Let a song tell our story von Daelis (Overwatch-OneShots) ================================================================================ Kapitel 5: La seine ------------------- Ihre Miene war undurchdringlich, seit sie Paris erreicht hatten. Jemand, der weniger Zeit mit Widowmaker verbrachte oder sie nicht schon früher als Amélie Lacroix gekannt hatte, dem wäre wohl entgangen, wie verkniffen der Zug um ihre Mundwinkel war, wann immer sie den Blick zum Fenster wandern ließ. Häufig genug, damit es Gabriel auffiel, selbst wenn er nichts sagte, sondern nur stumm hinter seiner beinern anmutenden Maske vor sich hinbrütete. Zweifellos weckte Paris Erinnerungen in der Französin. Erinnerungen an vergangene Tage, an Liebe und den Tag, an dem sie ihren eigenen Ehemann getötet hatte. Manchmal fragte sich Gabriel sogar, ob sie es bereute oder ob dieses Gefühl tatsächlich gänzlich durch Talons Gehirnwäsche ausgelöscht worden war. Die Wissenschaftler brauchte er nicht fragen, sie würden das natürlich bekräftigen, doch ihm war, als spräche Widowmakers Blick in diesem Moment eine andere Wahrheit aus, selbst wenn er daran zweifelte, dass sie ihm oder sich selbst diese je eingestehen würde. Es spielte wohl letzten Endes keine Rolle. Sie waren für einen Auftrag hier und sobald der erledigt war, würden sie der Stadt schnell wieder den Rücken kehren und alles, was an Erinnerungen hätte hochkommen können, würde ebenso schnell wieder in den Tiefen verschwinden. “Wie hoch ist der Aussichtspunkt?”, wandte sie sich unvermittelt mit schwerem, französischen Akzent an ihn, die Miene reglos und kühl. “20 Meter, vielleicht 25.” Gabriels Stimme war leise, doch unüberhörbar in der Stille die sonst herrschte. Die Scharfschützin nickte und beendete die Reinigung ihrer Waffe, indem sie den Lappen ordentlich faltete und ihn schließlich zurück in den Waffenkoffer legte, in dem bereits neben der Waffe selbst auch Zielfernrohr und Kugeln bereit lagen.   ♫ Elle sort de son lit Tellement sur d'elle La seine, la seine, la seine Tellement jolie elle m'ensorcelle La seine, la seine, la seine Extralucide la lune est sur La seine, la seine, la seine Tu n'es pas saoul Paris est sous La seine, la seine, la seine ♫   Übersetzung: ♫ Sie ist glänzend, so selbstsicher La Seine, la Seine, la Seine ich realisiere, ich bin hypnotisiert La Seine, la Seine, la Seine ich höre den Mond einen Ton singen La Seine, la Seine, la Seine Ist sie göttlich, ist es der Wein La Seine, la Seine, la Seine ♫   Dunkel und still lag die Seine vor ihnen, die sich durch die Stadt schlängelte wie ein dunkles Band, kaum erhellt durch die Lichter der Straßenlaternen. Am Himmelszelt war kein Stern zu sehen, während sich neben ihm Widowmaker auf die Knie sinken ließ. Von hier aus hatten sie einen hervorragenden Blick auf das Hotel, in dem der UN-Botschafter mit den unaussprechlichen asiatischen Namen sich niedergelassen hatte. Reaper wusste nur noch, dass es etwas mit vielen Us gewesen war. Seine Kollegin wüsste es sicher noch, doch Gabriel war es schlicht egal. Der Mann würde heute sterben und das allein zählte. Daran würden auch die zahlreichen Leibwächter nichts ändern, die um den bereits ergrauten Mann herum schwirrten wie Fliegen um Aas. Leise klackte das Scharfschützengewehr, während die schöne Französin - und sie war schön, war es immer gewesen - die Waffe aufbaute und ihren Stand prüfte. Sie selbst verursachte nicht den geringsten Laut, als sie zu Boden glitt, den Bauch auf dem kalten Stein und einen ersten Blick durch das Zielfernrohr werfend. Ihr Visier hatte sich herunterklappt. Kaum sichtbar in der Dunkelheit waren die roten Linsen, die in ihrer Vielzahl an die Augen einer Spinne erinnerten. Die Wolkendecke öffnete einen Riss und ließ silbernes Mondlicht hindurch, das die Welt in einen leichten Schein tauchte. Nebel stieg von den Straßen und der Seine auf. Ein Romantiker hätte in diesem Anblick versinken können. Gabriel jedoch musterte Amélie, die ihn nicht eines einzigen Blickes würdigte. Womöglich bemerkte sie nicht einmal, dass er sie anstarrte. Der Anblick des silbrigen Scheins, der die Gestalt Widowmakers erhellte, ließ ihn für einige Momente innehalten wie gebannt. Jede Geste, jede noch so kleine Regung Amélies zeugte von Sicherheit, war ohne Zögern und von fließender Eleganz.   ♫ Je ne sais, ne sais, ne sais pas pourquoi On s'aime comme ça, la seine et moi Je ne sais, ne sais, ne sais pas pourquoi On s'aime comme ça la seine et moi ♫   Übersetzung: ♫ Ich weiß nicht, weiß nicht, also frag mich nicht warum so sind wir, la Seine und ich ich weiß nicht, weiß nicht, also frag mich nicht warum so sind wir, la Seine und ich ♫   “Reaper?” Widowmakers Miene und Stimme zeugten von Ungeduld, was ihren Akzent nur verstärkte, mit dem sie das R am Ende deines Codenamens auf eine Weise rollte, dass es Gabriel heißkalt durchlief. Fragend blickte er in ihre Richtung. Seine Mimik allerdings konnte sie natürlich nicht sehen, trug er doch wie stets die beinern anmutende Eulenmaske, die ihn auf der ganzen Welt als gefürchteten Assassinen verriet. “Warum zögerst du?”, verlangte die Scharfschützin zu wissen und erst jetzt dämmerte Reaper, dass er wohl die erste Nachfrage nicht einmal mitbekommen hatte. Unwillig brummelte er nur etwas Unverständliches, das sie zu seinem Glück so hinnahm. Er hatte geträumt. Das Ziel hatte sich nämlich eingefunden und stieg gerade aus dem Auto. Der Plan sah vor, dass er für Ablenkung sorgte, während Widowmaker die tödlichen Schüsse abfeuerte, die den Botschafter und hoffentlich auch dessen Begleiter, einen hochdotierten Politiker, aus dem Verkehr zögen. Dass sie ihn nicht treffen würde, daran zweifelte Gabriel nicht. Auf ihre ganz eigene Weise waren die kühle Amélie und er, dem man eher einen Hitzkopf nachsagte, ein hervorragendes Team. Ohne Wort wussten sie genau, dass sie sich aufeinander verlassen konnten, wussten wie von Zauberhand, wann der jeweils andere Deckung benötigte, welche Gegner ein Problem waren und welche nicht. Dass sie beide diese Verbindung teilten, hatte sich bei Talon schnell herausgestellt und so war es kaum ein Wunder, dass man in der Regel sie beide gemeinsam entsandte.   ♫ Extra lucille quand tu es sur La seine, la seine, la seine Extravagante quand l'ange est sur La seine, la seine, la seine ♫   Übersetzung: ♫ Ich fühle mich lebendig, bin ich neben ihr La Seine, la Seine, la Seine aus diesem Blickwinkel wie ein Engel La Seine, la Seine, la Seine ♫   In einem Wirbel von schwarzem Rauch hatte er sich durch den Nebel dem Ziel genähert, hatte wie Gevatter Tod höchstpersönlich Gestalt angenommen und nicht gezögert, die ersten Schüsse abzufeuern. Wie erwartet, war man auf ihn vorbereitet gewesen, doch das spielte keine Rolle. Er war nur Ablenkung und die Angst in den Augen der Sicherheitsmänner zu sehen, die Panik im Blick des Bodyguards, der einem Gegner schier hilflos gegenüberstand, berauschte den Assassinen. So lebendig fühlte er sich nur, wenn er tötete. Er wollte ein Leben eigenhändig und direkt auslöschen, wollte die Angst schmecken, die seine Anwesenheit auslöste. Und er war damit nicht allein. Sagte Widowmaker nicht selbst, dass nur das Töten selbst ihr das Gefühl gab, lebendig zu sein? Er hätte ihr nicht mehr zustimmen können. Nie war man dem Leben näher als im Augenblick des Todes, so ironisch es anmuten mochte. Doch wer wüsste das besser als er, der stets an dieser Grenze stand, auf beiden Seiten einen Fuß? Er starb und regenerierte gleichzeitig, starb und lebte. Schrödingers Gabriel wenn man so wollte. Tot und lebendig zugleich. “Der Todesengel ist