Wiedersehen im Frühling von irish_shamrock (FW 2018 für _Natsumi_Ann_) ================================================================================ Kapitel 1: 1 ------------ Wiedersehen im Frühling Kapitel o1 Der Gehweg war vom geschmolzenen Schnee noch ganz rutschig und der Asphalt glänzte im Licht der Laternen und Neonschilder, die die Namen der Geschäfte anpriesen, während die Autos einander über die Avenue jagten. Trotzdem würde sie es wagen, mit schnellen Schritten über die Straße zu hasten. Zu dieser Jahreszeit bevorzuge sie Stiefel, was sie heute jedoch dazu bewogen hatte, ihre Füße in Pumps zustecken, war dem Meeting mit den Vorstandsmitgliedern einer großen Handelskette geschuldet. Dass sie dabei sein durfte, hatte sie erst gewundert und dann geschockt, denn beinahe all ihre Kolleginnen hatten mit den winterlichen Wehwehchen und Krankheiten zu kämpfen und sahen sich Außerstande, an dem wichtigen Gespräch teilnehmen zu können. Und da sie, als Einzige in der Abteilung, weder mit Kind daheim, noch mit gebrochenen Gliedmaßen oder Schnupfen beseelt war, hatte man den Notnagel, in Form Kate Wallace, akzeptieren müssen. Da es sich um einen sehr wichtigen Kunden handelte, musste ihre Garderobe dementsprechend anders ausfallen. Nichts mit bequemen Jeans, einer Bluse oder einem Pulli mit fröhlichen Hündchen darauf. Das blonde Haar nicht wie gewohnt zu einem lockeren Knoten oder Pferdeschwanz gebunden, ihr Erkennungszeichen und etwas, worauf Kate insgeheim ein wenig stolz war, sondern aufwendig frisiert. Ein Flechtwerk in höchster Präzision, hier und da schmiegten sich kunstvolle Löckchen an ihre Wangen. Tief sog sie die Nachtluft in ihre Lungen, strich sich die zwei, drei gelösten Strähnen wieder hinters Ohr zurück, die ihr nach dem Abend entglitten waren. Den Mantel zog sie enger um ihren Leib, während ihre Augen den Weg zu beiden Seiten nach dem Verkehr absuchten. Ein paar Meter entfernt konnte sie eine Gruppe junger Männer ausmachen. Nicht ungewöhnlich für diese Tageszeit, dennoch mahnten sie ihre Alarmglöckchen zur Eile, denn man konnte ja nie wissen, was in den Köpfen solcher Burschen vor sich ging. Und hier, in New York, musste man als Frau dreimal so viel auf sich achtgeben, als auf dem Land. Oder in dem kleinen Vorort Daytons, wo sie aufgewachsen war. Nicht, dass es auch dort nie zu kriminellen Handlungen kam, doch war die Rate an Straftaten in den Großstädten nun einmal anders gewichtet. Kate schüttelte den Kopf, zupfte noch einmal ihre Ausstattung zurecht, ehe ihre Füße vom Gehsteig abhoben und den Asphalt berührten. Kapitel 2: 2 ------------ Wiedersehen im Frühling Kapitel o2 Hey, Lady!«, hörte sie einen der jungen Männer rufen, und der Drang, schnellstmöglich auf die andere Straßenseite zu gelangen, pumpte ihr das Blut durch die Adern. »Hey!«, vernahm Kate abermals, versuchte sich, trotz des Schocks der Zurufe und dem aufsteigenden unangenehmen Gefühl, zu vergewissern, dass sie ihre Tasche, mit Portemonnaie, Handy und Wohnungsschlüssel darin, noch immer bei sich trug. »Ma'am?« Sie zog es vor, nicht darauf zu reagieren, doch etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Ihre Beine versagten ihr den Dienst und wollten nicht mehr weiter. »Hey, Lady!« »Mach keinen Quatsch, Nicky, der erwischt euch noch beide!« War das Letzte, was sie hörte, ehe Kate realisierte, dass sich die Absätze ihrer Schuhe in einem der Gullys verfangen hatten. Ihr war es gelungen, die breite Avenue zu überqueren und dann geschah so etwas! »Ziehen Sie die Schuhe aus!« Dass man sie anbrüllte, holte Kate aus dem Wirrwarr kurzzeitig zurück. »Was soll ich?!«, rief sie dem Kerl entgegen, der auf sie zueilte. »Die waren teuer! Du spinnst wohl?!« »Machen Sie schon!«, drängte er und spurtete geradewegs auf sie zu. Das laute, dröhnende, Warnsignal des Lastkraftwagens bemerkte Kate zu spät, doch der Schwung, der sie mit sich riss und hart auf den Boden aufschlagen ließ, fuhr ihr durch Mark und Bein. Sie hatte den Halt verloren, doch etwas umklammerte sie fest. Das Herz hämmerte ihr wild in der Kehle, der Puls flatterte aufgeregt und in ihrem Kopf drehte sich alles. »Dämliches Arschloch!« Aus Reflex zuckte sie zusammen, das Knurren galt jedoch offensichtlich dem unachtsamen Fahrer, der es nicht für nötig befand, anzuhalten und sich nach möglichen Verletzten zu erkundigen. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?« Wieder gelangte die Stimme des Fremden an ihre Ohren. Kate musste sich erst einmal orientieren und alles in Einklang bringen, was geschehen war. Schwer ging ihr Atem und der ihres Retters ebenso. »Das mit Ihren Schuhen tut mir leid.« »Meinen … meinen Schuhen?« Irritiert blinzelte sie, entdeckte ihre Pumps zwei Meter weiter, plattgewalzt von einem Vierzigtonner. Zittrig rang Kate nach Atem. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen!« Die Stimme des Helden hatte, trotz aller Aufregung, etwas sehr beruhigendes an sich. Sie war weder übermäßig derb noch schroff oder rau, sondern für einen Mann eher weich, fast melodisch aber dennoch Manns genug, um ihr ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Umständlich half er ihr wieder auf die Füße. Ihr knappes, schmerzerfülltes Murren ließ ihn inne halten. »Wirklich alles okay?«, hakte er nach und ließ den Blick über die Frau wandern, deren Blässe gut mit dem Schnee harmonierte. »Ich, ähm ...«, haspelte sie und verspürte ein Brennen, das sich vom Knie abwärts bewegte. »Sicherlich nur ein Kratzer ...« Sein Blick wurde misstrauisch. Die dunkle Strumpfhose gab nicht viel preis, da Straßendreck, Matsch und Nässe diese getränkt hatten. »Nick, hey, alles okay bei euch?« Erst jetzt bemerkte Kate, dass die anderen vier Männer auf sie zu kamen und irgendwie schafften sie es, die junge Frau von der Straße zu holen. »Alles in Ordnung, Miss?!« So viele Gesichter erhoben sich über ihr, dass Kate diese den Stimmen im ersten Augenblick gar nicht zuordnen konnte. Dennoch blinzelte sie irritiert. »Ja, ich ...« Kate versuchte ihrem Gehirn zu befehlen, Worte an ihre Lippen weiterzuleiten, doch stattdessen hallte ihr Lachen über die Straße hinweg. Der Anfall von Hysterie ließ sich nicht länger zurückhalten. »Vielleicht eine Gehirnerschütterung?« Kates Lachen verebbte abrupt, dann sah sie zu dem Kerl auf, dessen tiefer Bariton ihr schier in den Knochen nachhallte. Und das musste sie, denn er war groß, ziemlich groß sogar. Football-Spieler, definitiv! »Vielleicht der Schock, Ben? Daran schon mal gedacht?!«, gab der Kleinste von dem Trupp zum Besten und verschränkte die Arme. »Kann ja nicht jeder Medizin studieren, Michael«, gab der Große, den sie Ben nannten, zurück, und schien den Kleineren damit aufziehen zu wollen, dessen Namen übertrieben gedehnt in die Länge zu ziehen. Verdutzt und irritiert blinzelte sie gegen den verbalen Schlagabtausch an, dann entfloh ihr ein schnaubender Laut, als Kate von einem zum anderen blickte, jedoch meldetet sich der zweite Schock sofort: »Oh nein!« »Was?«, sorgenvoll runzelte ihr Retter die Stirn. »Meine Schuhe, meine Klamotten ...«, hastig versuchte sie im Wechselspiel aus Licht und Schatten ihre Robe und Habe zu sortieren. »Vielleicht wäre ein Besuch im Krankenhaus doch angebracht«, warf der Dritte von ihnen ein. »Oh, verzeihen Sie, James Elfort, angehender Student der Rechtswissenschaften« »Du bist so ein Arsch, Jimmy!«, fluchte Ben und nahm den etwas schnöselig wirkenden James in den Schwitzkasten. »Aha? Seid ihr etwa alle Studenten?«, keuchte Kate, noch etwas benommen, aber ruhiger, als zuvor. »Alle, bis auf Nick ...«, gab der letzte der Fünf, der sich als Tom vorstellte, zurück. Schlicht und einfach. Kein Tommy, kein Thomas, nur Tom. »Jetzt verwirrt sie doch nicht!« Kate wandte den Kopf in Richtung des jungen Mannes, der übriggeblieben war und sie, zur Stabilisierung, noch immer in den Armen hielt. »Können Sie laufen?« »Stehen scheint zu funktionieren, du müsstest sie nur loslassen«, fügte der angehende Rechtanwalt, mit leichtem Grinsen, an. Nicks Augen schienen Funken zu sprühen, doch kam er dem Ratschlag seines Freundes nach und ließ von ihr ab. Kate wankte leicht. Ihr mangelte es eindeutig an männlicher Bestärkung. »Sie sollten wirklich einen Arzt aufsuchen«, empfahl ihr Michael, dessen Blick keinen Widerspruch duldete. Widerwillig eiste sie ihr Interesse von Nick los und bejahte mit schwacher Stimme. »Aber zuerst … bringen wir Sie nach Hause!«, sagte Nick. »Also, wo wohnen Sie?« »Drei - drei Blocks weiter«, nuschelte Kate und verspürte eine Eiseskälte in sich aufziehen. »Das kriegst du doch allein hin, oder Nicky?«, fragte Ben und versuchte, ein Lachen zu unterdrücken. »Ja, Nick, wir … gehen schon mal vor. Kannst ja nachkommen, wenn, na ja ...«, verkündete Tom und war versucht, die anderen in die entgegengesetzte Richtung zu treiben. »Hat mich gefreut, Ma'am«, gab James zurück und haschte nach den klammen Fingern Kates zum Abschied. »Ma'am?«, quietschte Kate fassungslos, jedoch leise genug, damit sie sich noch mehr blamierte. »Sie wollen nur höflich sein«, erklärte Nick, dessen Nachnamen sie noch immer nicht vernommen hatte, aber für den Kate plötzlich eine tiefe Dankbarkeit empfand. »Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause.« Schweigend gruben sich ihre Zähne in die Unterlippe. Kate war sichtlich bemüht darum, die Nervosität und das Zittern zu unterdrücken, die sie ereilten. Ihr schwirrte der Kopf. »Geht es Ihnen wirklich gut?«, fragte Nick um vierten Mal innerhalb der letzten fünf Minuten. Und wie auch die anderen drei Male zuvor, versicherter Kate, dass es ihr, bis auf leichte Schmerzen im Bein, gut gehe. »Allerdings … frieren mir die Zehen ab«, gab sie kleinlaut zu. Nick stoppte und sah an ihr herab. »Ich Blödmann!«, fluchte er ungehalten und langte nach ihrer Taille. »Halten Sie sich gut fest!«, riet er ihr noch, ehe er kurz in die Hocke ging, um Kate dann, ohne Vorwarnung, über seine Schulter zu bugsieren und weiter zu laufen. »Es tut mir leid. Ich … Gott, Ihre Schuhe sind ja völlig hinüber und …« Kurz keuchte sie auf, dann erlaubte sie sich ein amüsiertes Schnauben, dem ein leises Lachen folgte. »Was ist so witzig?« Kate merkte ihm an, dass ihm die Situation merklich unangenehmen erschien. »Nichts, bis auf die Tatsache, dass es offenbar nur noch sehr wenige Gentleman gibt, und hier, in New York, scheinst du schon fast so etwas wie eine Rarität zu sein!«, sagte sie mit dem Anflug eines warmen Lächelns. »Warum haben Sie nicht schon eher etwas gesagt?!«, verlangte er zu wissen, klang fassungslos, denn wütend. »Kate ...«, gab sie zurück und bemerkte, dass er hielt. Da sie Mühe hatte, nicht nur ihrer Tasche Herrin zu bleiben, sondern auch den Halt an seiner Jacke nicht zu verlieren, war es ihr ein wenig umständlich, seinen Blick einzufangen. »Kate?«, hakte er nach und sie bejahte. »Sehr angenehm. Ich bin ...« »Nick.« Kate lachte auf. »Ja, diesen Namen habe ich heute schon des Öfteren gehört.« Leise schnaubend schüttelte Nick den Kopf und Kate kam nicht umhin zu bemerken, dass sein Haar selbst im Schein der Laternen rabenschwarz blieb. Kapitel 3: 3 ------------ Wiedersehen im Frühling Kapitel o3 Hier wohnst du?« Langsam ließ er die Frau von seiner Schulter gleiten. Vor ihnen erhob sich der typische New Yorker Upper East Side-Charme, was die Wohnsituationen anbetraf. »Lass mich raten, Penthouse?!« »Falsch, dritter Stock, zwei-Zimmer Appartement«, erklärte Kate, während er einen anerkennenden Pfiff ausstieß. »Und nicht billig.« »Kann ich mir denken«, stimmte Nick zu, dann richtete er seinen Blick auf sie. »Da dir fast die Füße abfallen müssen ...« Erst jetzt bemerkte Kate, dass er vielleicht ein, zwei Zentimeter kleiner war, als sie selbst. Sie durchforstete ihre Erinnerungen, ob sie jemals ein Date mit einem Mann gehabt hatte, bei dem dies der Fall gewesen war. Nein, ihre Lippen umspielte ein kleines Lächeln. »Da mir … fast die Füße abfallen müssen, kannst du mich den Rest des Weges auch noch begleiten, es sei denn, deine Freunde ...« Nick schüttelte den Kopf. »Dann sollten wir uns beeilen, nicht dass ich dich wirklich noch ins Krankenhaus bringen muss, weil dir die Zehen abgefallen sind!« Kate lachte auf. Da die Treppe hinauf auch nicht gerade ungefährlich erschien, erwies sich ihre Begleitung als durchaus nützlich. Sorgsam hatte Nick abermals ihre Taille umfasst und war versucht, dass ihre klammen Glieder so wenig Kontakt wie nur möglich zu den eisigen Stufen hielten. Im kleinen Foyer angekommen, spürten beide zum ersten Mal die einhüllende Wärme einer vor der Kälte geschützten Behausung. Kates Lippen entwich ein knappes Zischen, als ihre fast baren Füße die Fliesen berührten. Die Strümpfe waren nun auch hinüber. Ein leises Seufzen folgte. Nick besah sich den kleinen Vorraum. Er verharrte still, unschlüssig, ob er bleiben durfte oder gehen sollte. »Kate, ich ...«, hob er an und verstummte, als sie sich zu ihm umwandte. Ob es am Licht des Hausflurs lag, oder es der Märzkälte geschuldet war, wusste Nick nicht zu sagen, doch als er in das Gesicht der ihm völlig fremden Frau blickte, mit den geröteten Wangen, dem leichten Zittern der Lippen, der vom Unfall derangierten Frisur, die sich nun mehr um ihre Wangen schmiegte, und den Augen, deren grünes Funkeln an jene einer Katze erinnerten, überkam ihn der Drang, bei ihr bleiben zu müssen. Und obschon sie hier eine Wohnung bezogen hatte, einen Rückzugsort ihr Eigen nannte, wirkte Kate verloren, aufgewühlt, beinahe ängstlich und … einsam. »Danke, Nick«, ihre Worte waren leise, als das Licht just in jenem Augenblick erlosch und beide in einen Mantel aus Stille und Schwärze hüllte. »Möchtest du … noch einen Kaffee?« Kate zuckte zusammen, als das Klicken des Schalters erklang und es ihnen wieder ermöglicht wurde, einander zu erkennen. Nicks Finger lagen noch immer auf der Plastikabdeckung des Mechanismus, als er ihrem Blick begegnete. »Hast du auch Tee?« »Es ist nichts Besonderes«, erklärte Kate, als sie ihn in die Wohnung führte. Etwas mulmig war ihr schon zumute. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass ein Mann über die Schwelle ihres Heiligtums getreten war. Verdammt, sie wollte gar nicht daran denken, wie lange! Sie gab ihm eine kurze Einweisung der Raumaufteilung. Doch diese war ebenso knapp abgehandelt: Diele, links davon abgehend Bad und Küche, rechts davon Schlaf- und Wohnzimmer. Letzteres war wohl der größte Raum innerhalb des kleinen Schuhkartons, wie Kate ihr Domizil bezeichnete. Die Miete war horrend und der Gegend unweigerlich angepasst. Das Klientel war ruhig und der Eigentümer ein wahrer Glücksgriff. Nick warf einen schnellen Blick in jeden Raum. Bei der kleinen Küche hielt er inne, denn diese hatte alles, was eine Frau mit viel Geld in dieser Stadt wohl nicht benötigte. Kate jedoch schien Spaß am Kochen zu besitzen. »Bei mir ist die Küche leider nicht nur Dekoration«, murmelte sie entschuldigend und befüllte den Kocher mit Wasser. Nick schwieg. Die Zubereitung der Speisen übernahm bei ihnen Daheim definitiv sein Vater, und nun, da er nach New York gezogen war, hatte er es noch nicht einmal gewagt, den Kochlöffel zu schwingen und das aus reiner Scham heraus, seine Mitbewohner könnten ihn dafür aufziehen. Kate schob sich an ihm vorbei, deutete auf das Zimmer, das der Küche gegenüber lag. Das Wohnzimmer. Schlicht gehalten, mit hellen Tapeten, einem ein wenig in die Jahre gekommenen Sofa, das an Größe und Bequemlichkeit jedoch allem Neuwertigen den Rang ablief. Nick bemerkte, dass sämtliche Zimmer der Wohnung mit Teppich ausgelegt waren, abgesehen von Bad und Küche. Nicht zuletzt hatte Kate darauf bestanden, dass er sich die Schuhe auszog, als er den Flur betrat. So war es angenehmer und wesentlich leiser, wenn man sich zwischen den Räumen hin- und her bewegte, hatte sie ihm erklärt. »Wohnst du hier eigentlich allein?« Kate legte den Kopf schräg, dann lachte sie auf: »Was? Sind dir die derben Männerschuhe und die dreckigen Socken und Klamotten, die hier herumliegen, etwa nicht aufgefallen?« Nick hob beschwichtigend die Hände. Dann bemerkte er dennoch etwas, das ihm Grübchen in die Wangen zauberte. Mit dem Zeigefinger haschte er nach einem Stück Damenunterwäsche, das sich in einer Ecke des Sofas kräuselte. »Dann kann ich also davon ausgehen, dass dein Freund gern Spitzenwäsche trägt?!« Von seinem Finger baumelte der geblümte Spitzen-BH, den sie sich, bevor sie zum Meeting gehetzt war, vom Leib gerissen hatte, weil sie das Gefühl überkam, man könne die Bordüre unter dem Kleid ausmachen. Ihr schoss das Blut augenblicklich in die Wangen und brachte ihre Ohren zum Glühen. Rasch langte Kate nach dem Wäschestück. »Ich hatte es eilig, außerdem man hätte ihn unter dem Kleid bemerkt ...« »Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen«, lachte Nick und versuchte sich ihrem Anblick zu entziehen. »Hast du aber«, murmelte Kate erwidernd. Das Klicken des Wasserkochers ließ sie aufhorchen. »Dein Tee.« Sie hetzte an ihm vorbei und war versucht, sich nicht die Schmerzen in ihrem Bein anmerken zu lassen. Nick folgte ihr in die Küche, bemüht darum, seinen Fokus auf andere Dinge zurichten, als auf sie. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich ...«, hob Kate an, goss das brühendheiße Wasser in die zuvor bereitgestellte Tasse und setzte den Kocher zurück auf die Arbeitsfläche. »Hm?«, nun konnte er ihr doch nicht entkommen. »Wenn ich kurz unter die Dusche hüpfe?«, erneut spürte sie das Aufflammen ihrer Wangen. »Ich meine, nach all dem ...« Nick schüttelte den Kopf und machte ihr Platz. »Aber nicht meine Wohnung ausrauben!«, wies sie an, als Kate mit frischen, sauberen Sachen im Arm aus der Tür zum Bad lugte. »Wenn du mir noch sagst, was sich lohnt, hier entwendet zu werden?!«, grinste Nick verschmitzt. Als Antwort schnalzte sie mit der Zunge, stieß ein Murren aus und schloss die Tür. »Es sei denn, du möchtest, dass ich dir beim Duschen zusehe … ich meine, behilflich bin ...«, rief er ihr zu, doch da das Rauschen des Wassers erklang, vernahm er ihrerseits nur ein: »Was?« »Nichts, schon gut ...«, erwiderte er lachend. Nick begab sich ins Wohnzimmer, vorsichtig die heiße Tasse balancierend. Er schnaubte bei dem Gedanken, der ihn soeben überfiel: Wer hätte ahnen können, dass der kleine Ausflug mit den Jungs so enden würde? Er war einer Frau zu Hilfe gekommen und fand sich nun in deren Wohnung wieder. Die nackt unter der Dusche stand. Gott noch eins, reiß dich zusammen!, befahl er sich zur Ruhe. Wenn er sie nicht vorm Schrecken bewahrt hätte, dann wäre ein anderer gekommen, um ihr zu helfen und wenn nicht, dann … »Alles in Ordnung?« Kates Stimme zog ihn unweigerlich aus dem Gedankenstrudel zurück ins Hier und Jetzt. Dass sie sich in unmittelbarer, körperlichen Nähe zu ihm befand, machte es ihm nicht leichter. Der Duft eines Duschgels, das ihm nicht unangenehm war, wehte zu ihm herüber. Hatte diese Frau überhaupt einen Schimmer davon, was ihr Anblick für eine Wirkung auf ihn ausübte? Da er nur 1,75m maß, was für männliche Verhältnisse schon als ziemlich klein deklariert wurde, wunderte es ihn kaum, dass Kate ihn nur minder überragte. Ihre Beine waren auch ohne irgendwelche Absatzschuhe ziemlich lang und steckten nun in einer Art Jogginghose. Ihr Oberkörper wurde von einem Sweatshirt verhüllt und ließ nur wenig von nackter Haut erkennen. Gerade rubbelte sie die feuchten Strähnen ihres Haares mit einem Handtuch trocken. »Du darfst dich ruhig setzen«, erlaubte sie, da Nick ihr noch immer mit der Tasse in den Händen gegenüber stand. Kate sah, wie sich seine Lippen öffneten, doch nicht ein Laut daraus hervorkam. Dann jedoch tat er ihr den Gefallen, auch wenn es ihm plötzlich etwas unangenehm wurde. Er schloss die Augen und versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren. »Ich … bin dir zu aufdringlich, oder? Oh je, das … bitte entschuldige«, ihre Worte erreichten ihn, doch wirklich verstehen konnte er sie nicht. »Aufdringlich?«, schnaubte Nick und war versucht, seine Aufregung und Nervosität mit dem Kneten der Finger im Schoß zu unterdrücken. »Wie geht es deinem Knie?« »Meinem Knie?«, verdattert blinzelte sie, da Nick nur ein Schnauben für sie übrig hatte und dann so einfach das Thema wechselte. »Na ja ...« Ein wenig unsicher trat Kate auf ihn zu, bettete ihren Fuß auf dem Polster des Sofas, ehe sie die Hose über Wade bis hoch übers Knie zog. Doch statt sich der kleinen Schürfwunde zuzuwenden, fiel sein Interesse auf etwas schmales, schlankes, das sich um ihre Fessel wand. »Ein Fußkettchen, hm?« Nun war es Kate, die belustigt schnaubte. Da sie ihr Bein dicht neben ihm ausstreckte, konnte er ungehindert den Blick schweifen lassen. »Sieht doch ganz gut aus ...« Kate blinzelte abermals. »Und was davon?« »Die Wunde ...«, sagte er schlicht, grinste jedoch zu ihr auf. »Was hast du denn geglaubt, das ich meine?« Sie biss sich auf die Lippen und zuckte die Schultern. Als seine warmen Finger plötzlich über ihr Fußgelenk glitten, um mit dem Kettchen zu spielen, zuckte Kate unweigerlich zusammen. »Zu kalt?