut perplex drein. Ich lache etwas unbeholfen und zucke mit den Schultern. „Wirklich witziger Zufall“, bestätige ich, zupfe an meiner Bluse, nur um mich mit irgendetwas abzulenken, und greife schließlich zum Alkohol. Auch Nolan lacht, nachdem er einen Schluck seines Getränks genommen hat, und fügt dann hinzu: „Ja, und noch witziger ist eigentlich, dass ausgerechnet wir beide uns bei einer Art Blind Date wiedersehen.“ April schiebt ihre Haare von der Schulter und stützt sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab. „Wie ist das gemeint?“ Nolans blaue Augen liegen glühend auf mir und ich halte unwillkürlich den Atem an. „Nun, Layken war sowas wie meine erste große Liebe.“ Kapitel 3: ----------- KAPITEL 3   [ Oktober 2008, Houston ]   Auf den Rängen erschallt ein ohrenbetäubendes Getöse, als unsere Heimmannschaft, die Bulls, das letzte Spiel der Saison gewinnt. Lachend fallen sich die ganzen Football-Spieler und die sogleich mitmischenden Cheerleaderinnen gegenseitig in die Arme und feiern den wohlverdienten Sieg. Ich stehe ganz unten bei der Haupttribüne und stimme in das freudige Lachen mit ein, während sich die Anführerin der Tanztruppe vom Captain des Teams durch die Lüfte schwingen lässt. Der Weg zu den Umkleiden ist chaotisch, sodass ich meine beste Freundin Lacey erst vor dem Eingang zu den Kabinen antreffe. Ihre Wangen sind rot und die Augen strahlen vor Freude. „Hast du gesehen, wie Nolan mich durch die Luft gewirbelt hat?“, fragt sie aufgeregt. „Heute findet zur Feier des Tages eine Party bei den Ghores statt.“ Sie packt meine Schultern und schaut mich eindringlich an. „Ich denke, das wird meine Chance, ihn mir endlich zu angeln!“   Eine Dreiviertelstunde später kommt Lacey endlich frisch geduscht und gestylt mit einer Traube weiterer Mädels aus den Umkleideräumen. Von unserer Clique bin ich die einzige, die keine Cheerleaderin ist, weil ich einfach nicht gelenkig genug bin, doch das macht mir nichts aus, denn dafür bin ich beim Anfeuern noch viel enthusiastischer dabei. Wir sind schon auf dem halben Weg zu den Autos, um direkt zur Party zu fahren, da bleibt Lacey in der Handtasche wühlend stehen und wirft ihren Kopf in den Nacken. „Oh nein.“ Sie seufzt theatralisch auf. „Ich hab mein Handy in der Umkleide vergessen!“, jammert sie, dreht sich um und bedenkt mich mit einem Hundeblick. „Soll ich es holen?“, frage ich. „Das ist so lieb von dir!“, ruft sie und schlingt ihre grazilen Arme um meinen Nacken. „Macht es dir etwas aus, wenn wir schon mal losfahren? Ich habe den todsicheren Tipp bekommen, dass Nolan schon auf der Party ist.“ Sie kichert mir ins Ohr und ich schüttle den Kopf. „Klar, macht ruhig. Ich bin ja auch mit dem Auto da und komme einfach nach.“ Wir verabschieden uns und ich trete den Rückweg zum Sportcenter an. Es ist still auf den Gängen und ein feiner Geruch nach Duschdampf und Deo liegt in der Luft. Ich betrete gerade den Umkleideraum und zucke sogleich zusammen, weil eine laute Stimme von rechts ruft: „Beeil dich, Bennett, die Mädels warten sicher schon sehnsüchtig.“ Ich luge um die Ecke und sehe einen der Spieler aus den Jungsumkleiden hinausgehen. „Fahrt schon mal ohne mich. Coach Rogers hat mich so lange aufgehalten. Ich komme gleich nach“, kommt es als Antwort aus den Räumen und der Angesprochene gibt ein Handzeichen als Okay, bevor er durch den Ausgang verschwindet. Mein Herz macht einen Hüpfer. Nolan ist noch hier? Sollte er nicht bereits auf der Party sein? Vorsichtig lehne ich mich gegen die Tür und starre an die Decke. Wann bin ich das letzte Mal alleine mit ihm in einem Raum gewesen? Es ist gefühlt eine Ewigkeit her … Und immer war da mindestens eine andere Person mit dabei. Ob wir überhaupt noch so miteinander reden könnten wie früher? Ich schüttle den Gedanken ab. Lieber nichts riskieren, Handy nehmen und abhauen. Ich schaue mich in der Mädchenumkleidekabine um und sehe das kleine Gerät auch sofort auf einer der hinteren Bänke liegen. Eilig stecke ich es ein, verlasse den Raum und laufe den Gang entlang zu den Ausgängen. „Layken!“, kommt es laut von hinten und ich bleibe wie erstarrt stehen. Okay, das Unauffällig-davonschleichen hat ja prima geklappt. Ich drehe mich um und setze ein Lächeln auf – was mir erstaunlich leichtfällt, als ich Nolan auf mich zukommen sehe. Seine Sporttasche geschultert geht er locker auf mich zu und grinst über das ganze Gesicht. „Hast du das Spiel gesehen?“, fragt er erwartungsvoll und bleibt etwa eine Armlänge entfernt vor mir stehen. Seine dunklen Haare sind noch ein wenig nass vom Duschen. Ich nicke und zeige mit dem Daumen nach oben. „Es war echt klasse! Hat richtig Spaß gemacht, euch zuzuschauen. Besonders dein letzter Touchdown.“ Sein Grinsen wird breiter. „Danke.“ Er lässt die Tasche vor sich auf den Boden plumpsen und streckt beide Arme aus. „Hab ich dafür eine Umarmung verdient?“ Ich verschränke die Arme vor der Brust und schaue ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Das ist eine ganz schön große Belohnung, die du da einforderst“, gebe ich scherzhaft zu bedenken und Nolan legt den Kopf schief. Sein bettelnder Blick trifft mich unerwartet. „Bitte? Ich hatte heute noch nicht genug Körperkontakt“, witzelt er. Ich feixe und boxe ihm gegen den harten Bauch. „Du bist ein Quatschkopf.“ Er nutzt den kurzen Moment, packt meinen Arm und zieht mich in eine feste Umarmung. Ich quieke laut lachend auf, wehre mich aber nur halbherzig. Mein Puls schießt in die Höhe. Der Duft nach frisch gewaschener Wäsche, Deo und ein weiterer vertrauter Geruch steigen mir in die Nase und ich atme unwillkürlich tief ein. Es ist lange her … Nolan stützt sein Kinn auf meinem Kopf ab und ich höre ihn fast grinsen, als er sagt: „So ist es gut. Ergib dich deinem Schicksal.“ Ich lache in sein Trikot hinein und erlaube mir für einen Moment, die Wärme zu genießen, die von seinem Körper ausgeht. Dann ist er plötzlich ganz still und wir stehen da, er mit den Armen immer noch um meinen Oberkörper geschlungen. „Ich vermisse unsere gemeinsamen Serien-Marathon-Abende“, gesteht er leise und ich lasse meine Schultern hängen. Die Zeit rast, ich erinnere mich gerne daran zurück, denn das war, bevor Nolan ins Football-Team aufgenommen wurde. Seitdem sehen wir uns nur noch in der Schule – und das obwohl sich unsere Freundeskreise überschneiden. Kaum zu glauben, dass wir mal wirklich eng befreundet waren. „Training geht vor“, nuschle ich und schiebe ihn von mir weg. Er lässt mich los und die plötzliche Kühle beschert mir eine Gänsehaut. Seine blauen Augen liegen auf mir und ich habe das Gefühl, dass eine gewisse Spannung zwischen uns in der Luft hängt. Nolan öffnet den Mund und ich kann meinen Blick nicht von seinen Lippen losreißen. Ich schlucke das Bedürfnis hinunter, mich wieder an seinen harten Körper zu pressen, und mache einen Schritt rückwärts. „Sehen wir uns gleich auf der Party?