Zwischen Molotowcocktails und Shakespeare von Curupira ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 10. ----------------------- Ich starre auf das schwarze Display, nachdem wir aufgelegt haben. Ich brauche es nicht anzumachen und zu entsperren, denn ich weiß auch so, was mich da erwartet. Nämlich eine letzte, ungelesene Nachricht, die ich genauso, wie die anderen von Juli, gemeinsam mit ihrer Nummer, die sie mir gegeben hat, weil sie über Facebook schreiben doof findet, löschen sollte. Ich versuche, den Drang zu ignorieren, scheitere aber kolossal, als ich mein Smartphone entsperrt, die Nachricht im nächsten Moment geöffnet habe und meine Augen den Text lesen. 16:24; Juli: ›Romy, ich bin wieder im Internat. Melde dich bitte! Ich mache mir große Sorgen. Es ist mir scheißegal, ob du nicht mit mir reden willst. Ich werde dich nicht aufgeben! Melde dich!‹ Lange starre ich die Nachricht nach dem Lesen noch an. Es ist Erleichterung, die mich als Erstes durchfährt und eine Anspannung von mir nimmt, die mir gar nicht bewusst war. Juli ist sicher im Wohnheim. Die Nachricht kam, als ich noch geschlafen habe. Ich schließe meine Augen und konzentriere mich auf Julis Gesicht, ihre lockigen Haare und ihre Lippen. Ihren Geruch, der sich mittlerweile mit so vielen anderen Gerüchen vermischt hat, dass ich ihn nicht mehr wahrnehme. Meine Augen schnappen auf, als mir klar wird, dass es nicht hilfreich ist, mich an sie zu erinnern. Ich lege mein Smartphone auf den Schreibtisch zurück und stehe abrupt auf. Mein Körper dankt es mir mit Schmerzen. So viel zum Thema Essen und Nummer löschen, denke ich, gehe zu meinem Fenster und lehne meine Stirn an die kalte Fensterscheibe. Weil das große Zimmerlicht an ist, sehe ich in der Fensterspiegelung, dass die Klamotten, die Juli getragen hat, noch dort liegen, wo sie, sie abgelegt hat. Ich gehe zu meiner Couch, schnappe mir das T-Shirt, drücke es fest an mich und setze mich auf die Couch, lehne mich zurück und schließe seufzend meine Augen. Da, zwischen den Weichspüler und Duschgel Duftnoten entdecke ich Julis Geruch. Gibt es einen Ausweg aus dieser Misere, ohne Verluste zu erleiden? Gibt es die Lösung, von der Nina gesprochen hat? Irgendeinen Weg muss es geben, nur ob ich den ohne Verluste gehen kann? Ich atme tief ein und keuchend wieder aus; bei all den Gedanken in meinem Kopf, habe ich vergessen, wie weh es tut, wenn ich zu tief einatme. Ein lautes Klopfen erklingt. Desorientiert öffne ich meine Augen und stöhne, als ich mich aufsetze und lege Julis T-Shirt zur Seite. Auf der Couch einzuschlafen war noch nie eine gute Idee gewesen. Heute ist es noch schlimmer. Die doofen Federn haben mir ordentlich in den Rücken gestochen und ich bin mir beinahe sicher, dass noch ein paar blaue Flecke zu den schon Vorhandenen hinzugekommen sind. Es klopft lautstark an meiner Tür. Jetzt weiß ich wenigstens, was mich geweckt hat. »Romy«, erklingt Papas Stimme ungeduldig hinter meiner Zimmertür und er bollert ein weiteres Mal gegen meine Tür. »Scheiße, nicht so laut«, stöhne ich, als sich meine Kopfschmerzen zurückmelden. »Ich bin schon wach«, rufe ich, kämpfe mich von der Couch und stolpere auf meine Zimmertür zu. Warum Papa nicht einfach aufmacht, denke ich noch, als ich meine Zimmertür aufreiße und Papa anstarre, der neutral zu mir zurücksieht. »Du hast Besuch«, sagt er zur gleichen Zeit, wie ich jemanden entsetzt, hinter Papa, keuchen höre. »Schau, eigentlich dulden wir keinen Besuch, wenn du Hausarrest hast, aber