gekommen, dich zu holen”, grollte er in Richtung des Botschafters, dem der Angstschweiß auf der Stirn stand. Der Mann war leichenblass geworden, zurück getaumelt, wollte fortlaufen, wurde jedoch von einem Bodyguard am Arm festgehalten. Geschickt wich er einer Faust aus, die seinen Arm hätte treffen sollen und wirbelte herum. Ein Bodyguard schrie, die Sicherheitsbeamten zückten ihre Waffen und schnell fielen weitere Schüsse. Einer traf ihn am Bein, doch es war nur ein Streifschuss. Ein anderer traf ihn, doch Reaper war schnell genug darin, seine Gestalt aufzulösen, sodass die Kugel nur knapp einen anderen Bodyguard verfehlte und sich in den Asphalt bohrte. Panik brach aus. Einer der Männer fiel blutend zu Boden, ein anderer verlor die Nerven und floh. Ein Schrei, dann herrschte heilloses Chaos und Gabriel brauchte sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Amélie ihren Job erledigt hatte. Neben den toten Körper des Botschafters fiel ein zweiter. Der Politiker. Seine Miene zeugte von Überraschung. Offenbar hatte er sich noch über den Toten neben sich gewundert, als es ihn erwischte.   ♫ Je ne sais, ne sais, ne sais pas pourquoi On s'aime comme ça, la seine et moi Je ne sais, ne sais, ne sais pas pourquoi On s'aime comme ça la seine et moi ♫   Übersetzung: ♫ ich weiß nicht, weiß nicht, also frag mich nicht warum so sind wir, la Seine und ich Ich weiß nicht, weiß nicht, also frag mich nicht warum so sind wir, la Seine und ich ♫   So schnell wie er aufgetaucht war, zog sich Reaper auch wieder vom Schauplatz des Geschehens zurück. Schrille Sirenen kündeten an, dass die Polizei und Rettungskräfte bald einträfen. Zu spät für den Botschafter, soviel stand fest. Amélie verfehlte ihre Ziele niemals. Ebensowenig wie Reaper kannte sie Mitleid mit ihren Opfern, sondern genoss viel mehr den Augenblick in denen sie zu diesen wurden. Ein düsteres Lächeln huschte über Gabriels Züge. Gemeinsam waren die Französin und er wirklich schier unaufhaltsam. Widowmaker erwartete ihn bereits, als er sich auf dem Dach neben ihr manifestierte. Ihr Gewahr hatte sie sich auf den Rücken geschwungen, den Visor geöffnet, sodass er das zufriedene Funkeln in ihren Augen sehen konnte. “Ein voller Erfolg”, ließ sie in einem beinahe schnurrenden Tonfall wissen. Gabriel nickte nur. “Wir sind hier fertig.” Länger hier zu bleiben, hieße nur sich einer Übermacht auszusetzen, denn ohne Zweifel würde irgendein Mitglied von Overwatch auch hier herumlungern und anders als der gemeine Straßenpolizist, dessen höchstes Gefahrenmaß ein Junkie darstellte, der bewusstlos in einer Gasse lag, konnten die Agenten Overwatchs wirklich ein Ärgernis werden. “Wir sehen uns am Treffpunkt wie vereinbart”, ließ Amélie ihn mit schwerem Akzent wissen, dann sprang sie auch schon über die Kante des Dachs. Sorgen machte sich Gabriel keine um sie. Widowmaker käme klar. Sie war schnell, geschickt und durchaus in der Lage, sich zu verteidigen. In dieser Hinsicht stand sie ihm in nichts nach. So waren sie beide.   ♫ Sur le Pont des Arts Mon cœur vacille Entre deux eaux L'air est si bon Cet air si pur Je le respire Nos reflets perchés Sur ce pont ♫   Übersetzung: ♫ Auf der Brücke schlägt mein Herz zwischen den Wellen werden wir sicher sein die Luft die wir atmen kannst du es glauben? lerne zu verzeihen auf der Brücke ♫   Wieder spielte Reaper die Ablenkung, damit keiner der Verfolger sich an Amélies Fersen heftete. Spielend leicht hatte er sich zwischen den ankommenden Hilfskräften materialisiert und war im nächsten Moment schon wieder verschwunden, um sie auf eine falsche Fährte zu locken. Sie dann abzuhängen jedoch, hatte sich als durchaus lästiger als erwartet erwiesen. Als es ihm schließlich gelungen war und er die Fußgängerbrücke am anderen Ende der Stadt erreichte, die sich