Zwischen Molotowcocktails und Shakespeare von Curupira ================================================================================ Kapitel 21: Kapitel 20. ----------------------- Knapp vor dem Abendessen erreichen wir das Internat und verabschieden uns flüchtig von Ralf und Uschi, die nun weiter nach Bayern fahren. Wir lassen unsere Taschen vor dem Speisesaal stehen, wo schon andere stehen und setzen uns an meinen Tisch, wo uns Rati und Uma schon erwarten. Wir sitzen noch keine zwei Minuten, da kommt auch schon Martha und komplettiert unsere illustre Runde. »Na? Ein schönes Wochenende gehabt?«, fragt Martha uns und grinst mich an, wird aber direkt ernst, als ich den Kopf schüttle. »Es ging«, erwidere ich leise und bedeute Martha mit einem Kopfschütteln, dass wir darüber nicht am Tisch sprechen sollten. Rati und Uma sehen mich nachdenklich an, sagen aber nichts dazu. »Und ihr so?«, frage ich und schaue in die Runde. »Hausaufgaben und für die kommende Arbeit in Englisch gelernt«, erzählt Rati mir. »Ein völlig unspektakuläres Wochenende also«, kommentiert Uma. »Meine Eltern haben mit mir einen Kurztrip an die Ostsee gemacht«, erzählt Martha. »War ziemlich kalt und windig, aber es hat sich dennoch gelohnt. Mein Vater hat meiner Mutter endlich einen Heiratsantrag gemacht.« Weil die Ordensschwestern vollzählig an ihrem Tisch sitzen, verstummen wir für das Tischgebet und reden danach, beim Essen leise weiter. Ich weiß nicht, ob ich alarmiert sein sollte, weil ich seltsam sicher fühle, auch wenn ich nicht sagen kann, was der Faktor ist, der mich so fühlen lässt. Vielleicht weil, als wir hier her gefahren sind, uns kein Auto aufgefallen ist, dass uns eventuell folgt. Vielleicht, liegt es aber auch an den Ordensschwestern, die so eine Besonnenheit und Ruhe ausstrahlen, dass ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass diese Ruhe erschüttert werden könnte. Nach dem Essen und dem Abendgebet suchen wir, nachdem ich Juli überredet habe, Frau Kramer in ihrem Büro auf. »Guten Abend, welch seltener Besuch. Romy du überrascht mich. Was verschafft mir die Ehre eures Besuchs?« Wir erklären unser Anliegen sachlich und Frau Kramer nickt, schließlich, nach einigen Sekunden. »Sofern die Schule nicht darunter leidet, könnt ihr zusammen auf ein Zimmer ziehen. Romy ich freue mich, dass du endlich Freunde gefunden hast.« Wir bedanken uns, dass sie es uns gestattet und dürfen den Umzug sogar heute noch über die Bühne bringen, wenn wir es schaffen, dabei nicht allzu viel Lärm zu verursachen. Erfreut sehen wir uns gegenseitig an und wünschen Frau Kramer noch einen schönen Abend, bevor wir in mein Zimmer gehen, wo Juli schon längst die meisten ihrer Sachen gebunkert hat, da wir schon vor dem Wochenende darüber gesprochen hatten. Bevor wir uns auch nur küssen können, klopft es an der Zimmertür und Juli lässt Martha ein, die sich lächelnd auf Julis Bett setzt. »Ihr habt Frau Kramer also gefragt?« Juli nickt und setzt sich neben mich auf mein Bett. »Das ist super. Worüber wolltet ihr beim Abendessen nicht reden?« Wir erzählen Martha in wenigen Worten, was zu Hause geschehen ist und sie schaut uns besorgt an. »Hoffentlich passiert euren Leuten nichts, während ihr hier seid. Denkt ihr wirklich, dass euch niemand gefolgt ist?« »Wir wissen es nicht sicher, aber wir hoffen es«, seufzt Juli und drückt meine Hand. Ich sehe Martha ernst an. »Am besten gehen wir alle in Grüppchen heim. Ich will nicht, dass jemand aus unserem Internat wegen mir angegriffen und verletzt wird.