“, fragt er und steckt sich die Hände in die Hosentaschen. Ich nicke. „Wollen wir zusammen fahren? Soll ich dich mitnehmen?“ Ich bilde mir ein, einen hoffnungsvollen Unterton in seiner Stimme herauszuhören, was in meinem Bauch dieses blöde Kribbeln auslöst, das ich vor einem Jahr eigentlich zu überwinden geglaubt habe. Damals, als ich fehlplatzierte Gefühle für ihn entwickelte, er diese aber offensichtlich nicht erwiderte. Ich beiße mir auf die Lippe. „Danke für das Angebot, aber ich bin selbst mit dem Auto hier.“ „Alles klar.“ Grinsend greift er nach seiner Sporttasche und wirft sie sich über, ehe er nach vorne tritt und mich mit einer Hand an meiner Schulter zum Umdrehen auffordert. „Dann wollen wir der Partygesellschaft mal so richtig einheizen.“   Das Einheizen ist nicht nötig, wie man feststellen darf, denn das moderne, schicke Wohnhaus der Familie Ghore am Rande der Stadt scheint zu beben. Den ganzen Abend über läuft laute Musik, der Alkohol fließt in Strömen und man hat das Gefühl, die halbe Schule hat sich hier versammelt. Mike Ghores Eltern sind verreist – wie so ziemlich immer, bis auf ein paar Wochen im Jahr –, was bedeutet, dass keinerlei erwachsene Aufsichtspersonen anwesend sind. Es ist bereits kurz vor Mitternacht, als ich barfuß auf die geräumige Terrasse trete und die frische Luft einatme, die mir im Gebäude so langsam aber sicher gefehlt hat. Lacey habe ich bereits seit einer halben Stunde aus den Augen verloren, wahrscheinlich hat sie sich mit Nolan auf eins der oberen Zimmer verzogen, denn ich habe gehört, dass da noch ein paar „Privatpartys“ im Gange sein sollen. Ein unerwartet heftiger Stich der Eifersucht durchfährt mich bei der Vorstellung, wie meine besten Freundin stöhnend auf dem Typen sitzt, der still und heimlich mein Herz gestohlen hat und es nicht einmal weiß. Eigentlich müsste ich mich für das Bild in meinem Kopf jetzt schämen, denn es ist unanständig und unangemessen, stattdessen widert es mich an – und diese Tatsache verursacht bei mir wiederum ein schlechtes Gewissen. Mein Kopf dreht sich – genau wie der Boden unter mir, wenn ich gehe, denn der Drink, den ich soeben noch in der Hand hatte, ist mein vierter gewesen. Das Auto muss ich wohl bis morgen hier stehen lassen und zu Fuß nach Hause gehen … Ich tapse über die teuren Steinplatten, die hinüber zum angelegten Teich führen, und lasse mich gegen ein kleines, schmales Gerätehaus sinken. Die Ruhe hier draußen tut gut und das kühlere Holz fühlt sich angenehm auf meiner erhitzten Haut an. Ich seufze auf, als eine sanfte Brise über mein Gesicht hinwegtanzt. „Große Menschenmengen sind immer noch nicht so dein Ding, oder?“, kommt es plötzlich aus der Richtung, aus der ich gekommen bin, und ich zucke zusammen. Erleichtert lege ich eine Hand auf meine Brust, als ich Nolan erkenne, der auf mich zukommt, und atme demonstrativ laut ein und aus. „Du hast mich erschreckt.“ „Entschuldige.“ Er bleibt neben mir stehen und lehnt sich ebenfalls gegen das Häuschen. „Ist alles okay bei dir? Du siehst den ganzen Abend schon so verloren aus.“ Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen, als ich ihn anschaue. „Hast du mich beobachtet?“, frage ich direkt und ohne nachzudenken. „Vielleicht ein bisschen.“ Ein Grinsen erscheint auf seinen Zügen und lässt mein Herz kurz stolpern. „Du hast einiges intus.“ Es folgt ein Schulterzucken meinerseits. „Ich kann noch geradeaus gehen und sehe nicht doppelt. Passt schon.“ Ich greife in meine Tasche und hole einen Lolli heraus, den ich im Haus gefunden habe. Etwas umständlich fummle ich die bunte Verpackung ab. „Ich hätte auch Lust auf etwas Süßes“, raunt Nolan plötzlich und schaut abwechselnd auf meinen Mund und den Lollipop, den ich gegen meine Lippen halte. Abermals zucke ich mit den Achseln. „Tja, das ist jetzt blöd. Ich hab nur den einen.“ „Und du bist nicht bereit, zu teilen?“, schlussfolgert er und ich grinse, auch wenn meine Pumpe gerade verreckt. „Das habe ich so nicht gesagt …“ Die kleine, süße Kugel verschwindet in meinem Mund und Nolans Augen leuchten auf. „Aber du musst ihn dir schon holen“, nuschle ich so gar nicht damenhaft. Mit einer geschmeidigen Bewegung drückt er sich von dem Häuschen ab und stellt sich direkt vor mich, seine linke Hand an die Wand neben meinen Kopf gestützt. Meine Haut kribbelt. „Das nehme ich als Einladung“, sagt er leise, greift nach dem Stiel, den ich festhalte, und zieht mir den Lolli sachte aus dem Mund. Mein Kopf folgt automatisch der Bewegung, sodass ich mich nach vorne beuge und Nolans Gesicht sehr nahe komme. Seine Hand umklammert meine, während er innehält und meinen Mund fixiert. Dann, wie in Trance, führt er den Lolli an seine Lippen. „Heißhunger gestillt?“, frage ich leise und bekomme ein Kopfschütteln als Antwort. „Ich brauche etwas Süßeres“, flüstert er, schiebt meine Hand mitsamt Lolli zur Seite und beugt sich vor. Mein Herzschlag setzt aus, als Nolan meinen Mund mit seinem verschließt und sich mit dem ganzen Körper gegen mich drückt. Es ist ein sinnlicher Kuss, sanft und federleicht. Und irgendetwas in meinem Inneren scheint dabei zu explodieren.   +++++   Wie versteinert sitze ich auf meinem Bett und knete meine Hände im Schoß. Vor noch nicht einmal zwei Tagen hat Nolan mich geküsst, einfach so. Es war schön und meine Lippen kribbeln immer noch allein von der Erinnerung an seine, doch ich musste ihm das Versprechen abgewinnen, niemandem davon zu erzählen – denn vorher muss etwas geklärt werden. Und die Person, um die es geht, sitzt gerade in meinem Drehstuhl am Schreibtisch und ist wütend. Sehr wütend – und der Grund dafür bin ich … auch wenn sie es noch nicht weiß. „Ich fasse es nicht.“ Laceys Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse, während sie auf ihrem Handy herumtippt. Soeben hat sie mir ein schlecht beleuchtetes und leicht verschwommenes Foto mit der Bildunterschrift „Erwischt! ;D“ gezeigt, das mir den Schweiß auf die Stirn getrieben hat. Darauf sind zwei Personen abgebildet, im Garten der Ghores, beim Gerätehaus, sich küssend. Und eigentlich erkennt man nicht, wer darauf zu sehen ist – wäre da nicht die verräterische, weiße Zahl auf der Rückseite des Trikots. Nummer 21 … Nolan Bennett. „Wenn ich rauskriege, wer ihm da die Zunge in den Mund schiebt ... ich mach diese Schlampe kalt“, zischt Lacey und ich zucke zusammen. Nervös pule ich an meinem Daumen herum. Eigentlich wollte ich ihr die Wahrheit sagen, doch diese ist mir direkt im Halse steckengeblieben. „Wer hat das Foto eigentlich gemacht?