weil es Uschi und Ralf sind und sie uns versichert haben, dass sie nicht so sind wie dein Paul und dir helfen wollen, machen wir eine Ausnahme. Sie dürfen das Gästezimmer haben. Reich ihnen bitte frische Bettwäsche«, bittet mich Papa und sieht mich mahnend an und berührt mich liebevoll an der Schulter, bevor er sich umdreht und die Stufen hinabsteigt. Erst jetzt erblicke ich Uschi und Ralf. »Guten Morgen«, grinse ich schwach und trete zur Seite, damit sie in mein Zimmer treten können. »Was habt ihr gemacht, dass ihr an Mama vorbei gekommen seit?«, frage ich, schließe die Tür und sehe die Beiden ernst an. »Ihr seid wirklich gekommen.« »Natürlich und es heißt guten Tag, schließlich ist bald Mittag«, erwidert Ralf muffelig und lässt sich unaufgefordert auf die Couch fallen. »Ignoriere ihn. Der ist nur müde«, lächelt Uschi schwach und sieht mich besorgt an. »Du siehst furchtbar aus.« »Es fühlt sich auch furchtbar an«, gestehe ich und Uschi nickt verstehend. »Zu deiner Frage, ich glaube deine Mutter lässt jeden zu dir hoch, der dir aus der Szene helfen will«, erklärt mir Uschi und klingt amüsiert, als sie auf mein Zimmerfenster zugeht und es öffnet. »Hier ist ein Mief drin. Pass auf, du gehst jetzt erst einmal Duschen, dann reden wir, während du etwas frühstückst.« Mit diesen Worten kommt Uschi auf mich zu und schiebt mich ins Badezimmer, ohne auf meine Widerworte zu hören. »Ich suche dir Klamotten raus und reiche sie dir gleich herein«, lächelt Uschi mich an und geht aus dem Badezimmer. Zögernd ziehe ich mich nach einigen Minuten doch aus, nachdem ich die Badezimmertür lange genug unschlüssig angesehen habe und versuche, es zu vermeiden, in den Spiegel zu sehen. Denn mein ganzer Körper ist ein einziger, blauer Fleck, der langsam violett wird. Kein schöner Anblick. In die Dusche zu klettern, ist ein wenig wie einen Berg zu erklimmen, weil es eben eine Badewanne ist und ich meine Beine höher heben muss, als ich sie heben will - kann. Meine Anstrengung wird belohnt, als warme Wasserstrahlen auf meine geschundene Haut treffen. Dabei fällt nicht nur der Schmutz von mir ab, sondern auch eine große Last, von der ich nicht wusste, dass sie auf meinen Schultern ruhte. Ich genieße das Duschen so sehr, dass ich nicht mitbekomme, wie mir Uschi frische Sachen ins Badezimmer legt. Die Euphorie, die ich beim Duschen verspürt habe, verebbt, als ich mich abtrockne. Es wird noch Tage dauern, bis ich den blöden Verband an meinem Kopf los bin und auch meinen Kopf endlich wieder waschen kann. Tumult bricht außerhalb des Badezimmers los, als ich gerade das T-Shirt über meinen Kopf ziehe. Kleidung anzuziehen ist dieser Tage verdammt mühsam. »Was ist denn hier los?«, rufe ich, als ich die Badezimmertür öffne und hinter mir wieder zuziehe. Uschi und Nina stehen nur wenige Schritte voneinander entfernt und starren sich wütend an. »Die da ist los«, knurrt Uschi und zeigt auf Nina. »Was macht die hier?« »Dasselbe wie du und Ralf. Was ist dein Problem?«, frage ich und lasse mich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch fallen, wo noch das Tablett mit dem Essen steht. Bevor Uschi etwas erwidern kann, öffnet Lari meine Zimmertür, tritt ein und hält Nina grinsend einen Block und Stift hin. »Bekomme ich das versprochene Autogramm?« Uschi rollt ihre Augen, als Nina nach Stift und Block greift. »Na klar«, grinst Nina und zwinkert. »Wenn du schon auf mich gewartet hast.