«, fragte Nick amüsiert. »Nein, ich denke nur, dass das keine gute Idee ist«, erklärte sie mit leiser, zittriger Stimme. »Und was genau?« Seine Lockversuche waren ihr alles andere als geheuer. »Dass ich dich flüchtig berühre? Oder einfach nur aus Neugierde mit der Kette spiele, um deine Reaktion zu testen? Ich finde schon, dass das alles hier einen gewissen Reiz hat.« Innerlich betete Kate, dass er schwieg, still blieb, um sie nicht weiter mit Worten und Taten zu verwirren. Sie entzog sich ihm und ließ die Hose wieder über Knie und Wade fallen. »Das sollte es aber nicht.« Es fiel ihr schwerer, als Gedacht, sich ihm zu widersetzen. »Nick, vielen Dank für deine Hilfe, deine Rettung. Danke, dass du mich nach Haus gebracht hast, aber alles andere wäre ein Schritt zu viel und ginge zu weit ...« »Findest du?«, hakte er nach. »Und wann … bist du das letzte Mal zu weit gegangen?« »Das spielt keine Rolle!« Kate verfluchte sich für das Zittern, das ihre Worte begleitete und diese Lüge strafte. »Und wenn es für mich eine Rolle spielt?« Nick erhob sich vom Sofa. »Schicksal, zum Beispiel.« »Nick, wirklich? Was soll das?«, sie schüttelte den Kopf und bedachte ihn mit einem mitleidigen Lächeln. Er hob mahnend den Zeigefinger. »Nehmen wir einfach mal an, all das, was dir heute zugestoßen ist, wäre vorherbestimmt.« »Oh je, oh je ...« Kate verdrehte unweigerlich die Augen. »Was?«, spottete er. »Das Wohnzimmer voller Esoterik-Bücher und ans Schicksal zu glauben gibt dir nichts?« »Astrologie!«, widersprach sie. »Schicksal«, gab Nick knurrend wieder. »Als wenn jemand wie du an so etwas glaubt!« Kate warf empört die Hände in die Luft. »Du kennst mich doch gar nicht, also woher willst du wissen, dass ich es nicht tue!« Nun war es an ihm, mit den Schultern zu zucken. »Und selbst wenn, vielleicht bist du doch ein Student, der Psychologie oder so etwas studiert, und irgendwie … feststellen kann, wie sein Gegenüber tickt, und wenn er dann auch die Wohnung desjenigen etwas genauer unter die Lupe nimmt, Rückschlüsse auf dessen Persönlichkeit ziehen kann?«, wieder konnte sie nur den Kopf schütteln, dann spürte Kate, wie ihre starre, empörte Haltung in sich zusammenfiel. »Warum …? Vielleicht … bist auch irgendein kranker Psychopath, der darauf steht, Frauen vor herannahenden Lastwagen zu retten?« »Wäre möglich«, räumte Nick ein. »Kate, warum verbietest du dir so eine Gelegenheit?« »Gelegenheit?«, lachte sie auf. »Was denn bitte für eine Gelegenheit?« »Vielleicht ist es genau das, was dir fehlt«, warf Nick ein. »Vielleicht bin ich genau das, was dir fehlt.« »Ich bin doch viel zu alt für dich!«, entgegnete sie und wusste, dass die gedämmte Empörung unweigerlich Aufwind bekam. »Na und? Die paar Jahre. Was ist schon dabei?« Offenbar begriff er immer noch nicht, was sie an all dem hinderte. »Na und? Sei doch bitte vernünftig!« Kate versuchte sich an einem beschwichtigenden Lächeln. »Wie wäre es, wenn du davon mal runterkommst? Oder hast du etwa Schiss, dass ich meinen Kumpels erzähle, ich hätte es mit einer Älteren getrieben, in zig verschiedenen Varianten? In über hundert Stellungen?« Obschon Kate wusste, dass er mit Absicht übertrieb, um sie aus der Reserve zu locken, wurde ihre Miene ernst. »Und wenn zwischen uns eine Art Verbindung besteht?« Nick deutete zwischen ihnen hin und her, dann hielt er inne und wandte den Kopf von einer Seite zur anderen, als habe ihn etwas dazu bewogen, umzudenken, einzulenken, einzusehen. »Ok, ich … ich verstehe«, er rieb sich die Nase, war versucht, Ruhe und Sachlichkeit wallten zu lassen. »Hör mal, es … es tut mir leid. Du hast mich nicht bedrängt und jetzt komme ich mir wirklich wie der letzte Arsch vor, weil es auf dich wirken muss, als wärst du mir etwas schuldig. Das bist du nicht, wirklich nicht, Kate. Und ich sollte jetzt wirklich gehen. Ich wollte dich auch nicht beleidigen, oder dir sonst irgendwie … anderweitig. Ich mag dich Kate, wirklich, auch wenn wir uns nicht kennen. Trotzdem glaube ich, dass es vielleicht … Quatsch, Blödsinn … vergiss, was ich gesagt habe. Ich will weder Geld, noch Sex, noch sonst irgendetwas von dir.« Knapp lachte Kate auf, nicht aus Spott, sondern weil es diese urkomische Situation nicht anders hergab. »Was? Du willst nicht mal mein Geld?« »Wenn ich mir deine Wohnung so ansehe, wäre es angebrachter, mir die unter den Nagel zu reißen, als dich um finanzielle Entschädigung zu bitten. Scheinbar, kannst du jeden Cent brauchen«, salopp und lässig zuckte er mit den Schultern. Entrüstet schnappte sie nach Luft, doch ihre Lippen blieben zu einem Grinsen gebogen. »Ich sollte jetzt wirklich gehen. Es hat mich gefreut, Kate. Und wer weiß, vielleicht sehen wir uns ja wirklich irgendwann mal wieder?« Nick streckte ihr die Hand entgegen. Kate ahnte nicht, wie Recht er damit hatte! Kapitel 4: 4 ------------ Wiedersehen im Frühling Kapitel o4 Als Nick im Begriff war, tatsächlich zu verschwinden, blieb ein mulmiges Gefühl in ihr zurück. »Bis dann«, rief er ihr entgegen und stoppte, als er Getrappel hinter sich vernahm. »Kann ich dir vielleicht doch noch etwas anbieten?«, holperte es ihr über die Zunge. »Immerhin gebietet es die Gastfreundschaft.« »Wenn du nicht willst, dass ich gehe, warum sagst du es denn nicht einfach?« Nick war schon an der Tür, ehe er sich zu ihr umwandte und eine abwartende Haltung annahm. »Möchtest du noch etwas trinken? Meine Wohnung kann ich dir leider nicht überlassen, denn dann weiß ich nämlich nicht wohin mit mir und die Miete, puh ...« Kate zuckte die Schultern und tat, als habe sie seine letzten Worte schlicht überhört. »Da ich weder deine Wohnung, noch deinen Körper kriege, bleibe ich natürlich, weil es Höflichkeit und Gastlichkeit gebieten, auf einen Tee«, grinste er und legte knapp den Kopf schräg. »Wow, vielleicht sollten wir das mit dem Sarkasmus noch einmal üben«, erwiderte sie knurrend. »Findest du? Und ich armer Kerl habe immer gedacht, dass mir gerade das liegt!«, seufzte Nick theatralisch. Amüsiert verbogen sich ihre Lippen. »Weißt du, es gibt nicht viele Zwölfjährige, die sich damit auseinander setzen.« »Pech für die Zwölfjährigen, dass ich schon fünfzehn bin«, gab Nick mit stolz gerecktem Kinn zurück. Kates Augen wurden erst groß, dann schmälerte sie den Blick. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich erst fünfzehn bin, oder?«, spottete er. »Nein«, sagte Kate und hob abwehrend die Hände. »Gut«, grinste Nick, drängte sich an ihr vorbei und schien sie nur ganz beiläufig zu berühren. »Und wenn du dir das mit dem Körper vielleicht doch anders überlegst ...« Kate biss sich auf die Lippen. Das war nicht gut, ganz und gar nicht! Plötzlich war ihr, als bliebe ihr gar keine andere Wahl. Natürlich konnte sie ihn hinaus befördern. Sie brauchte ihn ja nicht einmal wiederzusehen. Wie auch? Die Stadt war viel zu groß. Und da beide vermutlich nicht im selben Viertel wohnten, waren die Chancen, sich über den Weg zu laufen, relativ gering. »Woran denkst du?« Kate riss die Augen auf. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er direkt vor ihr stand, und ihr dann auch noch so nah gekommen war. »Du überlegst dir, wie du mich jetzt doch noch loswerden kannst, hm?«, wieder schenkte er ihr ein provozierendes Lächeln. Peinlich berührt senkte sie den Blick. »Ist okay, ich würde mich wahrscheinlich auch loswerden wollen, allerdings … na ja, bliebe da immer noch eine Sache ...« »Und die wäre?«, krächzte Kate und hatte sichtlich Mühe, die Fassung zu bewahren. Das breite Grinsen in seinem Gesicht wollte nicht schwinden. »Ich würde schon wissen wollen, wie es ist, mit mir zu schlafen, natürlich gesetzt den Fall, dass ich an deiner Stelle wäre ...« »Ja, ja ich … verstehe dich schon ...« Kate konnte sich dem Charme ihres Retters wirklich nicht entziehen. Tief sog sie Luft durch die Nase ein. Himmel, alles um sie herum schien zu flimmern und zu schwirrend. Kate konnte sich nicht entsinnen, wann ihr das letzte Mal ein Mann auf diese Art und Weise den Atem geraubt hatte. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Euphorie, Aufregung, und Erregung hämmerten durch ihren Körper, setzten ihn in Flammen. »Sag mal, wie … wie alt bist du eigentlich wirklich?«, fiepte sie, und versuchte unter den halbgeschlossenen Lidern etwas von ihm zu erkennen. »Ist das wichtig?!«, knurrte er verlangend und zog sie abermals in einen verzehrenden Kuss, der ihr die Knie butterweich werden ließ. Ihre Finger wühlten sich durch sein Haar, während Nick begierig ihre Beine um seine Hüften schlang und ihren Rücken an der Wand empor schob. »Ich ...«, seufzte sie ergeben, »ich will nur nicht wegen Kindesmisshandlung im Knast landen.« Nick schnaubte amüsiert, glitt mit den Lippen von ihrem Mund übers Kinn, ehe er sich knabbernd ihrem Hals zuwandte. »Ich bin alt genug um zu trinken, zu rauchen, Auto zu fahren und zu vögeln!« »Oh, gut …«, keuchte sie unweigerlich auf. »Gut zu wissen ...« »Und, was ist mit dir, Lady?« Zu ihrem Leidwesen lösten sich seine Lippen von ihrem Hals. »Mit mir?«, krächzte Kate abermals und spürte, wie ihr das peinliche Flehen zwischen die Beine rutschte. »Bist du denn alt genug für das alles?«, grinste Nick spitzbübisch. »Hat man dir nicht gesagt, dass man eine Frau nie nach dem Alter fragt?!«, gab sie halbherzig beleidigt klingend zurück. »Ich hab' nicht gefragt, wie alt du bist, sondern ob du alt genug bist …«, murmelte er, sich wieder ihrem Hals zuwendend. »Bei euch Mädels weiß Mann ja nie, woran er ist. Da sehen die Sechzehnjährigen aus wie siebenundzwanzig und die Dreißigjährigen wie knackige vier- ...« »Naaa!«, warnte sie, während Nick leise kicherte. »Ich wollte vierundzwanzig sagen.«, murmelte er. »Also, Kate … bist du vierundzwanzig?« »Himmel, wo warst du nur?«, seufzte sie fiebrig, langte nach seinem Gesicht und verfiel mit ihm dem Rausch der Nähe. Kate wusste nicht, wie viel von letzter Nacht ihren Träumen, oder der Realität entschlüpft war. Sie fühlte nur ihren schmerzenden, matten Körper, der noch irgendwo zwischen Ekstase und Erfüllung schwebte. Sie war zufrieden, spürte auch jetzt noch ihren Leib vor Erregung zittern. »Ich sollte mehr Sport treiben«, entschied Kate nuschelnd. »Warum?«, lachte Nick neben ihr. »Mir tun … die Knochen weh, die Muskeln ...«, erklärte sie und hob den Kopf aus dem Kissen, in das sie die letzte Nacht so oft hinein hatte beißen müssen, um die lustvollen Laute einzudämmen, die ihrer Kehle entkommen waren. Wer wollte schon gern Gesprächsstoff fürs ganze Haus sein? »Vielleicht solltest du einfach mehr vögeln? Das soll auch ganz gut sein, hab' ich mir sagen lassen«, riet er ihr und verschränkte die Arme hinterm Kopf. Eines musste sie Nick zugute halten: Er war nicht nur sehr um sie bemüht, sondern hatte auch ohne Weiteres akzeptiert, dass er nicht, wie ein Brüllaffe, die halbe Nachbarschaft auf ihr Treiben aufmerksam machen musste. Ebenso war sie ihm fast schon unendlich dankbar, dass er sich um die Verhütung gekümmert hatte und noch mehr, dass er keine Fragen stellte. Nichtsdestotrotz überkam sie nun, da beide erschöpft nebeneinander lagen, ein ungutes Gefühl. Die Regelung mit der Verhütung war das Eine. Was ihr allerdings Sorgen bereitete war die Tatsache, dass er Kondome mit sich führte, und es ihm nicht an Exemplaren mangelte, wie Kate am eigenen Leib erfahren durfte. War er etwa so etwas wie ein Gigolo? »Bitte nicht!«, flehte Kate leise. »Was? Kommst du etwa schon wieder? Und dabei habe ich doch noch gar nichts gemacht?!« Sie kannten einander zwar noch nicht lang, jedoch maß sich Kate an zu wissen, dass Nick während des Sprechens ein fettes Grinsen im Gesicht hatte. »Wie kommst du darauf, dass ich schon wieder …? Ach, Blödsinn! Nein«, murrte sie. »Du hast mindestens fünf mal 'oh nein – bitte nicht' von dir gegeben und mir dabei fast den Schwanz abgehackt. Was soll ich deiner Meinung nach bei diesem Ausruf sonst denken?«, verlangte Nick, berechtigter Weise, zu erfahren. »Bist so etwas wie ein Gigolo?«, knurrte sie. »Ein was?«, kicherte Nick und wandte sich zu ihr um. »Ein junger Kerl, der mit älteren Frauen schläft, gegen Bezahlung ...«, erläuterte Kate ihm. »Wirke ich etwa so auf dich?« Die dunkle Augenbraue seinerseits erhob sich, während seine Lippen ein erfrischendes Lächeln zierte. »So eingenommen, wie du von dir bist?« Kate wühlte sich aus den Kissen und zuckte die Schultern. »Was soll das mit den vielen Gummis?« »Was soll damit sein?« Nickte rollte sich auf die ihr zugewandte Seite, streckte die Finger nach ihr aus und fuhr sacht und quälend langsam über die von Schweiß bedeckte Hüfte. »Hey, Lady, weißt du eigentlich, wie unsicher du bist?!« »Was hat das denn mit Unsicherheit zu tun? Wie soll es denn sonst auf mich wirken, wenn du eine gefühlte Wagenladung an Kondomen mit dir herumschleppst? Soll ich etwa nicht davon ausgehen, dass du nicht jeden Tag jemand anderes … na du weißt schon ...« »Was? Vögelst?« Nick lachte auf. »Findest du nicht, dass ich dir schon ziemlich entgegen gekommen bin? Und das ist nicht so anrüchig gemeint, wie es geklungen hat.« Die Augen verdrehend, seufzte Kate. »Weißt du was, Kate? Du denkst eindeutig zu viel nach!« Die zuvor noch sanften, leichten Berührungen wurden zu einem festen Griff. Nick tat ihr nicht weh, jedoch wollte er, dass Kate spürte, dass seine Worte nicht bloß dahingedroschen waren. »Wenn ich dir sage, dass die nicht alle für mich waren, würdest du mir dann glauben?« Kate wandte sich ihm zu, schloss die Augen und schnaufte leise. »Und für wen dann?« »Wie du sicherlich noch weißt, war ich vorhin mit ein paar Typen unterwegs und drei oder vier davon sind meine engsten Freunde, Schrägstrich Mitbewohner. Und na ja, da man euch Mädels, was mögliche Krankheiten betrifft, ja auch nicht alles glauben kann, hat jeder von uns immer ein paar davon dabei. Zum Schutz, natürlich ...«, erklärte Nick. »Natürlich«, murmelte sie peinlich berührt. »Du glaubst mir nicht, hm?«, neckte er und Kate schüttelte den Kopf. »Hab' ich mir gedacht.« »Weißt du, ich … bin ja schon froh, dass du überhaupt an so was denkst ...«, gab sie kleinlaut zu. »Also vertraust du mir doch?!« Kate gab ihm ein Schnalzen der Zunge als Antwort. »Ja!« Nick nahm die Hand von ihr und reckte diese, zur Faust geballt und siegessicher in die Luft. »Du bist ein Spinner! Auf ganzer Linie!«, schnaubte sie, während ihr Lachen in der Dunkelheit verklang. Kapitel 5: 5 ------------ Wiedersehen im Frühling Kapitel o5 Wieder lag sie mit dem Gesicht nach unten im Kissen, rang schnaufend nach Atem und spürte den Druck seiner Hände noch immer auf ihren Hüften. Ihr Körper prickelte bis in den kleinsten Winkel, war erfüllt von Energie, purer Glückseligkeit und nicht zuletzt den Nachwehen ihres Treibens. Wohlig seufzend ließ sie sich von ihm auf die Matratze sinken, umklammerte das Kissen und linste daraus hervor zu ihm auf. »Ich werde mich nie wieder beschweren, wenn meine Nachbarn vögeln!« Nicks Hände glitten über ihren Rücken, hinauf zu den Schultern, ehe er ein Zischen von sich gab. »Kate«, krächzte Nick und schien wahrlich um Beherrschung bemüht. »Kate, ich stecke noch immer bis zum Anschlag in dir, würdest du bitte aufhören so zuzupacken!« Ein letztes Mal noch ließ sie ihre Muskeln um ihn zucken, dann tat Kate ihm den Gefallen. »Und was hast du jetzt damit vor?«, grinste sie erwartungsvoll. Kaum, dass ihre Provokation die Lippen verließ, hatte Nick sich ihrer entzogen, packte sie erneut bei den Hüften und warf sie auf den Rücken. »Hey!«, klagte Kate und versuchte mit dieser, ihr nicht zusagenden Position zurecht zu kommen. Es gelang ihr nur vage, das Mienenspiel auf seinem Gesicht auszumachen, obschon die Sonne allmählich ihre Fühler ausstreckte und ersten Frühjahresboten den Tag begrüßten. Nick langte nach ihren Fesseln und Kate spürte die feine, leichte Schwere des Kettchens, das durch sein Tun an ihrem Fuß hinabrutschte. Er wandte sich erst ihrem rechten Bein zu, küsste sich über ihre Zehen bis hin zum Fußrücken und hinterließ eine feuchte Spur an ihrem Schienbein, ehe sich Nick dem linken Bein widmete und ihm ebenso eine intensive, sanfte Behandlung schenkte. Kate wand sich unter den zarten Berührungen, spürte seine Knie an ihrem Gesäß. »Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten«, bot er an und Kate zwang sich zur Konzentration, auch wenn ihr dies, basierend auf den zarten, streichenden Fingern seinerseits, nur schwer gelang. Mit heißen Wangen und glühendem Blick sah sie zu ihm auf, empfing das Zerren ihres Verlangens und begegnete ihm wohligem Seufzen. Etwas grob, aber bestimmend griff er nach ihren Gelenken, beugte sich ein wenig nach vorn, um diese in einem Nacken zu überkreuzen. Kate bemerkte das Ziehen ihrer Muskeln und betete, dass dieser verdammte Krampf in ihrem Schenkel schnell verschwand. Nick legte für einen flüchtigen Moment den Kopf schief. »Ist okay«, sagte er nur, löste den Knoten ihrer Fesseln und ließ ihre Beine bis zu den Kniekehlen auf seine Arme sinken. »Wir sollten dich wirklich ein bisschen besser trainieren.« Kate vernahm das Grinsen in seiner Stimme. »Ich bin keine zwanzig mehr!«, murrte sie halb wartend, halb empört, dass er sich über sie lustig machte. Nick kam ihr näher und öffnete ihr die Schenkel. Statt in seinem Nacken, verweilten ihre Beine nun über seinem Steißbein. Zitternd rang sie nach Atem, als er sich wiederholt in Stellung brachte und Kate genoss jede Sekunde, die ihre Zusammenkunft andauerte. Mit amüsiertem Grinsen, lauschte er Kates regelmäßigen Atemzügen. Viel Zeit um auszuruhen, hatte er ihr nicht gelassen. Sein Blick glitt zum Fenster und der kleine Spalt zwischen Jalousie und Fensterrahmen zeigte ihm, dass der Tag hart und unbarmherzig an die Tür klopfte. Nick holte lang und gedehnt Luft. In nicht weniger als einer Woche würde er die Familie seines Vaters zum ersten Mal kennenlernen. Es war seltsam, dass er gerade jetzt, nach einer mehr als ausfüllenden und aufregenden Nacht mit einer ihm völlig fremden Frau, daran dachte. Dass es bisher nie zu einem Treffen kam, wusste er sich auch nicht zu erklären. Entweder waren seine Brüder und er für diese strapaziöse Reise zu klein, oder man hatte sie ins Ferienlager verfrachtet. Und irgendwann waren die Jungs dann zu alt und zu cool, um mit Mum und Dad in den »Urlaub« zu fahren. Ebenso schien ein Flug über den Großen Teich, mit einer Horde Pubertierender an Bord, nicht standesgemäß genug, zudem hatte sich die Urlaubsplanung seiner Eltern schon immer schwer gestalten lassen. Nick schnaubte und fixierte ein Staubkörnchen, das auf dem Weg in Richtung Boden dahinsegelte. Ein knappes Ziehen in seinen Haaren, das sich kurz darauf in eine Massage wandelte und seine Kopfhaut prickeln ließ, hob ihm die Mundwinkel. »Hey«, bei dem kleinen Wörtchen wandte er den Kopf nach oben. Nick hatte es sich an ihrem Becken bequem gemacht, nachdem er Kate zuvor auf bestialisch-erotisch-erfüllende Weise den vermeintlich letzten Funken Verstand raubte und diese mehr als erschöpft zu keiner Regung mehr fähig war. Er ließ seine Nase über ihre Haut wandern, sog ihren Duft in seine Lungen und arbeitete sich allmählich zu ihr empor. »Hast du was?«, fragte Kate, ohne auf seine Avancen einzugehen. »Ist das so offensichtlich?« Seine Stimme schien seit der letzten Nacht rau und kratzig und Kate bemerkte die leichten Bartstoppeln, die ihr über Schenkel, Bauch und Brust rieben, je näher Nick ihr kam. Kate blinzelte ihm entgegen, als er an ihrer Schulter hielt und dort den Kopf ablegte. »Hey, du … hast ja braune Augen ...« »Das fällt dir erst jetzt auf?«, schnaubte er mit erhobener Braue. »Schaust du jedem deiner Sexpartner erst danach in die Augen?« »Entschuldige bitte, aber gestern Abend war es zu dunkel und als wir es wie die Karnickel getrieben haben, hatte ich meine Augen die meiste Zeit geschlossen«, verteidigte sich Kate knurrend. »Oder im Kissen«, giggelte Nick. »Au!«, murrend rieb er sich den rechten Arm, als ihre Faust auf seinen Muskel traf. »Tut mir leid, aber der Schlag war nötig«, rechtfertigte ihre leicht brutale Aktion. »Also, sagst du mir jetzt, was dich quält? Gewissensbisse wegen letzter Nacht? Oder den letzten drei Stunden?« »Weder noch«, grinste Nick. »Wenn ich's bereuen würde, hätte mich schon nach dem zweiten Mal klammheimlich davongemacht. Oder vielleicht nach dem dritten ...« »Was bin ich doch für eine glückliche Frau«, brummend streckte sich jene auf dem zerwühlten Laken aus. Als Nick jedoch nichts erwiderte, schoben sich ihr fragend die Augenbrauen zusammen. »Es geht um meine Familie«, gestand er. In seinem Gesicht erkannte Kate die Zerrissenheit, die ihm zusetzte. »Was ist mit ihr?« Kate machte sich wieder an seinen Haaren zu schaffen und begann Kopf und Nacken zu kraulen. »Eigentlich nicht viel, nur … habe ich die Familie meines Dads noch nie gesehen«, murmelte er, rutschte an ihr hinab und bettete seine Lippen an ihrem Rippenbogen. Nun war es Kate, die schwieg. Da Familie eine sehr heikle Angelegenheit war, hielt sie sich diesbezüglich zurück. »Mein Dad, er … na ja, er ist nicht mein richtiger Dad.