Voiceless von Midnight (The words I have to tell you) ================================================================================ Kapitel 15: Ungeplante Begegnung -------------------------------- Jetzt tritt die berühmte Stille ein. Immer dann, wenn die anfängliche Aufregung vorbei ist. Ich sehe mich um und seufze. Zunächst vertreibe ich mir meine Zeit damit seine Wohnung zu durchstöbern. Er hat eine beeindruckende BD-Sammlung und zahlreiche Fantasybücher. Scheint eine Leseratte und ein Filmfan zu sein. Im Gegensatz zu dem Rest der Wohnung sind diese alle ordentlich aufgereiht. Das sind sicher seine Schätze. Später gehe ich ins Schlafzimmer, wo meine Tasche steht. Ich überlege, ob ich meine Sachen wirklich schon einräumen soll. Immerhin weiß ich ja nicht mal wie lange ich hier bleiben werde. Ob ich überhaupt eines Tages ein „Zuhause“ haben werde. Am Ende lasse ich die Sachen in der Tasche. Schließlich gehe ich zurück ins Wohnzimmer und beschließe meiner Besten eine Nachricht zu schreiben. Hey, ich bin angekommen. Timo ist jetzt zur Arbeit. Er scheint ganz nett zu sein. Hat Lara sich beruhigt?-schreibe ich ihr. Kurze Zeit später kommt ihre Antwort. Okay, ich hoffe er behandelt dich auch weiter gut! Sonst kriegt er es mit mir zu tun! Lara ist immer noch beleidigt, aber scheint etwas runtergefahren zu haben. Melde dich auf jeden Fall wieder, wenn du was neues weißt! Ich hab dich lieb! Ich muss grinsen. Kat wieder. Sie ist echt die Beste. Ja, das mache ich. Ich hab dich auch lieb. Ich durchstöbere noch einmal meine Nachrichten. Außer Kat und Cole schreibt mir echt niemand. Wer sollte mir auch schreiben? Außer den Beiden gibt es da nicht wirklich jemanden. Aus der Zeit bevor ich meine Stimme verloren habe, ist niemand außer Kat geblieben. Alle anderen haben den Kontakt abgebrochen. Und außer meiner Mutter und wenn man vom Teufel spricht…kommt tatsächlich eine Nachricht herein. Es ist wirklich…meine Mutter. Joe! Dein Vater hat mir erzählt, dass er dir begegnet ist und das du weggerannt bist, als er dich wieder mit nach Hause nehmen wollte. Wieso kommst du nicht zurück!? Ich mache mir solche Sorgen um dich! Angewidert rümpfe ich die Nase. Da haben wir es wieder! Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Pseudovater ihr nicht erzählt hat, das er mich beleidigt und hinter mir her geschrien hat, und schon mal gleich gar nicht, das er mich mal wieder geschlagen hat. Am Ende würde meine Mutter mir auch noch die Schuld geben. Davon bin ich überzeugt. Ich habe nicht vor ihr zu antworten. Außerdem, warum schreibt sie mir erst jetzt, warum nicht schon viel eher? Wenn sie sich solche Sorgen um mich gemacht hat, dann wäre das, das Mindeste. Kann man das noch Mutterliebe nennen? Wohl kaum. So wie es aussieht haben sie noch nicht mal eine polizeiliche Vermisstenanzeige gestartet. Mich wundert es nicht, denn wenn sie das täten würde am Ende ja noch heraus kommen, was für Rabeneltern sie sind. Ich habe gar nicht wirklich Zeit mich noch weiter darüber aufzuregen, denn auf einmal klingelt es an der Haustür. Ich schrecke zusammen. Ob ich sie öffnen soll? Es könnte sein, dass Timo das nicht recht ist. Zudem weiß ich nicht, wer hinter der Tür sein könnte. Ich entschließe mich erst einmal durch den Spion zu schauen. Vorsichtig schiebe ich die kleine, runde Sichtverdeckung zur Seite, schaue hindurch und erstarre. Wie kann das sein? Nein, warum ausgerechnet jetzt? Ich wusste ja, dass er hier wohnt, aber dass er gleich hier klingeln würde, damit habe ich nicht gerechnet. Auch wenn klar ist, dass sie sich natürlich kennen könnten…so unter Nachbarn. Trotzdem ist es eine Überraschung. „Timo? Bist du da? Deine Post ist wieder in meinem Briefkasten gelandet.