« Ich sehe zu Uschi, blicke zu Nina und fragend zurück zu Uschi, die abwinkt und mir stumm bedeutet, dass sie mir das später erzählt. Meine Schwester lächelt Nina an und nimmt dankbar den Block mit dem Autogramm entgegen und drückt ihn fest an ihre Brust. »Zuerst war ich ja unsicher, ob du es bist und ob es überhaupt stimmt, was mir Romy erzählt hat, aber ich dachte, fragen schadet ja nicht. Dankeschön!« »Nicht dafür«, erwidert Nina und reicht Lari noch den Stift zurück. Meine Schwester dreht sich zum Gehen, blickt dann wieder zu mir und schaut mich bittend an. »Darf ich hierbleiben?« Ein bisschen überfordert nehme ich die imaginären Dolche zur Kenntnis, die zwischen Uschi und Nina hin und her fliegen und bin ein bisschen irritiert, weil Nina so gut zwischen gut gelaunt und angespannt wechseln kann. »Mach es dir bequem«, seufze ich und massiere meine Schläfe. »Du auch, Nina, bevor du und Uschi euch noch an die Gurgel springt.« Ich schaue zu Ralf und muss schmunzeln, weil er aus dem Fenster starrt und sich so gar nicht für Nina oder Lari interessiert. Ich nehme mein Smartphone vom Tisch, entsperre es und werfe es Uschi zu. »Falls du seine Nachricht lesen möchtest.« »Nachricht? Was für eine Nachricht?«, fragt Nina und sieht mich neugierig an und setzt sich auf mein Bett, wo es sich meine Schwester schon bequem gemacht hat. »Von Paul. Wem sonst«, knurrt Uschi, ließt den Text und reicht das Smartphone dann an Ralf, der ebenfalls ließt und mein Smartphone dann zu Nina wirft, die es auffängt und den Text ebenfalls ließt. »Ich habe im Übrigen einen anonymen Tipp an die Polizei rausgegeben, wegen des Türken. Hoffen wir, dass die noch rechtzeitig kamen und es ihm gut geht. Paul hat echt nicht mehr alle Tassen im Schrank.« Lari folgt unserem Gespräch mit großen Augen, als sie das ganze Ausmaß zu verstehen beginnt, in welches ich verstrickt bin, sagt aber nichts. Nina ist es, die vorschlägt, dass ich Paul bei der Polizei für seine Tat anzeige, nachdem ich erzählt habe, was genau mir widerfahren ist. Uschi, Ralf und Lari stimmen ihr zu, obwohl ich damit meine Familie, Freunde und Julis Familie gefährde. Als ich meine Besorgnis äußere, winkt Nina ab. »Ich schätze, wenn dieser Paul erst einmal weg vom Fenster ist, haben die Anderen keinen Anführer mehr und werden sich zerstreuen oder erst einmal einig darüber werden, wer das Steuer übernimmt. Von meinen Freunden weiß ich, dass die Rechten hier in der Stadt zwei Anführer haben. Einer davon sitzt im Knast und der Andere, wird sich wohl bald wieder dazu gesellen.« Uschi sieht mich an, Ralf ist es jedoch, der das Wort ergreift. »Perfektes Timing zum Aussteigen, wenn Paul wieder sicher verwahrt ist.« »Willst du denn, nein, wirst du denn aussteigen?«, fragt Lari leise und sieht mich neugierig an. Alle Blicke liegen nun auf mir. »Sonst wären wir nicht hier«, posaunt Nina gut gelaunt und ich schließe für einen Moment meine Augen, weil mein Kopf ihre Lautstärke nicht verträgt. Eine Anzeige soll also die Lösung sein? »Und was mache ich, so lange Paul auf freiem Fuß ist?«, frage ich, als ich meine Augen wieder öffne und sehe niemanden an. »Schauspielern? Eine reuige, treue, Ausländer hassende Kameradin spielen?