« Martha geht kurz vor Mitternacht in ihr Zimmer und Juli und ich schlafen in unseren Klamotten, in meinem Bett, kuschelnd, ein und erwachen am nächsten Morgen von meinem Wecker, der kurz nach Fünf läutet. Juli dreht sich grummelnd noch einmal um, ich stehe auf, schlüpfe in meine Laufsachen und freue mich, wieder laufen zu gehen. Ich warte im Gang auf Martha, damit Juli noch ein bisschen schlafen kann und nicht von Marthas Klopfen gestört wird. Martha taucht kurz nach halb Sechs auf und gemeinsam laufen wir unsere übliche Runde. Kurz vor dem Ziel fasst Martha mich am Arm und hält mich zurück. »Was?«, frage ich und folge ihrer Hand, die sie stumm gehoben hat und nach vorne, zum Waldrand deutet. Ich zucke erschrocken zusammen, als ich Paul erkenne, der zwischen zwei Bäumen steht und zu uns starrt. »Scheiße«, stoße ich aus und balle meine Hände zu Fäusten. Automatisch bewegen sich meine Füße auf den Waldrand zu, Martha will mich zurückhalten, doch ich schüttle sie ab und zische ihr zu, ins Wohnheim zu eilen und Hilfe zu holen. Als ich keuchend, zwei Meter vor ihm, zum stehen komme, starren wir uns gegenseitig an. »Machst du es, oder muss ich?«, fragt er mich rau und geht einen Schritt auf mich zu. »Was machen?«, frage ich und gehe einen Schritt zurück. Er wirft mir einen kleinen Koffer zu, den ich auffange. »Verräter werden seit jeher exekutiert. Das weißt du doch.« Ja, da hat er recht. Das weiß ich. Mein Magen verkrampft sich, als ich den Koffer öffne. Darin liegt eine kleine Pistole. Ich nehme die Waffe heraus und werfe ihm den Koffer zurück. »Was hält mich auf, die auf dich abzufeuern?«, frage ich ihn und er grinst mich an. »Nichts. Mach es, wenn es das ist, was du willst. Vielleicht solltest du mir aber vorher zuhören, was ich dir zu sagen habe, hm?« Jede Möglichkeit, ihn hinzuhalten, ist mir recht. Hoffentlich rufen Martha und Juli die Polizei. Er tritt noch einen Schritt aus dem Waldrand heraus und lässt den Koffer achtlos fallen. »Solltest du mich erschießen, wirst du bald bemerken, dass man mich gerecht hat, indem man deine Familie und die Familie von dieser Schlampe getötet hat.« Ich glaube ihm kein Wort, keiner der anderen würde sich das trauen. »Ah, du denkst, dass niemand unserer Kameraden das drauf hat. Da gebe ich dir recht, aber ich kenne Leute in der Szene, die das definitiv drauf haben. Würde mich an deiner Stelle also nicht in Sicherheit wiegen.« »Du bluffst«, knurre ich, merke aber, wie unsicher ich mir bin. »Also soll ich mich selber abknallen, damit du dir deine Hände nicht noch dreckiger machen musst?« »Ganz genau. Ich wusste doch, dass du da schnell drauf kommst, Süße. Weißt du, dass ich dich echt gemocht habe? Du hattest so viel Potenzial. Wieso musstest du so vom Weg abkommen?« »Ich«, setzte ich an. »Ich habe mich verliebt. Paul, was kann ich dafür, dass ich sie liebe?«, frage ich ihn und überprüfe, wie viel Schuss geladen sind. Das hat mir Paul einmal in der Vergangenheit an derselben Waffe gezeigt. Ich zähle vier Schuss, keiner im Lauf. Eine Kugel für mich, was tut er mit den anderen drei? Was tue ich mit ihnen? »Romy, Homosexualität ist eine Krankheit. Du hättest dich in eine Therapie begeben können und regelmäßiger an unseren Treffen teilnehmen können. Wir hätten sogar Treffen hier in der Nähe abhalten können, wenn du das gewollt hättest. Aber nein, du flüchtest dich lieber in die Arme dieses Stück Scheiße und vergisst deine Kameraden, die für dich da waren, als du von Kanaken zusammengeschlagen wurdest.