Meines Bruders bester Freund von eulenkueki ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Noah hat sich von Frank getrennt! Im ersten Moment möchte ich Luftsprünge machen. Im zweiten möchte ich Frank schlimm verprügeln, weil der einfach mit jemand anderen vögelt, wo er den wundervollsten Mann an seiner Seite hat, den man sich wünschen kann. Und im dritten Moment plagt mich das schlechte Gewissen, weil ich mich nicht darüber freuen sollte, dass meinem Schwarm das Herz gebrochen wurde. Schließlich möchte ich doch nur, dass er glücklich ist... mit mir, zugegeben. Noah ist vor einer Woche hier aufgekreuzt, eigentlich nichts Ungewöhnliches. Als ich die Tür öffnete, waren seine Augen feucht. Entweder hatte er geweint oder stand kurz davor, keine Ahnung. Er ist wohl genauso überrascht wie ich gewesen, dann hatte er sich an mir vorbei gedrängt, nach Bastian gerufen und ist mit ihm in dessen Zimmer verschwunden. Ich hatte Noah an diesem Tag nicht mehr gesehen, erst am nächsten Morgen, als er mit am Frühstückstisch saß. Da hat er mir ein strahlendes Lächeln geschenkt, wie immer, schob mir einen heißen Kakao über den Tisch und plauderte völlig gelassen daher, als hätte er am Tag zuvor nicht Nervenzusammenbruch ausgesehen. Bastian erzählte mir später, dass Noah mit Frank Schluss gemacht hatte. Die Freude hält seit einer Woche an, allmählich ebbt sie jedoch ab. Ich sollte mich schrecklich fühlen, aber das einzige, woran ich denken kann ist die Frage, wie ich es nun schaffe, Noah von mir zu überzeugen. Der geht mit der Situation entweder mega souverän um oder versteckt seinen Kummer sehr gut. Ich kann das nicht so einschätzen, weil wir nicht viel Zeit miteinander verbringen – leider. Schließlich ist er nicht mein bester Freund. Trotzdem versuche ich ihn so oft zu sehen wie möglich, lauer am Fenster und warte, dass er vorbei kommt. Manchmal bin ich schnell genug und öffne ihm die Tür, manchmal kommt Bastian mir zuvor. Der ist im Großen und Ganzen einfach nur genervt und hackt ständig auf mir rum. Das hat er schon immer. Ich bin nur der Giftzwerg oder Grottenolm. Noah hat mich schon immer liebevoll verteidigt – alleine dafür muss man ihn ja schon lieben – aber am Ende des Tages hat er sich immer mit Bastian zurückgezogen und mir nur durch die Haare gewuschelt. Ich heiße im Übrigen Konstanin, bin letzten Monat – im Juni – siebzehn geworden, gehe auf die örtliche Realschule und hoffe, dass ich das Abitur nicht völlig in den Sand setze. Ganz auf den Kopf gefallen bin ich zwar nicht, aber Mathe... puh, also den Kram, den wir da durchnehmen? Bin ja schon froh, dass ich mich beim Vorrechnen an der Tafel nicht völlig blamiere... nicht immer jedenfalls. Ich würde mich als guten Durchschnittsschüler bezeichnen. Bisher war ich noch nicht versetzungsgefährdet, aber sind wir doch mal ehrlich: würde ich nicht ständig wie ein Besessener lernen, könnte das durchaus Realität für mich werden. Die restlichen Fächer sind soweit in Ordnung, Musik das einzige in dem ich wirklich glänze. Ich spiele nämlich seit dem Kindergarten Klavier und habe damit bis heute nicht aufgehört. Eigentlich gibt es nicht viel, über das ich groß klagen könnte. Meine Eltern, Lisa und Richard, sind super lieb, kümmern sich und wir wohnen in einem netten Haus mit Garten. Wir baden zwar nicht im Geld, aber schlecht geht es uns auch nicht. Passend zum Familienbild haben wir auch einen Hund: groß, schwarz, haarig. Der heißt Oskar und ist so treudoof, der würde dem Einbrecher den Tresor zeigen anstatt ihn zu verjagen. Seine Schäferhundgene müssen wohl irgendwann in seinen fünf Jahren abhanden gekommen sein. Meistens muss ich mich um ihn kümmern, weil meine Eltern beide Vollzeit arbeiten und Bastian mit dem Zug zwischen daheim und seiner Arbeit als Fotograf in einer anderen Stadt hin und her pendeln muss. Wir haben auch hier genug Studios, aber er wollte nicht in der Nähe arbeiten. Wette, der hat das extra gemacht. Und weil ich nur zur Schule gehe, habe ich die meiste Zeit... lernen ist ja nicht ganz so wichtig wie arbeiten. Ich möchte mich nicht beschweren, Oskar ist toll, der versteht einen. Der hört zu, legt den Kopf schief und kuschelt mit einem. Leider gibt er mir keine klugen Ratschläge bezüglich Noah was wiederum ziemlich doof ist. Über meine Freunde kann ich auch nicht klagen. Ich würde nicht behaupten, dass ich besonders viele habe, eher viele Bekannte mit denen ich gelegentlich was unternehme. Meine beste Freundin Hannah findet, dass ich Noah einfach vor vollendete Tatsachen stellen soll. Ich finde, Hannah hat keine Ahnung. Wir haben uns zwar erst auf der Realschule kennen gelernt, aber es war bei uns Freundschaft bis in den Schwachsinn auf den ersten Blick. Hannah ist wie Oskar, allerdings helfen mir ihre klugen Ratschläge nur bedingt. Es weiß nämlich außer ihr niemand, dass ich auf Jungs stehe. Also, auf Noah. Meine Eltern und Bastian sind zwar super tolerant und hätten bestimmt auch kein Problem damit wenn ich mich oute, aber wissen müssen die es trotzdem nicht. Erstmal. Es ist eh schon schlimm genug, dass Bastian mich ständig damit aufzieht, dass ich noch keine Freundin habe. Er hatte mit vierzehn seine erste Freundin und in meinem Alter war er schon längst sexuell aktiv. Ich möchte mich für Noah aufsparen, weil ich andernfalls das Gefühl habe, ihn zu betrügen. Hannah ist ja der Meinung, dass zwischen Erfahrung sammeln und betrügen ein großer Unterschied liegt. Noah hat schließlich Erfahrung und weiß bestimmt was er will – wenn er dann mit mir ins Bett hüpft, erwartet er bestimmt das ich weiß wo's lang geht. Ich mache mir viele Gedanken über Sex und das nicht nur, weil ich ein Teenager bin. Sex mit Noah... ich weiß, dass ich das will, aber wenn ich anfange darüber nachzudenken, kriege ich trotzdem kalte Füße. Ihn küssen und mit ihm kuscheln ist da ein viel sicheres Thema. Leider tun wir weder das eine, noch das