“, frage ich stattdessen vorsichtig nach. „Martha, sie war oben im ersten Stock und dachte, dass ich da unten stehe“, antwortet Lacey mit zusammengebissenen Zähnen und sackt im Stuhl zusammen. „Hätte sie ein paar Minuten ihre Muschi zusammengekniffen, hätte sie vielleicht sehen können, wen sie da überhaupt fotografiert. Aber nein, sie musste sich noch im selben Augenblick von dem Flachwichser Dave durchbügeln lassen.“ Ich senke den Blick und schlucke jeden Kommentar herunter, der mir auf der Zunge liegt. Es wäre nicht fair. Ich habe schließlich meine beste Freundin betrogen und sie hat jedes Recht, wütend und ausfallend zu sein … auch wenn das jetzt nicht aus den „richtigen“ Gründen ist. Plötzlich richtet sie sich kerzengerade im Stuhl auf und ihre Augen werden groß. „Oh, wow“, sagt sie trocken und press die geschminkten Lippen aufeinander. Erschrocken schaue ich auf. „Was ist los?“ Lacey antwortet nicht sofort, denn ihre Finger huschen fieberhaft über die Handytastatur. Ihre gesamte Haltung wirkt angespannt und ich meine, ein leichtes Zittern ihrer Hände erkennen zu können. Innerlich schrillen bei mir alle Alarmglocken, aber ich kann mich keinen Zentimeter rühren. „Nolan hat heute in der Umkleide aus dem Nähkästchen geplaudert“, sagt sie langsam und mein Körper verkrampft sich schmerzhaft, als ihre Augen aufleuchten und ein entschlossener, beinahe angsteinflößender Blick mich trifft. „Er hat den Namen der Schlampe genannt.“ Mein Inneres wird zu Eis. „Wer ist es?“, bringe ich stotternd heraus. Laceys Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen, fast wie eine Grimasse, so als wüsste sie nicht, ob sie es amüsant oder schrecklich finden sollte. „Du würdest es nicht glauben.“ Jeder meiner Nerven ist bis zum Reißen gespannt, als ich mich innerlich bereits darauf vorbereite, gleich meinen Namen zu hören. Doch Lacey steht ruckartig auf. „Ich muss gehen und ein paar Vorbereitungen treffen“, sagt sie. „Du wirst es morgen früh erfahren, es wird eine große Überraschung für alle.“ Ich höre meinen eigenen Puls, als ich sie dabei beobachte, wie sie betont ruhig ihre Sachen zusammensucht. Ich bin nicht fähig, mich zu bewegen. Bevor sie mein Zimmer verlässt, greift sie nach einem Lippenstift auf meiner Kommode. Meine Lieblingsfarbe, ein tiefes, saftiges Rot. „Darf ich mir den bis morgen ausleihen?“, fragt sie. „Du bekommst ihn auch wieder, versprochen.“ Sie wartet mein Nicken nicht ab, und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich das überhaupt zustande gebracht hätte, denn meine Gedanken explodieren regelrecht. Ich kenne meine beste Freundin lange genug, um zu wissen, wie rachsüchtig und intrigant sie sein kann. Ich spüre, wie die Angst meine Wirbelsäule hinaufkriecht und sich brennend in meinem Nacken festbeißt. Nein, Nolan hat sein Versprechen nicht gebrochen, denn dann würde Lacey doch ganz anders reagieren … oder? Kapitel 4: ----------- KAPITEL 4   [ Februar 2018, New York City ]   Layken war sowas wie meine erste große Liebe. Nolan lässt die Bombe ohne Vorwarnung platzen. Nachdem mein Herz nach einer Stolpersekunde wieder seine ursprüngliche Arbeit aufnimmt, habe ich kurzzeitig Angst um April, die aufgrund dieser Neuigkeit aussieht, als wären ihr Geburtstag, Ostern und Weihnachten auf denselben Tag gefallen. Ihr offener Mund verwandelt sich in ein Grinsen, welches mir die Nackenhaare zu Berge stehen lässt. „Wow“, sagt Simon trocken. „Das ist ja mal ein Zufall.“ „Es ist jetzt aber auch schon locker zehn Jahre her“, spiele ich Nolans Aussage herunter und winke ab, auch wenn meine Hand zittert. „Wir waren quasi noch Kinder.“ April rutscht auf ihrem Stuhl herum und starrt mich ungläubig an. „Auf der High School?“ Sie betont die letzten beiden Wörter und ihre Stimme überschlägt sich beinahe. „Sie hat ja Recht“, wendet zu meiner Überraschung nun auch Nolan beschwichtigend ein, „und es lief auch nichts weiter zwischen uns.“ Bis auf einen Kuss … Ich beiße mir auf die Lippe und schaue ihn dankbar an, weil er dieses kleine Detail ausgelassen hat. Es ist kaum zu übersehen, dass April ansonsten vor Freude einen Herzinfarkt bekommen würde. Und auch wenn der Gedanke daran, er könnte diese Kleinigkeit ausgelassen haben, weil er sie eventuell sogar vergessen hat, einen unangenehmen Stich in der Bauchgegend verspüren lässt, belehrt mich ein Blick in seine Augen eines Besseren. Sein wissendes Lächeln treibt mir die Röte ins Gesicht. „Und warum hat es zwischen euch nicht geklappt?“, fragt sie. Dabei bemüht sie sich, nicht zu aufgeregt und neugierig zu klingen. Sie scheitert grandios. „Ach, der übliche Teenager-Kram“, antworte ich schnell, um Nolan zuvorzukommen, sich erklären zu müssen. „Falsche Freunde und Missverständnisse. Du kennst doch die High School Dramen. Oh, da kommt schon das Essen!“ Für das perfekte Timing wäre ich der Bedienung am liebsten freudig um den Hals gefallen. April nickt mir zwar zu, doch ich sehe es ihrem Blick an: Dieses Frage-Antwort-Spiel ist noch nicht zu Ende. Und ich seufze innerlich auf, weil ich mir gut vorstellen kann, dass meine beste Freundin morgen früh vor meinem Hotelzimmer stehen wird, um genau diese Antworten einzufordern …   Das Essen verläuft weniger peinlich und desaströs, als ich es erwartet habe. Das Thema Vergangenheit ist erstmal vom Tisch – auch wenn es irgendwie immer im Hintergrund mitschwingt. Doch ein paar Gläser Weißwein lassen mich diese Tatsache gut verdrängen. Nolan erzählt viel von seinen Auslandsreisen und Erlebnissen, denen wir gespannt lauschen. Ich bin immer noch erstaunt, dass er keine Karriere als Football-Spieler begonnen hat, denn ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ihm etwas in die Richtung für ein College-Stipendium angeboten wurde. Doch laut eigener Aussage erschien ihm ein Studium in Großbritannien als sinnvoller – ein mutiger Weg, wie ich finde. „Das war lecker“, sagt April laut, schiebt den leeren Dessert-Teller von sich und hält sich demonstrativ ihren Bauch. „Noch ein Stück und ich platze.“ Auch ich genieße noch die letzte Gabel voll Lava-Kuchen und die schokoladige Geschmacksexplosion, die sie mit sich bringt. Wäre es nicht eine Sünde, würde ich mich den ganzen Tag davon ernähren – auch wenn meine Hüfte darunter arg zu leiden hätte. Simon schaut auf sein Handy. „Der Schneesturm wird wohl nicht besser. April, Schatz, ich denke, wir sollten los, wenn wir vor neun Uhr noch zu Hause sein wollen.“ Sie nickt zustimmend. „Die Babysitterin muss ja auch noch nach Hause gebracht werden.“ Dann wendet sie sich uns zu. „Wäre das in Ordnung für euch, wenn wir hiermit das Abendessen beenden?