« »Bleib da, wo du bist«, zische ich, als er einen weiteren Schritt auf mich zugeht. Ich entsichere die Waffe und ziehe den Schlitten zurück. Eine Kugel im Lauf, drei im Magazin. Er grinst mich an und bleibt stehen, als ich auf ihn ziele. »Hast du noch eine Waffe?«, frage ich und er schüttelt seinen Kopf. »Was hast du mit den übrigen drei Schüssen vor?« »Wie kommst du darauf, dass ich damit etwas vor habe?«, fragt er süffisant zurück. Ich gehe einen weiteren Schritt zurück und straffe mich. Vielleicht würde weglaufen funktionieren? »Wenn dich erschießen, keine Option ist, was wenn ich dich hinhalte, bis die Bullen hier eintreffen?«, verwickle ich ihn in ein Gespräch und gehe einen weiteren Schritt rückwärts. Ich war in den letzten Wochen echt schnell geworden, vielleicht könnte ich es wirklich schaffen. »Da würde ich nicht drauf hoffen«, lacht Paul leise und sieht zu einem Punkt weit hinter mir. »Dreh dich ruhig um und schau was ich meine, ich tue dir nichts.« Ich blicke über meine Schulter und erstarre, als ich sehe, wie ein Typ, den ich nicht kenne, Martha fest umschlossen hält. Eine Kugel für Paul, eine für den Typen? Oder doch weglaufen und selber versuchen, Hilfe zu holen? »Eine ziemlich ausweglose Lage, hm?«, erklingt Pauls Stimme ganz nah an meinem Ohr und ich zucke erschrocken zurück. Beinahe hätte ich abgedrückt und Paul die Brust durchlöchert. »Scheiße«, fluche ich und gehe drei Schritte zurück. »Bleib, wo du bist.« Als Paul einen weiteren Schritt auf mich zugeht, ziele ich an ihn vorbei und schieße in den Wald hinein und hoffe, niemanden getroffen zu haben. Sofort ziehe ich den Schlitten wieder zurück und habe nun Kugel Nummer Zwei im Lauf. Zwei weitere im Magazin. Paul bleibt tatsächlich stehen und sieht mich seltsam stolz an. »Ich hätte nicht gedacht, dass du die Eier hättest, eine Kugel abzufeuern. Aber damals mit dem Dönermann hast du ja auch bewiesen, dass du es kannst, nicht wahr?« Paul schiebt seine Hände in die Hosentaschen und schaut an mir vorbei und nickt seinem Kumpanen zu, der mit einer geknebelten Martha auf uns zukommt und sich neben Paul stellt. »Ist er bewaffnet?« »Nein. Keine Sorge, du bist die Einzige mit einer Waffe, im Moment«, grinst er mich an. Im Moment? Ich wechsle einen stummen Blick mit Martha, die mir bedeutet zu fliehen, immerhin denke ich, dass sie das meint mit ihren raschen Augenbewegungen und dem Kopfzucken. Bevor Paul etwas sagen oder sein Kumpan reagieren kann, sprinte ich mit der Waffe in der Hand los und bete, dass mich niemand mit der Waffe sieht. Im Lauf hole ich die Patrone aus dem Lauf, ohne sie abzufeuern und stecke sie ins Magazin zurück - das hat mir Paul auch einmal gezeigt und ich bin erstaunt, dass ich es fehlerfrei hinbekommen habe. Ich verberge die Waffe an meinem Rücken, wo ich sie mir wie ein Möchtegern-Gangster in den Hosenbund schiebe. Ich erreiche in gefühlter Rekordzeit das Büro von Schwester Norika und stürme atemlos hinein. »Bitte rufen Sie die Polizei!«, schnappe ich atemlos. »Setzen Sie sich doch erst einmal«, fordert Schwester Norika mich auf, doch ich schüttel nur meinen Kopf. »Nein, keine Zeit. Bitte rufen Sie die Polizei. Martha ist ihm in die Hände gefallen.