« Kate überfiel ein Schauer, als seine warme Hand über ihre Hüfte strich. »Also ist er dein Stiefvater?«, murmelte sie und spürte ihren Körper unter seinen Berührungen erneut weich werden. »Ja und nein. Es ist etwas kompliziert. Aber da ich nur ihn kenne, stört mich das nicht.« So, wie Nick es sagte, schien er sich bereits lang genug damit arrangiert zu haben, grübelte sie. »Und, wie ist deine Familie sonst so?«, da Kate nicht wusste, inwieweit sie sich vorwagen durfte, schien ihr zu viel Neugierde unangebracht. Also würde sie sich an vagen, belanglosen Fragen orientieren. »Mum ist … sie ist Mum. Sie wuselt ständig um einen herum, wie eine Glucke. Hat ihr gar nicht gefallen, dass ich nach New York gezogen bin«, ein leises Lachen begleitete seine Worte. »Und Geschwister? Ich meine, hast du welche?« Ihre Finger glitten aus seinen Haaren. »Noch zwei Brüder, aber die wohnen noch bei Mum und Dad.« Nick bettete seine Lippen an der Wölbung ihrer Hüfte und ließ seine Finger über ihre Haut tänzeln. »Dann bist du also der Einzige, der ausgezogen ist«, sinnierte Kate. »Sind sie älter, jünger …?« »So wohl, als auch ...«, gab Nick, mit einem Anflug eines Lachens, zurück. »Du bist ziemlich neugierig ...« Kate verzog schmollend die Lippen. »Hm, mag sein«, räumte sie ein, ehe sie mit der nächsten Frage womöglich eine Grenze zu überschreiten drohte: »Also, was bedrückt dich dann so?« Zu ihrer Überraschung schien sich Nick nicht daran zu stören. »Ich soll sie nächste Woche besuchen. Meine Großeltern. Dads Eltern. Die gesamte Familie wird da sein, sagt Dad. Aber irgendwie ...« Ein leises Seufzen seinerseits folgte. »Hast du keine Lust darauf, hm?«, schmunzelte Kate verstehend. »Nein«, gab Nick wahrheitsgemäß zu. »Dann fahr nicht«, sagte sie schlicht und war versucht, die Schultern zu zucken. »Du bist erwachsen, oder zumindest hoffe ich das ...« Nick schnaubte und schüttelte den Kopf. »Okay, lass uns … lass uns das Thema wechseln, denn einen grüblerischen, melancholischen Nick will ich in meinem Bett nicht haben ...« Kate machte eine scheuchende Bewegung, dann jedoch wurde ihre Hand von seinen Fingern umschlossen. Schwer schluckte sie. »Na gut, Themenwechsel. Was willst du wissen? Und frag bitte nicht, ob mein Penis nur zur Dekoration da war, Lady, ich versichere dir, er hat schon viele Mädels glücklich gemacht.« Kate lachte bei seinen Worten, ihr gesamter Körper geriet dabei in Wallung. Schniefend kam sie kurz darauf wieder zur Ruhe. »Und womit verdienst du dein Geld?« »Mit Gelegenheitsjobs.« Nick zuckte die Schultern. »Was soll man hier auch sonst machen?!« »Und was sind das für Jobs? O nein!«, rief sie alarmiert aus und setzte sich auf. »Was?« Nicks verwirrtem Gesichtsausdruck konnte sie dennoch nichts entnehmen. »Sag nicht, du dealst mit Drogen!?« Ihre Augen waren schreckgeweitet. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte feierlich. »Ich bin doch nicht verrückt!« »Nimmst du Drogen?«, verlangte sie zu wissen. »Wie alt bist du?!« »Nein, und … in drei Tagen werde ich einundzwanzig«, schmunzelte Nick. »Ist mein voller Ernst. Guck nicht so ungläubig! Soll ich dir meinen Ausweis zeigen?« »Was? Ähm, nein, also ... Meinen Glückwunsch ... vorträglich?« Kate spürte, dass ihr Gehirn all die kleinen Informationen des ihr Unbekannten irgendwie ordnen musste. »Wann hast du Geburtstag?!« »In … drei Tagen?«, grinste er amüsiert. »Am sechzehnten ...« »Einen Tag vorm St. Patricks Day«, nuschelte sie und versuchte sich nicht von der Hand ablenken zu lassen, die soeben in tiefere Gefilde abzugleiten drohte. »Vor was?«, kicherte er. »St. - St. Patricks Day ...«, provokant langte sie abermals nach seinen Haaren. »Ah, du meinst den irischen Nationalfeiertag?«, sinnierte Nick und tat, als habe er Kates Versuch, ihn zu ärgern, nicht bemerkt. »Als wenn du das nicht wüsstest. Da bist du doch bestimmt ohnehin nicht mehr ansprechbar ...«, murmelte sie, fiel wieder in die Kissen zurück und schloss die Augen. »Könnte sein. Und, Lady, was sind deine Laster? Ich meine, abgesehen von jungen Typen, die dich vor wirklichen Lastern retten, verdammt gut aussehen und dich die ganze Nacht wachhalten?« Das schelmisches Grinsen seinerseits verriet den Schalk jedoch. »Kaffee ...«, nuschelte sie und versuchte sich dennoch wieder aus dem Bett zu quälen. »Hey, wo willst du hin?«, murrte er widerwillig und gab die Frau, die eben noch zwischen seinen Fingern vergangen wäre, frei. »Kaffee, hab ich doch gerade gesagt«, Kate zuckte die Schultern. »Willst du auch einen?« Sie musste dringend Abstand zwischen sich und diesem Exemplar bringen! »Nein, danke. Aber sag mal, kochst du dir immer splitterfasernackt Kaffee?« Fassungslos schüttelte er den Kopf. Kate, soeben im Begriff von der Diele in die Küche zu treten, hielt inne und warf ihm einen irritierten Blick über die Schulter zu. »Ich habe auch Milch da, wenn dir das lieber ist?« »Kakao?« Nun legte Nick den Kopf schief und grinste, als ihr Lachen durch die Wohnung hallte. Ungläubig blinzelte Kate gegen die Zeiger der Uhr an. »Erst kurz nach sieben?« Eine kleine Grübelfalte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen, ehe sie dürftig das zerzauste Haar zusammenfasste. Mechanisch und routiniert befüllte sie die Kaffeemaschine, laut begann diese den Brühvorgang, als Nick in die Küche schlurfte. Er legte den Kopf schräg und betrachtete die Rückansicht, mit der Kate ihn beglückte, mit einem zerknirschten Ausdruck auf dem Gesicht. Rasch hatte sie sich den Pulli sowie die Hose von gestern Abend übergestreift, ihre Mähne war nun zu einem losen Knoten gebunden. Nick verweilte im Türrahmen und besah sich ihr Tun. Und obwohl er eine gewisse Übung ihrer Bewegungen zu erkennen glaubte, erschien Kate ihm fahrig und ein wenig nervös. »Alles okay?« Seine Stimme ließ sie zusammenfahren. Kate warf ihm einen Blick über die Schulter zu und stellte mit Enttäuschung fest, dass Nick in Aufbruchstimmung schien. »Oh du ... gehst schon?« Natürlich würde er gehen! Nick konnte es offenbar gar nicht abwarten, so schnell wie möglich von ihr wegzukommen. Kalte Angst und Unbehagen ballten sich in ihrem Magen zu einer Kugel, die ihr die Kehle hinaufkroch. Kate kostete es wahrlich große Mühe, das Gemisch aus Frust, Furcht und Entsetzen nicht emporkommen zu lassen. »Sag mal, gibt's hier irgendwo eine Apotheke?«, fragte Nick, dessen Mundwinkel leicht mitleidig zuckten. Irritiert blinzelte Kate, dann schluckte sie und spürte, wie ihr sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. »Kate? Hallo? Apotheke?« Nick gehörte wohl nicht zu den geduldigsten Naturen. Dieser Umstand war ihr innerhalb der letzten Stunden schlicht entgangen. Knapp wand sie den Kopf und versuchte das unangenehme Gefühl abzuschütteln. »Lex - Ich meine, in der Lexington Ave gibt es eine.« »Und sagst du mir auch, wie ich dort hinkomme? Ich kenn' mich in der Upper East leider nur begrenzt aus.« Dass seine Lippen ein mildes Lächeln zierte, wusste Kate nicht einzuordnen. Zittrig rang sie nach Luft, umfasste die Kante der Arbeitsplatte um ihre Wut zu zügeln, während die Kaffeemaschine protestierend gurgelte. »Nach Norden. Du musst einen Block nach Norden, kannst es nicht verfehlen …« Kate schalt sich für die Schwäche, die ihre Stimme vibrieren ließ. Sie hatte sich blamiert! »Alles in Ordnung?« Beinahe hätte sie bei den sorgenvollen Worten Nicks hysterisch aufgelacht. »Klar.« Kate zwang sich zu einem Lächeln. Die Abscheu gegen sich wuchs mit jeder Sekunde, die er blieb. »Ich hab nichts, keine Krankheiten, wenn dir das Sorgen macht«, warf Nick schnell ein, nicht begreifend, was diese Situation plötzlich so unangenehm hatte werden lassen. »Schön zu hören.« Ruhe, sie musste die Ruhe bewahren! »Ich auch nicht.« Dass Nick sie aus geschmälerten Augen betrachtete, entging ihr. Kates Fokus lag auf den braunen Maserungen in den Bodenfliesen. Als ihr Blick verschwamm, seufzte sie und starrte dann, bemüht schnell, zur Zimmerdecke auf. »Wir sehen uns.« So schnell, zu schnell waren die Worte gesagt und Nick gegangen. Ihr gelang es kaum, Atem zu holen, zu verwirrt, zu überrumpelt, zu verletzt war sie. »Wehe, du brichst jetzt zusammen, du dumme Kuh!«, schluchzte Kate, fuhr sich dennoch fahrig über die Augen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie musste von allen guten Geistern verlassen und nicht mehr bei klarem Verstand sein! »Ich bin so bescheuert!« Ihr Fluch blieb ungehört. Immer wieder schüttelte Kate den Kopf, als könne sie nicht begreifen, was in den letzten Stunden mit ihr geschehen war. Tief rang sie nach Luft, barg ihr Gesicht in den Händen. Mittlerweile wiesen die Zeiger auf halb acht. »Er will zur Apotheke?«, schnaubte sie und schluckte schwer. »So ein Blödsinn!« Kate wusste, dass sie sich an das wütende Gefühl klammerte, dass die Enttäuschung mit sich brachte. Duschen … Sie würde die vergangene Nacht erst einmal von sich waschen und sich dann mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass Nick ihr Ritter und Retter in der Not gewesen sein mochte, er jedoch wenig mit deren hochgelobten Tugenden gemein hatte. Eiligst verdrängte Kate jene Tugenden, die sie vor Verzückung hatten aufschreien lassen. Sie musste zu ihrer alten Stärke zurückfinden und durfte sich nicht von einem One Night Stand aus der Bahn werfen lassen! So etwas passte nicht zu ihr, so jemand war nicht Kate! Und auch wenn Nick nicht wiederkam, so hatte seine Anwesenheit dennoch etwa frisches, erfrischendes, lebendiges zurückgelassen. Und auch wenn er ihren Ausrutscher mit dem Prädikat »nur aus Mitleid« versah, dann … »Es sollte mir egal sein. Es ist mir egal!«, murmelte Kate fortwährend, als sie das Bad betrat. Das Handtuch zu einem Turban-ähnlichen Gebilde auf dem Kopf zusammengezwirbelt, ließ sich Kate mit dem Anziehen der Kleidung ausreichend Zeit. Es war keine Seltenheit, dass sie an einem Samstag so früh auf den Beinen durch die Wohnung streifte. Kate hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, den Tag mit einer Tasse Kaffee vor dem Fernseher zu beginnen, um den Kreislauf erst einmal auf Touren zubringen, ehe sie sich dem Haushalt widmete. Dass diese Gewohnheit nun jedoch ein wenig aus der Form geriet, würde sie nicht davon abhalten, sich auf dem Sofa zu lümmeln. Sie brauchte Ablenkung! Auf leisen, nackten Sohlen tapste sie erst in die Küche, schnappte sich die obligatorische Tasse und trat dann ins Wohnzimmer. Ein Geräusch war es, dass ihre Ruhe störte und so gar nichts mit den Lauten gemein hatte, die ihr sonst zu Ohren kamen. Ein Brummen, energisch, und missgestimmt, von dem kleinen Couchtisch herrührend. Ein Handy, allerdings nicht Kates. Skepsis zierte ihr Gesicht, als sie die Tasse abstellte und vorsichtig nach dem Telefon griff. Nick musste es vergessen haben. Kate wusste nicht, ob aus Eile, Schusseligkeit, oder vielleicht …? Sie schüttelte den Kopf. Ob Nick das Mobiltelefon absichtlich zurückließ?! Kate erwartete, dass ihr der Name auf dem Display verriet, wer ihre Begleitung so dringend zu sprechen wünschte. Sie wurde nicht enttäuscht. »Nicks Telefon, Kate am Apperat«, verkündetet Kate dem Anrufer. Erst blieb es still, dann vernahm sie das Getuschel einer Stimme. Einer weiblichen noch dazu. »Äh, Kate? Ben hier. Ich wusste nicht, dass Nick ...« Ben, der vermutete Football-Spieler. Kates Lippen zierte ein schiefes Grinsen, die Worte des jungen Mannes am anderen Ende ließen ihre Stimmung jedoch wieder rapide gen Süden schnellen. Das Gemurmel der Frau konnte Kate nicht verstehen, doch ein unerfreuliches Seufzen war zu hören. »Kate?«, holte Bens Stimme sie aus den tiefen ihrer Gedanken. »Ist Nick zu sprechen?« »Äh, nein, er … er ist kurz weggegangen. Ist es wichtig?« Unsicher suchten ihre Augen die Wohnung ab, glitten in Richtung Diele. »Ich weiß nicht, wann er wiederkommt.« »Kein Problem, kannst du ihm sagen, dass ich angerufen habe? Die Jungs machen sich schon Sorgen.« Den letzten Satz begleitete eine Heiterkeit, die Kate nicht erwartet hatte. Das Gegröle im Hintergrund verriet allerdings, dass Ben mit den Mitbewohnern zusammensitzen musste. »Ist in Ordnung, ich sag's ihm«, erklärte sie sich bereit. Sollte er wiederkommen. »Hat mich gefreut, Kate und … richte Nicky aus, dass seine Mom uns bereits den ganzen Morgen terrorisiert. Bis dann ...« Das monotone Tuten am Ende zeigte deutlich, dass das Gespräch für beendet erklärt worden war. Es gehörte sich nicht, und doch fiel Kates Augenmerk auf die Anzeige des Telefons, die sieben verpasste Anrufe preisgab. Das Klingeln an der Haustür schreckte sie auf. Das Handy glitt ihr aus der Hand und landete, zu ihrem Glück, auf den mit Teppich besetzten Boden. Sie schüttelte den Kopf, legte das Telefon zurück auf den Tisch und eilte zur Gegensprechanlage. Mit vor der Brust verschränkten Armen, nahm sie den Störenfried in Empfang. Grinsend, und mit einer Brötchentüte in der Hand, kam Nick die Stufen hinaufgehetzt. »Öffnest du jedem so die Tür?« Über seinen neckenden Versuch konnte Kate nur milde lachen. »He, was ist los?« Kate trat beiseite und gebot ihm Einlass. »Kate?« Nick wandte sich zu ihr um. Es war ziemlich offensichtlich, dass er sich keinem Fehler bewusst war. Er hielt die Tüte in die Höhe. »Croissants?« Sie schmälerte die Augen. »Was wird das?« »Ich habe uns Frühstück mitgebracht«, verdutzt blieb Nick zwischen Diele und Küchenbereich stehen. »Du hast dein Handy vergessen«, sagte sie, ohne auf sein Angebot einzugehen. Nick legte den Kopf schräg, dann verrenkte er sich beinahe den Hals, um einen Blick auf den Wohnzimmertisch zu werfen. »Hab ich nicht.« Ihre Augenbraue zuckte. »Ach nein?« »Hast du gedacht, ich mach mich einfach aus dem Staub?«, kombinierte er messerscharf. »Oh, das hast du wirklich gedacht?!« Seine Miene verzeichnete Bestürzung und ließ Bedauern erkennen. Nick legte die Tüte auf die Arbeitsplatte, dann kratzte er sich verlegen am Hinterkopf, ehe er sich ihr wieder zuwandte. »Kate, es tut mir leid. Ehrlich. Hör mal, ich … ich bin echt nicht der Typ, der ...« »Der was?« Kate musste sich zusammenreißen. Sie durfte ihm jetzt nicht barsch und herrisch über den Mund fahren. Ihr Blick jedoch schien ihn bis an die nächste Wand zu heften. »Ich verpiss mich doch nicht einfach, nach einem One Night Stand. Okay, manchmal schon ...«, gab er zu. Immerhin war er ehrlich. Dass er ihre gemeinsame Nacht jedoch als eine einmalige Sache abtat, an der definitiv nichts einmalig gewesen war, schmerzte ihr dennoch in der Brust. Kate schloss die Augen und versuchte sich an einer beruhigenden Atemübung. Yoga war nie ihr Steckenpferd, und mehr als ein paar Techniken zur Entspannung hatte sie aus dem Schnupperkurs nicht mitgenommen. Aerobic lag ihr da schon eher, doch fehlte ihr dafür leider die nötige Freizeit. »Wenn ich dir sage, dass ich mein Handy absichtlich hätte liegen lassen, würdest du mir glauben?« Nick betrachtete das Mienenspiel in ihrem Gesicht. »Keine Ahnung«, sagte sie die Schultern zuckend. »Würdest du die Wahrheit sagen?« Nick schnaubte leise. »Es wäre mir gar nicht aufgefallen hätte die Vibrationsfunktion das Ding nicht fast vom Tisch gefegt«, murmelte Kate und rieb sich die Augen. Dann ließ sie ihn in der Küche allein zurück und begab sich ins Badezimmer, um ihr Haar in Ordnung zu bringen. Sowie das Handtuch ihre Mähne freigab, langte sie nach einem Kamm, und versuchte dem Wirrwarr Herr zu werden. Im Augenwinkel bemerkte sie ihren Gast, der sich ein wenig nervös vor der Tür herumdrückte. »Ben, er … er wollte dich sprechen. Es tut mir leid, dass ich an dein Telefon gegangen bin«, gestand Kate, schlang das Haar zu einem Zopf zusammen. Nick horchte auf. »Er sagte etwas davon, dass sich die Jungs Sorgen machen und dass deine Mutter angerufen hätte, und ihnen damit wohl ziemlich auf die Nerven ging«, fuhr sie fort und drängte sich an ihm vorbei. Es gelang ihr nicht, in seinem Gesicht zu lesen. Dass ihn etwas beschäftigte, stand jedoch außer Frage. Wortlos folgte er ihr ins Wohnzimmer, langte nach dem Telefon. Wie lang Nick bereits das Gerät anstarrte, das, nach Kates Auffassung, mindestens eine halbe Dekade alt sein musste, konnte sie nicht sagen. Erst, als sie sich eine zweite Tasse Kaffee gönnte, und Nick noch immer nicht reagierte, nahm sie dies zum Anlass, Fragen zu stellen. »Nick?« Dass sich Sorge in seinen Namen schlich, konnte Kate nicht verhindern. »Ich schreib schnell eine SMS«, bemerkte er und ließ seine Finger über die Tasten huschen. »Eine SMS? Ich dachte, dass wir in einem Zeitalter der regeren Kommunikation leben würden«, kicherte sie leise, doch dann verstummte Kate, da Nick sie mit einem bösen Blick bedachte. »Ich brauche diesen Schnickschnack nicht«, erklärte er und legte das Telefon zurück auf den Tisch. Das Display blieb dunkel. »Im Übrigen ...«, hob Nick abermals an und wühlte in den Taschen seiner Jeans, ehe eine Packung Kondome zum Vorschein kam. »Habe ich keine Ahnung, was du vorher, oder gerade jetzt, in diesem Moment, von mir denkst ...« Irritiert blinzelte Kate, warf einen knappen Blick auf die Packung, dann sah sie zu ihm. Nick zuckte jedoch nur mit den Schultern. »Weil wir so viel Spaß miteinander hatten, dachte ich … Na ja, okay, also ich hatte Spaß. Aber du warst vorhin so komisch, dass ich dachte, das es dir vielleicht auch gefallen hätte und deshalb ...« Kate schwieg, dann wandte sie den Kopf von einer Seite zur anderen. »Du hast extra ...« »Na ja, ich hab doch keine mehr, und ohne … Ich will nicht, dass was daneben geht«, erklärte er, ehe ihr Lachen abermals durch die Wohnung hallte. Wenn man sie nach ihrem Wochenende fragte, würde Kate schweigen. Grinsen, aber schweigen. Dass sie die letzten Tage mit einem wesentlich jüngeren Mann verbracht hatte, würde ihr wohl niemand abnehmen. Himmel, sie glaubte es ja selbst kaum. Als Nick ihr jedoch am späten Sonntagnachmittag eröffnete, dass es für ihn an der Zeit sei, zu gehen, verspürte Kate dennoch ein tiefsitzendes Gefühl der Eifersucht, des Verlusts und der erneut aufkommenden Einsamkeit. Schweigend hatte sie ihm einen Zettel mit Adresse und Telefonnummer in die Hosentasche geschmuggelt, weder wissend, noch ahnend, ob es ihm überhaupt Recht war. Doch sie ließ ihn ziehen. Und auch wenn es ihnen nun an nichts mangelte und sie ihre Zeit nicht nur im Bett, sondern auch außerhalb dessen verbrachten, überkam sie Wehmut. Es hatte ihr gefallen und gut getan, die Verbindung zu einem Menschen, zu einem Mann, der ihr zwar fremd, aber dennoch vertraut geworden war. Sie erzählten einander von der Arbeit. Nick schlug sich mit ungeliebten Jobs durch, denn die Wohnung, welche er mit Ben, Mick und Tom bewohnte, wollte bezahlt werden. Da sich die anderen Drei wegen ihrer Stipendien um die Miete weniger sorgen mussten, blieb Nick nichts anderes übrig, als anderweitig an Geld zu kommen. So war er bereits als Fahrradkurier tätig, half in einem Lebensmittelgeschäft aus, packte auf dem Fischmarkt mit an. Doch wirklich sesshaft schien er nicht werden zu wollen. Seine Freunde strebten Karrieren an: Anwalt, professioneller Football-Spieler, Arzt, Ingenieur … »Sich nur in eine strickte Richtung zu bewegen, bringt mir nichts«, hatte Nick erklärt und die Hände hinterm Kopf verschränkt. Kate lag bauchlings neben ihm auf der Matratze, den Kopf auf den Armen gebettet und ihn von der Seite her betrachtend. »Manchmal denke ich, dass ich zu viel will. Zu viel wissen, zu viel kennen will, dass es kaum für ein Leben reicht.« Kate horchte auf, lächelte leicht. »Daran ist doch nichts auszusetzen«, sagte sie und strich ihm eine verirrte Strähne des kohlrabenschwarzen Haares aus der Stirn. Nick schnaubte. »Sagst du … Meine Eltern sehen das etwas anders. Ich soll etwas aus meinem Leben machen, schon klar, aber was bringt es mir, wenn ich todunglücklich bin?« »Bist du das denn?«, hakte Kate vorsichtig nach. »Nein, allerdings … will ich nicht feststecken. Feststecken in einem Job, der monoton und langweilig ist … Feststecken in einer Beziehung, die sich irgendwann kaputt fährt ...« »Hast du so etwas denn schon erlebt?«, ihre Augenbraue schnellte empor. Kate tat sich schwer damit, sich vorzustellen, dass ihm Derartiges bereits widerfahren war. Er linste neben sich. »Kate ...« »Hey, du hast damit angefangen ...«, gab sie protestierend von sich. »Natürlich nicht, allerdings sieht man so etwas doch ständig«, erklärte er. »Es fehlt das Feuer, die Unabhängigkeit, die Überraschung ...« Wieder entkam ihr ein Laut des Klagens. »Wenn es dir hilft, mich hast du überrascht. Vorhin sogar zwei Mal hintereinander ...« Leise schnaubte Nick bei ihren Worten. »Es ist in Ordnung, Nick, wirklich. Und wer weiß? Wenn du alles erlebt hast, vielleicht denkst du dann anders darüber«, murmelte sie. »Wie alt warst du noch mal, Lady?«, kicherte er. »Ich werde einunddreißig«, gab Kate ungern, aber dennoch knurrend zu. »Glaub aber nicht, dass ich völlig ahnungslos bin!