Voiceless von Midnight (The words I have to tell you) ================================================================================ Kapitel 16: Willkommensparty ---------------------------- Einige Wochen später steht das Ergebnis fest. Für die letzten Monate meiner Minderjährigkeit wurde meinen „Eltern“, das Sorgerecht entzogen und auf Karl und Magda übertragen bis ich 18 bin. Des weiteren werde ich finanziell vom Amt unterstützt. Gegen meinen gewaltbereiten Pseudo-Stief-Vater wurde zudem ein Näherungs- und Kontaktverbot erwirkt und er muss sich wegen Körperverletzung verantworten. Und meine Mutter? Die hat ebenfalls ein Annäherungs- und Kontaktverbot und eine Anzeige wegen vernachlässigter Fürsorgepflicht am Hals und es ist auch noch nicht ganz raus, ob sie auch noch eine Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft erhält, oder so ähnlich. Denn auch wenn sie mich nicht selbst geschlagen hat, hat sie es in Kauf genommen, dass dieser agressive Typ mich schlägt und die Augen davor verschlossen hat…, es ist, als wäre er so etwas wie ihr Werkzeug gewesen und dann war da noch irgendwas wegen ihren Psychischen Problemen. Ihr wurde auferlegt eine Therapie zu machen…irgendwie kompliziert, dieser Juristenkram…für mich zählt aber ja nur eins, nämlich dass ich die Beiden los bin und sie mir nichts mehr tun können. Da war ganz schön was los im Gerichtssaal. Mein Pseudovater ist bei den Vorwürfen völlig ausgerastet und meine Mutter ist letztlich psychisch komplett durchgedreht, als sie kapiert hat, dass ich nicht mehr zu ihr zurückkehre. Deshalb auch die Therapieanordnung. Dabei sollte man meinen, dass ich meiner Mutter einfach nur egal bin. Aber lasst euch sagen, durch ihre instabile Psyche wirkt sie oft wie sie ein Wiederspruch in sich. Mal wirkt sie anteilnahmslos, ein anderes Mal, dreht sie völlig durch und steigert sich in eine Situation oder ihre Vorstellung hinein. Und ihr Typ wurde direkt in Handschellen gelegt, als er versucht hat auf mich loszugehen. Bevor die Situation noch völlig eskalierte. Da hat echt mal jeder Anwesende gesehen, was bei mir „zu Hause“ manchmal so abgeht. Da ich schon fast 18 bin, haben Karl und Magda es mir freigestellt wo ich leben will. Schließlich kam es dazu das ich mit Absprache mit dem Vermieter, Timos Eltern, die derzeit noch einen Teil der Miete zahlen und meinen neuen Pflegeeltern, erstmal ganz zu Timo gezogen bin. Dazu war er sogar bereit sein geheimes Chaoszimmer zu entrümpeln. Timo hat mir erklärt, das zu vor sein Mitbewohner darin gewohnt hat, aber vor einem halben Jahr ausgezogen ist, weil er sich kurzfristig dazu entschlossen hat mit seiner Freundin zusammen zu ziehen. Sein Bett und seinen Schrank hat er dabei zurückgelassen, weil er es nicht mehr brauchte. Timo hat dann versäumt den Sperrmüll zu beantragen. Im Verlauf der Zeit mutierte der Raum dann zu einer Abstellkammer. „Was meinst du Joe, ist das so okay für dich? War gar nicht so schlecht, dass mein Kumpel Bett und Schrank da gelassen hat. Jetzt wo du eine neue Matratze hast, kannst du endlich in deinem eigenen Bett schlafen und musst dir nicht mehr meinen Bewegungsdrang antun.“, grinst er. Ich nicke. Da ist schon was Wahres dran. Er hat Nachts wirklich ein sehr einnehmendes Wesen und verbraucht mindestens dreiviertel des Bettes. Entweder hat er mich total an die Wand gedrückt, oder mit seinem Hintern aus dem Bett geschubst, je nachdem wo ich gelegen habe. Ich nicke.- Ja, es sieht wirklich toll aus. „Stimmt, und mit dem Teppich und den Vorhängen sieht es jetzt viel wohnlicher aus. Der kleine Sessel, den ich noch in meinem Keller stehen hatte passt auch super hier rein und wenn du Platz zu Arbeiten brauchst kannst du einfach den kleinen Wandtisch ausklappen. Da passt alles nötige drauf.