« »Ja«, erklingt Ninas Stimme und die Anderen stimmen ihr murmelnd zu. Warum fragt eigentlich niemand, ob ich das überhaupt möchte? Allerdings fällt mir auf die Schnelle nichts Besseres ein. »Na ein Glück, dass ich Hausarrest habe«, murmle ich, denn nach Samstag habe ich kein gesteigertes Interesse, Paul noch einmal zu begegnen. Je länger wir in meinem Zimmer sitzen und Uschi und Nina reden, desto mehr nähern sich die Beiden an. Die letzten Minuten haben sie quasi die Gesprächsrunde allein mit Leben gefüllt. Ich würde noch immer gern wissen, was zwischen ihnen vorgefallen ist, dass sie sich zu Beginn nicht riechen konnten. Augen rollend wechsle ich ab und zu Blicke mit Ralf und Lari und muss mich irgendwann bemühen, nicht zu lachen, weil Ralf ständig irgendwelche Grimassen schneidet. Ein grobes Klopfen an meiner Zimmertür lässt mich erleichtert aufatmen. Als ich aufblicke, erkenne ich Papa, der im Türrahmen steht und uns seltsam mustert, als er Lari und Nina entdeckt. »Was soll diese Versammlung hier?« Ich erstarre bei dem Gedanken, was Papa wohl denken muss. Was meine Eltern von mir denken müssen. »Wir planen, Papa«, lächelt Lari ihn an und ich wünsche, sie würde ihre Klappe halten, als seine Augenbrauen fragend nach oben wandern. »Planen, wie Romy am besten aus dem rechten Sumpf aussteigen kann«, spricht Lari weiter und zitiert Ninas letzte Worte. Papa sieht überrascht von ihr zu mir und kommt in mein Zimmer. »Warum sprichst du nicht mit uns darüber, Romy?« Ich blicke von Papa auf meine Füße, weil ich seine traurigen Augen nicht aushalte. »Warum müssen wir uns diese Farce antun, die du da im Krankenhaus abgezogen hast, wenn du aus der Geschichte raus willst? Deine Mutter macht sich große Sorgen und hat ganz schlecht geschlafen.« »Ich«, beginne ich und hebe meinen Kopf um ihn anzusehen. »Ich wollte euch da nicht reinziehen, Papa. Die Leute sind echt gefährlich und wenn ich das wirklich durchziehe, sind alle die ich liebe in Gefahr«, flüstere ich und spüre, wie die Tränen über mein Gesicht rollen, bevor ich sie aufhalten kann. Papa zieht mich aus dem Stuhl und umarmt mich vorsichtig und lässt sich, nachdem ich mich beruhigt habe, unseren Plan erklären. Die Idee mit der Anzeige findet er so gut, dass er direkt sein Smartphone aus der Hemdtasche zieht und einen Termin bei der Polizei vereinbart. Trotz Hausarrest bekomme ich eine tägliche Wache zugeteilt. Mal sind es Uschi und Ralf, mal Lari und wenn Nina kann, dann auch sie. Wozu die Wache gut sein soll, habe ich zwar nicht verstanden, aber immerhin bin ich die Tage so nicht allein und muss mit etwas Glück nicht zu viel an Juli denken. Am meisten Schiss habe ich, wenn Mama, Papa und Lari außer Haus sind. Ich bin jedes Mal froh, wenn sie wieder zu Hause sind, obwohl ich eigentlich noch keine Angst haben müsste, da Paul ja noch nichts von meinen Ausstiegsplänen weiß. So sehr ich es nicht tun will, muss ich doch ständig an Juli denken. Ich überlege, ihr auf ihre Nachricht zu antworten, doch wenn ich dieses Schauspiel wirklich durchhalten will, darf ich das nicht tun. Generell macht mich der Gedanke fertig, wie scheiße ich mich die kommenden Wochen im Internat verhalten muss. Ich fühle mich, nachdem ich die Anzeige am Mittwoch aufgegeben habe nicht leichter, wie es mir von den Anderen versprochen wurde. Eher panischer, ängstlicher. Überall sehe ich Paul oder seine etwaigen Spione. Uschi und Ralf überreden mich, Schoppen zu gehen, nachdem sie meine Eltern belagert haben, die meinen Hausarrest tatsächlich für einen Tag aufgehoben haben. Weil ich Angst habe, fahren wir zum Schoppen nach Hamburg und verbringen dort einen wundervollen Donnerstag Nachmittag, auch wenn es die meiste Zeit regnet. Ich will gar nicht mehr nach Hause und Ralf muss mich in sein Auto tragen, damit ich mit nach Hause komme. Die Schmerzen sind auf ein erträgliches Level gefallen, auch wenn wir oft