Voiceless von Midnight (The words I have to tell you) ================================================================================ Kapitel 3: Aller Anfang ist schwer ---------------------------------- Sonntagmorgen. Diesmal wache nicht auf dem unbequemen Sofa auf und mein Nacken ist verschont geblieben. Dafür habe das Gefühl, das mein Arm bald abstirbt, auf dem Kat die ganze Nacht gelegen haben muss. Ich ziehe ihn vorsichtig unter ihrem Kopf hervor. Angewidert verziehe ich das Gesicht, da er ziemlich unangenehm kribbelt. Mein tonloses Fluchen macht es auch nicht besser. Kat murmelt irgendein unverständliches Zeug und kuschelt sich direkt wieder an mich, als ich mich nur einen Zentimeter zu viel von ihr entferne. "Joe...ich beschütze dich!", brabbelt sie und lächelt selig vor sich hin. Süß ist sie ja. Ich muss lächeln und wuschle ihr durch die Haare und ernte ein leises Murren. Ich grinse schelmisch. Sie hat es ja noch nie gemocht, wenn man ihre Frisur zerstört, aber dass sie sogar im Schlaf noch murrt, ist immer wieder lustig. Tonlos flüstere ich ihr ins Ohr. Kat, aufwachen, Schlafmütze. "Hmm....", murmelt sie müde und drückt sich weiter an mich. An ihrem freien Tag braucht sie immer etwas, bis sie so richtig wach ist. Kein Wunder, wenn man sechs Tage die Woche arbeitet. Sie reibt sich die Augen, die noch voller Schlaf sind und kommt so langsam zu sich. "Du bist ja schon wach...ich hab Hunger, lass uns frühstücken.", sagt sie noch im Halbschlaf, kann sich aber so nach und nach von mir lösen und torkelt zur Tür. Ich folge ihr in die Küche, in der die Lebensmittel bereits weggeräumt sind. Stimmt ja. Darum habe ich mich gar nicht mehr gekümmert, aber Lara scheint ja ganze Arbeit geleistet zu haben. Alles ist ordentlich in den Schränken und im Kühlschrank einsortiert. Kat holt eine Verpackung mit aufbackbaren Brötchen raus und schiebt sie in den Ofen. Während ich den Tisch decke scheucht sie ihre Mitbewohnerin aus dem Bett, die von ihrem nächtlichen Ausflug noch ganz schön verkatert ist, und ich muss zugeben, dass ich ihr das nur zu sehr gönne. So wie sie aussieht scheint sie meine Schadenfreude zu riechen. "Kat, was macht der immer noch hier? Sollte er nicht langsam mal wieder nach Hause?", meckert sie. Kat winkt ab. "Jetzt meckere nicht so viel, sondern iss, sonst wird dir noch schlecht...", kontert sie zurück. "Außerdem ist er mein Gast, das weißt du doch." "Von wegen Gast, du meinst wohl Wohnungsbesetzer!" Pah! Unverschämtheit! Angesäuert verziehe ich das Gesicht . Lara lächelt schadenfroh. "Was denn? Ist doch wahr. Du nistest dich hier ein wie ein Parasit.", schimpft sie auf mich ein. "Lara! Jetzt hör schon auf! Joe hat dir nichts getan!", verteidigt mich meine beste Freundin. Die Angesprochene verschränkt die Arme vor der Brust und bläst demonstrativ die Wangen auf. Wäre sie eine Kreatur aus Kats geliebten Nimmerland, würde sie wohl anfangen zu schweben oder so...Ihr Wortschatz scheint allerdings aufgebraucht, denn so wie es aussieht, findet sie keine Worte mehr um ihrer Missgunst mir gegenüber Ausdruck zu verleihen. Jedenfalls kaut sie nun schweigend an ihrem Brot und beachtet mich keines Blickes mehr. Was für eine Wohltat. Das weitere Frühstück verläuft weitestgehend schweigend. Beim Aufräumen hilft Miss Oberzicke sogar mit und verzieht sich dann schleunigst wieder in ihr Zimmer, an dessen Zimmertüre mittlerweile sogar dieses sehr entzückende Türschild hängt. "Kein Zutritt für Wohnungsbesetzter" steht da. Meiner Einschätzung nach, soll das wohl eine Beleidigung sein. Das tangiert mich allerdings kein Stück, da ich nicht das geringste Bedürfnis verspüre ihr Zimmer zu betreten. " Oh man, was hat sie nur für ein Problem?", seufzt Kat. Wie so oft ist sie am Ende ihres Lateins. Alles was ich tun kann ist Ahnungslos mit den