Broken Wings von Disqua ================================================================================ Kapitel 6: Raziel & Raphael --------------------------- Tsorn ging pfeifend seiner Aufgabe nach. Er freute sich. Luzifer hatte ihm eine der wichtigsten Aufgaben gegeben. Er durfte sich mit Raziel beschäftigen, dem Erzengel der alles wusste. Der noch so jedes kleine Geheimnis Gottes kannte. Wenn das keine Ehre war, dann wusste er auch nicht. Unten angekommen, war er dann allerdings ein klein wenig nervös. Ihm wurde jetzt bewusst, dass er die wichtigste Aufgabe erhalten hatte … Zumindest nach Metatron, vielleicht war er doch der Falsche dafür? Sollte Raziel ihm nicht antworten wie gewünscht, dann würde er bestimmt wütend und ihn einschüchtern und dann noch weniger zu hören bekommen? Hatte Luzifer ihn verarscht? Nein, das würde er nicht tun, oder? Tsorn steigerte sich immer ein bisschen mehr in diesen Gedanken und spürte gut, wie langsam aber sicher die Wut in ihm aufzusteigen begann. Mit dieser Wut im Bauch, trat er die Gefängniszelle beinahe auf und sah eine Gestalt zusammenzucken. Eine Geste, die ihn durchaus leicht Grinsen liess. “Wir beide, haben was zu klären und wehe du verarscht mich, dann werde ich ungemütlich.” Tsorn wollte gar nicht mehr behutsam vorgehen, er war jetzt schon sauer, auf was wusste er zwar nicht so genau, aber bisher hatte er auch keinen Grund gebraucht. “Ich rede auch nicht lange um den heissen Brei herum, dazu habe ich die Laune gerade nicht. Wo ist euer grossartige Gott?” Er blieb direkt vor Raziel stehen und schaute ihn durchdringend an. Dieser schluckte, sagte allerdings kein Wort. “Heute noch oder muss ich andere Saiten aufziehen?” Tsorn hob seine Hand und sah wie Raziel zusammenzuckte. Der Engel hatte Angst. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen und er liess die Hand sinken. Interessant. Niemals hätte er gedacht, dass einer dieser stolzen Erzengel Angst vor ihm haben könnte. “Hast du nicht die Kraft mich in Staub zu verwandeln?”, wollte er dann hämisch wissen und erlangte somit die Aufmerksamkeit des Engels. “Zu Staub?”, fragte dieser leise und sichtlich verwirrt nach. “Ja, zu Staub”, wiederholte Tsorn seine Worte und bekam tatsächlich ein Lächeln geschenkt. Kein überhebliches oder abwertendes Lächeln, es schien ehrlich gemeint zu sein und ihn nicht auslachen zu wollen. Ein sehr seltenes Gefühl. “Wie … wie kommst du darauf, dass wir euch zu Staub zerfallen lassen können?”, wollte er dann erneut verwirrt wissen. “Du kennst doch alle Geheimnisse Gottes, er wird das bestimmt können.” Tsorn kam sich schon ein wenig dämlich vor. Er hatte sich tatsächlich nie mit dem Himmelreich beschäftigt und dies bemerkte er nun einmal mehr. Raziel lächelte einmal mehr. “Du bist amüsant”, stellte er dann fest und setzte sich ein wenig aufrechter hin. Er war ihm zwar noch immer nicht ganz geheuer, aber weitaus weniger bedrohlicher, als zuvor. “Verarscht du mich grad?” Tsorn war keinesfalls ruhiger, seine Wut brodelte nach wie vor in ihm und Raziel machte es gerade nicht besser. “Ich wüsste nicht wieso ich dies tun sollte. Ich kann dir versichern, ich weiss nicht, wie man Jemanden zu Staub zerfallen lässt. Ich kenne zwar alle Geheimnisse, was jedoch nicht bedeutet, dass ich sie auch ausführen kann. Immerhin bin ich nicht so allmächtig, wie Gott es ist. Im Gegenteil.” Raziel war körperlich vermutlich der Schwächste aller Erzengel, was ihn selbst nicht störte. Normalerweise war er an der Seite Gottes und hatte keine Aufgabe, ausser dessen Geheimnisse zu beschützen. Er war kein Krieger, er musste nicht