Pausen einlegen mussten, in Hamburg. Zu Hause erwarten uns, zu meiner Überraschung zwei Polizeibeamten, die mich, Uschi und Ralf mitnehmen, weil sie angeblich noch weitere Fragen an uns haben. Im Präsidium werden wir in einen großen, klinisch weißen Raum geführt, wo uns schon ein Mann erwartet. Er erklärt uns, dass er ein Beamter der Staatssicherheit ist und Paul schon länger im Visier seiner Behörde ist. Er fragt uns einige Sachen, von denen ich die Hälfte schon wieder vergessen habe, danach werden wir wieder zu mir nach Hause gefahren und sitzen bei einer Dose Pepsi, zu Dritt auf meiner Couch und lassen das Gespräch mit dem Mann Revue passieren. »Das war vielleicht seltsam«, kann ich nicht mehr länger an mich halten und nippe an meiner Pepsi. »Staatssicherheit«, murmelt Ralf nachdenklich. »Ich wusste gar nicht, dass es eine extra Abteilung für so etwas gibt«, wirft Uschi ein. »Nicht?«, verwundert sieht Ralf Uschi an. »Nach der NSU-Sache ist das doch kein Geheimnis mehr, wobei die Behörde an sich ja öffentlich ist und keine geheime Organisation.« Bevor Uschi etwas erwidern kann, klingelt mein Smartphone. Als ich lese, wer mich da anruft, werde ich panisch und spüre sofort das Zittern in meinen Händen. Hat er mich schon durchschaut oder etwas herausbekommen? »Uschi«, flüster ich und deute auf Pauls Namen auf meinem Display. »Geh ran«, drängen Uschi und Ralf mich und mit einem geflüstertem »Scheiße«, presse ich meine Daumenkuppe auf den grünen Hörer und rutsche dann zu dem Symbol, dass den Lautsprecher des Smartphones aktiviert. »Hallo meine Süße«, säuselt Pauls Stimme zuckersüß. Uschi verzieht ihr Gesicht und ich atme unruhig ein. »Wie geht es dir?« »Mir tut alles weh«, hauche ich und wir hören, wie er zufrieden mit seiner Zunge schnalzt und leise lacht. »Das war zu erwarten, Romy. Ich rufe an, weil morgen ein Treffen stattfindet und ich mich freuen würde, wenn du kommst. Hast du Zeit?« »Ich habe eine Unmenge an Zeit, nur leider Hausarrest«, seufze ich und spiele mit dem T-Shirt von Juli, welches vergessen auf der Couchlehne lag, bis ich es eben entdeckt habe. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, konnte ich mich nur noch nicht dazu durchringen, dass T-Shirt was nach ihr riecht, in die Wäsche zu stecken. »Ach komm, Süße. Schleiche dich raus, sobald alle schlafen.« Ralf schüttelt seinen Kopf und ich muss dem Drang widerstehen, das T-Shirt fest an mich zu drücken. »Sorry, mir wurden meine Schlüssel weggenommen und ich weiß nicht wie ich an die herankommen soll. Meine Eltern halten alle Türen und Fenster im Erdgeschoss verschlossen und in meinem Zustand kann ich nicht aus meinem Fenster klettern.« Ralf reckt seinen Daumen nach oben und nickt. Wir hören, wie Paul seufzt und ich lasse von dem T-Shirt ab und ergreife die Dose Pepsi, die ich mir zwischen die Beine geklemmt habe. »Hast du mich auf Lautsprecher?«, fragt er plötzlich. »Ja, sorry, es ist verdammt anstrengend, das Smartphone zu halten.« Eine schwache Ausrede, doch er scheint sie zu akzeptieren. »Wann ist dein Hausarrest vorbei? Wieso hast du ihn überhaupt erhalten?«, fragt Paul und klingt leicht angefressen, weil ich einmal nicht springe, wenn er sagt: Komm. »Im Krankenhaus«, beginne ich und versuche Wut in meiner Stimme mitschwingen zu lassen, »waren gefühlt nur Ausländer und weil ich die beleidigt habe und darauf bestand, von einem deutschen Arzt behandelt zu werden, haben mir meine Eltern Hausarrest verpasst. Die wissen jetzt von meiner Einstellung und wollen mit diesem Hausarrest sicherlich verhindern, dass ich euch treffen kann.