Broken Wings von Disqua ================================================================================ Kapitel 32: Verworrene Wege --------------------------- Die fünf Engel musterten Grid ein wenig argwöhnisch. Wie lange stand der Dämon schon in der Tür und hörte ihnen zu? “Hm, ich sollte gekränkt sein, Tsorn und Bager werden vertraut, aber ich bin der Feind? Interessant.” Seine Stimme klang allerdings eher gelangweilt. Nach dem Gespräch mit Gadles hatte er sich ein wenig Action gewünscht, aber offensichtlich durfte er einige Aufklärungsarbeit leisten. Er fühlte sich beinahe wie ein Missionar, nur wurde er dafür leider nicht eingestellt. Da er allerdings schon ein wenig länger gelauscht hatte, wusste er bereits, dass sie mithelfen wollten, zumindest der Grossteil von ihnen. “Und inwiefern weisst du mehr als wir?” Chamuel war interessiert und dementsprechend klang er auch. “Nana, wollen wir uns nicht erst einmal besser kennen lernen? Ich bin Grid und habe die Sünde der Habgier inne, da es mir aber aktuell ziemlich egal ist, wer etwas besitzt und ich niemandem auch nur im Ansatz was wegnehmen will, bin ich an deiner Theorie ziemlich interessiert.” Grid kam ein wenig näher und setzte sich, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, neben Raziel. Tsorn vertraute diesem Engel, also würde er es auch tun. “Aber ich denke, was ich wissen will, ist euch gerade egal. Die Frage von Haniel hingegen ist ziemlich interessant, ich kann sie allerdings beantworten. Es ist ihm nicht möglich, das Blut des Neides in sich aufgenommen zu haben, mein wenig geschätzter Kollege hat das Zeitliche gesegnet und keine Sorge, er wird weder euch hier oben, noch uns in der Hölle weiter belästigen. Luzifer kann sehr gründlich sein, wenn man ihm quer kommt. Ihr braucht also auch keine Beileidskarten für ihn schicken, er wird nicht grossartig vermisst werden. Die Veränderung ist allerdings ziemlich interessant und dazu habe ich innert ein paar Sekunden meine eigene Theorie entwickelt. Jedoch nicht wegen Gabriel, sondern auch in Zusammenhang mit Uriel, welcher offensichtlich sehr müde ist vom lediglichen existieren.” Alle Blicke im Raum lagen auf einmal auf dem nach wie vor liegenden Engel, welcher wirklich zu schlafen schien. “Und was wäre deine Theorie?”, wollte Raziel nun wissen. “Oh, tatsächlich keine Beileidsbekundungen für das Ableben meines Kollegen? Ihr seid grausam, gerecht aber grausam. Nun gut. Inersha und Mekane haben uns verlassen, wie ich bereits erwähnte, endgültig. Mekane hatte die Sünde des Neides, Inersha die der Trägheit, fällt euch etwas auf?” Er deutete erneut auf Uriel und anschliessend auf Gabriel. “Du hattest eben erwähnt, wird das eine ausgelöscht, kann das andere nicht mehr existieren. Nun, ich weiss nicht, wieso ausgerechnet ihr beide die Gegenstücke zu den Vollidioten seid, aber Glückwunsch, die Sünden scheinen tief in euch verankert zu sein. Ich frage mich allerdings, woher wusste Luzifer diese Kleinigkeit oder aber, entstanden die Verknüpfungen erst durch seine Zuweisungen.” Gabriel schnaubte bei seinen Worten beinahe ungehalten auf. “Ich bin bestimmt nicht neidisch, worauf denn?” “Auf die netten Gespräche mit uns offensichtlich. Deine Blicke, du willst ebenfalls erzählen was du weisst, aber keiner fragt dich danach, muss schon hart sein.” Ein erneutes Schnauben folgte und Grid blickte in die Runde, welche interessiert an dem Thema zu sein schien. “Du denkst, sobald einer von euch weg ist, oder aber einer von uns, übernehmt ihr unsere Gaben und wir eure Sünden?” Haniel war sichtlich verwirrt. “Nein, nein, nein. Ich glaube, sowohl in uns als auch in euch ist alles verankert. Nehmen wir dich als Beispiel, Haniel. Die Liebe, die Freundschaft und das Positive, was diese Gefühle mit sich bringen, man könnte denken dein Gegenstück wäre der Neid oder der Zorn, welcher mit Hass verbunden werden könnte, aber