« Bevor sie noch etwas sagen kann, stürme ich wieder aus dem Büro und die Stufen zu meinem Zimmer empor. Natürlich ist Juli nicht mehr da. Scheiße! Ich durchkämme die Badezimmer und ihr altes Zimmer. Nichts. Unten beim Morgengebet finde ich sie auch nicht, weshalb ich wieder aus dem Internat eile, wo mir ein schmunzelnder Paul gegenübersteht. »Na, deine Liebste nicht gefunden?«, fragt er mich und schnippt dann mit den Fingern. Sofort tauchen hinter seinem Rücken zwei Kerle auf. Den einen kenne ich. Der hält Martha fest. Der andere ist mir völlig unbekannt und halt zu meinem Schrecken Juli fest in seinen Händen. Wie war ihnen das gelungen? »Also, wie schaut es aus, tust du es selbst, oder muss ich es übernehmen?« Ich zerre die Waffe hinter meinem Rücken hervor und ziele zittrig auf Paul, nachdem ich eine Patrone in den Lauf befördert habe. »Wie hast du das geschafft?«, frage ich Paul und nicke zu Juli und sehe dann zu Martha, die ein bisschen mitgenommen aussieht. »Meine Freunde hier«, er nickt seinen beiden Muskelpaketen zu. »Haben euch beschattet und deine Schlampe hier, kurz nachdem du mit der da«, er deutet auf Martha, »laufen gegangen bist, aus deinem Zimmer geholt. Danke, dass ihr euch entschieden habt, ein Zimmer zu teilen. Was ist, wirst du dich nun langsam entscheiden, wem du die erste Kugel in den Kopf jagst?« »Wirst du ihnen etwas tun, wenn ich tue, was du willst?«, frage ich Paul und deutete mit dem Pistolenlauf auf Martha und Juli, bevor ich ihn wieder auf Paul richte. Dieser sieht mich ernst an, bevor er abermals mit seinen Fingern schnippt und die beiden Typen Martha und Juli loslassen. »Lauft«, zischt er grinsen und deutet hinter mich auf das Internat. Martha packt Juli am Arm und zieht sie hinter sich her, obwohl sie an meiner Seite bleiben will. Plötzlich geht alles ganz schnell, einer von Pauls Begleitern zieht eine Waffe und zielt damit auf Julis Rücken und drückt ab. Bisher dachte ich immer, dass es Blödsinn ist, wenn man mir von Zeitlupe erzählt, dass es nur in Filmen vorkommt, doch als ich mich schützend vor Juli werfe und die erste Kugel auf den Schützen abfeuere und ihn durch die Schulter schieße, nachlade und Paul in den Oberkörper schieße und ein drittes Mal nachlade und auch den letzten Typen immerhin am Bein erwische, glaube ich an eine Verlangsamung der Zeit. Als ich auf dem Boden aufkomme, spüre ich einen starken Schmerz und lasse die Waffe in meiner Hand achtlos fallen, als ich mir an den Bauch greife und mich keuchend krümme. Und plötzlich ist es so, als ob jemand den Stöpsel aus der Badewanne gezogen hat und alles in doppelter Geschwindigkeit passiert. Ich höre mich schreien, das bin doch ich? Fühle den unbeschreiblichen Schmerz an meinem Bauch und sehe das Blut an meinen Händen. Durch einen Schleier des Schmerzes sehe ich, wie Paul und einer der Typen ähnlich wie ich auf dem Boden liegen. Als mein Blick auf den dritten Typen fällt, der zu der Waffe seines Kumpels robbt, spüre ich eine ungeahnte Kraft in mir, die mich über den Boden robben lässt und die Waffe vor dem Typen erreichen lässt. Ich ziehe den Schlitten zurück und feuere auf ihn, verfehle ihn aber. Ich schleudere die Waffe weit weg und starre hinauf in den wolkenlosen Himmel, höre die Polizeisirene und sehe ein letztes Mal Julis Gesicht, bevor ich meine Augen schließe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)