« Kapitel 6: 6 ------------ Wiedersehen im Frühling Kapitel o6 Kate schlang die Arme um sich, zerrte den Mantel enger um ihren fröstelnden Leib. Ihr Atem stieg in kleinen Wolken in den noch immer winterlichen Himmel auf. Sie sah ihm nach und mochte sich zugleich ohrfeigen für die einnehmenden Gedanken. Sie ließ Nick gehen, musste ihn ziehen lassen. Es war zu absurd! »Und Kate ...« Sie sah auf, als er nach ihr rief. »Hat mich gefreut. Vielleicht sehen wir uns irgendwann mal wieder?« Das Lächeln auf seinen Lippen, warm und herzlich, schwoll zu einem breiten Grinsen an. Ihre Mundwinkel zuckten. Die letzten Tage waren alles andere als langweilig. »Spätestens, wenn du wieder gerettet werden musst«, verkündete Nick, hob die Hand und winkte ihr noch ein letztes Mal, ehe er hinter der nächsten Ecke verschwand. Kate seufzte, tief und gedehnt. Er hatte zwar ihre Adresse, doch ob Nick diese nicht einfach in den nächsten Mülleimer wandern ließ, vermochte sie nicht zu sagen. Sie wusste ja nicht einmal, wo er wohnte, und seine Telefonnummer hatte sie versäumt zu notieren. Eine lausige Büroangestellte war sie! Hatte weder dem Namen, noch der Nummer habhaft werden können. Das Hochgefühl schwand mit jedem Schritt, den sie ihrer Wohnung näher kam. Morgen würde der Alltagstrott wieder seine Arme um sie schlingen. Kate schüttelte den Kopf. Solch leichtfertigen Gedanken, wie Nick sie hegte, würde sie nie nachgeben. Auch wenn ein Ausbruch aus der Tristesse vielleicht ungeahnte Möglichkeiten bot, so waren Angst und Scheu ihr zu groß. Also mahlten die Mühlen weiter. Tag für Tag. Sowie der Schlüssel seinen Weg ins Schloss fand, bemerkte sie das Läuten ihres Telefons. Dieses Mal war es ihr Festnetzanschluss, obschon sich Kate dabei ertappte, wie ihrem Wunsch Flügel wuchsen, Nick habe sein Handy erneut bei ihr zurückgelassen. Die Melodie verebbte und schlug dann abermals an. Kurz, bevor der Anrufer aufgab, flogen ihre Finger hinüber zur Annahmetaste. »Wallace?«, sagte sie knapp, keuchte und mahnte ihre brennende Lunge zur Ruhe. »Kitty?«, hallte es am anderen Ende. Erleichterung erfasste Kate. »Dad? Hi, entschuldige ich … ich war kurz unten, und ...«, erklärte sie noch völlig außer Atem. Kate mochte die Gespräche mit ihrem Vater. Albert war stets korrekt, und kurz angebunden. Eine Eigenschaft, die sie an ihm schätzte. Sein Pendant jedoch schien nie ein Ende zu finden. Kate graute es bereits davor, dass ihre Mutter das Telefonat an sich riss. Irmaline Wallace war herzensgut und eine liebe, fürsorgliche Frau, doch all dem Positiven stand auch eine Menge Negativem gegenüber. Mit den Jahren erst hatte Kate sich zu wehren gelernt. Dieser Frau gehörte Einhalt geboten, und sei es auch nur am Telefon. Allmählich verstand Kate, weshalb es Bertram vorgezogen hatte, von Amerika nach England überzusiedeln, um sich dort nicht nur seinem Studium, sondern auch der Kultur zu widmen. Kate hatte es leider nur bis kurz vor die Haustür geschafft. Auch wenn knapp 700 Meilen nicht gerade zum Vorgarten zählten. Manchmal beneidete sie ihren Bruder, der sich in Europa ein Leben aufgebaut hatte. Gern wäre sie ihm gefolgt, doch ihre Familie, ihre Heimat und nicht zuletzt ihre Freunde hatten sie zurückgehalten. Leise lachte sie, als ihre Gedanken bei Nick hängen blieben. Hatte er nicht selbst gesagt, dass es seiner Mutter ebenso wenig gefiel, dass er nach New York zog? Wer hätte gedacht, dass beide jenes Schicksal teilten? »Kate! Hörst du mir zu?!« Sie verdrehte die Augen. Wie Kate bereits befürchtete, hatte das Gespräch mit ihrem Vater sehr schnell ein Ende, also übernahm Irmaline das Telefonat und riss den Hörer an sich. Klagte über den geringen Kontakt, beschwerte sich über den Hund der Robinsons, der ihre Rose verunstaltete. »Mom, Mom, hör' mal, ich muss morgen wieder früh raus, und ...«, versuchte Kate die Schimpftirade zu unterbrechen. »Du kommst doch am Wochenende, ja?! Keine Widerrede!« Dem Befehl ihrer Mutter stand Kate perplex und völlig machtlos gegenüber. »MOM! Das schaffe ich nicht!«, rief Kate aufgebracht. »Stell' dich nicht so an! Dein Bruder kommt schließlich nicht ständig nach Hause! Und von Sheffield nach Dayton ist es ein noch weiterer Weg, als von New York!« Irmaline Wallace war es stets gewohnt, dass man ihren Worten Taten folgen ließ. »Mom, bitte!«, knurrte sie. »Irmaline!«, warf sich Albert dazwischen, doch sowohl er, als auch seine Tochter wussten, dass sie gegen das Matriarchat nicht ankamen. »Nimm einen zeitigen Flug, wenn du nicht selbst fahren willst!«, mit jenen Worten und einer kleinen Verabschiedung war das Gespräch beendet. Dass sie das Wochenende in Ohio verbringen würde, drückte ihr die Stimmung. Auch das Lob über den Geschäftsabschluss vergangenen Freitag, konnte nicht über den schweren Stein in ihrem Magen hinweghelfen. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen schienen ihren Ausflug zu begrüßen, schwärmten und klagten gleichermaßen über den Verlust ihrer Liebsten daheim, auch wenn nicht wenige Kates Verhalten als nachvollziehbar empfanden. »Kate?« Mellory Cummings, ihre direkte Schreibtischnachbarin, kam auf sie zu und schien etwas hinter dem Rücken verbergen zu wollen. Das Grinsen der anderen Frauen ließ Kate beängstigend dreinblicken. »Die hier musste ich eben vom Empfang abholen«, brachte Mellory neidvoll hervor und überreichte ihr einen kleinen Strauß Wildblumen. Corinne, ebenso in Kates Abteilung beschäftigt, nieste und schenkte den Blumen nur einen missbilligenden Blick. »Grauenhaftes Kraut!« Der Protest ihrer Kolleginnen wallte auf, während Kate den Strauß entgegennahm. »Bestimmt von einem aus der Warenabteilung«, hörte man aus einer Ecke, während Lachen durch die Reihen wehte. »Einem von denen hast du bestimmt den Kopf verdreht«, lachte Mellory und ließ sich an ihrem Platz nieder. »Meine Damen, bitte!« Alfred Buckens, Kates unmittelbarer Vorgesetzter, beehrte seine Lieblingsabteilung mit dem allmorgendlichen Erscheinen. »Miss Wallace, über ihre Freistellung müssen wir zwar noch verhandeln, doch denke ich, dass ihrem kleinen Urlaub nichts im Wege steht.« »D-Danke, Mister Buckens«, gab Kate kleinlaut zurück und fluchte innerlich. Am Montag hatte sie widerwillig den Antrag ausgefüllt und nun, zwei Tage später, war ihre Hoffnung dahin, dass man ihr den kleinen Ausflug verweigerte. »Ruhen Sie sich aus, und genießen sie die Zeit, Kate. Auch Sie haben mal eine Auszeit verdient. Und die Flugtickets können wir über die Firma laufen lassen, machen Sie sich diesbezüglich keine Gedanken.« Mit einem feierlichen Wink und breitem Lächeln verließ Mister Buckens die Damen. Kate wurde immer kleiner, schrumpfte in ihrem Stuhl zusammen. »Erst Blumen und jetzt eine Geschäftsreise, die gar keine ist«, merkte Mellory an. »Hast du ein Glück.« »Willst du tauschen?«, wimmerte Kate und besah sich den Strauß von Nahem. »Keine Karte?« Als sie den Blick hob, schüttelte Mellory den Kopf. »Und woher wisst ihr, dass er für mich ist?!« Mellory zuckte die zierlichen Schultern. Das helle Blüschen wirkte für ihre Statur ein wenig zu groß. »Alice meinte, dass sie über einen Kurier geschickt wurden.« Kate presste die Lippen aufeinander, erhob sich und suchte in der Teeküche nach einer Vase. Und obschon sie sich zu konzentrieren versuchte, es gelang ihr nicht. Die Durchsage des Kapitäns vernahm sie nur am Rande. Ihr Herz klopfte aufgeregt. Kate hatte keinerlei Probleme, was das Fliegen anbelangte, dennoch schwante ihr Übles, wenn sie an den Besuch bei ihren Eltern dachte. Albert würde sie abholen, auch wenn ihr Vater nur noch selten das Auto aus der Garage holte. Doch er hatte stets betont, dass das Fahren für ihn etwas Befreiendes hätte. Die Maschine landete pünktlich um kurz nach zwölf Uhr Mittags. Die Beine waren ihr schwer und die Finger klamm, als Kate durch die Absperrung ging und ihren kleinen Rollkoffer hinter sich her zog. »Kitty!« Die vertraute Stimme ihres Vaters kroch ihr wohlig über die angespannten Nerven. Selig ließ sich Kate in Alberts Arme sinken. Tief atmete sie den Duft seiner alten Lederjacke ein. »Wie ich sehe, hast du uns den Sonnenschein mitgebracht«, lachte er auf. »Wir haben zwar bereits offiziell Frühling, doch bis gestern war es hier noch eisig. Frag deine Mutter!« Kate schnaubte lachend und ließ sich von ihm zum Parkplatz bringen. Sie kam mit ihrem Vater überein, was das Wetter betraf. Winter und Frühling waren in den letzten Jahren so ineinander verwoben, dass man nie genau sagen konnte, wann die strenge Kälte endlich dem Leuchten der blühenden Jahreszeit wich. Um sich nicht durch die gesamte Stadt zu quälen, wählte Albert Wallace die ihm bekannten Pfade. »Bert ist bereits gestern angekommen. Er freut sich so, dich zu sehen. Und die Jungs erst!«, hob er an und stellte das Radio ein wenig leiser, damit Kate auch nichts von seiner Begeisterung verpasste. »Er hat dich so vermisst.« Kate schnaubte abfällig. »Wenn er mich so vermisst hat, warum hat er mich dann nie nach England eingeladen?« »Kitty, bitte!«, gebot Albert ihr. »Du weißt doch, dass er und Sarah viel zu tun haben.« »Ja, von einer Uni zur anderen tingeln«, murrte Kate leise und versuchte dem mahnenden Blick ihres Vaters auszuweichen. »Entschuldige, tut mir leid.« »Die Jungs sind zwar schon erwachsen, trotzdem kriegen sie sie schlecht aus dem Haus.« Kates Augenbraue schnellte empor. »Na ja, bei dem Job und dem Gehalt der Eltern, würde ich auch nicht ausziehen wollen«, kicherte sie leise. Im Gegensatz zu ihren Eltern, die bodenständige Berufe erlernt hatten, war Bertram arg aus der Art geschlagen. Sein Studium hatte ihn nach Europa geführt, wo er an verschiedenen Universitäten und Hochschulen als Professor arbeitete. Obschon jener Kontinent viel Kultur und vor allem Literatur bot, und es ihm ermöglicht wurde, in verschiedenen Städten zu unterrichten, hatte Bert sein Herz an England, in Sheffield verloren, wo er nicht nur seine Frau heiratete, sondern auch die Kinder mit ihr großzog. Aus Mangel an Geld war es den Wallaces nicht gelungen, an der Heirat teilzunehmen, und auch wenn diese bereits über zwanzig Jahre her schien, waren Bert und Sarah noch immer so verliebt, wie am ersten Tag. Ihre Neffen kannte Kate nur vom Hörensagen. Oder von Fotos aus deren Kindheit. Leibhaftig hatte sie die Kleinen jedoch noch nie in Augenschein nehmen können. Dafür waren zu viele Jahre ins Land gegangen und das Geld stets zu knapp. »Kitty?« Kate warf ihrem Vater einen Blick zu, als dieser auf die Auffahrt hinauffuhr. Albert stellte den Motor ab und langte nach ihrer Hand. »Ich freue mich wirklich sehr, dass du hier bist.« Kate erwiderte das warme Lächeln ihres Vaters. »Ich mich auch, Dad.« »Und vor allem deshalb, weil wir mal erleben können, wie sich deine Mutter wie ein Brummkreisel windet«, lachte Albert und Kate stimmte mit ein. Die Rosenbüsche im Vorgarten ließen nichts von ihrer Pracht und der Sorgfalt Irmalines missen. Nicht einmal die Spuren des Nachbarhundes konnte man erkennen. Alles war akkurat und penibel genau abgestimmt. Kein Grashalm wuchs in die verkehrte Richtung, das Unkraut duckte sich und traute sich nicht, emporzukommen. Die weiße Fassade des Hauses schien noch immer mit der Sonne um die Wette zu strahlen. Kates Vater wühlte in der Jackentasche nach seinem Schlüssel. »Deine Mutter ist mit Bert und den Kindern bestimmt im Garten«, erklärte er, ehe Albert nach seiner Frau rief. »Irmaline!« Doch statt ihrer, öffnete ein hochgewachsener, junger Mann die Haustür und Kate erstarrte für einen Augenblick. »Ah, David, wie gut, dass du uns aufmachst«, sagte Albert und trat an dem Jungen vorbei. »David, das ist Kitty … Äh, Kate. Deine Tante.« Mit einem Wink deutete Albert auf seine jüngste Tochter, die noch immer wie angewurzelt vor der Haustür stand und sich keinen Millimeter rührte. Kate schluckte bei dem sich ihr bietenden Anblick. Das Herz pochte ihr in der Kehle. Das konnte nicht …. »Du bist Kate?«, fragte David mit der typisch, britischen Färbung in der Stimme. Eine Wohltat für ihre Ohren, doch Kate durfte sich weder von dem schmeichelnden Akzent, noch dem Äußeren des Jungen irritieren lassen. Schwach nickte sie. »Komm rein, ist doch dein Haus, oder?« David zuckte die Schultern. »Hast du was?« Kate rang nach Luft, dann schüttelte sie kaum merklich den Kopf. »Entschuldige, ich … habe dich kurz mit jemandem verwechselt.« Misstrauen zierte ihr Gesicht, als Kate dem Jungen ins Haus folgte. Auch das Grinsen, mit den Grübchen in den Wangen, ließen sie nicht von dem Gedanken Abstand nehmen, dass ihr David unheimlich war, und unheimlich vertraut noch dazu. »Mom?«, rief Kate nach ihrer Mutter, nachdem sie ihren Koffer ans Ende der Treppe stellte. Den Flur zierten Bilder der Familie. Ihre Eltern bei der Hochzeit, Kate und Bertram in ihrer Kindheit und Jugend. Eines der letzten Bilder zeigte die Geschwister, kurz vor Berts Abreise nach England. Bert glänzte im Talar mit seinem Uniabschluss, während man Kate, mit ihren elf Jahren, den Hut auf den Kopf setzte, um ihr den möglichen Lebensweg aufzuzeigen. Trotzig war ihr Blick, ein wenig von ihrem Bruder abgewandt. Kate konnte sich noch gut an diesen Tag erinnern. Sie war wütend auf Bert, weil er einfach wegging und sie allein zurückließ. England war so weit entfernt, unerreichbar. Heute jedoch war sie froh, dass sich beide in verschiedene Richtungen entwickelt hatten. »Da ist sie ja«, vernahm Kate den dunklen Klang, gemischt mit einem Hauch britischer Insel. »Komm' her, Schwesterherz!« Ihr Magen drehte sich und Kate erlag dem Versuch, sofort auf den Hacken kehrt zu machen. Bert hatte schon immer diese abstoßende Angewohnheit, sie mit den grausigsten Beschreibungen zu betiteln, wenn Nervosität ihn überkam. »Schwesterherz? So hast du mich ja noch nie genannt!«, schnappte Kate und erwiderte die ihr dargebotene Umarmung dennoch herzlich. »Was ist los? Aufgeregt, großer Bruder? Oder macht Mom euch jetzt schon fertig?« Bert verdrehte die Augen. »Siehst du, deshalb bin ich gegangen!« Kates Augen wurden schmal. Bertram ahnte nicht einmal, auf welch dünnes Eis er sich begab. Sie grollte ihm noch immer. »Kate, nicht heute«, warnte er leise, dennoch zierte seine Lippen ein entschuldigendes Lächeln. »Komm', ich will dir Sarah und die Jungs vorstellen!« Bert führte sie den gewohnten Weg entlang, durch die große Küche in den hiesigen Garten. Noch waren die Obstbäume kahl, doch in wenigen Tagen würden Kirsch- und Apfelbäume in vollster Blüte stehen und Irmaline in den Wahnsinn treiben. Bert war nur einen halben Kopf größer als sie, jedoch ebenso dunkelblond. Nur bei der Farbe der Augen hatten Vater und Mutter ihr Bestes gegeben, und Bert mit strahlendem Blau beseelt. Kate hingegen hatte das leuchtende Grün von Grandma Hannah geerbt, wie auch Irmalines Bruder Konrad, und dessen Sohn Finlay. Umso erschrockener war sie, als David ihr zuvor die Tür geöffnet hatte. Schwarzes Haar, dunkle Augen. Definitiv nicht die Linie der Wallaces. Schweigend folgte sie Bertram und lauschte den Stimmen. Das Lachen ihres Vaters wehte zu ihnen herüber. Kate reckte den Hals und entdeckte nicht nur ihn, sondern auch eine Frau, die sie bisher nur von ein paar Fotografien her kannte. Persönlicher Kontakt zu Sarah Stratford hatte bisher noch nicht bestanden. »Kate.« Ein warmes Lächeln umspielte ihre Lippen, als Sarah sich aus dem Stuhl erhob, erst ihrem Mann so liebevoll begegnete, und dann Kate in die Arme schloss. Kate keuchte auf, trotz der geringen Größe ihrer Schwägerin, vermochte es Sarah, sie in eine kräftige, allumfassende Umarmung zu ziehen. Das Haar pechschwarz und ein wenig lockig. Sarah sah mit einem Glitzern in den warmen, dunklen Augen zu ihr auf. »Ich freue mich so, dich kennenzulernen.« »Ich mich auch«, gab Kate knapp, aber wahrheitsgemäß zurück. »Es tut mir so leid, dass wir uns erst richtig beschnuppern können, aber Bert hat mir bereits so viel von dir erzählt ...«, plapperte Sarah und schien nicht weniger aufgeregt, als Bertram. Kate verstand nicht viel von dem, was diese kleine Frau zu ihr sagte, weil der Klang ihrer Stimme sie bereits eingehüllt hatte. »Ihr solltet in einem Callcenter arbeiten. Ihr würdet steinreich werden«, entkam es Kate, noch ehe sich ihrer Worte gewahr wurde. Entrüstet schnappte sie nach Luft. »Bitte, entschuldige ...« Doch Sarah sah mit einem Lächeln zu ihr auf. »Ich glaube, der Akzent war der Hauptgrund, weshalb Bertram mich überhaupt geheiratet hat.« Bert verdrehte die Augen, verneinte die Aussagte seiner Frau jedoch nicht. »Hast du schon die Jungs kennengelernt?« Das Leuchten in Sarahs Augen nahm zu. Dem offensichtlichen Stolz hatte wohl niemand etwas entgegenzubringen. »Ich glaube, dass David vorhin ...«, haspelte Kate, wenngleich ein wenig verlegen. »Das Küken.« Sarah lachte auf und rief nach ihren anderen Söhnen. »Du blöder Arsch!« Laut fluchend stapfte ein fremder Mann aus dem Wohnzimmer in den Garten hinaus. »Dorian Grayham! Zügle deine Ausdrucksweise!«, herrschte Sarah überraschend autoritär. Kate verschluckte sich beinahe beim Klang des Namens. Dorian Grayham? Sofort huschte ihr Blick zu Bertram, der zerknirscht und nicht weniger peinlich berührt das grüne Gras betrachtete. »Nick hat beschissen!«, rechtfertigte Dorian seine unfeinen Kraftworte. »Ich hab nicht beschissen, du bist nur ein beschissener Verlierer, und ein noch beschissenerer Autofahrer!«, lachte der zweite Abkömmling mit breitem Grinsen auf dem Gesicht. Kate zuckte alarmiert zusammen, bemerkte, wie ihr Körper augenblicklich stocksteif wurde. Sarah ließ von ihr ab, um ihren ältesten Söhnen eine Standpauke zu halten. Kate spürte den Blick des Älteren auf sich, zwang sich zu einem Lächeln und einem wortlosen »Hi«, ehe ihr die Galle die Kehle hinaufschoss. Etwas schnürte ihr die Kehle zu, brachte ihr Herz zum Rasen. Ihr gelang es kaum, nach Atem zu ringen. »Kate!«, sagte Bertram neben ihr und diese zuckte abermals zusammen. »Das sind Dorian«, er wies auf den Älteren. »David kennst du ja bereits«, fuhr Bert fort, während David knapp den Kopf wandte und sich dann wieder seinem Handy widmete. »Und der Mittlere, Nickleby«, stolz zog Bertram den letzten Sprössling zu sich und klopfte diesem auf die Schulter. »Ja, der Taugenichts«, bemerkte David, sah kurz von dem Mobiltelefon auf und schenkte seinem Bruder ein gehässiges Grinsen. »Nickleby?« Unter geschmälerten Augen musterte sie ihren Neffen, während sich Nick verlegen mit der Hand über den Nacken fuhr. Natürlich! Bert hatte schon immer einen Faible für Figuren aus der Literatur und offenbar teilte Sarah diese Begeisterung. »Warum hast du ihn nicht Nicholas genannt?!« Kate tat sich schwer, den zischenden Unterton zu vermeiden. »Kate, bitte … das wäre ja wohl zu einfach«, lachte Bertram und wiegelte ihre Frage einem überflüssigen Kopfschütteln ab. »Klar, wäre es das ...«, lachte Kate irritiert auf, ließ Nick jedoch nicht aus den Augen. »Dorian und Nick sind zwar nicht mein eigen Fleisch und Blut, trotzdem liebe ich sie, wie meine eigenen Söhne«, schwärmte Bert und rubbelte Nick den Kopf, der protestierend ächzte und versuchte, dem Angriff seines Vaters zu entkommen. Sarah trat an ihre Seite und lächelte nicht weniger angetan von der Geschichte ihres Kennenlernens. »Ich war bereits mit ihm schwanger«, sagte sie mit Blick auf Nick, dem jene Erinnerung an seine Kindheit mehr als unangenehm schien. »Dass Dorian keinerlei Probleme hatte, mich als seinen alten Herren zu akzeptieren, hat mich sehr erleichtert. Und Nick kennt ja leider keinen anderen, als mich«, verkündete Bert nach Fassung ringend. »Ja, und der andere Klugscheißer hat keine Wahl«, knurrte Nick und vermied es, Kate anzusehen. David hob die Hand und zeigte seinem Bruder nur provozierend den Mittelfinger. Als sich die kleine Traube, zu Kates Erleichterung, endlich auflöste, ließ sie sich auf das Polster der Hollywoodschaukel sinken. Als kleines Mädchen hatte sie oft hier ihre Freizeit verbracht und im Frühling, und an warmen Tagen, war es ihr der liebste Platz. Ihr Blick schweifte über die Leute hinweg, deren Gesichter sie kannte und jener, mit denen man sie erst am heutigen Tage bekannt gemacht hatte. Es musste ihr gelingen, den Sturm in Zaum zu halten, der unweigerlich in ihr tobte. Der Besuch ihres Bruders, nach all der Zeit, die Begegnung mit Sarah, den Jungs und nicht zuletzt Nick … Kate legte den Kopf schief und betrachtete den jungen Mann, der ihr vor nicht weniger als einer Woche womöglich das Leben gerettet hatte und sich nun als Familienmitglied entpuppte. Zufall? - Niemals! »Haben dir die Blumen gefallen?« Kate sah auf, neigte den Kopf abermals, als Nick vor ihr aufragte. Es wäre leichter, dies zu verneinen, doch zu ihrer Schande musste sie sich eingestehen, dass es nicht der Wahrheit entsprach. »Ach, die waren von dir?« Ihre Augenbraue schnellte empor, doch ihre Lippen zierte ein gezwungenes Lächeln. Kate klopfte auf den freien Platz neben sich. Unschlüssig sah Nick erst zur einen, dann zur anderen Seite, ehe er sich setzte. »Du scheinst ganz gut damit klarzukommen?