andere. Seit mit Frank Schluss ist hätte ich jeden einzelnen Tag ehrlich zu ihm sein können. Wir hatten auch oft genug Zeit alleine – wenn Bastian verspätet nach Hause kam weil der Zug nicht zurande kam. Dann haben wir Karamell-Krokant-Cappuccino getrunken und zusammen gewartet. Kann ihn ja schließlich nicht alleine lassen, das wäre doch langweilig für ihn. Finde ich jedenfalls. Mann, Noah macht mich schrecklich nervös. Ich hab total Probleme, ihm länger als ein paar Minuten in die Augen zu schauen. Die sind stahlgrau und funkeln ständig wie verdammte Sterne, weil er fast immer lächelt. Seine blonden Haare liegen zur perfekten Out-of-Bed-Frisur auf seinem Schädel. Meistens hat er einen leichten Drei-Tage-Bart was ich wahnsinnig sexy finde. Wenn alle Männer so aussehen würden wie er... vielleicht würde das vieles einfacher machen – da kann ich dann auch notfalls Erfahrung sammeln. Noah trägt bevorzugt schwarze Jeans die eng genug sind, um seine trainierten Fußballerbeine zu unterstreichen. Kombiniert er dann oft mit einem coolen, feschen Tshirt und / oder Hemd. Ich glaube, er besitzt Chucks in allen Variationen. Gott, Noah ist so cool. Mein Bruder und er kennen sich im Übrigen seit dem Kindergarten. Da haben die sich aber zunächst gehasst, weil Bastian schon damals ein totaler Draufgänger gewesen ist, Noah das genaue Gegenteil. Irgendwann ist die Abneigung dann aber umgeschlagen und sie haben festgestellt, dass sie ohne einander nicht wollen. Seitdem sind die beiden ein Herz und eine Seele. Bastian hat auch überhaupt keine Probleme damit, Noah nah zu sein. Der kann ihn auch in die Arme nehmen und trösten, wenn es ihm nicht gut geht. Das weiß ich, weil ich mal heimlich durchs Schlüsselloch geguckt habe... ich bin so krass neidisch auf meinen Bruder, weil der Noah wie selbstverständlich berühren kann und ich schon Schweißausbrüche kriege, wenn er mir die Hand zum Geburtstag schüttelt. Wenn er mir durch die Haare wuschelt, kribbelt mein ganzer Körper. Wenn er mich anlächelt, möchte ich die ganze Welt umarmen. Wenn er mit mir spricht, kann ich manchmal nur noch auf seine Lippen starren. Ich mag ihn so gerne küssen, dass es weh tut. Leider signalisiert er mir keinerlei Interesse gegenüber. Also, Interesse, das über die alltäglichen Fragen nach Schule und was ich so mache hinaus geht. Ich bin nämlich nur der kleine Bruder von Bastian, der immerhin keine ätzende Nervensäge ist, weshalb er auch Zeit mit mir verbringen kann – zumindest bis Bastian aufkreuzt. Die beiden haben früher zusammen Fußball gespielt, jetzt spielt nur noch Noah. Ich habe ja kein einziges Spiel verpasst. Manchmal mit Bastian zusammen, meistens aber heimlich. Noah weiß nämlich nicht, dass ich alles über seinen Fußballverein weiß und jede News wie ein Stalker verfolge. Nicht, dass mir mein umfangreiches Wissen nützt, weil ich nämlich nie über so was mit ihm rede. Will mich ja nicht verdächtig machen. Und dann ist da noch die Sache mit dem Alter. Bis vor einem Monat war er halt noch zehn Jahre älter als ich. Jetzt bin ich zwar siebzehn und wenn etwas zwischen uns laufen würde, wäre es ja mit meinem Einverständnis und ausnutzen würde er mich auch nicht. Andererseits bin ich mir doch relativ sicher, dass meine Eltern das nur semi-geil finden würden. Mal völlig abgesehen davon, wie Noah wohl darüber denken würde? Frank war zwei Jahre älter als er, stand fest mit beiden Beinen im Berufsleben – irgendwas im Bereich Hotelmanagement – und hatte sein Leben voll im Griff. Also, hat er immer noch, aber weil er quasi Geschichte ist, rede ich über ihn nur in der Vergangenheit. Aber dieser Knallkopp soll uns nicht weiter interessieren. Jedenfalls mache ich mir dann doch ein bisschen Sorgen, dass Noah vielleicht nur das Kind in mir sieht. Noch schlimmer: den kleinen Bruder seines besten Freundes. Ist das nicht sowieso ein totales Tabu? Immerhin möchte ich mich ja nicht zwischen die beiden drängen weil ich dann doch weiß, wie viel die beiden einander bedeuten. Jeder, der die beiden kennt, sieht das. Ändert nur leider nichts an meinen Gefühlen. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Mann, mir geht echt die Pumpe. Nervös spiele ich mit der Karte in meinen Händen herum. Morgen, also Sonntag, habe ich ein Charity Klavierkonzert. Das wurde schon vor ein paar Monaten bekannt gegeben, aber ich habe Noah davon nichts erzählt gehabt. Bastian hat ihm das wiederum bestimmt erzählt, weil sowohl er als auch unsere Eltern anwesend sein werden. Hannah wird auch da sein und eine Karte habe ich noch übrig... Ah, ich höre Stimmen! Verrenke mir halb den Kopf um aus meinem Fenster zu gucken, das nämlich raus zur Straße geht – die Haustür also perfekt im Blick! Noah verabschiedet sich gerade von Bastian, der war nämlich für einen der regelmäßigen Spieleabende zu Besuch. Noah verlässt die Einfahrt und macht sich auf dem Weg zum Bahnhof, er wohnt sechs Stationen weiter weg etwas außerhalb vom Stadtzentrum. Bis zum Bahnhof braucht er knapp zehn Minuten. Oskar braucht nochmal einen Abendspaziergang! Die Karte verschwindet in der Tasche meiner Sommershorts – ehrlich, es ist schon nach sieben am Abend und draußen kann man immer noch ein Steak in die Sonne halten um es schön durchzubraten – meine Schlüssel in der anderen, dann sprinte ich die Treppen nach unten und pfeife nach Oskar. Der kommt glücklich angesprungen wie ein Reh, ich mache die Leine fest und schlüpfe in meine Birkenstock Sandalen. An dieser Stelle dürfen jetzt alle bitte den Mund halten, ok?! Bastian zieht eine Augenbraue hoch als er mir entgegenkommt. „Wo willst du denn noch hin?“ Ich deute auf Oskar, der Bastian mit großen Augen anhechelt. „Ich drehe nochmal ne Runde mit Oskar.