über die Seine spannte, wartete Widowmaker bereits. Sie trug einen schlichten Mantel über ihrem engen Anzug, das Gewehr nicht länger geschultert, sondern in einem Cellokoffer verstaut, der neugierigen Blicken nicht verriet, was die Französin wirklich bei sich trug. Gabriel zog die Kapuze tief ins Gesicht, um die Maske davor zu verbergen, während er neben Amélie trat. Niemand außer ihnen war hier. Vermutlich saßen alle Menschen daheim vor ihrem Fernseher und sahen die Nachrichten, die vom Tod des Botschafters berichteten. Alle Polizisten trieben sich wahrscheinlich auch dort im Umkreis herum und mit ihnen die Männer und Frauen irgendwelcher Geheimdienste und Spezialeinheiten. Sie beide sagten kein Wort, doch er wusste auch so, wohin sie sah. Nicht auf die Seine, die sich vor ihnen ausbreitete wie ein dunkelblaues Band, sondern vielmehr in die Ferne von Paris. Dort, wo sie damals selbst den ersten Schuss als Widowmaker abgefeuert hatte. Der Schuss, der Gérard Lacroix das Leben kostete, ihren Ehemann.   Gabriel wollte gerade vorschlagen, sie sollten Paris nun verlassen, als Amélie das Wort ergriff. “Ist es nicht seltsam, wie sehr wir an Erinnerungen hängen, egal wie unbedeutend wir sie finden?” Er wusste darauf nichts zu sagen und so blieb es bei einem Art Brummeln, das man wohl als Zustimmung deuten könnte. Widowmaker schien das zumindest zu tun, denn sie fuhr im nächsten Moment auch schon fort. “Kannst du es glauben, Gabriel? Ich bereue nichts. Ich habe alles verziehen.” Ihre Stimme klang beinahe wie ein Seufzen. “Hier, auf dieser Brücke hat mir Gérard damals den Antrag gemacht. Zwischen den Wellen der Seine schlugen unsere Herzen wie eines. So hat er es beschrieben.” Sie lachte leise, doch es lag keine Bitterkeit darin. “Jetzt höre ich nur noch meines”, meinte sie schließlich, stutzte dann aber und wandte sich Reaper zu. “Und deines.” Gabriel starrte sie an, wog ab, wie er diese Bemerkung deuten sollte, doch fand keine Antwort.   ♫ On s'aime comme ça la seine et moi On s'aime comme ça la seine et moi On s'aime comme ça la seine et moi On s'aime comme ça la seine et moi ♫   Übersetzung: ♫ so sind wir, la Seine und ich so sind wir, la Seine und ich so sind wir, la Seine und ich so sind wir, la Seine und ich ♫   “Du solltest dir auch verzeihen, Gabriel. Geschehen ist geschehen.” Wieder erwiderte Reaper nichts. Er verstand auch so, worauf sie anspielte. Die Explosion im Hauptquartier. Sie beide hatten etwas getan, von dem die ganze Welt glaubte, sie müssten es bereuen. Doch sie taten es nicht und vielleicht war genau das der Kern, der sie beide unterschied von all den Menschen um sie herum. Sie wussten, dass es wenig Sinn hatte zu bereuen, nur weil es von einem erwartet wurde. Jeder war verantwortlich für seine Taten und es lag an einem selbst, so zu leben, dass man nichts zu bereuen hatte. Sie beide hatten ihre Wahl getroffen und der Weg ihrer Entscheidungen hatte sie beide hierher geführt. Einige Minuten standen sie nur schweigend da, die Blicke auf die Seine gerichtet, ehe Gabriel das Wort ergriff. “Gehen wir.” Widowmaker nickte nur, als sie sich ihm zuwandte. “Wann werden wir abgeholt?” Noch während sie fragte, tippte sie ihr Kommunikationsgerät an, das an ihrem Ohr hing. “Wir sind soweit.” Die Antwort folgte prompt. In nicht einmal einer halben Stunde, etwas außerhalb von Paris würde man sie beide einsammeln. Keiner von ihnen beiden sagte ein Wort, doch die wie zufällig anmutende Geste, mit der Amélie seine Hand ergriff, diese kleine Berührung, war ein klares Zeichen, besonders zusammen mit der leisen Weise, die sie summte. Vermutlich ein französisches Volkslied. Gabriel kannte es nicht. Doch die sanfte Melodie sagte ohnehin mehr aus, als Worte es vermocht hätten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)