« »Hmpf«, schnaubte sie bei seiner Annahme. »Woher sollte ich denn wissen, dass du meine Tante bist?!«, knurrte Nick plötzlich leise, kaum hörbar. »Nein, das … konntest du nicht«, räumte sie ein. »Du hast recht. Das … ist wirklich mehr als merkwürdig.« »Schicksal«, gab Nick mit einem schiefen Lächeln zurück. »Hör auf!«, fauchte Kate und mühte sich darum, nicht gehört zu werden. »Was hab ich dir gesagt?«, er ließ sich nicht beirren. »Schicksal!« »Du bist doch verrückt!«, spottete Kate und schüttelte schnaubend den Kopf. »Hey, du wohnst in New York, ich wohne in New York. Du wärst fast von einem Laster umgenietet worden …« Kate räusperte sich und Nick verstummte sofort. Doch niemand der anderen schien von ihnen Notiz zu nehmen. »Ach, bevor ich's vergesse: Alles Gute nachträglich zum Geburtstag!«, verkündete Kate knapp, den Blick in eine andere Richtung lenkend. Doch in Nicks Augen trat ein Strahlen. »Dass du dich daran erinnerst ...« »Natürlich, der Hudson wurde, wie jedes Jahr, grün eingefärbt … Und ob du nun einen Tag davor, oder danach Geburtstag hast, ist eigentlich egal ...« Ihr Zucken der Schultern sollte die Belanglosigkeit unterstreichen, mit der sie versuchte, ihn von sich zu stoßen. »Na ihr zwei, über was unterhaltet ihr euch?« Bert trat auf sie zu, wippte von den Fußballen auf den Hacken vor und zurück und schien ein wenig unsicher und besorgt, was den Kontakt seiner Schwester zu einem seiner Söhne betraf. »Über Geburtstage«, sagte Nick wahrheitsgetreu. »Ah ja, hast du gewusst, dass deine Tante Kate Spezialistin in dieser Angelegenheit ist?« Kate quittierte das neckende Bestreben ihres Bruders mit grimmigem Blick. »Gar nicht wahr«, widersprach sie sofort, doch Bert überging ihre Worte mit einem zwinkern. Doch das Gespräch weiter zu vertiefen, gelang ihnen nicht, da Irmaline alle ins Haus zum Essen rief. »Hey, Nickleby, hast du gewusst, dass Kitty auch in New York wohnt? So ein Zufall, nicht wahr?«, lachte Albert und schlug seinem Enkelsohn breit grinsend auf die Schulter. Kates Miene jedoch war alles andere als fröhlich. »Jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht, Kindchen …«, mahnte Irmaline und reichte die Schüssel mit Gemüse an Dorian weiter, der diese mit verdrießlicher Miene, irgendwo in die Mitte des Tisches, platzierte. »Das mit deiner Scheidung nagt ja noch an uns allen, dennoch ist genug Zeit ins Land gegangen ...« Nick warf ihr einen fragenden, vor Neugierde triefenden Blick zu. Kate verdrehte die Augen. »Du warst verheiratet, Tante Kate?«, fragte David und schob sich einen Löffel Kartoffelpüree zwischen die Zähne. Kate wollte soeben etwas erwidern, als ihre Mutter abermals die Stimme erhob. »Ach, nur drei Monate«, warf Irmaline ein. »So eine Heirat in Las Vegas ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes« »Danke, Mutter«, knurrte Kate und spürte ihre vor Wut glühenden Wangen. »Wie läuft's an der Uni, Bert?« Kate wandte sich ihrem Bruder zu, versucht, das Thema auf dessen Arbeit und ebenso lange Abwesenheit zu lenken. Indes starrte Kate benommen auf den gefüllten Teller. Ihr war jeglicher Appetit vergangen. Schweigend ertrug sie die Blicke, doch als sie den Kopf hob, waren alle mit ihrem Essen beschäftigt, oder lauschten den Anekdoten Bertrams. Dann und wann übernahm auch Sarah das Ruder, während sich Albert im Stuhl zurücksinken ließ, und das Gewusel bei Tisch sichtlich genoss. »Kate?« Diese warf einen Blick über die Schulter und war gerade dabei, die benutzten Teller in die Spülmaschine zu räumen, als Sarah ihr das verbliebene Geschirr auf die marmorne Arbeitsplatte stellte. »Ist alles in Ordnung? Ich weiß, wir kennen uns noch nicht lang, aber ich habe das ungute Gefühl, dass dein Schweigen beim Essen ...«, begann sie und musterte Kate mit besorgtem Gesicht. Kate schloss die Augen und versuchte sich auf ihre Atmung zu fokussieren. Sie war um ein Lächeln bemüht. »Sarah, wirklich, es ist alles in okay. Es ist … wie immer.« Fragen und Sorge spiegelten sich in den dunklen Augen Sarahs wider. Jemanden, mit so viel Feingefühl zu finden, war sicherlich nicht einfach. Bert hatte Glück. »Ja, das hat er«, lächelte Sarah plötzlich. Kate erschrak. »Oh, es tut mir leid, ich wollte nicht ...«, winkte diese hastig, doch das Lächeln auf Sarahs Lippen blieb. »Als Mutter sollte man stets darum bemüht sein, seine Kinder zu schützen, und sich nicht in den Vordergrund drängen, geschweige denn, die Kinder, ganz gleich, ob erwachsen, oder nicht, in Verlegenheit bringen«, erklärte Sarah und schlang ihre kleinen Finger um Kates Handgelenk. »Leider … halten sich nicht alle Eltern an diesen Kodex«, murmelte Kate schwach lächelnd. Sarah schlug die Augen nieder, ließ ein knappes Zucken der Schultern erkennen. »Das mit der Scheidung tut mir leid, wir wussten nicht ...« »Nein, das konntet ihr auch nicht«, erklärte Kate, entwand sich dem leichten Griff ihrer Schwägerin und belud die Spülmaschine. Die Zimmerverteilung war im Hause Wallaces noch immer strengen Regeln unterworfen. Während die Großeltern in ihrem Zimmer blieben, entbrannte eine rege Diskussion zwischen Mutter und Sohn, als Bertram Irmaline klar zu machen versuchte, dass er mit Sarah das selbe Bett zu teilen habe. »So verstaubt kommen die mir gar nicht vor«, nuschelte David und bekam sofort ein Kissen ins Gesicht geschleudert. Die Enkelsöhne wurden im Wohnzimmer einquartiert. Die lederne Couch ausgezogen, der freie Platz mit Luftmatratze und Isomatten ausgelegt. »Ich bin ganz neidisch auf eure Tummelwiese«, schwärmte Sarah, doch ihr Versuch, den Jungen jene Landschaft schmackhaft zu machen, misslang. »Und wo schläft Tante Kate?«, hakte Dorian, schief grinsend, nach. »In ihrem Zimmer«, sagte Albert und ignorierte die verdutzten Blicke. »Gute Nacht, Jungs.« Jeder der drei nuschelte eine Erwiderung, ehe sich auch Irmaline damit zufrieden gab und das Wohnzimmer verließ. Bertram und Kate folgte dem Beispiel ihrer Mutter, während Sarah ihre Söhne nochmals beschwor und zur Ruhe mahnte. Sowie Kate die Treppe ins obere Stockwerk erklomm, die lieblich knarzende Stufe jedoch ausließ, fühlte sie sich an wiederum an ihre Kindheit erinnert. Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen, dennoch hoffte sie, dass dieses Wochenende schnell vorüber ging. Oben, am Absatz, gelangte man auf einen kurzen Flur, der geradewegs in das elterliche Schlafzimmer führte, links und rechts davon zweigten sich die Zimmer der Kinder ab. Kate bog zur Herzseite, wünschte ihrem Bruder und dessen Frau eine ruhige Nacht, während sie durch die Tür schlüpfte und ihre Garderobe zusammensuchte. Dass sich das geräumige Bad direkt neben ihrem Zimmer befand, hatte Kate früher schon als große Erleichterung empfunden, auch wenn Bert bereits nach England übergesiedelt war, als sie in das Alter kam, in dem ein Mädchen viel, sehr viel Zeit im Bad benötigte. Zu Streitereien kam es unter den Geschwistern nicht und als weitere Ausweichmöglichkeit befand sich neben der Küche, im Erdgeschoss, ein weiteres Badezimmer, das zwar nicht luxuriös, aber dennoch ausreichend war. Kates Vorhaben wäre rasch ausgeführt: Ein wenig Wasser ins Gesicht und die Zähne geputzt, dann würde sie sich mit der Unbequemlichkeit des alten Bettes abfinden müssen. Leise seufzte Kate und erschrak, als jemand ungestüm die Tür aufriss. »Oh, bitte entschuldige«, haspelte Sarah. »Ich wusste nicht ...« »Kein Problem«, gab Kate nuschelnd wieder und spukte den Rest des Zahnpastaschaums ins Waschbecken, ehe sie sich das Gesicht trocknete. »Ich bin so sowieso fertig, außerdem hätte ich abschließen müssen. Tut mir leid, aber ich bin so viele Leute in diesem Haus nicht gewohnt.« Sarah schenkte ihr ein knappes Lächeln und ließ Kate passieren. Auf dem schmalen Gang stieß sie fast mit Bert zusammen. »Ziemlich eng hier, hm?«, scherzte er, doch Kate verdrehte nur die Augen. »Ich hol' mir noch etwas zum Trinken«, verkündete sie, drängte sich an Bert vorbei und stieg die Treppe herunter. Die knarzende Stufe ließ sie leise fluchen. In all den Jahren hatte es ihr Vater immer noch nicht geschafft, diese lärmende Fehlfunktion abzustellen. Auf nackten Sohlen schlich sie in Richtung Küche und kam nicht umhin, dem Gemurmel ihrer Neffen Zeuge zu werden. »Tante Kate ist ziemlich heiß«, vernahm sie Davids Stimme. »Woher willst du das wissen?!« Nicks Protest ließ Kate schmunzeln, während es Dorian alle Beherrschung abverlangte, nicht laut lachen zu müssen. »Guck sie dir doch an! Und wesentlich jünger als Dad ist sie auch – he, aua!« Offenbar sah sich der zweite Spross der Sippe gezwungen, dem Jüngsten Einhalt zu gebieten und warf ihm abermals ein Kissen ins Gesicht. »JUNGS!« Kate zuckte, als sie Sarahs barschen Ton von oben her vernahm und drängte sich in die Küche. »Wenn ihr hier etwas kaputt macht, gibt es eine Woche Fernsehverbot!« »Mum!«, klagten Dorian und David. »Dann zwei, und die Handys sind auch verboten!«, setzte Sarah nach. Nun war es Kate, die Mühe hatte, nicht in Gelächter auszubrechen und als von ihrer Schwägerin nichts mehr zuhören war, musste sie sich ein wenig anstrengen, um dem Geflüster der Jungs folgen zu können. »Ist doch wahr«, knurrte David. »Ich meine, wie alt ist sie? Fünfunddreißig?« »Einunddreißig«, widersprach Nick sofort. Kates Finger krallten sich an der Schranktür fest, während sie zwischen Entrüstung und Belustigung schwankte. Dorian schnaubte. »Und woher willst du das wissen?« »Wir haben uns unterhalten, das macht man so«, erklärte Nick schlicht. »Und jetzt haltet die Klappe!« Etwas unwirsch entglitt ihr die Tür, Kate ließ sich jedoch nichts anmerken, als sie von der Küche aus am Wohnzimmer vorbei schwebte und es mucksmäuschenstill wurde. »Gute Nacht, Jungs!« »Wo kam die denn jetzt her?«, murmelte David überrascht und verlegen zugleich, während Nick schnaubend den Kopf schüttelte. Nick fuhr zusammen, als er das laute Knacken und Knarzen vernahm. Wieso hatte ihn niemand über diese vermaledeite Stufe informiert? Nicht wissend, ob noch andere Holzbolen am Reigen beteiligt waren, hielt er inne und lauschte, ob er auf sich aufmerksam gemacht hatte. Als sich weder seine Brüder regten, noch etwas vom oberen Stockwerk her zu vernehmen war, setzte er seinen Weg leise, aber mit höchster Achtsamkeit, fort. Dass es ihm ohne weitere Vorkommnisse gelang, den Treppenabsatz zu erreichen, glich einer wahren Meisterleistung. Nun stand er jedoch vor einem größeren Problem. Eiligst huschte sein Blick an den Türen vorbei. Stimmen waren zu hören, sie kam aus dem Zimmer, das sich zu seiner Rechten befand. Seine Eltern ... Nick schluckte die Anspannung herunter, setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Die Nacht war finster, nicht einmal der Mond zeigte sich und er schlich durchs Haus. In ihm keimte der Gedanke, dass dieser Augenblick sicherlich seinen Reiz hatte, dennoch war es recht mager um seine Ausreden bestellt, sollte man ihn erwischen. Widerwillig erinnerte er sich an die kurze Führung, zu der sich Albert und Irmaline hatten hinreißen lassen, doch sein Interesse am Aufbau des Hauses hielt sich in Grenzen. Nun jedoch bereute er es, nur mit einem halben Ohr zugehört zu haben. Es konnte doch wirklich nicht so schwer – Nick stutzte, spitzte die Ohren und schmälerte den Blick. Kate zuckte, als die Tür zu ihrem einstigen Heiligtum einen kleinen Spalt geöffnet wurde. Sie warf das Buch zur Seite, in dem sie gelesen hatte, schlug die Bettdecke zurück und wappnete sich bereits für das Donnerwetter. Der Auslöser ihres Vorhabens entpuppte sich jedoch als weit weniger gefährlich. Fragend schoben sich ihre Augenbrauen zusammen, als Nick vorsichtig ins Zimmer lugte. Die Anspannung wich aus seinem Gesicht, als er sie sah. »Was willst du denn hier?«, zischte Kate und konnte das Wechselspiel ihrer Mimik geradezu fühlen. »Reden?« War die knappe Antwort, ehe Nick den Raum betrat und die Tür leise hinter sich schloss. »Jetzt? Bist du wahnsinnig?!«, schnappte sie und setzte sich auf. »Warum nicht?«, fragte der ungebetene Besucher grinsend und zuckte, mit argloser Miene, die Schultern. Kate schnalzte mit der Zunge. »Ich hoffe, die Stufe hat dich voll erwischt!«, fauchte sie. »Hat sie«, murrte Nick und ließ sich unaufgefordert neben ihr nieder. »Schick hast du's hier.« »Hatte ...«, korrigierte Kate, während sie seinem Blick folgte. »Was willst du?« »Hab ich doch schon gesagt: Reden.« Das Zucken seiner schmächtigen Schultern trug nichts zur Klärung seines Anliegens bei. »Nick, als wenn ich dir etwas zu sagen hätte!«, schnaubend schüttelte Kate den Kopf. »Ich denke schon, dass es da eine Menge zu bereden gibt«, fügte Nick an. »Wie wäre es mit der Tatsache, dass du verheiratet bist ...« »Ich war verheiratet«, gab sie knurrend zurück. »Das ist eine Ewigkeit her und ich werde nicht mit dir darüber reden!« »Und warum nicht?« Nick legte den Kopf schief und versuchte im schummerigen Licht der kleinen Nachttischlampe in ihrem Gesicht zu lesen. »Weil es nichts zu reden gibt!« Sie war zu müde, um sich jetzt noch zu echauffieren, dennoch gelang es diesem kleinen Wichtigtuer, ihren Blutdruck in die Höhe zu treiben. »Okay, ich hab's verstanden«, abwehrend hob er die Hände. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht aufregen.« Kates Blick sprühte Funken, sie presste die Lippen fest aufeinander, wandte sich von ihm ab und starrte stur auf den kleinen Flecken Nagellack im Teppich, den sie mit vierzehn Jahren verursacht hatte. Himmel, Irmaline war außer sich. Dass Nick sie von der Seite her betrachtete, sollte sie in Rage bringen, doch statt sich seiner verbal zu entledigen, seufzte sie nur und ließ die Schultern hängen. »Sag mal«, begann sie leise, zog die Knie und schlang die Arme darum. »Warum … sprichst du ohne Akzent?« Nick schnaubte belustigt. »Toller Einstieg ...« Kate ließ die Zunge schnalzen und sog angespannt die Luft in ihre Lungen. »Ich … wollte mich anpassen«, gab Nick zu. »Es ist immerhin hinreichend bekannt, dass ihr auf diesen ganzen britischen Kram total abfahrt ...« »Stört dich das?« Kate konnte ein plötzliches heben der Mundwinkel nicht verhindern. »'n Bisschen.« Wieder zuckte er mit den Schultern, ließ sich nach hinten fallen und keuchte schmerzvoll auf, als sein Kopf die angrenzende Wand zum Bad begrüßte. »Pass auf!«, kicherte Kate ein wenig schadenfroh, während Nick den Schmerz zu vertreiben versuchte. »Kann ich bei dir pennen?«, fragte er gerade heraus. Kate stockte der Atem. »Spinnst du?!« »Hey, was ist schon dabei? Wäre doch nicht das erste Mal.« Gern hätte sie ihm das fette Grinsen aus dem Gesicht gewischt. »Deine Eltern befinden sich im Zimmer gegenüber und deine Großeltern schlafen am Ende des Flurs«, warnte sie. »Wenn sie uns erwischen, lüge ich einfach und sage, ich hätte mich auf dem Weg zum Klo verlaufen.« Recht überzeugend klang Nicks Ausrede nicht. »Du willst mich doch nur befummeln!«, knurrte Kate, rückte dennoch an die Wand und schlüpfte unter die Decke. »Ich bin wirklich leicht zu durchschauen, hm?« Unweigerlich bohrten sich Grübchen in seine Wangen, und Nick nutzte das Schlupfloch, das Kate ihm bot, schamlos aus. »Nick, du bist nervtötend!«, klagte sie. »Pssst!«, rügte er. »Willst du, dass man uns erwischt?!« Murrend warf Kate den Kopf hin und her. »Na also!« Sein leises Kichern brachte das schmale Bett zum Vibrieren. »Das ist zu eng«, kurrte sie leise. »Wir können die Sache auch nach unten verlegen?«, bot Nick an und Kate quittierte sein Vorhaben mit emporgezogener Augenbraue. »Ins Wohnzimmer, zu deinen Brüdern?« Ein unfeines Grunzen entfloh ihr. Nick schnalzte mit der Zunge. »Ich meine auf den Boden ...« »Und welche Sache meintest du?«, hakte Kate lockend nach. Wortlos langte er nach ihrer Brust. »Hey!!«, keuchte sie warnend auf. »Ok, dann eben etwas tiefer«, gurrte er. Das Lächeln auf seinem Gesicht war unerträglich und anzüglich, während Nick seine Finger auf Reisen schickte. Kates zischende, drohende Laute verebbten, während ihr Widerstand mit jedem Millimeter, den seine Hand zurücklegte, in sich zusammenfiel. Ihre Muskeln zogen sich zusammen, ihre Haut genoss das Prickeln, und blieb in erwartender Haltung auf das, was folgen würde. Ein zufriedenes Knurren wallte in ihm auf, als Nick bemerkte, dass seine Taten nicht unbeantwortet blieben. Kate presste die Lippen aufeinander, war versucht, nicht einen Ton von sich zu geben. Die Nähe zu ihm, ließ alles in ihr weich und wohlig werden. »Schon besser«, brummte Nick unverschämt grinsend und ließ seine Finger unter den Bund ihres Höschens schlüpfen. Zitternd rang sie nach Luft. »Nick!«, warnte Kate abermals. »Nick, wir können das hier nicht machen!« »Dann eben doch den Boden.« Er tat seine gefallenen Worte mit einem verbalen Schulternzucken ab. »Wir müssen nur leise sein.« Wieder zeigte sich ein Grinsen auf seinen Lippen, dann entstieg er etwas unsanft der Wärme der Decke. Ein Poltern ließ Kate seufzen. »Ich hoffe, du hast dir wehgetan!«, schnaubte sie. »Alles okay«, gab er ächzend wieder. »Was ist? Kommst du jetzt zu mir runter?!« Murrend drehte sich Kate auf die Seite, stützte den Kopf auf der Hand auf und blickte zu ihm herab. Dann langte sie hinter sich und warf ihm eines der Kissen zu. Kapitel 7: 7 ------------ Wiedersehen im Frühling Kapitel o7 Ihr Interesse hatte, trotz der kleinen Unterbrechung, nichts an Intensität verloren. Kate ergab sich dem Kribbeln, das seine Lippen auf ihrem Mund zurückließen, ehe Nick sich von ihr löste. Es gelang ihnen, etwaige Laute einzudämmen. Dennoch war es ihm nicht möglich, die Aufregung länger verbergen zu wollen, denn diese ragte mehr als deutlich zwischen seinen Beinen auf. Kate schluckte sein gieriges Stöhnen, sobald ihre Hand in jene Gefilde abzugleiten drohte. »Warte, warte!«, knurrte er gehetzt. Kate hielt inne und betrachtete ihn mit schief gelegtem Kopf. »Ich, ähm, hast du - hier irgendwo …?« Sein Blick huschte von ihr einmal quer durchs Zimmer. »Nein«, gab Kate zurück und erntete ein frustriertes Schnaufen. »Wieso sollte ich?« »Na ja, ich dachte ...«, begann Nick und durchforstete sein Hirn nach einem Ausweg, ehe die Situation eskalierte. »Nick«, lachte Kate leise auf. »Das ist mein Elternhaus. Um Kondome hier zu lagern, bin ich erstens zu alt und zweitens zu selten hier ...« »Ja, ja, schon klar«, knurrte er und mühte sich um einen klaren Kopf, der jedoch in einem Dunstkreis ihres Duftes, ihres Körpers und seinen unzüchtigen Gedanken, was er mit dieser Frau alles anstellen würde, wenn man ihn denn ließe, gefangen schien. »Ich hab welche ...«, schoss es ihm ein und Nick setzte sich auf. »Fang ja nicht ohne mich an!« Kates Lippen öffneten sich und im Schein der kleinen Lampe, leuchteten ihre Wangen schamhaft rot. Hastig kam er auf die Beine, holperte und stolperte durch den Raum. Ihr mahnendes Zischen hielt ihn jedoch nicht davon ab, frustriert und zugleich bis in die Haarwurzeln erregt das Zimmer zu verlassen. Wie es Nick gelingen wollte, unbemerkt wieder nach unten zu gelangen, wusste sie nicht. Kopfschütteln ließ sie sich, leise kichernd, ins Kissen zurücksinken. »Das ist doch verrückt!«, knurrte Kate und holte tief Luft. Das ganze Haus lag vermeintlich still und ruhig da, bis sie unfeine Flüche nicht weitab vernahm. Sie grub die Zähne in die Unterlippe, presste die Schenkel zusammen, um das schmerzliche, verlangende Pochen einzudämmen, das zwischen ihren Schenkeln aufbegehrte. Kate zählte all die Schimpfworte auf, die sie mit Nick in Zusammenhang bringen konnte. Einige harmlos, andere weniger erfreulich. Was fiel ihm überhaupt ein, sie jetzt, in diesem Zustand der völligen Unzurechnungsfähigkeit, alleinzulassen? Kate horchte auf und begab sich in eine sitzende Position. Ihr Unterleib schien sein Kommen bereits zu erwarten. Sie zwang sich das Gefühl der Jämmerlichkeit zu unterdrücken, denn alles, was in den letzten Stunden geschehen war, war falsch. Mehr als das! Sie musste zur Vernunft kommen! Musste sich besinnen. »Diese verfi ...«, zischte Nick und machte seiner Wut Luft, sobald er wieder ins Zimmer trat. Kates Miene schwankte zwischen Schrecken und Zorn. Wenn er sich nicht zügelte … Nick verstummte, als er ihren Blick bemerkte. »Ich glaube, Bertram und Sarah sind noch wach ...« Kate schmälerte die Augen. »Ach ja?« Nick hielt auf sie zu und ließ ein Zucken der Schultern erkennen. »Ich habe Stimmen gehört ...« »Du nennst sie Bertram und Sarah?«, hakte sie nach und fing das Päckchen auf, das ihm scheinbar mühelos aus der Hand glitt und in ihre Finger fiel. Nick schenkte ihr ein schiefes Grinsen. »Du doch auch ...« Kate brummte missgestimmt. »Also, wo waren wir?« Seine Stimme schien in direkter Verbindung zu ihrem Körper zu stehen. Alles war ihr plötzlich zu heiß, zu flirrend, zu verschwommen, als Nick ihr wieder entgegenkam. »Nick«, warnte Kate, doch er wiegelte ihren jämmerlichen Versuch ab. »Wenn du mich loswerden willst, musst du energischer sein«, grinste er und zog sie wieder in einen verzehrenden Kuss, der jegliche Widerworte schmelzen ließ. Plötzlich löste Nick sich von ihr. »Hörst du das?