“, höre ich diese Stimme, die ich wohl nie vergessen werde. Nein, er ist nicht da, aber ich…ich bin doch da und da ist nur diese Tür, die uns noch trennt. Meine Lippen beben und wollen seinen Namen rufen. Cole!-rufen sie. Es ist nur eine Art lautloses Flüstern zu hören. Durch den Spion sehe ich wie er seufzt und etwas vor sich hin murmelt. Noch hadere ich mit mir. Er ist schon dabei sich umzudrehen. Nein! Auf einmal spüre ich mein Herz, wie es anfängt wie wild zu hämmern. Es will mir etwas sagen. Tu es endlich!- ruft es mir zu und dann öffne ich die Tür. Wie vom Geistesblitz getroffen, dreht er sich zu mir um und starrt mich an. „Joe!?“, er sieht verwirrt aus. Das ist wenig verwunderlich. An seiner Stelle wäre ich es auch. „Was machst du hier? Besuchst du Timo? Ich wusste gar nicht, dass ihr euch kennt.“, will er wissen. Oh man, so viele Fragen auf einmal. Wie soll ich das beantworten? Ich deute ihm an einen Augenblick zu warten und hole meine Tafel. Ich schreibe etwas und zeige es ihm. Timo hilft mir bei dem Problem mit meinen Eltern. Solange bleibe ich erstmal hier, weil Lara wieder ausgerastet ist.- Ok das beschreibt nicht ganz die Problematik…eher so grob, aber auf die Tafel passt nicht so viel. „Was? Lara ist ausgerastet? Oh..“, er streckt seine Hand nach meinem Gesicht aus und streicht vorsichtig mit seinem Daumen über meine Verletzung an der Lippe. Oh…Die Stelle kribbelt. Nicht rot werden, bloß nicht rot werden!, „Hat…sie…“, eilig schüttle ich den Kopf. Nein, nein sie wars nicht. Dabei löst er seine Berührung. Ich wische das Geschriebene weg und schreibe etwas neues. -Mein Stiefvater hat mich geschlagen, als er mich mitnehmen wollte.-, erkläre ich. „Dann hat er dich gefunden?“, ich schüttle den Kopf. Es war Zufall. Purer Zufall. Plötzlich herrscht wieder diese peinliche Stille zwischen uns. Ich glaube, ich habe schon mal erwähnt, dass ich mich selbst dafür verfluche, das ich nicht sprechen kann. „Möchtest du vielleicht mit zu mir kommen, solange Timo weg ist? Ich habe gerade etwas Zeit bis zu meinem nächsten Termin.“, lenkt er ein. Ich zögere eine Weile, als er den Termin erwähnt. Mit wem er sich wohl diesmal trifft…? Und dann ist da ja noch das Gespräch, das ich belauscht habe…Der Gedanke tut immer noch weh. Dazu kommt, dass Timo sich Sorgen machen wird, wenn ich nicht da bin, aber ich kann ihn auch nicht einfach einladen rein zu kommen. Schließlich ist das Timos Wohnung. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Cole seufzt. „Versteh schon. Es ist dir unangenehm oder? Ich hätte nicht fragen dürfen. Schließlich hast du mir ja schon einen Korb gegeben.“, erläutert er mir und lächelt mich verständnisvoll an. „Wir sollten lieber Abstand zu einander halten.“, teilt er mir mit einem Hauch von Verbitterung mit und auch, wenn es noch so wehtut, hat er recht. Wir sollten uns wirklich voneinander fernhalten. Das würde uns eine Menge Schmerz ersparen aber…manchmal siegt eben nicht die Vernunft, sondern das Herz. In meinem Hals steckt so ein fetter Klos… „Ich sollte jetzt gehen. Wärst du so nett Timo seine Post zu geben? Die ist mal wieder in meinem Briefkasten gelandet.“, fragt er mich und überreicht mir die Post, dann dreht er sich um, um zu gehen. Aber wie aus einem Reflex heraus halte ich seine Hand fest. „Joe? Was ist los?“, will er wissen, als ich ihn anstarre und spüre wie meine Wangen ganz heiß werden und die Tränen aufsteigen. Erschrocken lasse ich ihn los und wische sie mir so schnell wie möglich aus dem Gesicht. Ich will das nicht! Ich will das doch gar nicht! Was ich will ist… Bevor wir weiter sprechen können, werden wir unterbrochen. „Hey was ist denn hier los?