auf die Erde, um seine Aufgabe zu erledigen. Normalerweise war er die gesamte Zeit in Gottes Palast. Jetzt hingegen, wäre es vermutlich nicht so schlecht gewesen, ab und an Michaels Training beizuwohnen und ein paar Muskeln aufzubauen, doch dafür war es nun eindeutig zu spät. “Ist das nicht unfassbar frustrierend? Alles zu wissen und doch nichts zu können? Mich würde es wütend machen, sehr sogar!” Tsorn tigerte in der Zelle auf und ab. “Macht dich nicht alles wütend?”, wollte Raziel dann leise wissen. Tsorn war sich nicht einmal sicher, ob er ihn wirklich gehört hatte. “Detail.” Raziel lachte nun tatsächlich leise auf und versuchte sich ein wenig anders hinzusetzen, was nicht so einfach war. Tsorn drehte sich beim rascheln der Ketten wieder zu Raziel um und musterte ihn einmal mehr ausgiebig. “Wer hat dich hier runter gebracht?” Raziel blinzelte überrascht. “Ich kenne eure Dämonen nicht beim Namen”, stellte dieser dann fest. “Hm, wenn du ihn siehst, wüsstest du, wer es war?” Raziel wusste nicht was Tsorn mit diesen Fragen bezwecken wollte, nickte jedoch auf die Frage. “Gut, ich werde ihn umbringen.” Raziel weitete überrascht die Augen. “Nein, wieso?” Niemand sollte hier umgebracht werden. Natürlich, er wollte hier im Himmel keine Dämonen haben, aber, sie sollten auch nicht hier oben ermordet werden. “Du kannst dich kaum bewegen. Natürlich sollt ihr gefangen genommen werden, natürlich sollt ihr angekettet werden, aber deine Haltung, sie macht mich sauer und ist die eines Engels nicht würdig.” Tsorn setzte sich neben Raziel und lockerte die Ketten ein wenig. Sie waren eindeutig zu eng gezogen und selbst er sah, dass sie sich ins Fleisch des Engels schnitten. “Wieso interessiert dich das? Ihr fallt in unser Reich ein, schleppt uns hier her und dann willst du, dass ich es bequem habe?” Raziel verstand den Sinn dahinter nicht. Er wollte sich nicht beschweren, keinesfalls, es verwirrte ihn und er musste dies irgendwie zum Ausdruck bringen. “Wir wollen ja auch gar nichts von euch, wir wollen Gott. Daher wäre es für dich auch sehr ergiebig, wenn du mir einfach sagen würdest, wo er ist.” Tsorn grinste, er konnte doch nett fragen und sogar nett sein. Ein wenig wunderte es ihn selbst, doch wollte er wirklich nicht, das Raziel sich quälte, ihn schien vieles zu quälen. “Niemand weiss wo Gott ist, nicht einmal ich. Er war einfach weg, Ich mache mir Sorgen, er war noch nie einfach weg. Bisher hat er immer mir oder Metatron Bescheid gegeben, doch nichts, wie vom Erdboden verschwunden.” Tsorn beobachtete Raziel bei seinen Worten und er glaubte ihm. Der Ausdruck, in dessen Augen war nicht gespielt, er machte sich wirklich Sorgen. “Wenn Gott nicht da ist, wieso bist du unversehrt? Er ist doch derjenige der euch immer und immer wieder heilt, euch unsterblich macht. Du hast gekämpft, nicht gut, aber du warst auf dem Schlachtfeld, wieso hast du keinen Kratzer?” Raziels Lächeln wurde ein wenig schwächer. “Ich habe Wunden, du siehst sie nur nicht. Raphael hat sein Bestes gegeben, oberflächlich sind wir unversehrt, richtig, aber wir sind schwach, einige von uns haben Schmerzen, sie würden es jedoch niemals zugeben. Nur Gott, könnte die Verletzungen sofort heilen, Raphael, er braucht viel Kraft, um dies zu tun, die hat er nicht und doch spüre ich noch immer Energie von ihm ausgehen.” Tsorn war überrascht. Raziel war sehr ehrlich. Er wusste ja, dass Engel nicht lügen konnten, aber Raziel versuchte nicht einmal die Wahrheit zu verdrehen. “Ist das nicht gefährlich?” Tsorn wusste, dass Raphael Luzifers Achillesferse war und diesem durfte nichts passieren, wieso