“ „Natürlich“, erwidere ich sofort und Nolan stimmt mir zu: „Kein Problem.“ Wir bekommen die Rechnung und die beiden übernehmen – nach heftigen Protesten von meiner wie auch Nolans Seite – den vollen Betrag. „Nächstes Mal lade ich euch ein, keine Widerrede“, sage ich und April winkt ab. Wir ziehen unsere Mäntel an und treten vor die Tür. Eisige Winterluft empfängt uns und lässt mich sofort frieren. „Ich hätte mir vom Restaurant ein Taxi rufen lassen sollen“, murre ich und schlinge die Arme um mich selbst. Dicke Schneeflocken prasseln auf uns herab und der Wind bläst eiskalt um meine Beine. „Wo möchtest du denn hin? Vielleicht können wir uns eins teilen“, schlägt Nolan vor und legt eine Hand an meinen Rücken. Ein weiterer Schauer überzieht meinen Körper und ich weiß nicht, ob es erneut an der Kälte oder an seiner Berührung liegt, die ich trotz des dicken Wintermantels deutlich spüre. Ich nenne ihm den Namen meines Hotels und seine Augenbrauen schießen in die Höhe. „Da wohne ich zurzeit auch“, sagt er und mein Mund klappt auf, bevor ich mich ruckartig zu April wende, die unsere kurze Unterhaltung mit einem sehr zufriedenen Gesichtsausdruck bedenkt. „Was für ein Zufall“, flötet sie mit einem diebischen Grinsen. „Ja“, grummle ich. „Zufall.“ Ist ja nicht so, als hätte sie mir das Hotel vorgeschlagen ... Ich schlucke jeglichen weiteren Kommentar hinunter und schaue zu, wie Nolan an den Straßenrand tritt und die Hand ausstreckt, um ein Taxi zu rufen. Wir verabschieden uns von April und Simon, die zu ihrem Wagen gehen, und steigen ein. Meine Nervosität kehrt mit einem Mal wieder zurück. Bisher bin ich den Abend über eigentlich recht ruhig geblieben, was wahrscheinlich auch dem Alkohol zu verdanken ist, doch diese Situation – mit Nolan alleine – lässt mich wieder zu einer schüchternen Sechzehnjährigen mutieren, die mit ihrem Schwarm endlich ein paar zweisame Minuten teilen darf. Ein Geruch, der mich stark an Gewürznelken erinnert, empfängt uns im Inneren des Wagens und ich rümpfe die Nase. Immerhin ist das alles andere als ein Aphrodisiakum. „Wie kommt es, dass du im Hotel wohnst?“, frage ich, während ich meinen Schal ablege und den Mantel öffne. Der Fahrer hat die Heizung wohl voll aufgedreht. „Meine Wohnung ist noch nicht einzugsbereit“, erklärt er und legt seinen Schal ebenfalls ab, wobei seine Hand kurz meine streift, als wir die Kleidungsstücke gleichzeitig auf den mittleren Sitz der Rückbank legen wollen. Ich zucke zusammen, als hätte mich ein Stromschlag getroffen. Er jedoch übergeht meine Reaktion gekonnt, indem er einfach weiterspricht: „Eigentlich war mein Umzug etwas später geplant, doch die Geschäftsleitung wollte mich so schnell wie möglich hier haben, deswegen übernehmen sie mein Hotelzimmer für die Übergangszeit.“ „Und wann ist die Wohnung fertig?“ Ich hoffe, dass ich nicht zu forsch klinge, doch eine unangenehme Stille zwischen uns würde ich wahrscheinlich nicht ertragen. „Nächste Woche“, erwidert er. „Dann kannst du mich ja besuchen kommen, wenn du auch nach New York ziehst.“ Sein Grinsen und der doppeldeutige Unterton, der in seiner Stimme mitschwingt, treiben mir erneut die Röte ins Gesicht. Ich wende meinen Blick nach draußen, doch durch das dichte Schneetreiben sehe ich lediglich verschwommene Lichter an uns vorbeiziehen. Die Straßen sind voll und wir kommen nur in Schneckentempo voran. „Na, mal schauen, wann das bei mir überhaupt klappt. Mein Makler ist eine Trantüte“, seufze ich. „Ich kann dir gerne meine Maklerin empfehlen.“ Ich schaue zu Nolan, der sein Portemonnaie gezückt hat und eine Visitenkarte hervorholt. „Ms. Miller ist hervorragend, sie würde sich über einen Anruf sicherlich freuen.“ Er hält mir die kleine, mit silbernen Ornamenten verzierte, Karte entgegen und ich nehme sie dankend an. Das winzige Foto darauf zeigt eine freundlich lächelnde, junge Frau. Sie sieht ausgesprochen attraktiv aus. „Soll ich dann auch deinen Namen nennen, damit du eine Provision bekommst?“, scherze ich und stecke sie ein. „Das nicht, aber dann behandelt sie dich besonders nett“, sagt er zwinkernd und unwillkürlich frage ich mich, ob zwischen den beiden vielleicht doch mehr als ein Immobiliengeschäft gelaufen ist. Ein irrationaler Stich im Herzen durchfährt mich bei dem Gedanken, den ich ganz schnell abzuschütteln versuche. Er ist absolut deplatziert und ich würde mich dafür am liebsten ohrfeigen. Den Rest der Fahrt unterhalten wir uns über die horrenden Miet- und Lebenserhaltungskosten, die eine Großstadt wie New York City so mit sich bringt, sodass der zähe Verkehr durch die winterlichen Straßen schneller geschafft ist, als gedacht. Als Nolan gerade wieder sein Portemonnaie zücken will, um den Fahrer zu bezahlen, komme ich ihm zuvor, indem ich das Geld bereits herüberreiche. „Passt so“, sage ich zum Fahrer, schaue dabei aber meinen Sitznachbarn an, der merklich unzufrieden mit der Situation ist. Sobald wir in der klirrenden Kälte direkt vor dem Eingang unseres Hotels stehen, legt Nolan erneut eine Hand an meinen Rücken und beugt sich leicht zur Seite, um mir ins Ohr zu raunen: „Dafür möchte ich dich noch auf einen Drink einladen. Darf ich?“ Eine Gänsehaut überspannt meinen gesamten Körper und dieses Mal bin ich mir sicher, dass es nicht von der Kälte kommt. Die Antwort fällt mir leichter, als ich erwartet hätte. „Sehr gerne.“   Nach einem kleinen Abstecher in unsere Zimmer, um die Mäntel abzulegen und – in meinem Fall – das Make-up zu überprüfen und nachzubessern, treffen wir uns nur wenig später an der hoteleigenen Bar. Es ist wenig los, was wahrscheinlich daran liegt, dass es mitten in der Woche ist und die meisten am nächsten Tag früh raus müssen, denn so, wie der Großteil der Gäste hier aussieht, sind die meisten von ihnen Business-Leute auf Geschäftsreise. „Einen Dry Martini mit zwei Oliven bitte“, sage ich zum Barkeeper, während ich neben Nolan, vor dem bereits ein Tumbler mit White Russian steht, Platz nehme. Er dreht sich auf seinem Hocker zu mir und seine Knie berühren meine fast. „Oliven?“, fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen und fügt ob meines fragenden Blickes erklärend hinzu: „Früher hast du die Dinger gehasst.“ Mein Mund klappt überrascht auf. „Daran erinnerst du dich noch?“ „Natürlich.“ Sein Lächeln wird breiter. Der Barkeeper reicht mir das Martini-Glas und ich fische sogleich den kleinen Stiel mit den beiden Oliven heraus, um mir eine davon an den Mund zu führen. Doch ich stocke in der Bewegung, als ich zu Nolan schaue und seinen intensiven Blick beinahe auf mir spüren kann. Die Olive berührt meine Lippen und seine Augen folgen dieser Bewegung. Es liegt etwas Feuriges in ihnen. „Wie könnte ich es je vergessen?