Reminiszenz von Maginisha ================================================================================ Epilog: -------- Das Klingeln seines Handys unterbricht die Stille im Inneren der Limousine. Er hebt ab. Eine bekannte Stimme am anderen Ende. „Es ist vorbei.“ „Ich verstehe. Danke.“ Er legt wieder auf. Rex sieht ihn fragend an. „Was ist los?“ „Nichts“, antwortet er und sieht aus dem Fenster. Was soll er ihr auch sagen? Dass so eben der letzte, von seinem Großvater angeheuerte Killer ausgeschaltet wurde, der sein Leben bedroht hat? Dass der Tod seines Großvaters vor zwei Wochen kein Zufall war? Dass er eine Affäre mit dem Mann hatte, der für beides verantwortlich ist?   Er hat inzwischen die Bilder gesehen. Hat gesehen, wozu Nagi fähig ist. Er weiß, dass es nicht funktionieren würde. Sie sind trotz aller Gemeinsamkeiten zu unterschiedlich. Vielleicht treffen sie sich noch ein paar Mal, aber er glaubt eigentlich nicht daran. Vielleicht wird er ihn anrufen, wenn er jemand mit seinen Fähigkeiten für einen Auftrag braucht, aber auch das ist eher unwahrscheinlich. Er weiß, dass er nicht zulassen darf, dass der andere zu wichtig wird. Es macht ihn angreifbar und das darf er sich in seiner Position nicht erlauben. Er hat ein Unternehmen zu leiten, eine politische Karriere vor sich. Da ist für eine solche „Beziehung“ kein Platz.   Er hat die Wohnung verkauft, die immer noch auf den Namen Tsukiyono lief. Das Gebäude wird nächste Woche abgerissen, um Platz für ein neues Einkaufszentrum zu schaffen. Er wird den Grundstein legen und es einweihen, wenn es fertig ist. Immerhin gehört das Grundstück seiner Firma.   „Wir haben immer noch nichts von Weiß gehört“, unterbricht Rex seine Gedanken. „Eigentlich hätten wir schon längst den Bericht ihrer letzten Mission vorliegen haben müssen. Ich...gehe davon aus, dass sie getötet wurden.“ Sie sehen sich in die Augen und er weiß, dass sie es weiß. Sie werden nie darüber reden. Rex wird die Daten in das System von Kritiker eingeben, die Akten schließen. Einschließlich seiner eigenen. Omi Tsukiyono ist offiziell tot. Er wünschte, er könnte das ebenfalls glauben. Doch manchmal, nachts, wenn es zu dunkel um ihn herum ist und die Stille auf seine Ohren drückt, liegt Omi in seinem Bett und weint. Er weiß, dass die anderen nicht tot sind. Aya hat ihm den Rücken zugewendet und das Land verlassen, Ken sitzt auf eigenen Wunsch im Staatsgefängnis ein, um zu sich selbst zu finden, und Yoji...Yoji hat sein Gedächtnis verloren und lebt jetzt als Zivilist mit einer netten Frau namens Asuka zusammen. Ein seltsamer Zufall, wie er findet. Doch all dies wird nie seinen Weg in die Datenbank von Kritiker finden.   Rex räuspert sich „Wir sollten so schnell wie möglich ein neues Team zusammen stellen. Ich habe dir bereits einige mögliche Kandidaten zur Prüfung gegeben. Was hältst du von Ogasawara? Er ist der perfekte Kandidat.“   Omi erinnert sich an den jungen Mann. Rex hat ihm seine Daten per E-Mail geschickt. Seine Eltern wurden getötet; er hat eine kleine Schwester, die bei Verwandten untergebracht wurde, während er, um ihr beider Überleben zu sichern, in den Dienst von Kritiker getreten ist. Er ist ein ausgezeichneter Kämpfer, intelligent, loyal, aufrichtig. Ein idealer Anführer. Ebenso wie Aya es war. Zu sehr wie Aya es war.   „Hör zu Rex. Ich möchte, dass du jemand anderen findest. Er... es muss doch noch jemand anderen geben. Irgendjemanden...