nein, die Liebe ist rein, dagegen steht die Sünde der Wollust, es ergibt einen Sinn. Bei dir zumindest. Bei einigen anderen hingegen, nun, dafür müsste ich in Luzifers Kopf reinschauen können und dies kann ich leider nicht, aber vielleicht findet ihr Erklärungen? Viel zu tun habt ihr ja sowieso nicht, hm?” Raziel überlegte und bei Haniel ergab es tatsächlich Sinn, aber bei den restlichen von Ihnen? Gabriel war der Erzengel der Verkündung, der Visionen, wie passte dies mit dem Neid zusammen? Uriel war der Erzengel der Offenbarung, der Inspiration, wie passte dies mit der Trägheit zusammen? Und nicht nur die beiden waren ein Rätsel. Chamuel der Engel der Harmonie und er hatte die Sünde der Völlerei? Raphael war der Schutzengel und hatte die Habgier an seiner Seite. Michael war Gottes Wache und sein Gegenstück war die Hochmut, es machte Sinn, eines der wenigen, die auf Anhieb Sinn ergaben und er selbst? Er war Gottes Geheimnis, wieso bekam er die Wut als angebliches Gegenstück? “Mir scheint, als würde sich Tsorns Liebling ein wenig überanstrengen. Es war lediglich eine Theorie von mir, aber vielleicht ist etwas Wahres dran.” “Es ist etwas Wahres dran”, stellte Chamuel überraschend für alle fest. “Ahja?” Nicht nur Grid war neugierig, allerdings war er derjenige der nachfragte. “Die Verbindungen sind nicht auf den ersten Blick ersichtlich, zumindest nicht wie es bei Haniel und Bager der Fall sein mag oder wie bei Michael und Gadles”, stellte er für alle das Offensichtlichste fest. “Was ist mit Luzifer selbst?”, wollte Haniel wissen und Gabriel schnaubte einmal mehr, das Thema langweilte ihn und es brachte sie nicht weiter. “Luzifer ist an sich kein Bewohner der Unterwelt, sein Gegenstück müsste rein theoretisch ebenfalls eine der Sünden sein, da dies aber geändert wurde, ist es vermutlich Metatron. Dieser hat ebenfalls jegliche Eigenschaft in sich, genauso wie Luzifer jede Sünde in sich trägt. Sie haben auch weitere Gemeinsamkeiten. Metatron spricht zu den Menschen und jeder denkt, er sei Gott, genauso geht es Luzifer, er wird für den Teufel gehalten, ist es aber nicht. Sie sind beide die Sprecher ihrer Chefs, so gesehen”, erklärte er seine Sicht, was die beiden obersten Generäle anging. “Nun, ich bin eher auf die Verbindungen gespannt, die nicht offensichtlich zu sein scheinen. Sofern du uns darüber auch aufklären willst.” Grid hatte mittlerweile die Arme verschränkt und musterte Chamuel offen. Der Kerl war interessanter als zu Beginn angenommen und er schien eine gute Kombinationsgabe zu haben. Zumindest wirkte es so auf den ersten Blick. “Könnte ich, aber darüber muss ich doch noch ein wenig genauer nachdenken. Es ist aber tatsächlich eine mögliche Theorie und würde die von Raziel unterstützen. Es würde nicht einmal gegen die Theorie sprechen, dass einige von euch ursprünglich von hier oben kommen würden. Es macht die Sache an sich einfach nur noch ein wenig spannender.” “Schade, aber gut, ich hab hier genug Zeit vertrödelt, war allerdings ein nettes Pläuschchen, immer wieder gerne.” Grid erhob sich langsam und stützte sich dabei auf Raziel ab. Ein wenig ärgern wollte er den Erzengel schon, auch wenn Tsorn ihn dafür bestimmt bestrafen würde, sollte er dies jemals erfahren. “Viel Spass mit euren neuen Gedanken~”, flötete er beinahe und verschwand wieder aus der Zelle. Eigentlich hatte er diese Theorie nur aus Spass eingeworfen, aber es könnte tatsächlich etwas dran sein. Gadles beschloss nach dem Gespräch mit Luzifer nun wirklich, Michael aufzusuchen. Er war durch seine Entdeckung motiviert, auch wenn er noch nicht genau wusste, wie sein Boss nun zu ihm stand. Sonderlich begeistert hatte er nicht gewirkt, was ihm aber vorher bewusst gewesen war. Grid hatte ihm deutlich genug gemacht, dass sie alle auf der Abschussliste standen, sollten sie sich Fehler leisten, die absolut unnötig waren. Auf dem Weg zu Michael dachte