“ Seine Worte sind mehr ein Wispern und ich bin mir nicht sicher, ob er es als Antwort auf meine Frage meint oder mehr zu sich selbst spricht. Verlegen senke ich die Lider und lege die übrige Olive am Stiel zurück ins Glas. Das warme Kribbeln, welches durch meinen Körper wandert, fühlt sich so vertraut an. Es ist wie ein Déjà-vu. Ich räuspere mich. „Musst du morgen eigentlich früh raus?“, frage ich, um das Thema wieder in ungefährlichere Gewässer zu lenken. „Ich meine … nicht dass du morgen müde zur Arbeit musst.“ Nolans Stimme klingt um einiges tiefer, als er antwortet: „Ich würde auch die ganze Nacht aufbleiben, solange ich diese Zeit mit dir verbringen kann.“ Und damit ist der kurze Abstecher in ungefährlichere Gewässer auch schon Geschichte. Meine Ohren glühen, während ich einen tiefen Schluck meines Getränks nehme. „Ich meinte es vorhin wirklich ernst, dass ich es schön finde, dich wiederzusehen“, sagt er und führt sich ebenfalls das Glas an die Lippen. „Ich finde es schade, wie es zwischen uns geendet hat.“ Ich beiße mir auf die Unterlippe, als sich die altbekannten Gewissensbisse wieder melden. „Das finde ich auch.“ Die kurze Stille, die zwischen uns entsteht, fühlt sich schwer an und ich atme schließlich tief durch, bevor ich leise die nächsten Worte ausspreche: „Ich habe dir nie gesagt, wie furchtbar leid es mir tut, dass ich dich damals zu Unrecht beschuldigt habe.“ Ich schaue auf und stelle fest, dass Nolan mich nicht mehr ansieht. Sein Kiefer spannt sich sichtlich an, während sein Blick starr auf den Tresen vor ihm gerichtet ist. „Du wusstest, dass ich nichts verraten habe?“, fragt er und fährt mit dem Zeigefinger den Rand seines Glases ab. Betreten senke ich den Blick. „Ich habe es kurz vor dem Abschluss erfahren“, gebe ich zu – und muss mal wieder feststellen, wie naiv ich damals gewesen bin, davon auszugehen, Martha wäre die einzige gewesen, die unseren Kuss hätte beobachten können. Dass Lacey, wie so oft, auf die Informationen einer unzuverlässigen Quelle zurückgegriffen hat, hat mich im Nachhinein auch nicht überrascht. Sie hat zwar den richtigen Namen bekommen, aber nur weil Nolan in der Umkleide damit konfrontiert worden ist und die aufdringlichen Fragen nicht verneinte, sondern nur überging. „Und dann war ich zu feige, um meinen Fehler geradezubiegen. Das bereue ich noch immer.“ Nolan nickt leicht. „Ich kann das verstehen“, sagt er zu meiner Überraschung. „Und ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht genug dagegen getan habe, dich -“ „Nicht“, unterbreche ich ihn leise und berühre ihn kurz am Unterarm. „Dich trifft keine Schuld. Ich habe mitbekommen, wie du dagegen anreden wolltest, aber du weißt ja, wie das bei Teenagern und Gerüchten so läuft. Je mehr du dementierst, desto weniger glauben sie dir.“ Nolan schaut mich eine Weile stumm an, ehe er leise sagt: „Lacey hat dir das letzte Jahr auf der High School echt zur Hölle gemacht." Ich presse meine Lippen aufeinander. „Ja, beim Gerüchte verbreiten war sie damals mit Abstand die Beste. Da ist sie regelrecht aufgeblüht.“ Sie hat es schließlich geschafft, dass fast jeder in der Schule dachte, ich wäre eine Schlampe, die mit jedem dahergelaufenen Kerl was anfangen würde. Ironischerweise hatte ich meinen ersten Sex erst auf dem College … Frustriert fahre ich mir mit einer Hand durch die Haare, als mir ein Gedanke durch den Kopf schießt, und Nolan schaut fragend auf. „Ich habe Lacey vor zwei Jahren in unserer Heimatstadt getroffen, als ich meine Eltern besucht habe“, erzähle ich und sehe aus dem Augenwinkel, wie er sich interessiert zu mir dreht und sich mit dem Unterarm auf dem Tresen abstützt. „Sie hat ihr Gewicht verdoppelt, ist arbeitslos und alleinerziehend. Sie sah wirklich furchtbar aus.“ Ich lege den Kopf in den Nacken und schnaube. „Mein sechzehnjähriges Ich hätte bei dem Anblick wahrscheinlich gefeixt und es als verdiente Gerechtigkeit empfunden.“ Tief ausatmend schließe ich die Augen. „Stattdessen hatte ich nur Mitleid für sie übrig.“ Nolans warme Hand an meiner Schulter lässt mich meinen Kopf wieder senken. In seinen Augen liegt ein weicher Ausdruck, der meinen Herzschlag zum Stolpern bringt. „Du tust genau das Richtige“, sagt er. „Das Vergangene ruhen lassen und den Blick in die Zukunft richten.“ Ein sanftes Lächeln legt sich auf meine Lippen, als ich ihm zunicke. „Du hast Recht.“   Im Laufe der nächsten zwei Stunden, die wir an der Bar verbringen, ist das Thema Lacey vom Tisch, was der Stimmung einen gehörigen Aufschwung verpasst. Mit jeder Minute, die wir gemeinsam reden und lachen, werde ich mehr und mehr an das Gefühl erinnert, das ich früher immer in Nolans Gegenwart hatte. Dieses tiefe Vertrauen, eine unerfüllte Sehnsucht und still lodernde Hoffnung. Es ist die Freundschaft, die uns früher verband und wohl nie komplett verschwunden ist. Gleichzeitig ist da im Hintergrund jedoch auch eine gewisse Schwere, die mich immer wieder aufs Neue daran erinnert, dass ich all das schon viel früher hätte haben können – und vielleicht sogar noch mehr –, hätte ich damals nicht einfach resigniert und mich damit meinem Schicksal ergeben. Es ist bereits kurz nach halb elf, als wir die Bar lachend verlassen und den Weg zu den Fahrstühlen antreten. Nach meinem ersten Martini habe ich mir keine weiteren alkoholischen Getränke mehr genehmigt, sondern bin auf alkoholfreie Cocktails umgestiegen. Trotzdem fühle ich mich leicht beschwipst auf dem Weg zu meinem Stockwerk. „Ich bin immer noch etwas beleidigt, weil du dich weigerst, diese Serviette zu unterschreiben“, sagt Nolan gespielt böse und fuchtelt mit besagtem Gegenstand, auf den ich noch keine zehn Minuten zuvor ein kleines Bildchen gekritzelt habe, vor meiner Nase herum. „Wie soll ich es denn so gewinnbringend veräußern?“ Ich lache auf und drücke den Fahrstuhlknopf. „Gewinn würdest du so oder so machen“, entgegne ich. „Die Serviette gab es schließlich für lau.“ Er grinst und faltet das Taschentuch in der Mitte, bevor er es in die Innentasche seines Sakkos steckt. „Aber wer glaubt mir denn, dass es ein Layken-Wright-Original ist?