“ Er sieht in der Reflexion der Scheibe, wie ihr Gesicht mitleidig wird, weich. Er kann sie jetzt nicht ansehen. Seine Maske ist gerade verrutscht und er braucht einen Augenblick, um sie wieder zu richten. „Ich verstehe“, antwortet sie nur. „Wir werden jemand anderen finden.“ „Ich...es tu mir leid“, sagt er noch. Er weiß, dass er das alleine schaffen sollte, aber es ist so wahnsinnig schwer. Manchmal fragt er sich, ob die Strafe, die er sich auferlegt hat, nicht zu hoch ist. Doch er weiß, dass er es ertragen wird, ertragen muss, damit die anderen in Sicherheit sind. Das hier ist seine Buße für all die Sünden, die er begangen hat und er hat jedes Stück davon verdient.   Das Theater kommt in Sichtweite und er strafft sich innerlich und äußerlich. Er muss jetzt wieder perfekt in seiner Rolle sein und darf sich keine Fehler erlauben. Er ist Mamoru Takatori, alleiniger Erbe der Takatori-Familie, oberster Leiter eines der bedeutenden Wirtschaftsunternehmen Japans und hochgehandelter Kandidat für die verschiedensten politischen Ämter. Das und nur das ist es, was die Leute und all die Reporter gleich zu sehen bekommen werden.   Als sie aussteigen warten bereits Queen und Knight auf sie. Die beiden Frauen begrüßen sich und Queen versichert höflich, dass die Crashers natürlich für seinen persönlichen Schutz sorgen werden. Knight hingegen sieht Mamoru nur hasserfüllt an. Der temperamentvolle Mann kann sich nicht länger beherrschen, wirft ihm vor, Weiß in den Tod geschickt zu haben. Dass sie alle nicht mehr als billige Schachfiguren für ihn sind, die er für seinen persönlichen Vorteil hin und herschiebt.   Er hört die Worte und nickt dazu. Es gehört zu der Rolle, die er spielt. Die Rolle, die ihm nicht erlaubt zu zeigen, wie sehr ihn diese bitteren Worte verletzen und wie sehr es ihn schmerzt, so sein zu müssen. Wie sehr ihn die Verachtung im Blick des anderen trifft, weil er weiß, dass Aya ihn ebenso ansehen würde, wenn er jetzt hier wäre. Aber er ist es nicht. Keiner von ihnen ist es und dafür ist Mamoru dankbar.   Knight hat ihn am Kragen gepackt. Mamoru sieht die Wut in seinem Gesicht, weil er ihm gesagt hat, dass auch er leicht zu ersetzen wäre. Er hat nicht richtig zugehört. Er hat ihm auch gesagt, dass er frei ist zu gehen. Und Mamoru kann der Versuchung nicht widerstehen.   „Lass mich los, Yuushi Honjou.“   Seine Stimme ist ganz ruhig, als er Knight mit seinem richtigen Namen anspricht. Er lauert, hofft, betet im Stillen um die Reaktion, die er eigentlich nicht bekommen darf. Die ihm nicht zusteht.   Die Augen seines Gegenübers werden groß. Doch Mamoru sieht nur die Angst darin. Die Angst vor der Drohung, die Knight meint gehört zu haben. Die Empörung darüber, dass Mamoru ihn so behandelt. Da ist kein Verstehen. Kein stilles Begreifen, wie er es im Blick von Rex sieht. Knight kann nicht erkennen, was Mamoru ihm sagen will, aber nicht darf. Er erhält keine Vergebung.   Die Hände von seinem Kragen verschwinden, der Moment ist vorbei. Mamoru richtet seine Kleidung und tritt auf den roten Teppich, der ihn zu der Meute von Reportern und Schaulustigen tragen wird. Er lächelt, er winkt, er gibt ein perfektes Schauspiel. Denn dies ist seine Bürde, die er sich selbst auferlegt hat, von jetzt an bis an das Ende seiner Tage.               