“ Schwupps, ab durch die Tür, die ich schnell hinter mir zuziehe. Dann sehe ich zu, dass ich nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam hinter Noah her eile. Der soll immerhin nicht denken, dass ich ihm nachrenne... Noah biegt gerade in den kleinen Schleichweg nach links ab und ich nehme allen Mut zusammen, sprinte mit Oskar auf die andere Straßenseite und rufe nach Noah. Der zuckt etwas erschrocken zusammen, bleibt stehen und dreht sich um. Als er mich sieht, scheint er ehrlich überrascht zu wirken, auf ein freundliches Lächeln muss ich aber nicht lange warten. Weil ich keine Kondition habe und Oskar fröhlich mit dem Schwanz wedelnd ein bisschen nach vorne zieht, geht mein Atem etwas schneller, als ich vor Noah stehen bleibe. „Alles in Ordnung bei dir?“, erkundigt sich Noah mit warmer, tiefer Stimme, die sofort die Schmetterlinge in meinem Bauch aufschreckt. Mann, ich wünschte, der würde mir mit dieser Stimme ins Ohr flüstern... und seine Lippen würden dann ganz zart mein Ohr und Nacken streifen. Au weia, jetzt bloß nicht mit zu fantastischen Gedanken ankommen! „Ja, ich... Oskar, sitz!“ Der Hund beschnuppert Noah nämlich viel zu intensiv und stupst ihn mit der Schnauze gegen das Bein. Der hat keine Hemmungen um nach Aufmerksamkeit zu betteln. Noah tätschelt ihm lieb den Kopf, Oskar setzt sich neben ihn hin und ist mit sich selbst scheinbar vollauf zufrieden. Gott, der ist so ein süßer Trottel. Endlich wage ich es, Noah anzuschauen und muss leicht schlucken... also, wir sind uns nicht ZU nah, aber auch nicht gerade auf normalen Abstand weil die Leine für Oskar kurz gestellt ist und ich deshalb nicht so weit von ihm weg kann ohne ihn zu strangulieren. Ich kann Noahs Parfüm ganz dezent riechen. Mann, ich mag meinen Zinken an seinen Hals vergraben. „Sorry das ich dich aufhalte. Äh, ich... ich habe morgen ein Klavierkonzert und noch eine Karte übrig...“, fische besagte Karte aus meiner Hosentasche und halte sie Noah hin, „und dachte, du hättest vielleicht Zeit und Lust zu kommen?“ Haha, kommen... oh Mann, ich bin so ein scheiß Teenager. Mein Gesicht fühlt sich unglaublich heiß an, aber das ist die Abendsonne. Immerhin sind es noch gefühlt tausend Grad hier draußen! Noah senkt den Blick auf die Karte in meiner Hand, etwas überrascht, aber immer noch lächelnd. Dann streckt er seine rechte Hand aus und nimmt die Karte entgegen, wobei seine Fingerspitzen die meine hauchzart berühren. Meine Finger gehen in Flammen auf!! Ich kriege Gänsehaut. Leider ist dieser zarte Kontakt viel zu schnell vorbei und ich habe alle liebe Mühe, den Blickkontakt aufrecht zu halten. „Klar, gerne. Danke für die Einladung, Konstantin. Das ist echt lieb von dir.“ Oahhh, wenn er mich bei meinem Namen nennt, wird mein ganzer Körper zur reinen Quabbelmasse. Ich fühle mich wie die Hyänen bei König der Löwen. Mein ganzer Körper kribbelt und ich hab das Gefühl mich angenehm schütteln zu müssen. „Äh...cool, das freut mich. Bastian ist auch da.“ Oh Gott, ich bin so ein Trottel! Es soll doch um mich gehen, wieso erwähne ich da meinen doofen Bruder?! Das ist ja wie, als würde man beim Date über den oder die Ex reden. „Super, ich freue mich. Gehst du noch eine Runde mit Oskar?“ Ich nicke vielleicht etwas zu heftig. Fühle mich wie ein Wackeldackel im Auto mit Schleudertrauma. Meine Kehle ist auch so furchtbar trocken gerade, ich bringe irgendwie keinen Ton raus. Freut er sich wegen mir? Oder weil Bastian da sein wird? Argh!! „Lass uns doch ein Stück zusammen gehen, dann ist es für uns beide nicht so langweilig.“ Noah zwinkert mich an und Sekunden später laufe ich wie betäubt neben ihm her. Oskar trottet mit sich selbst zufrieden brav mit. Mein Schwarm und ich schweigen, was mich in eine tiefe Krise stürzt. Ob ich ihn langweile? Ist er nur freundlich, weil es sich so gehört? Mann, wieso fällt mir nichts Cooles ein, das ich zu ihm sagen oder ihn fragen könnte? Das ist nämlich leider auch so ein Problem. Ich weiß immer nie, worüber ich mit ihm reden soll oder kann. Wenn er zu Besuch ist, sind es eher belanglose, alltägliche Dinge. Worüber man halt so quatscht. Aber ich will ja, dass er mich mag und mich interessant findet. Zum Glück nimmt er mir das gerade ab. „Hast du deswegen die letzten Monate so viel geübt?“ Oh Gott, das ist ihm aufgefallen?! Mir ist nach kaputt gehen. Ich nicke schwächlich. „Irgendwie wollte es mir nicht so richtig gelingen. Ich spiele selten Beethoven und das 5. Klavierkonzert ist so beliebt, dass ich es auf keinen Fall versemmeln will.“ „Ich bin mir sicher, dass du es auf keinen Fall versemmeln wirst.“, muntert Noah mich auf und blickt mich von der Seite her an. Das kann ich allerdings nur aus dem Augenwinkel sehen, weil ich befürchte, dass meine hochrote Birne sonst explodiert wenn ich ihn ansehe. Mir bedeutet sein Zuspruch so wahnsinnig viel, gleichzeitig möchte ich schreien, weil es für ihn einfach nur nette Worte sind – die mir allerdings Herzrasen bescheren. Ich schaffe es ein leises Danke zu nuscheln bevor der blöde Bahnhof in Sicht kommt. Ärgerlich stelle ich fest, dass ich die Zeit mit Noah einfach nie richtig nutze. Warum muss der mich auch so nervös machen? Ich wünschte, ich könnte so cool und entspannt sein wie er es ist. Ob es am Altersunterschied liegt? Oder doch nur an meiner völlig aus den Fugen geratenen Gefühlswelt? Egal. Wir bleiben vor den Treppen zum Gleis stehen – ich schaffe es endlich, Noah anzusehen. Mann, der ist so unfassbar schön. Und wenn er mich so anlächelt... ich möchte schmelzen. „Danke für die Einladung. Wir sehen uns dann morgen Abend.“ „Ja... ich freue mich. Es gibt anschließend noch einen kleinen Umtrunk, aber wenn es dir zu spät wird, musst du natürlich nicht bleiben!“, schiebe ich schnell hinterher und bete innerlich, dass ich ihn nach dem Konzert noch sehen kann. „Da werde ich nicht nein sagen. Also dann, machs gut Konstantin.