Von Momenten von Valenfield ================================================================================ Kapitel 3: Bleib für immer, geh mit mir --------------------------------------- Es war viel zu kalt, um stillzustehen. Massive Schneeflocken fielen unaufhörlich vom Himmel, legten sich auf die dichte weiße Decke, die den Boden bereits eingehüllt hatte. Für gewöhnlich sollte der eigene Überlebenswille Grund genug für Ace sein, nicht stillzustehen, sich selbst voranzutreiben und weiterzukämpfen. “Unerwartet still”, hörte er sich selbst murmeln, atmete tief ein und aus, schloss die Augen und lauschte dem Wasser. Teile der Küste zu seinen Füßen waren bereits gefroren, und wenn er lange genug wartete, würde sicher auch das sanfte Rauschen des Meeres verstummen, die flachen Wellen sich in Eiskristalle verwandeln und einen schwach-weißen Weg über den endlosen Ozean bahnen. Ace hatte sich selbst schon immer als jemanden empfunden, der einen solchen Weg ohne zu zögern gehen würde, böte sich dafür ein guter Grund. Das war es, was es ihm möglich machte, Missionen hinzunehmen, Aufgaben zu erfüllen und ungehindert weiterzugehen, selbst wenn das Innerste seiner Seele alles versuchte, um ihn davon abzuhalten. Es war alles gewesen, was ihm die Kraft gegeben hatte, nicht nach seinen verloren Erinnerungen zu suchen, die Verluste zu akzeptieren und weiter zu kämpfen — nicht für sich selbst, aber für den Rest seiner Klasse, für seine Mutter, und vielleicht auch, um seine Vergangenheit bestmöglich zu ehren. Das Knirschen des Schnees hinter ihm ließ ihn den Kopf drehen. Der Rhythmus, die Lautstärke, die Intensität der Schritte war eindeutig; Ace würde all dies immer wiedererkennen. Ein Chocobo. Zum ersten Mal seit langem stahl sich ein ungezwungenes Lächeln auf sein Gesicht, als der Kopf des gefiederten Reittiers sich sanft gegen seinen Rücken presste, ihn ein wenig anstupste, ihn vielleicht anhalten wollte, aufzustehen und weiterzumachen. Wofür, fragte er sich, wenn ich hier Frieden gefunden habe? Wie in Trance malte Ace inkohärente Muster in den Schnee — sie hatten keine Bedeutung, keine Geschichte, waren lediglich das, was sein Kopf daher sponn. Früher hätte er befürchtet, sie stammten aus seinen Erinnerungen, hingen zusammen mit jemandem, den er verloren und vergessen hatte, aber jetzt wusste er, dass dem nicht so sein konnte. Er konnte niemanden schmerzhaft vergessen haben, weil es niemanden mehr zu vergessen gab, der es wert gewesen wäre, die Erinnerungen an ihn behalten zu wollen. “Wohin als Nächstes?”, murmelte er leise, schloss die Augen und richtete den Kopf gen Himmel. Was wartete auf ihn, weit hinter dem dichten Dunst, den weißen Wolken, den nebligen Schwaden, die sanft über das Wasser glitten? Wohin sollten seine Füße ihn bringen, wenn er ihnen erlaubte, ihn wieder zu tragen? Die vielen langen, endlosen Kämpfe schlichen sich zurück in sein Gedächtnis. Verschwommene Gesichter derer, die neben ihm gefallen waren, flehende Stimmen, beinahe zu schwach, um nach Hilfe zu rufen. Die Verzweiflung derer, die von vornherein nicht hatten überleben sollen. Es war schlichtweg ironisch. Doch sein Gefährte ließ nicht zu, dass Ace diese einsamen Ängste seinen Geist schwächen ließ. Er war bereit für die Reise gewesen, lange bevor seine Schuhe im Schnee versunken, lange bevor seine Kameraden ohne ihn vorangegangen waren. Hier zu sitzen war nichts als ein längst fälliger Rückblick, eine Entschuldigung für all das, was ihm genommen worden war, und er wusste das. Die Wärme des Chocobos, der sich an ihn schmiegte, der kräftige Herzschlag, der ihn in Mark und Knochen erfüllte; all das ließ ihm zum ersten Mal zurückdenken an eine längst verlorene Zeit — eine, die ihn zerrissen hätte, wäre sie bei ihm gewesen. Sie hätte seine Gedanken besudelt, seinen Willen geschwächt, seine Fähigkeiten limitiert. Nichtsdestotrotz kam er nicht drum herum, jede einzelne Sekunde ohne sie zu vermissen. Zögerlich kämpfte er sich aus dem tiefen Schnee heraus näher ans Wasser. Dort, wo die Wellen an den kalten Stein schlugen, war es glatt und gefährlich, aber Ace wusste, dass er weder stolpern noch fallen würde. Der Kampf war längst vorbei. Egal, wohin er gehen würde, und egal, wohin seine Füße ihn je noch tragen könnten — all das war irrelevant im Angesicht dessen, was ihm nach so unglaublich langer Zeit, nach Jahrhunderten, Jahrtausenden die er es immerzu vergessen hatte, wiedergegeben worden war, und was er nie, nie wieder loslassen würde. Der Schritt über die Grenze fiel ihm nicht ansatzweise so schwer, wie er immer befürchtet hatte, denn wenn er die Augen schloss, fühlte er ein leichtes Drücken an seiner Schulter, wie eine Hand, wie jemand, der ihn unterstützte, ihm die Angst nahm. Die Welt in Frieden zu wissen, auch wenn es eine war, in der er nie mehr leben können würde, war vielleicht alles, was er brauchte, um dieses Schicksal zu akzeptieren. Er lachte leise auf, schüttelte den Kopf. Aber eigentlich wusste er doch, was der wirkliche Grund war. Ein einziger Gedanke, eine einzige Erinnerung war es, die ihm die Kraft gab, mit einem Lächeln weiterzugehen, wissend, dass sie sich niemals wiedersehen würden, aber mit seinem Lächeln nun für immer in Ace’ wiederkehrendem Gedächtnis verewigt. Alleine das war mehr als genug. „Meinst du nicht auch, Izana?” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)