“ „Die Kenner wissen es“, antworte ich zwinkernd und wir betreten den Aufzug. Ich strecke meinen Arm zu den Fahrstuhlknöpfen, doch Nolan kommt mir zuvor, indem er sich nach vorne beugt. Sein Oberkörper berührt beinahe meinen und ich halte unwillkürlich die Luft an. Mein Blick klebt förmlich an seinen Augen, die mich intensiv mustern. „Wir sollten noch Handynummern austauschen“, spreche ich atemlos das erste aus, was mir einfällt, um mich von dem Umstand abzulenken, dass jede Faser meines Körpers in dieser Sekunde danach schreit, Nolan zu berühren. „Das sollten wir“, bestätigt er leise und fixiert meine Lippen. Die Fahrstuhltür geht zu und meine Nackenhärchen stellen sich auf. In meinem Brustkorb dröhnt der Bass, als sich seine Hände federleicht an meine Taille legen, bevor Nolan mich mit einer fließenden Bewegung an sich zieht. Kapitel 5: ----------- KAPITEL 5   [ Februar 2018, New York City ]   Mein Herz setzt aus – eine Sekunde, zwei … Nolans warmer Körper presst sich gegen meinen, während er seine starken Arme um meine Taille schlingt und sein Gesicht seitlich in meinen Haaren vergräbt. „Ich habe dich vermisst“, flüstert er und sein Atem streift die empfindliche Haut an meinem Hals. Ein angenehmer Schauer jagt mir den Rücken hinab, als sich meine Arme wie von selbst heben und ich die Umarmung erwidere. Abermals werde ich gedanklich in die Vergangenheit katapultiert ... direkt zur Situation vor den Umkleideräumen, nur wenige Stunden, bevor wir uns das erste Mal geküsst haben. Eine elektrisierende Wärme breitet sich in meinem Bauch aus und wandert meinen Körper hinauf, als ich mich an seine sanften Lippen erinnere. In manchen Nächten träume ich noch immer von diesem Augenblick. Der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung und wir bleiben eng umschlungen stehen. Ich höre Nolans ruhigen Herzschlag und atme den vertrauten Geruch ein. Meine Muskeln sind beinah schmerzhaft angespannt, weil ich Angst habe, dass der Gefühlsrausch, der meinen Körper befällt, mich unkontrolliert erzittern lässt. Es dauert gefühlt eine halbe Ewigkeit, bis sich die Türen im gewünschten Stockwerk wieder öffnen, und ich traue mich nicht, aufzuschauen, als wir uns voneinander trennen, denn ich bin mir fast sicher, dass ich mich ansonsten nicht zurückhalten könnte und womöglich eine Dummheit begehen würde. Mein Mund fleht regelrecht nach seinem. Wir steigen aus dem Lift. „Du musst mich nicht bis zu meiner Zimmertür begleiten“, sage ich und starre den hellgrauen Teppich an, mit dem der lange Flur ausgelegt ist, während ich in meine Handtasche greife und den Zimmerschlüssel herausziehe. Mein Herz bebt immer noch. „Ich weiß, aber wir wollten doch noch Nummern austauschen“, entgegnet er und ich höre ihn dabei grinsen. Er öffnet das Sakko und holt sein Handy heraus. „Speicherst du sie mir ein?“ Ich kratze jedes Bisschen meiner Selbstbeherrschung zusammen und hebe den Kopf. Mein Blick trifft seinen und meine Nackenhärchen stellen sich automatisch auf. „Natürlich“, sage ich und greife nach dem kleinen Gerät. Meine Hände zittern beim Tippen, was Nolan bestimmt mitbekommt. Peinlich. Ich presse die Lippen aufeinander und schlucke den Frust über diese völlig überzogene Reaktion meines Körpers hinunter. „Danke.“ Er nimmt das Handy wieder entgegen und steckt es ein, bevor er sich umschaut und plötzlich ungewöhnlich geschäftig wirkt. „Ich schreib dir später, damit du auch meine Nummer hast, in Ordnung?“ Ich nicke und bejahe anschließend, weil er mich nicht mehr ansieht. Stattdessen hat er sich zum Fahrstuhl gewandt und drückt nun auf den Knopf. Im nächsten Moment tritt er vor und legt sanft eine Hand an meine Wange, bevor er sich vorbeugt. Ich halte überrascht den Atem an und schließe die Augen, während sich mein Kopf automatisch hebt – in der freudigen Erwartung, seine Lippen auf den meinen zu spüren, doch diese treffen nur meine Wange. „Gute Nacht, Layken“, sagt Nolan leise, ehe er im Fahrstuhl verschwindet und mich in meinem Schockzustand alleine lässt.   Mit stark klopfendem Herzen schließe ich die Zimmertür hinter mir, bevor ich mich seufzend dagegen lehne. Ich spüre immer noch seine Lippen auf meiner Wange und das verräterische Kribbeln in meinem Bauch, das diese sanfte Berührung ausgelöst hat. Gleichzeitig ist da dieses beißende Gefühl der Enttäuschung, welches im Hintergrund mitschwingt und mir glaubhaft versichert, die Situation völlig missverstanden zu haben. Hat wirklich eine einzige Umarmung ausgereicht, um meine schlummernden Schwärmereien von damals wiederzuerwecken? Wie verzweifelt ist das bitte? Ich habe mich ihm beinahe sabbernd und willig vor die Füße geworfen. Kein Wunder, dass er so plötzlich die Flucht ergriffen hat. „Ich bin so dumm“, murmle ich und entledige mich frustriert meiner Schuhe. Während ich meine Haare hochbinde und mich aus meiner Kleidung schäle, lasse ich den heutigen Abend gedanklich Revue passieren. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, Nolan jemals wiederzusehen, vor allem nachdem ich bei meinem letzten Besuch in Houston erfahren habe, dass er ins Ausland gegangen ist. Und es ist erschreckend, wie unverändert ich auf seine bloße Nähe reagiere – als wäre ich immer noch sechzehn, unerfahren und absolut beeinflussbar. Ein Blick von ihm genügt und meine Knie werden weich, meine Atmung geht schneller und mein Verstand setzt aus. Man könnte meinen, Nolan hätte mein Herz all die Jahre bei sich getragen … aber ist das überhaupt möglich? Ich schüttle den Gedanken ab und steige, mich über mich selbst ärgernd, unter die Dusche. Der warme Wasserstrahl trifft auf meine angespannten Muskeln und ich seufze leicht auf. Ich schließe die Augen und genieße einige Sekunden lang die entspannende Wirkung, welche die Wärme auf mich hat, bevor ich nach der Cremeseife greife, sie auf meiner Haut verteile und schließlich abwasche. Meine Hände folgen den Kurven meines Körpers – über meine Brüste, die Taille und die Hüfte hinab zu meiner intimsten Stelle – und ich ertappe mich dabei, wie ich mir vorstelle, dass es nicht meine Finger sind, die sanft über meinen Venushügel streichen. Nolan … Das ist ja schon fast peinlich, wie notgeil ich auf diesen Mann reagiere. Mit aufeinandergepressten Lippen ziehe ich meine Hand zwischen meinen Schenkeln hervor, stelle das Wasser ab und steige aus der Dusche. Meine Haut ist erhitzt und meine Mitte pocht, aber ich werde das ignorieren, weil es sich völlig falsch anfühlt, mich meinen pubertären Fantasien so hinzugeben. Ich bin eine erwachsene Frau und kein hormongesteuerter Teenager mehr, ich sollte wohl meine Gedanken zügeln können. Nachdem ich meinen Körper abgetrocknet habe, stelle ich mich, in einen Bademantel gehüllt, ans Fenster und schaue auf die Lichter der Stadt. Selbst aus dem neunten Stock ist der Ausblick auf New York City gigantisch, sodass ich eine Gänsehaut bekomme. Mein Blick gleitet zum Bett, wo ich meine Handtasche abgelegt habe. Eine unterschwellige Aufregung ergreift Besitz von mir, als ich herantrete und nach meinem Handy fische. Nolan hat gesagt, dass er mir schreiben würde. Mein Herzschlag gleicht einem Trommelwirbel, als ich auf dem kleinen Gerät tatsächlich eine neue Nachricht erblicke. Ich zögere keine Sekunde – und werde prompt enttäuscht.   