“ Seine linke Hand legt sich auf meinen Kopf und... wuschelt mir durch die Haare. Seine Berührung jagt ein Kribbeln durch meinen Körper, ich will ihm um den Hals fallen, will seinen Geruch einatmen, meine Arme und Beine um ihn schlingen... verliebt sein ist furchtbar anstrengend. Bilde ich es mir nur ein, oder bleibt seine Hand länger als sonst auf meinem Kopf liegen? Noah blickt mich einen Moment einfach nur an, dann lächelt er, zieht seine Hand zurück, tätschelt Oskar, der fröhlich mit seinem Schwanz wedelt und macht sich auf zum Gleis. Mir ist nach sterben. Ich kann ihm nur völlig entrückt nachsehen, finde aber, dass ich mich schnellstmöglich vom Acker machen sollte. Nicht das er noch denkt, ich würde wie eine über fürsorgliche Mutti darauf warten bis er in den Zug eingestiegen ist. Oskar trabt munter neben mir her während ich mich fühle, als würde ich dringend ein Sauerstoffzelt benötigen. Wie soll ich Noah denn jemals meine Liebe gestehen, wenn er mich so wahnsinnig verunsichert? Ich bringe kaum einen vernünftigen Satz raus. Also, keinen von wirklicher Bedeutung. Ich möchte gerne unbeschwert mit ihm umgehen, bin aber viel zu nervös und verunsichert. Einerseits finde ich, dass ich einfach ehrlich sein sollte. Was habe ich zu verlieren? Wenn er mich nicht mag – also, nicht SO mag – dann wird das auch nicht der Weltuntergang sein, ganz gleich, wie es sich für mich anfühlen wird. Dann weiß ich immerhin, woran ich bei ihm bin. Andererseits bin ich davon überzeugt, dass ich ihn von mir überzeugen muss. Wenn er mich eben noch nicht im richtigen Licht sieht, muss ich dafür sorgen, dass er es tut. Wie? Keine Ahnung. Das sollte ich besser nochmal ausführlich mit Hannah diskutieren. Sicher ist sicher. Nach einer kleinen Runde durch den Park muss ich Oskar davon überzeugen, dass nach Hause gehen bei den Temperaturen eine gute Idee ist. Ihr müsst verstehen: Oskar liebt es, draußen zu sein. Egal wie das Wetter ist. Das ist im Hochsommer eine Qual und im Winter genauso. Ich bin nämlich eine totale Frostbeule und permanent erkältet, sobald die Temperaturen unter fünf Grad sinken. Mit einem Hund ist das ganze eher suboptimal. Am Ende kommen wir aber doch nach Hause, Oskar schmeißt sich auf den kalten Fließenboden in der Wohnküche und ich verziehe mich mal ganz schnell auf mein Zimmer. Ich wähle Hannahs Nummer noch während ich mich auf mein Bett fallen lassen. Es dauert nicht lange, bis sie abnimmt. „Und?“, kommt es neugierig vom anderen Ende der Leitung und ich weiß genau, dass meine beste Freundin aufgeregt an ihrem Daumen rum knabbert. Das ist nämlich so eine Angewohnheit von ihr. „Er kommt! Also, zum Konzert, meine ich.“ Hannah lacht sich schlappt. „Das ist mir auch klar, Blödkopp. Siehst du, hab doch gesagt, dass er sich dein Geklimper nicht entgehen lässt.“ Auch wenn Hannah immer brav zu all meinen Konzerten kommt – klassische Musik ist nichts für sie. Sie liebt es laut, rockig, punkig, Hauptsache sie kann auf der Tanzfläche herum hopsen wie ein verdammtes Eichhörnchen auf irgendwas. Vor einiger Zeit hatte sie ihren Kopf dabei zu sehr herum geschleudert und musste für eine Weile eine Halskrause tragen. Meistens gehen wir zusammen an den Wochenenden feiern und auch wenn ich hauptsächlich klassische Stücke auf dem Klavier spiele, höre ich in meiner Freizeit lieber rockiges und alternatives. Ich finde, es ist eine gute Mischung. „Er bleibt anschließend auch noch zum Umtrunk.“ „Also die perfekte Gelegenheit ihm zu sagen, dass du verknallt bist! Mit ein Glas Sekt geht das bestimmt viel einfacher.“ Ich bräuchte eher ein ganzes Fass, befürchte ich heimlich. „Das kann ich ihm doch da nicht sagen! Meine Eltern und Bastian werden auch da sein. Das geht nicht.“ „Meine Güte, du findest auch für alles eine Ausrede. Du hast doch seine Nummer, oder?“ Naja... ICH hab die nicht, aber unser Haustelefon hat seine Nummer im Telefonbuch. Ich nicke. Weil Hannah das ja aber nicht sehen kann, bestätige ich es auch nochmal mit Worten. „Ruf ihn doch einfach an und frag ihn, ob er mal Zeit hat sich mit dir zu treffen.“ „Das hatten wir doch schon, wieso sollte er sich mit mir treffen? Alleine?“ „Wieso sollte er nicht?“ „Weil ich nicht sein bester Freund bin?“, schlage ich etwas gereizt vor. „Aber sein zukünftiger boyfriend. Mann, ernsthaft, du schleichst vier Jahre schon um ihn herum. Wenn das so weiter geht, stirbst du noch als alte Jungfer. Maxi findet dich übrigens süß.“ Ich werde schlagartig rot. „Wer?“ „Maxi. Du erinnerst dich? Klein, Schmollmund zum Knutschen, Schneewittchen Look?“ Mir dämmerst es ein klein wenig, glaube ich. Letztes Wochenende waren wir nämlich in unserem Stamm Club, dem Horizon, wo Hannah mich auf diesen zugegeben süßen Jungen aufmerksam gemacht hat. Ich selber bin nicht sonderlich groß, etwas über einen Meter siebzig, aber dieser Maxi ist noch ein Stück kleiner gewesen. Von Kopf bis Fuß steckte er in schwarz und sein Tshirt war gewollt ein bisschen löchrig – perfekte Aussicht auf seine Schneewittchen Haut. Im Discolicht konnte ich leider nicht erkennen, welche Farben seine Augen hatten, aber groß interessiert hat mich das auch nicht. Ich bin schließlich in Noah verknallt und habe keine Augen für andere Jungs. „Ja und?“, frage ich deshalb ein bisschen blöde nach und hoffe, dass Hannah nichts Blödes gesagt hat. Ich meine, woher weiß die, dass der mich süß findet? Die Frage schiebe ich direkt mal hinterher. „Mann, Maxi ist in der Parallelklasse! Er hilft in der Schulbibliothek aus und wir unterhalten uns halt öfter. Und am Montag haben wir halt zufällig gequatscht und da hat er nach dir gefragt.“ Wenn man Hannah kennen lernt, möchte man nicht unbedingt glauben, dass sie viel mit Literatur am Hut hat. Wenn man sie dann besser kennt, ist man doch ein wenig sprachlos. Hannah liest so wahnsinnig viel, dass in ihrem Zimmer mehr Bücher als alles andere zu finden ist. Ihre Bücher stapeln sich inzwischen auch auf dem Boden, weil sie kein weiteres Bücherregal in ihr Zimmer kriegt. Davon hat sie nämlich vier, alle doppelreihig mit Büchern voll. „Der erzählt dir einfach so, dass er mich süß findet? Ich bin doch kein kleines Kätzchen.