Nimrod von Carnifex232 (Der Kronpriz von Babylon) ================================================================================ Kapitel 2: "Wenn du sie retten willst, musst du mich finden!" ------------------------------------------------------------- "So, und wie lautet nun die Formel für diese gestauchte Parabel?" Noch bevor die Lehrerin die Frage richtig beendet hatte, schoss neben mir ein Arm in die Höhe. Ich kann es euch wirklich nur empfehlen, neben einem Streber zu sitzen. Er meldet sich immer und du wirst nicht gefragt. Meistens zumindest, aber es gibt auch unter Lehrern Ausnahmen. Ich seufzte und lehnte den Kopf auf meine Hand, so dass ich gemütlich aus dem Fenster gucken konnte. Es regnete etwas, obwohl die Sonne schien und jeden noch so kleinen Fleck beleuchtete, und von meinem Platz aus konnte ich einen kleinen Regenbogen erkennen, der im Himmel anfing und irgendwo am anderen Ende der Stadt endete. Immer wieder fielen mir die Augen zu und ich döste weg. Was eigentlich total nervig ist, denn ich kriege immer noch alles mit, nur wie durch eine dicke, fette Wattewand. Was mich diesmal aber aus meinem Dämmerungszustand riss, war die plötzliche Stille. Es war nicht die übliche Stille, die aufkam, wenn der Lehrer einen etwas fragte und man nichts mitbekommen hatte. Nein, dann kicherten immer noch ein paar und machten sich über einen lustig. Nein, es war anders als sonst. Es war komplett still. Ich öffnete irritiert die Augen und sah mich im Klassenzimmer um. Alles war still, aber nicht nur das. Alle saßen auf ihren Plätzen, die Lehrerin stand vorne an der Tafel und niemand bewegte sich, alle saßen ruhig und wirkten wie erstarrt. Außerhalb des Zimmers wirkte alles wie immer, die Bäume bewegten sich wie sonst auch, aber das übliche Rauschen der Blätter war nicht mehr zu hören. Zumindest drang es nicht mehr bis an mein Ohr. "Hallo Cyrus." Ich zuckte zusammen als direkt hinter mir jemand meinen Namen sagte. Irgendetwas störte mich daran, wie er ihn aussprach, doch ich dachte nicht weiter nach als ich mich umdrehte und den Kerl erblickte. Er trug einen langen, schwarzen Mantel der quasi alles an ihm verdeckte, ich konnte nicht einmal sein Gesicht sehen. "Wer bist du? Was ist hier los?", fragte ich. Der Typ lachte. "Das weißt du nicht? Streng mal dein kleines Gehirn an!" Ich kniff die Augen zusammen. "Was soll das?" "Ich wollte nur kurz mit dir reden, solange habe ich... naja, ein wenig an der Zeit gebastelt." Er grinste. "Du hast- Was?!" Ich verstand gar nichts mehr. "Haben sie dir denn nichts gesagt?!" Ich konnte den Spott in seiner Stimme hören. "Deine Eltern?" Das letzte Wort sprach er aus, als wäre es etwas Abartiges und er würde es niemals freiwillig anfassen. Ich überging es einfach. "Was willst du?", fragte ich stattdessen. Er drehte sich um und ging zu der Lehrerin an der Tafel, fummelte an ihrer Bluse herum und knüpfte sie auf. Was für ein- "Habe ich doch gesagt, ich will nur kurz mit dir reden. Aber ich weiß jetzt alles, was ich wissen wollte!" Als die Bluse der Lehrerin offen war, trat er zurück und schnaubte, offenbar zufrieden mit seinem Werk und dem, was er sah. Dann wandte er sich wieder mir zu. "Und was deine Eltern betrifft: Die haben wir! Wenn du sie retten willst musst du mich finden!" Er