er kurz an Mekane. Nach Hause zu gehen war wirklich verlockend. In der Hölle ein wenig Kraft zu tanken, um hier wieder richtig angreifen zu können, obwohl gerade absolut kein Kampf statt fand. Der Himmel war seelisch belastender, als alles, was er bisher erlebt hatte und in seinen Augen, war er eigentlich ziemlich belastbar. Ihm war allerdings auch klar, dass ein Ausflug in die Hölle gerade nicht geduldet war. Kurz lachte Gadles auf. Vielleicht sollte er einen Urlaubsantrag einreichen, einen Tag frei hatte er sich bestimmt verdient. Gadles schüttelte den Kopf. Niemals würde Luzifer ihm gerade frei geben. Er war unter Beobachtung, wie sie alle. Gedankenverloren betrat er die Zelle von Michael und atmete kurz tief ein und wieder aus. Jetzt brauchte er seine volle Konzentration, grübeln konnte er auch später noch. Sein Blick ruhte auf Michael, dessen Blick ebenfalls auf ihm zu ruhen schien. Gadles musterte den Erzengel einmal mehr. Luzifers Worte gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Bager hatte mehr von diesem erfahren als er selbst. Er hatte ja bereits geahnt, dass etwas hinter seinem Rücken ablief, aber was genau? Was hatten die anderen mit diesem Engel angestellt, dass er bei ihnen sprach und bei ihm nicht? Bagers Blut alleine konnte es nicht sein. Michael trug die Sünde der Hochmut eindeutig in sich, seines musste immer überwiegen, was also war die Schwachstelle, die Bager ausnutzen konnte? Luzifer? Er schüttelte augenblicklich den Kopf. Es war naheliegender, sehr viel naheliegender. Raphael. Luzifer war von diesem Engel regelrecht besessen und Michael schien es nicht anders zu gehen und nach seinem Zusammentreffen mit diesem konnte er es fast ein wenig verstehen. Gadles hob seinen Blick ein wenig und blickte nun direkt in Michaels Augen. Sein Blick war fest und beinahe stechend. Er fühlte sich von dem Erzengel unweigerlich herausgefordert, obwohl er nichts tat. So eine Wirkung hatte schon lange niemand mehr auf ihn. “Wieso?” , stellte er ihm lediglich die Frage und Michaels Gesichtsausdruck wandelte sich augenblicklich. Er schien verwirrt zu sein, was Gadles schon fast ein wenig amüsierte. “Wieso was?”, kam nach einigen Momenten die Gegenfrage und Gadles fing an zu lachen. Dabei wusste er nicht einmal selbst, wieso er nun lachen musste. Diese Situation war so surreal und für ihn selbst nicht greifbar. Die Feststellung, dass er etwas mit diesem Erzengel gemeinsam hatte, abgesehen von der Sünde, die sie offensichtlich teilten, war einfach zu komisch. “Was war an dieser Frage nun so witzig?” Michaels Tonfall hatte sich geändert. Er fühlte sich nicht ernst genommen und dies liess er Gadles mit seinen Worten spüren. Ein interessanter Aspekt wie Gadles feststellen durfte. “Ich denke, wir sollten uns einmal ein wenig über deine Freunde unterhalten. Immerhin hast du sie länger nicht gesehen und der ein oder andere plaudert Internas aus, die sicherlich intern bleiben sollten. Im Gegenzug erzählst du ein wenig etwas von meinen Freunden, hm?” Michael schnaubte belustigt auf. “Ich wüsste nicht, was sie dir erzählen könnten, was ich nicht schon bereits weiss und schon gar nichts, was die Situation hier irgendwie verändern könnte.” Gadles lächelte lediglich. Er würde sich nicht von Michael provozieren lassen und schon gar nicht zugeben, dass er gerade nur bluffte. “Ich war bei Raphael. Er weiss tatsächlich einiges zu erzählen. Vielleicht hat dein Komplize seinen Teil der Abmachung rückgängig gemacht und dieser weiss wieder über alles Bescheid? Wäre er dann nicht eine Gefahr für dich?” Gadles beobachtete Michael bei seinen Worten genau. Er hatte absolut keine Ahnung, ob Raphael irgendwas wusste und ob Uriel tatsächlich etwas an seinen Taten von vor über 1000 Jahren ändern konnte, aber einen Versuch war es wert. Michael schien tatsächlich ein wenig nachdenklicher geworden zu sein, schien über seine Worte