“, meint meine beste Freundin. Sie hat mich auch die ganze Zeit über begleitet und unterstützt. Es tut wirklich gut zu wissen, sie auch weiter an meiner Seite zu haben. Sie hat mit mir und Timo zusammen, ein Praktikum in einer Kindertagesstätte für Hörgeschädigte und Taubstumme Kinder organisiert. Worauf ich mich wirklich sehr freue. Einen Schnuppertag hatte ich bereits und es hat mir echt gut gefallen. Ich war über mich selbst erstaunt, wie gut die Kinder mich bereits an diesem einen Tag angenommen haben. Die Chefin meinte sogar, das sie mich bei einer Ausbildung zum Erzieher unterstützen würde. Von ihr habe ich auch erfahren, dass es hier in der Nähe eine spezielle Berufsschule gibt, die gehörlose und Taubstumme Erzieher ausbildet. Das wäre auch für mich eine tolle Möglichkeit. Zumal ich vor kurzem noch nicht mal wusste, was ich überhaupt nach der Schule anfangen soll. Und Lara? Die hat sich seit meinem Auszug wieder beruhigt und das Verhältnis zwischen ihr und meiner Besten hat sich wieder deutlich entspannt. Mittlerweile sogar so sehr, dass sie mich normal begrüßt, wenn ich Kat besuche. Außerdem hat Kat mir erzählt, dass die Beiden letzte Woche mal so einen richtigen Mädels Abend gemacht haben. Scheint zu laufen. Cole begegne ich hin und wieder im Treppenhaus. Manchmal, haben wir sogar Zeit ein paar Worte zu wechseln. Meistens bleibt es jedoch bei den alltäglichen Floskeln wie „Hey“, oder „Alles, klar?“, im Treppenhaus. Es ist wirklich fast so, als sei nie etwas gewesen. Allein zusammen Zeit verbracht haben wir seid unseren Date nämlich auch nicht mehr. Auch Nachrichten haben wir uns nicht mehr geschrieben. Ich ringe immer wieder mit mir, es einfach mal zu versuchen, aber ich weiß nicht ob ich uns Beiden einen Gefallen damit tun würde. Das würde alles nur komplizierter machen. Ich werde mich wohl auch in Zukunft damit abfinden müssen, dass sich unsere Kommunikation auf ein Minimum beschränken wird. Auch, wenn es nach wie vor wehtut. Aber wer weiß was die Zeit so bringen wird. Fürs Erste ist es vielleicht sogar besser für uns beide. „Also jetzt wo wir fertig sind können wir ja endlich deinen Einzug feiern!“, erörtert Timo. „Gibs zu, du hast doch einfach nur Hunger.“, schmeißt Chris ein, der mit Live ebenfalls zu unserer Party erschienen ist. Timo grinst ertappt. „Ha, du hast mich erwischt. Du kennst mich einfach zu gut.“ „Das kenne ich, so ist es bei Joe und mir auch.“, lässt Kat durchsickern. „Ich kann meinem liebsten Freund an der Nasenspitze ansehen was er denkt.“ Ja, das ist manchmal schon fast gruselig, aber auch praktisch. „Also ich habe auch Hunger. Magda hat extra eine Willkommenstorte für uns gebacken und einen leckeren Nudelsalat gemacht.“, lenkt Live ein. „Oh stimmt, das sieht echt lecker aus. Und ich habe Würstchen im Schlafrock gemacht.“, fügt Kat noch hinzu. Timo und ich haben den fast den ganzen Vormittag mit der Vorbereitung für die Party verbracht. Eingekauft, aufgeräumt, Essen zubereitet und den Tisch im Wohnzimmer gedeckt und dekoriert. Neben den Leckereien, die unsere Freunde mitgebracht haben, haben wir noch frische Burger und Schockopudding mit Obstsalat zubereitet. Dazu natürlich die üblichen Knabbereien. Zu trinken gibt es Eistee, Cola und selbstgemachte Limonade. Auf den Alkohol wird bewusst verzichtet. Live zuliebe. Als jeder sein Getränk hat wird angestoßen. „Also dann auf dich Joe, deinen neuen Start und darauf, dass wir uns möglichst immer gut vertragen.“, spricht Timo den Tost aus. „Jaaa.“, rufen dann alle. Auch wenn meines nur ein unhörbares Flüstern ist, fühle ich mich zum ersten Mal seit langem wirklich zugehörig und habe eine Menge Spaß mit meinen…Freunden. Zusammen essen und unterhalten wir uns. Dabei beäugt Chris erstaunt meine Tafel und meinen Block. „Damit kommunizierst du also. Auf diesem Block stehen ja tatsächlich alle möglichen Floskeln. Sogar deine Bestellung vom Becker.