“ Es ist Timo, der die Treppe hochkommt. Seine Schicht scheint vorbei zu sein. Wahnsinn, nun ist die Zeit doch viel schneller vorüber gegangen, als gedacht. „Cole, was machst du hier und vor allem…was hast du mit Joe gemacht? Er sieht ja völlig aufgelöst aus.“, will er mit Nachdruck wissen und legt schützend seinen Arm um mich. Was ist das nur für eine Anspannung in der Luft? Natürlich kann er den genauen Grund für meine Tränen nicht wissen. „Rein gar nichts. Ich habe dir nur deine Post bringen wollen und da hat er aufgemacht und wenn du`s genau wissen willst…Joe und ich haben uns über eine gemeinsame Freundin kennengelernt. Du kannst also wieder runterfahren.“, macht er mit fester Stimme deutlich. Er ist plötzlich so anders. Wie viele…Rollen spielt er eigentlich? Es ist fast so…als sein sie Spinnefeind. „Ach so. Das wusste ich ja gar nicht. Dann kennt ihr euch ja bereits. Aber so wie es scheint, ist es wohl besser, wenn du jetzt gehst. Danke für die Post.“, teilt er ihm mit, in dem er es wie eine Aufforderung formuliert. Strenger als erwartet. Denn Timo kam mir bis vorhin so locker vor. Cole lächelt nur freundlich, ohne auch nur ein bisschen die Fassung zu verlieren, „Keine Sorge, wir waren schon dabei uns zu verabschieden. War schön dich mal wieder zu sehen Joe.“ So wie er das sagt, klingt es fast so, als wäre ich irgendein Bekannter. Als wäre nie etwas passiert. Mir bleibt keine Zeit etwas zu erwidern. Denn schon steigt er die Stufen der Treppe runter und ist wieder verschwunden. Die Anspannung verschwindet nur allmählich. Timo sieht ihm noch kurz hinterher und bittet mich dann rein. „Ist alles okay bei dir?“, will er dann wissen und ich nicke. Die Wahrheit aber ist, dass ich innerlich total aufgewühlt bin und mit jeder Faser meines Körpers bei Cole sein möchte. Es hat nicht viel gefehlt und ich wäre ihm in die Arme gefallen. Warum habe ich diese Möglichkeit nur nicht genutzt? Ob Cole es gemerkt hat? Timo sieht ganz so aus, als glaubte er mir nicht so wirklich. „Sicher? Du kannst mir alles sagen.“, jetzt lächelt er wieder entspannt. Dann lag es also wirklich nur an Cole. Ob da was vorgefallen ist? Ich glaube, ich frage lieber nicht. Wieder nicke ich und deute stattdessen auf das Telefon. „Du hast recht, es wird Zeit Karl mal anzurufen.“ Ein Glück, er bohrt nicht weiter nach, sondern ruft sofort seinen Onkel an und unterhält sich mit diesem. Er schildert ihm meine Situation in allen Punkten, die Kat ihm aufgezählt hat und vereinbart gleich einen Termin mit ihm. „Cool, dann sehen wir uns morgen.“, dann legt er auf. „Joe, er sagt, dass er dich gleich morgen früh sehen möchte. Es kann sogar sein, dass er gleich morgen einen Termin mit dem Jugendamt für dich organisiert, um die Situation zu klären. Das wird kein einfacher Weg. Ich hoffe du bist bereit dazu.“, erklärt er ernst werdend. Ja, ich bin bereit. Was bleibt mir auch übrig? So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben. Ich kann nicht ewig wegrennen. „Sag mal, hast eigentlich schon etwas gegessen?“ Ausnahmsweise schüttle ich mit dem Kopf. „Okay, dann lass uns erstmal essen und danach mach ich das Bett fertig.“ Gesagt, getan. Gemeinsam essen wir den Nudelsalat und die Frikadellen, die übrigens sehr lecker schmecken und machen uns nach dem Abwasch Bettfertig. „So, Zeit ins Bett zu gehen. Morgen müssen wir früh hoch. Ich überlasse dir mein Bett. Breite dich ruhig aus. Ich lümmle mich dann aufs Sofa.