« Da Kate nur das Rauschen ihres Blutes in den Ohren vernahm, musste sie seine Frage erst einmal ordnen. Bis eben war alles noch so schön dumpf, warm und kribbelig. Kate spitzte die Ohren. »Oh mein Gott!« »Was?« Nicks Blick huschte von ihr zur Tür. »Oh mein Gott«, kicherte sie abermals und versuchte das Lachen mittels vorgehaltener Hand einzudämmen. »Ich glaube, ich habe Bert noch nie vö-« »Sag's nicht!«, beschwor Nick sie, warf den Kopf ins Kissen und drückte sich jenes auf die Ohren. Die Töne waren zwar gedämpft und drangen nur minder über den Flur, dennoch schien das Gehör seltsam konditioniert für diese Art der Lärmbelästigung. Kate schüttelte den Kopf und rappelte sich auf. »Hey!«, protestierte Nick. Sie schnaubte noch immer lachend. »Ich glaube, wir sollten es für heute gut sein lassen.« Mit jenen Worten begab sie sich wieder ins Bett. »Wir könnten ihnen entgegenwirken!«, schlug Nick vor und wusste ihre abrupte Aktion nicht zu deuten. Kate schüttelte den Kopf. »Willst du das wirklich? Denk' noch mal drüber nach!« Seine Lippen teilten sich, doch da sein Blut nun wieder in Richtung Gehirn strömte, ergaben ihre Worte plötzlich mehr Sinn, als seine nach Aufmerksamkeit gierende Körpermitte. Sie rückte wieder an die Wand, sodass Nick, verloren dreinblickend und sichtlich geschockt und frustriert, den leeren Platz belegen konnte. »Kriegen die das nicht mit? Himmel, noch eins! So was sollte verboten werden!« Er starrte zur Decke hinauf, während Kate neben ihm protestierte und dann leise lachte. »Meine Eltern hören etwas schlecht und vermutlich … haben sie angenommen, dass der Rest von uns friedlich in seinen Betten liegt und schläft«, erklärte Kate, doch zufrieden gab sich Nick damit nicht. »He, mein Angebot, sie zu überstöhnen, steht … so wie bis eben noch etwas anderes, etwa einen Meter tiefer«, murrte er. Kate lachte auf, vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und schnaufte. »Überstöhnen? Los, denk' an etwas anderes!« »Und wie soll das gehen, wenn du dich so an mich drängst und mein Blut dadurch wieder in Richtung … du weißt schon wohin, wandert?« Kate ließ ihn brummen, blieb ihm eine Antwort schuldig, während sich ihre Lungen mit seinem Duft füllten und driftete davon. Kate verspürte eine innere Unruhe. An Schlaf war nicht zu denken, nicht, wenn das Haus einem Minenfeld glich und jeder falsche Schritt das Ende bedeutete. Sie spürte den Schmerz hinter den geschlossenen Lidern. Die Nacht war eindeutig zu kurz. Irgendwann waren auch die letzten Laute verstummt, und nur noch Nicks Atemzüge zu hören. Nun verweilte sein Kopf zwischen ihren Brüsten und Kate sah sich mit der kalten Realität konfrontiert, ihn loszuwerden. Sie hob den Kopf aus den Kissen und versuchte die Uhrzeit auf dem kleinen, quietschgrünen Wecker auszumachen, der neben der Lampe auf dem Nachttisch verweilte. Kate lauschte, ob schon jemand auf den Beinen war. Erleichtert seufzte sie auf und zuckte zusammen, als Nicks Griff um ihre Taille zunahm. Sie presste die Lippen zusammen, als sie sich seinem verschlafenen, aber dennoch intensiven Blick ausgesetzt sah, da Nick zu ihr auflinste. Kate fluchte. Warum gelang es ihm so leicht, ihr die Schamesröte ins Gesicht zu treiben? Leise murrend vergrub er sich wieder in der Weichheit ihrer Kissen. Kate jedoch protestierte leise. »Nick, du musst runter …!« »Nur noch fünf Minuten, bitte Mum.« Seine Worte ließen sie entrüstet nach Luft schnappen, Nicks Körper jedoch bebte belustigt. »Sorry, Kate … hab dich verwechselt!« Ihr Körper versteifte sich. »Kate, das war ein Scherz«, krächzte Nick und warf den Kopf in den Nacken, um Atem zu schöpfen. »Du gehst jetzt! Sofort!«, knurrte sie drohend und würde nicht zögern, handgreiflich zu werden. Seine Mundwinkel zuckten, dennoch wühlte er sich aus dem Bett. »Wie spät?« Nick suchte nach einem Zeitmesser und schnaubte, als er einen entdeckte. »Kate, es ist gerade mal sechs Uhr!« »Richtig, und nun sieh' zu, dass du wieder nach unten kommst!«, zischte sie. »Dad wird gleich aufstehen, wenn er nicht schon auf den Beinen ist, und wenn er es nicht ist, dann ist es deine liebe Großmutter, die es nicht abwarten kann, den Tag zu beginnen!« Nick kratzte sich am Hinterkopf, erstarrte jedoch, als er das Klappen einer Tür, sowie Schritte vernahm, die geradewegs auf sie zuhielten. Als die Klinke neben an verkündete, dass sich jemand im Bad befand, scheuchte Kate ihn aus dem Zimmer. Hastig und bemüht unauffällig machte sich Nick daran, die Treppe zu erreichen. Kate verweilte im Türrahmen, lauschte den Geräuschen von nebenan und machte Gesten, er solle sich beeilen. Sowie er außer Sichtweite war, schloss Kate leise die Tür, tapste zum Bett und löschte das Licht. Im Wohnzimmer angekommen, versuchte sich Nick zu orientieren und schlich auf seinen Schlafbereich zu. »Hey«, klagte David, der sich in seiner Ruhe gestört sah. »Was zum …? Wo kommst du denn her?« »Ich war pinkeln!«, zischte Nick und ließ ein protestierendes Quieken der Luftmatratze hören. Wenn einer von ihnen etwas mitbekommen hatte, dann ließen es sich die Jungs nicht anmerken. Entweder verlangte es die englische Diskretion, oder Nick hatte ihnen eingeschärft, den Mund zuhalten. Sicher war Kate sich nicht, als sie die Treppe hinabstieg, das Brodeln der Kaffeemaschine und das Pfeifen des Teekessels vernahm und in die Gesichter ihrer Neffen, sowie ihres Vaters blickte. Wie am Abend zuvor, würde man Frühstück und Mittagessen im Esszimmer zu sich nehmen. Die Gäste wirkten noch immer ein wenig erschöpft vom Jetlag und einer offensichtlich zu kurzen Nacht. Entsprechend Wortkarg verlief das morgendliche Essen. »Der Flug ist bereits gebucht, immerhin wollen die Jungs New York von oben bis unten erkunden«, verkündete Albert. »Und Kitty können wir dann auch gleich besuchen und uns auch ansehen, wo Nickleby untergekommen ist.« Kate verschluckte sich beinahe an dem Milchkaffee. »Oh, ich wusste gar nicht, dass ihr vorhattet ...« Doch den zustimmenden Worten, die in Jubelschreie und Begeisterung mündeten, stand Kate machtlos gegenüber. »Und wie lang wollt ihr bleiben?« Ihr Blick huschte zwischen Bertram und den Eltern hin und her. »Albert!«, warf Irmaline ein und wirkte sichtlich enttäuscht. »Das sollte doch eine Überraschung sein!« »Überraschung?«, echote Kate halb belustigt, halb schockiert. »Dein Vater und ich haben schon seit langem den Plan, dich zu besuchen, denn dir scheint ja immer etwas dazwischen zu kommen, so selten, wie du hier bist!«, gab Irmaline zurück. »Mom, ich muss arbeiten!«, hilflos suchte Kate den Blick ihres Vaters, doch dieser schrumpfte hinter der Tageszeitung zusammen. Kates Schultern sanken herab. »Okay, und wann - wann soll das alles passieren? Wie lange wollen Bert, Sarah und die Jungs bleiben? Mein Flug geht morgen Mittag.« »Bleib ruhig, Kate!«, beschwor Irmaline mahnend. »Wir haben schon alles geregelt. Es wird etwas stressig, aber wir wissen, dass du am Montag wieder zur Arbeit musst.« »Wir fliegen am Mittwoch wieder nach Hause«, sagte Bertram, dem dieser Augenblick nicht weniger unangenehm war. Sarah nickte beschwichtigend. »Wir landen Montag Nachmittag erst einmal in New York«, sagte sie. Kate schob die Augenbrauen zusammen. »Und wo übernachtet ihr?« »Im Gansevoort Meatpacking«, erklärte Sarah. »Laut den Bewertungsportalen soll es zu den besten in Greenwich Village gehören.« Schwach nickte Kate. Sie kannte die Mietpreise New Yorks und auch die Hotels ließen es sich nicht nehmen, für Luxus ordentlich in die Tasche zu langen. Doch Bertram und Familie konnten es sich offensichtlich leisten, nobel zu nächtigen. »Mach dir bitte keine Gedanken, Kate. Wir werden uns schon zurecht finden und vielleicht findet sich ja ein kleines Zeitfenster, das es dir ermöglicht, uns dennoch dein Zuhause zu zeigen?« Sarahs Lippen waren zu einem freundschaftlichen Lächeln gebogen und Kate blieb nichts anderes übrig, als ihren Worten mit einer zustimmenden Geste zu begegnen. »Dann wollt ihr bestimmt ins Whitney Museum?«, hakte sie nach. Sarah, ihr gegenüber sitzend, beugte sich vor, und meinte zwinkernd: »Das war einer Gründe, warum wir uns überhaupt für dieses Hotel entschieden haben. Bert ist ziemlich knauserig, ich musste ihm versprechen, dass sich die Jungs benehmen werden.« Bertram, der sich brummend abwandte, ließ Kate schnaubend lachen, während die Jungs die Augen verdrehten. Den Vormittag verbrachte die Familie damit, die Gegend zu erkunden und sich jene Orte anzusehen, wo Vater und Tante aufgewachsen waren und die Großeltern noch immer lebten. »Sag mal, wie bist du eigentlich hier her gekommen?«, fragte Kate, als Nick und sie sich zurückfallen ließen. Tief sog sie die frühlingshafte, aber kühle Luft in ihre Lungen. »Mit dem Bus«, gab er murrend zurück. Kates Augenbraue schnellte empor. »Sie haben dich nicht ins Flugzeug gelassen, hm?« »Hey, verspottest du mich etwa?« Ein leises Kichern entkam ihm. »Aber du fliegst doch am Montag mit ihnen zurück?«, hakte Kate nach. »Wieso? Soll ich mit dir zurück nach New York?« Sie wusste nicht, ob es seine Absicht war, aber Nick wirkte nicht sonderlich erfreut über ihre Frage. Kate schmälerte die Augen. Dann hob er abwehrend die Hände. »Tut mir leid, ich … ich wusste wirklich nicht, dass sie vorhatten, nach New York zu fliegen. Die ganze Familie, meine ich.« Sie zuckte die Schultern und seufzte. »Ändern können wir daran sowieso nichts.« Nick schwieg und besah sich das Gebäude, vor dem die Traube hielt. »Und hier sind euer Vater und eure Tante zur Schule gegangen«, bemerkte Albert. Nicks Lippen zierte ein Grinsen, als er Kates Reaktion bemerkte, da diese die Augen verdrehte. »Dad, bitte ...«, doch Albert ging nicht weiter auf die Worte seiner Tochter ein und lotste die Gruppe weiter. »Dad spielt gern den Stadtführer«, nuschelte Kate und schenkte ihrer Mutter einen ausdruckslosen Blick, als Irmaline sie kopfschüttelnd und mit verkniffener Miene rügte. Sarah hingegen schien begeistert und interessiert an der Vergangenheit ihres Mannes, lauschte den Erklärungen Alberts und sah mit leuchtenden Augen zu Bertram auf. Auch wenn das Mittagessen im Hause Wallace' hätte stattfinden sollen, entschied man sich dazu, ins Diamond D's Diner, einem typisch-amerikanischen Restaurant, einzukehren. Sarah wirkte ein wenig geschockt über die Art und Weise, wie man hier verfuhr, ebenso hatte sie Mühe, sich mit den Essgewohnheiten und Speisen anzufreunden. Doch sie schlug sich tapfer und warf dann und wann ihren Kindern einen Blick zu. Diese versicherten ihr, dass alles in bester Ordnung sei. Allen voran hatte sich Nick bereits gut in die Gesellschaft integriert. Auch wenn sie dies mit Sorge und Skepsis betrachtete. Den Nachmittag verbrachte man im Poelking Lanes, einem der vier Bowlingcenter Daytons. Natürlich ließen es sich Irmaline und Albert nicht nehmen, ihren Enkelkindern die schönen Ecken der Stadt zu zeigen und versuchten ihnen den staubigen Rundgang mit Spiel und Spaß ein wenig lustiger zu gestalten. Und die Jungs begriffen schnell, was den Spielverlauf anbelangte, und auch Sarah, anfänglich noch etwas gehemmt, mauserte sich zum Ende zu einer ernstzunehmenden Gegnerin. »Kein Wunder, dass wir verloren haben, Nick ist immerhin trainiert!« Dieser überging den Einwurf der Verlierer, als sie das Bowlingcenter verließen. Kate lachte verhalten und hakte sich Albert unter. »Alles in Ordnung, Dad?« Albert schenkte ihr Lächeln und wirkte dennoch ein wenig erschöpft. »Alles in Ordnung, Kitty, ich bin nur ein wenig außer Puste.« Lachend klopfte er sich auf den großen, runden Bauch. »Al-Albert!«, hob Irmaline an. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du darauf achten sollst, was du isst ...« Kate wandte sich zu ihr um und bedachte ihre Mutter mit wütender Miene. »Ich weiß, Irmchen«, gab Albert zurück, als könnten ihn die Worte seiner Gattin nicht weniger interessieren. Dann wandte er sich seiner Tochter zu. »Und du, Kitty?« Kate legte den Kopf schräg und wartete, als Albert jedoch nicht weitersprach, sah sie sich gezwungen, etwas auf die vage Frage zu antworten. »Dad, was … was meinst du? Mir geht's gut. Ich habe einen tollen Job, eine schicke Wohnung und mich gut in New York eingelebt«, erklärte sie. »Das weiß ich doch, Kitty. Das erzählst du uns jedes Mal«, gab er lachend zurück, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. »Dad, geht das schon wieder los?«, seufzte Kate und schüttelte den Kopf. »Wir machen uns Sorgen«, sagte Albert. »Du meinst Mom, weil sie Enkelkinder will ...« Kate musste sich zügeln, ihren Vater nicht anzuknurren. Albert schwieg. »Lasst mich doch erst einmal ankommen, Fuß fassen, alles Weitere wird sich dann schon ergeben«, erklärte sie. »Ich habe dich beobachtet, Kitty. Du wirkst trotzdem ein wenig verändert. Und das meine ich nicht kritisch«, abwehrend hob Albert die Hände. »Wir wissen doch, dass du deinen Weg gehen wirst und wir stehen hinter dir, auch wenn es deine Mutter vielleicht nicht immer zeigt.« Kate drückte ihm einen Kuss auf die Wange und kam dennoch nicht umhin, den Blick nach hinten zur anderen Gruppe zuwerfen, von der sie sich abgekapselt hatten. Auch Irmaline schien in reger Diskussion mit ihrem Sohn. Sarah hatte die Hand Bertrams ergriffen und schien mit jedem Wort, das fiel, wütender zu werden, besaß jedoch so viel Respekt und Anstand, ihren Gefühlen keinerlei Ausdruck zu verleihen. Die Jungs hingegen redeten noch immer über die verlorene Bowling-Partie. Einzig Nick behielt Tante und Großvater stets im Auge. In dieser Nacht würde kein Besuch ihre Ruhe stören. Nick wälzte sich auf der Luftmatratze hin und her, ungeachtet der quietschenden Laute, die er verursachte. Er würde am Montag wieder in New York sein. Kate bereits einen Tag früher. »Nick!«, vernahm er Dorians drohendes Knurren über sich. »Pack' das scheiß Handy weg!« Nick hob den Kopf und schnaubte. »Kauf dir mal ein vernünftiges Teil, mit dieser Telefonzelle kannst du keine Weiber abschleppen«, gebot ihm sein ältester Bruder. »Und wenn mich gerade das so anziehend macht?«, verlangte Nick zu wissen. »Jetzt haltet doch endlich die Klappe!«, zischte David. »Oh, unser Bubi will Heiaheia machen!«, feixte Dorian. »Jetzt ist Schluss!« Die Jungs fuhren zusammen, als Sarahs Stimme unmittelbar über ihnen erklang. »Ihr seid schlimmer, als ein Sack Flöhe!« Verdutzt blinzelten die Drei gegen die Worte ihrer Mutter an. Erst, als Sarah gegangen war, war ein unisones Seufzen zu hören. Ein letztes Mal noch flogen seine Finger über die Tasten des Telefons, ehe Nick es unter das Kissen stopfte. Das Surren brachte den kleinen Nachttisch zum Beben. Irritiert hob den Kate den Kopf, tastete nach ihrem Handy und kniff die Augen zusammen, um sich erst einmal an das Licht zu gewöhnen. Ihr Blick wanderte die eingegangene Nachricht ab, viel gab es jedoch nicht zu sehen, bis auf ein einziges Wort: Sorry Die aufgezeigte Nummer war ihr völlig unbekannt, dennoch riet ihr ein leises Stimmchen dazu, die Zahlenfolge abzuspeichern. Viel Zeit, um sich mit ihrem Bruder auszutauschen, war Kate nicht geblieben. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge entschied sie jedoch, dass an diesem Umstand nichts Schlechtes war. Auch wenn es sie schmerzte, musste sich Kate eingestehen, dass die Jahre und Kilometer, die sie trennten, nicht unerheblich waren. Bert hatte sich sein Leben in Europa aufgebaut. Neidisch durfte sie nicht sein. Sie hätte es ihm gleichtun können, doch ihr Weg war ein anderer. Vielleicht würde der Kontakt, nun, da sie Sarah kannte und sich gut mit ihr verstand, ein wenig enger, doch daran glauben konnte und wollte Kate nicht. Ebenso schluckte sie bei dem Gedanken daran, was geschehen würde, käme die Familie ihrem Geheimnis auf die Schliche. Die Verabschiedung am späten Vormittag war herzlich, aber knapp. So, wie Kate es von ihrer Mutter gewohnt war. »Wir sehen uns, Kitty, und melden uns, wenn wir angekommen sind. Dann hast du noch ein bisschen Zeit, um zu verschnaufen und aufzuräumen«, lachte Albert. »Danke, Dad«, gab Kate zähneknirschend zurück und drückte den alten Herren an sich. »Bis Morgen«, sagte Sarah und zog sie in eine feste Umarmung. Bertram tat es seiner Frau gleich und herzte seine jüngere Schwester. »Bis dann, Tante Kate«, grinste Dorian und kam nicht umhin, diese länger als üblich an sich zu pressen. »Lass' uns auch noch was übrig!«, knurrte Nick, während David nur wenig Interesse am Abflug seiner Tante zeigte. Das Spiel auf seinem Handy hatte ihn voll und ganz für sich eingenommen. Kate war sehr darum bemüht, des Geste des Abschieds in Nicks Fall, distanziert, aber so familiär wie möglich erscheinen zu lassen, ehe sie ins Taxi stieg und sich zum Dayton International Airport bringen ließ. Kapitel 8: 8 ------------ Wiedersehen im Frühling Kapitel o8 Auch wenn es Kate ungern zugab, so hatte ihr das wuselige, hektische New York gefehlt. Tief sog sie die Luft der Stadt in ihre Lungen und verließ das Flughafengebäude in Richtung Taxistand. Sie hatte es vorgezogen, den Eltern gegenüber nur zu erwähnen, dass sich der Urlaub auf den Besuch bei ihnen beschränkte. Tatsächlich hatte sie sich jedoch für eine weitere Woche eintragen lassen. Ihr Vorhaben, sich einmal nur um sich selbst zu kümmern, mit Freundinnen zu treffen und die Tage entweder in einem der vielen Spas, oder vor dem Fernseher zu verbringen, erhielt mit dem Besuch ihres Bruders einen gehörigen Dämpfer. Sowie man sie vor dem Haus absetzte, hievte Kate ihren kleinen Rollkoffer die Treppen hinauf. Zu ihrem großen Glück hatte man nur mit einem Schlüssel Zutritt zum Haus. Etwas, das in New York, vor allem in den düsteren Vierteln, Seltenheitswert besaß, da die Häuser dort meist unverschlossen blieben und auch wenn die Wohnungstüren mit Ketten verhangen waren, war dies noch lang kein Garant dafür, dass Einbrecher fernblieben. Ein Grund mehr, weshalb es sie in die Upper East Side zog. Die meisten der noblen Anwesen besaßen einen Portier, der am Empfang saß. So viel Luxus konnten sie und ihre Nachbarn noch nicht ihr Eigen nennen, doch man verstand sich, begegnete sich höflich, und achtete aufeinander. Noch nie hatte es Probleme mit ungebetenen Gästen gegeben. In der Wohnung angekommen, inspizierte sie jeden Raum mit raschem Blick. Alles war unverändert. Erleichtert machte sie sich daran, den Koffer auszupacken, hüpfte unter die Dusche und erst dann räumte Kate alle möglichen Stolperfallen und Wäschestücke zusammen, die ihr ins Auge fielen. Kritik musste sie sich, was ihren Lebensstil anbelangte, schon oft genug gefallen lassen. Plötzlich drifteten ihre Gedanken ab, landeten, unfreiwillig, bei Nick. Kate schüttelte den Kopf. Hin- und hergerissen zwischen Familie, der Gewissensbisse und einem Gefühl, vor dem sie, seit der Hochzeit mit Douglas, davongelaufen war. Eine Beziehung zu dem jungen Mann wäre wohl völlig legitim, denn sie waren nicht miteinander verwandt. Das, was sie zurückhielt, das, was sie scheute, waren die entsetzten und enttäuschten Blicke ihrer Sippe. Nicht zuletzt die Verachtung und die Ächtung der Gesellschaft. Es war schlimm, und vor allem seltsam genug, dass man Nick als ihren Neffen deklarierte. Zudem war er auch noch über zehn Jahre jünger, als sie! »Beruhige dich!« Kate mahnte sich zur Selbstbeherrschung. Sie durfte sich nicht zu sehr auf diesen Jungen fokussieren. Sie kannte doch solche Männer seines Schlages: Eine nette Nacht, vielleicht auch zwei, oder drei und dann wären sie verschwunden und sie blieb mit gebrochenem Herzen zurück. »Reiß' dich zusammen!«, zischte sie, als der Lappen über die Arbeitsplatte fegte. »Vergiss' dieses dämliche Schubladendenken! Tun die Kerle doch auch! Überall haben sie ihre Finger, und an jeder Hand mindestens zehn Weiber ...« Wut, Wut war immer gut. Energisch scheuerte sie den Fliesenboden, bis ihr Zorn verraucht war. Zufrieden mit sich und der, für einen Sonntag, getane Arbeiten, ließ sich Kate auf dem Sofa nieder, streckte die Beine aus und fischte nach der Fernbedienung. Dummerweise erwischte sie ihr Smartphone und stellte enttäuscht fest, dass nicht ein Piep von ihrem Telefon kam. Kein Menü, dass ihr eine Nachricht oder gar einen Anruf aufzeigte. Plötzlich überkamen sie Zweifel, was die SMS von gestern betraf. Sollte es doch nicht Nicks Nummer gewesen sein? Kate nahm sich vor, erst einmal nichts zu unternehmen. Der nächste Tag bot bereits mit herrlichem Wetter auf. Erst das Klingeln des Telefons ließ sie aufschrecken, sodass Kate hastig ins Wohnzimmer eilte, um den Anruf nicht zu verpassen. Wie üblich sprang die Melodie an, die sie ihren Eltern zugewiesen hatte. Als Kate das Gespräch annahm, blieb es am anderen Ende still. »Hallo? Dad? Mom?«, rief Kate und bemerkte, wie sich Kälte ihrer bemächtigte. Das Angstgefühl kroch ihr bereits in die Knochen. »Tante Kate?«, krächzte es. »Gott, Himmel!«, fauchte sie perplex. »Nick, was zur -? Ist etwas passiert?« »Nein, ich … sollte dich anrufen, wenn wir aufbrechen?