« »Oh Mann. Tut mir leid, dass du so blöde Eltern hast, Romy. Mit denen bist du echt bestraft. Und nach der Woche Hausarrest?« »Paul das habe ich dir doch schon vor Wochen erzählt. Ich bin doch jetzt auf diesem doofen Internat«, erinnere ich Paul und wir hören ihn wiederholt seufzen. »Ich hätte dich gern getroffen, Süße.« Vermutlich, um mich flachzulegen, denke ich angewidert. Uschi bewegt ihre Hände und bedeutet mir, etwas zu sagen. »Tut mir leid«, erwidere ich und versuche traurig zu klingen. »Und die Wochenenden?«, versucht er es noch einmal. »Wir haben alle zwei Wochen ein Wochenende zu Hause«, erkläre ich und Paul stöhnt genervt auf. »Also gut, ich melde mich bei dir, Süße«, grummelt er und legt auf, bevor ich noch etwas sagen kann. »Dir auch noch einen schönen Tag«, murmle ich und schaue auf mein Smartphone hinab. »Gut gemacht«, lobt Ralf. Uschi nickt zustimmend und ich spüre, wie ich mich langsam beruhige und die Anspannung von mir abfällt. Erleichtert sacke ich gegen die Rückenlehne meiner Couch und trinke erst einmal einen großen Schluck Pepsi. »Ich denke, damit hast du dir erst einmal ein bisschen Ruhe verschafft. Im Internat wird er nicht an dich ran kommen, weil er noch nicht weiß, wo das Internat überhaupt liegt. Vielleicht solltest du dir auch überlegen, deine Heimwochenenden nicht hier zu verbringen. Wir könnten dich nach Bayern einladen.« »Eine gute Idee, Schatz«, lächelt Uschi. »Oder wir holen dich ab und fahren für zwei Tage irgendwohin«, schlägt sie vor und sieht von mir zu Ralf. »Das könnten wir ja eigentlich schon morgen machen. Quasi ein verlängertes Wochenende, bis du am Sonntag zurück ins Internat fährst. Wo würdest du hinwollen?« Gerührt von so viel Mühe, die sie sich wegen mir machen, kann ich Uschi nicht ansehen, als ich mich nicht für ihren Vorschlag erwärmen kann. »Eigentlich, würde ich mich die letzten Tage gerne mental auf meine Rolle vorbereiten, anstatt mit euch irgendwohin zu fahren. Es wird schwer, den Anderen etwas vorzuspielen, das man eigentlich nicht so meint«, erkläre ich und sehe Juli vor meinem inneren Auge. »Besonders«, beginne ich, breche aber mitten im Satz ab. »Besonders gegenüber dieser Juli wird es dir schwerfallen, deine Maske zu waren«, beendet Uschi meinen Satz wissend. Ich streite es nicht ab, weil es eine Tatsache ist, die unleugbar ist. Ich seufze vernehmlich, lege meinen Kopf in den Nacken und schließe meine Augen, sage aber nichts. »Was mache ich nur?«, frage ich nach einer Weile und erschrecke, als mir Ralf antwortet. »Das, was wir besprochen haben. Wenn sie wert auf deine Gesellschaft legt, wird sie sich um die bemühen und nicht so schnell aufgeben, nur weil du ein bisschen Scheiße bauen musst.« »Du hast ihre Nachricht gelesen«, stelle ich überrascht fest, bin ihm aber nicht böse, obwohl ich es sein sollte. »Was soll ich ihr antworten?« »Gar nichts«, erwidert er trocken. »Du machst das schon richtig so.« Frustriert öffne ich meine Augen und sehe Ralf an. »Ihr habt wenigstens euch, Ralf. Es ist furchtbar, zu wissen, dass man nicht erforschen darf, was man fühlt. Wie kannst du mir also so nüchtern sagen, dass ich widerstehen muss, wenn du weißt, dass ich noch nicht einmal weiß, was diese Gefühle in mir drin bedeuten?