nachzudenken und währenddessen liess Gadles ihn auch nicht aus den Augen. “Nicht so lange Gott nicht hier ist, zumal er ihm nicht glauben würde. Nach so langer Zeit habe ich meine Position hier gefestigt.” Die Sünde ging um Michael herum und setzte sich auf die Pritsche, dabei fiel sein Blick auf den vernarbten Rücken und sogleich fielen ihm Raphaels schwarze Flügel wieder ein. “Hm, du scheinst sehr von dir überzeugt zu sein. Ich stelle mir allerdings folgende Frage, wenn alle deine Freunde, sofern sie wirklich Freunde sind, sich gegen dich wenden und Gott erzählen, was wirklich passiert ist oder zumindest das, was sie glauben, ist passiert, was denkst du, wem er glaubt?” Gadles konnte Michael schnauben hören. Es war unglaublich, was für ein Selbstbewusstsein dieser Engel hatte und es faszinierte ihn. “Du brauchst sie nicht zu beantworten, ich habe noch weitere Fragen an dich.” Gadles erhob sich wieder und ging einmal mehr um Michael herum. Ihm würde nicht noch einmal derselbe Fehler passieren. “Meine Anfangsfrage bleibt bestehen. Wieso? Ich präzisiere sie auch ein klein wenig für dich, wieso bist du genauso besessen von Raphael, wie Luzifer es ist.” Ein weiteres Schnauben folgte. Gadles suchte einmal mehr den Blick des Erzengels und beschloss, ihn nun richtig zu provozieren. “Er fühlt sich gut an. Da er noch ziemlich geschwächt ist, ist er gerade leichte Beute für uns und ich wollte eure Faszination verstehen. Ein wenig kann ich es nachvollziehen, er strahlt in seiner Schwäche eine Stärke aus, die wohl kaum ein anderer besitzt, und doch ist er auch nur ein Engel, mehr nicht”, flüsterte er die Worte leise ins Ohr. Dabei liess er es sich nicht nehmen, mit einer Hand leicht über Michaels Seite zu streichen, ihm damit ein wenig zu verdeutlichen, was er genau meinte, und seine Worte hatten den erwünschten Effekt. Michael verspannte sich zusehends. “Wenn Luzifer dich nicht tötet, werde ich es tun”, knurrte er leise und brachte Gadles damit zum Schmunzeln. “Und wieso sollte Luzifer mich töten? Er hat uns nicht verboten unseren Spass mit euch zu haben, im Gegenteil, wir sollen euch verderben, euch unsere Sünden aufzwingen, wir dürfen euch lediglich nicht foltern, aber alles andere wurde uns nicht verboten. Vermutlich bin ich nicht der Einzige, der sich schon an ihm vergangen hat. Doch wem erzähle ich das, du würdest seine Lage doch auch direkt ausnutzen, oder?", flüsterte Gadles weiter und begann ihn nun auch mit der anderen Hand zu streicheln. “Du brauchst nicht mit mir sprechen, wie dir bewusst sein sollte, höre ich mich gerne reden und es gibt mir die Möglichkeit, dir noch ein paar Einzelheiten preis zu geben. Raphaels Körper reagiert genauso empfindlich auf Streicheleinheiten wie deiner es tut. Ihr sehnt euch nach körperlicher Nähe, was ich ziemlich interessant finde. Wie grausam ist euer Gott, wenn er euch diese Annehmlichkeit nicht gönnt?” Während er sprach, knabberte er zwischenzeitlich an Michaels Ohr, um ihn zu provozieren und so deutlich über ihm zu stehen, hatte einen unglaublichen Reiz. “Raphael würde sich niemals auf einen so dreckigen Dämon wie dir einlassen, nicht einmal durch Manipulation”, knurrte Michael erneut leise. “Er liess sich von Uriel und dir manipulieren? Wieso sollten wir es nicht auch hinbekommen? Vielleicht hat er keine Lust mehr auf den Himmel, auf Freunde, die ihn alle nur belügen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass er es geniesst, im Mittelpunkt zu stehen und sich all das zu holen, was er bisher schmerzlich vermisst hat. Wieso sonst hat er pechschwarze Flügel, wenn er nicht vom Weg abgewichen ist?” Gadles stellte die Frage absichtlich so provozierend. Ihm war bewusst, dass die Flügel nicht erst durch ihr Auftreten schwarz wurden, aber vielleicht wusste Michael auch darüber mehr, als es vielleicht Raphael selbst tat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)