“. stellt er fest. „Tja, er weiß sich eben zu helfen. Du gehst echt gut mit der Situation um, das ist echt bewundernswert.“, ergänzt Live, als Chris plötzlich wieder dichter neben ihm steht, seine Hand drückt und ihn anlächelt. „Ja, das stimmt, das hat er wirklich gut gemacht.“, lässt Kat ihre Begeisterung durchsickern. Ich schüttle den Kopf und nehme meine Tafel zur Hand. Alle um uns herum schauen gebannt was ich schreibe. Das ist das erste Mal, das sich andere außer Kat so sehr dafür interessieren. Timo liest vor. „Stimmt nicht ganz. Ich hatte Kat, die immer für mich da war und mich unterstützt hat.“, er lächelt in sich hinein. „Es ist wirklich gut, wenn man eine Freundin wie Kat an seiner Seite hat. Ihr habt doch auch zusammen die Gebärdensprache gelernt oder?“, Kat und ich sehen uns an und nicken wie aus einem Ei. Dabei lächeln wir uns an. „Ach was das war doch gar nichts. Zu viel der Schmeichelei.“, kichert sie mädchenhaft. Ich bemerke wie besonders Live plötzlich die Lippen zusammenpresst. „Live, ist alles in Ordnung?“, fragt Timo. Live schüttelt den Kopf. „Ja schon. Ich hab mich nur an etwas erinnert. Ich kann gut verstehen, wie Joe sich fühlt. Bevor ich Chris begegnet bin hatte ich keine Freunde und mein Leben erschien mir sinnlos. Daher weiß ich sehr genau was du meinst Joe.“, gesteht er uns. Dabei schaut er zu Chris hoch, der einen Arm um ihn legt, was ihn erröten lässt. Er hat wirklich Glück gehabt. So wie es aussieht wird er aufrichtig geliebt. Das wünscht sich doch jeder Mensch. Nicht wahr? Aber ich glaube, dass sein Leidensweg ohne einen wahren Freund an seiner Seite viel länger war als meiner. Denn ich hatte Kat schon so lange an meiner Seite, schon bevor ich meine Stimme verloren habe. Wärend ich das so höre und sehe muss ich an meine Mutter denken. Auch meine Mutter… hat sich Liebe gewünscht, nachdem mein Vater uns verlassen hat und ist dann an diesen Typen geraten. In meinem kindlichen Leichtsinn dachte ich immer, dass ich ihr meine Liebe nicht genügt und sie mich nicht mehr lieb hat. Heute weiß ich es besser und konnte trotzdem nicht zu ihr vordringen. Und als ich auch noch meine Stimme verloren habe, und sie erfahren hat das ich schwul bin, war es einfach aus. Das hat ihr den Rest gegeben. Sie muss gedacht haben total versagt zu haben. So hat sie sich das sicher nicht vorgestellt. Ich schätze das ihre Verzweiflung und die Angst einfach alles zu verlieren größer war, als ihr verloren gegangener Mut. Aber ich bin auch nicht besser, auch ich bin davon gelaufen, weil ich keinen Ausweg gesehen habe. Und schließlich kam es dazu, dass ihr das Sorgerecht entzogen wurde. Doch hätte ich mich und meine Gefühle meine Einstellung zum Leben einfach so verleugnen sollen? Das hätte doch niemanden glücklich gemacht. Alles was dabei rausgekommen wäre, wäre eine Scheinwelt in der nichts echt gewesen wäre. Und auch Cole…wünscht sich nichts sehnlicher… Ich presse die Lippen zusammen und reiße mich zusammen. Ich nicke dankend zu Lives Ausführung, als ich plötzlich Kats Hand an meinem Arm spüre. Sie zieht mich kurz zur Seite und sieht mich an, als ahne sie etwas. Tja, sie kann eben in mich hineinschauen. So als sei ich ein offenes Buch für sie. „Du denkst an ihn, oder? Wenn ich was für dich tun kann…“, flüstert sie mir zu. Ich schüttle den Kopf. Schon gut. Da muss ich eben durch., argumentiere ich mit meinen Gebärden. Meine beste Freundin seufzt tief. „Aber wenn du mich brauchst, sagst du mir doch Bescheid?“, will sie wissen und sieht mich ernst an. Ja, ganz sicher., verspreche ich ihr. „Was wird denn da getuschelt? Ihr beiden?