Schultern zu zucken. Wie so oft. Erst am späten Abend verlasse ich schweren Herzens das Mehrfamilienhaus in dem Kat wohnt. Sie hat mir zwar angeboten noch bis morgen früh zu bleiben, aber ich habe abgelehnt. Lara war kurz vorm Durchdrehen, als sie von ihren Vorschlag hörte und das Gezicke wollte ich uns beiden nicht antun. Erschwerend hinzu kommt noch, dass ich nicht alle benötigten Schulutensilien mitführe, die ich für den kommenden Schultag benötige. Eilig habe ich es dennoch nicht nach Hause zu kommen. Denn der Mann, der sich mein "Stiefvater" schimpft, wartet sicher nur auf eine Gelegenheit mich runter zu putzen...Von wegen wo ich das ganze Wochenende war und was ich getrieben habe. Als ob den das was anginge. Gar nichts und daher habe ich es auch nicht für nötig gehalten ihm oder meiner Mutter etwas von meinem kleinen Wochenendausflug zu erzählen. Es wird wirklich Zeit das ich 18 werde! Dann könnte ich ohne Probleme ausziehen und würde mich für eine Ausbildung bewerben, oder mir einen Job suchen, ohne mit meinen Eltern in Konflikt zu kommen, oder die Zustimmung meiner Eltern einklagen zu müssen...Ja, zumindest würde ich mir genau das vorstellen...mein einziges und wohl auch größtes Hindernis...meine nicht vorhandene Stimme...Ich habe einen guten Realschulabschluss gemacht, aber keine Idee was ich damit anfangen soll. Wer stellt schon jemanden ein, der sich nicht richtig artikulieren kann? Das Einzige was mir bisher eingefallen ist, ist ein Bürojob in dem ich keinen direkten Kundenkontakt pflege...und dann sind da noch meine "Eltern", die unbedingt wollen, dass ich noch Abitur mache. Und so lange ich meine Füße unter deren Tisch stelle...wird mir nichts anderes übrig bleiben. Außerdem traut mir keiner von denen wirklich etwas zu, wegen meines Handicaps. Dabei ist außer meiner Stimme, alles intakt...verrückte Welt. Nun irre ich schon über eine Stunde durch den Park, absichtlich langsam. Nein schleichend. Das trifft es wohl eher. Ich will nicht nach Hause, aber hier bleiben kann ich auch nicht. Nachts wird es zu kalt und ich muss doch zur Schule. Einfach schwänzen geht nicht. Dann müsste ich meine Mutter um eine Entschuldigung anbetteln, da ich ja noch nicht so ganz 18 bin und mein Stiefvater würde mir dafür bestimmt auch liebend gern eine verpassen. Minderjährig zu sein hat echt Nachteile. "Hey du, was machst du so spät noch hier? Musst du nicht morgen in die Schule?", spricht mich eine männliche Stimme von der Seite an. Als ich meinen Kopf in die entsprechende Richtung drehe, erkenne ich den jungen Mann sofort! Es ist der unverschämte Kerl, der mich erst als sein Date titulierte und dann unter mysteriösen Umständen auch noch mit Kat befreundet zu sein scheint. Das ist irgendwie mehr als fragwürdig. Ich sehe ihn nur fragend und auch ein wenig misstrauisch an. Es ist wohl so etwas wie sein Hobby mir irgendwo auf zu lauern. "Was denn? Bin ich so wenig vertrauenswürdig?", will er wissen. Ich ziehe eine Augenbraue nach oben, verschränke die Arme vor der Brust. Cole seufzt. "Okay Joe,...unser Start war vielleicht nicht unbedingt der Beste...", meint er plötzlich. Nicht der Beste Start? Na hör mal! Du hast behauptet wir hätten ein Date und würdest dich schon auf all die Unanständigen Dinge freuen, die wir so treiben! Verärgert verziehe ich meine Mundwinkel. Dann wende ich mich von ihm ab und gehe einfach weiter. Er hält es aber scheinbar für abwegig mich einfach gehen zu lassen und folgt mir einfach. Ich muss schon sagen: Zurückhaltung ist nicht gerade seine Stärke, Aufdringlichkeit liegt ihm wohl eher. "Man Joe wie kann man nur so stur sein? Jetzt bleib doch mal stehen! Ich rede mit dir! ", er packt mich an der Schulter. Das kam unerwartet. So unerwartet, das ich erschrecke und ihn zurück stoße. Kaum stoppt er, sieht er mich