«, gab dieser fröhlich klingend zurück. »Wieso ausgerechnet du?« Die Verwirrung war ihr deutlich anzuhören. »Keine Ahnung.« Kate konnte sich nur zu gut das Grinsen vorstellen, das seine Worte begleitete und wahrscheinlich zuckte er soeben mit den Schultern. »Sag mal, musst du nicht arbeiten? Wieso bist du zu Hause?« »Das tut nichts zur Sache, gib mir jemanden mit mehr Verantwortungsgefühl! Sofort!«, herrschte Kate und spürte, wie Wut und Sorge ihr die Kehle emporkrochen. »Du bist ziemlich verletzend«, nuschelte Nick betrübt. »Oh«, entkam es ihr und Kate bemühte sich um mehr Beherrschung, auch wenn ihr dies sehr schwerfiel. »Verzeih' mir, Nick, würdest du mir bitte einen Erwachsenen an die Strippe holen?!« Nun lachte Nick auf. »Ich wusste, dass du Humor hast, vielleicht eine seltsame Form davon, aber ...« »Nick«, warnte Kate und hörte ihn am anderen Ende seufzen. »Wenigstens habe ich jetzt deine Festnetznummer«, murmelte er ins Telefon. »Nick, ich schwöre dir, wenn du Scheiße damit baust, dann ...«, drohte sie. »Und deine Handynummer. Du hast wirklich gedacht, ich würde mich nicht melden, hm?« Kate wusste nicht, ob er es beabsichtigte, doch sie meinte eine Spur Enttäuschung zu vernehmen. »Nick, wo steckst du?«, dass er so offen sprach, löste die Verwirrung jedoch nicht auf. »Im Garten, ich hatte das Gefühl, dass das nicht jeder hören sollte.« Sie bemerkte das vertraute Quietschen der Hollywoodschaukel. »Klingt bestimmt ein bisschen komisch für dich, hm?« Kate schwieg, lauschte, ob sie dennoch irgendeinen bekannten Laut ausmachen konnte, als ein Krachen und Poltern an ihre Ohren gelangte, gefolgt von Irmalines Stimme. Dann hörte sie das Scharren der Verandatür. »Gott, Lady, hältst du mich für einen Psychopathen? Hast du wirklich angenommen, ich hätte dir deine Familie in kleine Stückchen gehackt?« Nick schüttelte schnaubend den Kopf. »Du hast wirklich ein Vertrauensproblem. Warte!« »Kitty?« Erleichtert seufzte diese auf, als der Apparat weitergereicht wurde. »Was ist los?« »Dad, ich ...«, zittrig rang sie nach Luft. »Dad, ist … ist alles okay?« »Natürlich, wieso sollte es das nicht? Ich habe Nickleby gebeten, dich anzurufen, weil ich glaube, dass ihr zwei einen ganzen guten Draht zueinander habt. Erst hat er sich ein bisschen geziert, doch dann hat er dazu entschlossen, dir Bescheid zugeben, wann wir aufbrechen und wann unser Flug geht.« Albert schien die Verwirrung seiner Tochter nicht recht begreifen zu können. »Also, hast du alle Daten?« »Äh«, haspelte Kate. »Nein, wann … wann geht's denn los?« »In einer Stunden fahren wir zum Flughafen, du weißt ja, immer diese langatmige Abfertigung. Aber die Koffer sind gepackt und gegen dreizehn Uhr sollten wir dann auf dem JFK landen«, erklärte Albert. »Okay.« Kate rang nach Luft und wischte sich die Tränen von den Wangen. »Kitty? Ist wirklich alles in Ordnung? Sollen wir dich lieber erst Morgen besuchen?«, hakte Albert nach. »Nein, Dad. Es ist alles gut, ich …«, murmelte sie. »Sitzt Nick noch bei dir?« »Ja, das tut er«, verkündete Albert. »Wärst du so lieb und würdest ...« Doch da wurde sie auch schon wieder zurückgereicht. »Na, Tante Kate ...«, unterbrach Nick ihre Bitte und plapperte unbekümmert weiter. »Ich soll dich schön grüßen.« Da seine Stimme nicht direkt an ihrem Ohr erklang, nahm Kate an, Nick habe seinen Großvater wieder ins Haus geschickt. »Also«, nun war er wieder deutlich zu hören. »Willst du mir noch etwas sagen?« »Ja, es tut mir leid und passt auf euch auf. Wir sehen uns dann später.« Mit diesen Worten legte Kate auf und ließ einen verdutzt blinzelnden Nick zurück. Vielleicht hätte sie doch ins Büro fahren sollen, grübelte Kate und blickte nervös vom Fenster zur Armbanduhr im Wechsel. Immerhin wusste sie vor Urlaubsantritt nicht, dass die Familie das hartnäckige Ziel verfolgte, New York zu erkunden. Und nun, da ihr Neffe ebenso in der Stadt lebte, erklärte sich ihr auch der Grund der Reise. Und wie hatte Nick behauptet? Sarah benahm sich wie eine Glucke? Kate schnaubte und stimmte unweigerlich mit ihm in dieser These überein. Dann läutete ihr Handy, eiligst langte sie danach. »Dad?« »Nein, Kate, hier ist Mom«, verbesserte Irmaline. »Wir sind jetzt am JFK und Bertram versucht gerade, ein Taxi zu organisieren, dass uns alle in einem Rutsch in die Stadt bringt.« Erst jetzt fiel Kate ein, dass sie gar nicht wusste, wo ihre Eltern untergekommen waren. »Mom? Welches Hotel habt ihr gebucht?« »Bertram war so umsichtig, uns im selben Hotel einzuquartieren«, entgegnete Irmaline. Kate wappnete sich bereits für den nächsten Schlag, der darin bestehen würde, ihr vorzuhalten, warum sie ihre eigenen Eltern in einem Hotel unterbringen ließ, statt sie bei sich wohnen zu lassen. Doch zu ihrer Überraschung erwähnte ihre Mutter nichts dergleichen. »Es war ja alles sehr kurzfristig und hastig organisiert«, verkündetet sie. »Oh, Kate, ich muss auflegen. Offenbar hat es einer deiner Neffen geschafft, was deinem Bruder nicht gelungen ist. Wir melden uns, wenn wir im Hotel sind!« Verdattert blinzelte Kate gegen das monotone Tuten an, das ihr mehr als deutlich signalisierte, dass das Telefonat als beendet galt. Ihr schwante Übles! Der Verkehr in New York war die Hölle. Allerdings würde Bertram seine Mutter schon zu beruhigen wissen, denn Irmaline konnte unausstehlich werden, wenn etwas nicht so verlief, wie sie es plante. Nach etwas mehr als anderthalb Stunden meldete sich ihr Telefon erneut. Kate nahm das Gespräch an und zu ihrer großen Erleichterung machte sich ihr Vater bemerkbar, während Irmaline fluchend durch das Hotelzimmer streifte. Kate fragte gar nicht erst nach der Strecke, die sie genommen hatten. Die Wut ihrer Mutter war beinahe durchs Handy greifbar. »Irmchen, jetzt beruhige dich. Wir sind doch angekommen.« Alberts Beschwichtigungsversuche verliefen sich jedoch im Sande, dann wandte er sich wieder seiner Tochter zu. »Kitty? Die Familie muss sich erst einmal frisch machen. In etwa zwei Stunden wollen wir uns vor dem Museum treffen, das ihr angesprochen habt. Kannst du dann dort sein?« »Ja, natürlich«, sagte Kate hastig. »Bis dann, Dad, und bitte, tu' dir selbst einen Gefallen, und gib dir keine Mühe mehr. Mom ist so, wie sie ist. Ruht euch aus. Wir sehen uns!« Kate blickte abermals auf die Uhr. »Da ist sie ja!«, rief Sarah und winkte Kate zu sich. Die Familie hatte sich vor dem Eingang des Whitney Museum of American Art versammelt. Sowie sie erst ihre Eltern und dann den Rest begrüßte, bemerkte Kate, dass jemand fehlte. »Wo ist Nick?« »Der wollte in seine Bude zurück, muss wahrscheinlich noch mal ordentlich durchfegen, bevor da überhaupt jemand rein kann«, sagte Dorian salopp und zuckte die Achseln, als er den Blick seiner Mutter auffing. »Wart ihr schon im Museum?«, hakte Kate nach. Doch Bertram schüttelte den Kopf. »Nein, das haben wir uns für morgen vorgenommen, und die Jungs wollen sowieso nicht mitkommen, also werden wir uns getrennt von einander die Stadt ansehen.« »Ich bin so aufgeregt«, erklärte Sarah. »Ja, Mum will jedes Museum abklappern, das es hier gibt.« David zuckte die Schultern. »Und da wir nicht einmal mehr zwei Tage dafür haben, ist unser Zeitplan sehr knapp bemessen!«, fügte Bertram hinzu, noch eher seiner Frau dies gelang. »So, da wir jetzt alle versammelt sind und Kate die Einzige ist, die sich hier auskennt, schlage ich vor, du führst uns erst einmal zu Nick!« Kate lachte auf. »Wenn du mir jetzt noch sagst, wo Nick wohnt, könnte ich versuchen, euch zu lotsen.« »Im East Village«, sagte David, »irgendwas mit East 4th.« »Oh! Okay, dann ...«, blinzelte Kate, »müssen wir U-Bahn fahren.« »Nicht schon wieder!«, empörte sich Irmaline. »Irmchen, New York lebt davon«, wieder versuchte sich Albert daran, seine Frau zu beruhigen. Zähneknirschend ergab sich Irmaline dem Unvermeidbaren. Der Weg führte sie in den Untergrund. Sie nahmen die Linie Houston in Richtung Osten, bis sie zur 2nd Street gelangten. »Es ist vielleicht im ersten Moment alles ein wenig wirr und unübersichtlich, aber eigentlich ist New York ziemlich einfach aufgebaut«, sagte Kate und führte die kleine Gruppe an die Oberfläche. »Es ist mehr ein Gitter, was den ganzen Aufbau dann doch wieder recht simpel erscheinen lässt. In Manhattan verlaufen alle Straßen waagerecht von Ost nach West und alle Alleen senkrecht vom Norden in den Süden.« Kate warf einen Blick hinter sich. »Hey, hört ihr mir zu?!« Die Familie war stehengeblieben und besah sich mit großen Augen die Gegend. Alberts Gesicht zierte ein breites Grinsen. »Kitty hat doch etwas von meinen Stadtführungen gelernt!« Ihr sanken die Schultern herab. »Dad! Kommt ihr? Wir müssen den Broadway hoch!« Das Grüppchen folgte ihr auf dem Fuße. Zu ihrem Glück waren die Eltern noch recht rüstig und gut zu Fuß unterwegs. Dennoch gewöhnte man sich recht schnell daran, mit einem Taxi die Wege abzuklappern. Das Getuschel und Gemurmel ihrer Familie, ließ Kate ein wenig stolz lächeln. Es war eine gute Entscheidung, sich hier niederzulassen, auch wenn der Beginn mehr als holperig gewesen sein mochte. »Habt ihr eine Hausnummer?«, fragte sie an ihren Bruder gewandt. Dorian reichte ihr einen Zettel, auf dem in sehr krakeliger Schrift eine Adresse stand. Kate orientierte sich kurz und führte sie vors richtige Gebäude. Immer wieder glich sie die Nummern ab: 12 East 4th Street »Wir sind da!«, verkündete Kate. Sarah, neben ihr stehend, rang nach Luft. Das Haus war hoch, so wie die meisten Bauten in New York City. »Ziemlich krasse Gegend«, bemerkte David, beinahe schon überflüssig. »Mum, wenn ich zu Nick ziehe, dann ...« »Vergiss es!«, fauchte Sarah sofort. »Mach erst einmal deinen Abschluss.« Der Jüngste zog betreten den Kopf ein, dann rückte die Gruppe zur Haustür vor. »Vielleicht sollte ihn jemand anrufen und ihm Bescheid sagen, dass wir da sind?«, es war keine Bitte, die Irmaline verlauten ließ. Dorian tat ihr den Gefallen und nach wenigen Augenblicken surrte bereits die Elektronik, die ihnen Einlass ins Haus gewährte. »Habt ihr irgendwo einen Namen auf den Klingeln gesehen?« Bertram schien nicht begeistert von der Bleibe, in der sein Sohn Unterschlupf fand. »Bert, die Jungs wohnen zu viert in der Wohnung, ich denke, dass es ausreicht, wenn einer der Namen auf dem Schild steht.« Sarah besah sich das Innere des Gebäudes mit akribischem Blick. »Nick wohnt im fünften Stock.« Dorian deutete mit einem Fingerzeig in die oberen Etagen. »Gibt es denn hier keinen Fahrstuhl?« Die Familie sah, bei der Frage Davids, ratlos einander an. »Doch«, sagte Kate und drückte eine der Türen auf, die mühelos aufschwang. So machte sich die Familie in zwei Grüppchen auf den Weg. »Fahrstuhlfahren behagt dir immer noch nicht, hm?« Alberts Blick lag mitfühlend auf seiner Tochter, die den Kopf schüttelte. Kate spürte, wie ihr bereits beim Gedanken daran, einen Lift zu betreten, der Magen rumorte. Und obschon sie sich, ihrer Arbeit wegen, täglich mit einem ruckelnden Ungetüm und dem Auf- und Ab konfrontiert sah, graute es ihr jedes Mal davor. Mit einem Pling wurde ihnen verdeutlicht, angekommen zu sein. Bertram, Sarah und die Jungs warteten bereits auf sie, da Kate, mit ihren Eltern, als Letzte den Weg nach oben nahm. »Du siehst blass auf«, bemerkte Bert und musterte ihr Gesicht. Kate schmälerte die Augen. »Ja, Fahrstühle, schon klar. Ich erinnere mich, vage.« Da Dorian und David ihre Tante interessiert beäugten, nahm Bertram dies zum Anlass, seine Söhne über das Leiden Kates in Kenntnis zu setzen. »Danke, Bert«, zischte diese und begab an Sarahs Seite, die ein wenig Abseits ihres Mannes verharrte. Gemeinsam traten sie aus dem kleinen Vorraum, der den Fahrstuhl vom den Hauptfluren trennte. »Das ist ja hier wie in einem Studentenwohnheim!«, empörte sich Irmaline und suchte die Türen ab. »In welcher Nummer wohnt der arme Junge?« »Fünfzehn«, entkam es ihren anderen Enkelsöhnen wie aus einem Mund. Geradewegs bog die Frau nach links ab und hielt vor der ihr genannten Ziffer inne. Mit einem gebieterischen Nicken forderte sie das Nachrücken der anderen. Kate verdrehte die Augen, setzte jedoch den übrigen Familienmitgliedern nach. »Schon wieder kein Name!«, rief Irmaline verärgert aus, doch da wurde bereits die Tür geöffnet. »Oma!«, rief Nick mehr als übertrieben freudig aus. »Warum steht hier nirgendwo dein Name, Junge?«, zischte sie aufgebracht und Nick spürte, wie ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich. Hastig glitt sein Blick über die Menge, die der Dame gefolgt war. Als er Kate bemerkte, öffneten sich seine Lippen kaum merklich, doch kam nicht ein Ton daraus hervor. Stattdessen trat Nick beiseite und ließ seine Familie eintreten. Der lange Flur, mit abgewohntem Laminat als Bodenbelag, führte sie in den größten der Räume. Links und rechts des Ganges, schienen sich die Zimmer der anderen Mitbewohner Nicks abzuzweigen. Dieser kratzte sich am Hinterkopf und wirkte angespannt, rastlos und unruhig. »Wo ist die Küche?«, verlangten Irmaline und Sarah zu wissen. Nick seufzte und begann zähneknirschend mit der Führung durch die Wohneinheit. »Hey, Nick, wo ...« Gerade, als das Klappern eines Schlüssels zuhören war und die Tür erneut geöffnet wurde, hielt der Fremdling beim Betreten der Wohnung inne und besah sich die Traube an Gästen, die entweder zu einer Besichtigung gekommen war, oder aber unweigerlich Nicks Familie sein musste. »Mum, Dad, das ist Ben, einer meiner Mitbewohner«, erklärte Nick unweigerlich. Benjamin, der hochgewachsene Football-Student, trug ein freundliches, höfliches Lächeln zur Schau, das sein bärenartiges Erscheinungsbild ein wenig milderte. Sarah keuchte auf, da ihr der feste Griff nach ihrer Hand zur Begrüßung sehr zusetzte. Als Ben beinahe alle Mitglieder der Familie seines Mitbewohners willkommen hieß, stutzte er, als sein Blick bei Kate hängen blieb. »Kate? Hi ...«, mehr als verdutzt blinzelte Ben und auch der Rest der Familie tat es ihm gleich. »Kitty, kennst du ihn?«, fragte Albert überrascht und diese wurde noch blasser als zuvor. Nicks Blick hetzte zwischen Kate, Ben und der übrigen Familie hin und her. Der hünenhafte Football-Spieler krächzte plötzlich auf, da Nick ihm, vermeintlich unabsichtlich, den Ellenbogen in die Rippen stieß in der Hoffnung, dass Ben begriff. Allerdings war Nick in diesem Moment der Leidtragende, denn der Schmerz, den der stahlharte Körper Bens verursachte, zog sich heiß durch seinen Arm. »Habe ich Kate gesagt? Ich meinte Katze!«, rief Ben aus, lachte knapp und tat, als ob er niesen müsse. »Hat jemand von Ihnen zufällig eine Katze? Ich bin sehr allergisch auf diese flauschigen, kratzbürstigen, possierlichen Tierchen, wissen Sie.« Verdutztes Kopfschütteln war die Antwort. »Okay, dann … Es hat mich gefreut, Nickys Familie kennenzulernen. Ich … werde dann jetzt wieder zurück in ...«, stotterte der Stipendiat und trat den Rückzug an. »Ich gehe dann mal in mein Zimmer.« »Komischer Junge«, verkündete Irmaline die Zunge schnalzend und wandte sich dann wieder den nächsten Räumen zu. »Ha, Kitty, Kate, Katze ...«, lachte Albert, »das kann man schon mal verwechseln, nicht wahr?« Zu Nicks Erleichterung blieb es bei Bens Erscheinen. Der Rundgang war schnell vollzogen, dennoch musste sich Nick das eine oder andere kritische Wort von Mutter, Vater und Großmutter gefallen lassen. Kate konnte nur mitfühlend dreinblicken. Es genügte ihr, dass nur eine Person ihr Leben in Fetzen riss. Nick jedoch verstand es sehr wohl, seinen Eltern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Albert besah sich das Schauspiel mit lächelnder, verständnisvoller Miene. »Der arme Junge«, murmelte er fortwährend und schüttelte den Kopf, als sich die Familie zum erneuten Aufbruch entschloss. »Wir machen uns nur Sorgen«, verkündetet Bertram. Nick quittierte seine Worte jedoch mit dem Verdrehen der Augen. »Dad, ich komme zurecht, wirklich. Ich nehme keine Drogen. Ich rauche ja nicht mal!« Seine Brüder schienen dem Lebensstil jedoch nicht abgeneigt. Immer wieder versuchte David sein Glück, Sarah dazu zubewegen, ihn ebenso nach New York ziehen zu lassen, doch diese verneinte vehement. Mit Nick im Schlepptau, begab sich die Familie wieder in Richtung Greenwich Village. Das kollektive Magenknurren bot sich geradezu an, in einem der vielen Restaurants Platz zunehmen. Im Monte's Trattoria verstand man sich auf italienische Köstlichkeiten, auch wenn die Unterbringung der Gäste begrenzt schien. Dennoch bot das kleine Restaurant genug Sitzmöglichkeiten, um ihnen einen schönen Abend zu bereiten. Nach dem vorzüglichen Essen sah sich Kate in der Pflicht, ihre Familie zum Hotel zu begleiten. Nick blieb keine Wahl, auch wenn Sarah nicht umhin kam, zu betonen, wie viel Sorge ihr die Straßen New Yorks bereiteten, in denen ihr Kind umherstreunte. Der Besuch bei Kate, am morgigen Tag, wurde auf den späten Nachmittag festgelegt. Während des Essens entschloss sich Kate dazu, den Liebsten zu beichten, dass sie ihren Urlaub auf den Rest der Woche ausgedehnt habe. Dennoch war sie mehr als erleichtert, dass sowohl Bertram und Sarah, als auch ihre Eltern selbst, ihr diese kleine Notlüge nicht übelnahmen. Vor dem Hotel trennten sich ihre Wege. »Du kannst uns gern auf unserer kleinen Tour durch die Museen begleiten«, fügte Sarah hinzu, als sie Kate in die Arme schloss. »Das Angebot ist gut gemeint, aber ich habe zu Haus noch paar Dinge zu erledigen«, gestand Kate verhalten lächelnd. »Schon in Ordnung«, lachte Sarah auf. »Und ihr zwei kommt mir ja gut nach Hause!« Ihr Blick ruhte auf dem mittleren Spross, der achtlos mit den Schultern zuckte. »Ich habe doch gesagt, dass ich Tante Kate nach Hause bringe«, murmelte Nick, vergrub die Hände in den Jackentaschen und wippte von den Ballen auf den Hacken vor und zurück. Widerwillig gab sich Sarah damit zufrieden. Bertram jedoch bedachte seinen Sohn mit mahnendem Blick, ehe er seine Frau in Richtung Lobby davon zog. Albert und Irmaline waren längst gegangen. Erst auf die drohenden Worte ihrer Mutter hin, eisten sich David und Dorian los und stapften den Eltern hinterher. »Und jetzt?«, fragte Nick mit einem Seitenblick auf Kate. Diese zuckte die Schultern, machte auf den Hacken kehrt und schlug den Weg in Richtung U-Bahn ein. »Kate?« Sie wandte sich zu ihm um und legte den Kopf schräg. »Du wolltest mich doch nach Hause begleiten, richtig?« Eiligst setzte Nick ihr nach. »Ich habe mich immer noch nicht so richtig dran gewöhnt«, nuschelte er und hatte Mühe, die Balance zuhalten, als die Linie 6 anfuhr. »Das wird schon«, gab Kate abwesend zurück. Zwischen seinen Brauen bildete sich ein Falte. »Das vorhin tut mir leid.« »Was denn?« Kate wandte sich mit einem Blick über die Schulter nach ihm um. »Das mit Ben wäre fast ins Auge gegangen«, erklärte Nick zerknirscht. »Ihr zwei habt gut reagiert«, lachte Kate leise. »Fast schon, wie ein eingespieltes Team.« »Hey, willst mir gerade irgendetwas unterstellen?«, prüfend ließ er seinen Blick über ihr Gesicht wandern, doch Kate zuckte die Schultern. Das Quietschen der Räder und die Durchsage aus den Lautsprechern, verkündeten den baldigen Ausstieg. Durch den Bremsvorgang wurde Kate ein wenig unsanft gegen Nick geschleudert. »Willst auf Tuchfühlung gehen, hm?«, grinste er, doch Kate schüttelte schnaubend den Kopf. »Ich könnte hierbleiben, also … über Nacht«, sagte Nick und war versucht, es beiläufig klingen zu lassen, als der Schlüssel seinen Weg ins Schloss fand und Kate die Tür öffnete, um einzutreten. »Nick«, seufzte sie erschöpft, als er an ihr vorbei in die Wohnung schlüpfte. Abermals entfloh Kate ein gedehntes Seufzen, ehe sie die Pforte mit dem Hacken zu kickte und sich mit dem Rücken gegen das Holz sinken ließ. »Was? Warum guckst du jetzt so mitleidig?«, verlangte er zu wissen. Nick konnte sich keinen Reim darauf machen, was in den letzten Minuten mit ihr geschehen war. »Nick, dass … all das hat keine Zukunft«, gestand Kate und sah, wie hart ihn die gewählten Worte trafen. Jegliche Hoffnung schien aus dem freudigen Lächeln zu weichen. »Hättest du dich jemals wieder bei mir gemeldet?« Kate ließ ihm nicht viel Zeit, das Gesagte zu verdauen. »Das zwischen uns kann nicht funktionieren.« Nicks Augen wurden schmal. »Du willst doch gar nicht, dass es funktioniert!«, knurrte er. »Okay, dann erklär's mir!« »Was gibt es da zu erklären?! Es liegt doch auf der Hand«, erwiderte sie schulterzuckend. »Ach ja? Und warum erschließt sich mir dann dein plötzlicher Stimmungswandel nicht? Wenn doch alles für dich so offensichtlich ist?!« Kate öffnete die Lippen, doch sie blieb stumm. »Für mich sieht es so aus, als hättest du Panik davor, zuzugeben und dir einzugestehen, dass du etwas mit einem Jüngeren hast«, fuhr Nick fort. »Das … das verstehst du noch nicht.« Kate war um einen schneidenden Ton bemüht, als sie ihre Stimme wiederfand. »Gut, dann bitte ich dich noch einmal: Erkläre es mir! Mit einfachen Worten, so, dass ich es begreife!«, gab er zurück. »Diese ganze Konstellation«, tief rang sie nach Atem. »Nick, wir sind ...