“, unterbricht Timo plötzlich unsere Unterhaltung und legt seine Arme von hinten über unsere Schultern und erschreckt uns beide damit fast zu Tode. Kat sieht ihn strafend an. „Timo, also wirklich! Du hast uns erschreckt!“, Timo grinst und lacht. „Guck doch nicht so böse. Jetzt wird gefeiert! Das war doch der Grund für diesen Anlass.“, treibt er uns an. Er verbreitet so gute Laune, dass schließlich auch Live und Chris wieder davon angesteckt werden und den Rest des Abends feiern wir ausgelassen. Wir spielen Spiele und hören Musik. Hin und wieder liefern Timo und Chris uns einige Tanzeinlagen, die einfach zum todlachen sind. Sie sind wohl in ihrem Element wie es aussieht. Eben die besten Freunde, zwei die sich gesucht und gefunden haben. So wie Kat und ich. Irgendwo mitten in ihrem lustigen Tanz zieht Chris, Live und Kat zu sich und fordert sie zum tanzen auf. Timo nimmt sich mich zur Brust und tanz mich an. In diesem Moment muss ich wieder anfangen zu lachen, weil er die ganze Zeit total bescheuerte, aber lustige Faxen macht. Er hat echt keine Scheu sich zum Horst zu machen. Aber das scheint sein Wesen auszumachen. Schätze, das ich mit ihm echt viel Spaß haben könnte, was ja auch nicht so schlecht ist, wenn man zusammen wohnt. Wir feiern bis tief in die Nacht, bis sich unsere Gäste dann irgendwann verabschieden. „Also wir bringen Kat dann noch nach Hause. Es war echt ne coole Party, lass uns das mal wieder machen.“, grinst Chris, der noch top gelaunt ist. Live hingegen zeigt schon Müdigkeitszeichen. „Ja, vielen Dank für die Einladung! Hat echt Spaß gemacht.“, bedankt er sich und umarmt mich zu Abschied. Kat ist die Letzte im Bunde. „Bis dann Großer. Wir sehen uns. Und schreib mir wenn Timo Unsinn macht.“, verabschiedet sie sich grinsend und drückt mich nochmal ordentlich. Wieder so, dass ich fast keine Luft kriege. Timo entgleist kurz das Gesicht. „Ich mache keinen Unsinn! Niemals!“, ruft er ihr hinterher. „Ja, ja.“, gackert sie. „Also dann Jungs, lasst uns fahren.“, zeigt sie sich abfahrbereit und harkt sich bei den Beiden ein. Man hört sie noch bis nach unten kichern, als Timo die Tür schließt. „Sie ist echt gut drauf, unsere Kat.“, schmunzelt mein Mitbewohner. Ich erwidere sein Schmunzeln. Kat ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Stimmungskanone, aber Chris ist auch nicht schlecht. Live scheint ja eher ruhiger zu sein, aber er lässt sich gut mitziehen, trotz dessen, dass seine Vergangenheit ihn manchmal noch bedrückt. „Hm, was meinst du, beseitigen wir das Chaos lieber morgen, wenn wir ausgeschlafen haben?“, scherzt Timo. Wenn ich mich so umsehe, überlege ich, auf seinen Vorschlag einzugehen, da ich jetzt auch nicht mehr wirklich Lust habe etwas zu tun. Also stimme ich zu. „Okay, dann hoffe ich, dass du gut schläfst, es ist der erste Tag in deinem eigenen Bett. Genieß es.“, er zwinkert mir gönnend zu. Ich lächle ihn dankend an. Das wird sicher schön. Ich habe schon lange nicht mehr in einem bequemen, eigenen Bett geschlafen. Für die Matratze waren wir mit Karl und Magda extra in einem Betten- und Matratzengeschäft, wo ich probeliegen konnte. Die Preise waren glücklicherweise ordentlich reduziert. Ich bin echt erstaunt gewesen, wie teuer so eine Matratze sein kann. Es war mir zunächst unangenehm dieses Geschenk anzunehmen. Timo hat mir aber Mut zugesprochen und sagte das es total in Ordnung sei das anzunehmen. Magda und Karl haben ihm da voll und ganz zugestimmt und mir erklärt, wie wichtig eine gute Matratze für einen erholsamen Schlaf sei und dass sie wollen, dass ich mich wohl fühle. So viel Freundlichkeit auf einmal bin ich nicht gewohnt. Das ist total neu für mich. Erst so nach und nach kann ich realisieren, dass, das auch wirklich wahr ist, was hier passiert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)