erst entrüstet, dann grinsend an. Was bitte ist so lustig? Fragend und auch verärgert sehe ich ihn an. "Du bist ganz schön schreckhaft, das ist irgendwie süß.", meint er schelmisch, grinst mir dabei direkt ins Gesicht. Will der mich verarschen?! Der soll mich verdammt noch mal in Ruhe lassen! Wenn ich nur so könnte wie ich will, würde ich ihm so richtig meine Meinung geigen! Ja! So richtig! Klar bin ich der Zeichensprache mächtig, aber irgendwie ist das nicht so effektiv wie ausgesprochene Worte habe ich das Gefühl. Außerdem kann er sie sicher nicht verstehen. Menschen die sich nicht richtig mit ihrer Stimme artikulieren können, werden oft nicht ernst genommen. Es reicht schon wenn man stottert. Dennoch würde ich in meiner Situation wohl so einiges geben, um stottern zu können...Stottern ist in den meisten Fällen therapierbar...mein Problem aber ist nicht dazu gemacht, es so simpel lösen zu können, da nichts geholfen hat. Das ist frustrierend, aber nicht zu ändern. In meine Gedanken vertieft streiche ich mir über meinen Hals, in Höhe meines Kehlkopfes. "Du bist bestimmt frustriert, weil du nicht sagen kannst was dich bewegt oder?" Überrascht sehe ich auf zu ihm auf. Der Typ ist wirklich gruselig. Aber egal wie sehr ich mein Gesicht auch verziehe, er grinst einfach vor sich hin, als könnte ihn kein Wässerchen trüben. Als sei ihm das total egal. Und er sagt Dinge, die sonst nur meiner besten Freundin auffallen. "Da, dein Gesicht sagt alles. Du hast genau darüber nachgedacht oder? Dein Gesicht ist so aussagekräftig, dass du...gar keine Stimme brauchst, um auszudrücken was du fühlst.", meint er und sieht keineswegs so aus, als ob er mich verschaukeln wolle, wie anfangs gedacht. Vielleicht täuscht das auch nur aber... Diese Worte bringen mein Herz leicht außer Takt...und ich glaube...wenn ich nicht aufpasse werde ich wieder rot...oh nein! Und wenn schon! Ich kann ihn trotzdem nicht ausstehen! Er soll mich in Ruhe lassen. Jawohl! Alles andere würde nur in Schwierigkeiten enden! Mein Stiefvater wird mir das Leben noch mehr zur Hölle machen, wenn er auch nur eine Ahnung bekommt, das ich wieder etwas mit nem Typen haben könnte. Abwehrend verkreuze ich die Arme vor der Brust und schüttle den Kopf. Meine Lippen formen tonlos einen Satz. Lass mich einfach in Ruhe! Dann wende ich mich erneut von ihm ab, in der Hoffnung, ihn endlich abschütteln zu können. Versuchen kann man es ja mal. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als meinen Umweg zu beenden und nach Hause zu gehen, sonst werde ich ihn wohl nie los! Und es ist echt schon spät. Hoffentlich schlafen meine "Eltern" schon. Allerdings würde ich meiner Mutter zutrauen, dass sie vor lauter Sorge, die ganze Nacht auf mich wartet, nur um mir dann eine Standpauke zu geben. Damit würde sie meinen Stiefvater wecken, was wiederum zur endgültigen Eskalation führen würde. Ein Teufelskreis. Im Endeffekt ist es egal was ich tue, es ist immer falsch. Wenn es nach meinen Eltern ginge, würde ich das ganze Wochenende zu Hause bleiben und hinter meinen Schulsachen sitzen, damit ich mir meine "Homosexualität", besser aus dem Kopf schlagen kann. Ausgehen...verboten. Wie schon gesagt, sie bringen es sogar fertig mich in mein Zimmer einzusperren. Sie nehmen mich einfach nicht ernst. Wenn ich nach Hause komme...gibt das wieder Stress. Nach dem ich mich noch einige Male, wie ein paranoider Idiot, nach meinem Verfolger umgesehen habe und mir sicher bin, das er mir nicht mehr folgt, schalte ich das erste Mal seit Freitag mein Handy wieder an. Oh man, ich will nicht nach Hause...20 SMS von Mama in denen sie mir mit Sicherheit immer wieder ihre Sorgen und ihre Enttäuschung mit teilt. Mürrisch verziehe ich das Gesicht. Ich ahne schon was mir blüht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)