schnippste und war verschwunden, genau im gleichen Moment wurde es wieder laut im Klassenzimmer. Die Lehrerin kreischte entsetzt auf, als sie merkte, dass ihre Bluse offen war und verschwand schnell hinter der Tafel, während meine Mitschüler begeistert lachten und Fotos schossen. Spätestens in der nächsten Pause würde jeder bei uns in der Schule Bescheid wissen. Und wir sollten Neuntklässler sein, manchmal benahmen wir uns wie Kleinkinder. Ich verzog das Gesicht. Was war das denn bitte eben? War der Typ eben wirklich da gewesen? Und was hatte er da für Quatsch erzählt? Was war mit meinen Eltern? Und wieso sollte ich sie retten? Waren sie etwa in Gefahr? Und wo waren sie? Hatte sich der Typ eben in Luft aufgelöst? Mein Kopf tat weh von den ganzen unbeantworteten Fragen, die in meinem Kopf Karussell fuhren. Mit leicht zitternden Händen griff ich nach meinen Mathesachen, die auf dem Tisch lagen und stopfte sie in meine Tasche. Michael, der Streber neben mir, sah mich verwirrt an, als ich zur Tür ging. "Cyrus?!", rief die Lehrerin hinter der Tafel hervor. "Wo willst du hin?" "Mir geht's nicht gut!", rief ich zurück un rannte aus dem Klassenzimmer, die Treppen runter direkt raus aus dem Schulgebäude. Als ich das Schulgelände verließ, lief ich mit voller Wucht in einen Jungen. Er hatte kinnlange, braune Haare, die teilweise zu einem Zopf nach hinten gebunden waren, der Großteil der Strähnen hing aber wirr in sein Gesicht. Er trug einen schwarzen Anzug und war ungefähr einen halben Kopf kleiner als ich. Wir prallten gegeneinander und fielen beide rücklings auf den Hintern. "Verzeiht!" Der Junge sprang auf und half mir auf die Beine. "Habt Ihr euch verletzt, Mylord Cyrus?" Wieder diese seltsame Art meinen Namen auszusprechen. Er sprach es irgendwie aus wie "Cürus" was sich verdächtig nach "Gyros" anhörte. Wenn ich schreiben müsste, wie man meinen Namen spricht, würde es wahrscheinlich irgendwie so aussehen: Saires. Oder so... "Habt Ihr euch verletzt?", fragte der Junge erneut. "Wer bist du?", fragte ich. Der Junge trat schnell zurück und machte ein schuldbewusstes Gesicht. "Entschuldigt, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Joseph Malitis, Euer Diener." Ich blinzelte. Hatte ich mich verhört? "Mein Was?" "Euer Diener!" Er sprach es aus, als wäre es selbstverständlich und als hätte ich es wissen müssen. Als er merkte, dass ich keine Ahnung hatte, wovon er sprach, verzog er kaum merklich das Gesicht. "Habt Ihr denn den Brief gar nicht gelesen?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein!" "Und das Paket? Habt Ihr das wenigstens geöffnet?" Er klang beinahe verzweifelt. "Nein." Leicht verwundert schüttelte ich erneut den Kopf. Er biss sich in die Unterlippe. "Na gut, dann versuche ich Euch alles zu erklären während wir zu Eurem derzeitigen Heim gehen, Mylord, und Ihr das Paket öffnet. Das ist sehr wichtig!" "Was denn erklären?", fragte ich stirnrunzelnd. Joseph lächelte. "Na, Eure Herkunft, Eure Familiengeschichte, die Ihr bestimmt nicht kennt und Eure Fähigkeiten, wobei wir diese erst erkennen müssen." Ich blinzelte und blieb stehen. "Was? Was denn für eine Herkunft? Und was soll das Mylord und die Diener Geschichte?" Er blieb ebenfalls stehen und sah mich geduldig an. "Natürlich wäre es