wusste er noch nicht, aber das was Raziel hier erklärte, klang nicht gut. “Sehr … Er muss damit aufhören. Ich will nicht, dass er sich für uns opfert, es ist die Sache nicht wert. Ich weiss, ich kann von dir nichts verlangen, aber lasst mich mit ihm sprechen, er muss damit aufhören.” Tsorn war nun noch überraschter. Niemals hätte er damit gerechnet, dass ein Erzengel ihn anbetteln würde, allerdings würde er nichts tun können, solange Luzifer nicht zustimmte. “Ich werde es Luzifer ausrichten, ich entscheide nichts über seinen Kopf hinweg.” Raziel sackte ein wenig in sich zusammen. “Das ist nicht gut, Luzifer wird seinen Zustand ausnutzen, wie er es schon einmal getan hat.” - “Ausnutzen? Wie sollte er ihn ausnutzen, wenn er kurz vor seinem Ende steht?” Raziel hob seinen Kopf erneut und schaute Tsorn direkt in die Augen. “Ich weiss es nicht, damals hat er es getan und er wird es bestimmt wieder tun. Nur Luzifer weiss, was damals passiert ist. Raphael war wohl zu traumatisiert, er erinnert sich nicht, keiner von uns konnte an ihn heran dringen, es dauerte tausende von Jahren, bis er zu dem wurde, der er nun ist. Luzifer sollte von ihm weg bleiben.” Tsorn vernahm die Verzweiflung in Raziels Stimme und er wurde immer neugieriger, was Luzifers Verbannung anging. “Ich muss trotzdem mit ihm sprechen”, er würde nicht einmal dieses Gespräch vor ihm verheimlichen können und dies machte ihn bereits wieder wütend. Raziel vertraute ihm, wieso auch immer, eines der ersten Geschöpfe die ihm vertrauten und es fühlte sich gut an. “Ich komme wieder”, kündigte er an, ehe er aufstand und die Zelle verliess, auf der Suche nach Luzifer. Raziel hingegen versuchte Raphael mental zu erreichen. Was ihm nur halbherzig gelang, da dieser schon ziemlich schwach war. Grid sass angenervt in der Zelle von Raphael und begutachtete diesen. Seit er hier war, hatte sich dieser noch nicht wirklich bewegt. Immer wieder zuckte er zusammen und Grid dachte, er würde aufwachen, aber es tat sich einfach nichts. “Wieso nochmals bin ich der Babysitter für den da?”, fragte er sich selbst. Er wollte zu den anderen, er wollte mit denen reden, diese quälen und einfach seinen Spass haben. Jetzt langweilte er sich beinahe zu Tode und langsam fragte er sich, ob Luzifer ihn nicht hasste. Babysitter für einen halbtoten Engel zu spielen. Wozu? “Hey du”, sprach er Raphael an, welcher sich nach wie vor nicht rührte. Genervt stand Grid auf und lief einmal mehr um diesen herum. Er hatte ja Zeit und so nahm er jeden Zentimeter Haut genauestens unter die Lupe. Dabei machte er eine kleine Entdeckung. “Scheisse … Will Luzifer deswegen, dass ich auf dich aufpasse?” Er trat noch einen Schritt näher an Raphael heran und begutachtete seine Brust ein wenig genauer. Da erschienen Kratzer. Er konnte es selbst kaum glauben und beinahe bedächtig, strich er über die frischen Wunden. “Wie?” Sie bluteten nicht, aber er konnte die Risse in der Haut deutlich spüren. Schnell suchte er den restlichen Körper ab und fand noch frische Wunden auf dessen Seiten. Irgendetwas stimmte nicht und Luzifer sollte dies wissen. Mit schnellen Schritten war er bei der Zellentür und rief einen niederen Dämonen zu sich. “Sucht Luzifer, sofort!”, befahl er diesem und schon war der Dämon verschwunden. Grid selbst ging wieder in die Zelle und versuchte weitere Veränderungen zu finden, allerdings schien keine neue dazu gekommen zu sein. “Ich bin Babysitter für einen Märtyrer” stellte er langsam aber sicher für sich selbst fest. Seufzend liess er sich wieder auf die Pritsche fallen und schloss für einen Moment die Augen. Wie sollte er auf so einen aufpassen? Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit und die hatte Luzifer ihnen verboten, daran würde er sich halten. Doch wenn es so weiterging, würde es Raphael immer schlechter gehen. Grid wurde langsam aber sicher ein wenig nervös, was sich lediglich darin äusserte, dass er wirklich alle paar Sekunden nachschaute, ob weitere Wunden dazu kamen und kurz darauf an der Tür lauschte, ob Luzifer im Anmarsch war. Wo war der Kerl? Er sollte auf Raphael aufpassen und ihm Bescheid geben, wie? Er war ja nicht anwesend. Irgendwann setzte er sich dann wieder hin und seufzte, irgendwie hatte er immer die Arschkarte gezogen und irgendwann würde Luzifer dafür die Quittung bekommen. Vor Allem, wieso war dieser Engel so wichtig? Er war ganz offensichtlich kaputt. “Ich schwöre dir, wenn du hier krepierst, dann hoffe ich, dass du wieder auferstehst und in die Hölle kommst, damit ich dich so quälen kann, wie mich Luzifer quälen wird.” Sein Augenmerk blieb die gesamte Zeit auf Raphael, keine Sekunde liess er ihn aus den Augen und glücklicherweise, kamen auch keine neuen Wunden dazu. Während er ihn so betrachtete, stellte er sich allerdings auch die Frage, wieso man ihn so angekettet hatte. Dieser Engel sollte liegen, sich ausruhen, nicht wie ein Schweinchen von der Decke hängen. Dachte Luzifer eigentlich gar nicht nach? Nur ihn hier auf die Pritsche verlagern wollte er nicht, vielleicht spielte Raphael ihm lediglich was vor und wartete auf so eine Gelegenheit. Nein, er würde keine Risiken eingehen. Grid verlor nach einer Weile das Zeitgefühl. Er hatte keine Ahnung, wie lange er eigentlich hier sass und nichts tat. Wobei, mittlerweile war er tatsächlich dazu übergegangen die zahlreichen Schnitte an Raphaels Körper zu zählen und sich auszumalen, wer dafür verantwortlich war. Er hatte wahrlich schon interessantere Beschäftigungen als diese gehabt. “Wo bleibt der Kerl nur? So wichtig kannst du Luzifer offenbar doch nicht sein, wenn er dich hier so warten lässt. Was ist das eigentlich? Hm? Er macht sich um Niemanden Sorgen und dich dürfen wir nicht anfassen?” Grid stand wieder auf und vertrat sich erst einmal ein wenig die Beine. “Töte mich doch einfach.” Grid erschrak, als er plötzlich angesprochen wurde. Es dauerte einen Moment, ehe er begriffen hatte, dass Raphael mit ihm sprach. “Oh, Dornröschen ist zum leben erwacht und das ganz ohne Kuss.” Raphael hatte die Augen noch immer geschlossen und schien nicht wirklich bei Kräften zu sein. “Nicht dein Verdienst.” Grid knurrte leise, wobei Raphael nicht feindselig klang, eher erschöpft. “Woher sind deine Wunden?” - “Ihr habt uns angegriffen.” Grid schüttelte den Kopf, so hatte er dies natürlich nicht gemeint, allerdings wurde deutlicher und deutlicher, dass Raphael nicht wusste, was er meinte, er konnte sich ja nicht sehen. “Nicht diese Wunden, die sind weg, du hast neue, während du bewusstlos warst.” Grid konnte es beinahe selbst nicht glauben, dass er wem anderen die Verletzungen aufzeigen musste, an denen er nicht einmal Schuld war. “Einer eurer Schergen, wird einen meiner Freunde foltern”, stellte Raphael dann nüchtern fest und Grid kapierte gar nichts mehr. “Und wieso bekommst du die Wunden ab?” Auf Raphaels Lippen schlich sich ein leichtes Lächeln. “Weil ich sie beschütze, das ist mein Job.” Nun wurde Grid klar, was Raphael getan hatte. “Scheisse, das muss Luzifer erfahren …” Erneut rannte er zur Tür und befahl einem weiteren Dämonen nach Luzifer zu suchen, es war dringend, wenn er Raphael lebend wollte. 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