“ Er nimmt sein benutztes Bettzeug vom Bett, und tauscht es durch das aus, dass er zuvor heraus gekramt hat, um seines ins Wohnzimmer zu verfrachten. Ich sehe ihn fragend an. Wäre es nicht an mir das Sofa zu benutzen? „Hm? Ach mach dir keine Gedanken, du bist mein Gast und der Gast ist König.“, grinst er. Entschlossen schüttle den Kopf. Das geht doch nicht! Er hebt eine Augenbraue, „Du bist aber ein ganz schöner Sturkopf, weißt du das?“, stellt er fragend fest und stemmt die Hände in die Hüften. Stimmt, aber echt nur manchmal.[ii] Ich zucke nur mit den Schultern und hole unwissend mit den Händen nach rechts und links aus. Dabei lächle ich verschmitzt. „Okay Joe, wäre es dir dann recht mit mir in einem Bett zu schlafen?“, will er wissen. Fragend lege ich den Kopf zur Seite. Was wäre daran verwerflich? Schließlich schlafe ich mit Kat auch immer in einem Bett, außer ich schlafe mal wieder versehentlich auf dem Sofa ein. Das ist echt keine gute Idee, die Nackenverspannung danach ist echt kein Spaß. „Tja weißt du, Männer finden sowas in der Regel nicht so cool, außer sie sind betrunken.“, grinst Timo. Ich muss lachen. „Sag mal wusstet du schon, dass du echt ein tolles Lächeln hast?“, meint Timo erheitert. Wieder schaue ich fragend drein. Echt? Ist das so?- Schreibe ich auf die Tafel. So etwas hat mir echt noch nie jemand gesagt, außer Kat. Allerdings lache ich auch selten mit anderen Menschen. Ansonsten habe ich auch nicht unbedingt so viel zu lachen, was im Grunde ziemlich traurig ist. Aber ich lasse mich nicht unterkriegen! „Klar ist das so.“, antwortet er kurz. „Also gut, dann eben in einem Bett, aber beschwer dich nicht, wenn ich mich zu sehr ausbreite.“, grinst er. Gesagt, getan. In Null Komma nichts, hat er beide Bettdecken und Kopfkissen platziert. Das 1,40 mal zwei Meter Bett steht an der Wand. Mehr Platz bietet dieser Raum nicht. Sonst könnte man die Schranktüren nicht mehr öffnen. Ich rutsche an die Wand und er macht es sich auf der offenen Seite bequem. „Kann das Licht aus?“ Ich antworte mit einem Nicken. „Okay. Dann schlaf mal schön.“ Und schon ist das Licht aus. Früher habe ich die Dunkelheit gehasst. Damals, als ich gerade meine Stimme verloren habe. Denn immer wenn es dunkel wurde, war mir die Kommunikation so gut wie unmöglich. Als ich noch sprechen konnte, haben Kat und ich oft stundenlang des Nachts geredet. Wenn wir jetzt vor dem Schlafen gehen noch reden wollen bleibt das Nachtlicht noch an, damit sie meine Gebärden sehen, oder aus meinem Gesicht lesen kann. Heute kann ich mich kaum noch an meine eigene Stimme erinnern. Bei dem Gedanken schnürt es mir schon wieder den Hals zu. Es macht mir schon ein wenig Angst, dass ich es irgendwann wirklich komplett vergessen könnte. Als hätte mein Ich von damals nicht existiert. Wenn Peter Pan jetzt hier wäre, wüsste er dann eine Möglichkeit mir meine Stimme wieder zu geben? Könnte ich mit dem Zauber des Feenglanzes wieder sprechen? Das wäre zu schön. Denn dann könnte ich ganz laut Coles Namen rufen. Selbst, wenn es nur ein einziges Mal wäre…dann wäre ich schon glücklich. Natürlich weiß ich, dass die Realität anders aussieht. Timo ist recht schnell eingeschlafen. Ich kann sein gleichmäßiges Atmen hören und er murmelt hin und wieder unverständliches Zeug vor sich hin. Ich brauche noch eine Weile, bis ich einschlafe. Morgen wird ein anstrengender Tag, auch die nächste Zeit wird mich einiges an Nerven und Kraft kosten. Wie es wohl schließlich am Ende ausgehen wird? Das Gespräch mit Karl und Magda erweist sich als sehr hilfreich. Hinzu kommt, dass die Beiden wirklich nett sind und Verständnis für meine Situation zeigen. Sofort setzen sie alle Hebel in Bewegung, um dieses Problem aus der Welt zu schaffen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)