einfacher gewesen, Ihr hättet den Brief bereits gelesen und das Amulett an euch genommen, so kommt jetzt alles etwas plötzlich." Ich sah ihn erwartungsvoll an. "Ihr seid ein Vampir." Einfach so, ohne Erklärung. Es dauerte eine Weile, bis ich verstanden hatte, dass er das ernst gemeint hatte. "Ein Vampir?!" Ich lachte ungläubig. So was gab es doch nur in Märchen. "Nein, es gibt sie nicht nur in Märchen.", erwiderte Joseph. Konnte er etwa Gedanken lesen? "Das ist in der Tat meine Fähigkeit. Ich kann die Gedanken anderer Leute lesen und durch Gedanken mit ihnen sprechen. So wie jetzt zum Beispiel. Ich zuckte erschrocken zurück, als ich plötzlich seine Stimme in meinem Kopf hörte. "Wie gesagt gibt es Vampire nicht nur in Märchen. Sie existieren und Ihr seid einer. Und zwar seid ihr Cyrus Principal, der Letzte aus der Königsfamilie, nachdem Eure Eltern, möge der Herr mit ihnen sein, vor fünfzehn Jahren ermordet wurden." Ich blinzelte. "Vampir? Meine Eltern..." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. "Meine Eltern leben noch." Joseph schüttelte traurig den Kopf. "Die, die Ihr als Eure Eltern bezeichnet, sind lediglich Eure Zieheltern. Eure königliche Mutter hat Euch ihnen übergeben, kurz bevor sie ermordet wurde. Es tut mir leid." Vielleicht hätte ich jetzt weinen sollen, oder so. Sollte man das nicht, wenn man erfuhr, dass die Eltern tot waren? Ehrlich gesagt wusste ich aber nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Es war alles einfach so unwirklich. Joseph war es, der das Schweigen, das zwischen uns hing, schließlich brach. "Lasst uns weiter gehen, Mylord Cyrus." Er ging und ich trabte ihm benommen hinterher. "Joseph?" "Ja?" Er drehte sich nicht um. "Eine Sache noch: Du hast gesagt, du seist mein Diener?" "Das bin ich!", sagte er. "Dann... muss ich dir auch Sachen befehlen?", fragte ich. "Was Ihr wollt, Mylord." Ich wartete kurz, bevor ich fortfuhr. "Dann hör bitte auf mich Cyrus zu nennen." Ich sprach es so aus, wie auch er es immer aussprach: Cürus. Er sah mich irritiert an. "Aber so heißt ihr doch!" "Ich heiße Cyrus." Zwar gleich geschrieben, aber ganz anders ausgesprochen. "Alles andere hört sich an, als würdest du mich Gyros nennen, und ich habe nun keinerlei Ähnlichkeit mit Fleisch." Er blinzelte, dann lächelte er. "Eure Zieheltern haben Euren Namen an den Ort und die Zeit angepasst. Wir Vampire haben immer alte und ehrwürdig klingende Namen, zumindest das Adelsgeschlecht. Euer Name ist Cyrus, aber Ihr müsst Euch wohl noch daran gewöhnen. Wenn Ihr es so wünscht, kann ich Euch so nennen, wie Ihr wollt, abe von den anderen Vampiren dürft ihr dies nicht erwarten." "Es gibt noch mehr von euch?", fragte ich, bevor ich richtig darüber nachgedacht hatte. "Natürlich!" Wir gingen noch eine Weile weiter, bevor ich ihn wieder etwas fragte. "Joseph?" "Ja?" "Nenn mich ruhig, wie du möchtest." "Aber?" Ich wunderte mich, woher er wusste, dass ich eigentlich noch etwas hatte sagen wollen. "Naja... ihr bitte auf mich zu Siezen und so seltsam anzusprechen. Sag einfach Du zu mir, alles andere ist komisch." Er lachte, als ich das beinahe schüchtern sagte. "Wie Ihr- Wie du wünscht, Mylord Cyrus." Ich glaube, das war der Beginn einer guten Freundschaft! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)