9.34 pm [April] Ich hoffe, ihr seid gut beim Hotel angekommen und du tust nichts, was ich nicht auch tun würde. Du schuldest mir ein paar Erklärungen. Morgen, 10 Uhr, Frühstück. Ich hole dich ab. xoxo   Ich seufze und schmeiße mich rückwärts aufs Bett, bevor ich ihr eine Antwort schreibe. Das unbefriedigende Gefühl aber bleibt, was ich vehement durch Kopfschütteln loszuwerden versuche.   [an April] 10.46 pm Ja, sind gut durchgekommen. Ich gehe jetzt ins Bett. Wir sehen uns morgen. xx&gn   Zähneknirschend lege ich den linken Unterarm über meine Augen und will gerade über mich selbst fluchen, als zeitgleich das Handy vibriert und ich innerhalb nur eines Atemzugs kerzengerade im Bett sitze.   10.47 pm [Unbekannte Nummer] Bist du noch wach? Nolan   Ich lasse das Handy beinahe fallen, während meine Finger hektisch über das Display huschen, als würde die Nummer, die ich sogleich einspeichere, verschwinden, wenn ich nicht schnell genug bin. Ich unterdrücke den Reflex, mir selbst gegen die Stirn klatschen zu wollen. Wie lange soll man normalerweise warten, um nicht verzweifelt zu wirken? Scheiß drauf, ich schicke die Antwort jetzt ab!   [an Nolan] 10.48 pm Würdest du mir glauben, wenn ich Nein schreibe?   Es dauert nur wenige Sekunden, in denen ich angespannt meinen Atem anhalte und wie ein Psycho die Zeile „Nolan schreibt …“ anstarre, bis seine Antwort endlich erscheint.   10.48 pm [Nolan] Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass ich vor deiner Tür stehe?   Ich schnappe überrascht nach Luft und drehe meinen Kopf ruckartig nach rechts. Die Stille im Zimmer wird durch meinen wummernden Bass im Brustkorb übertönt. Sollte ich ihm schreiben oder sollte ich … Meine Entscheidung fällt, bevor ich den Gedanken überhaupt zu Ende führe. Ich stehe auf und tapse mit nackten Füßen über den weichen Teppich zur Tür, wo ich mit Herzrasen stehen bleibe. Meine Hand liegt bereits auf der Türklinke, aber ich zögere. Was ist, wenn es einfach nur ein Witz ist? Ich weiß bereits jetzt, dass mein Körper – dieser fiese Verräter – nur darauf wartet, mit einer Welle abgrundtiefer Enttäuschung darauf zu reagieren. Wenn ich aber so darüber nachdenke … meine eigene Frage wäre logischerweise mit einem Nein zu beantworten, also ist seine Gegenfrage wahrscheinlich auch so gemeint? Ich schlucke und entscheide mich, diesen Schritt zu wagen. Im Falle eines Missverständnisses wäre ich ja wohl eh die einzige, die diese Dummheit mitbekommen würde. Ich öffne die Tür – bereit, eine volle Ladung bitterer Enttäuschung über mich schwappen zu lassen, aber stattdessen bleibt mein Herz stehen, als ich direkt in zwei tiefblaue Augen schaue. „Woher –“ Doch weiter komme ich nicht, denn Nolan tritt vor, nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und versiegelt meinen Mund mit seinem. Mir stockt wortwörtlich der Atem, als ich die Augen automatisch schließe und meine Lippen ganz von selbst seinen Kuss erwidern, der leider viel zu schnell wieder vorbei ist. „Entschuldige“, wispert er und legt seine Stirn seitlich gegen meine Schläfe. „Ich musste es einfach wissen.“ „Was? Was musstest du wissen?“, frage ich atemlos. In meinen Ohren rauscht das Blut und die Gedanken drehen sich wild im Kreis. „Ob es noch genauso süß ist wie damals.“ Hitze steigt meinen Körper hinauf und ich schließe erneut die Augen. „Und? Ist es das?“ Meine Frage ist kaum ein Flüstern, denn ich spüre seine Lippen hauchzart meine Mundwinkel streifen und allein diese kleine Berührung lässt mich das Atmen vergessen. „Nein“, antwortet Nolan, „es ist süßer.“ Und mit diesen Worten überbrückt er den letzten Abstand zwischen uns und küsst mich erneut. Ich handle instinktiv, als ich mich in sein Hemd kralle und ihn rückwärts in mein Hotelzimmer ziehe, ehe sich die Tür schließt, wir uns drehen und er mich gegen eben jene drückt. Nolans schwerer Körper presst sich gegen meinen, während sich unsere Münder in einem leidenschaftlichen Spiel der Lippen und Zungen vereinen. Jeder Zentimeter meiner Haut kribbelt unter seinen Berührungen, als er von meinem Gesicht ablässt und die Hände meine Seiten entlangfahren. Es ist genau das, wonach ich mich schon die ganze Zeit gesehnt habe. Durch meine Adern fließt glühend heiße Lava. Schwer atmend unterbrechen wir den Kuss und schauen uns tief in die Augen. Nolan stützt sich mit einer Hand an der Tür direkt neben meinem Kopf ab, während die andere weiterhin an meiner Hüfte verweilt. „Woher wusstest du, in welchem Zimmer ich bin?“, stelle ich endlich die Frage, die ich eben nicht zu Ende formulieren konnte. „Die Nummer auf deinem Schlüssel, den du vorhin aus der Tasche gezogen hast, hat es mir verraten.“ Ein sanftes Lächeln umspielt seinen Mund. „Ich habe dich etwas überrumpelt, oder?“, fragt er und seine Augen wandern über mein Gesicht, so als würde er nach Antworten darin suchen. „Nur ein wenig“, gebe ich zu und beiße mir auf die Unterlippe, während ich mit den Fingern über sein Hemd fahre. Sein Körper fühlt sich genauso hart an, wie er aussieht. „Ehrlich gesagt, bin ich eher verwundert.“ Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen, als er mich fragend ansieht. „Worüber?“ „Dass es nicht bereits auf dem Flur dazu gekommen ist ...“ Meine ohnehin schon heißen Wangen werden noch eine Spur wärmer und seinen Mund ziert nun ein halbes Grinsen. Nolan beugt sich wieder ein Stückchen vor und sein Atem tanzt über meine Haut unter dem rechten Ohr. „Ich wollte dich nicht verschrecken ...“ „Und hast dich nun offensichtlich anders entschieden“, ergänze ich lächelnd. „Offensichtlich.“ Seine Lippen berühren meine Ohrmuschel und ich keuche leise auf. „Stattdessen hast du mich mit deinem Verhalten im Flur verunsichert.“ Ich spüre, wie Nolan innehält und seine Finger an meiner Hüfte kurz zucken. „Aber“, füge ich ebenso leise hinzu und fahre mit meinen Händen seine harte, noch immer von störendem Stoff bedeckte, Brust hinauf zum Kragen, „ich denke, du findest schon einen Weg, das wiedergutzumachen.