« Uschi ergreift meine Hand, in dem sie sich über Ralfs Schoß lehnt. »Gib nicht uns die Schuld, Romy. Gib sie Paul. Du weißt, wir wollen dir mit dem Plan nur helfen, inwieweit du ihn umsetzt, liegt an dir«, bringt Uschi die Sache erbarmungslos auf den Punkt. »Wenn der Plan scheitert, dann weil du deine Rolle zu schlecht gespielt hast oder Paul durch irgendetwas, dass wir nicht bedacht haben, Wind vom Plan bekommen hat.« »Ein ziemlicher Gefühlskiller, dieser Plan«, seufze ich schweren Herzens und starre Julis T-Shirt an. Am späten Samstagabend, nach einigen Runden Doppelkopf, die Papa uns abgerungen hat, fahren Ralf und Uschi im Schutz der Dunkelheit, zurück nach Bayern und ich erklimme allein die Treppen zu meinem Zimmer. Dort angekommen beginne ich, meine Sachen zu packen und speichere mir Ninas Handynummer ein, die sie mir dagelassen hat, als sie meine Schwester zum wiederholten Male besucht hat. Ich bin überrascht, wie gut sich die Beiden verstehen, obwohl Nina in meinem Alter ist. Aber was sind schon drei Jahre, denke ich und denke dabei an Uschi und Ralf, die ja auch älter sind. Ich lasse den Abend mit einem Bad ausklingen und bin froh, dass der Verband weg ist und die Fäden am Freitag gezogen wurden. Ich muss zwar aufpassen, dass ich vorerst nur mit klarem Wasser meine Kopfhaut wasche, aber selbst das ist besser, als dieses ständige Jucken. Meine blauen Flecken sind schön bunt und die geprellte Rippe wird jeden Tag besser. Was nicht besser wird sind die Schmerzen am Körper und im Kopf. Der Arzt, den ich am Freitag fürs Fäden ziehen gesehen habe, meint, die stetigen Kopfschmerzen würden noch von den Kopfwunden herrühren und würden mit der Zeit ebenfalls verschwinden. Ich fiebere dem Tag schon entgegen, an dem ich keine Kopfschmerzen mehr habe. Meine Schwester kommt mit zwei Tassen, heißem Kakao in mein Zimmer, als ich mich müde auf meine Couch hingelümmelt habe und lustlos durch das Fernsehprogramm zappe. Sie setzt sich neben mich und reicht mir eine Tasse und seufzt. »Morgen musst du wieder los. Wirst du wirklich von ihr Abstand halten?« »Ich muss«, erwidere ich und nippe an meinem Kakao, um nichts weiter dazu sagen zu müssen. »Danke dafür.« »Von Mama«, zwinkert Lari und grinst mich an, weil sie weiß, dass Mama und ich noch im Clinch liegen. Ich nehme es Mama übel, dass sie mich nicht ansehen kann und mich generell in der vergangenen Woche gemieden hat. Nach der Tasse Kakao schauen Lari und ich noch eine Weile fern, bis sie zu müde wird und in ihr Zimmer verschwindet. Weil ich nicht von Mama gefahren werden will, fährt mich dieses mal Papa. Als wir auf dem Parkplatz stehen, starre ich seufzend auf meine Stiefel hinab und wappne mich mental für meine Rolle. Papa drückt meine Schulter sanft. »Du schaffst das, Pfläumchen«, flüstert er mir zu, bevor er aussteigt und zum Kofferraum geht. Ich atme tief ein und steige ebenfalls aus. »Soll ich dir die Tasche auf dein Zimmer tragen?« »Danke, das geht schon«, murre ich und lasse mich von Papa umarmen. An ihn haftet der Geruch von zu Hause und am liebsten würde ich wieder einsteigen und mit ihm zurückfahren. »Halt die Ohren steif und melde dich bei uns, wenn etwas ist oder sich du weißt schon wer, hier blicken lassen hat.« Als ob sich Voldemort in ein deutsches Kaff verirrt, denke ich und muss grinsen, obwohl mir nicht danach ist. Ich sehe nicht zurück, als ich durch den großen Torbogen gehe und die Tür hinter mir ins Schloss fällt. Der Motor von Papas Auto erklingt, als ich in die mitfühlenden Augen der Ordensschwester blicke, die mich schon an meinem ersten Tag begrüßt hat und mich Sekunden zuvor schockiert angesehen hat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)