“ „Er hat halt gefragt, ob du eine Freundin hast. Da hab ich nein gesagt, weil du Jungs interessanter findest. Hättest sein Gesicht sehen sollen, dem ist echt die Sonne aufgegangen und...“ „Hannah!“, kreische ich in einer Tonlage, die für mich völlig neu ist. Hab ich das gerade richtig verstanden? „Aua, was denn? Musst du so kreischen?“ Ich komm der gleich durch die scheiß Telefonleitung!! „Du hast ihm gesagt das ich schwul bin? Bist du wahnsinnig? Das muss doch nicht die ganze Schule wissen!“ „Ich hab doch nicht gesagt das du schwul bist. Nur, dass du Jungs interessanter findest. Und Maxi ist ja wohl nicht die ganze Schule.“ „Jungs interessanter finden impliziert ja wohl schwul sein. Ich fasse es nicht, du kannst doch nicht einfach so jemanden sagen... Mann, Hannah, das ist echt nicht okay.“ „Ach Konsti, tut mir leid. Ich dachte, da wäre nichts dabei. Maxi wird das garantiert nicht rum posaunen. Ehrlich, der ist total lieb. Und für den Fall, dass Noah dir einen Korb gibt...“ „... soll ich zu Maxi rennen? Das ist doch wohl völlig bescheuert.“ „Du kannst ihn ja mal kennen lernen. Er kommt am Freitag auch ins Horizon.“ Ich bringe Hannah um!! „Ich werde nicht mit ihm rum knutschen.“ „Du sollst ja auch nicht direkt über ihn herfallen. Was ist so schlimm daran, ihn kennen zu lernen? Und selbst wenn du Noah endlich deine jahrelange Liebe gestehst und ihr tatsächlich zusammen kommen solltet, hättest du in Maxi immerhin einen guten Freund.“ „Aber wie scheiße ist das denn bitte? Wenn er mich... äh, süß findet, ich aber in jemand anderen verknallt bin... das ist doch wohl total gemein. Ich will ihm keine Hoffnungen machen.“ „Sollst du ja auch nicht. Meinetwegen kannst du ihm auch direkt sagen, dass du verknallt bist. Dann weiß er woran er ist, aber Freunde könnt ihr ja trotzdem sein.“ Mir wird dezent schlecht. „Das ist wie, als wenn man nach einer Trennung sagt, dass man Freunde bleiben kann. Wie Fußpilz. Will keiner.“ „Du bist echt so anstrengend. Ich leg jetzt auf, da wartet noch ein Buch auf mich. Wir sehen uns morgen. Hab dich lieb.“ „Ich dich auch Hannah.“ „Weiß ich doch. Gute Nacht!“ Zack, da hat sie aufgelegt. Grrr, dieses Mädel macht mich noch wahnsinnig! Nicht, dass wir uns falsch verstehen: ich liebe Hannah. Also, freundschaftlich. Sie ist die wunderbarste Freundin, die man haben kann. Lieb, intelligent, hilfsbereit. Ich kann sie zu jeder Tag und Nachtzeit anrufen. Aber manchmal könnte sie ruhig einen Gang zurückschalten. Sie will natürlich nur mein Bestes und unterstützt mich auch total darin, Noah für mich zu gewinnen. Ihre Mama ist nämlich Friseurin und Hannah hat viel von ihr gelernt und mir erst vor ein paar Wochen einen neuen Haarschnitt verpasst. So irgendwas zwischen Side- und Undercut. Ich finde, dass mir die langen Ponysträhnen echt auf den Senkel gehen, Hannah meint, dass es modisch und frisch aussieht. Naja, sie wird ja wohl Ahnung haben, oder?! Hannah wohnt übrigens mit ihrer Mama alleine, weil ihre Eltern sich getrennt haben, als sie in der Grundschule war. Weil Hannah aber eine recht große Familie mütterlicherseits hat und ihre Großeltern sie vergöttern, war es für ihre Mama als Alleinerziehende nicht ganz so schwer. Hannah selbst hat im Übrigen keinen Freund – auch keinen Schwarm. Dafür wollen ungefähr alle Jungs aus der Klasse mit ihr ausgehen. Ich kann es ihnen nicht verübeln, Hannah ist eine verfluchte Schönheitskönigin. Lange, rote Locken hat sie und große, grüne Augen. Gerade die richtige Anzahl an Sommersprossen und sie ist weder zu dick, noch zu dünn. Ich glaube, man nennt es Sanduhrfigur. Sie ist ein Stück größer als ich. Als wir uns in der fünften Klasse kennen lernten, saß sie neben mir und, offen und herzlich wie sie eben ist, streckte mir sofort ihre Flosse hin und stellte sich vor. Danach hat sie nicht mehr locker gelassen. Ich gebe zu, eine Zeit lang fand ich Hannah auch echt hübsch. Aber ich hätte mir niemals vorstellen können, mit ihr zusammen zu sein. Sie ist immerhin meine beste Freundin – da macht man so was nicht. Mit Hannah kann ich über alles reden. Sie auch mit mir. Mit dreizehn rief sie mich sonntagmorgens um sechs an und berichtete mir stolz, dass sie endlich ihre Tage gekriegt hat. Das ist, zugegeben, eine Info gewesen, die ich nicht unbedingt gebraucht habe. Aber es zeigt ganz gut, dass wir keine Hemmungen haben, uns auch intime Dinge zu erzählen. Wir gehen auch zusammen shoppen und ich habe Hannah bereits in Unterwäsche gesehen. Wenn sie neue BHs aussucht, muss ich das meistens erstmal absegnen. Wir haben keine Berührungsängste. Und so, wie sie mich wegen ihrer Tage anrief, rief ich sie an um ihr zu sagen, dass ich in Noah verknallt bin. Ich lege mein Handy auf meinen Nachttisch und bleibe erstmal eine Weile liegen. Muss das immer noch verdauen. Ein Junge findet mich süß. Also, ich erinnere mich, dass ich ihn auch eigentlich ganz nett gefunden habe. Hannah und ich haben uns gerade noch ne Cola zum Abschluss bestellt, als ihr dieser Junge auf der Tanzfläche aufgefallen ist. Da hat sie mir mit den Ellbogen in die Rippen gestoßen, dass ich meine Cola beinahe meinem Nachbarn in die Visage gekippt hätte. Maxi – jetzt weiß ich ja, wie er heißt – hat nämlich ganz entspannt herum getanzt und, das muss ich zugeben, sehr reizend ausgesehen. Ich meine, nur weil ich anderweitig verliebt bin heißt das ja nicht, dass ich nicht trotzdem feststellen kann, das jemand gut aussieht oder so... Jedenfalls hat er eine blaue Jeans getragen, die ziemlich verboten tief und bestimmt eine Nummer zu klein auf seinen schmalen Hüften saß. Und das schon erwähnte Tshirt hat ganz knapp über der Jeans geendet, weshalb man seinen Bauch ein bisschen sehen konnte. Wenn er die Arme über den Kopf gehoben hat, konnte man seinen Bauchnabel sehen. Ja, süß ist er. Aber ich bin halt in Noah verliebt. Bevor ich an diesem Abend schlafen gehe, gönne ich mir erstmal noch eine Dusche und studiere nochmal die Notenblätter, spiele mit meinen Fingern auf meinem Schreibtisch. Morgen werde ich nochmal lernen und beten, dass ich am Abend nicht versage. Genau in dem Moment denke ich an Noahs aufmunternde Worte und schlafe mit einem Lächeln auf den Lippen ein. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Mann, mir ist so schlecht, ich glaube ich muss brechen. Das liegt zum einen daran, dass draußen tausend Grad sind und ich im schnieken Anzug zugeknöpft schon jetzt schwitze wie ein Stier, zum anderen an meiner Aufregung. Hannah hat mir daheim noch die Krawatte gebunden, dann sind wir zu viert zur Philharmonie gefahren. Während ich mich verabschiedet habe, hat Bastian gerade mit Noah telefoniert, der bereits auf dem Weg sei. Ich möchte sterben. Auch wenn ich mich für das Konzert gewappnet fühle und heute bei der Probe keinen Fehler gemacht habe, bin ich wegen Noah mega nervös. Der wird nämlich mit in der ersten Reihe bei meiner Familie und Hannah sitzen. Zu wissen, dass hundert Augenpaare auf mich gerichtet sein werden, ist das eine. Zu wissen, dass Noah mich beobachten wird... Tief durchatmend strecke ich meine Finger, lasse meine Handgelenke kreisen, schüttele sie ein bisschen aus, strecke die Arme, entspanne meine Schultern. Es ist nur ein Konzert. Ich werde den Gästen Beethoven um die Ohren schmettern, mich brav verbeugen und anschließend eine Flasche Sekt köpfen. Klingt nach einem guten Plan. Als ich wenig später die verdammte Bühne betrete und das Publikum applaudiert bin ich froh, dass ich schon vorher vor Panik geschwitzt habe. Bevor ich Platz nehme, ruht mein Blick auf dem Steinway & Sons Konzertflügel. Ich brauche diese kleinen Momente, um mich mit dem Instrument bekannt zu machen. Das klingt merkwürdig, aber es ist eine fast schon intime Beziehung für mich. Wir werden eine Weile Zeit miteinander verbringen. Es wird still im Saal, ich setze mich. Und dann fange ich an. Meine Mutter liebt klassische Musik und hat mich, als sie mit mir schwanger war, mit Mozart, Beethoven, Bach und wie sie alle heißen beschallt. Ich spielte Stücke von Mozart bevor ich in die Grundschule kam. Als Baby habe ich nur zu klassischer Musik einschlafen können. Lego und der ganze Kram hat mich nie interessiert. Ich spielte nur mit musikalischem Spielzeug – damals noch sehr zum Leidwesen meines Bruders und Vaters. Meine Mama und ich stehen uns sehr nahe, die Musik verbindet uns einfach. Mein Papa und ich haben eine guter-Kumpel-Sohn-Beziehung, auch wenn er mir echt im Nacken hängt, was die Schule angeht. Er findet nämlich, dass ich mich nicht darauf ausruhen sollte, ein guter Pianist zu sein. Das tue ich auch nicht, aber wie ich bereits erwähnte... würde ich nicht so viel für die Schule lernen, würde ich mein Abitur wohl tatsächlich in den Sand setzen. Ich finde es auch wichtig, dass ich einen guten Schulabschluss habe und überlege, ob ich nicht sogar studieren soll. Am Ende breche ich mir noch die Hände und dann wars das mit meiner Karriere als Pianist, wobei ich nicht plane, damit wirklich erfolgreich zu werden. Naja, ich weiß es noch nicht. Keine Ahnung. Ich bin siebzehn, da muss man sich über so was noch keine Gedanken machen, oder? Ich habe gerade andere Probleme. Im Kindergarten habe ich bereits erste kleine Auftritte gehabt, meistens auf Festen, die wir gefeiert haben. Dasselbe hat sich dann in der Grundschule fortgesetzt, mit dem Ergebnis, dass ich nicht gerade beliebt gewesen bin. Vor allem nicht bei den Jungs. Die waren der festen Überzeugung ich sei ein Langweiler und gehöre verkloppt. Keine Sorge – ich bin kein Mobbingopfer gewesen. Aber die Jungs wollten nie mit mir spielen. Besser ist es auf der Realschule geworden, wobei Hannah da sicherlich auch ein nicht zu verachtender Faktor gewesen ist. Die findet Mobbing, Lästereien und blöde Witze nämlich total doof und teilt fleißig aus, wenn man etwas Blödes sagt oder tut. Ich verstecke mich nicht hinter ihr, aber manchmal bin ich doch froh, dass ich sie an meiner Seite weiß. Ein paar meiner besseren Bekannten – ich würde schon wagen, sie Freunde zu nennen, zumindest bis das Abitur vorbei ist – interessieren sich zwar nicht für meine Musik, aber zusammen feiern gehen ist kein Problem. Da können wir Spaß haben, über Dinge quatschen und einfach nur nett Zeit miteinander verbringen. Nicht, dass ich mich nur für Musik interessiere, aber sie spielt halt doch eine große Rolle für mich. Ich spiele eigentlich täglich auf meinem Flügel daheim – und wenn nicht, habe ich ganz schlimme Magenschmerzen. Ich habe es früher mal mit Sport probiert und – haha – auch Fußball gespielt, aber das ist mir dann doch etwas zu heikel gewesen. Und, bei aller Liebe, ich muss nur zehn Meter sprinten und brauche schon einen Notarzt. Neunzig Minuten einem Ball hinterher rennen? Selbstmord. Durch die Familienurlaube habe ich außerdem mein Interesse fürs reisen entdeckt. Und wenn es nur ein Städtetrip ist, ich mag die unterschiedlichen Kulturen und vor allem das Gefühl, dass mich keiner kennt. Noah ist vor einigen Wochen in Dublin gewesen, ganz alleine, ohne Bastian. Die fahren nämlich öfter mal zusammen weg... ich möchte vor Neid am liebsten grün werden. Jedenfalls möchte ich jetzt auch nach Dublin, schließlich brauche ich Gesprächsstoff, um mich mit Noah zukünftig austauschen zu können! In der Grundschule habe ich dann auch Klavierunterricht genommen – zunächst an einer Musikschule, durch die ich gute Kontakte bekam, später mit einem Privatlehrer, der zu uns nach Hause kam. Inzwischen übe ich lieber alleine oder gehe doch mal in die Musikschule und quatsche dort mit den Lehrenden und ein paar anderen Pianisten. Über die Musikschule ist auch das Charity Konzert organisiert worden und ich bin ziemlich überrascht gewesen als ich gefragt wurde, ob ich nicht spielen wollen würde. Meine Finger fliegen über die Tasten, gelegentlich schaffe ich es meine Augen zu schließen. Die Musik strömt durch meinen Körper, legt sich beruhigend um mich wie ein wärmender Mantel. All meine Sorgen und Gedanken sind wie weg geblasen. Ich fühle mich, als könnte ich Noah endlich sagen, was ich für ihn empfinde. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Natürlich tue ich das nicht. Nach dem Konzert bin ich nass geschwitzt und will nur noch nach Hause unter die Dusche. Ich konnte mein Frack nicht mehr anbehalten und habe es noch auf der Bühne ausgezogen. Die Krawatte habe ich immerhin hinter den Kulissen gelockert und die oberen Knöpfe meines Hemdes geöffnet. Ich bedanke und verabschiede mich von den Leuten vom Orchester und dem Dirigenten, dann sehe ich zu, dass ich meine Familie suche. Hannah findet mich zuerst. Sie trägt ein langes schwarzes Kleid mit hauchdünnen Trägern, an der linken Seite hat es einen tiefen Schlitz. Sie ist dank der Highheels die sie trägt nun ein noch deutlicheres Stück größer als ich. Wie sie darauf laufen kann, ist mir ein Rätsel. „Konsti, du warst wundervoll!“, ruft sie fröhlich, schmatzt mir einen Kuss auf die Stirn und drückt mich viel zu fest. Ich tätschel ihr den Rücken – ihre Haut ist babyweich, das Kleid am Rücken vielleicht eine Spur zu tief ausgeschnitten. Ich erwische Bastian, wie er ihr heimlich auf den Hintern schaut. Ha! Mama und Papa umarmen mich auch. Dann fällt mein Blick auf Noah, der zwar keinen Anzug trägt, aber eine nette Hose mit Hemd und schöner Jacke. Mir wird direkt ein wenig schwumselig weil die Knöpfe seines Hemdes weit genug geöffnet sind, um die Mitte unter seinem Hals zu sehen. Dort, wo die Schlüsselbeine zusammen laufen. „Hab dir doch gesagt, du wirst es nicht versemmeln.“, strahlt er mich an und... wuschelt mir durchs Haar. Daran stört sich keiner: er wuschelt mir durchs Haar, da habe ich gerade laufen gelernt. Es ist, als würde er mir die Hand reichen. Hannah tätschelt mir den Arm. „Siehst du, du warst mal wieder der einzige, der sich verrückt gemacht hat. Also ich könnte jetzt einen Drink vertragen. Bastian, hattest du nicht die Bar gesehen? Kannst du mir zeigen wo sie ist?“ Bastian will, glaube ich, gerade widersprechen, aber Hannah hakt sich bei ihm unter und zieht ihn davon. Hannah ist nämlich ungefähr so oft bei uns wie Noah und irgendwie kann keiner ihr was übel nehmen, geschweige denn protestieren. Bastian hackt zwar ständig auf mir rum, aber Hannah findet er lustig und ich glaube, er kann sie gut leiden. Also, nicht auf die Art und Weise, wie ich Noah leiden kann. Eine Zeit lang hat Bastian übrigens geglaubt, dass Hannah meine Freundin sei. Meine Eltern wenden sich an Noah. „Möchtest du auch was trinken?“ Noah schüttelt leicht den Kopf. „Noch nicht, nein. Ich glaube, ich brauche ein bisschen frische Luft.“ Das ist mein Stichwort!! „Das wollte ich auch gerade sagen“, platzt es aus mir raus wofür ich überraschte Blicke ernte, „weil... es war so heiß auf der Bühne und ich hab ein wenig Kopfschmerzen. Die Abendluft tut bestimmt gut.“ „Na, dann sehen wir euch später einfach an der Bar, ja?“ Ich nicke meiner Mama zu und gucke ihnen noch nach bevor sie in der Menge verschwinden. Dann spüre ich Noahs Hand in meinem Rücken und möchte dringend kaputt gehen. „Du musst sicher erschöpft sein?“ Noah führt mich nach draußen und die Treppen hinab. Ein paar Stehtische stehen auch hier draußen und manche Gäste nutzen die Gunst des Außengeländes und rauchen. Wir gehen nach rechts und setzen uns auf den Rand des Brunnens. „Ein bisschen, ja. Aber wenigstens wars das jetzt erstmal. Das nächste Konzert ist irgendwann im Winter.“ Und bis dahin ist noch genug Zeit, in der ich einfach nur für mich alleine spielen kann. Naja und für die Familie oder für Hannah. Die fragt mich nämlich ständig, ob ich ihr dieses oder jenes Stück aus irgendwelchen Filmen oder Videospielen vorspiele und dann muss sie es aufnehmen und auf ihr Handy packen damit sie es ständig anhören kann. Daraufhin schweigt Noah eine Weile was mich in eine tiefe Krise stürzt. Klar, was soll er auch groß mit mir bequatschen oder dazu sagen? Mir fällt wieder auf, dass wir einfach keine gemeinsamen Themen haben. Irgendwann muss sich das doch ändern. Ich meine, wenn wir erstmal zusammen sind, dann müssen wir doch miteinander reden? „Du, Noah?“, höre ich mich plötzlich fragen und obwohl ich weiß, oder ein Teil von mir weiß, dass ich lieber die Klappe halten sollte, muss ich es einfach wissen. „Hm?“ Noah blickt mich neugierig an und... ich weiß nicht. Er sieht interessiert aus, aber sind das Gesprächspartner nicht immer, wenn man miteinander redet? Also, wenn man nicht mit einem völligen Idioten quatscht. Gott, ich hoffe ich bin so einer nicht für Noah!! „Bist du... äh, sehr traurig wegen der Sache mit... Frank?“ Ich glaube Noah guckt ungefähr genauso belämmert drein wie ich. Ich, weil ich keine Ahnung habe, was zum Teufel mich geritten hat, er, weil das wohl nichts ist, was er mit mir besprechen wollen würde, oder? Ich bin schließlich nicht Bastian. Und ein verdammter Teenie. Der hat bestimmt Besseres zu tun, als mit mir über seinen Ex zu reden. „Wie kommst du denn jetzt darauf?“ Argh, ich hasse es, wenn man mir Gegenfragen stellt!! Das macht jetzt alles nur noch komplizierter. Oh Mann, wie soll ich mich denn da jetzt wieder heraus manövrieren? „Ähm... also, naja... keine Ahnung, du wirkst ziemlich gefasst und... also Hannah kennt jemanden, der wohl gerade... ne ähnliche Situation durchmacht und weiß nicht so recht, wie sie ihm helfen kann... naja, da... dachte ich, vielleicht hast du ja einen guten... Ratschlag?“ Konstantin, alle Achtung. Respekt. Das ist ja mal überhaupt nicht durchschaubar! Damit kann ich nicht mal in einer Comedy Show auftreten. Noah wendet den Blick ab und schaut auf seine ausgestreckten Beine. Ich auch. Mann... „Tja... vermutlich. Ich glaube es war gut, dass er fremd gegangen ist. Damit lässt es sich leichter leben, auch wenn es das natürlich nicht besser macht. Das Wichtigste ist Ablenkung. Dank des Jobs habe ich davon ja genug.