“ Das leise, tiefe Lachen beschert mir eine Gänsehaut, als Nolan sich von mir abstößt und langsam, rückwärts gehend, beginnt, die oberen Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. Fasziniert beobachte ich ihn dabei, wie er seinen muskulösen Körper entblößt. Ich bin fest davon überzeugt, dass nicht mal entsprechende Musik diese Szene, die sich mir gerade bietet, noch perfekter machen könnte. Das eindeutige Prickeln zwischen meinen Beinen verstärkt sich, weswegen ich mich von der Tür löse und Nolan schnell nachgehe. Sein Hemd lässt er auf den Sessel beim kleinen Tisch fallen, bevor ich meine Finger über die seidige Haut seiner Brustmuskeln gleiten lasse und entzückt beobachte, wie sich seine Härchen dabei aufstellen. Nolans Augen folgen jeder meiner Berührungen mit einem feurigen Glanz. Ich schmelze regelrecht unter seinen begehrenden Blicken, bis er schließlich nach dem Gürtel meines Bademantels greift und mir in diesem Moment bewusst wird, dass ich nichts darunter trage. Ich halte den Atem an, während er den Knoten lockert und sich zu mir hinabbeugt, um mir im nächsten Moment den Bademantel ein Stück weit von der Schulter zu streifen und seine sinnlichen Lippen an meine Halsbeuge zu legen. Meine Bedenken verfliegen wie ein Schwarm Kolibris, als ich meinen Kopf genüsslich in den Nacken lege und die brennenden Berührungen seines Mundes auf meiner Haut wahrnehme. Meine Fingernägel kratzen sanft über seinen steinharten Bauch, hinunter zum Bund seiner Hose, wo ich mit zittrigen Händen die Schnalle öffne. Ich keuche auf, als seine Hand plötzlich durch den unteren Schlitz meines Mantels verschwindet und sich fest auf die Außenseite meines Schenkels legt, um diesen nach oben zu meiner Hüfte zu streichen. „Bist du sicher, dass es dir jetzt nicht zu schnell geht?“, fragt Nolan und küsst meinen Hals. „Ich habe zehn Jahre auf diesen Augenblick gewartet“, antworte ich außer Atem und stoße ihn von mir, in Richtung des Bettes, wo er sich widerstandslos auf die Kante setzt und mir einen so verführerischen Blick zuwirft, dass mir beinahe die Beine einknicken. Der Knoten meines Mantels hat sich nun endgültig gelöst, sodass ich ihm tiefe Einblicke gewähre, als ich langsamen Schrittes auf Nolan zugehe und er mich von oben bis unten mustert. Mein Körper steht in Flammen. Ich beuge mich vor und stütze mich dabei lasziv auf seinen Oberschenkeln ab. „Oder geht es dir zu schnell?“, frage ich keck. Sein Mund ist so verlockend nah an meinem, dass ich die Antwort kaum abwarten kann. „Nein“, sagt Nolan schließlich und fährt sich mit der Zunge über die Lippen. „Aber ich habe kein Kondom dabei.“ „Dann ist heute dein Glückstag.“ Schmunzelnd strecke ich mich an ihm vorbei und greife in meine Handtasche, die noch immer auf dem Bett liegt, bevor ich ihm triumphierend die kleine Packung zeige, die ich aus einem der Innenfächer herausziehe. „Das ist mir bereits klar, seit ich dich im Restaurant gesehen habe“, haucht er, zieht meinen Mantel auseinander und greift nach meiner nackten Hüfte, um mich auf sich zu ziehen. Doch statt zuzulassen, dass ich mich rittlings auf ihn setze, nutzt er den Schwung und befördert mich aufs Bett, wo er, über mir schwebend, meinen nun komplett entblößten Körper bewundert. Bedächtig fährt seine rechte Hand die Konturen meiner Brüste und die Taille nach, hinab zu meiner Hüfte, wo sie kurz vor meiner Mitte innehält. Ich lache innerlich auf, als mir klar wird, dass hier gerade das passiert, was ich vorhin unter der Dusche noch als pubertäre Fantasie abgestempelt habe. Wie dumm von mir ... Erwartungsvoll strecke ich ihm mein Becken entgegen und ein Stöhnen entkommt meinem Mund, als er meiner stummen Bitte Folge leistet und seine Finger über meine mehr als feuchte Weiblichkeit gleiten lässt. Ich bin bereit und ich habe es satt, länger zu warten. Ungeduldig greife ich nach der bereits geöffneten Schnalle seines Gürtels und ziehe sie komplett auseinander, um an den Verschluss seiner Jeans zu kommen. Schließlich erbarmt sich Nolan und lässt von mir ab, um sich seines störenden Kleidungsstücks selbst zu entledigen. Erregt beobachte ich ihn dabei, wie er seine harte Männlichkeit befreit und das Kondom überstreift, ehe er sich wieder über mich beugt und meinen Mund mit einem derart feurigen Kuss in Beschlag nimmt, dass sich mein Verstand endgültig ins Nirwana verabschiedet. Erst als Nolans Körper sich auf meinen legt und er mit einem gezielten Stoß in mich eindringt, verlässt ein befreiender Laut meine Kehle und mein Atemzentrum nimmt seine Arbeit wieder auf. Einen Augenblick verweilen wir regungslos in dieser Position und genießen die absolute Nähe des jeweils anderen. Haut an Haut. Ich spüre sein Herz direkt an meiner Brust, es schlägt in schnellem Einklang mit meinem. Dann bewegt Nolan seine Hüfte und es ist um mich geschehen. Hitze übermannt mich, während süße Wellen der Lust durch meinen Körper schwappen und mir jegliches Denken verwehren. Nolans Bewegungen sind geschmeidig und fest, sodass ich mit jedem weiteren Stoß in immer höhere Sphären befördert werde. Seine Lippen liegen an meinem Hals, direkt an der Hauptschlagader, und das tiefe, beinahe knurrende Stöhnen aus seinem Mund feuert mich zusätzlich an. Der Druck in mir steigt wie in einem Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht – und sich schließlich mit einem Aufschrei entlädt. Meine Fingernägel graben sich tief in seine harte Rückenmuskulatur, während ich meine Beine anwinkle und sie um seine Mitte schlinge, um seine Länge intensiver in mir zu spüren, bevor auch Nolan mit einem tiefen, männlichen Geräusch und einem letzten ruckartigen Stoß in mir kommt. Schwer atmend bleiben wir einige Sekunden lang so eng umschlungen liegen, bevor Nolan mir einen Kuss auf das Schulterblatt haucht und sich erhebt, um das Kondom zu entsorgen und sich seine Shorts überzustreifen. Ich hülle meinen Körper wieder in den Mantel und rutsche auf dem Bett höher zu den Kissen. Mit einem zufriedenen Grinsen legt sich Nolan direkt neben mich und ich platziere zutiefst befriedigt meinen Kopf auf seinem nackten, Hitze ausstrahlenden, Oberkörper. Eine beruhigende Stille legt sich über uns und ich spüre die Glückshormone durch meinen Körper rauschen. Und ein Gedanke wirkt nun besonders präsent. „Du hast im Restaurant gesagt, ich sei deine erste große Liebe gewesen“, sage ich leise. „Das stimmt.“ Nolans Finger fahren sanft meinen Kiefer entlang. „Und ich glaube, ich bin nie gänzlich über dich hinweggekommen“, offenbart er nun auch noch und bringt mein Herz damit zum Stolpern. Ich schlucke die Aufregung hinunter, die sich in mir auszubreiten versucht. „Dasselbe trifft wohl auch auf mich zu“, flüstere ich und hebe meinen Kopf. Die Wärme und Zuneigung, die in seinem Blick liegen, verstärken das Kribbeln in meinem Bauch, das nun wieder die Oberhand gewinnt. Nolan lächelt und ich erwidere es, ehe er seine Lippen sanft auf meine legt. Dieser Kuss ist so unschuldig, zärtlich und liebevoll wie unser erster – und ich habe dieses unerklärliche Vertrauen, dass es dieses Mal ein Happy End für uns geben wird. Wir müssen lediglich diese einmalige Chance, die uns das Schicksal unter dem Deckmäntelchen des Zufalls gegeben hat, auch nutzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)