Nagi sieht zu, wie Mamoru in dem hell erleuchteten Gebäude verschwindet. Als er sich gerade zum Gehen wenden will, erscheint eine wohlbekannte Gestalt neben ihm. „Ist ja ganz schön wichtig, der kleine Takatori“, stellt Schuldig fest und macht eine abfällige Grimasse. Er sieht zu Nagi. „Wofür war das vorhin auf dem Dach? Der Scharfschütze, den du ausgeschaltet hast.“ „Ich war ihm noch etwas schuldig“, erwidert Nagi. Schuldig hebt eine Augenbraue und grinst anzüglich. „War er tatsächlich so gut?“ Nagi antwortet nicht darauf. „Wirst du ihn wiedersehen?“ „Ich weiß nicht.“ „Werdet ihr miteinander ins Bett gehen?“ „Vielleicht.“   Nagi sieht Schuldig an und muss plötzlich lächeln, als ihm etwas einfällt. „Was?“, fragte der irritiert. „Mir ist gerade klar geworden, dass ihr beide gar nicht so verschieden seid.“ Schuldig bleibt vor Staunen der Mund offenstehen, bevor er in wildes Dementieren ausbricht. „Du kannst mich doch nicht mit diesem Schmusekater vergleichen. Ich und er haben nichts gemeinsam. Gar nichts!“   Nagi muss noch einmal an Tot denken. Er würde Schuldig gerne fragen, warum genau er sie damals gerettet hat. Aber er glaubt nicht, dass ihm die Antwort zufriedenstellen oder gefallen würde, die Schuldig sich ausdenken würde. Also belässt er es dabei. Farfarello hat wohl recht gehabt. Schuldig ist ein Lügner. Oder ein Phantast. So ganz sicher ist Nagi sich nicht. Vielleicht glaubt er tatsächlich, dass ihm alle Leute außer sich selbst egal sind. Aber seine Taten sprechen lauter als die Worte, von denen Schuldig oft viel zu viele macht.   "Du denkst zu viel“, nörgelt Schuldig. „Davon kriegt man ja Kopfschmerzen.“ Er springt auf die Brüstung und lehnt sich vor. Die Lichter der Stadt lassen seine Haare wie Flammen um seinen Kopf tanzen. Er sieht über die Schulter zurück und grinst Nagi an. „Was sagst du? Die Nacht ist noch jung. Lass uns etwas anstellen. Waren wir eigentlich schon mal tanzen?“ Nagi zieht die Augenbrauen nach oben. „Du tanzt?“ Schuldigs Grinsen wird breiter. „Nein, aber ich könnte dich dazu bringen, dass du es tust. Oder Karaoke! Du siehst bestimmt total goldig aus mit einem Mikro in der Hand.“ Nagi ist kurz versucht, Schuldig vom Dach zu schubsen. Aber dann lässt er es. Weil er ihn vermissen würde, den dämlichen Mistkerl. Zumindest ein kleines bisschen.   „Was ist mit Crawford?“, muss er trotzdem fragen. Ihr Anführer ist inzwischen wieder vollkommen genesen und hat bereits neue Pläne geschmiedet. „Was soll mit ihm sein? Er verbringt einen langweiligen Abend an seinem Schreibtisch, wie üblich.“ Also hat Crawford es ihm immer noch nicht gesagt. Gut. Es ist nicht seine Entscheidung und er hält sein Wissen gut vor Schuldig verborgen. Das ist etwas, das die beiden unter sich klären müssen.   Ganz kurz kommt ihm der Gedanke, ob Crawford das hier wohl auch geplant hat. Ob er geplant hat, ihn und Schuldig zusammenzubringen, damit der Telepath nach seinem Tod nicht total aus dem Ruder läuft. Zuzutrauen wäre es ihm. Aber das Orakel wird sich diesbezüglich wie üblich nicht in die Karten sehen lassen. Nagi hat sich daran gewöhnt. Irgendwie hat er sich sogar an Schuldig gewöhnt, auch wenn das schwerfällt. Schuldig ist und bleibt seine ganz persönliche Achterbahn. Ein Tanz auf dem Vulkan, bei dem man nie weiß, wann der nächste Ausbruch bevorsteht. Ein Spiel mit dem Feuer, das ihn anzieht wie die Motte das Licht. Und er weiß, wie weit er auch wegfliegen wird, irgendwann wird er wieder bei ihm landen und die Welt wird sich vor ihnen in acht nehmen müssen.                 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)