“, lacht er zuletzt leise und legt den Kopf in den Nacken, den Abendhimmel musternd. Es ist noch nicht wirklich dunkel, aber lange wird es nicht mehr dauern. „Ablenkung also... das werde ich dann mal so weiter geben. Danke dir.“ „Kein Thema. Bist du eigentlich verliebt?“ Ach du scheiße, hat er was gemerkt?! Mir bricht augenblicklich der Schweiß aus – schon wieder. Fuck, fuck, FUCK! Wie kommt der denn jetzt auch darauf? Ich meine, wieso fragt der mich so was? „Äh...“ „Sorry, ich bin sicher nicht der Richtige für so ein Gespräch. Entschuldige die Frage.“ „Nein, nein! Es... es ist kompliziert.“ Noah zieht eine Augenbraue hoch. „Ist es doch Hannah?“ „Hä?“, mache ich ziemlich dümmlich und Noah guckt ein klein wenig ertappt. Was ist denn nun los? Und warum habe ich Vollidiot quasi zugegeben, dass ich verliebt bin?! Ach du Heimatland, ich kann niemals wieder mit ihm reden!! Scheiße, das war irgendwie eine ganz dämliche Aktion. Warum habe ich noch gleich gedacht wäre es so wichtig, dass ich ihm endlich von meinen Gefühlen berichten müsste? „Bastian meinte, du verhältst dich in letzter Zeit etwas seltsam. Ich weiß ja, dass du und Hannah euch sehr nahe steht, aber... naja, beste Freunde und so ist halt immer ein totales Tabu, nicht wahr?“ „Ich bin nicht in Hannah verliebt.“, höre ich mich sagen und beschließe, Bastian irgendwelche Krabbeltiere ins Bett zu stecken. Wieso redet der mit Noah über mich? Und vor allem: wieso redet er über meine Gefühlswelt oder mein Verhalten oder über was auch immer die reden? Geschockt bin ich ein bisschen, weil Bastian scheinbar aufgefallen ist, dass ich mich... seltsam verhalte? Fuck, ich mache doch alles so wie immer. Und überhaupt, seit wann ist der so feinfühlig? Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Ich mag Bastian, er ist immerhin mein Bruder. Natürlich muss das nichts heißen, aber bis auf die üblichen Geschwister-Probleme ist zwischen uns alles in Ordnung. Wenn ich ehrlich bin, wäre ich von meinem halbwüchsigen Teenager-Bruder auch genervt. Naja wobei, ich werde ja dann nächstes Jahr schon achtzehn, halbwüchsig bin ich also nicht mehr. Aber wie das so bei Erwachsenen ist: kaum sind sie zwanzig, denken sie, dass sie die Weisheit mit Löffeln gefressen und plötzlich voll den Plan vom Leben haben. Bastian wird im November sechsundzwanzig. „Du musst nicht mit mir darüber reden. Das geht mich schließlich nichts an.“ HAHAHA, wenn der wüsste!! „Nee, ist schon in Ordnung. Ich will dich damit aber nicht voll labern. Mhh, meinem Kopf geht es schon was besser, sollen wir was trinken gehen?“ Mal besser schnell aufs sichere Festland schwimmen. Bin ja schon froh, dass mir der Schädel nicht platzt. Für das erste Gespräch über Gefühle, so mehr oder weniger, war das doch schon mal nicht ganz so schlecht. Noah sieht mich einen Moment lang an. Also, vielleicht etwas länger als einen Moment. Mir wird etwas komisch weshalb ich ganz schnell aufstehe und zumindest noch halbwegs auf Noah warte ehe wir wieder rein gehen und uns zur Bar durchkämpfen. Hannah fällt mir schon wieder halb um den Hals, ein Glas Sekt in der Hand. Ihre Wangen sind etwas gerötet, scheint wohl nicht ihr erstes zu sein. „Hast du's ihm gesagt?“, wispert sie leise in mein Ohr und kichert, als hätte sie mir etwas total lustiges erzählt. Hannah ist eine verdammt gute Schauspielerin. Ich schüttele trotzdem mal ganz schnell den Kopf und bestelle mir ein Glas Wasser. Was anderes werde ich heute nicht mehr runter kriegen. Meine Eltern stehen an einem der vielen Stehtische und unterhalten sich mit irgendwelchen Leuten. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube ich kenne die irgendwoher. Sind glaube ich Bekannte. Als ich nach Noah schiele, sehe ich ihn mit Bastian, beide eine Flasche Bier am trinken. Mann, die sind schon wieder so ekelhaft vertraut und entspannt miteinander, mir wird spontan schlecht. Warum kann ich nicht Noahs Bastian mit gewissen Vorzügen sein? Ich bin leider nur der verliebte Trottel, der es nicht auf die Kette kriegt, Noah meine Gefühle für ihn zu gestehen. Es ist zum Heulen. Nach ein paar wenigen Stunden machen wir uns alle auf den Heimweg. Wir fahren Hannah nach Hause und fahren erst weiter, als sie in der Wohnung verschwunden ist. Noah ist mit dem Zug Heim gefahren, er wollte nicht, dass wir wegen ihm einen Umweg fahren. Das wäre zwar kein Problem gewesen, dennoch hat er höflich abgelehnt. Als wir daheim sind, gehe ich nochmal schnell mit Oskar raus – aber wirklich ganz schnell. Der freut sich wie doof, klar. Weil ich irgendwie das Gefühl habe, heute nicht alleine sein zu können, darf er bei mir im Zimmer schlafen. Meine Eltern wollen das eigentlich nicht, weil sie finden, dass ein Haustier nicht ins Schlafzimmer gehört. Mir ist das egal. Ist ja auch nicht so, als würde er ständig bei mir im Zimmer pennen. Nur manchmal eben. Nach meiner Dusche und Zähne putzen muss ich erstmal mit Oskar kuscheln. „Ich weiß einfach nicht, wie ich es ihm sagen soll.“, klage ich ihm mein Leid, was mir ein stupsen mit der feuchten Nase und ein glückliches hecheln ins Ohr einbringt. Ich sag ja, Oskar gibt keine guten Ratschläge. Wenigstens kuschelt er mit mir. Allerdings ist er auch der einzige. Ein Blick auf meine Wanduhr sagt mir, dass ich besser schon im Bett wäre. Mir ist gar nicht nach schlafen, aber morgen geht die Schule wieder los und wenn mich nicht alles täuscht, habe ich Dienstag eine Geschichtsklausur. Mann, mein Kopf ist so voll mit Noah, dass mir das glatt entfallen sein muss. Ich werde also morgen nach der Schule mit lernen beschäftigt sein. Aber: neue Woche, neues Glück! Vielleicht schaffe ich es ja dieses Mal, Noah irgendwie anzusprechen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)