« Er hob drohend beide Zeigefinger. »Komm mir jetzt nicht mit der Schiene, Kate. Wir haben beide nicht gewusst, dass es so kommt, geschweige denn, dass so etwas zwischen uns passiert.« Seufzend schüttelte sie den Kopf. »Was stört dich daran? Dass es unangenehm auf Familienfeiern sein wird?« Nicks Schnauben, brachte auch sie knapp zum Lachen. »Dass wir uns irgendwo, irgendwie ständig in dieser großen Stadt über den Weg laufen? Dass die Leute reden?« Kate zuckte zusammen, für ihn ein sicheres Zeichen, dass er mit seiner Vermutung voll ins Schwarze traf. »Gott, Kate! Was kümmert dich denn das Geschwätz der Leute? Die wissen einen Scheißdreck über uns.« Nick machte aus seiner Missstimmung keinen Hehl und seinen Standpunkt deutlich. »Und das mit Bert und Sarah … Ich wusste zwar, dass irgendwo noch eine Tante herumschwirrt, und vielleicht habe ich mitbekommen, dass sie in New York wohnt, aber wer hätte denn ahnen können, dass die Alte komplett verrückt ist, und ihr Leben für ein paar Schuhe aufs Spiel setzt?!« »He!«, warf Kate protestierend ein. »Weder du, noch ich wussten, wer der andere war, richtig? Richtig, Kate?!« Sein energischer Unterton ließ sie abermals zusammenfahren. »Was steht uns also im Weg? Deine Angst? Deine mögliche Unsicherheit? Alle anderen?« Kate verdrehte die Augen. »Okay, vielleicht wird es komisch, auf Familienfeiern, na und?«, schnaubte Nick und ließ ein Zucken der Achseln erkennen. »Nick, du verrennst dich da in etwas«, sprach Kate bemüht ruhig. »Jugendlicher Leichtsinn«, gab er zurück. »Und wenn schon!« Ihre Lippen zierte ein schwaches Lächeln, ihr Blick scheute den seinen jedoch. »Danke noch mal, für die Blumen. Woher hast du eigentlich gewusst, wo ich arbeite?!« Nick verzog das Gesicht, fühlte sich ertappt. »Ich hab vielleicht ein bisschen spioniert.« Kate riss die Augen auf. »Du hast was?!« »Hey, ganz ruhig!«, beschwor er sie. Als Nick sich sicher war, dass sich Kate zu keiner unüberlegten Tat hinreißen ließ, sprach er weiter: »Ich habe ein bisschen in der Mappe herumgeschnüffelt, die du an dem Abend bei dir hattest. Und dann habe ich ein bisschen herumtelefoniert. Es war trotzdem nicht leicht, das rauszukriegen!« »Und … und wie …?« Verwirrung zierte ihr Gesicht. »Das Logo deiner Firma kam mir bekannt vor und vor einiger Zeit habe ich für die schon mal den einen oder anderen Auftrag ausgeführt, als Kurier«, begann Nick zu erklären. »Aber du kanntest doch meinen Nachnamen gar nicht!« Ihr wurde speiübel. Nick legte den Kopf schief. »Lady, glaubst du wirklich, dass ich nicht darauf geachtet habe? Klingel, Briefkasten? Was denkst du wohl? Außerdem befand sich ein Namensschild in der Mappe.« Kate spürte, wie ihr die Wangen glühten. »Da hab ich dich wohl ein bisschen unterschätzt?« »Und dass ich den Weg wieder zurückgefunden habe, hat dich nicht stutzig gemacht, hm?« Seine Augenbraue schnellte zum dunklen Haaransatz hinauf. »Doch, aber ich war viel zu wütend«, gestand sie. »Hab ich mir gedacht, so, wie du reagiert hast ...« Er wandte den Kopf von einer Seite zur anderen. Kate biss sich auf die Lippen, war versucht, ihr aufgewühltes, aufgebrachtes Herz zu beruhigen. »Und jetzt, Kate …?« Nick tat einen Schritt auf sie zu. »Wir müssen ja nicht gleich heiraten.« Seine Worte brachten ihm nur einen schnaubenden Laut ein. »Danke, ich bin, was das betrifft, erst einmal geheilt.« »Erzählst du mir davon, irgendwann vielleicht?« Skeptisch war ihr Blick, als Kate den Kopf hob und ihm in die Augen sah. »Irgendwann, muss ja nicht heute sein.« »Nick, ich glaube, du solltest jetzt gehen.« Kate war bemüht, die aufkommende Sorgenfalte zwischen seinen Augenbrauen zu ignorieren. »Ich darf nicht hierbleiben?« Nick schürzte pikiert die Lippen. »Wenn du unbedingt willst, aber dann schläfst du auf der Couch«, erklärte sie. Er warf einen Blick in Richtung Sofa, gebot ihr, sich nicht von der Stelle zu rühren, hielt aufs Wohnzimmer zu und warf sich auf die Couch. »Aua!«, klagte Nick. »Die ist ja viel zu hart!« Kate lachte und konnte, über seine kindische Aktion, nur den Kopf schütteln. Im Türrahmen stehend, verschränkte sie die Arme und betrachtete Nicks Versuche, sich mit dem alten Sofa anzufreunden. »In deinem Bett ist es aber viel gemütlicher«, seine Stimme nahm maulende Züge an. »Ich weiß«, gab Kate grinsend zurück. »Kannst du es wirklich mit deinem Gewissen vereinbaren, dass ich fast einmal quer durch Manhattan wandern muss? Im Dunkeln?« Nicks Appell wies sie mit einem wiederholten Kopfschütteln ab. »Siehst du!« »Sofa, oder nach Hause!«, gebot sie ihm, doch Nick streckte sich bereits auf dem Polster aus. »Na gut.« Kate machte auf den Hacken kehrt und löschte das Licht. »Kate? Kate! Kriege ich kein Kissen?« Sein Rufen hallte durch das spärlich beleuchtete Wohnzimmer. Sie war bemüht, sein Betteln ignorieren. »Nein!« Verdattert blinzelte Nick. »Eine Decke?« Auch hier machte sie all sein Hoffen zunichte. »Liegt auf dem Sofa!« Seine Finger tasteten neben sich und ergriffen etwas Flauschiges. »Aber die ist zu dünn. Kann ich nicht bei dir schlafen?« Auch diesen Einwand schmetterte Kate knallhart ab. »Nein.« Hilflos blickte Nick ihr nach. Kate begab sich ins Badezimmer, um sich ihrer allabendlichen Schönheitspflege zu widmen. Dies nahm Nick zum Anlass, sich ins Schlafzimmer zu schleichen und schmuggelte sich unter die Bettdecke. »Aus, Nick! Nein, Pfui!« Ihre Rüge ließ das Häufchen zucken. Nick schlug die Decke zurück und blickte bittend und unter fiependen Lauten zu ihr. Kates Augen wurden schmal. »Wehe, du fummelst!«, drohte sie knurrend, doch Nick war sichtlich zufrieden damit, dass es ihm gelungen war, sie um den Finger zu wickeln. »Und hör bitte auf, wie ein Welpe zu wimmern!« Als die Nacht den ersten Sonnenstrahlen wich, spürte Kate den Druck seiner Finger, die sich neckend um ihre Brust schlossen. Ein Murren entwich ihrer Kehle, denn es gelang ihr nicht, Nicks Begeisterung, die sich unweigerlich an ihren Hintern presste, zu teilen. Das Brummen im Nacken ließen ihr die Härchen zu Berge stehen. Kate versuchte sich dem Kribbeln zu entziehen, doch der Mann in ihrem Rücken blieb hartnäckig. »Wo willst du hin?« Seine Lippen verweilten an der empfindlichen Stelle hinter ihrem Ohr. Schelmisch grinsend registrierte Nick das Zittern, das ihren Körper erbeben ließ. Kates zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren, durfte sich nicht so leicht ablenken lassen. Es war ihr doch so gut gelungen, nicht einzuknicken. »Ich krieg' dich schon noch dazu, dass du die Beherrschung sausen lässt, irgendwann ...«, prophezeite Nick ihr. Doch Kate antwortete nur mit einem belustigenden Schnauben. »Na los, Kleiner, aufstehen!« Aufreizend räkelte sie sich, rieb ihren Hintern beiläufig und unachtsam an seinem heiligsten Instrument. »Kleiner?«, höhnte er. »Lady, wir beide wissen, dass ich an der wichtigen Stelle alles andere als das bin.« »Ich weiß«, gurrte Kate, während ihre Lippen ein zufriedenes, wissendes Lächeln schmückte. »Los!« Sowie der Befehl an seine Ohren gelangte, war sie auch schon dem weichen und warmen Lager entstiegen. Frustriert seufzte Nick auf, blieb jedoch liegen und verschränkte die Arme hinterm Kopf. Kate hatte es sehr wohl verstanden, ihn schmoren zu lassen und es stellte sich ihm unweigerlich die Frage, ob sie etwas entspannter wäre, sollten Eltern und Großeltern endlich abgereist sein. Nick behielt den Gedanken bei, schwieg jedoch, als Kate, Zähne putzend, wieder ins Schlafzimmer trat. Sie zerrte ihm die Decke vom Leib, ließ seinen Protest, mit unbeeindruckter Miene, abprallen. Hüftwackelnd schlenderte sie wieder ins Bad zurück, beendete die morgendliche Routine und stutzte, als Nick vor ihr stand. »Kann ich schnell?«, mit dem Daumen deutete er auf die Duschkabine. »Klar«, Kate zuckte mit den Schultern. »Handtuch?« »Jup«, sagte er knapp und war bereits dabei, Shirt und Shorts vom Körper zu streifen. Sie legte mit amüsiertem Grinsen den Kopf schief. »Kate, ich muss hier etwas los werden, wenn du also … Bitte!« Eiligst drückte sie ihm eines der Tücher in Hand und verließ prustend den Raum. Kapitel 9: 9 ------------ Wiedersehen im Frühling Kapitel o9 Nach der ersten Tasse Kaffee, sah die Welt schon wieder ein wenig besser aus. Da Nick sie weder im Schlafzimmer, noch in der Küche finden konnte, vermutete er Kate im letzten der Räume. Diese stand am Fenster und beobachtete den Verkehr, der auf sich der Lexington Avenue dahin schob. »Hey«, er trat auf sie zu, um zu sehen, was ihr Interesse so fesselte. Ihre Mundwinkel zuckten. »Geht es dir jetzt besser?« »Hm.« Sein Murrend ließ Kate leise lachen. »Hör mal«, begann Nick, nun etwas ernster. »Ich muss gleich noch mal weg. Dienstags muss ich beim Union Market im Lager aushelfen.« »Oh, klar, natürlich.« Sie zwang ihre Lippen zu einem Lächeln. »Kate«, seufzte er. »Es ist alles in Ordnung. Ich glaube dir doch. Du hast deine Verpflichtungen, und ich meine. Wenn ich nicht nicht Urlaub genommen hätte, wäre ich um diese Zeit längst im Büro. Es ist okay, wirklich.« Kate strich ihm die feuchten Haare aus der Stirn. Nick zeigte sich allerdings alles andere als zufrieden, mit ihrer Antwort. »Wann wollten deine Eltern hier sein?« »Irgendwann heute Nachmittag«, gab sie zurück. Schwach ließ er ein verstehendes Nicken erkennen. »Gut, dann mach' ich mich auf den Weg.« Kate haschte nach seinem Arm, als Nick im Begriff war, das Zimmer zu verlassen. Ihr Blick zierte Unverständnis. Tief rang er nach Luft, ließ die Anspannung aus seinen Schultern entweichen. Nun war Nick es, der ihr beschwichtigendes Lächeln schenkte. »Wir sehen uns später, Kitty.« Halbherzig machte er sich von ihr los. »Und danke, für die Dusche!« Kate biss sich auf die Lippen, stieß einen grummelnden Laut aus und begleitete ihn bis zur Tür. »Ich bringe dich noch runter«, sagte sie. »Brauchst du nicht!«, widersprach Nick sofort, doch sowie er all seine Sachen an Mann hatte, langte sie nach Mantel, Tasche und Schlüssel und scheuchte ihn hinaus. »Wir sehen uns doch nachher sowieso wieder ...« »Na und? Vielleicht muss ich ja auch in deine Richtung, oder in eine andere?«, murmelte Kate unbekümmert und trat auf die Straße hinaus. Nick schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Ich würde mich freuen, wenn du mit in meine Richtung kommst. Dann wird's in der U-Bahn nicht so öde ...« Kate schnaubte lachend und keuchte auf, als Nick sie in eine feste Umarmung zog und sie den Druck seiner Lippen auf ihrem Mund spürte. Doch Nick wusste seine Gier einzudämmen und ließ genauso schnell von ihr ab. »Pass auf dich auf, Kitty!« Kate taumelte und stammelte nur Unverständliches, das ihm ein erfrischendes Lachen entlockte. Den Vormittag nutzte sie dazu, sich der Dinge des täglichen Lebens zu widmen. Nach einem schnellen Essen im Deli an der Ecke, und dem Durchstöbern der Drogerie nebenan, machten Lebensmittel den letzten Punkt auf ihrer Liste aus. Bepackt mit allerlei Tüten und Beuteln erreichte Kate endlich ihre Wohnung. Schnell waren die Einkäufe in den Schränken verstaut. Bevor die Familie bei ihr einfiel, überprüfte sie nochmals sorgfältig jeden Raum. So, wie sich Irmaline in Anwesenheit aller benahm, würde auch Kate Kritik nicht erspart bleiben. Nick tat ihr, nach dem gestrigen Debakel, unheimlich leid. Und wie Mütter nun einmal so waren, hatte Sarah, vielleicht unbemerkt, in die selbe Kerbe geschlagen, wie ihre Schwiegermutter. Kate seufzte, watete ungeduldig von einem Zimmer ins andere. Sie zuckte zusammen, als das Läuten der Klingel ihr durch Mark und Bein fuhr. Rasch war die Haustür mittels Summer geöffnet und das Treppenhaus von Stimmen erfüllt. Schwer waren die Schritte, dann und wann vernahm sie keuchende Laute, als ein vertrautes Gesicht am Treppenabsatz auftauchte. »Ich wäre euch doch entgegengekommen.« Kates Lippen bogen sich zu einem Lächeln, als Albert sie in eine innige Umarmung zog. »Ach, Unsinn, Kitty. Nickleby war so freundlich, uns abzuholen und den Weg zu zeigen. Dass deine Mutter und ich zuletzt hier waren, muss eine Ewigkeit her sein!«, lachte er und schob sich an ihr vorbei. »Diese Treppen sind ein Albtraum!«, keuchte Irmaline, herzte ihre Tochter und folgte ihrem Mann ins Innere der Wohnung. Tief atmete Kate durch. Vorsorglich hatte sie für Tee und Kaffee gesorgt, in der Hoffnung, dass ihre Mutter diesbezüglich die Füße still hielt. »Kate.« Sarah kam auf sie zu und begrüßte sie nicht weniger freundlich, als die Eltern zuvor. Sowie auch Bertram, Dorian und David erschienen, wartete Kate auf den letzten der Besucher. »Und?«, vernahm sie Nicks neckenden Ton, als er vor ihr auftauchte. »Alles … besorgt?« »Noch nicht ganz«, erwiderte Kate schelmisch grinsend. »Danke, dass du sie hergebracht hast.« »Dank' mir später, Kitty. Noch ist der Spuk nicht vorbei. Und Oma Irmaline sprüht nur so vor Feuer und Unleidlichkeit.« Gespielt verdrehte er die Augen. Ihr Lachen wehte von der Diele her zu den anderen ins Wohnzimmer. Nick folgte ihr und stutzte, da der Wohnbereich aufgrund der Fülle an Menschen nun deutlich an Raum einbüßte. »Oh je, habt ihr denn auch alle Platz? Ich glaube, dass sich noch nie so viele Leute in dieser Wohnung aufgehalten haben«, nuschelte Kate verlegen. Sarah wies ihre Jungs an, die zwei Stühle aus der Küche zu holen, sie selbst begnügte sich mit einem kleinen Hocker. An einem ansehnlichen Service mangelte es Kate zum Glück weit weniger. Die Gäste erzählten von ihren Ausflügen, während sie die gewünschten Getränke verteilte. Bertram und Sarah hatten es wirklich geschafft, fast alle Museen abzuklappern, die Manhattan aufbot. David und Dorian waren sichtlich begeistert von all dem Trubel, den Geschäften und Sehenswürdigkeiten. Doch letztendlich war New York wie jede Großstadt, und wenn man alles einmal gesehen hatte, verlor auch The Big Apple irgendwann seinen Reiz, jedoch wurde dies von sämtlichen Bewohnern New Yorks konsequent bestritten. »Bert und ich planen schon unseren nächsten Urlaub hier«, verkündete Sarah und Nick, der soeben an der Tasse Tee nippte, verschluckte sich umgehend. »Aha«, bemerkte er trocken, suchte unauffällig Kates Blick, doch deren Fokus lag auf dem Gespräch mit Dorian. Und dieser schien mehr als erfreut, dass sich seine obsoleten Eltern dem Glitzern, Flimmern und der Hektik ergaben. David war mehr und mehr davon überzeugt, dass ihm New York guttat und versuchte zum wiederholten Male, seine Mutter dahingehend zu überreden, ihn bei seinem älteren Bruder wohnen zu lassen. Alberts heiteres Lachen drang bis in die Küche vor. Sarah war der Gastgeberin beim Abräumen des Geschirrs behilflich und kam nicht umhin, ebenso mit einzustimmen. »Ich mag deinen Dad«, verkündete sie, als die restlichen Tassen ihren Weg zur Spüle fanden. »Er mag euch auch«, erwiderte Kate lächelnd. »Es wird Nick gut tun, einen Teil der Familie bei sich zu haben.« Kate stutzte, da sie die Wehmut sehr wohl bemerkte, die in Sarahs Worten mitschwang. »Sarah«, hob sie an, doch die kleine Frau wischte sich fahrig über die Augen und winkte ab. Die Tränen hinab zwingend, blinzelte Sarah zur Küchenlampe auf. »Weißt du, es ist niemals leicht, seine Kinder gehen zu lassen. Ich habe zwar noch zwei Drittel von den kleinen Bastarden im Haus, aber als Nick verkündete, dass er einfach so, ohne irgendeinen Plan, nach New York ziehen würde, da hat es mich innerlich zerrissen.« Kate presste die Lippen fest aufeinander. Diese Frau war immerhin eine Mutter, und wie Irmaline damals versucht hatte, Kate am Gehen zu hindern, so hatte es Sarah wohl genauso hart getroffen und eine Menge Mut und vor allem Überwindung gekostet, ihr eigen Fleisch und Blut ziehen zu lassen. Dieser Augenblick erschien ihr so beklemmend. Kate spürte förmlich, wie ihr Galle die Kehle hinaufschoss. Sie war kein guter Mensch, sie hatte sich mit dem Kind dieser Frau eingelassen! Unwissentlich zwar, doch ihr Widerstand gegen diese Affäre zog soeben mit heruntergelassenem Visier in den Krieg. In eine Schlacht um Herz und Gewissen. »Sarah, ich ...« »Nein.« Sarah winkte ab. »Nein, es ist alles in Ordnung. Ich werde schon damit zurechtkommen. Muss ich.« Kate begegnete dem Blick dieser Frau mit einem bangen, mulmigen Gefühl. »Er ist ja nicht allein. Er hat dich, Albert und Irmaline … Und wenn ich meinen Ohren trauen durfte, wird sich der Jüngste nicht aufhalten lassen, New York auf den Kopf stellen zu wollen.« Sarahs Lippen zierte ein schwaches Lächeln. Ihre Worte waren jedoch alles andere als hilfreich. »Ein toller Junge.« Albert fiel in das Gespräch der Töchter ein, langte nach den zarten Schultern Sarahs und lachte noch immer aus vollem Herzen. »Deine Jungs sind ein wahrer Jungbrunnen. Toll, alle drei. Jeder für sich vielleicht ein wenig speziell, aber das nennt man wohl Individualismus.« Während der Abend allmählich über die Stadt, die bekanntlich niemals schlief, hereinbrach und die ersten Schleier der sich nähernden Dunkelheit mit sich brachte, kehrte die Familie zu einem letzten, gemeinsamen Essen ins Club A Steakhouse ein. Das Restaurant in der 250 East Ecke 58ste, gefühlt nur einen Steinwurf von der Ed Koch Queensboro Bridge entfernt, hielt, was der Name versprach. Fleischliebhaber kamen dort voll und ganz auf ihre Kosten, doch auch für die anderen Geschmäcker ließ sich etwas finden, sodass niemand hungrig das Lokal verließ. Dem Beschluss, sie bis zur Haustür zu bringen, sah sich Kate machtlos gegenüber. Umso herzlicher und wärmer waren die Worte und Gesten des Abschieds. Zwar würden Albert und Irmaline erst am späten Vormittag zum Flughafen aufbrechen, um dann die Maschine um zwölf Uhr dreißig zu nehmen, doch für den Rest der Gruppe schien die Nacht bereits vorbei. »Wann geht euer Flieger?«, Kate senkte beklommen die Stimme, als ihre Worte an Bertrams Ohren gelangten. »Um kurz vor fünf«, gab dieser schwach lächelnd zurück. »Und wenn wir noch ein wenig Schlaf abkriegen wollen, sollten wir uns allmählich auf den Weg machen.« Ein knappes Nicken war die einzige Antwort, die Kate geben konnte. Was waren schon drei, vier oder fünf Tage, wenn das Wiedersehen wohl wieder Jahre ins Land ziehen ließ? »Und wehe dir, ihr meldet euch nicht regelmäßig!«, entkam es Kate dennoch knurrend. »Völlig egal, ob telefonisch, per Skype, Brief, Brieftaube ...« Bert lachte auf. »Keine Sorge, ich behalte es im Hinterkopf. Und du weißt ja, so ein Telefon geht ja nicht nur in eine Richtung!« »Das sagt der Richtige!«, mischte sich Sarah ein, drückte Kate ganz fest an sich und platzierte ihre Lippen als letzten Gruß auf den kühlen Wangen der Frau. »Mach's gut. Wir melden uns auf jeden Fall. Und du bist herzlich eingeladen, uns zu besuchen. England wird dir gefallen.« Kates Lippen zierte ein warmes, ehrliches und überaus dankbares Lächeln, ehe sie die Umarmung herzlich erwiderte. Der Abschied von ihren Eltern fiel nicht weniger leicht. Doch Albert versicherte ihr, dass der Weg zum Flughafen kein Problem für einen Mann wie ihn darstellen sollte. Irmaline ließ wiederum mahnende Worte vernehmen, dennoch sah man im Licht der Laternen die Tränen in ihren Augen schimmern. Auch ihre Neffen wurden gebührlich in die Nacht entlassen. »Ich melde mich nachher«, knurrte Nick ihr ins Ohr, als es an ihm war, auf Wiedersehen zu sagen. »Okay.« Mehr als ein Hauch, der vom aufkommenden Wind davongetragen wurde, war ihrerseits nicht zu vernehmen. Nach einem kleinen Augenblick des unbehaglichen Schweigens, packte Albert seine Frau am Arm stapfte voraus. Ihnen folgten David und Dorian. »Und Kate -«, diese horchte alarmiert auf, als Sarahs Stimme an ihren Ohren drang. »Hab' mir ja ein Auge auf den Jungen. Und du, Nickleby, versuch' deiner Tante nicht ständig auf den Wecker zu gehen!« Kate schüttelte den Kopf. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf Sarahs Lippen, als sie dem Beispiel ihres Schwiegervaters folgend, Bertam mit sich zog. »Stört dich was?« Nick betrachtete die Frau neben sich mit schiefem Grinsen. »Mhm, ja«, gab sie zu. »Das Wort Tante. Es macht mich alt.« Nick lachte auf. »Dann solltest du dir lieber schnell einen jungen Liebhaber suchen, der deine Komplexe wieder aufwiegt.« Ein Zischen entwich ihm, als Kates Ellenbogen herausfuhr und ihn in die Rippen traf. Mit einem bestimmenden Nicken wies sie ihn an, endlich seiner Sippe in Richtung U-Bahn-Station zu folgen. »Na los, sonst muss ich mir wirklich noch Sorgen machen!« Die Hände abwehrend in die Luft gereckt, ließ sich Nick nicht lang bitten. Im Rückwärtsgang, lässig taumelnd, aber Kate nicht aus den Augen lassend, schlenderte er seiner Familie hinterher. »Pass -!«, schmerzlich zuckte sie zusammen, als Nick fluchend die Bekanntschaft mit einem Laternenpfahl einging. »Und grüß' die Jungs von mir!« »K-klar«, knurrend rieb sich Nick den Hinterkopf. »Hey, Nick.« Kates Miene zierte ein breites Lächeln, als sie nach ihm rief. »Und nicht vergessen: Immer schön nach vorne schauen!« Schnaubend schüttelte er den Kopf, leckte sich keck grinsend die Lippen. »Ich werd's mir merken, Lady!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)